Deutschlandradio Kultur Länderreport 25 Jahre nach der Erschütterung - Schleswig-Holstein und die Barschel-Affäre - Autor Dietrich Mohaupt Red. Claus Stephan Rehfeld Sdg. 07.09.2012 - 13.07 Uhr Länge 18.40 Minuten Moderation Am 07. September 1987 berichtete Der Spiegel, Barschel-Herausforderer Engholm sei von Detektiven beschattet worden und eine anonyme Anzeige sei gegen den SPD-Spitzenpolitiker erstatt worden. Die Barschel-Affäre nahm ihren Lauf, endete formal mit dem Tod des ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten. Doch die Auswirkungen dieses politischen Skandals erschütterten die Landes-CDU und das Land Schleswig-Holstein nachhaltig. Dietrich Mohaupt zum Fall Barschel, den politischen Verwerfungen in Schleswig-Holstein und dem letzten Stand der Dinge. -folgt Script Beitrag- Script Beitrag (Stegner) "Immer wenn das Stichwort "Barschel" fällt, dann sind alle irgendwie wie elektrisiert - aus den unterschiedlichsten Gründen - es ist einfach die größtangelegte Form von Machtmissbrauch in der Geschichte der Bundesrepublik." (Mann) "Also die Barschel-Affäre ist ein schweres Trauma für die CDU Schleswig-Holstein gewesen, und sie hat sich erholt inzwischen." (Mann) "Wie er gestorben ist, woran er gestorben ist, läst sich mit sehr hoher Sicherheit sagen - was sich eben nicht mit so hoher Sicherheit sagen lässt: Durch wen ...Die Staatsanwaltschaft sieht zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei Ansatzpunkte mehr, um in Ermittlungen einzutreten, und insofern ist für uns die Akte geschlossen." Oder besser: Sie bleibt geschlossen. Obwohl die Staatsanwaltschaft Lübeck gerade erst eine völlig neue Spur präsentiert hat, wird sich daran wohl nichts ändern. Stichwort DNA: Sogenannte Mischspuren von mindestens zwei Personen hat das Landeskriminalamt Kiel auf einem Handtuch aus Barschels Zimmer im Genfer Hotel Beau Rivage, auf der Strickjacke, den Socken, und der Krawatte Barschels gesichert, erläutert Oberstaatsanwalt Ralf Peter Anders. Anders: "Man hat festgestellt, dass DNA-Befunde sowohl von Herrn Dr. Dr. Barschel dort vorhanden waren, auf der anderen Seite auch DNA-Spuren von anderen Personen als dem verstorbenen Ministerpräsidenten. Bei diesen Fremdspuren ist es nun so, dass diese Spuren in einem derartigen Zustand sind, dass sie keine Recherchefähigkeit zulassen. Sie können also nicht zum Abgleich als DNA-Profile genutzt und zur Einstellung in eine DNA-Analysedatei verwendet werden." Keine Recherchefähigkeit - genau das wollte der ehemalige CDU-Landtagsabgeordnete Werner Kalinka natürlich nicht hören. Er hatte den Anstoß für die jüngsten Untersuchungen gegeben - inspiriert durch den Erfolg von DNA-Untersuchungen in anderen Fällen. Kalinka: "Es gab ja mehrere Mordermittlungsverfahren, die nach langer Zeit hier im Lande zu Ergebnissen geführt hatten, und da habe ich mich gefragt: Warum kommt die Staatsanwaltschaft nicht auf die Idee, im Fall Barschel einfach mal DNA zu versuchen? - und habe deswegen im Herbst 2010 den Justizminister angeschrieben und angeregt, eine solche Untersuchung zu machen." Der frühere Journalist Werner Kalinka ist einer von vielen, die seit Jahren schon versuchen, Licht in das Dunkel des Barschel-Falls zu bringen. Er selbst ist fest davon überzeugt: Es war Mord. Die dürre Mitteilung des Oberstaatsanwalts zu den Untersuchungsergebnissen stellt ihn nicht wirklich zufrieden. Kalinka: "Mich überzeugt dieses nicht. Es wäre doch notwendig, dass die Staatsanwaltschaft diese DNA- Untersuchung uns bekannt macht, damit wir uns ein Urteil und ein Bild dazu machen können - das lehnt sie ab." Dazu gebe es auch wirklich keinen Anlass, beteuert Oberstaatsanwalt Anders. Man könne zwar theoretisch die DNA-Spuren mit Proben von lebenden Personen abgleichen, dafür reiche das Material wahrscheinlich. Es gebe aber keinen konkret eingrenzbaren Kreis von potenziellen Tätern, den man in solche Untersuchungen einbeziehen könne. Immerhin seien so ziemlich alle Geheimdienste der Welt und sogar die Mafia-Organisation Camorra in diversen Büchern und Filmen über den Todesfall Barschel schon verdächtigt worden - wen solle man denn da in einen möglichen Täterkreis einbeziehen? Anders: "Die Strafprozessordnung gibt uns keine Möglichkeit, an Personen heranzutreten, die nicht beschuldigt in diesem Verfahren sind. Um DNA von Personen abzunehmen, anzunehmen und sie abzugleichen brauchen wir zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für Straftaten durch diese Personen - so dass die Staatsanwaltschaft keinerlei rechtliche Handhabe jetzt hat, und auch keinen Sinn darin sieht, sich von diversen Personen, von denen hunderte, vielleicht sogar tausende in Betracht kommen könnten, DNA- Spuren zu holen und diese dann in einen Abgleich zu stellen." So recht mag Werner Kalinka sich mit dieser Erklärung nicht abfinden. Zum ersten Mal überhaupt gebe es eine richtig konkrete Spur im Fall Barschel - und die Staatsanwaltschaft reagiere einfach nicht, kritisiert er ganz offen. Kalinka: "Man hat so das Gefühl seit einiger Zeit, dass an weiteren Ermittlungen kaum Interesse bei der Staatsanwaltschaft in Lübeck besteht - aber das steht im Widerspruch dazu, dass bei Einstellung des Verfahrens 1998 ja mitgeteilt worden ist: Die Verdachtsmomente auf Mord haben sich erhärtet, aber da wir keinen Mordverdächtigen haben, müssen wir jetzt die Ermittlungen schließen - aber sobald wir neue Hinweise haben, werden wir erneut die Akten öffnen." Auch für den inzwischen pensionierten Oberstaatsanwalt Heinrich Wille erhärten die neuen Spuren seinen Mordverdacht. Von 1994 bis 98 war er in Lübeck verantwortlich für die Ermittlungen im Fall Barschel - bis heute glaubt er nicht an Selbstmord. Barschel war unmittelbar vor seinem Tod durch 8 verschiedene Beruhigungs- und Schlafmittel nicht allein im Hotelzimmer. Dafür sind seiner Meinung nach die gerade entdeckten DNA-Spuren zusätzliche Indizien - wichtiger sind für den ehemaligen Chefermittler aber Hinweise, die er auch in einem Buch über den Fall anführt. Ein abgerissener Knopf z.B. von Barschels Oberhemd. Wille: "Ein kleiner, feiner Hemdknopf, der nicht dort war, wo er hingehörte - nicht mehr am Hemd. Er ist auch nicht abgefallen weil er etwa lose war, sondern er ist mit einer beträchtlichen Kraft abgerissen worden, das kann man deswegen rekonstruieren, weil dabei auch noch ein Stück Hemdstoff mit abgegangen ist." Barschel hat sich diesen zweiten Knopf von oben, der von der Krawatte verdeckt war, nicht selbst vom Hemd gerissen, davon ist Wille fest überzeugt. Erstens hätte das für einen von diversen Medikamenten schon halb betäubten Selbstmörder keinen Sinn gemacht, es wäre auch gar nicht möglich gewesen. Wille: "Ein zum Suizid Entschlossener hätte von oben nach unten in einer völlig unnatürlichen Bewegung sich diesen Knopf abreißen müssen - was für mich unvorstellbar ist und was nach meiner Überzeugung auch gar nicht geht. Das ist also eindeutig ein Hinweis auf diskrete Gewalt von anderer Seite." Und dann war da noch die kleine Whiskyflasche aus der Minibar - leer, aber nicht einfach ausgetrunken sondern fein säuberlich ausgespült. In dieser Flasche wurden Spuren eines der Gifte gefunden, die auch im Blut des toten Uwe Barschel nachgewiesen wurden. Wille: "Warum soll jemand ein solches kleines Whiskyfläschchen ausspülen? Im Zusammenhang mit Suizid macht das keinen Sinn. Es kann eigentlich nur Sinn machen als Spurenbeseitigung." Neben vielen anderen seien dies nur die augenfälligsten Ungereimtheiten, der Hemdknopf und die Whiskyflasche. Wille: "Diese beiden Punkte halte ich für so einfach und so logisch nachvollziehbar, dass sie schlagende Argumente sind, die für Mord sprechen. Und in dem Maße, in dem Suizid unwahrscheinlicher wurde, wurde Mord ja ständig wahrscheinlicher." Trotzdem mussten 1998 die Akten geschlossen werden - selbst intensive Ermittlungen hatten die Staatsanwaltschaft Lübeck am Ende doch nicht den entscheidenden Schritt weiter gebracht. Wille: "Das Verfahren musste dann eingestellt werden mit einem Ergebnis, das immerhin theoretisch Selbstmord offen ließ, aber nach meiner damaligen Überzeugung schon ganz klar Richtung Mord ging - wir hatten nur keine Spuren, die noch weiter auswertbar waren in Richtung auf einen denkbaren Täter. Das war das Problem und das ist heute immer noch das Problem und ich denke, es wird es auch bleiben. Dieser Fall wird nie aufgeklärt werden." Der Fall - dieser mysteriöse Todesfall Barschel - geht zurück auf den Landtagswahlkampf 1987 im Schleswig Holstein. Seit 1950 war dort die CDU ununterbrochen an der Regierung - und jetzt drohte plötzlich der Machtverlust. Kurz vor dem Wahltermin am 13. September lag der SPD-Herausforderer Björn Engholm in Sachen Popularität deutlich vor dem CDU-Regierungschef Uwe Barschel - der damit gar nicht gut klar kam, wie sich der damalige CDU-Landtagsabgeordnete Trutz Graf Kerssenbrock erinnert. Kerrsenbrock: "Er war ja ganz versessen auf alles, was sich bei Engholm bewegte. Er war furchtbar geknickt und elektrisiert, wenn Engholm im Grunde relativ inhaltsleere, aber sehr viel besser ankommende Reden im Landtag hielt als er selbst. Er hielt zwar die in der Sache meist sehr viel fundierteren Reden - weil er auch besser vorbereitet war -, aber das kam genau umgekehrt rüber und das fuchste ihn unglaublich. Und er hat natürlich mit zunehmender Dauer des Wahlkampfs immer mehr gespürt, dass die Mehrheit baden ging, dass es zu Ende ging - mit der absoluten Mehrheit sowieso und dass es auch sehr knapp werden würde." In dieser Situation brachte "Der Spiegel" am 07. September 1987 die Affäre ins Rollen. Unter der Überschrift "Waterkantgate: Spitzel gegen Spitzenmann" berichtete das Nachrichtenmagazin erstmals über "dirty tricks" im Wahlkampf an der Kieler Förde. Von Detektiven war die Rede, die das Privatleben Engholms ausspionierten und von einer anonymen Steueranzeige gegen den SPD-Mann. Ein paar Tage später dann weitere Enthüllungen: Am Vorabend der Landtagswahl, also am 12. September, wurde bekannt, dass der Spiegel in der am Montag nach der Wahl erscheinenden Ausgabe berichten werde, Barschel selbst habe die Verleumdungs- und Bespitzelungskampagne gegen Engholm initiiert. Als Informanten nannte das Blatt Barschels Medienreferenten Reiner Pfeiffer. Der freigestellte Journalist des Springerkonzerns habe vom CDU-Spitzenkandidaten höchstpersönlich den Auftrag erhalten, das angeblich "ausschweifende" Sexualleben des "homosexuellen" SPD-Mannes Engholm auszuspionieren, einen Aids- Verdacht gegen Engholm in die Welt zu setzen und sogar eine Abhör-Wanze zu beschaffen, deren Einsatz dann später der SPD angelastet werden sollte. Barschels Reaktion an diesem Abend vor der Landtagswahl: Alles erstunken und erlogen. Barschel: "Das einzige, was an dem Artikel stimmt, ist die Schreibweise meines Namens." Trotz dieses Dementis geschah genau das, was Uwe Barschel am meisten gefürchtet hatte: Die CDU verlor am Wahltag die absolute Mehrheit, sie sah sich von der linken Kampfpresse um den Wahlerfolg gebracht, Barschel kündigte an, den Spiegel zu verklagen, und er versprach, die Behauptungen Pfeiffers zu entkräften. Das versuchte er 4 Tage nach der Wahl während seiner berühmt gewordenen Pressekonferenz im Landeshaus an der Kieler Förde. Der Volljurist Barschel nahm sich alle Anschuldigungen Pfeiffers einzeln vor und präsentierte sogar eidesstattliche Erklärungen von Mitarbeitern der Staatskanzlei - mit falschen Inhalten, wie sich später herausstellen sollte - die seine Verteidigung untermauern sollten. Dann die entscheidenden Worte zum Abschluss der Pressekonferenz: Barschel: "Meine Damen und Herren, über diese Ihnen gleich vorzulegenden eidesstattlichen Versicherungen hinaus gebe ich Ihnen, gebe ich den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Schleswig-Holsteins und der gesamten deutschen Öffentlichkeit mein Ehrenwort - ich wiederhole: Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort! - dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind." Am 02. Oktober 1987 trat Barschel als Ministerpräsident zurück. Noch am gleichen Tag setzte der Landtag einen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Vorfälle ein. Zeugen belasteten Barschel in den nächsten Tagen so schwer, dass der ehemalige Ministerpräsident aus seinem Urlaub auf Gran Canaria wieder zurück nach Kiel gerufen wurde - man wollte ihn unbedingt im Untersuchungsausschuss anhören. Auch die Staatsanwaltschaft in Kiel sprach inzwischen von einem Anfangsverdacht gegen Barschel im Zusammenhang mit der anonymen Steueranzeige gegen Engholm. Der Beschuldigte konnte zu all dem nichts mehr sagen - am 11. Oktober, einen Tag vor seinem geplanten Auftritt im Kieler Untersuchungsausschuss, starb er bei einem Zwischenstopp auf seinem Rückflug von Gran Canaria in der Badewanne seines Zimmers im Genfer Hotel Beau Rivage. Ob es Selbstmord war oder Mord - das ist bis heute unklar. In Kiel erklärte der Untersuchungsausschuss Uwe Barschel zum Strippenzieher der Machenschaften gegen Engholm - Mitarbeiter des ehemaligen Ministerpräsidenten hatten ihre eidesstattlichen Versicherungen zurückgezogen und erklärt, von Barschel zu Falschaussagen gedrängt worden zu sein. Erst 1993 warf die sogenannte "Schubladenaffäre" ein ganz neues Licht auf Barschel und seine Verstrickung in die Aktivitäten Pfeiffers im Jahr 1987. Es stellte sich heraus, dass der damalige SPD-Landesvorsitzende Günter Jansen mehr als 40.000 Mark an Pfeiffer gezahlt hatte. Das Geld habe er in seiner Küchenschublade gesammelt, gab Jansen an. Es kam auch heraus, dass die SPD-Landesspitze schon wesentlich früher als bisher zugegeben von Pfeiffers Aktivitäten wusste. Björn Engholm, seit 1988 Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, SPD- Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat, musste zugeben, 1988 vor dem Untersuchungsausschuss einen Meineid in dieser Sache geleistet zu haben. Die Verjährungsfrist bewahrte ihn vor einer Strafverfolgung, aber seine politische Karriere war zu Ende. Engholm: "Im Bewusstsein der getanen und geleisteten Arbeit und in der Absicht, mein Land und meine Partei davor zu bewahren, mit meinem politischen Fehler identifiziert zu werden, werde ich mein Amt als Ministerpräsident und meine Funktionen in der SPD aufgeben." Ein neuer Untersuchungsausschuss befasste sich mit den Zahlungen an Pfeiffer und indirekt auch wieder mit der Barschelaffäre selbst. Am Ende blieben wieder mehr Fragen als Antworten - Barschels Urheberschaft an der Affäre von 1987 könne man aber nicht beweisen, hieß es im Abschlußbericht des Schubladenausschusses. Unstrittig blieb allerdings, dass die Vorgänge 1987 von der CDU geführten Staatskanzlei ausgegangen waren. 25 Jahre später ist das Wort "Barschel" noch immer ein Reizwort in Schleswig-Holstein. Der Name des CDU- Politikers stehe auch heute unbestritten noch für einen eigentlich kaum vorstellbaren Machtmissbrauch, so der SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner. Stegner: "Fakt ist schon, dass in einem Land in dem die Union 38 Jahre lang regiert hat, und demokratische Normalität, also Regierungswechsel nicht stattgefunden haben, und es möglich war dass man seinerzeit sagte, es könne jemand in Schleswig-Holstein nicht Schulleiter werden, der nicht der CDU angehört - solche Dinge sind ja im Grunde unvorstellbar - in dieser Situation hat sich eine Form von Machtmissbrauch entwickelt, die bei Uwe Barschel dann kulminiert ist." Barschelei - das ist der Begriff, der seit 1987 als Schatten über der CDU Schleswig-Holstein liegt. Viele Jahre habe fast jeder in der Partei praktisch unter Generalverdacht gestanden, erinnert sich Jost de Jager - damals Mitglied der jungen Union, heute Landesvorsitzender der CDU. de Jager: "Zunächst einmal war es so, dass natürlich eine ganze Partei moralisch diskreditiert wurde für etwas, das ein Einzelner gemacht hat. Das ist das, was auch immer noch nachwirkt - dieser moralische Pauschalverdacht gegen alle Anhänger und auch gegen alle aktiven Politiker der Union. Da ist auch miese Politik mit gemacht worden und das schon auch etwas, was nachhängt." Es sind 25 Jahre vergangen und doch ist aus solchen Worten noch ganz deutlich heraus zu hören, wie tief der Stachel Barschel immer noch sitzt. CDU und SPD standen sich in Schleswig-Holstein viele Jahre in einer sprichwörtlich vergifteten Atmosphäre eher als Feinde denn als politische Kontrahenten gegenüber. Vor diesem Hintergrund war der Wahlsieg von Peter Harry Carstensen 2005 regelrecht Balsam auf den Seelen vieler CDU-Anhänger - er war aber auch eine verpasste Chance, meint SPD-Landeschef Ralf Stegner. Die Wahl führte zu einer großen Koalition unter Carstensen - und die hätte durchaus einen großen Schritt in Richtung Normalität im Verhältnis der beiden großen Parteien zueinander einleiten können. Stegner: "Aber auch da muss man sagen - der Anfang dieser Großen Koalition war die spektakuläre Nicht-Wahl von Heide Simonis, und das Ende der Großen Koalition war, dass CDU und FDP sich verabredet hatten, diese Koalition platzen zu lassen und der Ministerpräsident schmiss die SPD-Minister in einer Form raus, wie man Hühnerdiebe vom Hof jagt - also, die Umstände auch dieses Punktes haben dann doch ein Stück gezeigt, dass diese Normalität jedenfalls nur in Maßen eingetreten ist." Wie schnell die Emotionen auch heute noch immer wieder hoch kochen, wenn das Stichwort Barschel fällt, ließ sich zuletzt im Landtagswahlkampf Anfang dieses Jahres beobachten. Mit einer speziellen Kampagne hatte die CDU den SSW, die Partei der dänischen und friesischen Minderheit in Schleswig-Holstein, ins Visier genommen. Hintergrund dafür war, dass der SSW angekündigt hatte, bei Bedarf für ein Dreierbündnis mit SPD und Grünen zur Verfügung zu stehen - das löste in Reihen der Union heftige Kritik aus. Der SSW sei schließlich eine regionale Minderheitenpartei und als solche von der 5%-Klausel befreit - deshalb müsse er sich in Fragen der Regierungsbildung zurückhalten, forderten viele CDU-Anhänger. Das erinnere ihn doch sehr an Wahlkampf wie zu Barschels Zeiten - Stichwort "dirty tricks", unlautere Machenschaften - ließ daraufhin SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig verlauten. Für seinen CDU- Kontrahenten Jost de Jager ein klares Foulspiel - das allerdings die CDU gar nicht so sehr treffe. de Jager: "Es ist ja eher so, dass derjenige, der heute noch den Vorwurf der "Barschelei" macht, selber ja auch nicht mit guter Absicht daher kommt, sondern das noch einmal instrumentalisieren will, um erneut etwas moralisch zu diskreditieren. Und das halte ich für verwerflich. Niemand wird heue noch einem handelnden Politiker der CDU noch verwerfen können, dass wir "rumbarscheln" würden, d.h., jemand der das in den Mund nimmt, der hat in der Tat Absichten, die dann auch nicht O.K. sind." Barschel und kein Ende - auch 25 Jahre nach seinem Tod nicht. Die Affäre selbst, aber vor allem natürlich die ungeklärten, teils sehr mysteriösen Umstände seines Todes bieten weiter regelmäßig Raum für Spekulationen, für neue Mord- oder Verschwörungstheorien. Mögliche Verstrickungen in Waffengeschäfte, nebulöse Hinweise auf die DDR-Staatssicherheit, den israelischen Geheimdienst Mossad, die CIA und sogar den Bundesnachrichtendienst als mögliche Beteiligte an seinem Tod - all das wird vor allem noch gefördert durch Pannen, die es bei den Ermittlungen sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland immer wieder gegeben hat. Ein Beispiel dafür ist sicher das berühmte Haar aus der Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft Lübeck. Besagtes Haar wurde auf dem Bett in Barschels Zimmer im Hotel Beau Rivage gefunden - kein Haar von Barschel, das steht fest, aber von wem stammt es dann? Man wird das nie herausfinden, denn als das Haar im vergangenen Jahr ebenfalls gentechnisch untersucht werden sollte - war es weg. Oberstaatsanwalt Ralf Peter Anders. Anders: "Das ist kein guter Befund, so etwas darf nicht passieren. Wir müssen gleichwohl abstrakt betrachten, welchen Wert die DNA-Analyse eines solchen Haars gehabt hätte. Dieses Haar wurde meiner Kenntnis nach auf dem Kopfkissen im Zimmer von Herrn Dr. D. Barschel gefunden. Auch dort hätte man dann sehen müssen, wem hätte man dieses Haar zuordnen können? Und wenn es dann ein Bediensteter gewesen wäre, wäre der Beweiswert auch nicht besonders groß gewesen." Zumindest die Witwe des früheren schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten, Freya Barschel, und ihr Anwalt sehen das ganz anders - sie haben Anzeige wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt gegen die Lübecker Staatsanwaltschaft erstattet. Sie wollen wissen, wo das Haar geblieben ist, wie es in der Verantwortung der Justizbehörde verschwinden konnte. Der Fall liegt seit September vergangenen Jahres in den Händen der Staatsanwaltschaft Kiel - Erkenntnisse bisher, wie zu so vielen Fragen rund um das Thema Barschel: Keine! -ENDE Script-