Deutschlandrundfahrt Sehnsucht nach Stille Götzer Berge in Brandenburg Von Elmar Krämer Sendedatum: 24.08.2014 Ton: Bernd Friebel Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2014 01 Atmo Vogelgezwitscher, Natur 01 O-Ton Götzer Berge ist ein verwunschenes, traumhaftes schönes Dorf. Diese Ruhe und diese Abgeschiedenheit, so wie am Ende der Welt, dahinter kommt gar nichts mehr, außer Natur. Autor In der Tat. Still ist es in Götzer Berge, genau deshalb fahre ich seit Jahren hierher - ich mag das Dorf und seine Bewohner, auch wenn es hier keinen Laden, keine Kneipe, keinen Bäcker gibt. Nicht einmal einen Kiosk. Man trifft sich auf der Straße, auf dem Europaradweg, der mitten durchs Dorf und durch die Erdelöcher führt, man trifft sich auf einen Kaffee oder ein Bier im Garten der Nachbarn, man feiert zusammen Halloween und hin und wieder ist Nachbarschafts-Lagerfeuer. Kennmelodie Sprecher vom Dienst Sehnsucht nach Stille Götzer Berge in Brandenburg Eine Deutschlandrundfahrt von Elmar Krämer Kennmelodie 02 Atmo Autor Ziemlich genau in der Mitte des Dorfes steht ein, im Vergleich zu den Nachbarhäusern, kleines Gebäude - das Amerikanerhaus. Es war das erste Haus in Götzer Berge, das nach der Wende ein Zugezogener kaufte. 1991 war das - und er fiel hier auf dem Dorf in Brandenburg sofort auf. 02 O-Ton: Ich heiße Lannie Peyton. Ich bin 67 Jahre alt, ich bin gebürtiger Amerikaner, bin immer noch Amerikaner, bin von Beruf her Psychotherapeut. Lebe seit 1972 in Deutschland. Und irgendwann kam meine damalige Frau auf die Idee, in die Märkische Allgemeine - so heißt die Zeitung - eine Anzeige aufzugeben: "Vierköpfige Familie sucht Haus innerhalb einer Stunde von Berlin", mit einer bestimmten Preiskategorie, und dann Frau Kleinhans, die im Ort lebt, sie hat diese Anzeige gesehen und rief uns an. So fing es an. Autor Durch die Fenster seines Hauses guckt er in die Natur: Bäume, Wiesen, Wald und der Himmel. Vom Esszimmer im Erdgeschoss aus: gute Sicht in Richtung Erdelöcher - eine Seenlandschaft, entstanden durch den Abbau von Ton. Diese Relikte der Ziegeleiindustrie aus dem 19. Jahrhundert werden heute als Angelgewässer genutzt. 03 O-Ton Ich habe damals das Haus nicht gesehen, ich habe die Umgebung gesehen. Ich bin damals durch die Wasserteiche, diese kleinen Seen gelaufen, und ich hab mich in die Gegend verliebt. Und später, als ich dann Fotos gesehen habe von dem Haus, wie es aussah, hab ich gedacht, wir waren verrückt, es zu kaufen. Wo ist es denn jetzt... ich zeige Dir das Foto. So - so sah es aus, als wir hier hergekommen sind. Als ich das gesehen habe, ich hab meine damalige Frau gesagt: "Warum haben wir das Ding gekauft?" - So sah es aus (lacht). Autor Das Foto zeigt eine Ruine, eher eine lose Steinsammlung als ein Haus. Aus heutiger Sicht unvorstellbar - doch so sahen nach der Wende auch die Häuser in der unmittelbaren Nachbarschaft aus, das Spanierhaus, das ehemalige Bauernhaus, die Gaststätte: 04 O-Ton Das war eine dunkle Ecke, ich war ganz alleine hier, immer Wochenende bin ich gekommen zu arbeiten. Damals, was ich sehr besonders hier fand, ist dass die Menschen unheimlich nett waren. Dieses Haus galt als das Amihaus, weil ich Amerikaner bin und das Haus gegenüber galt als das Spanierhaus, weil vor dem zweiten Weltkrieg hat ein spanischer Industrieller, der gerne angelte, er hat das Haus gebaut und deshalb heißt das das Spanierhaus und das war hier das Amihaus. Ich hab viele schreckliche Geschichten gehört, so Neonazis und Unfreundlichkeit, Mobbing, Leute, die nicht angenommen wurden, aber die Menschen waren unheimlich hilfsbereit, das hat mir sehr gut gefallen. Autor Der Amerikaner Lannie Peyton hat ein bewegtes Leben hinter sich. Der Sohn eines Militärs wird mit 19 Jahren selbst Soldat, dient in Vietnam, will dann aber weg aus den USA. Er geht nach Frankreich, lernt eine Deutsche kennen und einen Münchner, der ihm einen Job anbietet - der Amerikaner zieht nach Bayern und ein paar Jahre später zum Psychologiestudium nach Berlin. Er heiratet, wird Vater - tja, und dann reift irgendwann der Wunsch, aufs Dorf zu ziehen. 27 O-Ton So bin ich hier hängen geblieben. Autor Im Flur, neben der Eingangstür seines Hauses in Götzer Berge, führt eine Treppe in den ersten Stock, in ein ausgebautes Spitzdach - ein großer Raum. In einer Ecke stehen Gitarren, ein Schreibtisch, ein Sofa. Man sieht Dachbalken, steht auf abgezogenen Dielen. 28 O-Ton Und als ich diese Haus gekauft habe, das war alles offen, hier das Dach und hier war eine Mauer, hier war auch eine Mauer, das war auch ein Zimmer, hier war ein Zimmer, da war ein Zimmer und da war ein Zimmer. Und da wohnte ein altes Ehepaar, haben sie mir erzählt, aber das war wirklich ein Verschlag. Und dann haben wir uns entschieden, weil unten alles relativ klein ist, dass wir oben einen großen Raum haben. Deshalb im Haus gibt es wenig Schlafplätze für Gäste, deshalb die Scheune. Es war so gedacht, dass wenn meine Kinder kommen, so mit Freunden. Aber die kommen immer mehr. Als sie jünger waren, meine Kinder wollten nicht hier sein. Vielleicht eine Anekdote: Wir hatten viel gemacht und das Haus war soweit und wir konnten dann hier schlafen und da war auch endlich ein Bad und fließend Wasser und so. Und dann wir sitzen da beim Essen und meine Kinder haben so lange Gesichter und ich sag: "Warum geht ihr nicht raus zum Spielen? Es gibt Natur hier und so" und die wollten einen Kudammbummel machen - und ich hab gesagt, ich war beleidigt, weil ärgerlich, und dann gucken sie mich an und haben gesagt (verstellt die Stimme): "Papa, wir sind Stadtkinder." (Lacht) - ich hab gedacht, die würden das genießen, die Natur, aber die wollten Stadt. Zwischenfrage: Und wie alt waren die da? Die waren 8/9/10, aber jetzt kommen sie gerne her, sie sind jetzt 30 und 28 und sie sind gerne hier. Auto So wie die meisten anderen Bewohner der nur 34 Wohnhäuser in Götzer Berge. 01 Musik Bruce Springsteen: CUT "Born in the USA" intro 17 1.45f 03 Atmo ranfahren, Motor aus, aussteigen, Tür zu. 05 O-Ton Hallo, wir wollten doch einen gemeinsamen Spaziergang durch Götzer Berge machen, ich glaube, wir können hier am Ortseingangsschild beginnen. Autor Jörg Dieter Ullrich, Pensionär, 79 Jahre alt, groß, drahtig, von 1952 bis 1998 Lehrer und später Schulleiter an der Schule im benachbarten Götz. Jetzt ist er Ortschronist der Gemeinde. 06 O-Ton EK: Da kommt gerade ein Auto, gehen wir mal zur Seite kurz. Ullrich: Der spritzt uns sonst nass Atmo: Auto durch Pfütze EK: Viele Autos fahren hier nicht durch, oder? Ullrich: Nein, eigentlich nicht, weil das ja eine Sackgasse ist. Das endet ja da und dann ist nur noch ein Feldweg und da ist eigentlich kaum noch Autoverkehr. EK: Jetzt sind wir hier also um die Kurve gekommen, eigentlich direkt aus dem Wald und jetzt stehen wir hier in Götzer Berge - was ist das erste Gebäude, was man hier sieht? Ullrich: Das erste Gebäude ist also auf der rechten Seite, das war das Försterhaus vom Hauptmann Daude. Der hatte nämlich auch die eigene Jagd hier. 04 Atmo Vogelzwitschern 1 Autor Beige Ziegelsteinwände, Blumen, ein gepflegter Vorgarten - das Försterhaus am Ortseingang - bewohnt! Doch direkt dahinter auf der rechten Straßenseite: eine riesige, heruntergekommene Villa. Einstmals das hochherrschaftliche Wohnhaus des Ziegeleibesitzers Daude. An das alte Gebäude wurde zu DDR-Zeiten ein gläserner Erweiterungskasten gebaut. 07 O-Ton Das ist nicht mehr bewirtschaftet, es steht leer. Das war früher in DDR-Zeiten das Erholungs- und Ferienheim vom FDGB und hier waren viele Urlauber immer und Schulungen der Gewerkschaftsfunktionäre. Dieses Haus ist sehr, sehr schön innen - also war es perfekt, für DDR-Zeiten ganz besonders. Hier dieses große Glashaus, hier vorne, da haben wir Silvester immer gefeiert - wir sind dann gerne hierher gegangen. Das war also wirklich sehr, sehr schön. Ich bedaure, dass es heute dem Verfall preisgegeben ist. Es ist völlig unbewohnt, findet auch keine Veranstaltung mehr statt. Ist eigentlich zu schade, dass so ein Gebäude hier jetzt rumgammelt und irgendwann vielleicht zusammenfällt. Autor Gegenüber dieser alten Villa, die wirkt, als läge sie im Dornröschenchenschlaf, liegt das Gelände der letzten Ziegelei in Götzer Berge. Ein flaches Gebäude mit neuem Dach, daneben bunte Bauwagen und eine wilde Wiese. Ein großer schwarzer Hund streunt durch das hohe Gras, Kinder spielen an den Bauwagen, Erwachsene werkeln an Haus, Wagen und im Garten. , 08 O-Ton Also hier, wo diese Wagen da stehen, da war der Ringofen. Dahinter der Schornstein, und hier weiter links ist noch das Gebäude von den Arbeitern, die Saisonarbeiter waren und die hier dann nur geschlafen haben, als Schlafstädte. Zwischenfrage: Und was ist da jetzt? Jetzt - da sind da junge Leute eingezogen. In DDR-Zeiten war es ein Kinderferienlager, mehr oder weniger war es. Zwischenfrage: Na, das passt ja, und jetzt sind wieder junge Leute eingezogen! Junge Leute - also schon junge Erwachsene würde ich sagen, die haben ja selber schon wieder Kinder teilweise. 09 O-Ton Hallo, ich bin Birgit, ich wohne seit 4 Jahren in Götzer Berge. Hallo, ich bin Eike. Wir haben das Gelände ersteigert und vorher waren wir nie hier. Da haben wir im Versteigerungskatalog Bilder gesehen und waren fasziniert von der Größe des Geländes und den Gebäuden und dann sind wir hierher gefahren, Eike und ich das erste Mal. Als ich durchs Dorf gefahren bin, hab ich mich zurückversetzt gefühlt in meine Kindheit, das war wie große Ferien. Das war wirklich fantastisch und mir war sofort klar - also ich hab mich quasi auf den ersten Blick verliebt in diesen Ort. Und man sah viel Arbeit und viele Möglichkeiten. Und dann haben wir es tatsächlich ersteigert. Wir sind eine Gruppe von Leuten, die teils fest hier wohnen, teils Freunde, die immer mal mithelfen und ein großer Bekanntenkreis - ja. Autor Wir sitzen auf einer Bank unter einer großen Linde. Eine weiße Katze schleicht um unsere Beine, davor liegt Vito, der schwarze Hund, der sich von der Katze nicht stören lässt und auch nicht von der Gans, die entspannt vorbei watschelt. Natürlich werden auch Partys gefeiert - aber auch da gehört die Natur dazu: es gibt eine Feuerstelle, gelegentlich wird ein Tipi, ein großes weißes Indianerzelt, aufgebaut. Eike, Anfang 40, ist eigentlich Berliner, hat in Kreuzberg gelebt, als Wissenschaftler an der Uni in Potsdam gearbeitet - jetzt befindet er sich in einer Zwischenphase, wie er sagt, ist dabei, sich umzuorientieren. 10 O-Ton Ich bin sehr naturverbunden und das ist hier ein Paradies. Man hat sowohl den Wald, wo man Pilze sammeln gehen kann, man hat vorne das Wasser - ich sehe das oft auch so ein bisschen als Insel, denn wenn man von hier aus rausfährt ins Havelland, die ganzen anderen Nachbardörfer sind nicht so schön, vielleicht Detz noch. Ich hab genug Lärm und Gestank, aber auch Partys und alles und Multikulti erlebt, jetzt ist bei mir erst mal ein bisschen mehr Ruhe angesagt und ich kann ja jederzeit, weil es hier ja vor den Toren Berlins ist, mal reinfahren, wenn es mir danach dürstet - aber immer weniger eigentlich. (lacht) Autor Im Dorf nennt man sie die Blumenkinder - und anfangs wurden sie durchaus auch skeptisch beäugt, doch man hat sich aneinander gewöhnt. Vielleicht ist es bei nur 86 in Götzer Berge gemeldeten Menschen auch unabdingbar, dass man die Nachbarn so akzeptiert, wie sie sind. 11 O-Ton Ich finde auch den Mix der Leute hier in dem Dorf sehr schön, das ist ja fast schon so halbe-halbe, die Zugezogenen und die Alteingesessenen, und das ist glaube ich auch eine gute Mischung. Wenn es nur so ein paar Zugezogene hat, dann ist es vielleicht eher so, dass die Schwierigkeiten haben reinzukommen in die Dorfgemeinschaft, aber dadurch, dass das Mischungsverhältnis jetzt so ist und das Dorf eben entsprechend klein, bleibt ja vielleicht den Alteingesessenen nichts anderes als auch in den Kontakt zu gehen, und das ist das Spezielle hier an dem Dorf. Autor An dem Dorf hinter dem Götzer Berg. 02 Musik Herr Ullrich mit Akkordeon Bolle reiste... mit Text über GB 1.50 Autor Götzer Berge - hier gibt es tatsächlich kein Geschäft. Aber es gibt die Stille - und ein Hotel - ohne öffentlichen Restaurantbetrieb - das die Stille zum Konzept macht: Der Rosenwaldhof - ein "stilles Seminarhaus und Retreatzentrum" heißt es auf der Homepage. Ortschronist Jörg Dieter Ulrich erinnert sich, dass das mit der Stille hier auch mal anders war - damals hieß das Hotel "Havelhotel": 12 O-Ton Es war eine öffentliche Gaststätte drin, Kegelbahn drin, es war recht interessant für die Einwohner auch. Da konnten die immer mal reingehen - hier war die Gaststätte auf der Seite und jetzt ist es der Rosenwaldhof. Zwischenfrage: Und da waren Sie früher auch zum Feiern? Ja, hier habe ich meinen 70. Geburtstag drinnen gefeiert in dieser Ecke. Beim Bierchen und schönem Essen und das Akkordeon hatte man natürlich immer mit dabei und dann war es recht lustig geworden. Zwischenfrage: Und da gab es auch noch die Kegelbahn? Da war die Kegelbahn noch da. Autor Die Kegelbahn wurde abgerissen - aus dem Hotel sollte eine Beautyfarm werden - das hat nicht geklappt. Aber das mit der Stille scheint zu funktionieren, viele Autos aus ganz Deutschland stehen auf dem Parkplatz. Menschen, die die Stille suchen, kommen in das brandenburgische Götzer Berge. 05 Atmo Ulrich Hallo Autor Einen Bürgersteig gibt es hier nicht. Es gibt die Straße und den Radweg, und man arrangiert sich. Manchmal wirkt es mediterran, wenn Autos für einen kurzen Schwatz der Fahrer nebeneinander stehenbleiben. 13 O-Ton Zwischenfrage: Und jetzt ist ja doch ein ganzes Stück mitten im Dorf, obwohl das Dorf sehr klein ist, wo so Freiflächen sind? Ja, diese Freiflächen waren von der Ziegelei und sollten wahrscheinlich noch ausgebeutet werden, weil hier drunter der Ton liegt. Autor Mitten im Dorf also große Wiesen. Im Morgengrauen und in der Abenddämmerung sieht man hier Rehe durchs Gras springen: Nach rechts der Blick in den Wald, links in Richtung Erdelöcher, also zu den Seen. Vor einer der Wiesen: der einzige Briefkasten im Dorf und ein hölzernes Wartehäuschen - hier fährt morgens der Schulbus ab. Links daneben ein großes Gebäude mit einem knallroten Anbau: 14 O-Ton Ja, das war früher die Gaststätte, also die Gaststätte mit einem Saal dran. Und auf der anderen Seite war erst der Konsum, der einzige Konsum hier im Ortsteil, sie konnten sich hier mal etwas kaufen, das ist heute nicht mehr möglich, es gibt keine Verkaufsstelle mehr, wie alles nach der Wende. Der Laden war leer, die Gaststätte war zu, und wenn so ein Haus unbewohnt ist, dann wird irgendwann randaliert drinnen. Zwischenfrage: Aber es fällt ja dann doch auf, dass diese ganzen Gebäude hier in diesem Dorf, die auch mal kaputt waren, dann irgendwann jemanden gefunden haben, der sich rein verliebt hat, und es dann wieder aufgebaut hat, oder? Ja, es waren viele Leute, die von auswärts kamen und investieren konnten. Da muss man dazu sagen, die hatten das nötige Kleingeld und deshalb sind diese Häuser jetzt überall recht schmuck geworden. Ne Bühne ist hier drin und Frau Graf, die gibt ja auch Konzerte. Zwischenfrage: Was haben Sie denn für Konzerte hier früher erlebt und jetzt heute? Früher waren das keine Konzerte in dem Sinne, es waren eher so Bauernbälle, wie sie sich nannten, einfache Tanzveranstaltungen. Zwischenfrage: Was ist denn das für Sie für ein Gefühl, wenn Sie in so ein Haus gehen, das Sie schon so lange kennen, und Sie haben die Zeiten erlebt, wo da Betrieb war, dann die Zeiten, in denen es sozusagen am Zerfallen war, und jetzt kommen sie in so ein Haus - und dann spielt da jemand mit einer Harfe klassische Konzerte? Ja, das ist natürlich eine ganz tolle Sache, wenn man sich das überlegt. Und wenn man jetzt heute sieht, was aus diesen Häusern geworden ist, dann kann man stolz sein und froh sein, dass sich Leute gefunden haben, diese Häuser so wieder herzurichten und nun auch noch Kultur in diesen kleinen Ort zu bringen. 03 Musik Maria Graf: "Morning Serenade"/ Sergei Prokoviev 2.30 15 O-Ton Begrüßung: Grüß Dich, Hallo! Hallo, hallo. Pünktlich, pünktlich - ich hole mal Maria. 06 Atmo Schritte Autor Maria Graf, die Harfenistin und Professorin an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin, und ihr Mann Matthias Fischer-Dieskau. Ein erfolgreicher Bühnenbildner. , 16 O-Ton MG: Wir haben in Schöneberg mitten in der Stadt gelebt, zehn Jahre lang. Und ich bin auf dem Land groß geworden und die Sehnsucht, wieder aufs Land zu ziehen, das wurde immer stärker. FD: Ja, ich bin ein Stadtkind, also ich bin in der Stadt großgeworden, allerdings mit einem großen Garten. Und das war Charlottenburg, aber ich bin sehr gerne in der Stadt gewesen, immer. Und bin auch in der Nacht rum, also wie ein typischer Stadtmensch einfach - MG (fällt ins Wort): Aber Du hast auch immer gesagt, entweder oder. Entweder Stadt oder wirklich Land. FD (fällt ins Wort): Ja, ich wollte nicht Zehlendorf, das auf keinen Fall, ich wollte auch nicht wieder Westend, wo es so schöne Villen gibt und Gärten, sondern ich wollte aufs Land und das haben wir gesucht. Autor Und in Götzer Berge gefunden. Durch die rund vier Meter hohen Fenster des Wohnzimmers sieht man auf der einen Seite in den Garten. Hinter Blumenbeeten und einer Wiese, auf der sich mehrere Schulklassen austoben könnten, beginnt der Wald. Auf der anderen Seite der Blick auf die Straße, das Spanierhaus der zwei Damen gegenüber und in Richtung der Erdelöcher, der Teichlandschaft, die auch aus der Luft gut zu erkennen ist. 17 O-Ton FD: Nach Tegel im Anflug passiert es manchmal, dass die Flieger etwas niedriger fliegen und da konnte ich nicht etwa Götzer Berge sehen, aber diese Region. Und das war wie im Paradies, so Wasser, Berge und da habe ich gesagt, da müssen wir suchen. Aber ich hab dann, von oben sieht das ja immer ganz anders aus und dann haben wir immer gesucht und das unten wiederzufinden ist nicht einfach. MG: Wir haben da in der Mitte des Ortes angehalten und ich habe völlig pathetisch gerufen: "Soeben ist meine Liebe auf diese Erde gefallen" (Lachen) - das war sehr pathetisch. FD: Obwohl hier alles leer und kaputt war. Es waren alles offene ruinöse Häuser und es war alles kaputt - also diese Ecke, mehrere Häuser nebeneinander. Da haben wir das alles angeguckt, konnten wir ja überall reingehen. Es gehörte ja auch niemandem, es war irgendwie nicht festzustellen, wem es gehört. Da haben wir Jahre gearbeitet, um das herauszufinden. MG: Ja, also von ´92 im November bei Regen, als wir es entdeckt haben, bis ´96 im Dezember, wo wir dann diesen ehemaligen Gasthof gekauft haben. Autor Die beiden kamen auch schon vor dem Kauf im Sommer zum Baden an die Seen, im Herbst zum Wandern durch den Wald. Sie besuchten Feste der Freiwilligen Feuerwehr, die damals noch eine Station in Götzer Berge hatte, lernten Dorf und Leute kennen. 18 O-Ton Mach ich das: Die Entscheidung machen wir das, oder machen wir das nicht, fiel im Dezember, ich bin dann noch mal im Dunklen hierher gefahren, das hat geregnet und gestürmt, das war fürchterlich. Dann waren ja alle Fenster kaputt, Straßenbeleuchtung war sowieso, die ging immer an, aus, an, aus - eine Funzel. Und dann hab ich mich mitten in das Haus gestellt - mach ich das jetzt oder mach ich das nicht? Und dann war aber klar, ich mach's! Ich fand's trotzdem schön, selbst in dieser Situation war es so, dass ich dachte, man konnte schon fühlen, dass man sich hier sauwohl fühlen kann. Autor Doch vor dem Sauwohlfühlen kam viel Arbeit - gut zwei Jahre dauerte es, aus der ehemaligen Gaststätte das heutige Wohnhaus zu machen. 19 O-Ton Atmo Rascheln Atmo Führung durchs Haus: Das war die Wirtsstube, hier war der Tresen - das kann man sich gar nicht mehr vorstellen. Wir haben aber auch wirklich einiges umgebaut - in dem Bereich haben wir komplett umgebaut. Da war hier keine Tür, da war der Durchgang zur Straße, also das war schon komplett anders. Es gab eben Bereiche, da konnten wir uns richtig austoben und andere, die sind historisch und die haben wir dann auch so gelassen. Das macht die Mischung aus, glaube ich, das ist ganz schön. Hier ist mein Arbeitszimmer. Zwischenfrage: Beschreib doch mal den Blick von deinem Schreibtisch aus. Ja, der ist wunderbar, der ist einfach - großes Fenster - mitten in den Wald hinein, viel Himmel. Da sitze ich dann immer und denke. Hier habe ich mein Bühnenmodell. Das habe ich schon seit ich 18 bin. Das ist so ein Kasten, der wie ein Arbeitsgerät geworden ist, das habe ich mir schon immer gewünscht, so ein Theater zu Hause zu haben, so mit Licht und mit Zügen und allem Drum und Dran - das habe ich mir gebaut und das gibt es immer noch. Das ist mein Arbeitsgerät. Zwischenfrage: Da entwirfst Du dann hier Deine Bühnenbilder für.. FD (fällt ins Wort): Für alle Welt, ja. Wo es mich so hin verschlägt: Das kann Paris, München, Wien - was weiß ich irgendwas sein. Jetzt mache ich grad was für München, gab auch schon Nordnorwegen- egal. Und immer wieder kommen die Regisseure, immer wieder mal müssen die hier anreisen und sich mit mir hinsetzen und da reinschauen. Das finden die auch gut. Der Intendant von der Genfer Oper kommt dann hier im Bahnhof Götz an, und das ist total lustig. Zwischenfrage: Und wie finden die das, wenn die dann aufs Dorf kommen? FD: Das finden die erst mal interessant, natürlich speziell. Der einzige Nachteil ist vielleicht, in der Stadt kann man immer sagen: "So, ok, dann Tschüss" und dann bestellt man ein Taxi und dann ist der weg. Das geht hier nicht, man muss immer die Uhr im Auge behalten, weil die kommen in der Regel nicht mit dem Auto, und dann muss man immer gucken, dass der Zug dann irgendwann, dass man das richtig anpeilt, und nicht dann noch eine Stunde warten muss, bis der nächste Zug kommt. Das ist manchmal anstrengend - das ist ein Unterschied. Autor Doch in Götzer Berge haben sie ja immer die Stille und Natur zum Runterkommen, zum Ankommen und Abschalten. 21 O-Ton Es gibt viele Pflanzen, die man wie Vertraute behandelt. Die begegnen einem in der Stadt auch und dann denk ich immer - ach, da steht ja das und das, und dann denk ich immer: ist ja interessant, jetzt kenn ich das. MG: Was die Schnecken lieben, was sie nicht lieben. FD (fällt ins Wort): Und dass die Natur jedes Jahr anders ist. Das habe ich auch gelernt. Plötzlich eine Invasion von schwarzen Käfern, die hinter allen Bildern sind, und dann fallen sie runter. Man kriegt einen Schreck und denkt: Um Gottes willen, wenn das jetzt immer so - nein, ist nur einmal gewesen, dann war das nie wieder so. MG: Und man lernt, aufzupassen auf die Zecken - also man wird hier etwas abgebrühter. Kurz Harfe Autor Hin und wieder finden im Wohnzimmer Konzerte statt - da weht dann für viele der älteren Bewohner Götzer Berges ein Hauch der Vergangenheit durch den Raum. Wenn das Wohnzimmer wieder zum Saal der Gaststätte zu werden scheint. Hier haben die Alteingesessenen so einiges erlebt. Davon zeugte bei der Renovierung des Hauses auch das Eichenparkett im Saal: 20 O-Ton Das war runtergetanzt, das Eichenparkett, so dass Nut und Feder nicht mehr zusammenpassten. Und das haben auch alle erzählt, es kamen oft Menschen, die gesagt haben, ooch, hier hab ich meine Frau.. MG (fällt ins Wort): Es wurde hier verliebt, verlobt, verheiratet - geschieden gab es glaube ich kaum. FD (fällt ins Wort): Also was Schlimmes hat eigentlich keiner erzählt. MG (fällt ins Wort): Nee, immer nur schöne Sachen. 04 Musik Friday Night in San Francisco - Gitarre Instr. Flamenco. 0.51 Atmo Schritte auf Kies 0.05 22 O-Ton Das ist das sogenannte Spanierhaus. Hier wohnten früher mal Spanier, und heute ist es Eigentum dieser beiden Damen, die da jetzt drin wohnen. Autor Ortschronist Ulrich kennt natürlich auch Angelika Klaffke und Dagmar Gretschel, die seit 17 Jahren in dem hazienda-artigen Haus leben. Die eine war Tierpflegerin, die andere Verkäuferin. Nach dem Renteneintritt hatten die beiden Damen aus Kreuzberg und Schöneberg die Nase voll von der Stadt. Vor allem die 59jährige Angelika wollte aufs Land: 23 O-Ton Hat mir nicht mehr gefallen, die ganzen Leute, U-Bahn fahren und alles zieht ne Flappe, im Bus ziehen sie ne Flappe, Verkäuferinnen sind unfreundlich, also das hat mir hier so gar nicht, dass einen eine Verkäuferin so anpflaumt. Und dann hatten wir uns so zwee, drei Sachen angeguckt, auch hier im Umkreis, und als das Exposé kam von Götzer Berge, da hab ick gesagt, das nehme ich. Da hatten wir uns das noch nicht einmal angeguckt. Zwischenfrage: Warum, was war das? Hat mir gefallen, die Fläche erst mal. Autor 220 qm Wohnfläche, 4500 qm Grundstück - genug Platz für die Tiere. Tiere sind eigentlich nichts Besonderes auf dem Dorf. Wenn aber Berliner aus der Stadt aufs Dorf ziehen, und das mit Hunden, Katzen und einem Affen und dann bald auch noch um sechs Gänse, drei Ziegen, zwölf Hühner, zwei Hängebauchschweine und zwei Kaninchen aufstocken - dann fällt das doch auf - und verbreitet sich nicht ganz korrekt bis in die Nebendörfer. 24 O-Ton Die haben gedacht, wir haben hier einen Streichelzoo. Die haben uns die Kinder morgens geschickt, dann haben die Kinder hier um halb neune, neune geklopft, sie möchten die Tiere streicheln. Und nach einem Vierteljahr kam dann mal die erste Mutter, die mal gucken wollte, wo immer ihre Tochter ist, und die hat uns dann aufgeklärt, dass die im Streichelzoo ist, wovon wir gar nichts wussten. Als wir dann gesagt haben, das ist alles nur Privat, da ist die bald umgefallen. Hat sich dann noch entschuldigt, dass ihre Tochter immer ihre Tage hier verbringt, da haben wir gesagt, ist nicht so schlimm, langsam haben wir uns daran gewöhnt. Und dann hat sich das herumgesprochen, dass wir ein Tierheim haben, und dann wollten die laufend hier was abgeben, Hunde, Katzen - sie haben doch ein Tierheim. Das hat ewig gedauert, bis wir das richtigstellen konnten. Autor Mit Tieren kennen sich die zwei Frauen aus, nicht nur Angelika, die Tierpflegerin - beide haben ein gutes Händchen für alle Vierbeiner - doch auch sie lernen immer wieder Neues: 25 O-Ton D: Man sieht Tiere, die man nur aus dem Buch kennt, oder die man überhaupt nicht kennt. So wie Minks oder irgendwatt - Ich hab in Berlin noch nie watt von nem Mink gehört. Das ist eine Kreuzung zwischen Nerz und Marder. A: Und was haben wir noch gelernt? Dass ein Huhn, was sich hinschmeißt auf die Seite und mit den Flügeln schlägt, dass das nicht am Sterben ist, sondern im Sand badet. Zwischenfrage: Wie habt ihr das gelernt? Indem ich eine Nachbarin morgens angerufen habe und gesagt hab, du musst schnell kommen, das Huhn stirbt. Die kam an und hat nur gelacht und gesagt, das badet nur im Sand (lachen). Zu lachen gab es hier schon eine ganze Menge. Autor Die Tiere sind im Laufe der Jahre weniger geworden, aber sie gehören dazu. Auf dem Hof räkeln sich die Katzen in der Sonne und lassen sich auch von Besuch nicht stören. Und Gäste kommen oft zu den beiden Damen, die auch wichtig für das soziale Leben im Dorf sind. Einmal im Jahr veranstalten sie eine Halloweenparty, zu der fast alle kommen, sie sind immer für ein Schwätzchen auf der Straße zu haben, und regelmäßig laden sie die, wie sie sich selbst nennen, "Rentner" in ihr Auto, dann geht es zum Singen und Tratschen nach Götz. Ohne die Hilfsbereitschaft der beiden Berlinerinnen, wäre es für einige ältere Dorfbewohner beschwerlicher in dem brandenburgischen Götzer Berge. Wer kein Auto hat, hat ein Problem - es sei denn, er hat guten Kontakt zu den Nachbarn. Und das ist zur Freude aller in Götzer Berge nicht schwer. 07 Atmo Schritte auf Kies Autor Im Dorf sagt man, der Kern des sozialen Lebens befände sich damals wie heute im Umkreis der ehemaligen Gaststätte. 26 O-Ton Hier spielte sich alles ab, bis dahin, wo die Ziegeleien selbst standen und da war immer Remmidemmi, aber hier hinten war es immer ruhiger. Ganz hinten hat noch der VEB - damals Mikrosa Leipzig, der Volkseigene Betrieb, der hat dort ein großes Ferienheim gebaut. Bloß heute ist dieses große Gebäude auch leer - ist Schade drum, aber man kann es nicht ändern. Zwischenfrage: Aber interessanterweise hat man ja jetzt immer noch den Eindruck, dass der Teil, wo das Leben tobt, ist eher hier vorne. Ulrich: Ist auch so gewesen, schon immer so gewesen. Das Zentrum war hier um die Gaststätte herum, also wo jetzt Fischer-Dieskau wohnt, das war die Gaststätte, und da spielte sich alles ab. Autor Alles Häuser, die jetzt Zugezogenen gehören. Zugezogenen, die aber längst ein integrativer und voll integrierter Bestandteil Götzer Berges sind. 08 Atmo Straße - Stimmen, Smalltalk 09 Atmo Vogelzwitschern 1 Autor Das kleine Amerikanerhaus ist in seiner zentralen Lage im Dorf eingerahmt von imposanten Gebäuden: Der ehemaligen Gaststätte, dem Spanierhaus und einem schon von außen auffällig liebe- und stilvoll gestalteten Haus mit hellgrüner Fassade: 29 O-Ton Ja, das ist das einzige richtige Bauernhaus hier, vom Bauern Kasinger. Dieser Bauer Kasinger hat damals die DDR verlassen - in Anführungszeichen. Er ist also nach Westdeutschland gezogen und hier waren dann Familien untergebracht. Als Wohnhaus wurde das genutzt. Heute ist es wieder in Privathand und ist als Schmuckstück ausgebaut worden. Autor Von Christina und Kurt Thiel, wie Ortschronist Ulrich weiß. Bevor das Lehrerehepaar 2003 nach Götzer Berge zog, lebten sie in Groß Kreutz - zehn Kilometer entfernt. Aber warum bindet man sich eine Ruine ans Bein, wenn man schon ein Haus hat? 30 O-Ton TT: Das Haus, das man hat, stand an der B1. Der Lärm war manchmal hart an der Grenze des Erträglichen, und hier draußen war es eben sehr ruhig, und das Haus war zwar eine Ruine, aber man hat sofort gemerkt, dass wenn man hier draußen wohnen würde, das wäre das, was das Wort Lebensqualität ausmacht. KT: Erst mal haben wir natürlich lange überlegt, ob man das überhaupt macht. Wir hatten ja ein Haus in Groß Kreuz, das war in Ordnung, war groß genug für uns. Die Kinder waren schon groß, eigentlich war es abzusehen, dass die Kinder aus dem Haus gehen - insofern: vernünftig war es eigentlich nicht, man braucht es eigentlich nicht. Aber es hatte schon so seinen Reiz, weil es so ein bisschen eingewachsen war und irgendwie hat uns das nicht losgelassen. Wir hatten ja schon mal, so zehn Jahre vorher, schon mal drauf geguckt, und es dann wieder verloren, aber irgendwie hatte das einen Reiz. TT: Irgendwie strahlt so ein altes Haus Charme aus, Charme der vergangenen Zeiten. Es ist was anderes, als wenn ich mir was Neues hinsetzte - das ist auch schön, aber nee, so ein altes Haus ist was Besonderes. KT: Ja, das hat so einen Charakter. Naja, und dann haben wir uns irgendwann dazu entschieden. Und haben gesagt OK - wir machen es! Autor Und sie haben es nicht bereut. Das Haus, in dessen Ruine einstmals die Kinder des Ortes mit dem Fahrrad durch die Zimmer fuhren, Wände bemalten und das sie als eine Art Klubhaus nutzten, ist längst wieder ein Blickfang im Dorf. Sieht man die Fotos von der Ruine und vergleicht sie mit dem Ist-Zustand, dann kann man erahnen, welche Arbeit in dem alten Gemäuer steckt - viele Menschen wären daran gescheitert. Die Thiels haben es durchgezogen. Kurt Thiel ist Schulleiter, aber keineswegs ein Theoretiker - die Bastelei ist sein Hobby, egal, ob es darum geht, einen Motor zu zerlegen oder eine Wand zu mauern - er ist in seinem Element und das sieht man dem alten Bauernhaus an. 31 O-Ton KT: Und es ist ja auch ein Ausgleich, wenn man jetzt eine Arbeit hat, wo man mehr geistig gefordert ist, ist das ja eine angenehme Nebentätigkeit, wenn man einfach ein paar Sachen macht, die auch mit den Händen Spaß machen. TT: Er sagt dann, er geht Schrauben sortieren in seiner Werkstatt. KT: Man hat ja immer irgendwelche Projekte, an denen man gerade herumbastelt oder schraubt - das macht halt Spaß. Man muss es nicht unbedingt machen - aber das ist ja auch das Schöne an solchen Projekten, man kann die machen, wenn man gerade Lust hat, aber wenn man sagt, nee, es passt jetzt nicht, weil z.B. der Rasen gewachsen ist, dann schiebt man es halt nach hinten. Aber es ist eben so eine Sache, wenn man von der Arbeit kommt und man sagt, ich gehe noch mal in die Werkstatt und schraubt ein bisschen am Moped rum oder irgendwas - das ist es eigentlich, was die Erholung hier so ausmacht nach der Arbeit. TT: Die Fahrt bis hierher, und dann ist schon mal der Stress weg. Und man betritt hier das Gelände und man fährt herunter. Autor Und das Gelände ist riesig - gar nicht zu sprechen von der gigantischen Scheune, die den Hof zum Wald hin einrahmt. Das Grundstück ist nichts für jemanden, der Gartenarbeit hasst und der für jede Kleinigkeit am Haus Handwerker kommen lässt. Man muss es mögen, sagt Kurt Thiel - und er liebt es, genauso wie die Thiels die Natur lieben. Kurt Thiel haben es vor allem die Schwalben angetan - auch wenn die dem Kater Hermann das Leben schwer machen. 32 O-Ton (Atmo Schwalben) Hörst Du das Signal der Schwalben, dass sie den Kater gehört haben, jetzt geben sie Attacke und bekämpfen den armen kleinen Kater. (Atmo Schwalben) Autor Vor dem Eingangstor der Thiels stehen zwei Holzpfähle - Reste einer alten Stromleitung, die noch vor einigen Jahren das Dorf durchzog. Dass die Pfähle noch stehen, hat mit den Schwalben zu tun: 33 O-Ton TT: Im Herbst, wenn dann die Jungen ausflattern oder üben und sich sammeln, dann sitzen diese zwei Drähte, die jetzt geblieben sind, voll. Ich weiß gar nicht, wie viele hundert Schwalben da eine neben der anderen sitzt - das ist richtig wunderschön. Aber es war nicht so einfach, dass die Gemeinde hier zwei Pfähle hat stehen lassen. KT: Hat einfach nicht jeder dafür Verständnis, aber es gab auch wieder Leute in der Gemeinde, die gesagt haben, ok, dann machen wir das, wenn die Leute das unbedingt wollen. Es war nur Schade, dass nur zwei Pfähle geblieben sind, es waren ja viel mehr, die hätten keinen gestört. Wir haben uns bereit erklärt, falls von diesen Pfählen mal eine Gefahr ausgeht - Verkehrssicherungspflicht und so - dass wir uns natürlich darum kümmern würden, sie erneuern oder abstützen. TT: Wir übernehmen die Verantwortung für die beiden Dinger. Autor So wurde eine Sitzgelegenheit für die zwitschernden Flugkünstler erhalten. 10 Atmo Schwalben 1 Autor An mehreren Stellen des Grundstücks hat Kurt Thiel auch gemütliche Sitzgelegenheiten für Menschen geschaffen, doch es scheint, als würde er viel lieber welche bauen als da zu sitzen. 11 Atmo Schritte Kies (Noch besorgen auf Stein???) 34 O-Ton TT: Wir gehen jetzt zu meinen Schildkröten, wir haben hier so eine kleine Anlage gebaut für die Schildkröten. KT: Ich bin eigentlich nur fürs Bauen zuständig, nicht für die Haltung. Ich bekomme die Bauaufträge und arbeite die dann ab. TT: Das macht Kurt dann auch immer sehr gut. Das ist eben auch so meine Erholung, wenn ich von der Arbeit komme, setz ich mich hier an den Rand und gucke zu, wie die fressen oder rumlaufen oder sonst was. Und im letzten Jahr hat eine weibliche Schildkröte von mir unbemerkt die Eier abgelegt, und Ende September sitzt mit einmal eine ganz kleine Schildkröte im Gatter und hat 13 Gramm gewogen und da bin ich wieder mal Mutter geworden und habe jetzt einen kleinen Helmut. 12 Atmo Lagerfeuer gemischt mit: Musik Eric Johnson: "Song for George" 0.25 Autor Einmal im Jahr kommen Nachbarn und Freunde hinter der Scheune zum Lagerfeuer zusammen. Die Thiels machen Soljanka, jeder bringt etwas mit - man sitzt am Feuer, beobachtet die Funken im Nachthimmel und die Fledermäuse, verscheucht die Mücken, isst und trinkt. Atmo hoch Autor Bei diesen Nachbarschaftstreffen ist auch Karin Thüm immer dabei. Die Tiefbauingenieurin arbeitet seit der Wende als Sozialarbeiterin. Sie wurde im brandenburgischen Götzer Berge geboren, hat immer hier gelebt, war in dem Haus von Maria Graf und Mathias Fischer-Dieskau in ihrer Jugend zur Disco. Sie hat den Wandel im Dorf voll mitbekommen - auch den Zerfall der Gebäude rund um die Gaststätte. Nach der Wende war sie neugierig auf "die Neuen" aus dem Westen: 35 O-Ton Ich hab nie ein Problem damit gehabt, ob Ossi oder Wessi, da hab ich nie Unterschiede gemacht. Ich hab mir den Menschen angeguckt. Und ob nun eine Gaststätte oder ob da Künstler wohnen, das ist egal. Für mich war wichtig, dass dieses Haus erhalten bleibt. Also nicht verfällt und irgendwann eine Ruine ist - das war für mich viel wichtiger, dass da Leben einzieht. Die Zugezogenen haben sich eigentlich diesem Dorf angepasst. Die haben nicht irgendetwas umgestellt, oder wollten was verändern, sondern sind hier in das Dorf gezogen und haben die Leute kennengelernt und haben auch die Kontakte gesucht, so dass sie auch wissen, wie die Götzer Berger eigentlich sind. Die wollten ja nach Götzer Berge, weil wir Götzer Berger so sind, sonst hätten sie ja auch in Berlin bleiben können. Zwischenfrage: Wie sind denn die Götzer Berger? Wie sind die Götzer Berger? Schwierige Frage. Also ich kann es nur aus meiner Sicht sagen, dass wir eigentlich ein gutes Nachbarschaftsauskommen haben und uns gegenseitig unterstützen, und wenn jemand Sorgen hat, dann ist der andere für ihn da - also das ist wie eine große Familie. Autor Die 53jährige Sozialarbeiterin kann sich noch gut daran erinnern wie es war, als ihre Ecke des Dorfs neu belebt wurde, als in der ehemaligen Gaststädte, dem Bauernhaus, dem baldigen Amerikanerhaus und nicht zuletzt dem Spanierhaus wieder Licht brannte - Dagmar und Angelika, die zwei Frauen aus Kreuzberg und Schönebergmit all ihren Tieren sind wohl am meisten aufgefallen: 36 O-Ton Das war schon ein Ereignis. Da hatte man schon öfter geguckt, hinterm Zaun oder über den Zaun, was sind das für Tiere? Affen, Hängebauchschweine, also das war schon ein bisschen ungewöhnlich, dass man in einem Haus einen Affen hält. Das war schon sehr, sehr gewöhnungsbedürftig. Und Angelika und Dagmar sind ja auch herzliche Menschen, die auch viel erzählt haben, was sie früher gemacht haben und wie sie auf die Idee gekommen sind, einen Affen zu halten. Das war schon nachvollziehbar, aber auch sehr merkwürdig zum Anfang. Zwischenfrage: Und wie war das so für Euch, als die gekommen sind mit den ganzen Tieren? Was habt ihr da gedacht? Äh, jetzt zieht hier ein Kleintierzoo ein. Aber für dieses Haus und für dieses große Gelände, ist ja ein Riesengarten mit dran, ist das eigentlich ideal. Ich hab gedacht, das ist eine gute Idee, ein gutes Konzept, aus diesem verlassenen Haus auch wieder Leben reinzubringen - und warum nicht mit Tieren? Autor Auch für Karin Thüm, die Götzer Berge von klein auf kennt, ist es die Nähe zur Natur, die sie jeden Tag aufs Neue begeistert. Alltäglich wird das Zusammensein mit Tieren, Pflanzen, Wind und Wetter nie. 37 O-Ton Götzer Berge ist ein verwunschenes, traumhaftes, schönes Dorf. Diese Ruhe und diese Abgeschiedenheit, so wie am Ende der Welt, dahinter kommt gar nichts mehr, außer Natur, hat man diesen Eindruck, weil es ist egal, in welche Richtung man guckt aus dem Dorf, einmal Richtung Wald, einmal Richtung Wiesen oder Erdelöcher, man ist so von der Natur umgeben und das finde ich einfach einzigartig. ATMO 13 Atmo Helga Pietsch "So, Kartoffeln nicht anbrennen." Autor Auch Helga Pietsch ist hier geboren. Von dem Haus, in dem sie heute mit ihrem Hund Kalle lebt, kennt die 79jährige im wahrsten Sinne des Wortes jeden Stein. Ihr Vater hat das Haus gebaut. 38 O-Ton Wissen Sie, ich bin hier geboren, und das ist hier das Arbeiterhaus, vonne Ziegelei aus. [Hund knurrt und bellt] Kalle ist gut - Ja, wir haben die Steine mit dem Trecker vonne Ziegelei geholt, da waren meine Hände durch, wund von Steineabladen und alles. Wissen se und dann hat man gesehen, wie das Haus so wächst und da hängt man dran - weg möchte ich noch nicht. Atmo Gartentor auf... laufen durch Garten... Autor Hinter ihrem Haus: ein großer Garten. Früher hat die Familie hier viel Obst und Gemüse angebaut, erzählt Helga Pietsch - heute macht sie das nur noch wenig, durch den Garten geht sie dennoch gern: 39 O-Ton Sehen sie hier: Rehspuren. Autor Die 79jährige blickt in Richtung Berg und kommt auf den Turm zu sprechen, der 2012 eröffnet wurde. Zu hoch, zu anstrengend für sie - aber sie erinnert sich noch gut an die Vorgängertürme. Seit über einhundert Jahren wurden immer wieder Türme auf dem Götzer Berg errichtet, zur Vermessung oder auch militärisch genutzt - Betreten verboten! 40 O-Ton Da sind wir immer raufgeklettert. Da war dann so hoch, zugeschlossen, auch, ja - da sind wa rüber und dann sind war ruff geklettert. Zwischenfrage: Aber durfte man eigentlich nicht? Nö, aber wir ham das einfach jemacht. Man konnte bis zur Havel gucken, das konnte man ja alles sehen - da sind wir oft ruffjeklettert. Autor Dieser Turm, komplett aus Holz erbaut, wurde 1974 von einem Blitz getroffen und zerstört. 2012 wurde der neue Turm eröffnet. Er - und der Europaradweg - haben Götzer Berge etwas verändert: 41 O-Ton Fährt viel Fremdes jetzt hier rum. Zwischenfrage: Und finden Sie das gut oder eher nervig? Nö, mich stört das nicht. Von mir aus können sie fahren, ist doch schön, wenn ein bisschen Betrieb ist. 05 Musik Märkische Heide, märkischer Sand (Polizeiorchester Potsdam, instr.) 1.00 14 Atmo Schritte auf Metallstufen auf den Turm Autor Ein metallenes Gerüst, die Außenträger mit Baumstämmen bemantelt - der neue Turm ist eine gelungene Mischung aus stabilem Bauwerk und Reminiszenz an die Vergangenheit. Von der Aussichtsplattform, weit über den Wipfeln der Bäume, 135 Meter über Normal-Null, hat man einen atemberaubenden Blick. Man sieht die Erdelöcher, die Havel, Brandenburg, Potsdam, Berlin. Kleine Tafeln am Geländer lassen den Götzer Berg zum Mittelpunkt der Welt werden: elf Kilometer nach Brandenburg, 159 zum Brocken im Harz, 6.354 nach New York, 4.840 zum Nordpol, 256 nach Kap Arkona auf Rügen, 1.658 Kilometer nach Moskau. Von Götzer Berge sieht man gerade noch eine kleine Ecke der Scheune der Thiels - der Rest des Dorfes ist unter dichtem Grün versteckt. 15 Atmo Wald Schritte Autor Götzer Berge, ein Dorf, das Mitte des 19. Jahrhunderts als Industrieansiedelung entstand. In den Niederungen der Havel wurde sogenannter Bändertonmergel gefunden, der sich zur Ziegelproduktion eignete: drei Ziegeleien wurden errichtet, die letzte wurde 1954 geschlossen. Heute ein Dorf inmitten schönster Natur und mit einer Nachbarschaft - da ist man sich einig - die etwas ganz Besonderes ist. 42 O-Ton Collage Angelika: Wenn einem die Decke auf den Kopf fallen sollte, geht man zum Nachbarn, klingelt da mal, trinkt ein Bier mit ihm oder nen Kaffee, quatscht ein bisschen - dann ist die Welt wieder in Ordnung. Maria Graf: Es gibt jede Menge - ich könnte auf der Stelle zehn Leute aufzählen - wo ich jetzt hingehen könnte und sagen, ich fühle mich allein, kann ich mal ein Stündchen bei euch bleiben. Es wäre möglich. Mathias FD: Oder umgedreht. Lannie Paiten: Diese Nachbarschaft finde ich ganz, ganz was Besonderes hier, die passen aufeinander auf. Ich bin jetzt 67 und manchmal, wenn ich mich nicht blicken lasse, dann die wollen gucken, ob alles in Ordnung ist - ich finde es toll hier. Tina Thiel: wir haben gleich gemerkt, dass die Nachbarschaft, also dass es richtig Spaß macht. Gerade das macht es auch aus, dass die Nachbarschaft so nett ist und so bunt gewürfelt ist, so unterschiedliche Typen und Charaktere, Berufe, alles was man will. Kurt Thiel: Ja, das ist schon eine angenehme Truppe hier in Götzer Berge. Das muss man sagen, ja! 16 Atmo Schritte Wald Autor Ortschronist Ulrich sieht das genauso - und hat noch einen Tipp: 43 O-Ton Ich empfehle jedem, der mal Zeit hat und Muße hat, mal eine Spazierfahrt hierher zu machen nach Götzer Berge und auch den Turm zu besteigen, wenn er noch kann, und dann auch den Ortsteil Götzer Berge zu besuchen. Ich: Vielen Dank. Ulrich: Nüscht zu danken. Atmo Schritte Kennmelodie Sprecherin Sehnsucht nach Stille Götzer Berge in Brandenburg Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt von Elmar Krämer Ton: Bernd Friebel Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan Eine Produktion von Deutschlandradio Kultur 2014 Manuskript und das audio zur Sendung finden Sie im Internet unter deutschlandradiokultur.de 1