COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Nachspiel: Fixie-Flitzer oder Kastenrad – Die Deutschen und ihr Drahtesel Sendedatum: 14. April 2013 Autorin: Bettina Ritter ---------------------- Atmo 1 Straße, Tür, Laden, Musik Autorin 1 Berlin Mitte, beste Lage. Theater, Cafés, Restaurants, Galerien. Mittendrin: Ein lichtdurchfluteter ebenerdiger Laden mit hohen Fenstern und schneeweißen Wänden. Der Name: Stilrad. Wie Bilder in einem Museum hängen hier die Fahrräder an Drähten von der Decke. Schlicht sind die Formen, die Farben klar: Schwarz, Weiß, Grau, auf Hochglanz poliertes Silber. Einfach, pur und edel sehen sie aus. O-Ton 1 Ja, das ist schon ein Statement, mit so nem Rad vorzufahren. Genauso, wie man im Café sein iPhone auf den Tisch legt, damit jeder sieht, dass man ein iPhone hat oder ein MacBook, ist es bei denen so, dass man die bewusst so hinstellt, dass man auch sieht, was man für ein Rädchen fährt. Autorin 2 Ingo Röhm ist Geschäftsführer des edlen Fahrradladens, der sich nicht Laden nennt, sondern „Showroom“. Showroom, weil man hier nur guckt. Kaufen und Mitnehmen - Fehlanzeige. Räder von der Stange wollen Röhms Kunden nicht. O-Ton 2 Es ist so ein bisschen wie beim Auto kaufen. Das Auto kauft man auch nicht in der Werkstatt, sondern dann geht man in den Showroom, sucht sich das Modell aus, stellt die Ausstattungsmerkmale zusammen, und dann wird das Auto erst gebaut für einen. Autorin 3 Drei bis vier Wochen dauert es, bis man sein Fahrrad abholen kann. Das symbolisiert Exklusivität. Und die fordern seine Kunden, sagt Röhm. Geht es doch darum, dass das Rad die eigene, individuelle Persönlichkeit repräsentiert. Und die ist schließlich einmalig. O-Ton 3 Das extravaganteste – das war in München allerdings – das war ein komplett vergoldetes Fahrrad. Mit Echtgold vergoldet. Ich glaub, das lag bei 10.000 Euro. Autorin 4 Das sind Ausnahmen. Im Durchschnitt kosten die Räder beim edlen Stilrad 1000 bis 1200 Euro. Bei Sonderwünschen geht der Preis auch schon mal hoch bis 5000. Die angesagten Firmen heißen Vanmoof, Retrovelo und Schindelhauer. Ihre Käufer sind ab 40 aufwärts und berufstätige Akademiker, die in Großstädten leben. O-Ton 4 Sehr viele aus der kreativen Branche, Designer, Filmbranche, Schauspieler mitunter, aber auch Anwälte, Ärzte, also, eher schon die etwas gehobene Klientel, die den Qualitätsanspruch, den sie beim Auto hatten, den sie bei ihren Möbel oder bei ihrer Stereoanlage haben, auch aufs Fahrrad übertragen. Das heißt, es ist nicht nur ein Fahrrad, um sich von A nach B zu bewegen, sondern es soll auch zum eigenen Stil, Klamottenstil, und zum Rest des Lifestyles soll das Fahrrad dann passen. Autorin 5 Der Lifestyle, der lässt sich bei Röhms Kundschaft am besten als neue Bürgerlichkeit beschreiben. Gesettelt, wie er sagt, mit ordentlichen Berufen, die Kinder schon groß. Das Einkommen kein Problem, da gönnt man sich ein schickes Rad. Weil es in der Großstadt so viel praktischer ist als der klobige Geländewagen und – vielleicht doch ein Grund in Zeiten klammer Kassen – billiger. Atmo 2 Musik aus dem Laden Autorin 6 Nicht weit entfernt, in einer noch nicht so schicken Ecke von Berlin Mitte. Der Fahrradladen Standert. Kein Showroom, ein richtiger Laden. Vorne hängen und stehen Rahmen der Eigenmarke in bunter Lackierung, hinten gibt es eine Werkstatt. Der Clou: Mittendrin ist ein Café. Die perfekte Symbiose von Lifestyle und Radkultur. Und zwar einer ganz besonderen: Die des Fixies, dem Lieblingsrad der Fahrradkuriere. Besitzer Max, 30, mit rötlichem Vollbart und Strickmütze, war selbst einmal Kurier. O-Ton 5 Alle Welt schreit vom Trend, aber trotzdem sind die Leute, die es machen, auch ne eingeschworene Gruppe. Die zeichnet tatsächlich ne große Leidenschaft zum Fahrrad aus. Ein wirkliches Bekenntnis zum Fahrrad als dem einzigen sinnvollen Fortbewegungsmittel, Sportmittel. Autorin 7 Das Fixie, eigentlich Fixed Gear, übersetzt soviel wie starrer Gang. Es hat nur einen und keine Schaltung. Freilauf gibt es nicht. Dasselbe gilt für die Bremsen. Zum Halten kommen die Fahrer durch Gegendruck auf die Pedalen. Der Vorteil: Je weniger Ausstattung desto weniger Reparaturen. Außerdem ist es leichter. Sehr schnell und nicht ungefährlich sind die Biker unterwegs. Aber nicht deshalb unterscheiden sie sich von anderen Radlern. O-Ton 6 Oft sind das Leute, die nicht so den klassischen Weg einschreiten im Sinne von Studium, Karriere, dann Auto, Familie, sondern die ihren ganzen Lebensinhalt aufs Fahrrad auslegen. Autorin 8 Leute, die Blogs schreiben, die sich ums Fahrrad drehen, oder Fotografen, die sich auf dieses Thema spezialisieren. Und eben Kuriere. Unangepasste. O-Ton 7 Gerade im Kurierbereich ist das so ne Verbindung von Lone-Wolf-Typen, die so ein bisschen nicht in die Gesellschaft passen, und sich doch zusammenfinden, und dann doch total sozial sind und das auch lieben, diese Kultur, die sie mit anderen verbindet. Autorin 9 Der Fixie-Fahrer als Teil einer Subkultur. Wenn es denn noch eine ist. Denn die Fixies sind Mode geworden, Otto-Normalverbraucher hat sie längst vereinnahmt. O-Ton 8 Wir sind ja auch ein Laden, der sich in diesem Trend bewegt, aber wir verkaufen keine Fixies, wir verkaufen ausschließlich Single-Speed- Räder, was bedeutet, dass es zwar ein Eingang-Rad ist, aber mit zwei Bremsen und mit Freilauf. Autorin 10 Fixie light sozusagen. Für den Büroangestellten mit Bausparvertrag, der die Mode mitmacht und sich auf seinem Rad fühlen kann wie der super- sportliche, gefährliche Fahrradkurier in New York. Dem es aber doch an Commitment fehlt, an Hingabe, um „den ganzen Weg zu gehen“, wie Max kritisch und auch ein bisschen ironisch anmerkt. O-Ton 9 (Lacht) Ja, es ist schon ne ernste Angelegenheit. Wenn man’s mal ne Weile gemacht hat, kann man’s gar nicht mehr so richtig verstehen, aber man kann immer noch nachvollziehen die Leute, die sagen, es ist doch sauanstrengend und gefährlich ohne richtig zwei Bremsen und man muss die ganze Zeit treten… Von daher: Man muss schon einen gewissen State of Mind erreichen, um da einzusteigen. Autorin 11 State of Mind, eine Geisteshaltung, die es einem ermöglicht, das Fahrrad zum Lebensinhalt zu machen. So wie Max, der sein Industriedesign- Studium abgebrochen hat, bevor er sein Radladen-Café aufmachte. Aber nicht nur auf diese oder ähnliche Weise machen sich die Fixie- Fahrer frei von der karriereorientierten Mehrheitsgesellschaft. Viele von ihnen seien Veganer und Vegetarier, sagt der Laden-Besitzer. Also eine Fahrrad-Subkultur mit Weltverbesser- Anspruch. Das erinnert dann schon wieder an die 80er-Jahre-Anti-Atomkraft-Vertreter, die das Rad als Symbol ihrer Pro-Umwelt-Einstellung instrumentalisierten. Atmo 4 Raum-Atmo Messe Autorin 12 Der Prototyp dieser Bewegung: Der Liegeradfahrer. O-Ton 10 Ich habe mich jahrelang in dieser Liegerad-Hochgeschwindigkeits-Öko- Fundi-80er-Jahre-Szenerie bewegt und habe irgendwann bemerkt: das Fahrzeug ist eigentlich egal, es ist eine Grundhaltung, die man hat oder nicht. Und bis heute sagen Leute, ich hab die Sache verraten, weil ich irgendwann nicht mehr nur Liegerad, sondern andere Räder gefahren bin. Autorin 13 Gunnar Fehlau ist Autor des Buches „Das Liegerad“ und Herausgeber von „Fahrstil – das Radkulturmagazin“. Schlank, mit kurz rasierten Haaren und sportivem T-Shirt sieht man ihm bereits äußerlich an, dass er das Thema Fahrrad lebt. Und dass er schon mehrere Trends und Bewegungen mitgemacht hat. Die Anti-Auto-Szene, in der er sich vor 25 Jahren in Deutschland bewegte, war davon überzeugt, dass das Liegerad die Welt retten werde. O-Ton 11 Das war in dieser Öko-Mitt-80er-Bewegung, die hatte das ja in vielen Bereichen. Die hatte das in der Getreide-Aufbereitung und beim Brotbacken, oder die hatte das bei Gesellschaftsformen, wie man zusammenarbeitet, da war ne Menge Gutes, aber da waren auch Leute, die extrem eng waren. Die es nicht ertragen konnten, dass jemand anderes nicht aus Unwissenheit, sondern ganz bewusst sagt, ja, du hast mir all deine Argumente vorgetragen, und trotzdem mache ich nicht mit. Trotzdem fahre ich Rennrad weiter. Autorin 14 Verbissen, sektiererisch, und engstirnig, so das Image der 80er-Jahre- Fahrrad-Statt-Auto-Aktivisten und Liegerad-Fahrer. Verkopft sei das alles gewesen, meint Gunnar Fehlau, und sehr lustfeindlich. Seitdem habe sich aber vieles verändert. O-Ton 12 Im Prinzip kann man sagen, das war die Liegeradszene. Und jetzt kommt so das Liege-Dreirad. Da ist nicht nur technisch ein Rad dazu gekommen, sondern da ist ein spannendes Klientel. Das sind Leute, die über 40 sind, die sagen, ich will mit dem Rad, ich will draußen sein, ich will ein sicheres Ding – Porsche auf Fahrrad übersetzt. Autorin 15 Zwei Räder vorn, eins hinten, in der Mitte ein langgezogener Sitz, auf dem Rücken und Po bequem abgelegt werden. Vollgefedert, vielleicht sogar mit Elektro-Antrieb mit 45 km/h. Das Äquivalent zum Sportwagen kostet ab etwa 1500 Euro aufwärts. Wer so viel ausgibt, muss ein echter Liebhaber sein. Vor allem, weil das Trike, so wird das Dreirad auch genannt, von den meisten nicht als Alltagsrad, sondern als Tourenrad benutzt wird. Die Nachfrage steigt, sagen die Händler. Atmo als Trenner Autorin 16 Egal ob Fixie-Flitzer, Liegerad-Öko oder Edel-Biker. Fakt ist, dass die Zahl der Radfahrer in Deutschland steigt. 80 Prozent der Haushalte haben Räder. Manche sprechen gar von einem Massen-Trend, der durch alle Gesellschaftsschichten geht. Und auch der Rad-Tourismus boomt. Längst ist es üblich, dass nicht nur Fahrrad-Freaks in den Ferien Flüsse abfahren und Berge nicht per pedes sondern per Pedale bezwingen. Ob Pförtner oder Geschäftsführer, einen sozialen Statusverlust gibt es nicht mehr, wenn man mit dem Rad vorfährt. Das hat auch Hans-Christian Ströbele bemerkt. Der grüne Bundestagsabgeordnete gilt als prominentester radelnder Politiker in Deutschland. O-Ton 13 Na ja, das ist entstanden dadurch, dass - seit der Bundestag in Berlin ist - ich zunächst einer der ganz wenigen Bundestagsabgeordneten war, die mit dem Fahrrad gefahren sind. Da hatte ich im Sommer nie ein Problem, dass ich einen Parkplatz für mein Fahrrad finde. Inzwischen hat sich das total verändert, ich treffe viele Kollegen auf dem Fahrrad, und deshalb ist es eigentlich ein bisschen ungerecht, dass ich der Protagonist für das Fahrradfahren bin, aber ich mache das natürlich gerne. Autorin 17 Ströbele und sein Fahrrad, das ist eine Einheit. Auf Wahlplakaten präsentiert sich der grüne Bundestagsabgeordnete mit seinem schwarzen Tourenrad, auf Fotos und in Radzeitschriften. Grüne Politik und umweltfreundliches Fahrrad, diese Verbindung steht auch noch 30 Jahre nach dem Einzug der Partei in den Bundestag. Wobei Ströbele – ganz heutig – beteuert, dass er nicht aus politischen Gründen in die Pedale tritt. O-Ton 14 Ich werde immer so gesehen, als wenn ich das irgendwie als das große Symbol mache, aber das ist wirklich bei mir nur ein ganz normales Fortbewegungsmittel, das hier, in der Innenstadt Berlins, am besten funktioniert, ich fahre manchmal morgens an den Kolonnen der im Stau stehenden Kolleginnen und Kollegen vorbei, und fühle mich dann wohl, wenn ich nicht im Stau stehen muss, sondern mit dem Fahrrad dieselbe Zeit brauche wie sonst, wenn kein Stau ist. Autorin 18 Von niederländischen Verhältnissen, wo sogar der Premierminister den Journalisten auf dem Hollandrad davonfährt, ist das Berliner Regierungsviertel noch weit entfernt. Trotzdem: Die deutschen Politiker- Kollegen gucken Ströbele inzwischen nicht mehr schräg an, auch nicht die Polizisten rund um den Reichstag. Nur bei den ausländischen Besuchern gilt er als Exot. O-Ton 15 Eine Parlamentsdelegation gab es aus Kasachstan oder so, der wurde ich richtig vorgeführt. Guck mal, hier fährt der Abgeordnete nicht mit einer Dienstlimousine vor, sondern im dicken Mantel und Schal kommt der mit seinem Fahrrad an. Die haben Bauklötze gestaunt. Weil es offenbar in vielen Ländern gar nicht vorstellbar ist, das gehört so dazu, wie der schwarze Anzug oder so. Autorin 19 Wie viele Deutsche benutzt Hans-Christian Ströbele sein Rad als Dienstfahrzeug. Jeden Tag fährt er damit zur Arbeit, pro Strecke eine knappe halbe Stunde. Für den 73-Jährigen eine ideale körperliche Ertüchtigung, sagt er. Bleibt nur noch die Frage, welches Rad er fährt. O-Ton 16 Es ist ein sehr altes Fahrrad, es ist inzwischen 16 Jahre alt. Ich lasse da aber immer neuere Sachen einbauen, wie zum Beispiel einen Nabendynamo. Das Fahrrad sieht sehr alt aus, und alle, die mir ein neues schenken wollen, die weise ich immer ab, ich sag, auf diesem Fahrrad kenne ich mich aus, da fühle ich mich wohl, und ich fühle mich auf den Straßen als über 70-Jähriger, auf dem Fahrrad sicherer als zu Fuß. Atmo Straße O-Ton 17 Ja, also, mein Name ist Pielmann, und ich fahre ein Elektro-Bike. Is so als City-Bike zu bezeichnen, dat is so wat für ältere Leute ooch, mit nem tiefen Ausstieg vorne, wo man nu nicht gleich das Bein so runterlegen kann, und sowas muss man schon haben als älterer Mensch. (lacht) Autorin 20 Heinz Pielmann ist 78. Vor inzwischen drei Jahren hat er sich sein Elektro-Fahrrad gekauft. Damit ist der Rentner mit dem beigefarbenen Blouson und dem braunen Hut Trendsetter. Denn derzeit ist das Elektrorad die Mega-Mode des deutschen Fahrradmarktes. O-Ton 18 Man setzt sich drauf wie aufm Fahrrad. Unten ist ein Zündschlüssel drin, genau wie beim Motorrad, den muss man umdrehen, und wenn man anfängt zu treten, sobald sich die Kurbel unten bewegt, dann fängt das an sich einzuschalten, und dann merkt man sofort, wie es anfängt zu schieben. Das ist ein Gefühl, wie wenn man Wind im Rücken hat. Autorin 21 Wie von Geisterhand schiebt der Akku das Rad nach vorn, ohne dass man sich groß anstrengen muss. 25 km/h ist die Höchstgeschwindigkeit für die elektrisch betriebenen Räder. Die werden auch Pedelecs genannt. Sie gelten rechtlich als Fahrräder, dürfen auf Radwegen und durch Parks fahren. O-Ton 19 Dann gibt es die E-Bikes, der Begriff wird zunehmend für alle möglichen Fahrräder mit Elektro-Antrieb verwendet, aber rechtlich gesehen sind die E-Bikes die, wo man an einem Drehgriff drehen kann, und dann fängt es an zu fahren, egal ob ich selber trete oder nicht. Dafür braucht man ein Versicherungskennzeichen und einen Mofaführerschein. Autorin 22 Wasili von Rauch arbeitet beim Verkehrsclub Deutschland und bietet Beratung zum Kauf von Elektrorädern an. Eine Initiative, die vom Bundesumweltministerium gefördert wird. O-Ton 20 Und dann gibt es noch die dritte Klasse, das sind die so genannten schnellen Pedelecs oder schnellen Elektro-Fahrräder, die sind im Grunde genommen wie die, die ich zuerst genannt habe, die rechtlich als Fahrrad gelten, nur dass sie erst bei 45 aufhören, zu unterstützen. Die sind dann insbesondere für Leute, die Arbeitswege haben, die über zehn Kilometer sind, oder die regelmäßig längere Strecken fahren, spannend. Autorin 23 Der Verkaufsschlager sind aber die Pedelcs bis 25 km/h. In den vergangenen vier Jahren wurden hierzulande laut Verkehrsclub Deutschland eine Million Elektro-Räder verkauft. Allein 2012 waren es 380.000. Kostenpunkt im Durchschnitt: 1500 bis 3500 Euro. Die Kern- Käufergruppe ist über 60. Aber auch Jüngere interessieren sich zunehmend für die Bequem-Räder. O-Ton 21 Ich würde aus meiner Erfahrung sagen, es sind am wenigsten Leute, die vorher hauptsächlich Fahrrad gefahren sind, die haben eigentlich immer ne ziemlich große Abneigung gegen Elektrofahrräder, es sind eher Leute, die sowieso Auto und öffentlichen Nahverkehr verwenden und dann denke, ah, das ist ja ein neues Verkehrsmittel, die also offen sind für neue Sachen. O-Ton 22 Ich habe das Gefühl, ein ganz normales Fahrrad zu fahren, und man hat das Gefühl, dass jemand von hinten plötzlich schiebt. Wenn man dann auf Geschwindigkeit ist, dann gibt es richtig Schwung, und es macht einfach unheimlich Spaß. Und ich stelle mir vor, damit zur Arbeit zu fahren, um damit was für meine Gesundheit zu tun. Autorin 24 Das Elektrorad – also nicht nur ein Vehikel für Alte, Behinderte und Faule. Sondern ein neuer, großer Trend. Und der Lifestyle-Faktor? Bei dem hapert es noch, meint Wasili von Rauch. O-Ton 23 Jaaa, beim Pedelec-Nutzer ist es tatsächlich häufig so, dass es in erster Linie darum geht, einfach einen größeren Aktionsradius zu haben, und es macht einfach saumäßig Spaß, wenn man bei dem, was man tut, unterstützt wird. Wenn man dann merkt, es ist windig, oder regnerisch, oder saukalt, dann ist es total angenehm, wenn man das Gefühl hat, es geht alles ein bisschen leichter, und ich glaube, der Lifestyle-Aspekt ist da nicht so groß, aber es ändert sich. Autorin 25 Pedelecs, ultra-leichte Großstadt-Fixies oder 21-Gang-Tourenräder – die meisten Modelle sind auf Beschleunigung ausgelegt. Aber es gibt auch den Gegen-Trend. Die Vertreter: Der Genießer und der so genannte Velosoph. Der tritt mit Muße in die Pedale. Das passende Modell für ihn: Das gute alte Hollandrad. O-Ton 24 Das sind ganz solide, robuste Gefährte, die sich jeden Tag bewähren, und das fasziniert mich am Hollandrad. Autorin 26 Ulrich Gries, Mitte 40 mit gepflegten, halblangen, welligen Haaren, Jackett und Seiden-Halstuch, fährt selbst Hollandrad. Er ist promovierter Akademiker, hat seinen Beruf in der Tourismusindustrie aber schon vor Jahren aufgegeben. Zugunsten seines Ladens, in dem er Hollandräder verkauft. Das Geschäft boomt, und er weiß auch warum. O-Ton 25 Es gibt ein bisschen Entschleunigung, es geht definitiv nicht um Sport, sondern um Mobilität, auch darum, gut auszusehen, das haben die Modemagazine in den vergangenen Jahren auch entdeckt, typischerweise auch so Blogs, auch aus Kopenhagen, wo man besonders junge hübsche Frauen sieht, auch auf so einem Fahrrad, die dann eine gute Figur machen. Und das haben viele in ihren Alltag integriert, dass sie sagen, sie wollen ein Fahrrad, das gut aussieht, das schön ist, das gut fährt, und worum sie sich technisch nicht besonders kümmern müssen. Autorin 27 Dem Hollandrad-Fahrer ist egal, welche Kette, Gangschaltung oder welches Brems-System sein Fahrrad besitzt. Ihn interessieren die aufrechte Haltung und vor allem der Stil. Derzeit ist das Hollandrad besonders bei jungen Mädchen um die 17 Jahre gefragt, sagt Ulrich Gries. O-Ton 26 Wir sind hier in Berlin Mitte, Prenzlauer Berg, da ist es natürlich auch so ein Lifestyle-Thema, da sind es vor allem junge Familien, es sind vor allem aber auch Leute, die einen akademischen Hintergrund haben, Ärzte, Architekten, es sind aber eher Leute, die bewusst leben, die auch ganz viele Sachen mit dem Rad transportieren wollen, und für die das Rad ein alltägliches Fortbewegungsmittel ist und kein Sportgerät. Autorin 28 Ähnlich wie der Hollandrad-Besitzer tickt der Retro-Liebhaber. Für ihn gibt es hochmoderne Räder im Look der 20er bis 40er Jahre. Rostrot, dunkelgrün oder klassisch schwarz mit besonders dicken Reifen, auffälligen Schutzblechen und oft einem Transport-Korb vor dem Lenker. O-Ton 27 Ich sag immer, der Doktor und das liebe Vieh, das ist der Film, der bei mir abläuft. Da fährt jemand in England über Land, hat so ne schön aufklappbare Ledertasche, Tweed-Sakko und rettet die Welt, die kleine, die da ist. Das ist massiv wieder im Kommen, das hat ne ganz tolle Temperatur, hat aber natürlich auch was Biedermeierisches. Autorin 29 Der Retro-Radler ist vielleicht nicht zeitgemäß, meint Gunnar Fehlau, aber wertebewusst. Ein Traditionalist, solide, verlässlich. Wie das Retro- oder Hollandrad eben. Ein bisschen wiederbelebter Landadel in der Großstadt. Nicht selten trägt er dazu die passende Schiebermütze aus Tweed. Ein Helm passt hier nicht ins Bild. Wie bei den meisten deutschen Radlern. Der Kopfschutz hat sich – vor allem bei den älteren Semestern wie bei Hans-Christian Ströbele - hierzulande noch nicht durchgesetzt. O-Ton 28 Oh, das ist ein ganz wunder Punkt. Ich bekomme immer wieder Zuschriften von Eltern, die sagen, wie soll ich meinen Kindern beibringen, dass sie mit dem Helm fahren müssen, wenn Sie keinen Helm aufsetzen. Ich gestehe, ich habe einen Helm, manchmal setze ich ihn auch auf, ich vergesse ihn aber sehr häufig, und ich behaupte, ich fühle mich auf dem Fahrrad mit Helm wesentlich unsicherer als ohne Helm. Atmo Autoverkehr Autorin 30 Nicht ohne Grund, denn tatsächlich gibt es eine Studie, die zu dem Ergebnis kam, dass Helm-Träger gefährlicher leben. Ein englischer Verkehrspsychologe radelte mal mit, mal ohne Helm, ausgerüstet mit versteckter Kamera und Abstandmesser. Das Ergebnis: Fuhr er mit Helm, überholten die Autos mit weit geringerem Abstand, nämlich achteinhalb Zentimeter. Helm ja oder nein, das scheint auch eine Generationenfrage zu sein. Diejenigen, die von Anfang an gelernt haben, sich zu schützen, tun dies auch noch heute. Kinder und junge Erwachsene nämlich. O-Ton 29 Umfrage Junge: Ja, immer. Ich achte eigentlich gar nicht mehr drauf. Frau:: Mit Helm. Unbedingt. Ich sag immer, mein Arm, mein Bein, alles kann heilen, nur mein Gehirn nicht. Das ist mir wichtiger, als dass ich sabbernd irgendwann in der Gegend rumlaufe. Mann: Zum Trainieren, wenn ich mit dem Rad im Wald oder größere Touren fahren, dann setze ich immer einen Helm auf, aber in der Stadt … Ich nehm’s mir vor, aber es klappt nicht immer, aber ich finde es gut, mit Helm zu fahren. Autorin 31 Nur etwa jeder zehnte Radler trägt in Deutschland einen Helm. Dafür könnte es zwei Gründe geben: Er ist unbequem und sieht nicht immer schick aus. O-Ton 30 Aus unserer Sicht tragen so wenige Helme, weil sie vom Design nicht angenommen werden. Ist ganz klar, wenn ich mich aufs Mountainbike oder aufs Rennrad setze mit Radlerhosen dazu, mit 40 durch die Gegend fahre, brauche ich die Durchlüftung, da passt das auch alles mit dem sportlichen Design. Wenn ich mich im Straßenverkehr bewege, dann hab ich meine Alltagsklamotten an, lege auch Wert darauf, dass ich gut aussehe, und dann setze ich keinen Helm auf, den Lance Armstrong auf den Pyrenäen getragen hat. Autorin 32 Thorsten Fentz ist Hersteller von Helmen, die als solche nicht mehr zu erkennen sind. Sie sehen aus wie modische Accessoires. Häkelmützen, Cowboyhüte und Radkurierkappen. Darunter aber verbirgt sich eine so genannte Light Protection, ein dünner Kopfschutz. Der Nachteil: Sie bietet wesentlich weniger Schutz im Vergleich mit einem regulären Fahrradhelm. O-Ton 31 Die Frage ist eher, hab ich null Prozent Schutz wie 90 Prozent aller Fahrradfahrer oder hab ich z.B. 70 Prozent in der Dämpfung gegenüber eines Helmes, den wir bieten können. Man kann es vergleichen zu 70 Prozent Dämpfungseigenschaften vom normalen Helm. Autorin 33 Es gilt keine rechtliche Helmpflicht hierzulande, aber es wird heiß darüber debattiert. Die Befürworter führen ins Feld, dass ein Kopfschutz Leben retten kann. Immerhin gab es 2011 deutschlandweit fast 400 getötete Radfahrer im Straßenverkehr. Fast 60 Prozent der Bürger sind nach Angaben des Deutschen Verkehrssicherheitsrates für eine Helmpflicht. Aber es gibt auch Gegner. O-Ton 32 Wir können natürlich fragen, reden wir über die Täter oder die Opfer. Verdammt wenige Autofahrer werden von Radfahrern totgefahren. Also, müssen wir dem Opfer sagen, jetzt schütz dich mal? Oder müssen wir sagen, wie sorgen wir dafür, dass es nicht so oft knallt? Autorin 34 Gunnar Fehlau spricht von einer Stellvertreterdiskussion und vertritt damit im Wesentlichen die Meinung des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs. Der ADFC ist gegen die Helmpflicht. Er unterstützt stattdessen Vorschläge, die mehr Einschränkungen für Autofahrer fordern: Zum Beispiel Tempo-30 in Innenstädten, strikte Null Promille hinterm Steuer und eine bessere Verkehrsplanung für Radfahrer. Allerdings: Fehlau selbst trägt einen Schutz. Einen Airbag für den Kopf, versteckt in einem Kragen um den Hals. Kosten: 400 Euro. O-Ton 33 Ist super dezent, gibt es dann Kragen noch in verschiedenen Farben, das zieh ich einfach um und – Reißverschluss – und wenn man dann hier rein klopft, wird er scharf gemacht. Und ab jetzt sind die Sensoren scharf, und er misst, wie ich mich im Raum bewege, und sobald das Bewegungsmuster in ein Sturzszenario reingeht, ploppt er auf. Dann macht’s Pfft, und dann hab ich einen Helm auf. Ist geil, oder? Atmo als Trenner (Rad dreht sich) Autorin 35 Der Anteil der Radfahrer am Verkehr in Großstädten steigt stetig. Und das, obwohl in Ballungsräumen wie Berlin, Köln, Stuttgart und München die Verkehrswege für Radfahrer teilweise zu wünschen übrig lassen. Oder die Autofahrer noch zu wenig Rücksicht nehmen. Die Motivation der Großstadt-Radler scheint davon ungebrochen. O-Ton 34 Umfrage Stilrad, Mann: Man ist im Vergleich zum Auto mit dem Fahrrad eigentlich immer schneller auf so kurzen und mittleren Strecken. Immer! Und es macht auch mehr Spaß. Ströbele: Ich benutze das Rad auch als körperliche Ertüchtigung. Da kann man mal richtig rein treten und den Kreislauf groß in Gang bringen oder mal so langsam dahinfahren, die Beine aber gut bewegen. Also, ich finde, wenn’s ein Fahrrad nicht gäbe, man müsste es erfinden. Autorin 36 Das Radfahren ist inzwischen so populär, dass auch die Bundes- regierung auf der Welle mit schwimmen bzw. mit radeln will. Erst kürzlich beschloss sie den Radverkehrsplan und wirkt mit ihrem Timing ein bisschen so, als würde sie auf einem Oma-Rad dem Pulk der flinken Bürger hinterher hecheln. In den kommenden sieben Jahren, so das Ziel, soll der Anteil der Radfahrer am Verkehr von zehn auf 15 Prozent steigen. Paradox, denn gleichzeitig wurden die Bundesmittel für den Ausbau von Radwegen gekürzt. Experten gehen davon aus, dass im Jahr 2020 mehr Menschen als heute Fahrrad fahren, ob mit Regierungsplan oder ohne. O-Ton 35 Wenn das alle machen können, ohne dass da ein sozialer Statusverlust mit einhergeht, sondern wo eher zeitgemäße Schlagworte fallen wie Fitness, wie clever, wie umweltfreundlich, nachhaltig – wo man sagt, das dockt eigentlich an allen gesellschaftlichen Fragestellungen mit einem positiven Vorzeichen an, dann machen das die Leute. Autorin 37 Je mehr Menschen das Fahrrad benutzen, desto mehr wollen sie sich voneinander unterscheiden, davon ist Gunnar Fehlau überzeugt. Der Radweg, so meint der Buchautor, werde immer mehr zum Laufsteg, auf dem man sein schickes Fahrrad präsentiert. Gleichzeitig gibt es immer mehr Menschen, die aus praktischen, ökonomischen und sportlichen Gründen das Rad benutzen und sogar mehr als eins besitzen. Man kann sie eben nicht in Schubladen stecken, die Zweirad-Enthusiasten. Das funktioniert nur mit ihren Rädern. 17