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Neuer Bahnsteig, neue Rolltreppen führen hinauf auf eine neue breite Stahlbrücke. Sie verbindet den Westen mit dem Osten der Elbinsel, die zerschnitten von S-Bahn- und ICE-Gleisen im Süden Hamburgs liegt. Unten der Busbahnhof, aufgereiht die neuen Leihräder. Ökologische Stadtentwicklung will die Bauausstellung präsentieren, gepaart mit der sozialen Aufwertung Wilhelmsburgs. Hamburg soll wachsen. Und Wilhelmsburg endlich raus aus der Schmuddelecke der Hansestadt. Atmo 2 Schritte, Wind Vis á vis des S-Bahnhofs, auf der anderen Gleisseite, ragt ein riesiges Bürogebäude in den grauen Himmel. Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, das erste IBA-Projekt. Ein Passivhaus, elf Stockwerke hoch, mit geschwungener, pastellbunter Fassade. Atmo 3 Raus aufs Dach Atmo 4 Wind Windböen fegen über das Dach des Behördenneubaus. Oberbaudirektor Jörn Walter zerzaust der Wind die dunklen Haare. Verweht ein paar Funken seiner filterlosen Zigarette. Der Blick fällt auf ein Dutzend Hightech-Wohnhäuser gegenüber. OT 2 Walter: Jedes dieser Häuser hat ja ein Element mindestens, wenn nicht sogar mehrere, die irgendwie noch nicht Standard sind. Ob das nun der Woodcube ist oder ob das dieses Algenhaus ist, die dann zusätzlich eben zusätzliche noch technische Elemente verwenden, um eben zu möglichst energieneutralen Häusern, was den Verbrauch anbetrifft, zu kommen. Atmo 4 Wind Atmo 5 leises Gespräch auf dem Dach Angetan hat es Hamburgs Oberbaudirektor vor allem der ?Woodcube?. Ein kleiner Wohnblock, fünf Stockwerke hoch, Decken und Wände, das Treppenhaus aus hellem Holz. Jederzeit mühelos recyclebar. Und sehr begehrt: alle sechs Eigentumswohnungen sind schon verkauft und bezogen. Atmo 5 leises Gespräch auf dem Dach Eingerahmt wird der Stadtteil von Hafenbetrieben im Westen und Autobahntrassen im Osten. Dort, in Kirchdorf-Süd markieren die heruntergekommenen 70er-Jahre-Hochhäuser des Immobilienkonzerns Gagfah die Stadtteilgrenze. Ein blinder Fleck der Bauausstellung, nur drei Busstationen entfernt. OT 3 Walter: Da sehen sie auch das noch offen stehende Thema mit der Gagfah. Weil das ist natürlich ein Skandal, wie die Häuser sich da im Moment befinden und da muss dringend etwas passieren! Das ist auch der Grund, warum wir jetzt gemeinsam mit dem Bezirk sehr intensiv mit der Gagfah da um eine Lösung bemühen. Atmo 4 Wind Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter nimmt einen Zug von seiner Filterlosen. Natürlich wollten die IBA-Planer die Gagfah dafür gewinnen, im Rahmen der Schau auch ihre maroden Bauten zu sanieren. Ohne Erfolg. - Kalt bläst der Wind übers Dach. Walter zieht die Schultern hoch, hält sein schwarzes Jackett zu. Sieben Jahre Planungszeit stecken in der IBA, erzählt Walter 120 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln wurden investiert. Und das Versprechen der IBA: ?Wir werten Wilhelmsburg auf!? lockte Investoren der Privatwirtschaft in den Stadtteil: Bauunternehmen, kleine Internet-Cafés oder Baugenossenschaften zog es auf die Elbinsel. Investiert wurden auf diese Weise fast eine Milliarde Euro. Großartig ist das, erklärt der Oberbaudirektor. Und deshalb hat er wenig Lust, ständig über die maroden Hochhäuser zu sprechen, über die großen Probleme des Stadtteils. OT 4 Walter: Natürlich ist es eine Frage: Reden wir immer nur über Probleme oder reden wir auch mal über Chancen? Und es ist richtig: wenn ich über Wilhelmsburg rede, rede ich auch über die Chancen, die dieses Gebiet hat. Das wollen wir erschließen und ich halte das für eine absolut legitime, auch geradezu notwendige Strategie! Atmo 3 Raus aufs Dach (Schritte) ? und ohne diese Strategie lassen sich die Mittelschichten, die die Hamburger Stadtplaner nach Wilhelmsburg locken wollen, kaum gewinnen, so Walter. Und ohne diese Mittelschichten wird sich die so wichtige Mischung im Stadtteil kaum ändern, erklärt Jörn Walter und kehrt durchgefroren ins warme Gebäude zurück, zum nächsten Termin. Atmo 6 Bus Die erste Fahrt nach Kirchdorf-Süd. Fünf Minuten mit dem Bus, Aussteigen am Karl-Arnold-Ring. Die Hochhaus-Fassaden sind mit frischem weiß getüncht. Atmo 7 Schritte Entlang der Wohnblöcke fließen schmale Kanäle, eingefasst in Beton. Ein Einkaufswagen ragt halb aus dem Wasser, leere Plastikflaschen, Tüten. - Drei Viertel der Jugendlichen hier haben Eltern mit ausländischen Wurzeln. Fast die Hälfte der unter 15jährigen bekommen eine so genannte Mindestsicherung vom Sozialamt, doppelt so viele wie im Hamburger Durchschnitt. Atmo 8 Schritte, Handyklingeln (Anfang OT 5) Auf dem Weg zum Marktplatz ragen rechts die Hausfassaden in die Höhe, links dümpelt der Kanal. Acht Jungs, 16, 17 Jahre alt, lungern rum, neugierig, offensiv: OT 5 Kirchdorf-Süd-Boys: Was passiert? - Ich mache eine Reportage? - Ist das überhaupt echt? [Rascheln am Mikrofon] Was kostet das? ? Was wollen sie da fragen? ? Komm? mit! Ich beantworte dir alles! ? Das ist Scheiße! Die investieren da Millionen. Letztens hatte ich keinen Strom zuhause! Die Bastarde! ? Komm? mit! Ich beantworte Dir alles! Was hast du da drinne? Die Jungs amüsieren sich prächtig, wedeln mit kleinen Zellophantütchen, gefüllt mit Gras. ?Gutes Zeug!?, beteuern sie. Und Interviews gibt es nur gegen Geld. Atmo 7 Schritte Atmo 9 Marktplatz Hundert Meter weiter öffnet sich der grau gepflasterte runde Marktplatz. Feierabendstimmung unter frisch gepflanzten jungen Bäumen, gelbes Laub. Vor dem ?Pils-Eck? steht Sven Seifen. Ein junger schmaler Mann mit dünnem Schnauzbart. Die IBA-Idee, den Stadtteil schöner zu machen, findet er gut. Veränderungsbedarf gibt es genug: OT 6 Seifen: Doch! Bestimmt! Einiges! Ich denke mal, das Soziale allgemein. Für die Bewohner hier. Und nicht nur auf Ghetto getrimmt. Abschiebeecke, sage ich jetzt mal. Dass Leute da reingeschoben werden und alles hässlich bleibt. Da sollte man schon einiges verändern. Aber nicht auf die Kosten der ganzen Bürger hier. Atmo 9 Marktplatz Der Wilhemsburger dreht sich um, schaut nach oben zur frischen Hochhausfassade. Saniert von der SAGA, der städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Die in den letzten Jahrzehnten Teile ihres Häuserbestands auf der Elbinsel stark vernachlässigt, Sanierungen immer wieder verschoben hatte. OT 7 Seifen: Die haben hier nur bei einigen Häusern, so wie hier, Karl-Arnold-Ring 53, die Häuserreihe da und hier hinten, haben sie die Fassaden neu gemacht. Weiß nicht, wie die Dinger heißen, so Platten davorgesetzt, damit es optisch gut aussieht. Und innendrin bleibt alles so wie es vorher war. Alles kaputt. Ein Freund von mir wohnt da im Haus, ich hab?s gesehen: Fahrstuhl kannst du vergessen, wenn du hochfährst, knatscht und quietscht es überall, alles verbeult, kaputt. Da sollte man mal was machen! Aber nicht nur Außen! Wie sagt man so schön?: Außen: Hui! Innendrin: Pfui! [lacht] Atmo 9 Marktplatz Der junge Mann winkt ab, zeigt über den Platz, rüber zur Bushaltestelle. Früher gab es hier immerhin noch Parkplätze, heute nur diesen nutzlosen Marktplatz, schimpft er. Und anständig Ausgehen kann man hier auch nicht, mehr als das ?Pils-Eck? gibt es nicht. - Gleich kommt sein Bus, kurzer Händedruck. Atmo 10 Pappeln rauschen, Wind Die nächste IBA-Visite. Zwei Kurzbesuche in den Hightech-Häusern der so genannten ?Bauausstellung in der Bauausstellung?. Neben dem ?Woodcube? mit seiner Holzfassade, neben ?Smart-Prize?-Häusern und ?Hybrid-Houses? stehen die so genannten ?Waterhouses?: Atmo 11 Schritte über Holzplanken, Türsummer, Reingehen Erreichbar nur über breite Holzstege, direkt an kleinen Kanalbuchten. Anlegestellen an den Terrassen. - Nina Pfeiffer und ihr Mann wohnen seit August in einem der ?Waterhouses?. Vis-á-vis zum Gelände der Internationalen Gartenschau. Eine schlecht besuchte Veranstaltung, nach deren Ende eine langgestreckte Parklandschaft bleibt, neue Turn- und eine Kletterhalle. Und 37 Millionen Euro Verluste. Die Illustratorin Pfeiffer steht im Flur ihres Waterhouses. Vor ihr, an der Wand hängt ein iPad in schmalen Aluschienen. Die zentrale Steuereinheit im Passivhaus: OT 8 Nina Pfeiffer: Man kann jetzt hier unter ?Einstellungen? wie gesagt diese Profile einstellen. Dass man zum Beispiel möchte, dass die Rollläden um 19.10 Uhr alle runtergehen, wenn es dunkel wird. oder das abends um 18 Uhr das Licht in der Küche angeht. Das kann man alles einstellen. Atmo Raum (aus dem Archiv) Was die Wohnung gekostet hat, will Nina Pfeiffer nicht verraten. Nur so viel: in den anderen Hamburger Stadtteilen hat sie zusammen mit ihrem Partner lange und vergeblich nach einer bezahlbaren Immobilie gesucht. In Wilhelmsburg fanden sie Quadratmeterpreise, die sie sich leisten konnten. Atmo 14 Schritte II Nicht nur Hightech, sondern auch Chancen für die Wilhelmsburger will die IBA schaffen. Medienwerkstätten für Kinder und Jugendliche sind entstanden, bezahlbare Atelierräume, ein Seniorenheim für muslimische Menschen und eine WG für türkische Demenzkranke. Das größte Bildungsprojekt der IBA, das ?Tor zur Welt? liegt zentral, ganz in der Nähe der S-Bahn-Station. Atmo 15 wehendes Laub, Kindergeschrei Auf dem weiten Platz vor dem Eingang fegt das gelbe Laub übers Pflaster, Schülerinnen und Schüler turnen auf Sitzbänken herum. Begeistert vom Neubau aus Holz, dem vielem Glas: OT 10 Schüler I & II: Mir gefällt an der Schule das Aussehen, das Design und so was. Und ja? Die Lehrer sind ein bisschen streng. Aber das ist bei jeder Schule so?. Die Schule ist einfach geil! Gemanagt wird das ?Tor zur Welt? von Theda von Kalben. Atmo 16 Schritte im Gebäude Atmo 17 Sockenzone Sie führt durch die weite, hohe Halle. Setzt sich an einen der Tische neben der ?Sockenzone?. Kinderschuhe stehen aufgereiht am Rand des Holzfußbodens, die Schüler tüfteln an Bauklotz-Türmen, stecken die Köpfe zusammen. An einem Ort, der vor zehn Jahren für bundesweite Schlagzeilen sorgte: OT 11 von Kalben: Auf dieser Fläche war die ehemalige Grundschule ?Buddestraße?. Die ist damals bekannt geworden in der Presse durch einen Unglücksfall. Ein Kampfhund hat hier einen türkischen Jungen totgebissen. ? Volcan. ? Das war Ende der Neunziger, Anfang 2000. Und dieses Ereignis hat dann hier in Wilhelmsburg die Zukunftskonferenz ausgelöst. Und im Rahmen dieser Zukunftskonferenz ist dann auch das Thema in die Stadtentwicklung gekommen. Im Prinzip ist aufgrund dieses traurigen Ereignisses der Aufbruch im Bildungsbereich entstanden. Atmo 17 Sockenzone Heute verbindet ein Rundweg im Gebäude ein Gymnasium und eine Ganztags-Grundschule mit dem ?Regionalen Bildungs-und Beratungszentrum?. Ein Angebot an Erwachsene im ganzen Stadtteil: OT 12 von Kalben: Und das Schöne, was jetzt in Wilhelmsburg passiert ist: wir haben ja auch Zuzug von so genannten bildungsinteressierten Familien, die auch dann mal Volkshochschulkurse annehmen. Das war immer ein Problem hier im Stadtteil. Das kostet ja ein bisschen Geld. So dass viele das nicht angenommen haben und die Volkshochschule sich nicht so richtig etablieren konnte. Das scheint jetzt hier an diesem Standort anders zu werden. Das läuft ganz gut an! Atmo 17 Sockenzone Zusätzlich wird Beratung bei der Arbeitssuche geboten, Räume werden vermittelt für Theaterprojekte oder für die ?Afrikanische Müttergruppe?. Allerdings, erzählt die ?Tor zur Welt?-Chefin, kommt es eben nicht nur auf neue Räume, neue Gebäude an. Sondern vor allem auf eine gute personelle Ausstattung. Erst im letzten Jahr verfassten die Leiter aller Wilhelmsburger Schulen einen ?Brandbrief? an den Senat, um die dramatische Personalsituation klarzumachen. Im August schickte die Hamburger Schulbehörde zwölf zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer auf die Elbinsel. Kein Luxus, sondern eine dringende Notwendigkeit, findet Theda von Kalben: OT 14 von Kalben: Die Kinder, die aufgrund der Situation durch die Elternhäuser nicht unterstützt werden, brauchen eben, finde ich, Unterstützung der Gesellschaft! Das müssen wir alle leisten! Und das muss aus dem Steuersäckel bezahlt werden! Atmo 16 Schritte im Gebäude Theda von Kalben lächelt. Schaut durch die Panoramascheiben auf den Vorplatz. Sechs Jugendliche spielen Fußball. Kicken den Ball gegen die Scheiben. Die Bildungs-Managerin verabschiedet sich, geht raus, ruft die Jungs zur Ordnung. Atmo 18 Wind, raschelndes Laub Atmo 19 Marktplatz Kirchdorf-Süd Der zweite Besuch in Kirchdorf-Süd. Zurück auf dem weiten Marktplatz mit seinen jungen Bäumen, der Bushaltestelle, dem ?Pils-Eck?. Auf den Bänken sitzen Frauen und Männer, plaudern, trinken Tee aus kleinen Gläsern, vor dem türkischen Imbiss. Die meisten winken lächelnd ab, Interviews möchte niemand geben. Anders zwei junge Männer, in Kapuzenpulli, Jeans, Turnschuhen. Hat die IBA ihr Quartier verändert? Tut die Bauausstellung Wilhelmsburg gut? OT 15 Bairamowitsch: Das spaltet Wilhelmsburg mehr als Wilhelmsburg aufzuwerten, finde ich. Weil: hier ist Kirchdorf, dann kommt Wilhelmsburg, dann kommt die IBA so mittendrin. Und dann geht?s nach Alt-Wilhelmsburg. Und das ist einfach so eine Mitte, da leben auch Leute, die, weiß nicht, auch hier Kohle haben. Ja? Hier kommt wirklich gar nichts rüber. Armin Bairamowitsch lebt in Kirchdorf-Süd, studiert Architektur in Hamburg. OT 16 Bairamowitsch: Es gibt hier ein Jugendzentrum. Und das war?s auch. Hier gibt?s sonst gar nichts! Vor allem abends so. Die haben uns hier vergessen! Das ist echt eine vergessene Ecke hier! Atmo 19 Marktplatz Kirchdorf-Süd Der Student und sein Kumpel ziehen weiter. Treffen ihre Freunde an der nächsten Ecke. Am Fuße der weißgetünchten Hochhausreihe. Atmo 20 an- und abfahrende Busse An der Bushaltestelle sitzt Peter Kowalski, die Haare etwas durcheinander, ausgebeulte Jacke. Seit neun Jahren wohnt er im Block gegenüber. Endstation auf seiner Reise von Ost-Schlesien nach Deutschland. Die Neubauten der IBA hat er sich angesehen. Schicke Bauten, so Kowalski. Für Menschen, die gut verdienen: OT 17 Kowalski: Und das macht Wilhelmsburg interessanter? Weil hier Steppjacken-Menschen einziehen sollen? Was wollen die Leute hier? Hat man mal gefragt, ob man die Leute hier überhaupt will? Atmo 20 an- und abfahrende Busse Kowalski schüttelt den Kopf, dreht sich eine Zigarette. Schimpft auf die Studenten, die neuerdings im Viertel unterwegs sind. Rücksichtslose Radfahrer, die sich an keine Regeln halten! Er will nach Hause. Ins Hochhaus. 42 Quadratmeter für 280 Euro. Ein alter Mietvertrag macht?s möglich. Atmo 20 an- und abfahrende Busse Atmo 19 Marktplatz Überall in Wilhelmsburg steigen die Mieten. Noch moderat, im Vergleich zu Hamburger Innenstadtlagen. Zu St. Pauli oder Eimsbüttel. Der Stadtsoziologe Moritz Rinn vom Hamburger Institut für Sozialforschung untersucht die Veränderungen, die die IBA in Wilhelmsburg in Gang gesetzt hat. Sein Ergebnis: es gibt Verdrängungsprozesse auf der Elbinsel. Durch die Sanierungsprojekte der IBA. Gentrifizierung mit Steuermitteln ist das, folgert Forscher Moritz Rinn. Seit vier Jahren wohnhaft in Wilhelmsburg. Atmo 21 Autofahrt Uli Hellweg kennt diese Kritik, die Verhältnisse in Kirchdorf-Süd, die ganze Elbinsel. Ihre Verwerfungen, Gegensätze und Konflikte. Hellweg ist der Kopf der Internationalen Bauausstellung. Geschäftsführer der IBA Hamburg GmbH. Kurze graue, krause Haare, schwarze Windjacke, steuert er seinen Kombi durch die noch immer winddurchwehten Straßen von Wilhelmsburg. Sein Ziel: der Welt-Gewerbehof. Ein weiteres IBA-Projekt. Und eins, das dem Geschäftsführer am Herzen liegt. Das bisher, so Hellweg, viel zu wenig Beachtung gefunden hat. OT 18 Hellweg: Wir sind am Weltgewerbehof. Das ist eines unserer Projekte, dass, finde ich, schon ganz außergewöhnlich ist, weil es so etwas meines Wissens eigentlich nirgendwo gibt. Atmo 22 Aussteigen Ein breites Glasdach überspannt den halben Hof, darunter stehen sechs mit Holz verkleidete Quader. Arbeitsräume und Werkhallen für Kleinunternehmer, von denen einige gleich nebenan wohnen, im aufwendig sanierten roten Altbau-Riegel aus den 30er Jahren. Nur die kleinen, heruntergekommenen Arbeitsverschläge wurden weggerissen, erzählt der IBA-Chef. OT 19 Hellweg: Vorher war hier ein völlig marode Garagenhof. Wenn sie da mit einem Pritschenwagen reinfuhren, dann kamen sie die nächsten vierzehn Tage nicht mehr raus. Es war wirklich eine Katastrophe. Es gab auch keine sanitären Einrichtungen. Und trotzdem haben hier eben Menschen gearbeitet, kleine Werkstätten gehabt. Und in diesem Beteiligungsverfahren, das wir hier eben 2008, 2010 durchgeführt haben, wurde sehr deutlich auch von den Anwohnern gesagt, dass sie gerne so Arbeitsmöglichkeiten in Wohnungsnähe haben wollen. Atmo 23 Hof Die Mieten liegen zwischen moderaten 3 Euro 50 und 6 Euro. Netto, kalt. Ein guter Preis für junge Unternehmen, kleine Handwerksbetriebe. Atmo 24 Reingehen Im zweiten Holzkubus arbeitet Axel Budde. Der 37jährige ist Chef und einziger Mitarbeiter der Firma ?Kaffeemaschine?. Er baut historische Motorräder um. Zu Rennmaschinen, so genannten ?Coffee-Racern?. Ohne Schnickschnack, in unendlicher Handarbeit. OT 20 Budde: Ich kann ihnen mal eine fertige zeigen! Atmo 25 Werkstatt, Radio, Gemurmel Axel Budde, im schmalen, blauen Overall zieht das helle Abdecktuch von der Maschine. OT 21 Budde: Die Substanz ist von Moto Guzzi Und ich baue die dann mit ganz vielen handgearbeiteten Aluteilen so neu auf. Atmo 25 Werkstatt, Radio, Gemurmel Uli Hellweg zieht die Brauen hoch. Begeistert von dem Liebhaberstück. Reich wird man damit nicht, winkt Budde ab. Zwei Jahre lang suchte er vergeblich nach einer kleinen Werkstatt. Das IBA-Projekt ?Weltgewerbehof? kam ihm gerade recht. OT 22 Budde: Und ohne diese Projekte hätte ich zum Beispiel nicht eine bezahlbare Werkstatt. Oder meine Freundin ein Atelier. Und das finde ich toll! Es wird viel im Viertel gesprochen: ?Die IBA, was ist das alles?? und ?Es wird jetzt alles teurer!?Aber das hier die Wohnungen saniert worden sind, Projekte, die ganz bescheiden am Rande liefen, denen hat man finde ich nicht genug Beachtung geschenkt. Dass es ja viel für die Leute und das Viertel gebracht hat. Das nur mal so am Rande. Atmo 25 Werkstatt, Radio, Gemurmel Der IBA-Chef lächelt still. Besser hätte er es auch nicht sagen können. Axel Budde deckt behutsam das Motorrad ab, schraubt weiter an der nächsten Maschine. Atmo 26 Hof, Wind Das Sturmtief zerrt an den IBA-Fahnen am Rande des Hofs. Uli Hellweg schlägt den Kragen hoch. Die Kritik, dass die IBA die ärmste Ecke der Elbinsel, Kirchdorf-Süd, vergessen hat, weist er zurück: OT 23 Hellweg: Kirchdorf-Süd gehört auch zum IBA-Gebiet! Und wir haben dort ein ganz hervorragendes Schulprojekt gemacht: die ?Schule am Stübenhofer Weg?, eines unserer ganz großen Bildungsprojekte: architektonisch wunderschön, vom Ansatz her extrem innovativ. Weil es eine ?Produktionsschule? ist. Das heißt: dort werden die Kinder in Handwerkstechniken geschult. Es soll ihnen dort der Übergang von einer schulischen Ausbildung zu einem Handwerksberuf leicht gemacht werden. Atmo 26 Hof, Wind Was bleibt, ist die Kritik an den Verdrängungsprozessen durch die IBA. Dabei ist die ?Aufwertung ohne Vertreibung? eines der Leitbilder der IBA-Macher. Wie groß schätzt Hellweg die Gefahr, dass in ein, zwei Jahren die alteingesessenen, einkommensschwachen Wilhelmsburger raus müssen aus ihrem Viertel? Platz machen für zahlungskräftigere Mieter, für Eigentumswohnungen. Wie erklärt Hellweg, dass die Mieten steigen? OT 24 Hellweg: Das wird von manchen eben als eine Art von Gentrifizierung gefühlt. Tatsache ist aber, dass sich erstmal hier normale Verhältnisse eingerichtet haben. Trotzdem untersuchen wir natürlich sehr genau diesen Mietentwicklungsprozess. Und wir haben schon vor etwas mehr als einem Jahr den Senat und den Bezirk den Hinweis gegeben, über kurz oder lang hier mit dem entsprechenden Planungsrecht tätig zu werden. Um eine dann tatsächliche Gentrifizierung, also: Verdrängung durch Mietpreissteigerungen zu vermeiden. Atmo 26 Hof, Wind Mit dem konsequenten Einsatz aller Stellschrauben des Planungsrechts könnte die Politik diese Probleme in den Griff bekommen, so Hellweg. Vorausgesetzt, es besteht der politische Wille. - Die alten und neuen Wilhelmsburger sollen zusammenfinden. Das wünscht er sich. Auf dem grauen Pflaster im Welt-Gewerbehof erklärt der IBA-Chef, was die Schau geleistet hat. OT 25 Hellweg: Natürlich haben wir nie in dieser kurzen Zeit einen ganzheitlichen Ansatz über Kirchdorf oder andere Gebiete machen können. Wir haben eigentlich immer nur mit Akupunkturen gezeigt, dass auch über Akupunkturen etwas zu bewegen ist. Aber natürlich muss aus der Akupunktur dann auch vielleicht mal eine längere und ganzheitlichere Behandlung werden, um im Bild zu bleiben. Atmo 26 Hof, Wind Ein Jahr lang wird Hellweg noch Geschäftsführer der Bauausstellung bleiben. Den Umbruch des ganzen Stadtteils begleiten, versuchen, den Wandel zu verstetigen. Er hofft auf die Politik, den politischen Willen, das Projekt weiter zu betreiben. Mehr zu tun als in den letzten zwei Jahrzehnten. Der Anfang ist gemacht. Atmo 18 Wind, raschelndes Laub 5 Manuskript "Alles Fassade? ? eine Bilanz der Internationalen Bauausstellung in Hamburg" Axel Schröder 1