COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Deutschlandrundfahrt Gegen den Strom - Schönau im Schwarzwald Von Stefanie Müller-Frank Sendung: 21. Juli 2012, 15.05h Ton: Bernd Friebel Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan Produktion: Deutschlandradio Kultur 2012 Atmo 1 Brunnen plätschert Autorin Schönau: Luftkurort im Südschwarzwald. 2.600 Einwohner, zwei Gasthöfe, ein Amtsgericht und die Freiwillige Feuerwehr. Ein Flüsschen schlängelt sich durchs Tal - vorbei an Fachwerkhäusern, Tankstelle und Freibad. Was Schönau so einzigartig macht, das ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Außer man steigt auf den Glockenturm der katholischen Kirche im Ortskern, direkt gegenüber vom Gasthof Vier Löwen: Wohin man von hier oben auch schaut - überall glänzen dunkelblau die Solarzellen. Auf fast jedes Schönauer Dach mit Südausrichtung ist eine Photovoltaikanlage montiert, das Flachdach des Gymnasiums gleicht einem Weinberg aus Solarplatten. Und die evangelische Kirche auf der Anhöhe ist komplett mit einem Photovoltaikdach überzogen. Atmo 2 Kirchturm schlägt zur halben Stunde SpvD Gegen den Strom. Schönau im Schwarzwald. Eine Deutschlandrundfahrt von Stefanie Müller-Frank. Amto 3 zum Gasthof laufen Autorin Ursula und Michael Sladek steigen die Gassen hinab zum Gasthof Vier Löwen. Was Schönau so einzigartig macht, ist untrennbar mit ihnen verbunden. Deshalb muss die Geschichte, die im folgenden erzählt werden soll, auch vom Leben dieses Paars handeln - von dem ihrer Familie, ihrer Mitstreiter und dem Ort selbst. Nur so lässt sich erklären, warum sich gerade hier die Einwohner zusammengeschlossen haben, um das eigene Stromnetz zu kaufen. Wie ausgerechnet im Schwarzwaldstädtchen Schönau der erste bundesweite Stromversorger in Bürgerhand entstand. Und worin es besteht, das Erfolgsrezept für den Pioniergeist aus der Provinz. Atmo 4 die beiden scherzen Autorin Halb neun, die Dächer funkeln in der Abendsonne. Eigentlich keine Zeit, zu der das Ehepaar Sladek schon Feierabend macht - auch wenn beide im vergangenen Jahr 65 geworden sind. Aber vielleicht musste es heute einfach schneller gehen, denn die Küche im Vier Löwen schließt um neun. Und Michael Sladek will ... unbedingt noch Kutteln essen - nach all den Verhandlungen heute. Über das Ergebnis verlieren die beiden kein Wort, zur Taktik lassen sie sich aber doch etwas entlocken. O-Ton 1 Ursula und Michael Sladek Ich bin immer die Böse. (lacht) Auch in Verhandlungen. Good guy - bad guy. Er ist meistens der Gute, weil du ja auch ein bisschen harmoniebedürftig bist, was ich jetzt gar nicht bin. Und das hat manchmal Vorteile und manchmal Nachteile. Aber so ist die Rollenverteilung: Ich gucke böse, schüttele den Kopf und sage: So geht das überhaupt nicht. Während du immer noch versuchst, einen Kompromiss zu finden. - Ich versuche auch schon zu verstehen, was im anderen da vorgeht und versuche, den nicht gleich in die Ecke zu schieben. - Das tue ich auch nicht. Aber es gibt Dinge, das haben wir erst kürzlich erlebt, da gibt es keinen Kompromiss. Und da muss man das auch ganz klar so rüberbringen. Und da bin ich derjenige, der einfach für Klarheit sorgt. Der das nicht immer ganz charmant macht, das gebe ich ja zu. Habe ich auch kein Problem mit. - Das Problem haben ja die anderen, ist ja klar. - Ja, aber ich bin durchaus erfolgreich. - Das ist schon richtig. (655, 47.10) Atmo 5 Ankunft im Vier Löwen Autorin Michael Sladek hält seiner Frau die Tür auf und stürmt dann hinterher in die Schankstube, grüßt in die Runde. Hinter der Theke steht eine Frau Mitte 60, mit weißer Spitzenschürze, praktischer Kurzhaarfrisur und goldenen Ohrringen. Sie strahlt, als sie die Sladeks sieht und begleitet sie umgehend zu einem der Tische. Der Arzt fährt ihr im Vorbeigehen kurz durch die Haare, sie senkt etwas verlegen den Blick und holt schnell die Karten. Dann kehrt sie zurück hinter den Schanktresen. Atmo 6 hinterm Tresen O-Ton 2 Julia Böhler Das sind ganz einfache Leute. Da ist kein Schicki-Micki, kein Garnichts. Und ich bediene sie auch gern. Er sagt: Stell hin, stell hin! Es ist ganz einfach, mit denen Leuten. (663, 2.47) Autorin Julia Böhler arbeitet seit 38 Jahren als Aushilfsbedienung im Vier Löwen. Wenn der Wirt sie braucht, kommt sie herunter aus Schönenberg - einem kleinen Dorf oberhalb von Schönau. Dann muss ihr Mann abends das Vieh versorgen. Viel Geld bringt das nicht ein, aber so kommt jeden Tag Fleisch auf den Tisch. Das ist Julia Böhler wichtig. Michael Sladek kennt die Bedienung seit 1977, seitdem er Landarzt geworden ist in Schönau. Der mächtige Bart, die wirren Haare und seine Poltrigkeit haben Julia Böhler anfangs allerdings erstmal abgeschreckt. O-Ton 3 Julia Böhler Er war ja Arzt bei uns. Und er war ja so ein bisschen so, wo man erstmal denkt: Oh, na ja. Und dann denke ich: Hoffentlich muss ich jetzt nicht schnell zum Doktor. Zack, habe ich mir da was reingerissen und musste zum Doktor. Und dann war er ganz angenehm eigentlich. Er ist sehr einfühlsam, das versteckt er hinter seiner Poltrigkeit. Also ich kenne ihn gut, und das versteckt er. Und wenn er gut drauf ist, dann kommt er - egal, wie voll das Haus ist - dann kommt er und fährt mir so durchs Haar. Wenn die Männer beisammen sind, dann passiert das nicht. Dann hat er Probleme im Kopf. Und ich weiß, wann ich zu ihm was Spaßiges sage und wann nicht. (661, 5.01) Autorin Mit seiner Frau war Julia Böhler erst noch zurückhaltend. Bis mal ein Gast ging, ohne seine Rechnung zu bezahlen. O-Ton 3 Julia Böhler Ich habe mal gesagt: Frau Sladek, der eine ist gegangen und hat nicht gezahlt. - Ja, Julia schreib alles auf, damals waren wir noch nicht per du, da hat sie gesagt: Ihnen vertraue ich blind. Also das ist eine große Ehre, wenn jemand sagt: Ihnen vertraue ich - blind. Sie hatte oft große Rechnungen. Und das war für mich Heimat, wenn eine fremde Frau sagt: Ihnen vertraue ich blind. (661, 4.04) Autorin Heute kennt die Bedienung Ursula Sladek besser - durch den jahrzehntelangen Kampf gegen den Strommonopolisten. Und je mehr sie von ihr erfuhr, desto mehr wuchs ihr Respekt vor deren Lebensleistung. Julia Böhler flüstert jetzt, damit die Gäste sie nicht hören. O-Ton 4 Julia Böhler Sie ist ja betteln gegangen in Freiburg auf dem Marktplatz. Alle Leute hat sie angeredet für den guten Zweck - und alle haben gespendet. Ich weiß nicht, wie viel sie da zusammengebracht hat. (flüstert) An die Millionen, glaube ich. Die Frau ist ja unermüdlich. (663, 0.31) Ich bewundere die Frau. Ihn auch. Aber die Frau ist eigentlich die Stütze. Und sie redet Stunden, ohne Konzept. Das ist der Wahnsinn, was die Frau da im Kopf drin hat. (663, 1.39) Atmo 7 Wein aufmachen Autorin Julia Böhler bringt die Gläser zum Tisch der Sladeks, öffnet eine Flasche Rotwein und zieht sich dann wieder zurück. Wenn es drauf ankommt, sagt die Aushilfsbedienung aber auch ihre Meinung. Zu den Sladeks und ihrem Engagement für atomfreien Strom zum Beispiel hat sie immer gestanden - auch wenn sie damit so einiges riskierte. O-Ton 5 Julia Böhler Und dann habe ich eben so eine Versammlung bedient und dann sagte sie: Julia, ziehst Du auch so ein T-Shirt an? Ja, sicher, habe ich gesagt, das ist für mich kein Problem. Und dann haben manche das eben nicht so gerne gesehen, gell. Und der eine hat mal zu mir gesagt: Du hast so ein Störfall-T-Shirt angehabt, von Dir will ich kein Bier. Dann habe ich gesagt: Dann hol es Dir eben im Adler. (lacht) (661, 9.32) Autorin Am Stammtisch geht es während der Bürgerentscheide oft hoch her: Soll man den Stromrebellen das Netz anvertrauen? Oder gehen dann im Ort die Lichter aus? Die Leute haben sich die Köpfe heiß geredet, erinnert sich Julia Böhler. Oft wurde es laut. Auch - ja gerade, wenn man einer Meinung war. O-Ton 6 Julia Böhler Es gibt Leute, die reden ja nach dem Wind. Wenn der eine sagt, das ist ja nichts, was der macht. Dann sagt der andere, dann stehen wir im Dunkeln und und. Es war wahnsinnig. Wenn irgendeiner gesagt hat: Das ist gut. Dann hat der Nächste gesagt: Ja, das ist gut. Das ist wirklich gut. Viele Leute reden einfach nach dem Wind, gell? Die hängen ihre Fahne nach dem Wind. (661, 8.03) MUSIK 1 Atmo 8 morgens früh im Büro Autorin Der Arbeitstag beginnt früh heute, die Verhandlungen mit den Stadtwerken Stuttgart gehen in die nächste Runde. Es soll eine dezentrale Energieversorgung aufgebaut werden. Ursula Sladek sitzt konzentriert am Rechner, ihr Mann geht nur kurz die Mails durch, bevor er in seine Arztpraxis aufbricht. Die hat er immer weitergeführt - neben allem Einsatz für atomfreien Strom. Gegen Ende der Siebziger, als die Sladeks nach Schönau ziehen, sind sie politisch allerdings noch nicht sonderlich beleckt, wie es Michael Sladek formuliert. Den badischen Widerstand gegen Atommeiler kennen sie nur aus dem Fernsehen. Um sich selbst an den Bauzaun von Wyhl zu ketten, fehlt ihnen die Zeit. Er arbeitet damals als Stationsarzt in einer Klinik im badischen Schopfheim, sie ist schwanger mit dem dritten Kind - und eine Hebamme erzählt ihnen, dass im Luftkurort Schönau der Posten des Landarztes frei wird. Landarzt? Luftkurort? Das klingt perfekt für eine junge Familie mit drei kleinen Kindern. Ursula Sladek engagiert sich erst im Kindergarten, dann im Elternrat der Schule, ihr Mann im Kirchenrat. Zwei weitere Kinder folgen. Atmo 9 nach Schlüssel suchen Autorin Gut gelaunt steuert Michael Sladek auf sein Auto zu, hievt sich schwungvoll in den Fahrersitz und fährt sich durch den mächtigen grauen Bart. Atmo 10 ins Auto steigen und Motor anlassen O-Ton 7 Michael Sladek Ich persönlich frühstücke nicht. Meine Frau steht meistens etwas früher auf und die braucht in ihrer Startphase eine Zeitung, einen Tee und irgendein Müsli, etwas Kleines. Und da will sie auch nicht gestört werden. Die steht meistens auf so gegen halb sieben, sieben, manchmal halb acht. Das ist so die Phase, wo ich am liebsten im Bett ganz ruhig liege. Und da habe ich meistens, da hätte ich die Probleme gelöst. Wenn ich dann aufstehe, dann sind die Problemlösungen dann schon wieder viel weiter weg. In der Phase ist es so, wo man sich bestimmte Visionen entwickelt. Ist für mich eigentlich ganz wichtig. (639, 3.05 - im Auto) Autorin Michael Sladek ist der Mann fürs große Ganze, entwirft Strategien, zieht neue Projekte an Land und schafft es dabei immer, die Menschen mitzureißen. Früher einmal hat er Theologie studieren und Papst werden wollen. Bis er kurz vorm Abitur seine spätere Frau kennenlernt. Dreiundvierzig Jahre sind Ursula und Michael Sladek jetzt verheiratet, seit fast zwanzig Jahren arbeiten die beiden zusammen - und teilen noch immer das Büro. O-Ton 8 Michael Sladek Wenn wir uns krabbeln, dann krabbeln wir uns meistens wegen der EWS und nicht wegen anderen Dingen. (639, 7.00 - im Auto) Autorin Ihr Lebenswerk: Die Elektrizitätswerke Schönau, EWS genannt - ein Unternehmen in Bürgerhand, der lokale Stromlieferant. Gemeinsam mit anderen Schönauern haben sich die Sladeks ihre ökologische, demokratisch legitimierte Energieversorgung erstritten - nach jahrelangem Kampf gegen den Strommonopolisten, einem Gerichtsverfahren und zwei Bürgerentscheiden, die den Ort zu spalten drohten. Langsam fährt Michael Sladek durch den Ortskern, grüßt immer mal wieder jemanden, der ihm entgegen kommt. So angesehen die Stellung des Landarztes im Städtchen auch ist - so kritisch wird die zugezogene Familie anfangs beäugt. Wer spricht hier schon Schriftdeutsch? Außer vielleicht noch dem Pfarrer und den Lehrern? Als Arzt aber gewinnt man schnell das Vertrauen der Menschen - zumal, wenn man ihnen so bodenständig und lebensfroh entgegentritt wie Michael Sladek. O-Ton 9 Michael Sladek In Hausbesuchen habe ich viel Erfahrung. Es macht auch Spaß. So Leute zu erleben in ihrem Umfeld - da kann man auch die Leute gut verstehen. (634, 4.27)Aber im Wahlkampf habe ich immer zwei Koffer dabei gehabt: Einen für die Medizin, und wenn die Leute mich dann gefragt haben: Wie ist es mit dem Strom? Da habe ich gesagt: Jetzt muss ich erstmal wieder ans Auto und hole einen anderen Koffer. Also das ist schon wichtig, dass Sie das strikt voneinander trennen. (634, 4.43 - im Auto) Autorin Um dem AKW-Betreiber das Netz abzujagen, müssen die Stromrebellen um jede Stimme werben - mit Flugblättern, Infoständen, Seniorenkaffeekränzchen. Sei es beim Bäcker, auf der Straße oder im Wirtshaus. Und das in einem Ort, wo jeder jeden kennt und die Grünen erst gar nicht im Gemeinderat vertreten sind. O-Ton 10 Michael Sladek Jetzt müssen Sie sehen: Schönau ist ein Ort, parteipolitisch war das die CDU, die Mehrheitspartei, die immer Wahlergebnisse zwischen fünfzig und sechzig Prozent zieht, die war absolut gegen diese Stromgeschichte. Und zum Schluss muss man sich hüten davor, dass Leute sich outen. Das ist so die Schwierigkeit eines Wahlkampfes in so einem kleinen Ort. Das geht dann viel stärker ins Persönliche, weil man sich kennt. Und weil das auch so hinterher Folgen hat. Wenn sie hier Gewerbetreibende fragen, die sich offen für die EWS geoutet hatten, die hatten dann auch ein paar Monate weniger Kunden von der anderen Seite. Ich will das jetzt nicht dramatisieren, aber das war so. (634, 9.38 - im Auto) Autorin Der Riss, erzählt Michael Sladek, ging nicht nur durchs Dorf, sondern spaltete sogar Familien und Generationen. Nicht selten gesteht ihm flüsternd ein Patient, dass er beim Bürgerentscheid für die Stromrebellen stimmen wird - und bittet ihn zugleich, es für sich zu behalten, damit die Schwiegereltern oder die Stammtischkollegen nichts davon erfahren. O-Ton 11 Michael Sladek Sprich: Es gibt natürlich auch Stammtische in Schönau. Und die Stammtischhoheit lag nie bei der EWS, sondern immer auf der anderen Seite. Sodass die andere Seite, als es zum Auszählen am Wahlabend kam, natürlich auch aus allen Wolken gefallen ist, weil die sich auf die Stammtisch verlassen haben, wie gut da die Stimmung wäre. Aber die Leute haben an diesem Zeitpunkt nicht mehr aufgedeckt. (634, 10.40 - im Auto) Atmo 11 Motor aus Autorin Während Michael Sladek sein Auto parkt und wie immer den Schlüssel stecken lässt, macht seine Frau Briefe an die Stromkunden fertig. Oft rufen die an und erzählen, dass sie sich über die persönlich formulierten Briefe von ihr freuen - auch wenn sie die jährliche Stromabrechnung enthalten. Kein Wunder: Ursula Sladek feilt an jedem Satz, bis er stimmt. Während ihr Mann die Zahlen liebt, pflegt sie das Wort. Beides dient der Glaubwürdigkeit. O-Ton 12 Ursula Sladek Die EWS sind ja nicht einfach irgendwie Stromverkäufer, sondern wir haben ja Visionen, wir haben Ziele. (651, 22.42) Atmo 12 durchs Büro laufen Autorin Ursula Sladek ist Geschäftsführerin der Elektrizitätswerke Schönau und die Frau fürs operative Tagesgeschäft - das hier oft bis in die Nachtstunden reicht. Sie telefoniert, verhandelt, prüft die juristischen Klauseln der Verträge und entwickelt nebenher ein neues EDV- System fürs Unternehmen. Gleich muss sie kurz eine Delegation aus Japan begrüßen. Seit der Reaktorkatastrophe in Fukushima im März 2011 kommen vermehrt Japaner zu Besuch, um sich das Erfolgrezept der Schönauer erklären zu lassen. O-Ton 13 Ursula Sladek Jetzt sind wir ja auch so ein bisschen ein Symbol geworden für die Unabhängigkeit, für die Befreiung von den großen Energiekonzernen. Und ich glaube, das ist das, wonach die Japaner sich auch so ein stückweit sehnen. Und deswegen kommen sie zu uns. (651, 25.48) Und wir versuchen, ihnen vor allem Mut zu machen und ihnen am Beispiel Schönaus zu zeigen, was Menschen erreichen können, wenn sie sich einfach für eine Sache bedingungslos einsetzen. (651, 24.50) Autorin Wenn sie, wie Ursula und Michael Sladek, ihrer Empörung folgen - und damit fast gegen ihren Willen zu Pionieren werden. Denn die zierliche Frau mit dem Pagenkopf war nicht immer schon politisch engagiert oder auch nur ökologisch eingestellt. Auch über Windräder oder Kraft-Wärme-Kopplung wusste sie anfangs nicht mehr als ihre Nachbarn. Heute wird sie viel zu Vorträgen eingeladen - ob vor Fachpublikum oder bei Wandervereinen. Und so voll der Arbeitstag auch gewesen sein mag: Ursula Sladek steigt abends noch ins Auto, fährt durch den Schwarzwald und stellt sich den Fragen einer Bürgerinitiative, die vielleicht schon Jahrzehnte für eine gute Sache kämpft, aber einfach nicht weiterkommt. O-Ton 14 Ursula Sladek Und oft könnte ich den guten Menschen dann sofort sagen, warum nicht. Und das liegt auch in ihnen begründet. (651, 26.12) Ganz einfaches Beispiel: Viele Menschen, die etwas verändern wollen, beschimpfen die anderen, die noch nicht so weit sind. Ganz schlecht! Weil, so wird man garantiert erreichen, dass sie gar nicht bereit sind, irgendetwas zu verändern. Das heißt, man muss jeden Menschen ernst nehmen. Man muss schauen: Er steht eben da, wo er steht. Und da muss man ihn auch abholen. Und da ist der erhobene Zeigefinger das Allerschlechteste. Leider in der Umweltdiskussion noch immer sehr beliebt, aber eben auch sehr erfolglos. (651, 27.24) Autorin Den Japanern versucht sie, etwas Ungehorsam mitzugeben. O-Ton 15 Ursula Sladek Es sind vor allem die Frauen, die jetzt ein bisschen die japanische Zurückhaltung zumindest in diesem Fall aufgeben und sagen: Nein, jetzt geht es um unsere Kinder, also jetzt müssen wir auch an die Öffentlichkeit gehen und uns mehr trauen. (651, 24.07) Autorin Und Ursula Sladek weiß, wie sich die Mütter in Japan fühlen. Nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl hat sie die Hilflosigkeit und Ohnmacht ja selbst erlebt. Wenn man nicht weiß, was man den eigenen Kindern überhaupt noch zu essen geben darf. Fünf kleine Kinder haben die Sladeks, als am 27. April 1986 in den Spätnachrichten der GAU im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl gemeldet wird. O-Ton 16 Ursula Sladek Da war schon die Frage, dürfen die Kinder überhaupt noch rausgehen und draußen spielen? Wir haben so einen riesigen Sandkasten im Garten gehabt, den haben wir entsorgt. Monate später haben wir neuen Sand dort reingemacht, aber das war schon mit großen Ängsten verbunden: Was dürfen die Kinder essen? Ist die Nahrung verstrahlt? Wobei es anderen Müttern, die jetzt noch Säuglinge hatten, noch schlimmer ging. Mir hat mal die Bäckersfrau erzählt, dass eine junge Mutter bei ihr im Laden stand und in Tränen ausgebrochen ist, weil sie nicht wusste, was kann sie ihrem Kind zu essen geben, ohne dass es dem Kind schadet. Das stand schon am Anfang im Vordergrund. (653, 20.58) Autorin Rückblickend aber sollte der Reaktorunfall in Tschernobyl - und die Ohnmacht, die ihm folgte - zur Initialzündung werden für das, was heute als die Erfolgsgeschichte von Schönau gilt. MUSIK 2 Atmo 12 an der Straße Autorin Am Ortsausgang von Schönau, kurz hinter Friedhof, Freibad und Campingplatz, verengt sich das Tal der Wiese. Zu beiden Seiten des Flusses steigen die Hänge so steil an, dass die wilden Fingerhutstauden von hier oben ins Tal zu stürzen drohen. Am rechten Flussufer führt ein Wanderweg in die Berge, auf der linken Flussseite steigen die LKW-Fahrer aufs Gas, um über die Berge nach Freiburg zu kommen. Oder sie halten nochmal an, weil auf der linken Straßenseite zwei blaue Fahnen wehen, die nach einer großen Tankstellenkette aussehen. Und tatsächlich steht vor dem Firmengelände auch ein Auto, das gerade aufgetankt wird. Allerdings ist es ein froschgrünes Elektrofahrzeug, das mehr einem Liegerad gleicht als einem herkömmlichen PKW. Über ein langes Stromkabel ist es mit einer Steckdose in der Wand verbunden. Und auf den blauen Fahnen stehen keine vier großen Buchstaben, sondern drei: EWS. Darunter: Elektrizitätswerke Schönau - atomstromlos, klimafreundlich, bürgereigen. Atmo 13 im Hof der EWS Autorin Früher einmal beherbergten die Gebäude, in denen heute die EWS sitzen, eine Textilfabrik - samt Unternehmersvilla gleich nebenan und einem geräumigen Stall für die Kutschen. Noch heute bildet das Firmengelände ein Hufeisen rund um den geschützten Innenhof. Im Stall steht eine Tischtennisplatte für die Mitarbeiter, vor der Villa eine Bank und frisch gepflückte Blumen auf dem Tisch. Während in der Villa hinter geschlossenen Fenstern verhandelt wird, sitzt Susanna Zäh hier in der Sonne und tütet Prospekte ein. Seit über zwanzig Jahren ist die gelernte Kindergärtnerin mit den Sladeks befreundet, von Anfang an hat sie die Stromrebellen ehrenamtlich unterstützt. Heute wohnt die 59-Jährige unter dem Dach der Villa und gilt als die gute Seele der Firma. Wenn sich nicht gerade wieder mal ein Azubi mit dem Dampfstrahler im Hof ausgetobt und ihre Mohnbeete vernichtet hat. Die vier Kinder von Susanna Zäh leben nicht mehr in Schönau, ihre Ehe ist geschieden. Also begleitet sie Ursula Sladek oft, wenn die sich nach dem Büro noch auf den Weg macht zu Vorträgen. O-Ton 17 Susanna Zäh Und dann denke ich: Ach, lass sie doch nicht alleine fahren. Sie fährt zwar meisten selbst. (lacht) Sie muss schon totmüde sein, dass sie sagt: Komm, jetzt fahr' Du mal ein Stück. Also beim Fahren kann sie sich auch entspannen. Sie fährt sehr gut Auto, sie fährt auch sehr zackig. (632, 6.25 - Stimme oben) Autorin Manchmal aber macht sich Susanna Zäh auch Sorgen um die Freundin. Dann schreitet sie mütterlich resolut ein. Und erntet nicht selten einen strengen Blick von Ursula Sladek unter ihrer Lesebrille hervor. Wenn sie überhaupt vom Computer aufschaut. O-Ton 18 Susanna Zäh Früher, als wir noch im Ort vorne waren, da habe ich auch vis-à-vis gewohnt und da musste ich oft abends rüber und sagen: So, jetzt geht's Licht aus. Jetzt um zwei arbeitest du auch nichts mehr, gell. (632, 5.45) Autorin Diese Ausdauer bekommen auch Verhandlungspartner zu spüren. Und nicht nur die. Früher hat Susanna Zäh noch für das Ehepaar Sladek gekocht - nicht selten hat sie stundenlang mit dem Essen auf die beiden warten müssen. Heute macht sie nur noch Kartoffelsalat. Oder Suppen. Die lassen sich auch spät in der Nacht schnell wieder aufwärmen. O-Ton 19 Susanna Zäh Die können - ohne jetzt zu übertreiben - lässig bis um elf reden. Dann ist er am Verhungern. Sie würde noch zwei Stunden weiter argumentieren. Also sie muss wirklich an der Kante nagen, bis sie mal hochkommt und sagt: Jetzt brauche ich einen Apfel oder ein Stück Brot. (645, 0.12) Autorin Um hier unten wirklich etwas zu bewegen, erzählt die Kindergärtnerin, braucht es Menschen mit langem Atem. Die Badenser sind zwar nicht dumm, aber es dauert vom Kopf bis zum Tun. Und bei den Schönauern kommt noch eine Prise Hochmut dazu, meint sie: Gymnasium, Amtsgericht - und das bei gerade mal 2.500 Einwohnern. Susanna Zäh selbst stammt aus Zell, der Kreisstadt zehn Kilometer flussabwärts. O-Ton 21 Susanna Zäh Und für uns Zeller, wir sind ein absolutes Arbeiterstädle da vorne, und die Schönauer haben für uns Zeller einen Dünkel. Mein Großvater hat zum Beispiel gesagt, als ich geheiratet habe in dieses Bergdorf: Kind, ich bin entsetzt! Wie kannst du gegen den Bach gehen? Also gegen die Wiese. Man geht immer mit dem Bach weg, gell. Das war fürchterlich für ihn, dass ich da nach hinten ins Tal zog. (646, 7.33 - Stimme oben) Autorin Gegen den Strom. Eigentlich geht das gar nicht. Aber so wohnt Susanna Zäh schon im Tal, als die Sladeks nach Schönau kommen und in das große Haus am Felsenweg ziehen. Damals fällt man schon auf, wenn man nicht alemannisch spricht und nicht schwarz wählt. Und dann spielt der neue Landarzt auch noch Tennis. O-Ton 22 Susanna Zäh Aber wer spielt bei uns in Schönau Tennis? Das macht jetzt die Unternehmersfrau, die sowieso eine Villa hat, und der Mann verdient genug. Dann kann sie auch Tennis spielen. Die Lehrer noch, wissen Sie. (lacht) Die haben eh Freizeit. So stellt man sich das ja landläufig vor. Die arbeitende Bevölkerung hier hat eine kleine Landwirtschaft und ist das ja nur im Nebenerwerb. Zum richtig Geld verdienen geht man in die Fabrik hier im Wiesental. Früher war es die Textil - viele Leute sind auch gependelt in die Chemie in die Schweiz. Dann waren die Arbeitswege schon. Wenn du dann noch Familie und einen Stall hast, dann weißt du im Sommer, was du zu tun hast. Also das ist alles überschaubar, was ein Leben hier zu bieten hat. Und wenn du jetzt nicht gerade aus dem Nachbarhaus bist, dann bist du schon mal anders. (646, 10.20 Autorin Im April 1986, als die Meldung vom Reaktorunfall in Tschernobyl Schönau erreicht, ist Susanna Zähs jüngster Sohn noch ein Baby. Die Kindergärtnerin fragt sich, ob sie es verantworten kann, ihm die Muttermilch zu geben. O-Ton 23 Susanna Zäh Was nehme ich selber auf? Was kommt da rein, bis ich mein Kind anlege? Ist es wirklich nicht ratsamer, irgendein Milchprodukt, das vor dem Unfall wurde, meinem Kind bedenkenlos zu geben? Während Milch, die eigentlich wertlos ist in meiner Brust, mein Kind anlege. (645, 11.30) Autorin Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl gründen sich im Mai 1986 allerorten Elterninitiativen. Als der erste Schock vorüber ist und die Sommerferien beginnen, lösen sich die ersten allerdings schon wieder auf. In Schönau dagegen beschließt man, auch politisch aktiv zu werden - und die Stromversorgung in die eigene Hand zu nehmen. MUSIK 3 Atmo 14 in Küche und Atmo 15 Wasserkocher Autorin Michael Sladek hat Hunger und sucht mit großen Gesten in den Küchenschränken nach etwas Essbarem. Der Kühlschrank ist aus Energiespargründen in den Keller verbannt. Vermutlich auch, weil die fünf Kinder längst aus dem Haus sind und das Ehepaar Sladek meist eh nicht zum Kochen kommt. Schließlich findet er eine Dose Thunfisch und setzt Wasser auf für einen starken Kaffee. Seine Frau setzt sich mit einer Tasse Tee an den großen, runden Holztisch im Wohnzimmer der alten Villa. Atmo 16 im Wohnzimmer O-Ton 24 Ursula Sladek (Ist das hier die berühmte Schaltzentrale im Wohnzimmer der Sladeks?) (sie lacht) Zumindest der berühmte Runde Tisch. Der hat eine gewisse Berühmtheit erlangt. An dem Tisch hier sind alle Ideen entwickelt worden, sind die Flugblätter gemacht worden für die Bürgerentscheide, ist viel diskutiert worden. Hier bei uns hat man sich immer getroffen - auch deshalb, weil wir natürlich das größte Wohnzimmer hatten und insofern auch Platz für eine ganze Gruppe. (653, 0.05) Autorin Zu Anfang hatte Michael Sladek hier, im Erdgeschoss der großzügigen Fachwerkvilla im Ortskern von Schönau, auch seine Praxis. Das Schild mit den Sprechstundenzeiten hängt noch am Eingang, aber nur Ortsfremde kommen auf die Idee, hier zu klingeln. In Schönau kennt man sich. Und wird leider auch gerne mal in Sippenhaft genommen. O-Ton 25 Michael Sladek Das eigentliche Problem für die Kinder fing relativ schnell schon an, weil wir hier in die Position der Spinner geraten sind. Und in die Richtung sind die Kinder dann ja auch geschoben worden. (653, 25.36) Autorin Als sich der Konflikt zuspitzt, fällt den Gegnern der Stromrebellen plötzlich ein, dass die Sladeks nicht aus Schönau stammen. Sie versuchen, die Netzkaufinitiative als Kampagne von Zugezogenen dazustellen. Dabei sind auch viele Schönauer mit im Boot. O-Ton 26 Ursula Sladek Ich erinnere mich an eine Veranstaltung, die war in einem Gasthaus. Da haben wir uns mit der KWR auseinandergesetzt und ich habe mich dann immer mal wieder gemeldet und habe Einsprüche erhoben, bis ich dann niedergebrüllt wurde: Jetzt wollen sie endlich mal jemanden von hier hören! (655, 29.20) Autorin Jemanden von hier? Zu dieser Zeit lebt die Familie Sladek wohlgemerkt schon seit über zwanzig Jahren im Ort, Schönau ist längst zu ihrer Heimat geworden. O-Ton 27 Michael und Ursula Sladek Dann habe ich auch immer argumentiert: Wenn das nicht klappen sollte, Leute, wir wohnen in Schönau. Ihr könnt uns immer greifen. - Wir halten den Kopf hin für das, was wir sagen. Und wenn wir euch heute Lügen erzählen und das kommt morgen raus, dann können wir unsere Sachen packen und gehen. Mit unseren fünf Kindern. Glaubt ihr wirklich, dass wir das vorhaben? (655, 30.50) Autorin Michael Sladek ist schon von seiner Statur her nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Aber in diesen Wochen ist er kurz davor, alles hinzuschmeißen und aus Schönau wegzuziehen. Auch, weil so viele Lügen erzählt werden und manche Diffamierungen unter die Gürtellinie gehen. O-Ton 28 Michael Sladek Da werden ja Ängste geschürt: Da gehen die Lichter aus!. (655, 28.20 - Stimme oben) Es gab da ja Karikaturen, die mich auf Strommasten gezeigt haben und wie die dann einknicken, wenn ich da mit meinem Körpergewicht hoch sollte. Lauter so Geschichten. (655, 27.04) Autorin Für Ursula Sladek ist diese Zeit doppelt belastend: Tagsüber die Kinder, abends die Treffen der Stromrebellen - und nachts dann die eigenen Zweifel. O-Ton 29 Ursula Sladek Ich war manchmal einfach körperlich so kaputt. Vor allem bei dem zweiten Bürgerentscheid, wo wir uns ja alle abends immer von der Gruppe hier getroffen haben. Dann hat man sich gegenseitig getröstet, wieder aufgerichtet, motiviert. Wie auch immer. Aber das dauerte dann manchmal nachts bis um zwei, drei und morgens um sieben musste ich wieder aufstehen, weil die Kinder in die Schule mussten. Da saß ich manchmal auf meiner Bettkante und habe gedacht: Warum tue ich mir das eigentlich an? (655, 39.05) Autorin Sie tun es noch immer. Beide. Und mit vollem Einsatz. Stellt sich die Frage, woher Ursula und Michael Sladek ihre ganze Kraft nehmen. Woher ihr Pioniergeist stammt. Ist er Teil der badischen Mentalität? Oder liegt das Geheimnis in der Lebensgeschichte der beiden verborgen? Ursula und Michael Sladek sind beide Jahrgang 46, kennen und schätzen lernen sie sich in der elften Klasse des Gymnasiums im schwäbischen Backnang. Er will da noch Papst werden, sie Jura studieren. Er legt sich gerne mit den Lehrern an, sie langweilt sich im Unterricht. Michael Sladek erinnert sich, dass es in ihrer Familie immer freier zuging. Ursula Sladek erzählt, dass es dafür in seiner Familie sehr viel harmonischer war als bei ihr zu Hause. Kurz vor dem Abitur fahren sie mit der Klasse nach Berlin, nach der Disco finden sie die Jugendherberge nicht mehr wieder, 1966 ist das. Seitdem sind die beiden ein Paar. O-Ton 30 Ursula Sladek Jeder hat im anderen etwas gefunden, was er selbst vielleicht nicht hatte oder zuhause nicht hatte. Ich glaube, das war vielleicht so ein Grund, warum man sich überhaupt näher miteinander beschäftigt hat. (653, 9.08 - Stimme oben) Autorin Und ganz wichtig, ergänzt Ursula Sladek später noch: Er hat mich immer zum Lachen gebracht. MUSIK 4 Atmo 17 Straße vor EWS Autorin Heute beliefern die Elektrizitätswerke Schönau nicht nur die eigenen Bürger, sondern bundesweit 133.000 Kunden mit atomfreiem Strom. Das Unternehmen steuert auf die 100 Millionen Euro Umsatz zu und räumt regelmäßig Preise ab für seine ökologische Energieversorgung. Mittlerweile unterstützen die Schönauer auch andere Gemeinden dabei, ihre eigene, dezentrale Energiewende einzuleiten. Stuttgart zum Beispiel. Über die genauen Bedingungen wird gerade hinter verschlossener Tür verhandelt. Atmo 18 Vögel im Hof der EWS Autorin Sebastian Sladek kommt kurz auf den Hof, um sich eine Zigarette anzuzünden. Seit 2008 arbeitet der 34-Jährige Sohn im Unternehmen, dafür hat er seine Karriere als Kabarettist erstmal auf Eis gelegt. Vor kurzem hat er ein altes Bauernhaus im Ort erstanden, von dessen Terrasse aus seine beiden kleinen Töchter das Giebelfenster im Dachboden der Großeltern sehen können. Auch sein jüngerer Bruder ist bei den EWS beschäftigt, die anderen drei Geschwister dagegen leben nicht mehr in Schönau. Keines der Kinder, erzählt Sebastian Sladek, hat das Engagement der Eltern je in Frage gestellt - auch wenn es das Familienleben ganz schön beeinflusst hat. O-Ton 31 Sebastian Sladek In meiner Erinnerung kommen Sie halt aus der Schule heim und da sitzen jeden Tag fremde und andere Leute am Mittagessentisch. Ständig haben irgendwelche Leute bei uns übernachtet. Dann musst du nachts auf die Toilette und da sitzt ein fremder Mann. Oder man wird nachts geweckt und aufgefordert, sein Zimmer zu räumen und zu einem seiner Brüder zu gehen, weil das Bett gebraucht wird. Das hat teilweise schon genervt. (666, 14.29) Autorin Und doch haben die Kinder der Sladeks nie rebelliert gegen ihre Eltern - nicht in der Pubertät, und auch nicht später, sagt Sebastian Sladek. O-Ton 32 Sebastian Sladek Anfeindungen in Schönau, die haben die Familie eher zusammengeschweißt. Und in den Schönauer Wirtshäusern sitzen dann Leute am Stammtisch, die kennst du gar nicht und die sagen dir vollkommen unvermittelt: Na, dein Vater hat auch nur Scheiße im Hirn. Zum Beispiel. (666, 16.12) Autorin Etwas kritisch sieht er die große Begeisterungsfähigkeit seines Vaters. Vielleicht, weil Sebastian Sladek - wie seine Mutter - mehr ins operative Tagesgeschäft eingebunden ist. Aber auch vom Typ her ähnelt er ihr: Besonnen, ausdauernd und prinzipientreu wirkt er. Dabei aber nicht humorlos. O-Ton 33 Sebastian Sladek Also mein Vater macht viel Überzeugungsarbeit. Der ist jemand, der andere Menschen sehr gut begeistern kann für seine Ideen. (666, 0.07) Der zieht immer los - und es ist auch hier im Haus oft ein leichtes Zittern: Was hat der wieder für Ideen, was schleppt er für Projekte an? Er ist ein bisschen wie ein Großwildjäger, der abends nach Hause kommt und sagt: Ich habe da hinten einen Elefanten erlegt, geht mal raus und tragt ihn heim. (666, 0.55) (Und tragen Sie mit?) Es bleibt mir ja nicht anderes übrig. Oft ist es einfach so: Wir haben den Elefanten gerade mal halb heimgetragen, da kommt er und hat da hinten schon wieder einen erlegt. (666, 1.20) Autorin Susanna Zäh, die langjährige Freundin der Familie, muss lachen über diesen Vergleich. Sie kann sich noch gut daran erinnern, wie Michael Sladek immer wieder Leute dafür begeistern konnte, der EWS ehrenamtlich beim Eintüten von Prospekten unter die Arme zu greifen. Dann saßen die Menschen hier im Hof, falteten Infobroschüren, tauschten sich aus über die Neuigkeiten im Ort - und ab und zu kam der Herr Doktor und setzte sich dazu. O-Ton 34 Susanna Zäh Das Gespür hat er halt absolut: Leute zusammenzubringen. Und er kann auch sehr gut zuhören. Ich sehe die Leute förmlich vor mir. Einer wollte ihm halt von seinem Husten erzählen, der andere, was er gekocht hat. Und da kann er mitlachen. Ja, er hat so was Verbindendes. Weil er kann sich auch in Leute reinversetzen. (643, 26.50) Autorin Natürlich gibt es Mitarbeiter, erzählt Susanna Zäh, die bewusst ihn oder gezielt sie abpassen für ein Gespräch. O-Ton 35 Susanna Zäh Die Ursula ist vielleicht der ruhigere Typ, der überlegtere. Der Michael ist mehr so wie ich, so ein bisschen impulsiv. Insofern sind sie schon grundverschieden, aber auch wieder diese Übereinstimmung als Paar: Eben dieses Sich-aufeinander-verlassen. Da machst jetzt DU, weil ich denke, da wirkst du besser nach außen und das übernehme ich dann dafür, das du den Rücken frei hast. Ich erlebe kaum ein Paar, wo das so funktioniert. Vielleicht sogar nonverbal, gell? (632, 9.25) Autorin Sebastian Sladek schüttelt den Kopf, während er seine Zigarette ausdrückt. O-Ton 36 Sebastian Sladek Es ist nicht so, dass sie aus strategischen Gründen irgendwelche Rollen spielen. Die sind halt einfach so. Der eine ist so, der andere so - und das passt halt ganz gut zusammen. Aber da ist keine Strategie dahinter. (666, 4.50) Autorin Ob geplant oder nicht, meint Susi Zäh - auf jeden Fall sind sie immer gemeinsam gegen den Strom geschwommen. O-Ton 37 Susanna Zäh Das sind zwei ganz besondere Menschen, die sich da getroffen haben. Sie haben sich ja in der Schule kennengelernt. Und eben dieses Glück, dass sie auch trotz allen Widrigkeiten immer zusammengehalten haben. Dass sie sich gegenseitig aufeinander verlassen können. Und das können sie. Und das gibt einem schon Lebenspower. (632, 8.50) MUSIK 5 Atmo 19 Vögel zwitschern Autorin Der Luftkurort Schönau liegt im Oberen Wiesental, umschlossen von den bewaldeten Berghängen des Schwarzwalds. Besonders beliebt bei den Touristen ist der Feldberg, die Schönauer nennen ihn auch Trubelberg. Wenn sie auftanken wollen, steigen sie lieber auf den Belchen - mit seinem Panoramablick in 1.415 Metern Höhe. Dort oben ist es nicht so voll, seitdem der Berg wieder autofrei ist. Früher drängelte sich hier am Wochenende oft eine Blechlawine die Steilkurven hoch, seit 2001 aber kann man nur noch zu Fuß rauf und runter. Oder mit der Seilbahn. Atmo 20 Karten kaufen Autorin Michael Sladek kauft drei Tickets - für sich, seine Frau und die langjährige Freundin Susanna Zäh. Ein freier Tag? Mehr ein Betriebsausflug. Den Strom für die Seilbahn liefern nämlich die Elektrizitätswerke Schönau. Und die Sladeks sind als Gesellschafter an der Bahn beteiligt. Wie das nun wieder kam? Auch hier sind die Stromrebellen dem Monopolisten KWR, also den Kraftübertragungswerken Rheinfelden, in die Parade gefahren. Atmo 21 in Gondel einsteigen O-Ton 38 Ursula und Michael Sladek (er lacht) Möchtest Du es erzählen? - Ist egal. - An der Bahn wollten sich die KWR auch beteiligen. Und dann haben wir gesagt: Nein, das kann ja überhaupt nicht sein. An unserer Bahn, dass sich da die KWR beteiligt. Ein Atomstromunternehmen. (658, 3.24) - Wir sind privat auch an der Bahn beteiligt, weil ich das vernünftig finde, die Mobilität auch ein Stück weit zu verändern. Ich habe viele Leute auch überzeugen können, Gesellschafter zu werden an der Bahn. Und dann hatte ich natürlich eine gewisse Position insofern, dass ich gesagt habe: Also wenn irgendeiner von den Atommultis hier beteiligt ist, dann kann ich nicht beteiligt sein. Ich gehe wieder raus und ich werde die anderen auch alle informieren darüber. (658, 4.20 - Stimme oben) - Also da waren sie wirklich stinkesauer. (658, 4.18) Atmo 22 in Gondel Autorin Um das fehlende Geld aufzutreiben, fuhren sie kurzerhand zu einem befreundeten Schokoladenfabrikanten nach Waldenbuch. Auch dem Leben von Alfred Ritter hat Tschernobyl eine entscheidende Wende gegeben: Fast eine komplette Ernte Haselnüsse aus der Türkei hatte er damals vernichten lassen müssen, weil sie verstrahlt war. Seitdem setzt sich der Schokoladenfabrikant auch für erneuerbare Energien ein. Auf Bitte der Sladeks legt er kurzerhand 250.000 DM für die Seilbahn auf den Tisch. So schmücken die Gondeln heute riesige Schokowerbetafeln. Vor allem aber fährt die Seilbahn atomstromlos. O-Ton 39 Michael und Ursula Sladek Ich habe dann intern mal einen Brief gesehen von der KWR, die sich da bitter beklagt hat. - Über Dr. Sladek und seine Machenschaften! (lachen) (658, 5.50) Autorin Wieder so ein gelungener Schachzug aus dem Hause Sladek. David gegen Goliath in Hochform. Und eine kleine, große Genugtuung für Ursula und Michael Sladek - nach all den Jahren der Ohnmacht im Kampf gegen den Strommonopolisten. O-Ton 40 Michael Sladek Zu sehen, die Arroganz der Macht, hat mich teilweise wahnsinnig motiviert. Dass ich gesagt habe: Das kann nicht sein, dass die das Sagen haben, obwohl das alles vollkommen daneben ist. Und die meinen, aufgrund ihrer Machtstruktur könnten sie mit uns umgehen, wie sie wollen. Und da habe ich dann immer diese Vorstellung von einem Dinosaurier, den man mit der Nadel an der richtigen Stelle auch mal reizen kann. Und das ist eine tolle Vorstellung. (655, 42.43) O-Ton 41 Ursula Sladek Das eint uns auf alle Fälle. Ganz klar. Und ich glaube, die unheiligen Motivationen sogar noch mehr als die heiligen. (lacht) Weil man kriegt ja auch eine wahnsinnige Wut - also ich kriege sie und du kriegst sie auch - wenn man sieht, wie die Mächtigen aufgrund ihrer Marktmacht, aufgrund ihrer finanziellen Macht einfach denken, sie können machen, was sie wollen. Dann ist es natürlich eine tolle Sache, wenn man ihnen zeigt, auch eure Macht hat Grenzen. (655, 43.25) Autorin Der Widerstand hat eine lange Tradition im Badischen. Denn zur Geschichte dieser Region gehörte immer auch eine Portion Aufmüpfigkeit. Angefangen mit den Salpetereraufständen im Hotzenwald bis zu den Protesten gegen Atomkraft. Die waren nirgends in Europa so erfolgreich wie hier. In Breisach am Rhein stoppte das Badenwerk im Juli 1973 seine Pläne zum Bau eines Atommeilers, nachdem die Bevölkerung sich vehement dagegen gewehrt hatte. Auch in Wyhl am Kaiserstuhl ketteten sich 1975 Tausende von Bürger an den Bauzaun. Der Bau des Atomreaktors in Schwörstadt am Hochrhein wurde gleich abgeblasen, ebenso der Bau einer Brennelementefabrik in Heitersheim. So blieb Südbaden verschont von Atomanlagen. O-Ton 42 Michael Sladek Also man fragt sich ja: Warum Schönau? Wenn ich mal für mich überlege warum kommt dieser Widerstandgedanke gerade hier? Dann hat das sehr viel mit diesem Erleben der Kälte von Macht zu tun. Man liest das zwar in Zeitungen, aber hier war ich jetzt direkt persönlich betroffen. (656, 0.03) Und die Vision war klar: Wir wollen eine atomfreie Zukunft haben. (654, 21.20 - Stimme oben) O-Ton 43 Ursula Sladek Wir waren so davon beseelt, dass etwas geändert werden muss, dass wir gar nicht mehr anders konnten. (654, 18.44) Atmo 23 aussteigen Autorin Oben angekommen. Vom Gipfel des Belchen aus reicht der Blick über den südlichen Schwarzwald bis hin zu den Bergketten der Alpen. Die Natur ihrer Heimat gibt Ursula und Michael Sladek Kraft für die Mühen der Ebene. Noch wichtiger aber: Den Gegner genau im Blick behalten. O-Ton 44 Michael Sladek Und wenn Sie da genau gucken, dann sehen Sie eine Erhebung von Wolken. Und dann sind Sie in Leibstadt. Und Sie können genau ausmachen, wo in der Schweiz überall die Atomkraftwerke sind. Und dann weiß ich, wo meine Feindbilder sind. Also um mich zu motivieren, muss ich nur hier rauf gehen und sehe dann die total tolle Landschaft, dahinter die ganze Alpenkette. Das ist richtig schön. (658, 9.36) SpvD Gegen den Strom - Schönau im Schwarzwald. Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt von Stefanie Müller-Frank. Sprecher: Ton: Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2012 Manuskript und eine Online-Version der Sendung finden Sie im Internet unter dradio.de 1 1