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Regie Musik Ende Sprecherin Königin Luise von Preußen, die 1810 verstarb und deren Leichnam auf dem Weg von Hohenzieritz in Mecklenburg nach Berlin über Nacht in Gransee aufgebahrt wurde, gilt als die preußische Königin der Herzen, noch bevor dieser Begriff für die britische Lady Diana geprägt wurde. Kaum ein Monarch, er hätte schon ein großer Feldherr sein müssen, konnte sich einer ähnlichen Beliebtheit in der Bevölkerung erfreuen. Sprecher Sie galt und gilt als die beliebteste Monarchin des preußischen Königshauses der Hohenzollern: Sie war schön und vorbildliche Ehefrau, sie war bescheiden und Modeikone, sie überließ den Männern den Vortritt im politischen Geschäft und regierte doch mit, sie war Mutter und Landesmutter und - wenn man zynisch sein will - sie erfüllte die Voraussetzungen eines Rockstars für ein langes Leben: Sie starb früh. Regie Musik, Ende des 18. Jahrhunderts, fröhlich Sprecher Eine Marmorgruppe des Bildhauers Gottfried Schadow zeigt Luise mit ihrer jüngeren Schwester Friederike. Die beiden Mädchen sind 18 und 16 Jahre alt, Luise hat ihren Arm um Friederikes Schultern gelegt. Die jungen Frauen sind vom Bildhauer festgehalten wie in einem Moment ausgelassenen Schlenderns. Sie tragen die unter der Brust taillierten Kleider des Empire-Stils, die die Schönheit ihrer Körper betonen. Schon als Jugendliche war Luise ein öffentlicher Schwarm. Sprecherin Schadow ließ später angemessen skandalisierend verbreiten, er habe die Maße seine Figuren "wie die alten Griechen, nackend" abgenommen. König Friedrich-Wilhelm, Luises späterer Gatte, ließ die Figurengruppe jahrelang in einer abgedunkelten Ecke verschwinden. Er fand, man sähe zu viel von seiner Frau. Der öffentlichen Begeisterung konnte und wollte er nicht entkommen. Philipp Demandt, Autor eines Buches über den Kult um die Königin Luise: Demandt: Der Kult um Luise setzt eigentlich schon mit ihrem Einzug als zukünftige Kronprinzessin in Preußen ein, sie wird sehr schnell dargestellt, aber auch vereinnahmt von bürgerlichen Kreisen als die neue Schönheit, die neue Natürlichkeit, die neue Einfachheit auf Preußens Thron, also in Zeiten, wo eben in Frankreich die Revolution zu Ende gegangen ist, feiert man sie hier in Preußen als den neuen Inbegriff der stillen Häuslichkeit, der Mütterlichkeit, also man sieht in ihr eine ganz starke bürgerliche Identifikationsfigur. Regie Musik wie oben als break , unterlegen, wegziehen Sprecher Luise wurde am 10. März 1776 in Hannover geboren. Sie musste zwanzig Jahre alt werden, bevor sie, die Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz, ihr Land zum ersten Mal sah. Als ihre Mutter gegen Ende ihrer zehnten Schwangerschaft stirbt, ist Luise sechs Jahre alt. Sie wird bei Verwandten in Darmstadt, später Hildburghausen, erzogen, was ihr- landesbedingt - eine vielleicht etwas leichtere Lebensart einträgt, als unter schwerblütigen Mecklenburgern üblich. Von den vier Schwestern, die ihr Leben lang in Kontakt blieben und einander gegenseitig unterstützten, stand ihr Friederike besonders nahe, die zweite Grazie in Schadows Gruppe der jungen Frauen. Friederike wird später in Berlin für Furore sorgen. Sprecherin Der Biograph Heinz Ohff macht Luise, im Vergleich zu ihren Schwestern, das schillernde Kompliment, sie sei "gertenschlank, quirlig, mit einem lebhaften Mienenspiel, ...die unverbildetste und daher Friedrich Wilhelm gemäßere." Will sagen: Luise lernte Französisch, auch das nicht perfekt, und sonst eigentlich nichts. Ohff schreibt: Zitator Die Worte "Gefühl" und "Herz" werden auch später von Luise so oft ins Feld geführt, dass man annehmen kann, dass sie nicht ... einfach dahingeplappert worden sind. Sie könnten sogar einer frühen und nicht unkritischen Selbstanalyse entstammen, denn bis zu ihrem Tod bleibt sich Luise bewusst, dass ihre Stärke nicht in Wissen, Bildung, Können oder auch nur äußerem Imponiergehabe liegt, sondern allein in Gefühl und Herz. Sprecher Luise wird später in einem Brief an Marie von Kleist, die Cousine des Dichters Heinrich von Kleist schreiben: Zitatorin Möge Gott mich davor bewahren, meinen Geist zu pflegen und mein Herz zu vernachlässigen, ... Sprecher ... eher würde sie alle Bücher in die Havel, die durch Berlin fließt, werfen, als den Verstand über das Gefühl zu stellen. Sprecherin Ohffs mehrdeutiges Kompliment geht natürlich auch an Friedrich Wilhelm, den späteren Gemahl - mit einer Gattin, die mehr als Gefühl und Herz einbringen würde, hätte er vermutlich seine Schwierigkeiten gehabt. Rudolf Scharmann ist Leiter des Schlosses Charlottenburg und im Jahr 2010 Kurator der Ausstellung zu "Luise, Königin von Preußen": Scharmann: Zu Beginn las sie die gängigen Romane ihrer Zeit, eher leichte Literatur, das änderte sich aber relativ schnell, denn Frau von Berg hat ihr Schiller näher gebracht, den hat sie zeit ihres Lebens sehr verehrt, sie hat ihn auch persönlich kennen gelernt, Schiller war auch in Berlin, sie hat versucht, ihn auch hier zu halten, das ist offensichtlich nicht gelungen, denn finanzielle Forderungen standen dem im Weg. Aber die Gedicht von Schiller, die zählen zu ihrer Lieblingslektüre, sie werden mehrfach in ihren Briefen erwähnt und daraus abzuleiten ist ein zentraler Begriff im Leben Luises, es ist eben der Tugendbegriff.. Sprecherin In Frankfurt treffen die Schwestern Luise, 17 Jahre alt, und Friederike, 15 Jahre alt, bei einem Theaterbesuch auf den preußischen König und seine Söhne. Der König ist hingerissen... Zitator Wie ich die beiden Engel zum ersten Mal sah, es war am Eingang der Komödie, so war ich so frappiert von ihrer Schönheit, dass ich ganz außer mir war, als die Großmutter sie mir präsentierte. Sprecherin Die Kronprinzen Friedrich Wilhelm und Louis waren bei dieser scheinbar zufälligen Begegnung noch zögerlich. Aber nach und nach entwickeln sich Neigungen, dann Zuneigungen, dann Liebe und Heiratspläne. Ohnehin müssen die Brüder zunächst einmal in den Krieg. Vor Mainz wird gegen die Truppen der französischen Revolution gekämpft. Es schreibt in drolliger Laune Luise an ihren Zukünftigen: Regie Musik, lustig. Zitatorin Ich muß in Kerch, sonst schlägt mich mey alt Großmäme. Die Friederiken ist sauwohl, war aberst krank gewesen. Um Gottes Willen, verzeihen sie mir dieses Cripcrapsgekritzel. Gestern Abend tanzte ich in allen Zimmern umher und schrie: Ich segn mei Schwatz witter, ich segn mei Schatz witter! Es wird fürchterlich geschossen, ich bin närrisch und die Großmama wird mich schelten, weil ich nur Torheiten mache. Regie Musik-Ende Sprecher Friedrich Wilhelm erwählt Luise, Louis nimmt Friederike. In Berlin soll geheiratet werden. Die Prinzessinnen reisen an. Die Fahrt in der Kutsche durch die deutschen Lande ähnelt einem Triumphzug. Böller, Blasmusik, Ständchen von Chören, Spaliere von Zuschauern an den Straßenrändern, wo immer sie durchreisen. Regie Musik, volkstümlich Zitator "Die Ankunft dieser engelschönen Fürstin" Sprecher schwärmte der Romantiker Friedrich de la Motte Fouque, Zitator verbreitete über jene Tage einen erhabenen Lichtglanz. Alle Herzen flogen ihr entgegen und ihre Anmuth und Herzensgüte ließ keinen unbeglückt." Sprecherin Als sie in Berlin eintreffen, ereignet sich jener Vorfall, der in der Verehrung der späteren Königin einen besonderen Platz einnimmt. Auf der Straße Unter den Linden hatte man eine Ehrenpforte errichtet, hier kommt der Wagenzug zum Halt. Einige junge Mädchen nähern sich der Kutsche um Luise eine Myrthenkrone zu überreichen und ein Willkommensgedicht aufzusagen. Luise, bewegt und begeistert, nimmt die Krone entgegen und gibt der Überbringerin einen Kuss. Regie Musik Ende Zitatorin Mein Gott Sprecherin rief die Gräfin von Voß, die auf die Etikette zu achten hatte, Zitatorin was haben Ew. Hoheit gemacht, das ist ja gegen allen Anstand und Sitte. Sprecherin Woraufhin Luise geantwortet haben soll: Zitatorin Wie, darf ich das nicht mehr tun? Regie Musik Ende Sprecher Durfte sie nicht. Es mag sein, dass sich die Sache anders abgespielt hat, wichtig ist das Empfinden des Augenblicks: In diesem Augenblick wurde aus Luise eine Königin der Herzen. Rudolf Scharmann, Kurator: Scharmann: Sie hatte großen Einfluss gehabt, was die Mode anbelangte beispielsweise, und auf der anderen Seite verkörperte sie ein Ideal, was in dieser Zeit propagiert wurde. Ich denke sie hat das rein intuitiv getan, es waren Charaktereigenschaften, die auf der einen Seite eine Rolle spielten und die sich dann mit den zeitbedingten Vorlagen auch deckten. Es ist das Interessante bei ihr, dass sie es eigentlich nicht bewusst getan hat, eher im Unterbewusstsein geschahen solche Herangehensweisen, die gute Ehefrau, die freundliche Mutter usw., all das war zeitbedingt, es wurde gefordert, es waren Vorstellungen, die sich entwickelt hatten und sie verkörperte sie. Sprecher Die ansonsten ihrer Obrigkeit gegenüber immer etwas zähen Berliner waren überwältigt. Weihnachten 1793 wird geheiratet: zuerst führt der ältere Friedrich Wilhelm Luise vor den Altar, ein paar Anstandstage später folgen Louis und Friederike. Regie Musik Schonpflug: Friedrich-Wilhelm und Luise waren sicherlich sehr sehr unterschiedlich in ihrem Naturell. Er war vor allen Dingen militärisch erzogen und muss sehr linkisch, sehr ungeschickt gewesen sein, konnte sich zumindest im Mündlichen schlecht ausdrücken, er verkürzte die Sätze schon fast bis ins Groteske und manche machten sich darüber auch lustig und er muss auch große Schwierigkeiten gehabt haben, positive Gefühle zu zeigen, also er war ein linkischer, etwas verspannter, verklemmter Mensch, so müssen wir ihn uns wohl vorstellen. Sprecher Sagt der Historiker Daniel Schönpflug, Autor einer Luisen-Biographie. Wenn Friedrich-Wilhelm etwas nicht gefiel, hieß es nur knapp: Zitator Mir fatal! Sprecher - was als kraftvollster Ausdruck Allerhöchsten Missfallens gelten durfte. Schonflug: Luise das ganze Gegenteil - also jemand, der sehr in sich selber ruht, positive Ausstrahlung offenbar hat, sehr zugewandt ist, harmonisch liebesvoll, jemand, den alle aus den Begegnungen eigentlich als eindrucksvoll und bezaubernd beschreiben, also wirklich widersprüchliche Charaktere. Sprecherin Ihre Gegensätzlichkeit tat ihrer Liebe zueinander offenbar keinen Abbruch, was auch in der Öffentlichkeit nicht unbemerkt blieb. "Ein ideales Paar", urteilten die Untertanen, " besonders sie." Sprecher Selbst der alte Friedrich Nicolai, Oberhaupt der Aufklärung in Berlin, ist entzückt: Zitator Wir sind wirklich unbeschreiblich glücklich in allem Betracht. Wir bekommen ein neues Leben. Sprecher Was wohl auch bitter notwendig war, denn Preußen befand sich auf dem Tiefpunkt seiner Staatsverfassung, wie sich spätestens bei den desaströsen Niederlagen von Jena und Auerstädt gegen Napoleon zeigen sollte. Schönpflug: Dazu gehört auch, dass man die Gesellschaft fast schon eingefroren hat, dass man die Unterschiede zwischen den Ständen betont hat, dass da wenig Mobilität, wenig Bewegung drin war. Und das hat durchaus auch zu inneren Spannungen geführt, also es gibt in Preußen auch eine kritische, eine aufgeklärte Richtung, die das Königtum auch immer wieder scharf kritisiert hat. Das sind Felder, auf denen eine neuer König auf jeden Fall auch arbeiten muss, auf die er reagieren muss, also die Art und Weise, wie er die Außenpolitik befestigt, das Zusammenhalten einer Gesellschaft und vor allen Dingen auch der Umgang mit den Spannungen, die da entstanden sind. Sprecher Am Horizont droht der kleine Korse. Napoleon hat Frankreich umgekrempelt und reformiert, er hat auch in Deutschland, in dem seit Jahrzehnten sich nichts mehr verändert hat, Sympathisanten. Man beginnt, über Judenemanzipation, Gewerbefreiheit, kommunale Selbstverwaltung zu diskutieren. Vielleicht wird sogar die Prügelstrafe beim Heer abgeschafft. Sprecherin Friedrich-Wilhelm ist ein Regent von moderatem Charakter. Er ist ein unbedingter Pazifist, seine Kriegserfahrungen als junger Mann vor Mainz haben ihm jegliches Hurra-Gefühl ausgetrieben. Er ist zögerlich, kann sich schwer entschließen, überdenkt mögliche Entscheidungen vier-fünf-sechs- mal und ist immer noch unsicher. Dagegen, wenn ihm etwas nicht gefällt, kann er hartnäckig sein bis zur Halsstarrigkeit. Der Historiker Daniel Schönflug: Schönflug: Friedrich-Wilhelm III. war eigentlich mit einer sehr fortschrittlichen, offensiven Art und Weise an sein Amt herangegangen. Er hatte sich in einem Regierungsprogramm oder Reflexionen über die Regierung doch einiges vorgenommen, was er in Preußen verändern wollte, als er dann aber an die Macht kam, passiert von alledem sehr wenig. Auf dem gesellschaftlichen Gebiete setzt er die Befreiung der Domänenbauern durch, das ist ein Schritt zu mehr Gleichheit im Staat, er versucht, den Staatsapparat effizienter zu machen, auch sparsamer zu machen, da kann er schon wenig bewirken und auch außenpolitisch setzt er wenig Akzente, seine Außenpolitik ist eigentlich ein Zickzackkurs von jemandem, der durch dieses Neutralität auch befördert, sich zu nichts entscheiden kann oder auch möchte. Das ist eine sehr schwache Bilanz in den ersten Jahren und da sind große Defizite. Sprecher Carl von Clausewitz, der spätere Militärtheoretiker, schrieb über das Kabinett und Friedrich-Wilhelm III. Zitator Nur in einer Beziehung zeichnete diese Kabinetts-Regierung sich durch eine allgemeine und konstante Richtung aus, nämlich in einem gewissen Liberalismus: Freiheit und Aufklärung... schien den verschiedenen Kabinettsräten... die hauptsächlichste Pflicht ihrer Stelle. Sprecher Mit dieser Ausrichtung, so Clausewitz, versuchte das Kabinett dem Ungewitter zu entgehen, das aus Paris drohte. Dem war aber nicht zu entkommen. 1803 marschiert Napoleon in das Königreich Hannover ein. Jetzt schafft es auch der pazifistische Friedrich-Wilhelm nicht mehr, seine Neutralitätspolitik durchzuhalten. Er schließt ein Bündnis mit Russland, muss aber nach Napoleons Sieg bei Austerlitz 1805 diesen Pakt lösen, preußische Gebiete abtreten und in ein Zwangsbündnis mit Frankreich eintreten. Und vor allem: Napoleon besteht darauf, dass Berlin den Reformer Karl August von Hardenberg in die Wüste schickt. Sprecherin Luise hatte wesentlichen Anteil daran, dass Karl August von Hardenberg und Karl von und zum Stein als Reformer für die Finanzen und die innere und äußere Politik Preußens nach Berlin geholt wurden. Von ihnen erhoffte sie sich einen tatkräftigen Zug in der Regierung, wo ihr Mann schwankend wechselnden Einflüssen ausgesetzt war und oft nicht zu durchgreifenden Entscheidungen fand. Luise ist oft ein politischer Einfluss in einem Maß nachgesagt worden, das kaum noch zwischen Mythos und Möglichkeit unterscheidet. Rudolf Scharmann: Scharmann: Ja das denke ich, war nicht der Fall, sie hat eher die Rolle einer Mittlerin übernommen. Menschen kamen zu ihr, haben sich mit ihr unterhalten und das, was sie als gut empfand, das hat sie an ihren Mann weitergegeben. Man könnte sie vielleicht als eine Dame bezeichnen, die ähnlich den Günstlingen und Mätressen des 18. Jahrhunderts das Ohr des Königs hatten, um 1800 war es ja schon die Epoche der Bürgerlichkeit und man versuchte eben, die Interessen über die Königin durchzusetzen. Sprecher So unterstützt Königin Luise die so genannte "Kriegspartei" gegen ihren ewig zaudernden Gatten. Der entschließt sich mühsam, den Kampf aufzunehmen. Regie Marseillaise als Fanfare Sprecher Bei Jena und Auerstedt kommt es am 14. Oktober 1806 zur vernichtenden Niederlage der preußischen Truppen. Vor allem bedeutetet diese Niederlage, dass das preußische Adelsheer dem reformierten Volksheer der Franzosen nichts entgegenzusetzen hat. Preußen ging unter, weil es alt war. Regie Musik, winterlich Sprecher Der preußische Königshof flieht bis Königsberg in Ostpreußen. Auch Stein und Hardenberg, die beiden Reformer mit den ungleichen Charakteren, treffen ein, aber die Lage ist frustrierend, es gibt Streit, beide machen sich davon. Luise, die in der Politik des Exils immer mitgemischt hat, liegt mit Typhus im Bett, draußen herrscht eisiger Winter. Aber Napoleon setzt nach, mitten im Winter muss die schwerkranke Luise mit ihren Kindern noch weiter nach Osten fliehen, Memel im heutigen Litauen bietet Unterkunft. Sprecherin 1807 kommt es zu einem Treffen zwischen Napoleon, dem russischen Zaren und dem preußischen König. Napoleon hatte mitten auf der Memel ein Floß verankern lassen, auf neutralem Gebiet sozusagen. Später, auf St. Helena, wird Napoleon den Moment von Tilsit als den mächtigsten und glücklichsten seines Lebens bezeichnen, hier unterwarfen sich ihm die Könige, hier konnte er diktieren. Sein Auftreten ist siegesbewusst und anmaßend, der Zar versteckt sich hinter einer Maske, die seine wahren Absichten nicht erkennen lassen, nur Friedrich-Wilhelm steht in aller Ehrlichkeit seine Abscheu gegen Napoleon ins Gesicht geschrieben. Zitatorin In meiner Angst habe ich mich nicht getäuscht. Sprecherin schreibt Luise Zitatorin Du hast das Ungeheuer gesehen, und eine Deiner schwersten Stunden hat also geschlagen. Ich ersticke in Tränen, ich kann nicht mehr. Sprecher Napoleon fühlt sich oben auf. Er diktiert seine Bedingungen, und er entscheidet, dass er die Königin Luise, die er in seinen Zeitungen als giftige Kriegstreiberin hat beschimpfen lassen, sehen will. Daniel Schönpflug: Schönpflug: Ob sich Napoleon wirklich die Luise herbeibefohlen hat, oder ob man nicht aus einer Äußerung von ihm, dass er sie gern mal sehen würde, geschlossen hat, dass das eine ganze günstige Sache wäre, das ist sehr schwer zu klären. Sprecherin Luise geht es nicht gut, sie ist im zweiten Monat ihrer achten Schwangerschaft und gesundheitlich angeschlagen. Aber sie fährt, an ihren Gatten schreibt sie: Zitatorin Ich kann Dir keinen größeren Beweise meiner Lieber und meiner Hingabe für das Land zeigen, zu dem ich halte, als wenn ich dorthin fahre, wo ich nicht begraben sein möchte. Sprecher Sie lässt sich von Hardenberg beraten, bekommt vom Zaren Alexander den Hinweis mit auf den Weg, dass es schlecht um ihre Sache stünde und unter diesem Druck fasst sie den Vorsatz: Zitatorin zu reden und zu versuchen, Napoleon zu rühren. Sprecher Der nimmt sich Zeit. Mit Luise, die mit Perlen und weißer Crepe gekleidet ist, verbringt er eine Stunde, allein, unter vier Augen. Napoleon, das größte Ego seiner Epoche, und Luise, die sich mit ihrem Charme ganze Landstriche zu eigen machen konnte, treffen aufeinander. Für beide eine große Stunde. Sie sind voneinander beeindruckt. Sprecherin Luise gefällt Napoleons Kopf, sie findet ihn auf dämonische Weise anziehend. Sein Lächeln und sein prüfender Blick beeindrucken sie. Napoleon seinerseits ist hingerissen, später wird er in einem Brief an seine Frau Josephine von Luise schwärmen, was diese so genau nicht wissen wollte. Und er lobt ihren scharfen Verstand. Er schreibt: Zitator Die Königin von Preußen ist wirklich bezaubernd, sie ist voller Koketterie zu mir. Sprecher Luise versucht, die Stunde zu nutzen, um Napoleon Zugeständnisse bei den Friedensverhandlungen abzuringen. Schönpflug: Ich würde die Sache eher von preußischer Seite aufzäumen, dass man sagt, wenn da Möglichkeiten bestehen, wenn auch nur der Hauch einer Chance besteht, dass dieser Besuch an dieser wirklich verzweifelten Lage noch etwas ändern kann, dann sollten wir es versuchen, denn das Friedrich-Wilhelm III. nicht der Richtige war, um in dieser extremen diplomatischen Situation noch etwas zu bewegen, das hatte sich ziemlich schnell gezeigt. Sprecher Aber Napoleon bleibt hart, auch wenn er es genießt, von einer schönen, berühmten Frau umschmeichelt zu werden. Philipp Demandt, Biograf des Luisen-Kults: Demandt: Interessant ist, dass das Treffen von Luise und Napoleon der Öffentlichkeit überhaupt nicht bekannt gewesen ist. Es gibt eine einzige Darstellung zu Lebzeiten, die diese Begegnung darstellt, sonst ist das auch in den Zeitungen überhaupt nicht publik gemacht worden, erst später in diesem einsetzenden Luisenkult nach 1815 wird das zu so einer Art Schlüsselszene. Regie Musik Sprecherin 1809 kehrt der Königshof nach Berlin zurück. Die Stadt ist von den Franzosen besetzt, aber der Wiedereinzugs Luises in die Stadt glich einem Triumphzug, bis spät nachts feiert die Stadt das Königspaar. Die französischen Bedingungen liegen hart auf dem Land, die Kosten der Besatzung sind kaum aufzubringen. Luise ist noch immer bemüht, wiederum Hardenberg als den Reformer Preußens in die Stadt zu holen. Im Juni 1810 kommt er endlich, er allein ist mit der "Leitung aller Staatsangelegenheiten" betraut. Die Berufungen Steins und Hardenbergs werden gern dem beharrlichen Einfluss Luises zugeschrieben, dazu der Historiker Daniel Schönpflug: Schönflug: Einen gewissen Einfluss durchaus, der König hatte sich ja mit Stein heftig überworfen und dieser lange Weg zurück, der brauchte viele Fürsprecher, damit die beiden sich wieder annäherten, sich wieder so vertrugen, dass man tatsächlich wieder über Zusammenarbeit nachdenken konnte, und da hat Luise eine gewisse Rolle gespielt, hat mal dem einen, mal dem anderen besänftigende Worte gesagt und auf die Art und Weise ist da die Berufung möglich gewesen, ...das ähnliche gilt auch für die zweite Berufung Hardenbergs, auch da war Luises Rolle recht wichtig. Sprecher Das ist gut für Preußen, die notwendigen Reformen kommen in Gang, aber die Jahre des Krieges, der Flucht und der Besatzung haben ihre Spuren an Luise hinterlassen. Zitatorin Meine Seele ist grau geworden durch Erfahrungen und Menschenkenntnis. Aber mein Herz ist jung. Ich liebe die Menschen, ich hoffe so gern und habe allen, ich sage, allen meinen Feinden verziehen. Sprecher Im Juni 1810 teilt sie ihrem 81jährigen Vater mit, dass sie ihn in Hohenzieritz in Mecklenburg besuchen wird. Regie Erneut die Musik von S. 5 Zitatorin Bester Päp! Ich bin tull und varucky. Eben diesen Augenblick hat der gute, liebevolle König die Erlaubnis gegeben, zu Ihnen zu kommen, bester Vater! Ich bin ganz toll, muss mich aber sammeln, da mir der König eine Menge Aufträge an sie gegeben hat. Sprecher Das Eigentümliche ist - sowohl dem König wie auch anderen Menschen, die Luise nahe stehen, fällt auf, dass die Königin sich seltsam verhalten benimmt, sehr emotional, so, als nehme sie Abschied. Abschied von Berlin, Abschied von der Bevölkerung. Sprecherin Am 25. Juni bricht sie in aller Morgenfrühe auf. In Fürstenberg, nördlich von Berlin, trifft sie auf ihren Vater, auf ihre Schwester Friederike und die beiden Brüder. Es kommt zu tränenreichen Szenen, aber es sollen nicht Freudentränen gewesen sein, sondern Tränen der Erschöpfung. Abends schreibt sie einen Brief an Friedrich-Wilhelm: Zitatorin Habe die Güte und sage der Kammerfrau Reinbrecht, sie soll mir den weißen Basthut schicken, den ich gestern auf hatte. Leb wohl, laß Dir's wohl gehen und komme gesund an, mein lieber Freund! Der Sand vor Oranienburg und vor Fürstenberg übersteigt alle Vorstellung und alles Erlaubte. Und ein Staub. Fürchterlich! Sprecher Nicht nur der Basthut, auch Friedrich-Wilhelm kommt, gemeinsam fahren sie nach Hohenzieritz. Dort erkrankt Luise an einer Lungenentzündung. Der König muss nach Berlin zurück, Luise bleibt in Hohenzieritz. Ihr Leiden verschlimmert sich, die Ärzte geben die Hoffnung auf und benachrichtigen den König. Während er auf Hardenberg wartet, schreibt er auf einen Zettel: Zitator Die heutigen Nachrichten drohen mir mit Vernichtung. Ist sie dahin! - So bin ich dahin - Nur durch Ihr hänge ich noch am Leben. Sie ist mein Alles! Sprecher Der König und die beiden ältesten Söhne, der spätere Friedrich Wilhelm IV. und der spätere Wilhelm I., fahren nach Hohenzieritz. Am 19. Juli stirbt Luise, umgeben von ihrer Familie, im Alter von 34 Jahren. Preußen ist geschockt. Marschall Blücher, der harte Soldat, sagt: Zitator Ich bin wie vom Blitz getroffen - der Stolz der Weiber ist von der Erde geschieden! Gott im Himmel, sie muss zu gut für uns gewesen sein. Sprecher Die Obduktion erbrachte, dass ein Lungenflügel zerstört war, außerdem wurde eine Geschwulst am Herzen gefunden. Die Gräfin Voß notierte in ihrem Tagebuch: Zitatorin Die Ärzte sagen, der Polyp am Herzen sei eine Folge zu großen und anhaltenden Kummers. Sprecher Der Volksmund verbreitete die Sage, Luise sei an gebrochenem Herzen gestorben, aus Sorge um das Vaterland. Demandt: Die Instrumentalisierung Luises für die Kriegspropaganda setzt ja sehr früh ein, denken sie an Theodor Körner, da ja "Luise sei das Losungswort zu Rache" dichtet, also schon vor dem Beginn der Befreiungskriege den Tod Luises mit der Rache an Frankreich verbindet... Sprecher Fünf Jahre später, nachdem Napoleon in Waterloo geschlagen ist und die alliierten Truppen in Paris einmarschieren, soll Marschall Blücher ausgerufen haben: Zitator Jetzt endlich ist Luise gerächt! Sprecherin Gerächt? - Vielleicht, nach Meinung der Zeitgenossen. Aber schon längst hat ein Kult um die Königin der Herzen eingesetzt, der - mit ideologisch verordneten Unterbrechungen - bis heute andauert. Demandt: Sie steht für ein Preußen, an das man sich gern erinnert, sie ist eben das Preußen des Idealismus, das Preußen von Schadow, von Schinkel, von Rauch, von Hegel, von Humboldt und nicht das säbelrasselnde oder zynische Preußen, das militaristische und imperialistische Preußen, das reaktionäre Preußen, sondern sie ist so das sentimentale, geschichtslose, schöne Preußen, an das sich viele Menschen über Luise eben auch gern erinnern. Sprecher Und ein Ende ist nicht in Sicht. 1