Musik Kurz frei stehen lassen, dann unter folgende Collage legen, unter Autorin 1 ausblenden O-Ton 1 Nadia Gindi englisch, VO Übersetzerin Edward sah gut aus. Er war nicht nur sehr intelligent, sondern auch sehr charmant - und deswegen ließ man ihm viel durchgehen. O-Ton 2 Ferial Ghazoul englisch, VO Übersetzerin 2 Charismatisch, tiefsinnig, kritisch, charmant, anspruchsvoll - er akzeptierte es nicht, wenn man seinen Erwartungen nicht entsprach. O-Ton 3 Daniel Barenboim Er war ein sehr gut angezogener Mann, ein Dandy sagen wir auf Englisch, und hat sein Aussehen sehr gepflegt, was eigentlich im Widerspruch zu seinem Inneren stand. O-Ton 4 Sadeq al Azm engl., VO Übersetzer 2 Er war sehr empfindlich bei Kritik, besonders wenn sie von Freunden und Weggefährten kam. O-Ton 5 Ferial Ghazoul englisch, VO Übersetzerin 2 Er besaß diese hybride Identität und sah darin keinerlei Widerspruch. Er konnte gleichzeitig sagen 'Wir Amerikaner' oder 'Wir Araber'. Manchmal sprang er von einem zum anderen, so dass man aufpassen musste, auf welches 'Wir' er sich gerade bezog. O-Ton 6 Daniel Barenboim Er war der echte Anti-Spezialist, er war an allem interessiert, er war sehr neugierig, und hatte auch einen sehr entwickelten Sinn für Gerechtigkeit, das war auch ein Teil seines großen Kampfs für die palästinensische Sache- und bei all diesem hatte er auch noch einen wunderbaren Sinn für Humor. O-Ton 7 Hoda Gindi englisch, VO Übersetzerin 2 Mir schien er immer zu wissen, was er tun wollte und wie er das anderen vermitteln konnte. O-Ton 8 Ferial Ghazoul englisch, VO Übersetzerin 2 Er war zugleich politischer Aktivist und Wissenschaftler. Normalerweise sind Menschen entweder Wissenschaftler, die Bücher und Artikel schreiben und sich an intellektuellen Debatten beteiligen, oder sie sind Aktivisten - ihm gelang es aber, beides zu tun. Autorin 1. Edward Said hat Spuren hinterlassen, nicht nur bei Weggefährten, Kolleginnen und Freunden. Und nicht nur in der Literaturwissenschaft, seiner eigentlichen Disziplin. Er meldete sich in politischen Debatten zu Wort - vor allem zum Nahostkonflikt - und schrieb viel beachtete Musikkritiken. Er begab sich auf die Spuren von so unterschiedlichen Genies wie Giambattista Vico, Jane Austen oder Glenn Gould. Manchen gilt er als einer der wichtigsten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts - anderen als "Professor des Terrors". Die weltweit größte Aufmerksamkeit erhielt sein 1978 veröffentlichtes Buch "Orientalism" - "Orientalismus": O-Ton 9 Ferial Ghazoul englisch, VO Übersetzerin 2 Er würde es nicht mögen, dass man ihn als Begründer des Postkolonialismus bezeichnet. Er wollte mit keinem -ismus in Verbindung gebracht werden, er lehnte solche Schulen ebenso ab wie Leute, die sich einer Partei oder eine Schule verbunden fühlen. Er wollte, dass alles offen und flexibel ist. Aber tatsächlich ist er einer der Begründer des Postkolonialimus. Das Buch über Orientalismus war sehr wichtig, weil es Darstellungen nicht nur von Anderen, vom Orient, von Arabern und Muslimen behandelte, sondern von allen möglichen Minderheiten oder benachteiligten Menschen, wie Frauen, Arbeitern oder Bauern. Das Buch öffnete bestimmte Möglichkeiten. Autorin 2. ... das erklärt Ferial Ghazoul, eine ehemalige Doktorandin von Edward Said und inzwischen selbst Professorin für Literaturwissenschaft an der amerikanischen Universität in Kairo. Dass der damals erst 43-jährige Literaturwissenschaftler von der New Yorker Columbia University dieses revolutionäre Werk schrieb, hängt auch mit seinem Lebensweg zusammen - ebenso wie sein politisches Engagement eng mit seiner Biographie verbunden ist. -- Rückblick: Atmo Atmo Grotto Gardens (Autos, Schritte, spielende Kinder) kurz stehen lassen, dann darüber Autorin 3. Kairo, Nilinsel Zamalek. Hier, im bourgeoisen Herzen der ägyptischen Metropole, wuchs Edward Said als Kind palästinensisch-libanesisch-amerikanischer Eltern auf. Für Edwards Geburt 1935 waren sie nach Jerusalem zurückgekehrt, ihr Lebensmittelpunkt war jedoch schon damals Kairo. Die Familie wohnte in der Al Aziz Osman- Straße, Hausnummer 1, fünfter Stock - ein Gebäude aus den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, mit abgerundeten Balkonen und einem majestätischen Treppenhaus mit Aufzug in der Mitte. In diesem Treppenhaus traf Edward Said öfter auf Nadia und Hoda Gindi, die Nachbarsmädchen aus dem 2. Stock. Sie waren vor allem mit seinen jüngeren Schwestern befreundet. Manchmal spielte Edward mit ihnen im benachbarten Park Grotto Gardens. Sie rannten durch die künstlichen Höhlen und kletterten auf die kleinen Felsen, erinnert sich Nadia Gindi: Atmo Grotto Gardens hochziehen, unter folgendes legen, erst unter Autorin 5 ausblenden O-Ton 10 Nadia Gindi englisch, VO Übersetzerin Es gab einen bestimmten Felsen, den wir hinaufkletterten. Der, der zuerst oben ankam, stellte sich hin und sagte: "Ich bin der König des Schlosses und ihr seid die dreckigen Schurken". Und Edward war meistens als erster oben. Das ist ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie Edward mit uns spielte, wie er immer ehrgeizig war und Führungsqualitäten zeigte. Autorin 4. Nadias Schwester Hoda, die heute noch im gleichen Haus mit Blick auf den Park wohnt, erinnert sich ebenfalls an das Spiel mit dem britischen Kinderlied: O-Ton 11 Hoda Gindi englisch, VO Übersetzerin 2 Natürlich war das mit dem König des Schlosses und den dreckigen Schurken eine sehr kolonialistische Vorstellung. Wir haben darüber später viel gelacht - aber es lag einfach daran, dass wir auf englischen Schulen waren. Autorin 5. Englisch war die gemeinsame Sprache der Nachbarskinder, Arabisch kam nur am Rand vor. Edward Said besuchte verschiedene Schulen in Kairo, amerikanische und britische, und überall galt er als fauler und ungehorsamer Schüler, der sich den Lehrern nicht beugte. Vom Victoria College, einer prestigereichen britischen Schule, wurde er schließlich verwiesen. In einem ausführlichen Interview mit dem Nahost- Journalisten Charles Glass, gefilmt von Regisseur Mike Dibb , stellt er kurz vor seinem Tod fest, wie sehr ihn das Thema Schule beschäftigt hat: O-Ton 12 Edward Said englisch, VO Übersetzer Meine Memoiren drehen sich zum größten Teil um Schulerfahrungen. Und das waren ausnahmslos Fremdheitserfahrungen. Ich hatte zu tun mit Lehrern, die eine andere Sprache sprachen, für die Zuhause etwas anderes bedeutete als für mich. In meiner ersten Schule sagten sie: "Wir gehen über den Sommer nach Hause". Und ich fragte mich, was das eigentlich bedeutete, wohin sie gingen. Ich bin hier auch nicht wirklich zuhause, ich bin kein Ägypter. Wo ist dann eigentlich mein Zuhause? Autorin 6. "Out of place" hat Edward Said seine Memoiren auf Englisch betitelt - übersetzt wurde daraus der Titel "Am falschen Ort" -, und dieses Gefühl scheint ihn sein Leben lang geprägt zu haben. In seiner Kindheit war die Familie viel unterwegs, verbrachte Zeit bei Verwandten in Jerusalem und reiste in die Sommerfrische in den Libanon. (( Saids Vater Wadie, später William genannt, hatte als junger Mann einige Jahre in den USA gelebt und nach seinem Einsatz im ersten Weltkrieg die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten. 1920 war er nach Palästina zurückgekehrt, wo er mit Verwandten einen Schreibwarenhandel aufbaute, den er später nach Kairo verlegte. Edward Saids Mutter Hilda war die Tochter eines palästinensischen Baptistenpredigers und einer Libanesin. Sie war in Beirut zur Schule und Universität gegangen, bevor sie den 17 Jahre älteren William Said heiratete und mit ihm nach Kairo zog.)) Sohn Edward erinnert sich mit sehr gemischten Gefühlen an seine Eltern: Zitator 1 Mein Vater verkörperte eine verheerende Kombination aus Macht und Autorität, rationalistischer Disziplin und unterdrückten Gefühlen. Und all das, so wurde mir später klar, hat mein ganzes Leben geprägt - mit einigen positiven, aber auch einigen schädlichen, wenn nicht gar zerstörerischen Folgen. Autorin 7. Auf der anderen Seite stand die an Musik und Literatur interessierte Mutter, um deren Gunst und Nähe Said mit seinen vier kleineren Schwestern wetteiferte. Bis zu seinem 25. Lebensjahr war sie seine engste Vertraute, erzählt Said in seinen Memoiren - umso mehr litt er darunter, dass auch sie ihn häufig zurecht wies: Zitator 2 Zwischen dem stärkenden, sonnigen Lächeln meiner Mutter und ihrem kalten Unmut oder ihrer anhaltend abweisenden Missbilligung lebte ich als Kind zugleich glücklich und hoffnungslos elend, niemals nur das eine oder das andere Autorin 8. Mit der Gründung des Staates Israel 1948 wurde Jerusalem für die Familie unerreichbar. Dieser "Verlust Palästinas" prägte Said sein Leben lang. Mit 15 Jahren, nach dem Verweis vom Victoria College, wurde er von seinen Eltern auf ein Internat in die USA gebracht. So sollte er sich die vom Vater geerbte US- Staatsbürgerschaft erhalten. Eine zweite folgenreiche Entwurzelung: Bis zuletzt fühlte sich Said in den Vereinigten Staaten fremd, trotz seiner brillanten Universitätskarriere. Im Gespräch mit Charles Glass erinnert er sich an die ersten Jahre dort: O-Ton 13 Edward Said englisch, VO Übersetzer Ich entwickelte eine Art verhärtete Hülle, eine gewisse halbprofessionelle Haltung zu den Dingen, die ich tun musste. Währenddessen weinte ich nicht richtig, aber ich fühlte mich elend und vermisste ständig etwas, meine Familie, mein Zimmer oder die arabische Sprache, die ich dort überhaupt nicht hörte. Autorin 9. Nach seinem Internatsbesuch in Mount Hermon ging Edward Said zum Studium der Literaturwissenschaft erst an die Elite-Universität Princeton, dann nach Harvard. Dort promovierte er über Joseph Conrad, den Autor der 1899 erschienenen Erzählung "Herz der Finsternis". Eine interessante Themenwahl, so Said-Schülerin Ferial Ghazoul: O-Ton 14 Ferial Ghazoul englisch, VO Übersetzerin 2 Er hat viel über Exil geschrieben, weil er sich so gefühlt hat, und manche denken, dass sein Interesse an Conrad daher stammt, weil dieser Pole war, auf Englisch schrieb und im Ausland lebte. Es gibt eine Art Entsprechung zwischen Said und Conrad, auch wenn Said andere Ansichten hatte als Conrad. Er findet aber bei Conrad auch Kritik an Imperialismus und Kolonialismus. Autorin 10. Für Said folgte 1963 die Anstellung an der New Yorker Columbia University, die später zur Professur wurde, und viele Bücher und Aufsätze - darunter "Orientalism", sein drittes und wichtigstes Buch. Musik als Trenner kurz stehen lassen Autorin 11. Drei Dinge umfasst der Begriff Orientalismus für Edward Said. Erstens handelt es sich einfach um eine akademische Disziplin, also die soziologische, historische oder philologische Beschäftigung mit dem Orient. Allgemeiner versteht Said Orientalismus als Denkweise, die grundsätzlich zwischen "dem Orient" und "dem Okzident" unterscheidet, zwischen Morgenland und Abendland. Besonders wichtig aber ist für Said, was er, drittens, die "eher historische und tatsächliche Seite des Orientalismus" nennt. Sie wurzelt im späten 18. Jahrhundert - zum Beispiel in Napoleons Ägypten- Expedition um 1800. Mehr als 150 Forscher begleiteten den französischen General und dessen Armee. Wissenschaft und Militär marschierten Hand in Hand: keine Eroberung ohne Landeskunde, keine wissenschaftliche Erschließung ohne Waffen. Zitator 3 ... so stellt sich der Orientalismus als institutioneller Rahmen für den Umgang mit dem Orient dar, das heißt für die Legitimation von Ansichten, Aussagen, Lehrmeinungen und Richtlinien zum Thema sowie für ordnende und regulierende Maßnahmen. Kurz, der Orientalismus ist seither ein westlicher Stil, den Orient zu beherrschen, zu gestalten und zu unterdrücken. Autorin 12. Said geht es nicht darum, die arabischen Länder ins rechte Licht zu rücken, sondern um die Frage, wie man sich im Westen ein Bild davon machte, ja, sich diesen Orient geradezu erschuf. Das geschah nicht nur in der Wissenschaft, sondern ebenso in Kunst und Literatur. Und überall halfen Klischees; Klischees von orientalischer Sinnlichkeit, orientalischer Irrationalität und orientalischem Despotismus. So grenzte man sich als Europäer von diesen fremden "Anderen" ab und legitimierte die eigene Herrschaft in der Region. Wie wirkmächtig Denkmuster wie diese bis heute sind, zeigen die Debatten über den politischen Islam, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 aufflammten. Schon 1978 attestiert Said dem Orientalismus eine fatale Tendenz zu Schubladenbildung und Schwarzweißmalerei - und greift dabei auch zeitgenössische Wissenschaftler wie den Historiker Bernard Lewis heftig an. Zitator 4 Im Kern besagt Lewis' Ideologie, dass sich der Islam grundsätzlich nie ändern werde, und nun besteht seine ganze Mission darin, die konservativen Kreise der jüdischen Leserschaft und jeden, der es hören will, darüber zu informieren, dass jede politische, historische und wissenschaftliche Analyse der Muslime mit der Tatsache anfängt und endet, dass Muslime eben Muslime sind. Autorin 13. Bei solcher Polemik ist es kein Wunder, dass Saids Buch zwar gefeiert und in über 30 Sprachen übersetzt, aber auch scharf kritisiert wurde - nicht nur von direkt Angesprochenen wie Bernard Lewis. Er hielt Said für unwissend und unredlich. ((Andere kritisierten, dass sich Edward Said einzig auf britischen und französischen Orientalismus und neuere Ansätze aus den USA konzentrierte. Das weite und einflussreiche Feld der deutschen Orientalistik beispielsweise ließ er unbearbeitet, weil er damit keine koloniale Praxis verbunden sah.)) Der syrische Philosoph Sadeq al Azm, der mit Said befreundet war, veröffentlichte ebenfalls eine scharfe Kritik. In al-Azms marxistisch geprägter Sicht hatte sich Said viel zu sehr auf Ideen und Weltanschauung gestützt und materielle Ungleichheiten vernachlässigt. Außerdem befand er: O-Ton 15 Sadeq al Azm engl., VO Übersetzer 2 Das Buch berücksichtigt überhaupt nicht, wie auch die arabische oder islamische Welt, also der Osten in seiner Sicht auf den Westen große Verzerrungen vornimmt. Das wird nicht eingeräumt - obwohl Edward Said sagt, dass Kulturen im Kontakt einander gegenseitig verzerren. Er sieht das aber nur in einer Richtung: wenn der Westen den Orient studiert, dann verzerrt er ihn. Aber man findet nichts darüber, dass andere Kulturen auch die westliche Kultur verzerren, wenn sie sich mit ihr befassen. Das bezeichne ich gewissermaßen als umgekehrten Orientalismus. Autorin 14. Auf al-Azms Kritik antwortete Edward Said nie direkt, er brach sogar jeden Kontakt mit dem früheren Weggefährten ab - nahm aber doch manche Gedanken in Vorworte zu späteren Ausgaben auf. In seinem letzten Interview mit Charles Glass beklagt Said, er sei oft missverstanden worden: O-Ton 16 Edward Said englisch, VO Übersetzer Es gab viele Vereinfachungen, gerade in der arabischen Welt, wo Leute glaubten, dass ich in Wirklichkeit den Islam verteidigte. Daher nutzten Islamisten 'Orientalism' und eines der folgenden Bücher, 'Covering Islam' für ihre Zwecke, obwohl ich darin überhaupt nichts zum Islam sage. Andere nutzten es als Entschuldigung für einen Nativismus, demzufolge nur Orientalen über sich selbst schreiben sollten - an dieses Innen-Außen-Argument glaube ich nicht. Am meisten geschadet hat wahrscheinlich eine bis heute bestehende Missdeutung. Sie besagt, dass ich Orientalismus mit Imperialismus gleichsetze. Also wenn man über einen anderen forscht, sei man automatisch ein Imperialist oder ein Rassist - was ich wirklich nicht behaupte. Autorin 15. Sensibilisiert hat das Buch dennoch viele, die sich wissenschaftlich mit arabischen Ländern befasst haben - der Literaturwissenschaftler Markus Schmitz, der über Edward Said promoviert hat, erinnert sich, wie ihn die Lektüre während seines Studiums in seinem Unbehagen an der Orientalistik bestärkte: O-Ton 17 Markus Schmitz Er hat mir zum einen geholfen, das Fach historisch zu verorten, er hat mir erklärt, dass das was ich studiere, nicht aus dem Nichts gekommen ist, sondern dass es eine bestimmte Geschichte gibt, und dass das orientalistische Wissen kaum loszulösen ist von der Begegnung des Abendlandes mit dem, was man Orient nennt, und dass es sich dabei um Macht-Wissen-Verhältnisse handelt und dass das eigene Fach kaum loszulösen ist von der Geschichte des europäischen Kolonialismus und auch von den damit einhergehenden rassistischen Ethiken. Autorin 16. Sadeq al Azm, der marxistische Kritiker Edward Saids, stellt Orientalism noch in einen anderen Kontext. Für ihn ist das Buch nicht zu trennen von der politischen Lage zur Zeit seiner Entstehung und von Edward Saids Fassungslosigkeit angesichts der proisraelischen Politik der USA. O-Ton 18 Sadeq al Azm engl., VO Übersetzer 2 Er stellte die These auf, dass die US-Politik gegenüber Palästina und der arabischen Welt so ausgerichtet war, weil die Tradition des Orientalismus eine ganze Weltanschauung geschaffen habe. Die westlichen Entscheidungsträger hätten alle dieses verzerrte Bild der arabischen Welt übernommen. Obwohl die Interessen der USA auf Seiten der arabischen Welt liegen, beeinflusse also der Orientalismus ihre Entscheidungen und Ansichten und lasse sie auf Israel zugehen statt in die andere Richtung. Musik als Trenner kurz stehen lassen Autorin 17. Eines der nächsten Bücher von Edward Said handelte direkt von Palästina. In "The Question of Palestine" untersuchte er den Nahost-Konflikt. Einerseits erkannte er in der Verfolgung der europäischen Juden einen wichtigen Entstehungsgrund für den Zionismus. Doch den Zionismus stellte er zugleich in den Kontext des Imperialismus - eine Ansicht, mit der er sich in Israel und in den USA viele Feinde machte. Sein Leben lang wurde Said des Antisemitismus und der Sympathie mit palästinensischen Terroraktionen beschuldigt. Er wies diese Vorwürfe stets zurück. Das Engagement für die Palästinenser war ebenfalls schon in Saids Kindheit angelegt: Damals leistete seine Tante unermüdlich Sozialarbeit für die immer zahlreicher nach Kairo fliehenden Palästinenser. Die damalige Nachbarin Nadia Gindi erinnert sich noch genau an die beeindruckende Frau: O-Ton 19 Nadia Gindi englisch, VO Übersetzerin Seine Tante wohnte auf der anderen Seite der Hauptstraße, und immer wenn wir sie sahen, sprach sie nur von den Armen. Ich glaube, sie war die erste Person im Kairo der 40er Jahre, die sich um die Notlagen der Palästinenser kümmerte. Autorin 18. Als Universitätsprofessor in den USA ging es Edward Said später nicht darum, direkte Sozialhilfe zu leisten. Er wollte vielmehr Verständnis für die Situation der Palästinenser wecken - und diesen umgekehrt die Haltung US-amerikanischer Politiker erklären. 1977 wurde Edward Said Mitglied des Palästinensischen Nationalrats, einer Art Exilparlament. Vierzehn Jahre später legt er sein Mandat aus Protest gegen die Politik von PLO-Chef Yassir Arafat nieder. In den Jahren zuvor hatte er noch regen Kontakt mit Arafat. O-Ton 20 Edward Said englisch, VO Übersetzer Als Arafat in Tunis war und dort völlig hängen gelassen wurde, brachte ich Leute zu ihm, die mit ihm über Amerika, Widerstand, Befreiung und so weiter sprachen - es war hoffnungslos! Autorin 19. Arafat habe sich letztlich den USA zu sehr angedient, befand Edward Said. Der Handschlag, mit dem Yassir Arafat und Yitzhak Rabin vor US-Präsident Bill Clinton 1993 das Oslo-Abkommen besiegelten, war für ihn kein glücklicher Moment, sondern eine Katastrophe. Seine Doktorandin Ferial Ghazoul erinnert sich gut - sie hatte Edward Said über dessen zweite Ehefrau Mariam kennengelernt, im gemeinsamen Kampf für Palästinenserrechte: O-Ton 21 Ferial Ghazoul englisch, VO Übersetzerin 2 Er war gegen das Oslo-Abkommen und fand, die palästinensischen Unterhändler hätten nicht gut verhandelt und Dinge gegeben, ohne etwas im Tausch zu erhalten. Das hat er deutlich kritisiert, als noch viele Leute dachten: Na, Oslo wird irgendwie zu einem palästinensischen Staat führen. Und er hatte Recht, schauen Sie mal, wo wir jetzt stehen. Autorin 20. Für Edward Said stand nach dem Oslo-Abkommen fest, dass keine Zwei-Staaten-Lösung, sondern nur ein gleichberechtigtes Zusammenleben in einem jüdisch- palästinensischen Staat den Palästinensern weitere Landverluste ersparen könnte. Deswegen hatte er auch schon früh begonnen, auf israelischer Seite nach Unterstützung für die palästinensischen Anliegen zu suchen. Musik als Trenner kurz stehen lassen Autorin 21. Eine ungewöhnliche Freundschaft verband Edward Said mit dem jüdischen Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim. Dieser, in Argentinien und später in Israel aufgewachsen, erinnert sich an die erste Begegnung Anfang der 90er Jahre in einer Hotellobby in London. Said sprach ihn an und Barenboim war glücklich, den Mann zu treffen, von dem er schon einiges gelesen hatte: O-Ton 22 Daniel Barenboim Wir haben gleich irgendwie eine gemeinsame Sprache gefunden. Ich habe gesagt: es tut mir wahnsinnig leid, ich muss jetzt laufen, ich muss zur Probe. Ja, sagt er, wann sind Sie fertig? So um halb sechs. Gut, sagt er, dann lassen Sie uns um sechs hier treffen. Und dann haben wir uns getroffen und waren dann immer zusammen. Wir haben jeden Tag gesprochen, ob wir in der gleichen Stadt waren oder er in New York und ich in Tokio war. Aber wir haben jeden Tag gesprochen. Autorin 22. Das wichtigste Vermächtnis ihrer Freundschaft ist das West-Eastern-Divan Orchestra. Ursprünglich sollte Barenboim zusammen mit Said 1999 in Weimar ein Seminar für junge arabische und israelische Musiker geben. Angesichts der großen Bewerberzahlen und des hohen Niveaus der Musiker wurde daraus ein Orchester: O-Ton 23 Daniel Barenboim Am Ende des Sommers war auch klar: es war nicht eine einmalige Sache, sondern es musste weitergehen. Und so sind wir weiter gegangen, mit der Idee, dass wir kein politisches Projekt machen. Das einzige Politische, was wir sagen, ist, dass wir nicht an eine militärische Lösung glauben, denn unser Konflikt ist nicht ein politischer Konflikt, sondern ein menschlicher Konflikt zwischen zwei Völkern, die zutiefst überzeugt sind, dass sie das Recht haben, auf dem gleichen Stück Land zu leben, und zwar allein, das heißt ohne den anderen. Also das ist kein Kompromiss, nur ein Verständnis kann dazu bringen. Alles andere ist nicht politisch. Und deswegen akzeptieren wir, dass Leute unterschiedliche politische Meinungen haben, und es funktioniert eigentlich sehr sehr gut. Autorin 23. Auch die Beschäftigung mit Musik lässt sich bis in Saids Kindheit zurück verfolgen; seine Kairoer Nachbarinnen Nadia und Hoda Gindi erinnern sich an die gemeinsame Klavierlehrerin: O-Ton 24 Nadia Gindi englisch, VO Übersetzerin Es war eine Armenierin namens Mademoiselle Cherichian - wir nannte sie alle Cherry - eine sehr gute Musiklehrerin. Edward glänzte mit seiner Musik. Bei unseren kleinen Vorspielen trat er immer als letzter auf, weil er der Beste war. Er war begabt und liebte Musik. Es gab manchmal Konzerte an der amerikanischen Universität in Kairo, da spielte er brillant, ganze Konzerte allein. Autorin 24. Die elterliche Schallplattensammlung und gelegentliche Konzertbesuche trugen zu Saids musikalischer Bildung bei. Ein Gastspiel von Wilhelm Furtwängler mit den Berliner Philharmonikern beeindruckte ihn besonders tief. Sein ausgezeichnetes Gehör und sein unglaubliches Gedächtnis für Melodien halfen ihm, schon früh komplexe Werke europäischer klassischer Musik zu erfassen und zu lieben. Den Gesang der ägyptischen Ikone Um Kulthum dagegen fand er langweilig und unstrukturiert. Später als Professor schrieb Edward Said regelmäßig Musikkritiken, etwa für das Magazin The Nation. In einem seiner Bücher über Musik mit dem Titel "Der wohltemperierte Satz" erklärt er: Zitator 5 In der westlichen Gesellschaft spielt die Musik mehrere völlig verschiedene Rollen, die über die keimfreie und weltferne, akademische oder professionelle Sonderposition, die man ihr lange Zeit eingeräumt hat, weit hinausgehen. Wenn man etwa an den Zusammenhang zwischen Musik und gesellschaftlichen Privilegien oder zwischen Musik und Nation oder auch zwischen Musik und Religion denkt, so dürfte verständlich werden, was ich meine . Autorin 25. Edward Said stellte nicht nur Musik in ihren gesellschaftlichen Kontext, er übertrug auch musikalische Konzepte auf seine literarischen und politischen Analysen. Besonders die Kompositionstechnik des Kontrapunkts, die ihn in der Musik von Johann Sebastian Bach faszinierte, griff er immer wieder auf. In seinem letzten großen Buch "Kultur und Imperialismus" beschreibt er, wie stark die eurozentrische Kultur zur Abwertung und Beherrschung außereuropäischer Länder und Völker beigetragen hat. Dagegen plädiert er für ein "kontrapunktisches Lesen" europäischer Klassiker aus der Kolonialzeit: Zitator 6 Praktisch bedeutet 'kontrapunktisches Lesen' die Lektüre eines Textes mit wachem Verständnis für das, was im Spiele ist, wenn ein Autor beispielsweise darlegt, dass eine koloniale Zuckerplantage wichtig für die Aufrechterhaltung eines besonderen Lebensstils in England ist [ ... ]. Entscheidend ist, dass eine kontrapunktische Lektüre beides in Rechnung stellen muss, den Imperialismus und den Widerstand gegen ihn, und zwar indem wir die Lektüre der Texte so erweitern, dass sie einschließt, was einst gewaltsam ausgeschlossen worden war. Autorin 26. Auch sein eigenes Leben mochte Said am liebsten kontrapunktisch verstehen, als parallele Linien der Beschäftigung mit sehr unterschiedlichen Dingen - Literatur und Politik, Musik und Nahostkonflikt. Solche Lebenslinien harmonieren zwar nicht immer, schreiten aber doch gemeinsam voran. Die Verbindung von wissenschaftlicher Arbeit und politischem Engagement war für Saids Leben charakteristisch. Doch seine Bemühungen, auch die Musik hineinzuweben, erscheinen manchen Kritikern als künstlich und weniger nachvollziehbar - dazu Said- Spezialist Markus Schmitz: O-Ton 25 Markus Schmitz Wenn sozusagen ein Begriff wie die Kontrapunktik, der aus der klassischen Kompositionslehre stammt, dann auf das Feld der Literaturkritik und Kulturkritik zum einen transportiert wird, aber dann in seinen Konsequenzen, wenn es um die Idee der geteilten Erfahrung und um die Anerkennung der geteilten Erfahrung als Bedingung der Koexistenz geht, sich auch auf seinen politischen Aktivismus bezieht, nämlich auf das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern, dann ist das manchmal rhetorisch unglaublich stark, aber durchaus auch abstrakt. Musik kurz stehen lassen, dann unter folgendes legen, bei Autorin 29 Mitte ausblenden O-Ton 26 Daniel Barenboim Ich glaube, die Hauptlehre von Edward Said auf diesem Gebiet ist die Tatsache, dass Musik nicht in einem Elfenbeinturm lebt, dass sie ein Teil von einer Gesamtkultur ist. Das ist Teil von unserem Leben, es ist nicht hier, damit wir ein paar Minuten oder Stunden in angenehmer Gesellschaft von Klängen verbringen, sondern es hat wirklich etwas Wesentliches für unsere Existenz und ist als solches verbunden mit allem, was wir denken und fühlen. Autorin 27. So sagt es Saids Freund, der Musiker Daniel Barenboim. Nur Musik und Literatur hätten die Gabe, dem Geist wirklich neue Landschaften zu eröffnen - Politik und intellektuelle Debatten wiederholten sich allzu oft, meinte Edward Said. Die aufregende Erfahrung der fortschreitenden Enthüllung in Musik und Literatur habe ihn sein Leben lang gestärkt. Lange hielt Edward Said durch im Kampf gegen die chronische Leukämie, die schon 1991 diagnostiziert worden war, und lange zwang er sich, weiter zu arbeiten. Er starb am 25. September 2003 in einem New Yorker Krankenhaus und hinterließ seine libanesische Ehefrau Mariam und zwei erwachsene Kinder - und rund zwanzig Bücher. Posthum erschien sein Buch über Spätwerke. Darüber sagt er in seinem letzten Interview: O-Ton 27 Edward Said englisch, VO Übersetzer Ich glaube, man verliert seinen Anspruch nicht, Menschen zu zeigen, dass es Alternativen gibt. Dass man nicht am Ende alles runterfährt, sondern dass man etwas öffnet, selbst wenn man, wie ich jetzt, im Abstieg ist. Man versucht, Wege zu eröffnen, die man jüngeren Leuten, Freunden und Weggefährten hinterlassen kann. Autorin 28. Neue Wege zu eröffnen, das scheint Edward Said weit über seinen Tod hinaus gelungen zu sein. Markus Schmitz von der Universität Münster sieht das gerade in der Region, die Said besonders am Herzen lag: O-Ton 28 Markus Schmitz Die so genannte arabische Revolution, der arabische Frühling war sicherlich eine Situation, in der man Edward Said wiederentdeckt hat, einfach als Theoretiker oppositioneller Praktiken, als Theoretiker eines strategischen Humanismus oder als Theoretiker demokratischer Partizipation, da ist seine Wirkung glaube ich in den innerarabischen Debatten viel viel größer als in der westlichen akademischen Diskussion. Musik wenn möglich auf Schluss stehen lassen. Quellen: Edward W. Said: Am falschen Ort. Autobiografie. Aus dem Englischen von Meinhard Büning. Berlin Verlag, Berlin 2000. Edward W. Said: Orientalismus. Aus dem Englischen von Hans Günter Holl. S. Fischer Verlag Wissenschaft, Frankfurt am Main 2009. Edward W. Said: Der Wohltemperierte Satz. Musik, Interpretation und Kritik. Aus dem Englischen von Christine Mrowietz. Carl Hanser Verlag, München Wien 1995. Edward Said - The Last Interview. Dokumentarfilm, Regie: Mike Dibb, Produzent: D. D. Guttenplan; Interviewer: Charles Glass, Ikarus Films, 114 Minuten, 2004 Edward Said: The Last Interview Am falschen Ort S. 24 Am falschen Ort S. 26 Ibid. Orientalismus S. 364 Der Wohltemperierte Satz S. 10 Kultur und Imperialismus S. 112 1