COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur / Die Reportage Titel: Die Wegelagerer - Nokia zieht aus Rumänien ab Autor: Thomas Wagner ---------------------------------------------------------------------------------------------------- Script: Atmo1: D 2 / 11 - 0'03 "Ping-Ping-Ping - akustischer Zug-Warnung" Sprechertext 1: Warten auf den Zug. Das Rotlicht imd Andreaskreuz blinkt, dazu tönt aus einem Lautsprecher ein monotones Warngeräusch. Der Bahnübergang liegt direkt neben der gut ausgebauten Europastraße 576, die von der rumänischen Stadt Cluj-Napoca nach Norden führt, Richtung Waldkarpaten. Atmo 2: D 2 / 12 - 0'6 Sprechertext 2: Gemütlich tuckert ein Personenzug vorbei; die grünlich-grauen Waggons haben viele Beulen und Kratzer. Hinter den Gleisen stehen zwei rumänische Ortsschilder: "Jucu" steht auf einem, und, in einem deutlich größeren Schriftzug, "Nokia - Tetarom 3" auf dem anderen. Atmo 3: D 2 / 15 - 0'19 "Fahratmo" Sprechertext 3: Die Zufahrt zum Industriepark 'Tetarom 3' ist neu asphaltiert und so breit, dass zwei Riesen-LKW mühelos nebeneinander fahren könnten. Es ist aber kaum ein Auto unterwegs. In der Ferne taucht ein riesiger, silbrig-blauer Flachdachbau auf. Erst beim Näherkommen schält sich die Struktur heraus: Drei ineinander verschachtelte dunkelblau-metallische Fabrikhallen. Eher dezent der Schriftzug unterm Dach: Nokia. Atmo 4: D 1 / 23 - 0'16 "Stimmengewirr/erregte Gespräche auf dem Parkplatz" Sprechertext 4: Später Nachmittag, kurz nach 16 Uhr: Auf dem riesigen Parkplatz vor dem Nokia-Werk stehen rund 20weiße Reisebusse mit geöffneten Türen. Und das, obwohl die Produktion seit Anfang Dezember stillsteht. O-Ton 1:D 1 / 19 - 0'20 "Majoritate merg la cursului.........." Overvoice 1 / männlich: "Die meisten nehmen an den Umschulungskursen teil, die sie hier jetzt anbieten, ja hier direkt in der Fabrik. Manche lernen Koch, Kellner, andere pauken Englisch oder machen einen Computerkurs. Und ein paar wenige arbeiten noch: Sie bauen die Produktionsbänder ab, die Maschinen, ja die ganze Ausrüstung hier im Werk." Atmo 5: D 1 / 23-0'40 "Stimmengewirr" Sprechertext 5: Octavian, ein junger Mann Mitte 20, trägt einen dicken Pullover und Lederjacke. Wie alle anderen rund 2000 Mitarbeiter, bekommt er bis einschließlich Ende März sein reguläres Gehalt zuzüglich drei Monatslöhne als Abfindung. Dann ist endgültig Schluss. O-Ton 2: D 1 - 19'55/ 19'233 "Are cum e tragedic..........ce mai mults!") Overvoice 2 / männlich: "Für uns ist das wirklich eine Tragödie. Ich hatte hier einen sehr guten Arbeitsplatz. Und der geht jetzt futsch. In Zukunft, glaube ich, wird es sehr schwierig werden, in dieser Region wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Das bedeutet: Schlimme Zeiten für die meisten hier!" Atmo 6: D 1 - 24'04 "Abfahrende Busse" Sprechertext 6: Die ersten Busse fahren los; unter den Frauen und Männern auf dem Parkplatz wird es zunehmend hektischer. Alle halten ein blaues Paket in der Hand. O-Ton 3: D 1 - 20'017 "Un telefon, Nokia 500...." Overvoice 3 / männlich: "Das ist ein Telefon, ein Nokia 500. Das hat man uns heute als Abschiedsgeschenk überreicht. Aber ich muss jetzt gehen. Der Bus fährt gleich....." Atmo 7: D 1 - 24 - 10 "Abfahrende Busse II" Sprechertext 7: Als der junge Mann das Mikrofon sieht, reagiert er mit einer abwehrenden Handbewegung. Wie viele seiner Kollegen hat er Angst, zu viel über die Schließung des Nokia-Werkes zu sagen. Und die Geschäftsleitung von Nokia Rumänien sagt, sie hätte keine Zeit für eine Stellungnahme. Die 31jährige Cornelia, die in der Menschentraube vor den Bussen steht, hat dagegen sehr wohl etwas zu sagen: Sie trägt ihre blonden Haare zum Zopf geflochten, hat die Hände erregt zur Faust geballt: O-Ton 4: D 1 / 26 - 0'35 / 0'52 "Nu, nu este de loc suffizient......." Overvoice 4 / weiblich: "Das, was sie uns da als Abfindung angeboten haben, das reicht ja hinten und vorne nicht aus. Und unsere geschätzten Gewerkschafter - die haben sofort klein beigegeben. Na, wahrscheinlich haben sie dafür genügend Geld in ihre eigene Taschen gesteckt. Was haben die Gewerkschaften denn für uns getan? Nichts, so gut wie nichts! Naja, jetzt mache ich einen Computerkurs, um mich weiter zu qualifizieren. Ich glaube, da finde ich wieder einen Job; es gibt ja genügend hier. Und ich bin ja noch jung." Atmo 8: D 1 / 30 - 0'16 "Atmo Dorfkneipe Jucu" Sprechertext 8: Schon einige Kilometer hinter dem Firmengelände geht die breite, gut ausgebaute Zufahrtstraße in eine Schlaglochpiste über. Pferdefuhrwerke traben gemütlich hinter alten, halb verrosteten Autos her. Im Zentrum der Gemeinde Jucu treffen sich nach Feierabend einige der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der kleinen Dorfkneipe. An kalten Metalltischen sitzen unrasierte Männer vor Flaschenbier und Cognac, tragen Käppis und Zipfelmützen. Die 23jährige Kellnerin Danuta wird beim Thema ,Nokia' energisch: O-Ton 5: D 1 31 - 0'37 "De simte.........in Asia." Over-Voice 5 / weiblich: "Se simte... "Das merken wir natürlich überall, hier in der Bar, aber auch im Ort. Wir verkaufen hier längst nicht mehr so viel. Die Leute haben deutlich weniger Geld zum Ausgeben übrig. Mein Schwager hat bei Nokia gearbeitet und sucht jetzt auch einen Job. Naja, die Arbeitskräfte in Asien sind halt billiger als bei uns." Atmo 9: D 2 - 3 - 0'19 "Kneippenatmo, beginnend mit 'Nokia....... Sprecher 9: Bis zu 5000 Menschen sollten nach den ursprünglichen Plänen bei Nokia in Jucu einen Job finden. Aber eigentlich, meint Marianne Oprien, eine resolute Frau Anfang 50, hätten nicht die Mitarbeiter, sondern ganz andere von der neuen Fabrik profitiert: O-Ton 6: D 1 32 - 0'18 "Nokia a fost ..... Overvoice 6 / weiblich: "Also Nokia war ja mal in erster Linie hilfreich für eine Menge von Leuten, die den Braten rechtzeitig gerochen haben. Die haben damals erfahren, wo das Werk gebaut werden soll und haben sich dann die Grundstücke unter den Nagel gerissen und danach mit fantastischen Gewinnspannen wieder verkauft. Und bei der ganzen Diskussion über die Auswirkung der Schließung vergisst man allzu leicht die Zulieferer. Die Mitarbeiter dort sind jetzt ja genauso die Dummen: Also da sind nicht nur 2200 Menschen bei Nokia direkt betroffen, sondern insgesamt etwa 4800." Atmo 10: D2 - 0'08 Atmo neu Dorfkneipe Sprecher 10: Für einen kurzen Augenblick blickt sie nachdenklich in die Runde. Schimpft dann weiter und zeigt dabei mit dem Zeigefinger nach oben, wie ein Politiker bei einer Wahlkampfrede. O-Ton 7: D 1 32 - 2'30 "Pe linga primit.....". Overvoice 7 / weiblich: "Immerhin hat Nokia das Gelände für seine Fabrik fast umsonst bekommen, über 60 Hektar. Und jetzt sagen sie ganz einfach: Der Gewinn stimmt nicht mehr - und hauen ab. Also das ist alles andere als korrekt. Aber die Rumänen sind auch selber Schuld an dem Dilemma. Sie haben keine Klauseln in den Vertrag eingebaut, wie das zuvor die Deutschen mit Nokia gemacht haben, und wo 'drinsteht, und wo sie bei der Schließung des Werkes langjährigen Mitarbeitern bis zu 80 Monatsgehälter Abfindung zahlen mussten. Und bei uns? Da speist man die Leute pauschal mit drei Monatsgehältern ab" Atmo 11: D 2 - 5 -0'36 - Dorfkneippe Sprecher 11: Einige Männer und Frauen an den Nebentischen nicken, stimmen ihr zu. Bei Nokia, grummelt einer, haben die Arbeiter im Schnitt nur rund 240 Euro pro Monat bekommen, also deutlich weniger als in Deutschland. Ein anderer in der Runde, ein stämmiger, junger Mann - hält sich auffallend zurück. Florin hat selbst im Werk als Techniker gearbeitet. O-Ton 8: D 2 - 6'35/6-4'39/5'47/ "Ja iel perdut piazza...." Overvoice 8 / männlich: "Soweit ich weiß, haben sie einfach Managementfehler gemacht und dabei erheblich an Marktanteilen verloren. Andere Firmen haben viel schneller neue Handys auf den Markt gebracht, zum Beispiel die Smartphones, die viel mehr Funktionen haben wie die Modelle von Nokia, die wir hier in Rumänien gefertigt haben. Ok, die Gewerkschaften haben als Abfindung drei Monatslöhne ausgehandelt. Und wir haben zum Abschied noch zwei Telefone bekommen. Also ich finde, das war großzügig. Denn die Firma gab's hier ja nur vier Jahre lang." Atmo 12: D 2 - 5'055 Sprecher 12: Florin lehnt sich entspannt zurück, nippt an seinem Bier. So sieht keiner aus, der sich Sorgen macht. Für ihn gibt es ein Leben nach Nokia, er hat seine Zukunft bereits geplant - weit weg von dem kleinen Jucu. O-Ton 9: D 2 - 6 - 10'21/ "Am stat 11 ans in Irlanda....toats a fost assigurat." Overvoice 9/männlich: "Ich geh' zurück nach Irland. Ich hab da ja schon elf Jahre lang gelebt, in Dublin. Ein Großteil meiner Familie ist dort, meine Schwester, meine Mutter. Ich bin zurückgekommen, weil unsere Familie hier in Jucu ein Haus hat. Und ich wollte einfach versuchen, mir in meiner rumänischen Heimat eine Existenz aufzubauen. Aber jetzt ist es eben anders gekommen. ((Ich weiß, viele Rumänen sind ins Ausland gegangen. Aber verstehen Sie bitte: Für viele Menschen ist die Situation im Land sehr schlimm. Und deshalb gehen sie fort.)) Mit Nokia hat es jetzt eben nicht geklappt. Ich muss aber sagen: Das war eine seriöse Firma. Sie haben uns immer pünktlich bezahlt. Sie haben uns zusätzliche Essensmarken gegeben und für den Transport der Mitarbeiter nachhause gesorgt. Alles war gewährleistet." Atmo 13: D 3 - 8-0'08 "Die Architekten arbeiten an den Plänen, und nächste Woche werden wir einen gemeinsamen Termin mit dem Arbeitgeber haben. Da heißt, wir kommen dann weiter...." + Blende Atmo 21: B 3 - 6 - 0'07 "Atmo Büro Thol" Sprecher 13: Rund 20 Kilometer von dem mittelalterlich anmutenden Jucu entfernt, in der pulsierenden rumänischen Großstadt Cluj-Napoca, in einem nüchternen Konferenzraum. Der deutsche Geschäftsmann Ludger Thol bespricht sich mit einem Mitarbeiter. Thol lebt seit acht Jahren in Cluj-Napoca und arbeitet in der Projektentwicklung für ausländische Investoren, die neu nach Rumänien kommen - vom ersten Kontakt mit den Behörden über das Einreichen eines Bauantrages bis zur Konzeption eines Fabrik-Neubaus. Das ist ein gutes Geschäft; derzeit planen Thol und seine Mitarbeiter gleich vier Neuansiedlungen. Vielleicht fällt es ihm deshalb leicht, den Fall Nokia abzuhaken. Die Belegschaft jedenfalls, sagt er, braucht sich keine Sorgen machen. O-Ton 10: B 3 - 3-10'25 "Die führenden Leute kriegen alle sofort eine Stelle. Und die aus der Produktion sicher auch irgendwie schnell, weil gerade jetzt in letzter Zeit haben die Diskrepanz: Nokia geht - aber viele andere Firmen haben Interesse an Cluj gezeigt und werden auch kommen, auch in das Industriegebiet in Jucu." Atmo 14: D 3 - 6 - 0'07 Büro Thol Sprecher 14: Thol arbeitet seit acht Jahren in Rumänien - und steht seit einem Jahr auch dem Deutschen Wirtschaftsclub in Nord-Siebenbürgen vor. An der Wand hinter ihm hängt ein Schild mit dem rumänischen Satz: "Nu merge nu exista - zu deutsch: Geht nicht, gibt's nicht!" O-Ton 11: B 3 3 - 17'27 "Also da gibt es mehrere Aspekte: Cluj ist sehr gut angebunden über seinen Flughafen an deutsche Städte. Es gibt sehr viele Direktflüge. Cluj hat sehr bedeutende Universitäten, hat über 100 000 Studenten. Die deutschsprachigen Studenten, die dort Wirtschaftswissenschaften studieren oder eine technische Ausbildung haben, werden meist vor Abschluss des Studiums schon angeworben von den Firmen. Und das wissen auch die Mitgliedsfirmen zu schätzen." Atmo 15 :D3 - 6'030 Atmo Büro Thol II Sprecher 15: Ludger Thol lehnt sich entspannt zurück. Die Entscheidung, nach Rumänien zu kommen, hat er keine Sekunde bereut. Wegen der Aufbruchstimmung im Land. Dass Unternehmen Menschen Arbeit versprechen und dann, nach ein paar Jahren, einfach weiterziehen dorthin, wo sie noch billigere Arbeitskräfte bekommen - diese Wegelagerer- Mentalität kann er bei Nokia nicht erkennen. O-Ton 11: D 3 - 3-9'14 "Ich glaube, die Argumentation war ziemlich falsch, dass Nokia als eine Investitionsheuschrecke nach Rumänien kam mit dem Hintergedanken, das Geld abzukassieren und wieder zu gehen. Ich sehe da eher Managementfehler: Nokia hat den technischen Anschluss verloren; Samsung ist beispielsweise viel weiter. Und nachdem Nokia ein halbes Jahr, bevor es das Werk ganz geschlossen hat, die Entwicklungsabteilung aufgegeben hat hier in Cluj und 120 Entwicklungsingenieure entlassen hat, hätte man sich Gedanken machen müssen: Wie geht's weiter? Wenn ein Unternehmen nämlich das Kerngeschäft aufgibt, die Entwicklung, dann folgt irgendwann das Ende der Firma." Atmo 16 D 3 - 10 - 0'06 "Straßenatmo Cluj; Werbespots aus den Lautsprechern" Sprecher 16: Vor dem Ausgang des Bürogebäudes, im Stadtzentrum, beschallen Lautsprecher die Passanten mit vorweihnachtlichen Werbespots. Meist gut gekleidete Frauen und Männern laufen mit prall gefüllten Einkaufstaschen an den sorgsam sanierten Fassaden der alten romanischen Häuser entlang. Atmo 17: D 1 12 - 0´07 / 14 - 0`00 "Ok, vrau un chai peppermint ..." Sprecher 17: Tonis Pub liegt rund zehn Gehminuten vom quirrligen Stadtzentrum entfernt. Ein junger, sportlich gekleideter Mann bestellt einen Pfefferminz- Tee. Zwischen dunklen Holztischen steht eine alte Nähmaschine als Dekoration. Bogdan Rosca mag es hier, kommt gern hierher. Er arbeitet als Redakteur beim öffentlich-rechtlichen Sender "Radio Cluj". Über das Kommen und Gehen von Nokia hat er häufig berichtet. Dass sich die Aufregung in Jucu wegen der Werkschließung in Grenzen gehalten hat, überrascht ihn nicht. O-Ton 12: D 1 13 - 5'21 "Primo Rind......." Overvoice 10/ männlich: "Wir haben eine unglaubliche Duldsamkeit. Manchmal glaube ich, man kann mit uns wirklich alles machen. Und im Gegenzug haben wir aber auch kein Vertrauen mehr in die Gewerkschaften, in den Staat. Uns Rumänien fehlt es an der Bereitschaft, uns einzumischen. Sehen Sie, ich habe ein Interview geführt mit einem Gewerkschaftsführer, der angeblich die Interessen der Nokia-Mitarbeiter vertreten hat, und zwar gleich kurz nachdem die Schließungspläne bekanntgeworden sind. Und ich habe ihn gefragt: Was tut Ihr nur für die Arbeiter, die ihren Job verlieren werden? Für was kämpft Ihr, für was setzt Ihr Euch ein? Und die Antwort war zunächst: Schweigen. Ein Gewerkschaftsführer, der auf solche Fragen keine Antworten parat hält - ja was soll man davon halten? Und was soll man da erst von den einfachen Leuten erwarten?" Atmo 16: D 1 16 - 0'35 Atmo Tonis Pub II Sprecher 18: Nachdenklich nippt Rosca an seinem Tee, zupft sich den Schal zu recht. Für ihn und die meisten Journalisten vor Ort ist der Fall Nokia kein Aufreger mehr. Da gibt es spannendere Geschichten. O-Ton 13: D 1 - 13 - 16'08 "De arrestare din primaru......." Overvoice 11/männlich: "Derzeit dreht sich alles um die Verhaftung unseres Bürgermeisters. Es geht um Korruption. Die Anti-Korruptionsbehörde Rumäniens wirft ihm vor, Geld von Firmen angenommen haben, die im Gegenzug Bauaufträge von der Stadt erhalten haben. Konkret lief das so ab, dass die Frau unseres Bürgermeisters Anwältin ist und genau mit denjenigen Firmen Beraterverträge abgeschlossen hat. Die Summe der Gelder, die der Bürgermeister kassiert haben soll, liegt immerhin bei satten 90 000 Euro." Atmo 17: D 1 14'05 Atmo Tonis Pub 3 Sprecher 19: Auch, dass Nokia angeblich zehn Millionen Euro an Einfuhrzöllen unterschlagen haben soll und deshalb kurz vor der Schließung noch eine Razzia im Werk angeordnet wurde, hat den Bürgermeister und die gegen ihn gerichteten Korruptionsvorwürfe nicht von Platz 1 der Nachrichten verdrängt. ((Bogdan Rosca muss unwillkürlich lächeln. O-Ton 14: D1 - 15 - 3'05 "...Modu nostru de reacitionar....." Over-Voice 12 / männlich: "Sehen Sie, dass ist unsere typisch rumänische Art, zu reagieren: Erinnern Sie sich doch an jene schöne Geschichte vor ein paar Monaten, als Holland und Finnland mit ihrem Veto den geplanten Beitritt Rumäniens zum Schengener Abkommen blockierten. Da hatten wir nichts Besseres zu tun, als unter fadenscheinigen Gründen an der Grenze einen holländischen Lastzug mit Blumen festzuhalten. Das ist eine Reaktion so nach dem Schema 'Beleidigte Leberwurst spielen.' Es ging bei der Zoll-Razzia um eine Summe von 10 Millionen Euro, die Nokia angeblich nicht bezahlt hat. Und wir reden hier nicht über die Einfuhr von Waren von gestern. Wenn da wirklich was dran ist, wissen das unsere Behörden ja schon seit längerem. Warum haben Sie nicht gleich entsprechend reagiert? Also ich glaube, wenn Nokia nicht bekannt gegeben hätte, seine Fabrik zu schließen, hätte es keine Razzia gegeben. Dann wäre überhaupt nichts passiert.")) Atmo 18: D1 3 -1'31 "Atmo Gesang Kathedrale Piazza Avran Iancu Cluj- Napoca" Sprecher 20: Die "Piazza Avram Iancu" ist einer der zentralen Plätze im Zentrum von Cluj-Napoca: Aus der großen Kathedrale auf der einen Seite hallt der Gesang eines orthodoxen Chores über den Platz, der gesäumt ist von Grünpflanzen und Zierbäumchen. Schräg gegenüber die Strada Erolilor, die 'Heldenstraße': Hübsche kleine Boutiquen, Cafés und Restaurants. In einem Hinterhof-Haus hat die regionale Filiale des rumänischen Gewerkschaftsbundes Cartel Alfa ihren Sitz. Wo, wenn nicht hier, muss der Kämpfer für die Interessen der über 2000 gekündigten Nokia-Mitarbeiter sitzen?! Valentin Ilcas ist hauptberuflicher Vize-Präsident im Kreis Cluj-Napoca. In seinem korrekt anliegenden dunklen Anzug könnte er allerdings auch als Geschäftsführer eines Unternehmens durchgehen. In der Vergangenheit musste der grauhaarige, etwa 50 Jahre alte Gewerkschaftsfunktionär viel Kritik einstecken, wegen der geringen Abfindungen für die Nokia-Beschäftigten. In Deutschland, so bekam er zu hören, hätten die Gewerkschaften mit viel härteren Bandagen für ihre Mitglieder gekämpft. O-Ton 15: D 1 - 9-7'19 "Dac in Germania Veccime a fost mare...." Over-Voice 13 / männlich: "Ich weiß schon...in Deutschland sind die Abfindungen deutlich üppiger ausgefallen. Aber das Nokia-Werk dort gab es ja auch um die 40 Jahre lang; das müssen Sie berücksichtigen. Und in Rumänien waren es wenig mehr als vier Jahre. Und dann ist es in Rumänien grundsätzlich so, dass mehr als drei bis maximal acht Gehälter als Abfindung prinzipiell nicht drin sind." Atmo 19: D 1 - 11'04 "Atmo Gewerkschaftszimmer" Sprecher 21: Dann ist es für ein paar Momente eigenartig still in dem Zimmer des Gewerkschaftsfunktionärs. Auch die zwei Handys auf dem Schreibtisch bleiben stumm. Genau wie der Projektentwickler Ludger Thol hat auch der Interessenvertreter der Arbeiter in der Handyfabrik den Fall Nokia längst abgehakt, jedenfalls spricht er darüber weitgehend emotionslos. Und wirbt sogar um Verständnis für die Entscheidung, das Werk zu schließen. O-Ton 16: D 1 - 9 - 13'40 "Sigur, evolutioe de piazza....." Over-Voice 14 / männlich: "Möglicherweise hat Nokia nicht rechtzeitig auf die Entwicklung des Handymarktes reagiert, die von der Entwicklung moderner Smartphones gekennzeichnet ist. Kann sein, dass da Nokia zu spät 'dran war. Naja, und die Situation, die wir jetzt haben, ist eben die unmittelbare Folge daraus. Nokia als Konzern erlitt erhebliche Marktverluste. Die Aktien sind an der Börse eingebrochen. Also kurzum: Das alles sind die Auswirkungen strategischer Entscheidungen, die die Nokia-Manager aber schon vor Jahren getroffen haben." Sprecher: Ilcas hat noch einen Termin, muss jetzt los. Atmo 20: D 2 - 20 - 0'15 "Avem ceva....." Sprecher 25: Nur ein paar Häuser weiter in der Strada Erolilor, in einem schmucklos eingerichtetem Kellerbüro: Mircea Abrudean, ein junger Mann Anfang 30, fragt seine Sekretärin nach Anrufen und Mails. Er ist hoffnungsvoller Nachwuchspolitiker der "Partidul Liberal Romaine", also der liberalen Partei Rumäniens, und hat es bereits zum stellvertretenden Kreisratspräsidenten gebracht. Kariertes Sporthemd, Jeans und Turnschuhe - Mircea Abrudean markiert eine neue, jugendliche Politiker-Generation in Rumänien, die schon mal gerne den alten Apparatschiks eins auswischt - vor allem dann, wenn diese politisch in anderen Parteien zuhause sind. Die Liberalen waren vor über vier Jahren maßgeblich bei der Nokia-Ansiedlung mit im Boot, sind aber bei den Wahlen 2008 aus der Regierung ausgeschieden. O-Ton 17: 18 - 3'12 "Terminal cargo a aerporto international...." Overvoice 15 / männlich: "Wir hatten damals zugesagt, ein eigenes Cargo-Terminal auf unserem internationalen Flughafen zu bauen. Und es gab die Zusage, eine Autobahn zu bauen, die Jucu direkt an die transsilvanische Autobahn angebunden hätte. Aber unsere Nachfolger haben die Infrastrukturprojekte einfach gestoppt. Ok, keine Frage - der Abzug von Nokia hat natürlich sehr viel mit der weltweiten Wirtschaftskrise zu tun. Aber vielleicht haben die nicht eingelösten Versprechungen da ja auch hineingespielt. Wir haben jedenfalls sehr viel verloren!" O-Ton 18: 18 - 0'20'54 "Pentru exemplu communa Jucur....." Overvoice 16 / männlich: "Nehmen wir zum Beispiel die Gemeinde Jucu: Die konnten sich pro Jahr durch das Nokia-Werk über rund 500 000 Euro zusätzliche Steuereinnahmen freuen. Und natürlich hat auch der gesamte Kreis Cluj von den Steuereinnahmen profitiert. Und wenn das wieder wegfällt, wird man wohl auf einige Projekte verzichten müssen." Sprecher 26: Welche zusätzlichen Projekte konnte Jucu in den vergangenen Jahren mit den Nokia-Steuern finanzieren? Und was muss jetzt, nach der Schließung der Fabrik, auf Eis gelegt werden? Atmo 21: D 3 - 13'26 "Buna zia domnu vizepimar.....+Blende" Sowohl der Bürgermeister selbst als auch sein Stellvertreter wollen darauf nicht antworten, wiederholen am Telefon gebetsmühlenartig: keine Zeit für Interviews. Atmo 22 - 0'29: Hahnenschrei - Atmo Jucu Sprecher 27: Zurück im Dorfzentrum von Jucu mit seinen Pferdefuhrwerken und halbverfallenen Häusern, mit seinen Schlaglochpisten. Im Ort sieht man nicht, in was die Steuer-Millionen von Nokia investiert worden sind. Nur das Bürgermeisteramt ist eine Baustelle und ringsrum von einem Gerüst umgeben. Das Gebäude erinnert eher an eine luxuriöse Villa als an einen Behördenbau. Atmo 22: D 2 - 10'019 "Musica Populare" Sprecher 27: In der Dorfkneipe, rund fünf Gehminuten vom Rathaus entfernt, klingt aus einer blechernen Musikbox "Musica Populare", rumänische Volksmusik. Die Stimmung ist ausgelassen; die Männer an den Metalltischen prosten sich mit ihren Bierflaschen zu. Einer fordert Danuta, die Bedienung, zum Tanzen auf. Nokia, der verlorene Job, die Suche nach einer neuen Arbeit - all das ist für den Moment weit weg. Mittlerweile hat sich auch rumgesprochen, dass neue Investoren draußen, im Industriepark Tetarom 3 neue Werke bauen wollen. Gleich neben dem von Nokia. (Aufblende Musica Pupulare)