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Stört Sie das oder sehen Sie das auch als eine Ihrer Aufgaben als Forscher in diesem Bereich? Stefan Rahmstorf: Ich sehe das auf jeden Fall als meine Pflicht als Wissenschaftler, auch der Öffentlichkeit Rede und Antwort zu stehen. Schließlich bezahlt mich die Öffentlichkeit auch als Hochschulprofessor. Das Medieninteresse ist in der Tat sehr hoch, besonders in diesem Jahr. Das ist natürlich schon eine starke Belastung. Das heißt: Familie und Forschung haben darunter zu leiden. Frage: Wir sind im Augenblick genau mitten in einer sehr heißen Phase. Die Klimakonferenz in Bali findet statt. Sie hat bisher nicht allzu gute Resonanz gefunden. Viele Kommentatoren waren der Ansicht, da kommt nicht viel bei rum. Wie wir inzwischen erfahren haben, die USA weigern sich auch, sich auf verbindliche Zusagen festzulegen. Australien ist auch zurückgerudert. Es sieht nicht sehr gut aus. Wie optimistisch sind Sie denn, dass in Bali tatsächlich etwas dabei rauskommt? Stefan Rahmstorf: Der Textentwurf, der jetzt in Bali vorliegt, sieht eigentlich den Umständen entsprechend ganz gut aus. Dort steht z.B. drin, dass Verhandlungen mit dem Ziel geführt werden sollen, bis 2020 die Emissionen von Treibhausgasen um ein Viertel bis 40 % zurückzufahren und bis 2050 dann um die Hälfte. Das sind vernünftige Ziele. Ob die überleben, weil die USA da nicht mit einverstanden sind, das müssen wir sehen. Wir haben natürlich im Moment die schwierige Situation, dass in den USA noch die Bush-Administration die Verhandlungsdelegation stellt, die seit vielen Jahren dafür bekannt ist, dass sie beim Klimaschutz nicht unbedingt sehr konstruktiv mitarbeitet, es aber mit Sicherheit eine Nachfolgeregierung dort geben wird, die das Problem ganz anders anpacken wird. Das ist natürlich jetzt für Bali eine schwierige Situation. Frage: Dazu hat sicherlich der 4. Bericht des IPCC, also des Weltklimarates, beigetragen, den Sie ja mit verfasst haben. Der hat tatsächlich in der Öffentlichkeit einen großen Ruck verursacht. Aber gleichzeitig, zur selben Zeit sind die Klimaskeptiker viel massiver auf den Plan getreten. Wir hören inzwischen überall, dass man sagt, na ja, das ist gar nicht so, der Mensch trägt ja nur ganz wenig dazu bei, dass so viel CO2 in die Atmosphäre ausgestoßen wird. Die Biosphäre, ihr natürlicher Kohlendioxid- oder Kohlenstoffumsatz sei viel größer. Was ist von solchen Argumenten zu halten? Stefan Rahmstorf: Ja, es zirkuliert in der Tat in den Medien allerhand an Falschaussagen und Bauernfängerargumenten, wie das, was Sie eben genannt haben. Tatsächlich ist es so, dass die Biosphäre natürlich jedes Jahr etwa das 50-Fache an Kohlendioxid umsetzt wie der Mensch ausstößt. Aber die Betonung liegt eben auf „Umsatz“. Das ist eine Verwechslung zwischen Umsatz und Gewinn. Denn der Umsatz der Biosphäre summiert sich am Jahresende auf null. Die Biosphäre atmet Kohlendioxid ein und aus im normalen Stoffwechsel, während der Mensch zusätzlichen Kohlenstoff aus der Erdkruste herausholt, nämlich aus den Lagerstätten von Kohle, Erdöl und Erdgas. Dass unsere Emissionen für den Anstieg der Kohlendioxidkonzentration verantwortlich sind, ist einfach wissenschaftlich völlig zweifelsfrei belegt. Wir wissen ja, wie viel CO2 wir ausstoßen. Die Menge, die jetzt in den letzten 100 Jahren zusätzlich in der Atmosphäre gelandet ist, ist nur etwa die Hälfte dessen, was der Mensch ausgestoßen hat. Das heißt, dass das natürliche System – Ozeane, Biosphäre – sogar einen Teil aufgenommen hat. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass das natürliche Erdsystem CO2 abgegeben hat, sondern es hat einen Teil dessen aufgenommen, was der Mensch in die Atmosphäre geblasen hat. Frage: Ein zweites wichtiges Argument der Klimaskeptiker lautet doch immer, dass es in der Menschheitsgeschichte ja schon häufiger Klimaerwärmungen gegeben hat, vermutlich durch erhöhte Sonnenaktivität. Das ist diesmal in den letzten Jahren nicht der Fall gewesen. Uns Europäern sei das ja eigentlich ganz gut bekommen. Es gibt von dem Saarbrücker Geschichtswissenschaftler Wolfgang Behringer ein Buch „Kulturgeschichte des Klimas“. Das zeigt, dass es uns in der frühmittelalterlichen Wärmeperiode zwischen 1000 und 1300 eigentlich hier in Europa sehr gut ging. Die landwirtschaftlichen Erträge sind gestiegen. Die Gesundheit der Bevölkerung hat sich verbessert. Sie wuchs selbst an. Ressourcen wurden frei für Handel, Kultur und Wirtschaft. In Norwegen hat man bis hoch in den Norden Korn anbauen können. In Schottland hat man Wein angebaut. Daraus schließen viele, dass man sagt, eine Klimaerwärmung war doch ganz gut, damals wahrscheinlich zwei Grad. Warum sollte es heute anders sein? Stefan Rahmstorf: Zwei Grad ist nicht belegt. Sie werden in dem Weltklimabericht eine ausführliche Darstellung der natürlichen Klimavariationen in der Erdgeschichte finden, aus erster Hand, seriös, also von den Fachleuten, die tatsächlich die Klimageschichte in der Forschung studieren. Ich bin übrigens auch einer der Autoren dieses Kapitels zur Klimageschichte, weil in meiner Arbeitsgruppe seit vielen Jahren zu Eiszeiten geforscht wird. Diese Erwärmung, die im Mittelalter in Europa vorgeherrscht hat, war übrigens nicht global. Global sind die Temperaturen jetzt wärmer als im Mittelalter. Und eine moderate Erwärmung kann in kühleren, höheren Breitengraden, wie bei uns, durchaus auch gut sein. Es gibt natürlich auch Vorteile einer solchen Erwärmung. Es können sich auch die landwirtschaftlichen Erträge in den hohen Breitengraden erhöhen. Dieses Ergebnis werden Sie auch im Weltklimabericht finden. Andererseits wird das mehr als kompensiert dadurch, dass eben in den tropischen Breitengraden sehr starke Einbußen in der Landwirtschaft zu erwarten sind. Die Klimageschichte und diese natürlichen Klimaschwankungen, die es schon immer gegeben hat, lehrt uns vor allem zwei Dinge. Erstens: Das Klimasystem ist sehr empfindlich und hat in der Erdgeschichte schon immer mit sehr starken Ausschlägen auf Störungen des Strahlungshaushaltes reagiert. Deswegen spricht alles dafür, dass das Klimasystem das auch wieder tun wird jetzt, wo wir Menschen durch unseren CO2-Ausstoß den Strahlungshaushalt eben wieder massiv stören. Die zweite Lehre aus der Klimageschichte ist, dass die Folgen von Klimaveränderungen in der Vergangenheit auch ganz erheblich gewesen sind. Wenn wir z.B. auf die letzte Epoche der Erdgeschichte zurückschauen, wo es etwa so warm war, wie es jetzt in diesem Jahrhundert erwartet wird, nämlich zwei bis drei Grad wärmer, das war im Pliozän vor drei Mio. Jahren. Da war eben der Meeresspiegel auch 20 m höher, weil die Kontinentaleismassen an den Polen entsprechend kleiner waren. Ein solcher Meeresspiegelanstieg hat vor drei Mio. Jahren sicherlich niemanden gestört. Für die Menschheit wäre das natürlich ein Desaster, weil wir unsere ganzen Küstenstädte eben dort gebaut haben, wo in den letzten tausend Jahren die Küstenlinien gewesen sind. Frage: Stefan Rahmstorf, Sie haben schon gesagt, Extremereignisse werden vor allen Dingen Entwicklungsländer treffen, aber es werden auch hier Extremereignisse auftreten, zumindest sind das die Befürchtungen. Wir haben jetzt schon ein paar Mal Extremereignisse gehabt, z.B. massive Überflutungen, Oder-Hochwasser, Rhein-Hochwasser. Viele haben gesagt, das sind die ersten Boten des Klimawandels. Andere haben gesagt, überhaupt nicht, das stimmt gar nicht, weil wir haben die Flüsse begradigt, wir haben Auengebiete, Überschwemmungsgebiete vernichtet. Es ist also kein Wunder, dass unsere Flüsse – sobald es ein bisschen mehr oder heftiger regnet – über die Ufer treten und es große Überschwemmungen gibt. Was ist daran dran? Sind die Überschwemmungen die Vorboten? Stefan Rahmstorf: Wie es häufig ist, wenn es zu einer Katastrophe kommt, kommen mehrere Faktoren zusammen. Die intensive Diskussion über die Flussbegradigung usw. ist sicherlich berechtigt. Das hat sicherlich zu dem Problem beigetragen. Andererseits muss man auch sehen, dass z.B. vor der Elbeflut 2002 einfach ein neuer Niederschlagsrekord stand. Damals sind in Zinnwald-Georgenfeld 353 mm Regen innerhalb von 24 Stunden gefallen. Das ist eine Tagesmenge, die es in Deutschland einfach nie zuvor gegeben hatte. Das passt genau zu dem, was die Physiker, die Klimatologen bei einer Erwärmung erwarten, nämlich größere Extremniederschläge. Es gibt ein ganz einfaches physikalisches Gesetz dahinter. Das besagt, dass wärmere Luft mehr Feuchtigkeit enthalten kann. Das heißt auch, dass das bei einer bestimmten Wetterlage zu einem solchen Extremniederschlag führt. Wenn sonst alles gleich bleibt, es dann aber ein Grad wärmer ist, dann sind eben pro Grad Erwärmung 7 % mehr Wasser in der Luft. Das regnet sich dann entsprechend ab. Man beobachtet weltweit eine Zunahme von solchen Extremniederschlägen. Auch das ist in dem Weltklimabericht detailliert dokumentiert. Frage: Außerdem werden wir wohl die Gletscher verlieren. Alle Befürchtungen gehen ja dahin, dass die Gletscher in den Alpen abschmelzen werden. Wird das nicht auch sehr negative Folgen für Europa haben? Denn immerhin sind die Gletscher auch das Wasserreservoir, von dem wir in Europa leben. Stefan Rahmstorf: Sicherlich. Auch das ist nicht nur Theorie, sondern die Alpen haben bereits etwa die Hälfte ihres Gletschervolumens verloren. Das wird für die Wasserversorgung bei uns, für den Wasserstand der Flüsse sicherlich auch seine Konsequenzen haben, wenn die Gletscher dann einmal weitgehend weg sind. Noch schlimmer ist das übrigens im Himalaja-Raum und in den Anden. Zum Beispiel die Hauptstadt von Peru, Lima, hängt in ihrer Wasserversorgung überwiegend von Gletscherwasser ab. Zunächst mal merken die Leute nicht das Problem, denn wenn die Gletscher abschmelzen, dann kommt ja noch mehr Wasser als üblich herunter. Aber irgendwann ist der Gletscher weg und dann versiegt diese Wasserquelle. Im Himalaja ist es so, dass ein Großteil des indischen Subkontinents von dem Gletscherwasser aus dem Himalaja gespeist wird – für die Landwirtschaft, für die Wasserversorgung der Städte. Auch dort wird es massive Probleme mit der Wasserversorgung geben, wenn die Gletscher weiter abschmelzen. Frage: Wie sicher kann man sich sein? Wie weit wird nicht auch Wetter und Klima verwechselt, das heißt, kurzfristige Wetterereignisse schon als Klimawandel interpretiert? Stefan Rahmstorf: Man kann bei einem Einzelereignis wie dem Hurrikan Katrina grundsätzlich nie sagen, das ist jetzt durch Klimawandel oder nicht durch Klimawandel. Weder das eine noch das andere kann man sagen. Denn der Klimawandel verändert einfach die Häufigkeit solcher Ereignisse so, wie wenn Sie einen gezinkten Würfel haben, der jetzt doppelt so oft eine Sechs würfelt, wie normal. Wenn Sie dann eine einzelne Sechs würfeln, können Sie nie sagen, das lag jetzt daran, dass der Würfel gezinkt ist. Oder hätte er diese Sechs ohnehin gewürfelt? Die Frage ist einfach falsch gestellt. Die ist so nicht zu beantworten. Was man aber beantworten kann, sind die langfristigen Trends, wenn man also über viele Ereignisse die Statistik sammelt. Die zeigen, dass die Intensität der Hurrikans im Nordatlantik in den letzten 30 Jahren deutlich zugenommen hat und dass diese Entwicklung parallel zum Anstieg der Meerestemperaturen dort geschieht. Es ist physikalisch bekannt, dass diese Tropenstürme ihre Energie aus dem warmen Wasser des Ozeans beziehen. Deswegen treten sie in den Tropen auf und auch dort nur in der warmen Jahreszeit. Und die Hurrikan- Vorhersageleute nutzen das jeden Tag. Wenn der Hurrikan sich über wärmeres Wasser bewegt, legt er an Intensität zu. Und wenn er über kälteres Wasser kommt oder auf Land trifft, dann schwächt er sich eben ab. Das ist ein wohlbekannter physikalischer Zusammenhang. Frage: Es gibt noch viele Ungewissheiten in der Klimaforschung. Verwirrend sind für den Laien dann oftmals Meldungen, wie z.B. jene, dass eben die auftauenden Permafrostböden in Sibirien oder auch in Nordamerika nicht nur zu einer massiven Freisetzung des im Boden gebundenen Methan führen würden, was tatsächlich den Klimawandel ja massiv forcieren würde, sondern möglicherweise dazu führt, dass auf den aufgetauten Böden dann z.B. Gräser und Moore wachsen. Die gelten wiederum als CO2-Senke. Das ist das eine. Und dann war kürzlich eine Meldung zu lesen, dass sich die Tropenzone um 100 bis 150 km nach Norden und nach Süden hoch und runter bewegt, also erheblich breiter wird. Die Tropen sind für uns vor allem ein Symbol für tropischen Urwald. Was soll man mit solchen Meldungen anfangen? Wie gewiss ist der Klimawandel dann da? Stefan Rahmstorf: Ja gut, die tropischen Regionen, wenn man sie als eine bestimmte Temperatur-, als bestimmte Klimazone definiert, weiten sich natürlich aus, weil es wärmer wird. Aber das heißt natürlich nicht, dass dort jetzt plötzlich Tropenwald aus dem Boden geschossen kommt. Das geht ja gar nicht, weil der Mensch ja einen Großteil des Landes ohnehin nutzt. Umgekehrt ist es sogar so, dass der Amazonasurwald durch den Klimawandel, durch die Erwärmung massiv gefährdet wird, weil es in dieser Region immer trockener wird und es irgendwo einen kritischen Punkt geben dürfte, das sagen zumindest die Waldexperten, wo das System umkippen und verdorren könnte. Das ist auch schon ein Beispiel, genau wie das Beispiel Methanfreisetzung aus Permafrost, wo wir tatsächlich sehr große Unsicherheiten haben, wo wir einfach nicht vorhersagen können, was das System genau machen wird. Das ist aber, weil es so unsicher ist, in den Zukunftsszenarien des IPCC, also des Weltklimaberichts, nicht enthalten. Frage: Das ist ein Vorwurf von der umgekehrten Seite, nicht den Klimaskeptikern, sondern denjenigen, die sagen, der IPCC-Report sei nur der kleinste gemeinsame Nenner der Forschungsgemeinde und es gäbe viel größere Gefahren, die eigentlich verharmlost würden. Der britische Sachbuchautor Fred Pearce hat in seinem Buch „Das Wetter von morgen“ z.B. eine winzige Chemikalie in der Atmosphäre erwähnt, die sich sehr schwer messen lässt, weil sie so flüchtig ist. Das ist das Hydroxyl. Das reagiert zusammen mit Luftschadstoffen und ist im Prinzip so etwas wie ein Waschmittel der Atmosphäre, weil es diese Schadstoffe abbauen hilft. Es gibt Hinweise darauf, dass das Hydroxyl durch zu viele Schadstoffe überfordert wird, das heißt, einfach seine Arbeit nicht mehr so leistet, wie es die in der Vergangenheit geleistet habe. Da ist jetzt die Frage: Sind das nur pure Fantasien? Wie weit ist man in der Forschung? Ist das tatsächlich eine Bedrohung, die man bisher gar nicht mit auf dem Plan hat? Stefan Rahmstorf: Diese Frage wird auch schon seit etlichen Jahren erforscht. Man muss in der Tat unterscheiden zwischen den Dingen, die wir schon sicher wissen – dazu gehört eben, dass ein Anstieg der Kohlendioxidkonzentration zu einer Erwärmung der globalen Durchschnittstemperaturen führt – und den Risiken, die dann mit dieser Erwärmung verbunden sind, die wir zum Teil noch nicht so sicher abschätzen können. Wir haben da ja schon einige erwähnt, Methanfreisetzung, Absterben des Regenwaldes. Auch das Abschmelzen der Kontinentaleismassen gehört dazu, was dann mehrere Meter Meeresspiegelanstieg bringen würde. Beim Grönlandeis ist es z.B. so, dass die Glaziologen relativ sicher sind, dass es bei drei Grad Erwärmung komplett abschmelzen wird, was etwa sieben Meter globalen Meeresspiegelanstieg bringen würde. Sie wissen aber nicht, wie schnell das geht. Da haben wir noch eine große Unsicherheit. Bislang ging man davon aus, dass das mehrere tausend Jahre dauern würde, bis so eine große Eismasse abgetaut ist. Neuerdings wird verstärkt diskutiert, dass das wesentlich rascher gehen könnte, vielleicht in einigen Jahrhunderten. Eine solche Unsicherheit ist aus meiner Sicht jetzt kein Grund zum Nichtstun oder um das Problem einfach zu ignorieren. Das ist ungefähr so, wie wenn mir mein Gasversorger sagt, in meinem Keller verrottet die Gasleitung und über kurz oder lang wird’s da zu einer Explosion kommen. Aber sie wissen nicht, ob das in fünf Wochen oder fünf Jahren passiert. Dann würde ich ja auch nicht sagen, ja, wenn das so unsicher ist, dann mache ich jetzt nix. Frage: Ich dachte eher umgekehrt, dass Sie sozusagen zu wenig warnen, dass man sagen könnte, man verharmlost sogar noch, wir stehen vielmehr unter viel größerem Zeitdruck. Manche sagen, wir haben nur noch ein Zeitfenster von 10 Jahren. Und wenn wir es da nicht schaffen, kommt sowieso die Katastrophe. Stefan Rahmstorf: Das wird in Fachkreisen in der Tat jetzt verstärkt diskutiert, ob wir das Problem bisher unterschätzt haben. Diese IPCC-Berichte sind traditionell sehr konservativ. Das ist auch keine Kritik, sondern das ist einfach eine Folge dessen, dass hier ja mehrere tausend Wissenschaftler einen Konsens finden müssen. Dort steht eben nur drin, worauf sich wirklich eine sehr breite Mehrheit von Forschern auch einigen, wo jeder das unterschreiben kann. Es gibt natürlich auch tatsächlich aus den Messdaten Hinweise, dass wir das Problem bisher unterschätzt haben. So steigt der Meeresspiegel seit 1990 z.B. etwa 50 % rascher an, als es in den Modellrechnungen, auch in den Szenarien des IPCC angenommen worden ist. Auch die Eisdecke auf dem arktischen Ozean schrumpft wesentlich schneller als es in den Modellrechnungen erwartet worden ist. Das ist ja auch durch die Medien gegangen, dass erstmals in diesem Jahr die Nordwest-Passage eisfrei gewesen ist. Dort konnte man also mit dem Boot einfach durchfahren, wo Amundsen vor hundert Jahren noch jahrelang im Eis festgefroren war bei dem Versuch, dorthin durchzukommen. Insofern gibt es so eine gewisse Entkopplung zwischen der Mediendiskussion und der Diskussion in Fachkreisen. In den Medien wird immer diskutiert über diese so genannten Klimaskeptiker: ist ja vielleicht alles übertrieben und doch nix dran und doch nicht so schlimm. Das begleitet mich seit 15 Jahren, seit ich in dem Gebiet arbeite, immer mit denselben Argumenten. In Fachkreisen diskutieren wir im Moment darüber: Haben wir das Problem eigentlich noch unterschätzt? Frage: Stefan Rahmstorf, es gibt inzwischen auch eine ganze Reihe von Vorschlägen, vor allen Dingen technische, High-Tech-Vorschläge, wie man den Problemen am besten zu Leibe rücken sollte oder könnte. Das geht einmal davon aus, dass man das CO2 in unterirdischen Kavernen versenkt, alten Erdöl- oder Gaslagerstätten. Das zweite ist, dass z.B. ein riesiger Sonnenschirm ins All hoch geschickt wird, der das Sonnenlicht reflektiert, u.ä. Lässt sich der Klimawandel tatsächlich durch High-Tech-Lösungen stoppen oder verlangsamen? Stefan Rahmstorf: Ich glaube, es wäre vermessen, das Klimasystem als Mensch auf diese Weise wirklich steuern zu wollen. Dazu verstehen wir es dann doch nicht gut genug. Jeder dieser Vorschläge, so genannte Geo- Engineering-Vorschläge, hat auch ganz erhebliche Nebenwirkungen und Probleme, die es wiederum mit sich bringt. Es geht wirklich darum, die Ursache zu bekämpfen, also die Konzentration von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen in der Atmosphäre zu stabilisieren und nicht weiter anwachsen zu lassen. Den einen Vorschlag, den Sie genannt haben, nämlich die Abspeicherung von CO2 im Untergrund, würde ich aber auch nicht zu den Geo-Engineering- Optionen zählen, sondern das ist tatsächlich eine Vermeidung des weiteren Anstiegs der CO2-Konzentration und insofern eine sinnvolle Maßnahme, wenn sie sich denn als technologisch und wirtschaftlich auch wirklich machbar erweist. Bislang existieren nur kleine Demonstrationsanlagen dazu. Mit großtechnischem Einsatz ist frühestens im Jahr 2020 zu rechnen. Deswegen ist das eine Option, die man sicherlich weiter erforschen soll, aber erstens wird sie, wenn sie funktioniert, nur einen kleinen Teil zur Lösung beitragen, wenn auch einen durchaus nicht zu vernachlässigenden und wichtigen Teil, zweitens können wir aber nicht drauf warten und sagen, jetzt warten wir erst mal ab bis 2020, vielleicht funktioniert dann diese Technik, sondern wir müssen ja bereits bis 2020 die Emissionen um ein Viertel bis 40 % reduziert haben, wie das jetzt auch in Bali diskutiert wird. Das heißt, wir müssen heute anfangen. Wir haben ja auch heute schon viele Technologien zur Verfügung, mit denen man die Energieeffizienz wesentlich steigern kann. Wir haben erneuerbare Energien. Jede Minute fällt tausend mal mehr Sonnenenergie auf die Erde, als die ganze Menschheit an Energie braucht. Es sollte ja möglich sein, diese Quelle anzuzapfen. Und die Windenergie ist heute an guten Standorten bereits im wirtschaftlichen Bereich. Wir haben also eine ganze Reihe von Optionen, um die Emissionen herunterzufahren, ohne auf neue technologische Wunder warten zu müssen. Frage: Die Internationale Energieagentur hat eine neue Studie auch dazu vorgelegt. Sie plädiert dafür, 50 Atomkraftwerke jedes Jahr zu bauen, weil die sind CO2-emissionsfrei. Was halten Sie denn von der Atomkraft? In Deutschland ist das ja eine heftige Diskussion. Stefan Rahmstorf: Wenn wir jedes Jahr 50 neue Atomkraftwerke bauen, haben wir in 20 Jahren tausend neue Atomkraftwerke und haben damit den Anteil der Atomenergie am weltweiten Energieverbrauch von 3 % auf 6 % verdoppelt. Das heißt also, das bringt uns 3 % zusätzlich und auf der anderen Seite haben wir tausend neue Atomkraftwerke. Das ist jetzt eine Abwägung zwischen den 3 %, die das dem Klimaschutz bringt, und den Risiken in einer Welt mit zunehmenden Terrorgefahren usw. Tausend neue Atomkraftwerke aufzustellen, diese Abwägung kann ich als Naturwissenschaftler letztlich nicht leisten. Aber als Naturwissenschaftler kann ich Ihnen sagen: Sonne ist im Übermaß vorhanden. Und aus Solarzellen kann man keine Atombomben oder überhaupt keine Bomben bauen. Auch aus Windkraftanlagen kann man sicherlich keine Atombomben bauen und sie sind auch nicht terrorgefährdet. Ich denke, die meisten Deutschen würden sich wesentlich wohler fühlen, wenn wir z.B. in ein Land wie Iran Windkraftanlagen exportieren, als wenn wir Atomanlagen exportieren. Frage: Stefan Rahmstorf, Sie sind Ozeanograph. Sie haben mal in Ulm und Konstanz Physik studiert, sind dann an die Universität of Wales gewechselt und haben dort Ozeanographie angefangen. 1990 sind Sie dann an die Victoria University of Wellington in Neuseeland gegangen und haben dort promoviert. Sie haben sich dort auch mit dem Südpazifik natürlich befasst. Das war ja vor Ihrer Haustür. Was fasziniert Sie an Ozeanen? Stefan Rahmstorf: Das ist schwer zu sagen. Ich bin eigentlich schon von Kind auf von den Meeren fasziniert gewesen, bin in Holland aufgewachsen und wir haben da also immer Strandburgen gebaut, dann gegen die Flut verteidigt. Also, ich habe einfach seit jeher das Meer geliebt. Warum, kann ich Ihnen eigentlich nicht erklären. Frage: Stefan Rahmstorf, im Wasser gelöstes Kohlendioxid führt dazu, dass das Wasser sauer wird. Welche Folgen hat denn das dann für die Meereswelt? Stefan Rahmstorf: Die CO2-Aufnahme durch das Meer ist in der Tat ein sehr zweischneidiges Schwert. Denn einerseits entlastet es die Atmosphäre und verlangsamt damit den Klimawandel, was für uns natürlich sehr gut ist, andererseits richtet das Kohlendioxid im Ozean Schaden an, wenn es bildet dort Kohlensäure im Meerwasser, macht damit das Meerwasser saurer. Auch das ist bereits ein gemessener Effekt. Und es ist auch ganz einfache Chemie. Der Grund, warum das beunruhigend ist, ist, dass es negative Auswirkungen auf die Ökosysteme im Meer hat und, wenn das so weitergeht, sie sogar ganz massiv bedrohen wird. Denn im Ozean gibt es sehr viele Organismen, die Kalkschalen oder Kalkstrukturen aus dem Kalziumkarbonat bilden, was im Meerwasser vorhanden ist. Das betrifft die normalen Muscheln. Das ist mikroskopisches Plankton, was die Grundlage der ganzen Nahrungsketten dort bildet. Es betrifft z.B. die Korallenriffe. Und all diese Lebewesen können nur so funktionieren, wenn Kalziumkarbonat übersättigt überreichlich im Meerwasser vorhanden ist. Durch die Versauerung geht das aber immer weiter zurück und man kann ausrechnen, dass in 60, 70 Jahren ein kritischer Punkt erreicht ist, wo dann diese Meeresorganismen so einfach nicht mehr diese Kalkstrukturen aufbauen können. Das ist auch keine Theorie, sondern solche chemischen Zustände herrschen in der Tiefsee bereits jetzt. Das ist ein bekanntes, ganz normales Phänomen. Wenn solche Kalkschalen, die im Oberflächenwasser gebildet werden, in zu große Tiefen herunter rieseln, dann lösen die sich wieder auf, weil dort unten das Wasser zu sauer ist. Das ist unter Meeresforschern praktisch so als die „Schneegrenze“ bekannt. Denn die unterseeischen Berge und Täler sind im flacheren Wasser, also in den Höhen der unterseeischen Berge mit diesen weißen Kalkschalen wie mit Schnee bedeckt und unter dieser kritischen Grenze, wo das Wasser dann zu sauer wird, eben nicht mehr. Diese kritische Grenze wandert immer weiter nach oben – das ist auch gemessen – und wird eben in 60, 70 Jahren am Südpolarmeer als erstes dann die Oberfläche erreichen. Dann werden dort die Oberflächengewässer, rein chemisch gesehen, lebensfeindlich werden. Frage: Tote Meere. Vom Fisch, das heißt Proteine, sind sehr viele abhängig, sehr viele Küstenvölker leben davon. Das wäre ja eine ziemliche Katastrophe für die. Stefan Rahmstorf: Das kann mal wohl als Katastrophe bezeichnen, auch wenn die Folgen noch gar nicht richtig absehbar sind. Die Grundmechanismen sind recht gut verstanden, aber die genaueren Auswirkungen sind noch weitgehend unerforscht. Auf jeden Fall müssen wir sagen, es ist ein ganz massives Risiko, was aus meiner Sicht als Meeresforscher alleine schon Grund genug wäre, den weiteren Kohlendioxidanstieg in der Atmosphäre zu stoppen, selbst wenn wir nicht auch noch das Klimaproblem hätten. Frage: Stefan Rahmstorf, Sie sind sehr engagiert in der ganzen Klimawandeldiskussion. Inwieweit drückt sich das bei Ihnen auch privat aus? Was machen Sie persönlich? Stefan Rahmstorf: Es ist natürlich klar, wenn man sich mit dem Thema intensiv beschäftigt, dass man dann auch privat seine Konsequenzen zieht. Meine Familie hat kein Auto. Wir haben unser Haus nach allen Regeln der Kunst wärmegedämmt, Solaranlage auf dem Dach, ziehen Ökostrom, haben Energiesparbirnen, all das, was eigentlich jeder Mensch machen kann, um seine eigene private CO2-Bilanz zu verbessern. Frage: Eine deutsche Zeitung titelte gerade vor kurzem: „Ist es nicht schon zu spät?“ Stefan Rahmstorf: Ich glaube nicht, dass es schon zu spät ist. Ich glaube, das ist auch wieder so eine Art Resignationsstimmung zu verbreiten. Es ist eine Möglichkeit, um nichts zu tun. Erst sagt man, es gibt gar kein Problem. Das ist die erste Stufe der Verdrängung. Die zweite Stufe ist: Ja, o.k., wir geben zu, es gibt ein Problem, aber es wird schon alles nicht so schlimm sein. Die dritte Stufe ist: Jetzt ist eh alles zu spät. Das sind alles nur Ausreden, um nichts tun zu müssen. Ich glaube, es ist nicht zu spät. Wir können den Klimawandel natürlich nicht mehr ganz verhindern, weil wir stecken ja schon mittendrin, aber wir können ihn noch auf maximal zwei Grad globale Erwärmung begrenzen. Es gibt eigentlich wenig vernünftige Argumente, die dagegen sprechen, das zu tun. Wenn wir das nicht tun und bei drei, vier, vielleicht fünf – es geht in den IPCC-Szenarien sogar bis über sechs Grad, je nach Emissionen – Grad Erwärmung landen, dann werden wir sicherlich die Anpassungsgrenzen unseres Planeten, vor allem auch der menschlichen Gesellschaft und vieler Ökosysteme überschreiten und wir werden eine völlig andere Erde schaffen, die nicht besonders schön sein wird. Davon kann man mit Sicherheit ausgehen, dass es bei einer so starken Erwärmung auch massive Konflikte in der menschlichen Gesellschaft, in der Weltgesellschaft geben wird. 1 13-07 Klimawandel Rahmstorf Gespräch.doc