COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport Wie werde ich Westfale? - Was ihn so anders als den Rheinländer macht - Autor Frank Überall Red. Claus-Stephan Rehfeld Sdg. 18.12.2012 - 13.07 Uhr Länge 18.38 Minuten Moderation "Es ist furchtbar, aber es geht" haben Kabarettisten über das Zusammenleben von Rheinländern und Westfalen im Bindestrich-Bundesland gesagt. Der sture Westfale steht dem locker-lebenslustigen Rheinländer gegenüber. Aber stimmt das Klischee? Wie leben Westfalen und was macht ihre Kultur aus, also anders als im Rheinland? Ach, wüssten wir es doch schon! Wir sind gespannt! Frank Überall ist auf Merkmalsuche gegangen. -folgt Script Beitrag- Script Beitrag AUT Als Rheinländer über die Westfalen berichten? Da muss ich erst mal den großen Sack voller Vorurteile ausschütten und unbefangen an die Sache heran gehen. Oder vielleicht auch gerade nicht. Mal sehen, wie die Westfalen so sind, als Gegenstand seriöser Berichterstattung, als Subjekte der gewissenhaften Analyse. Ob meine rheinisch geprägten Vorurteile stimmen oder nicht. Dass die Westfalen sturer sind, freudloser und viel, viel ruhiger. Also fahre ich nach Dortmund, zu Ulrich Sierau. Der Oberbürgermeister einer der wichtigsten Städte Westfalens wird er mir erklären können, was die Menschen dort ausmacht. E 01 (Sierau) "Ja, westfälisch ist Herzlichkeit, Erdverbundenheit, Bodenhaftung, ja? Wir leben näher an der aufgehenden Sonne als die Rheinländer, das heißt wir stehen früher auf und sind heller wach." AUT Ulrich Sierau muss es wissen, nicht nur als Stadt-Chef in Westfalen, sondern auch als geübter Rheinländer. Lange Zeit hat er in Düsseldorf gearbeitet, in einem Landesministerium. Wenn er da mit Rheinländern um die Häuser zog, machte er für ihn ungewohnte Erfahrungen: E 02 (Sierau) "Wenn man da so einen Abend verbracht hat, dachte man: Mensch, haste ja jetzt tolle neue Freunde gefunden. Traf man die dann am nächsten Tag auf der Straße, dann hatte man das Gefühl, die konnten sich nicht mehr so genau daran erinnern. Das habe ich dann erst mal mir selber zugeschrieben. Habe gesagt: Naja, also wahrscheinlich bist du doch so spannend für die nicht gewesen. Aber ich habe dann nachher von anderen gehört, dass die ähnliche Erfahrungen gemacht haben." AUT Die Rheinländer sind eben schneller im Kontakt schließen, wobei man das nicht mit echter Freundschaft verwechseln sollte. Vorurteil Nummer Eins über die Rheinländer in Abgrenzung zu den Westfalen ist damit schon mal bestätigt. Sozusagen amtlich vom Dortmunder Oberbürgermeister. E 03 (Sierau) "Naja, ist doch alles ein bisschen leichtlebiger, während der Westfale, die Westfälin auch, glaube ich ein bisschen längeren Anlauf nimmt, um sich da dann auch in solche persönlichen Beziehungen hinein zu begeben. Aber wenn die dann erst mal entstanden sind, dann halten die auch. Das ist verlässlich, auch belastbar. Und ich glaube, das macht das hier auch aus, dass die Menschen da in der Beziehung ihr eigenes Wertesystem haben und eben auch gute Erfahrungen damit gemacht haben." AUT Ulrich Sierau selbst ist als Kind aus Ostdeutschland nach Dortmund gekommen. Er ist Wahl-Dortmunder, freiwilliger Westfale. Ein relativ typischer Lebenslauf, zumindest für die vielen zugereisten Großstädter in Westfalen. E 04 (Sierau) "Ich bin einer davon. Ich bin also auch hier her gekommen, habe spontan das sehr positiv empfunden, wie man hier aufgenommen wurde, in der Nachbarschaft, dass die Leute offen waren, dass die interessiert waren. Haben gesagt: Guckma, kannste uns mal erzählen beim Kaffee wo du herkommst? Und das war sehr angenehm. Und das ist auch heute noch so. Die Offenheit, die ist nicht oberflächlich, sondern die ist interessiert." AUT Überlegt handeln und stets friedfertig sein - das macht aus Sicht des Dortmunder Oberbürgermeisters die Westfalen aus. Nicht umsonst trägt eine bedeutende historische Einigung das Prädikat dieses Landstrichs: Nach dem 30-Jährigen Krieg waren es 1648 die Westfalen, die diplomatisch eine Einigung mit herbei geführt hatten. E 05 (Sierau) "Westfälischer Friede, das sagt auch ein bisschen was darüber aus. Wir sind hier in der Beziehung vielleicht ein bisschen friedfertiger, wir drehen vielleicht noch mal `ne Runde mehr bevor wir etwas entscheiden. Das tut uns aber manchmal gut. Es gibt hier nicht so diese Hektik und dieses Vorschnelle." AUT Langsam, aber sorgfältig würden die Westfalen handeln, meint Ulrich Sierau. Das gelte auch heute noch, zum Beispiel im Bereich der regionalen Wirtschaft: E 06 (Sierau) "Wir haben ganz, ganz viele Unternehmen hier in Westfalen, die sind Weltmarktführer in ihren jeweiligen Bereichen. Das ist dann für viele `ne Überraschung. Weil die sagen: Hä? Kann das denn sein, dass die da so gut drauf sind?" AUT Westfalen, das ist aber nicht nur Dortmund, das ist ein Flickenteppich unterschiedlicher Regionen vom Ruhrgebiet über das Sauerland bis zu Ostwestfalen oder Lippe. Die Zusammengehörigkeit steht vor allem auf dem Papier. Fast genauso wie die mit dem Rheinland. Ulrich Sierau aber legt Wert darauf, dass es eine Gemeinsamkeit im Bindestrich-Land Nordrhein-Westfalen gibt. E 07 (Sierau) "Ja, die ist da. Wenn Sie sich sozusagen in Abgrenzung definiert beispielsweise zu anderen Bundesländern - also Sie werden in Nordrhein-Westfalen viele finden die sagen, wir in Nordrhein-Westfalen, ja das ist für die ein Abgrenzungs-Merkmal gegenüber Bayern beispielsweise, oder gegenüber Schleswig-Holstein. Oder gerne auch gegenüber Sachsen, ja?" AUT Trotz aller trennenden Elemente sei man auch irgendwie stolz auf das gemeinsame Bundesland. Ach ja, und die Westfalen, die spielen darin eine besondere Rolle. Sie erfüllen ein Klischee in Abgrenzung zu den Rheinländern. Ein Klischee, an dem sie durchaus auch Gefallen finden: E 09 (Sierau) "Ich treffe ganz viele Menschen die sagen, Westfalen, das ist Bauernhaus, das ist Landschaft, das ist Gemütlichkeit, ja? Und das sind schon Dinge, da muss man nicht böse drüber sein, wenn die mit einem assoziiert werden." ATMO Schützenzug AUT Ein Schützenverein im westfälischen Münster. Eine weitere wichtige Großstadt dieses nordrhein-westfälischen Landesteils. Beim örtlichen Landschaftsverband Westfalen-Lippe beschäftigt sich Volker Jakob mit den Besonderheiten der Menschen, die hier leben. Der Wissenschaftler bestätigt die intensive Ortsverbundenheit der Westfalen, die vor allem in Heimatvereinen gelebt wird: E 10 (Jokob) "Man sammelt das ein, was erhaltenswert ist oder erhaltenswert zu sein scheint. Meine schönsten beruflichen Erinnerungen fußen auf diesen Kontakten, die also sehr, sehr herzlich sind. Ich fahre auch gerne, wenn ich eingeladen werde, zu den Heimatvereinen, halte dort Vorträge, führe Filme vor. Und die Dankbarkeit und die Freundlichkeit, die einem da entgegen gebracht wird, das gehört zu den schöneren Teilen meiner beruflichen Erfahrung." AUT Volker Jakob kommt ursprünglich aus Schleswig-Holstein, er lebt aber schon lange im Münsterland. Obwohl ihm seine Vorträge bei Heimatvereinen Spaß machen, ist die Atmosphäre dort jedes Mal gewöhnungsbedürftig. E 11 (Jakob) "Ja, man sieht in diese ernsten, strengen, gemeißelten Gesichter und denkt, mein Gott, keine Emotion, keine Regung! Was machst Du bloß falsch? Aber dann merkt man, die brauchen eine gewisse Zeit um sich zu öffnen. Und wenn sie dann offen sind, sind es die liebsten und nettesten Menschen der Welt." AUT Und woran liegt das? E 12 (Jakob) "Die Psychologie im Umgang mit den Westfalen, die muss man lernen. Man darf nicht aufgeben. Man muss sie offenen Auges akzeptieren, man muss ihnen ins Gesicht sehen und man muss frei sprechen und man muss versuchen in ihre Gehirnwindungen hinein zu kommen, in diese merkwürdige Art des Abständigen, des Zurückgenommenen, und dann merkt man, dass sie wach werden und dass ihre Augen zu leuchten beginnen, und dass man in einen Dialog eintritt. Aber das braucht Zeit. Da muss man Geduld mit sich haben und mit anderen haben." AUT Beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe sammelt Volker Jakob unter anderem Fotos und Filmdokumente aus vergangenen Zeiten - damit macht er sich bei den Heimat verbundenen Westfalen beliebt. ATMO Schmied AUT Zu den so dokumentierten traditionellen Tätigkeiten gehört auch alles rund um den Stahl. Die Kohle aus dem Ruhrgebiet sorgte dafür, dass sich riesige Stahlwerke in Westfalen niederließen. Im Kleinen steht der Schmied noch heute für diese Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Inzwischen sind solche Tätigkeiten aber nur noch selten real zu beobachten - zum Beispiel in den Freilicht-Museen der Region. Nicht aber die Schwerindustrie, sondern eben diese kleinen handwerklichen Berufe prägen aber bis in die Gegenwart die Außenwahrnehmung der Westfalen. E 13 (Jakob) "Es gab jetzt vor gar nicht langer Zeit eine westfälische Klage in der Politik, in Düsseldorf, die darauf hinwies, dass die Rheinländer in den Geographiebüchern des Landes, die ja an den Schulen maßgeblich sind, das Rheinland immer als das urbane und das geschäftliche Herz Westfalens gesehen wird, während die Westfalen mit Landwirtschaft, mit Dörfern assoziiert werden. Und man hat zurecht darauf hingewiesen, dass das natürlich alles so gar nicht stimmt. Aber woher kommt so was? Das ist eine Frage, der ich auch immer wieder begegne. Warum wird das Westfälische, das Sächsische als ein bisschen zurück geblieben dargestellt, ein bisschen vormodern, nicht urban, während die Rheinländer sich eben als die Herzkammer dieses schönen Landes sehen. Ich muss die Frage offen lassen." AUT Vielleicht habe ich als Reporter aus dem Rheinland meine Vorurteile ja auch aus genauso solchen Schulbüchern. Also fasse ich nach: Wie ist es denn nun mit der inneren Haltung der Westfalen, was unterscheidet sie von den Rheinländern? Der Experte muss es ja wissen. E 14 (Jakob) "Mit einem Wort: Maulfaulheit. Sie sind nicht schnell, die Westfalen. Sie haben das Spielerische nicht, das die Rheinländer auszeichnet, im Guten wie im Schlechten." AUT Also ist tatsächlich etwas dran, an der These, dass man mit Westfalen nicht so schnell Kontakt schließen kann wie mit den Rheinländern? E 15 (Jakob) "Man muss erst mal, wie man sagt, einen Sack Salz mit den Westfalen gegessen haben. Dann gehört man dazu. In gewisser Hinsicht, oder in einem gewissen Rahmen gehört man dazu. Allein durch die Dauer des Aufenthalts. So ganz dazu gehört man nicht." ATMO Zugfahrt AUT Als rasender Reporter mache ich mich wieder auf den Weg. Naja, sagen wir als reisender Reporter - denn Rasen ist in Westfalen nicht drin. Ein recht langsamer Zug bringt mich nach Arnsberg. Eine Stadt im Sauerland mit rund 74.000 Einwohnern. Bürgermeister Hans- Josef Vogel kann sicher auch etwas beitragen, zu meinem Bild der Westfalen. Was also ist für ihn der Unterschied zum anderen Teil von NRW? E 16 (Vogel) "Rheinland eher als Städteregion mit den großen Städten, Westfalen natürlich mit Dortmund, mit Münster, mit Bielefeld. Aber im Unterschied doch eine Flächenregion. Die jetzt heute Industrieregion geworden ist. Wie jetzt hier bei uns in der Region Arnsberg, im Sauerland, in Südwestfalen, drittstärkste Industrieregion Deutschlands. Aber es ist immer noch die Fläche. Und nicht die Städte. Und in den Städten ist man auch näher beisammen, da kommuniziert man, da nimmt man auch das Fremde schneller auf. Weil das einfach konstitutiv für Städte ist." AUT Aber Städte gibt es ja auch in Westfalen, gibt es also doch diese menschlich-emotionale Haltung, die die Westfalen von den Rheinländern unterscheidet? E 17 (Vogel) "Ich glaube schon, dass die Rheinländer schneller in der Kommunikation sind, flexibler in der Kommunikation sind. Teilweise sicher auch geschwätziger, wenn man das mal zu diesem Spiel Rheinland und Westfalen so interpretieren will. Da entsteht dann schnell die Gefahr eines anderen Vorurteils oder Urteils, dass der Rheinländer dann manchmal auch fies ist." AUT Hans-Josef Vogel ist zwar kommunikativ und offen, fast ein bisschen Rheinländer. Aber er hat sich auf das Interview offenbar auch gut vorbereitet. Mehrere Din-A-4-Seiten hat er mit Füllfederhalter penibel beschrieben. Etwas, was ich im Rheinland so selten erlebe, da plaudern Gesprächspartner in der Tat schneller drauf los. E 18 (Vogel) "Da ist diese Tradition des Westfalen eigentlich umgekehrt. Der denkt erst mal nach bevor er redet, man bereitet ein Gespräch vor, wie jetzt dieses Gespräch, ruft man sich noch mal die Stereotypen, die Vorurteile, die Urteile, die Grundprägungen, die Anschauungen, in den Kopf zurück. Und dann ist aber der Westfale dann, weil er nicht so schnell kommuniziert in der Gefahr, eben als stur zu gelten." AUT Im weiteren Gespräch stelle ich fest, dass der Arnsberger Bürgermeister tatsächlich viel mehr meinen westfälischen Vorurteilen entspricht als ich das auf den ersten Blick eingeschätzt hatte. Er kokettiert mit seiner Zurückhaltung, selbst bei der Amtsausübung als wichtigster Mann seiner Stadt. E 19 (Vogel) "Wenn ich in Veranstaltungen gehe, wo ich nicht genau weiß, wer wo sitzt, setze ich mich meist auch nach hinten hin und beobachte das erst mal. Versuche das aufzunehmen, einfach zu lernen." AUT Und woher kommt diese Zurückhaltung? E 20 (Vogel) "Vielleicht liegt es daran, dass hier tatsächlich die Siedlungen der Menschen wesentlich kleiner waren. Dass sie weiter auseinander gezogen sind. Dass wir tatsächlich mehr in der Fläche gelebt haben. So dass derjenige, der von außen kam, der war schon auf weiter Sicht ein Fremder. Und eher in diesen Stadtkulturen, ist so ein Fremder schnell auch ein Partner, ein Geschäftspartner. Auch gerade hier in der Mittelgebirgsregion, historisch gesehen, noch bis weit in die Neuzeit hinein, war das ja auch für die Land- und Forstwirtschaft ein sehr karges, auch anstrengendes Leben. Ich vermute, dass dort bestimmte Prägungen, die wir heute noch pflegen, in Anführungszeichen, entstanden sind." AUT Und wie ist das mit dem Feiern im tiefsten Sauerland? Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters hat mal gesagt, die Westfalen können eigentlich keinen Karneval feiern. Was meint sein Amtskollege Hans-Josef Vogel aus Arnsberg wohl zu diesem Vorurteil? E 21 (Vogel) "Naa, das will ich nicht so sagen. Sie feiern ihn anders. Arnsberg und das Kölnische Sauerland, wie man ja sagt - also das alte Herzogtum Westfalen wurde vom Kölner Fürst- Erzbischof regiert. Hier waren Kölner Beamte, hier waren Beamte aus Bonn, die mit dem Fürst-Erzbischof in die Stadt gekommen sind. Und er hat auch so ein bisschen den Karneval mitgebracht. Also, wir haben hier schon auch eine rheinische Tradition. Aber natürlich ist der westfälische Karneval, ich sag mal ein Stück - äh - langsamer, bodenständiger. Aber gelacht wird hier auch..." AUT Trotzdem fühlen sich die Westfalen offenbar ein bisschen zurück gesetzt gegenüber den Rheinländern. Ist also doch etwas dran an der Darstellung in den Schulbüchern? Am Vorurteil, dass Westfalen viel bäuerlicher und weniger umtriebig ist als die Rheinländer? Gibt es objektive Kriterien dafür? E 22 (Vogel) "Das Rheinland hat zwei internationale Flughäfen, und wir haben keinen internationalen Flughafen. Wir zersplittern uns hier. Wir haben einen Flughafen in Dortmund, in Münster, in Paderborn." AUT Also stimmt mein rheinisch geprägtes Vorurteil doch, dass die Westfalen etwas Hinterwäldlerisches, nicht Urbanes an sich haben? Hans-Josef Vogel verneint das nicht ganz - aber er wendet es in etwas Positives. E 23 (Vogel) "Wir sagen ja auch, die Westfalen stellen - wie heißt das - ihr Licht unter den Tisch. Sie sind lange Zeit auch unterschätzt worden. Gerade im Bereich der modernen mittelständischen Industrieunternehmen. Es hat jemand mal hier gesagt von den Mittelständlern, das sind ja alles Familienunternehmer, die auch eine Bodenständigkeit haben, es ist besser wir werden unterschätzt als überschätzt. Da ist ja auch was dran. Und vielleicht daher auch diese Zurückhaltung." AUT Die Haltung der Menschen in den verschiedenen Teilen Westfalens - sie könnte zum Patentrezept werden für die Einigung des bevölkerungsreichsten Bundeslandes NRW. Meint zumindest der Bürgermeister von Arnsberg. Die Vielfalt gemeinsam zu organisieren und dabei die eigene Identität nicht zu verleugnen, sei gut für Nordrhein-Westfalen: E 24 (Vogel) "Und deshalb können wir eigentlich froh sein, dass wir nicht ein zentrales Land sind, und dass wir nicht so ein Typ sind wie der Bayern, sondern dass wir eben Vielfalt haben. Und ich glaube, Vielfalt ist zukünftig ein großer Gewinn. Wenn wir aus dieser Vielfalt eben Nutzen und Gewinn für alle machen." ATMO Zugfahrt AUT Zurück nach Münster, ich möchte noch mal mit dem Wissenschaftler Volker Jakob sprechen. Beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe will ich von ihm wissen, ob es nicht doch eine Chance auf eine gemeinsame NRW-Identität gibt. Etwas amüsiert erklärt er mir, dass Karneval und Heimatfeste schon sehr unterschiedlich sind. In Westfalen feiert man weniger bunt und chaotisch, dafür geordnet und organisiert: E 25 (Jakob) "Ja, und zwar in Uniform. Also, die Schützenvereine sind da natürlich mit ihren Federmützen und mit ihren grünen Uniformen auch ein prägendes Element, und mit der Blasmusik natürlich, ein prägendes Element der Orte. Und dazu gehört eben auch der Konsum von Bier. Das Rheinland ist ein Weinland, Westfalen ist ein Bierland und ist sehr stolz auf seine Pilzkultur. Und das hinterlässt dann auch Spuren im öffentlichen Auftreten der Westfalen, also da geht`s dann auch wirklich zu Sache." AUT Na, das hört sich doch fast wieder rheinisch an. Also doch ein kleinster gemeinsamer Nenner, beim Feiern - wenn auch aus unterschiedlichem Grund? Karneval und Heimatfeste zum schnellen Kennenlernen? Nein, meint Volker Jakob: In Westfalen eben nicht. E 26 (Jakob) "Da gehört man dann eben doch nicht dazu. Da bleibt man, ich glaube lebenslänglich, Fremder. Aber man wird akzeptiert. Das ist nicht so, dass man ignoriert wird. Im Gegenteil. Man gehört in Maßen dazu, wird aber nie, wir man hier sagt, ein Pohlbürger werden." AUT Volker Jakob fühlt sich selbst auch nicht als Einheimischer, als Pohlbürger in Westfalen. Auch nach Jahrzehnten ist der gebürtige Norddeutsche in seiner neuen Heimat immer noch ein Fremder. E 27 (Jakob) "Man spricht einen anderen Akzent, hat eine andere Sprachmelodie. Dadurch ist man schon ein bisschen ausgeschlossen. Man gehört eben nicht zu diesem Wurzelwerk von Vereinen, man ist da nicht rein geboren. In der Hinsicht hat das Land einen langen Atem. Es ist nicht nachtragend, aber es vergisst auch nicht. Das Fremde merkt man in vielen, vielen Kleinigkeiten. Die eigene Fremdheit merkt man in vielen, vielen Kleinigkeiten. Und der Andere, das Gegenüber, merkt das natürlich auch." AUT Das wiederum klingt danach, dass wenigstens die einheimischen Westfalen ein extremes Gefühl der Zusammengehörigkeit haben, oder? E 28 (Jakob) "Es gibt eigentlich kein Westfalen-Gefühl. Sondern es gibt ein regionales Gefühl. Man definiert sich als Sauerländer oder als Münsterländer oder als Paderborner, meinetwegen. Als Ostwestfale sehr stark, da hat es ja eine Identitätsstiftung innerhalb Westfalens gegeben, aber das Interesse ist doch eigentlich auf das Eigene gerichtet, nicht so sehr auf die Gesamtheit aller." AUT Lange hat sich Volker Jakob beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe mit diesem Phänomen beschäftigt. Er ist inzwischen überzeugt, dass die abgegrenzte Vielfalt vor allem daran liegt, dass Westfalen historisch nie eine Einheit war. E 29 (Jakob) "Kein Königtum, kein Herzogtum, sondern es war immer zerfallen in verschiedene Konfessionen, in verschiedene Regionen, und die haben eigentlich nie zusammen gefunden. Das was wir heute als Westfalen definieren, ist ja erst unter den Preußen zu Beginn des 19. Jahrhunderts dann in eine Einheit geformt worden. Aber: Nein, die Westfalen verstehen sich eigentlich nicht als Westfalen, sondern als die Summe ihrer Kommunen." AUT Distanzierte, aber freundlich-offene Vielfalt macht also Westfalen aus, Vielfalt ist auch das Bindeglied im Bindestrich-Land NRW. Wie es im Kabarett eben so schön heißt - es ist furchtbar, aber es geht: E 30 (Jakob) "Die Westfalen sind Sachsen, und die Rheinländer sind Franken. Und dazwischen ist ein riesengroßer Abgrund. Ich habe das Gefühl, die Westfalen haben ein Minderwertigkeitsgen, das die Rheinländer betrifft. Völlig zu Unrecht. Aber es ist glaube ich so wie Heine gesagt hat, in Deutschland - ein Wintermärchen - sie sind sentimentale Eichen. Sie sind groß, Heine sagt sie fechten gut, sie saufen viel, aber sie sind furchtbar sentimental, wenn sie die Hand zum Freundschaftsbund reichen, und dann kommt dieser berühmte und für die Westfalen tödliche Satz: Sentimentale Eichen!" -ENDE Script- 9 1