Manuskript Kultur und Gesellschaft COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbe- sondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Kostenträger : P 62100 Organisationseinheit: 46 Reihe : Forschung und Gesellschaft Titel : Der deutsche Wald. Ein Zustandsbericht Autor : Johannes Kaiser Redakteurin : Kim Kindermann Sendung : 11.07.2013 / 19:30 Uhr Regie : Beate Ziegs Besetzung : Autor; Sprecherin Urheberrechtlicher Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwe- cken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in den §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio Kultur Funkhaus Berlin Hans-Rosenthal-Platz 10825 Berlin Telefon (030) 8503-0 TAKE 1: O-Ton Tagesschau - 0.36' "Die Scheitelwelle des Hochwasser bewegt sich weiter Rich- tung Norddeutschland. Dabei erreicht die Flut in vielen Regio- nen neue Rekordpegelstände. Bei Fischbeck in Sachsen-Anhalt hielt ein Deich den Wassermassen heute nicht stand. Das Wasser strömt und strömt und strömt. Mit 1000 Kubikme- tern pro Sekunde sucht sich die Elbe rund um Fischbeck land- einwärts neue Wege. In der Nacht war hier auf etwa 100 Me- tern der Deich gebrochen. Bis 5 Kilometer steht nun das Was- ser landeinwärts, hat Häuser und Äcker umflutet." Spr.: Tagesschaumeldung vom 11. Juni 2013 TAKE 2: O-Ton Meister "Jetzt haben wir gerade erlebt diese große Geschichte mit dem Hochwasser in Bayern, in Ostdeutschland. Wir brauchen wesentlich größere Retensionsflächen, wir brauchen höhere Dämme. Ist alles wunderbar, habe ich überhaupt nichts da- gegen. Nur man vergisst völlig, wo denn das Wasser her- kommt und zwar zum großen Teil aus den Gebirgen und dort aus dem Wald und das wird überhaupt nicht thematisiert, weil der Wald ja so wunderbar und herrlich ist." Spr.: Das gibt der 82jährige ehemalige Forstamtsleiter Georg Meis- ter aus Bad Reichenhall zu bedenken, seit langem scharfer Kri- tiker der derzeitigen Forstwirtschaft. TAKE 3: "Also wir haben den Wald als ein weitgehend naturnahes Öko- system umgebaut im Grunde in landwirtschaftsähnliche Fors- ten und das bedeutet, dass das Wasser heute aus dem Wald viel, viel schneller abfließt als vor 200 Jahren. Die Wissen- schaftler haben einmal ausgerechnet, dass wir in einem natur- nahen Bergmischwald pro Quadratmeter etwa 100 Liter Was- ser speichern könnten. In einem solchen verlichteten und ver- grasten Fichtenwald, der anstelle dieser Mischwälder dort steht, haben die ausgerechnet, dass die etwa nur 16 Liter speichert." Spr.: In der Tat ist Deutschlands Wald im letzten Jahrhundert in vie- len Gegenden zur monotonen Fichten- und Kiefernwüste ver- kommen - die Forstwirtschaft pflanzte vor allem rasch wach- sendes, wirtschaftlich gut verwertbares Stangenholz. Gut die Hälfte der deutschen Waldflächen ist mit diesen beiden Nadel- hölzern bedeckt. Die anderen Nadelbäume wie Lärche, Tanne und Douglasie kommen zusammen auf weitere 10 Prozent. Die Laubhölzer holen in der Statistik auf. ATMO: Wald kurz stehen lassen, dann Spr.in drüberlegen, danach wieder kurz hochziehen Spr.in: Fichte - immergrüner Nadelbaum, 30 bis 50 Meter, aus- nahmsweise bis 70 Meter mit regelmäßiger Krone und meist hängenden Ästen, Rinde kupferfarben bräunlich, feinge- schuppt.... Nadel ein bis drei Zentimeter, spitz, glänzend dun- kelgrün... wird meist um die 200 Jahre alt. ATMO: Kurz hochziehen, Spr. drüberlegen Spr.: Buche und Eiche stehen mittlerweile auf rund einem Viertel der elf Millionen Hektar Waldfläche. Weitaus seltener kommen andere Laubbäume wie Ahorn, Esche, Linde, Wildkirsche vor. Alle Waldbäume zusammen bedecken immerhin ein Drittel Deutschlands - Europarekord. Ein Ergebnis nachhaltiger Fort- wirtschaft. Darunter versteht man im Prinzip, dass dem Wald nicht mehr Holz entnommen wird als nachwächst. Das trifft tatsächlich zu, klingt gut und ist doch nur die halbe Wahrheit. Kritiker jedenfalls halten den derzeitigen Umgang mit dem Wald für wenig nachhaltig und zwar nicht nur, weil er nicht mehr vor Überflutungen schützt, sein Wasser nicht mehr hal- ten kann. Gestritten wird darüber, wie man ihn nutzt, ob man ihn sich möglichst selbst überlassen soll, wie man es mit der Jagd hält. Wie viel trägt der Wald zum Klimaschutz bei? Wie schützt man ihn vor dem Klimawandel? So zahlreich die Fragen, so unter- schiedlich die Antworten. Dabei sind die Kontrahenten - allesamt walderprobt, keine Stubenhocker - in einem Punkt durchaus einer Meinung: Monokulturen wie eintönige Fichtenwälder haben im Wald nichts mehr zu suchen. Die Zukunft gehört dem Mischwald. Doch wenn es ins Detail geht, enden alle Gemeinsamkeiten. Das beginnt schon bei den reinen Fakten: wie wichtig ist die Holzwirtschaft für die Volkswirtschaft? Carsten Wilke, Präsi- dent des deutschen Forstvereins, sieht die Forstwirtschaft als sehr großen Wirtschaftsfaktor, als sogenannten Cluster: TAKE 4: O-Ton Wilke "Zum Cluster gehört zum einen der Rohstoff, der durch die Forstbetriebe bereit gestellt wird, und dann die weiter davon abhängigen verarbeitenden Gewerbe und Industrien. Zum Bei- spiel die holzverarbeitende oder -bearbeitende Industrie, ganz klassisch die Sägewerke, aber dann kommen die Verpackungs- leute dazu, die Paletten beispielsweise herstellen. Es kommt die Möbelindustrie dazu. Es ist dann die Verwendung im Bau- gewerbe, der Balken, das Parkett, der Innenausbau und dann der ganze Bereich des Papiers. Alles zusammen gibt die Statis- tik, und das sind jetzt Zahlen für das Jahr 2005, nennt einen Umsatz dieses Clusters in Höhe von 160 Milliarden Euro und Beschäftigtenzahl von 1,2 Millionen." Spr.: Beeindruckende Zahlen, die allerdings mit Vorsicht zu genie- ßen sind, denn nur ein Drittel des in Deutschland verarbeiteten Holzes stammt aus heimischen Wäldern. Forstwirtschaftskriti- ker Peter Wohlleben hält wenig von der Cluster-Rechnung. TAKE 5: O-Ton Peter Wohlleben "Das ist auch ein PR Trick. Da packt man einfach alles rein, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, also zum Beispiel auch die Papierindustrie und weil Verlage auch Papier brauchen, werden auch die ganzen Buchverlage, Zeitungsverlage mit reingenommen und dadurch schafft man es tatsächlich, über die Automobilindustrie im Ranking zu kommen und die Bedeu- tung der Forstwirtschaft völlig zu überhöhen. Tatsächlich sind es Personenbeschäftigte so ungefähr im fünfstelligen Bereich, also ich würde mal sagen, 50-, 60 000, also deutlich unter 100 000 sind im Wald beschäftigt. Das ist eine Randgruppe." Spr.: Und diese Randgruppe schmilzt seit Jahren, das heißt seit gro- ße Baumerntemaschinen, sogenannte Harvester, zum Einsatz kommen. Mit langen Zangenarmen greifen sie bis zu 10 Meter in den Wald, umfassen die Bäume, sägen sie ab, entasten sie und schälen sie. Sie ersetzen zwar gut ein Dutzend Waldarbei- ter, sind aber auch so teuer, dass sie im Prinzip jeden Tag im Forst eingesetzt werden müssen, egal ob der Waldboden tro- cken ist oder Regen ihn aufgeweicht hat. Die schweren Geräte pressen ihn massiv zusammen. Dem Boden tut das nicht gut. TAKE 6: O-Ton Sturm "Da ist wichtig, dass die Durchlüftung relativ gut ist. Die Re- genwürmer und viele Mikroorganismen reagieren ganz extrem auf diese Bodenverdichtung oder auf Verdichtung in der Laub- streu." Spr.: Knut Sturm ist Forstingenieur und Chef des Lübecker Stadt- waldes TAKE 7: "Von daher ist es wichtig, dass Sie da die Lockerheit im Boden halt haben, damit eben der Nährstoffumsatz, der ja wichtig ist, denn so ein Laubblatt fällt vom Baum runter, wird dann von den Mikroorganismen zerlegt und wieder zu Nährstoffen im Boden, die sind dann wieder wichtig fürs Baumwachstum. Wenn Sie das verhindern, dann haben Sie irgendwann mal einen unterbrochenen Nährstoffkreislauf. Das ist auch einer der Gründe, weshalb wir so viel Holz wie möglich, zum Beispiel auch diese dünnen Äste usw. im Wald liegen lassen, weil die Nährstoffe sind in der Hauptsache in der Rinde und in den Blättern angesiedelt, d.h. wenn Sie das immer rausziehen, ha- ben Sie auch irgendwann mal einen Nährstoffexport aus den Wäldern." Spr.: Je mehr Maschinen aber im Wald herumfahren, desto größere Flächen Waldboden werden geschädigt. Deswegen gibt es für die Anlage von Transportwegen, sogenannten Rückegassen, auf denen sich Erntefahrzeuge im Wald bewegen dürfen, klare Vorschriften. Wer zertifiziertes Holz verkaufen möchte, und das sind die meisten deutschen Forstbetriebe, muss für das Siegel PEFC einen Mindestabstand von 20 Meter zwischen den Rückegassen einhalten. 40 Meter Abstand verlangt die stren- gere Zertifizierung FSC. Doch selbst dessen Kriterien reichen Förster Peter Wohlleben nicht: TAKE 8: O-Ton Peter Wohlleben "Wir haben zum Beispiel in unserem Betrieb 40 Meter. Wenn man alle 20 Meter so eine Schneise reinhat auf einer Breite von 4-5 Metern, dann hat man mit Seitenrandeffekten zu- sammengerechnet 50 Prozent der Waldfläche geschädigt. Das ist eindeutig zu viel. Bei 40 Metern sind es nur noch knapp 20 Prozent. Aber das ist eben auch die Frage: Ist das in Ordnung, dass wir in einer Generation 20 Prozent des Waldbodens irre- parabel schädigen?" Spr.: Ein lockerer gesunder Waldboden sichert aber nicht nur die Nährstoffversorgung der Bäume: TAKE 9: O-Ton Peter Wohlleben "Ein typischer Waldboden ist wie ein Schwamm, wie ein Haushaltsschwamm, also voller Poren und auch voller Luft. Der speichert auch sehr schön Wasser. Wenn wir dort mit Ma- schinen drüberfahren, dann wird dieser Schwamm zusam- mengequetscht und im Gegensatz zum Haushaltsschwamm richtet sich dieser Schwamm nie wieder auf, wirklich nie wie- der und dann erstickt das ganze Bodenleben wirklich sehr, sehr schnell und vor allem die Wasserspeicherfähigkeit geht um bis zu 95 Prozent zurück und das ist deswegen so drama- tisch, weil Bäume im Sommer viel, viel mehr Wasser verbrau- chen als nachregnet und diesen Mehrbedarf, den können Sie nur decken über das gespeicherte Wasser aus dem Winter. Wenn jetzt aber eine große Maschine den Tank plattfährt, den Boden, und sich da kaum noch Wasser speichert, dann dursten die Bäume im Sommer und stellen dann quasi die Holzproduk- tion ein." Spr.: Auch noch aus einem ganz anderen Grund wäre es gut, würde der Wald wieder mehr Wasser speichern. Er wäre dann auch besser gegen Schädlinge wie den Borkenkäfer geschützt. Peter Wohlleben: TAKE 10: O-Ton Peter Wohlleben "Borkenkäfer ist ja immer ein Durstproblem bei Bäumen. Wenn die nicht genug Wasser kriegen, dann werden die leich- ter von Borkenkäfern gefallen, speziell sind es die Nadelbäume und hier ganz speziell die Fichte. Die stammt ja eigentlich aus der Taiga und in unseren langen warmen Sommern im Ver- gleich zum ursprünglichen Herkunftsgebiet verbraucht die Fichte irre Mengen an Wasser, die sie aber nicht kriegt. So und das heißt, die steht im Prinzip immer kurz vor dem Verdursten und dann kommt dieser kleine Borkenkäfer ins Spiel. Der tes- tet die Fichten an und merkt: ‚Hey, die kann nicht mehr', bohrt da rein. Eine gesunde Fichte würde jetzt sofort einen Harztrop- fen rausdrücken und diesen kleinen Borkenkäfer ertränken, kann sie aber nicht mehr, ist ja trockengelaufen und dann sendet dieser kleine Borkenkäfer ein Duftsignal aus, sagt: ‚Hey Freunde, kommt hierher. Hier gibt es ein Buffet' und dann wird diese Fichte vom Borkenkäfer komplett befallen und abgetötet. Also der Borkenkäfer ist eigentlich ein guter Indikator dafür, dass da was nicht stimmt." Spr.: Besonders liebt der Borkenkäfer umgestürzte Bäume und da- von gab es in den beiden letzten Jahrzehnten mehr als genug. Riesige Flächen von während der Nazizeit und direkt nach dem Krieg gepflanzten Fichten- und Kiefernmonokulturen fielen Stürmen wie Kyrill zum Opfer. Im Unterschied zu Laubbäumen wurzeln sie flach und halten darum starken Windböen schlech- ter stand. ATMO: Wald kurz stehen lassen, dann Spr.in drüberlegen, danach wieder kurz hochziehen Spr.in: Kiefer - immergrüner Nadelbaum bis 30, selten bis 40 Meter, Krone anfangs kegelförmig, später unregelmäßig abgeflacht und schirmartig ausgebreitet, Rinde rot und orangebraun, im unteren Stammbereich in größere, dunkel braungraue Platten mit tiefen, schwärzlichen Rissen zerteilt, Nadel drei bis 8 Zen- timeter lang, Blau- oder graugrün... kann bis zu 600 Jahre alt werden. ATMO: Kurz hochziehen, Spr. drüberlegen Spr.: Die großen wirtschaftlichen Verluste durch die Sturmschäden haben zu einem Umdenken in der Fortwirtschaft geführt. TAKE 11: O-Ton Wilke "Wir verfolgen ein naturnahen, naturgemäßen Waldbau wegen der Langfristigkeit unseres Objektes. Eine Entscheidung eines Försters und eines Besitzers wirkt für mehrere 100 Jahren, wir wissen nicht, was in 100 Jahren sein wird. Wir wissen auch nicht, was der Klimawandel uns bringen wird." Spr.: Carsten Wilke, Leiter der Abteilung Forsten und Naturschutz im Hessischen Umweltministerium TAKE 12: "Antwort ist deswegen darauf: Risikostreuung, Risikominimie- rung und eine plakative, aber auch wirklich praktisch ange- wendete Antwort sind Mischwaldstrukturen. Wenn es dann zu Ereignissen kommt, dass eine Baumart schwächelt oder Schwierigkeiten kriegt, dann sind unter Umständen noch ge- nügend andere da, um eben eine stabilere Waldstruktur zu er- halten. Mischwald bedeutet immer einen erklecklichen, einen stabilen Anteil an den Laubhölzern, hier insbesondere die Bu- che. Das ist die dominierende und bedeutendste Laubwaldart, die wir in Deutschland haben, die ist hier heimisch und sie spielt eine mittlerweile sehr, sehr große Rolle." Spr.: Nun sieht Mischwald überall anders aus, je nach den klimati- schen Bedingungen der Region und der Beschaffenheit der Bö- den. Welche Laubbäume, welche Nadelhölzer in ihm wachsen, hängt aber weniger vom Förster ab als vom Wild. Vor allem dessen hungrige Mäuler entscheiden derzeit über seine Zu- sammensetzung. Förster Peter Wohlleben: TAKE 13: O-Ton Wohlleben "Wir haben aktuell in Deutschland ungefähr 50 mal mehr Wild als von Natur aus. Diese vielen Rehe behindern eine natürliche Waldentwicklung. Wölfe und Luchse haben wir noch nicht. Wenn wir anstatt einem Reh 50 pro Quadratkilometer haben, dann wird halt jeder kleine Laubbaum gefressen, jede kleine Buche. Rehe und Hirsche fressen mit Vorliebe junge Laubbäu- me, weil die einfach besser schmecken. Da ist mehr Energie drin. Die sind nicht bitter. Buchenblätter können Sie übrigens auch gut essen, schmeckt sehr gut. Fichte sticht, das ist wie Brennnesseln und Disteln auf einer Weide. Das lässt das Wild auch übrig und so bekommen wir anstelle eines Buchenwaldes wieder einen Fichtenwald, was wir ja nicht wollen." Spr.: Die Lösung liegt auf der Hand. Die Wildbestände müssen dras- tisch schrumpfen und dafür zu sorgen, wäre eigentlich Aufgabe der Jäger. Doch seit Herman Göring als NS-Reichsforstmeister 1934 ein Gesetz verabschiedete, das Hege und Pflege des Wil- des vorschrieb, ist die Jagd zur Trophäenschau verkommen. Männliche Tiere werden so lange gepäppelt, sogar im Winter gefüttert, bis sie ein anständiges Geweih mit mindestens drei Zacken aufweisen können. Je größer das Geweih, desto größer das Ansehen des Jägers. Also schützt er die Tiere. Sie vermeh- ren sich rasant. Für den Wald hat das katastrophale Folgen, wie Wolfgang Semmler, Revierförster im Biosphärenreservat Rhön exemplarisch vorrechnet: TAKE 14: O-Ton Semmler "Wenn Sie sich vorstellen, wenn man auf einem Hektar 10.000 Buchen pflanzt, dann kostet diese Kultur über mehrere Jahren mit der Pflege ca. 20.000 Euro. Es ist durchaus mög- lich, dass mehrere Rehe oder auch Rotwild diese Kultur, diese jungen Pflanzen wieder vernichten, d.h. auf dieser kleinen Flä- che einen relativ hohen Verlust. Da gibt es jetzt verschiedene Möglichkeiten, um dagegen zu arbeiten. Man kann das beson- ders schützen. Das kostet wieder sehr viel Geld. Wenn Sie einen Hektar einzäunen, kostet der laufende Meter Zaun min- destens zehn Euro. 400 × 10: 4000 Euro kostet allein ein Zaun für diese Fläche, um das Wild herauszuhalten." ATMO: Wald kurz stehen lassen, dann Spr.in drüberlegen, danach wieder kurz hochziehen Spr.in: Eiche - Sommergrüner, bis 40 Meter hoher Baum mit breiter, hoher, im Alter ziemlich unregelmäßiger Krone aus starken, gedrehten Ästen. Rinde hellgrau bis braungrau... Blätter 10 bis 12 Zentimeter lang und bis zu 8 Zentimeter breit, ... mit et- was ungleich rundlichen Lappen und Buchten, oberseits matt dunkelgrün, unterseits heller, kahl... kann bis etwa 1000 Jahre alt werden. ATMO: Kurz hochziehen, Spr. drüberlegen Spr.: Gelingt es, den Wilddruck tatsächlich massiv zu mindern, dann kann der Waldumbau in einen Mischwald tatsächlich stattfin- den. Wie der dann allerdings aussehen soll, darüber ist man sich keineswegs einig. Immerhin soll ein Wirtschaftswald Ge- winn bringen, was nichts anderes heißt, als dass Holz in ihm geschlagen und dann verkauft wird. TAKE 15: O-Ton Wilke "Der meiste Wald in Deutschland, 50 Prozent ist im Eigentum von Privatpersonen und etwa 30 Prozent gehören den Län- dern, ein kleiner Teil auch der Bundesrepublik Deutschland und etwa 20 Prozent ist im Besitz von Städten und Gemein- den, der so genannte Kommunalwald. Im Moment ist die Situ- ation so, da wir eine erfreulich hohe Nachfrage nach Holz ha- ben und ein recht passables Preisniveau. Die Forstbetriebe sind deshalb im Moment alle profitabel. Es ist in der Regel so, dass die privaten Eigentümer eine höhere Gewinnmarge, einen höheren Profit haben, als das in den kommunalen und staatli- chen Betrieben ist. Trotzdem im Moment ist die Lage so: die Forstbetriebe, egal welcher Besitzart, machen Überschüsse." Spr.: Für die meisten Vertreter der Forstwirtschaft wie Carsten Wilke steht außer Frage, dass man in den Wald eingreifen muss, um möglichst gut gewachsene und damit auch wertvolle Bäume zu bekommen. In den Forstämtern von Göttingen, Mölln und Lü- beck ist man sich da nicht mehr so sicher. In den kommunalen Wäldern dieser Städte hatte man vor gut 20 Jahren über 10Prozent der Fläche aus jeglicher Nutzung herausgenommen, sie sich also selbst überlassen. Knut Sturm Lübecker Forstin- genieur: TAKE 16: O-Ton Sturm "Das ist ja die Theorie bis jetzt immer gewesen, dass, wenn ich einen pflegenden Eingriff mache, wo ich darauf achte, dass der beste Baum möglichst schneller wächst, indem ich ihm seine sogenannten Bedränger wegnehme, also Bäume, von denen ich glaube, die haben einen schädlichen Einfluss auf das Baumwachstum von dem guten Baum, dass der dann auch weiß, dass er schneller wachsen muss. Und offensichtlich wis- sen die Bäume das aber nicht. Die haben schlicht und ergrei- fend die Bücher nicht gelesen, weil die Buchen wachsen halt bei uns ab einem Durchmesser von 40 cm einfach nur noch in- dividuell. Dem können Sie so viel Futter gegen, wie Sie wollen, der will dann einfach nicht schneller wachsen und auch nicht langsamer. Der hat sein individuelles Wachstum auf diesen Standorten und dieser Effekt ist umso stärker, umso besser der Boden ist." ATMO: Wald kurz stehen lassen, dann Spr.in drüberlegen, danach wieder kurz hochziehen Spr.in: Buche , auch Rotbuche genannt - Sommergrüner, 20 bis 30 Meter hoher Baum mit breiter, rundlicher, ziemlich regelmäßi- ger Krone, Stamm spätestens in der Kronenmitte in mehrere starke Äste geteilt. Rinde am Stamm auch bei alten Exempla- ren glatt oder wenig aufgeraut, bleigrau... Blätter länglich el- liptisch, oberseits glänzend. Dunkelgrün, unterseits ... leicht behaart... kann bis zu 300 Jahre alt werden. ATMO: Kurz hochziehen, Spr. drüberlegen Spr.: Die Natur zeigt aber nicht nur in Lübeck, dass sie zumindest ein gleichwertiger Förster ist. Bisweilen ist sie sogar ein besse- rer, wie man im Nationalpark Bayrischer Wald nach den Sturmschäden der letzten Jahre beobachtet hat, die große Kahlflächen schufen. Nationalparkchef Franz Leibl. TAKE 17: O-Ton Leibl "Das ist eigentlich das Frappierende, was die Waldnatur da macht. Wir wissen aus vergangenen Forstwirtschaftzeiten, dass es grade in den Hochlagen extrem schwierig war, einen Wald zu begründen, die Bäume zum Wachsen zu bekommen eben wegen der klimatischen Ungunst. Die Natur scheint hier eine Patentlösung irgendwo zu haben. Wir haben eine ganz vehemente, ganze vitale Naturverjüngung mit über 4000 jun- gen Baumindividuen pro Hektar. Das ist also das Doppelte, was ein Förster auf der gleichen Fläche pflanzen würde, würde er Wald dort begründen wollen." Spr.: Wälder, in die nicht mehr eingegriffen wird, in denen alles, was umfällt, liegenbleibt, haben zudem eine große Bedeutung für den Artenschutz. In ihnen überleben zahlreiche Pflanzen und Tiere, die in den normalen Wirtschaftswäldern kaum eine Chance haben. TAKE 18: O-Ton Biehl "Es ist ein altholzreicher Wald entstanden, der an anderer Stelle in dieser Dimension nicht mehr zu finden ist. Was heißt das Alt- und Totholz? Bäume sterben ab, brechen um und bie- ten dann natürlich wieder Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Spr.: Rüdiger Biehl. Er ist Leiter des Thüringer Nationalparks Hainich und damit für Deutschlands größten Buchenurwald zuständig. TAKE 19: "Sie müssen sich vorstellen, es gibt unglaublich viele Pilze, die auf dieses Totholz auch angewiesen sind. Über 1600 Arten sind da bisher im Nationalpark schon nachgewiesen und Ex- perten schätzen, dass es immer noch deutlich mehr sind. Ge- rade bei den Pilzen ist es auch unglaublich, welche Farben- und Formenvielfalt hervorgebracht werden, so einen schönen Pilz, der auf Totholz wächst und auf den schönen Namen Ge- weihförmige Holzkeule hört, also Sie können sich vorstellen, wie der auch aussieht." Spr. Je unberührter die Wälder, desto größer die Artenvielfalt. Auch die moderne Forstwirtschaft nimmt inzwischen darauf Rück- sicht, lässt selbst im Wirtschaftswald Totholz liegen. Die Wäl- der aber sich selbst zu überlassen - das lehnt sie allerdings ab und argumentiert mit dem Klimaschutz. Der Wirtschaftswald gilt als Klimasenke, weil die Bäume für die Photosynthese Kohlendioxid aus der Luft aufnehmen und zu Holz umbauen. Wird das Holz zu langlebigen Holzprodukten wie Balken oder Möbeln verarbeitet, wird der der in ihm ge- speicherte Kohlenstoff für lange Zeit der Atmosphäre entzo- gen, wirkt also klimaschützend. Das Ergebnis, so Carsten Wil- ke: TAKE 20: O-Ton Wilke "Wenn eine Tonne Holzzuwachs entstanden ist in den Bäumen in den Wäldern, dann ist das ein Entzug von 1,85 Tonnen Koh- lendioxid aus der Atmosphäre und es ist eine Speicherung von reinem Kohlenstoff in Höhe von 500 Kilogramm, einer halben Tonne und wenn wir die Verwendung von Holzprodukten kal- kulieren, dann hat das jährlich eine Menge von 105 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid und das sind immerhin 13 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen, die wir in Deutschland haben." Spr.: Besonders klimafreundlich wäre eine Kaskadennutzung des Holzes. Erst wird es zu Balken, Fußböden oder Möbeln ver- arbeitet, dann zu Latten, Paletten oder Verpackungsmaterial, anschließend zu Papier, schließlich im Kraftwerk zur Strom- erzeugung verbrannt. So würde das in ihm gespeicherte CO2 zumindest für ein paar Jahrzehnte der Atmosphäre entzogen. Allerdings löst sich derzeit die Hälfte des geschlagenen Holzes gleich wieder in Rauch auf, das heißt entweder direkt als Pel- lets für Holzheizungen oder nach zwei Jahren Lagerung als Kaminholz. Ständiger Einschlag aber verdirbt die gute Klimabi- lanz. TAKE 21: O-Ton Wohlleben "Man sagt ja immer, ein Baum wächst, nimmt CO2 auf und wenn ich den verbrenne, gibt er genau dieselbe Menge CO2 ab. Das stimmt, nur im Wald läuft das anders ab. Wenn dort ein Baum stirbt, den befallen zwar Bakterien und Pilze und die veratmen ja das gefressene Holz auch zu CO2, aber die Hälfte dieses Baumkadavers wird im Boden gespeichert, d.h. die sind dauerhaft weggespeichert , was irgendwie auch logisch ist, weil genauso ist Braunkohle und Steinkohle entstanden, und diese Vorstufe gibt es nicht mehr bei uns, denn wenn man Bäume entnimmt und Licht auf den Boden kommt und damit auch Wärme, dann werden diese im Boden eingeschlossenen Kohlenstoffspeicher geöffnet und das CO2 entgast. Wenn man das umrechnet auf eine Einheit Holz, dann produziert eine Ein- heit Holz ungefähr so viel Treibhausgase wie eine entspre- chend Einheit Erdgas, d.h. unterm Strich ist es für das Klima wurscht, was ich nutze." Spr.: Für Peter Wohlleben ist ein naturnaher Wald denn auch dun- kel. Es fällt nur wenig Licht durch die dichten Baumkronen auf den Waldboden. Das hat nebenher auch noch den Klimaeffekt, dass es im Sommer im Wald kühler ist. Solche dichten Wälder erhält man aber nur bei stark reduzierter Nutzung. Genauso wichtig ist, dass man die Bäume lange stehen lässt, denn je älter der Wald wird, desto mehr Kohlendioxid kann er speichern. Dass in deutschen Wirtschaftswäldern Buchen nor- malerweise bereits mit 120 Jahren gefällt werden, hält der Lü- ckecker Forstingenieur Knut Sturm für einen Fehler: TAKE 22: O-Ton Sturm "Die Buche ist, wir sagen dazu, ein sogenannter Spätstarter. Wenn sie jung ist, wächst die relativ langsam und wenn sie ge- ringer wächst, nimmt sie auch nicht so viel Kohlenstoff auf und mit der Alterszunahme wird die immer schneller. Im Alter 120, 140 ist die richtig im Gange und danach geht sie erst einmal eine lange Zeit auf einem relativ hohen Niveau weiter, um dann erst ab Alter 200 deutlich abzusacken und das ist auch für uns in dieser Schärfe überraschend gewesen. Wer auch noch relativ langes Wachstum gezeigt hat, was für uns auch überraschend war, waren einige Edellaubbaumarten. Dazu zählt z.B. der Ahorn und die Esche." Spr.: Dass selbst alte Wälder wie die 150 bis 250 Jahre alten Bu- chen im Nationalpark Hainich entgegen der Theorie noch viel Kohlenstoff aufnehmen, bestätigen die Messungen der Klima- forscher vom Max Planck Institut für Biogeochemie in Jena, so Werner Kutsch, Leiter der Arbeitsgruppe ‚Ökosystemflüsse'. TAKE 23: O-Ton Kutsch "Wir haben bisher festgestellt, dass der Hainich, obwohl er ein alter Wald ist, immer noch Kohlenstoff aufnimmt. Wenn man jetzt einen Wald in seiner Entwicklung verfolgt, dann hat man in den ersten 100 Jahren vielleicht Aufnahmen von 400-500 Gramm Kohlenstoff pro Quadratmeter und Jahr und zwischen 100 und 200 Jahren nimmt, so sagt's die Theorie zumindest, die Kohlenstoffaufnahme des Waldes langsam ab. In der Pra- xis, die wenigen alten Wälder, die wir untersuchen, nehmen zur Zeit alle Kohlenstoff auf. Das ist eine Überraschung und die Frage ist natürlich jetzt, warum? Ist die Theorie von vorn herein falsch gewesen oder hat sich jetzt durch Klimawandel was verändert?" Spr: Die Forscher vermuten, dass das Baumwachstum möglicher- weise durch den erhöhten Kohlendioxidgehalt der Luft ange- regt wird und durch die zusätzliche Düngung durch Stickstoff, den die Landwirtschaft und der Verkehr in die Luft abgeben. Nun sind die Wälder aber nicht nur Kohlendioxidspeicher, son- dern auch potentielle Klimaopfer. Die Klimaforscher erwarten mehr Klimaextreme mit Starkregen und Stürmen, wärmeren Wintern, trockeneren Sommern. Das bringt vor allem die Fich- te in große Not. Die Forstwirtschaft hofft hier durch einen Ein- wanderer, die nordamerikanische Douglasie, einen Nadel- baum, gegensteuern zu können. ATMO: Wald kurz stehen lassen, dann Spr.in drüberlegen, danach wieder kurz hochziehen Spr.in: Douglasie - bis zu 50 Meter hoch wachsender Baum mit kegel- förmiger, regelmäßiger Krone , Äste ... waagerecht abstehend. Rinde dunkel- bis graugrün mit waagrechten Harzblasen, Na- deln zwei bis vier Zentimeter lang, flach, weich, schlank, kaum zugespitzt, ... oberseits dunkelgrün,... wird bis zu 400 Jahre alt. ATMO: Kurz hochziehen, Spr. drüberlegen Spr.: Die Douglasie wurde erstmals im 18. Jahrhundert in Europa angepflanzt und gilt demnach schon als einheimische Baumart. Carsten Wilke. TAKE 24: O-Ton Wilke "Sie hat enorm positive Eigenschaften. Sie ist der Lage mit geringen Niederschlägen und hohen Temperaturen gut zu- rechtzukommen. Sie hat auf die Eigenschaft, enorm rasch- wüchsig zu sein und hier muss man noch vielleicht einmal ein Wort dazu sagen, dass es so ist, dass ein Forstbetrieb vom Nadelholz lebt. Das sind die begehrten und gut bezahlten Höl- zer. Ein Forstbetrieb, der überleben will, der braucht eine Aus- stattung mit Nadelholz, sonst gerät er in Schwierigkeiten. Das sind die Fakten." Spr.: Kritiker wie Peter Wohlleben halten von einer Aufforstung durch Douglasien wenig. TAKE 25: O-Ton Wohlleben "Früher hätte man gesagt, den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Die Douglasie hält möglicherweise ein, zwei Grad mehr aus, aber das ist ja leider nicht mehr das, worüber wir uns unterhalten. Wenn wir ja für 100 Jahre planen, dann muss man realistischerweise sagen, also wir müssen eigentlich min- destens vier Grad in unserem Portfolio haben und Wälder, die das nicht mehr abdecken, das ist zumindest sehr, sehr riskant. Aber da gibt es auch ein sehr schönes Mittel dagegen. Nicht angetastete alte Buchenwälder, die liegen genau in diesem Korridor, also die halten tatsächlich wahrscheinlich vier bis sechs Grad Temperaturerhöhung aus. Das hieße also, wenn wir hier nordspanische Verhältnisse hätten, dann würden unsere Buchenwälder, vorausgesetzt wir haben den Boden nicht zerstört, tatsächlich noch Bestand haben." Spr.: Der Streit um die Douglasie zeigt, dass sich die Forstwirtschaft auf Veränderungen des Waldes durch den Klimawandel ein- stellt. Gerade angesichts der Gefahren fordern die Kritiker denn auch, mindestens 10 Prozent des deutschen Waldes aus der Bewirtschaftung ganz herauszunehmen. Dort kann man dann beobachten, welche der rund 35 Baumarten, die wir heu- te in Mitteleuropa haben, mit den steigenden Temperaturen und den Klimaextremen an unterschiedlichen Standorten am besten zurechtkommen. Deutschlands Nationalparks spielen hier eine ganz besondere Rolle. Franz Leibl. TAKE 26: O-Ton Leibl "Unsere Nationalparkwälder sind letztendlich auch die Refe- renzflächen für die Zukunft, weil hier Wald sich entwickelt und wir diese Entwicklung mitverfolgen können ohne Manipulation des Menschen, also wie die Natur das vorsehen würde auch im Zeichen des Klimawandels, und das macht das Ganze eigent- lich so spannend." ATMO: Buchenwald Hainich kurz hochziehen, dann ausblenden 2