Alexa Hennings für DLR-Kultur Nachspiel 26.7.15 Die ?Rettis? von Hiddensee Seit über 100 Jahren in Aktion: Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft 1. Atmo Meer, Möwen darauf Autorin Ein kühler Sommermorgen auf der Insel Hiddensee. Neun Uhr. Auf dem Deichweg in Vitte - dem ?Inselhauptdorf? - sind ein paar Radfahrer unterwegs, Brötchentüten am Lenker. Zum Baden lockt das Wetter heute nicht. Egal, Dienst ist Dienst, und um neun Uhr - eine geschlagene Stunde vor Dienstbeginn - schließt ein Herr im rotem Trainingsanzug der ?Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft? die Tür einer flachen, weißgestrichenen Holzbaracke - Marke Eigenbau- auf. 2. Atmo Tür aufschließen /Atmo Meer weiter Autorin Norbert Weißhaupt ist für zwei Wochen Wachführer der sechs Rettungsschwimmer auf der Insel Hiddensee. Er kommt von der Nachbarinsel Rügen und ist Bauingenieur. 5. O-Ton Norbert Rettungsschwimmer bin ich seit meinem 14. Lebensjahr. Damals zu DDR-Zeiten, habe ich sogar bei DDR-Meisterschaften den 4. Platz gemacht - ich war mal ganz gut - lacht- darauf Autorin Der Wachführer klopft lachend auf seinen Bauch, der sich unter der roten Jacke wölbt. Schnell zu schwimmen, traut man ihm trotzdem zu. O-Ton Norbert hoch Ich werd jetzt 60 im August. Ich hab aus Jux mal gesagt, das ist dieses Jahr die letzte Saison oder nächstes Jahr, weil dann die Rettungsfähigkeit wiederholt werden muß. Da hab? ich Mecker gekriegt - lacht - Insofern bin ich hier nicht der Älteste. Der Dieter ist älter und Roland Papendick ist älter. Es gibt Wachleiter, die sind über 80 hier an der Ostsee! Autorin Das Alter schützt nicht davor, alle zwei Jahre die sogenannte ?Rettungsfähigkeit? nachzuweisen - das heißt, die Prüfung zum Silbernen Rettungsabzeichen zu bestehen. Das schafft nur, wer zuhause übers Jahr trainiert - für die Rettungsschwimmer eine Selbstverständlichkeit. Norbert Weißhaupt übt in Bergen auf Rügen nicht nur für sich, sondern gibt auch ehrenamtlich Schwimmstunden für die Schulkinder. Es macht ihm Sorge, daß jedes zweite Kind, das heute die Grundschule hinter sich hat, nicht schwimmen kann. In der DDR war Schwimmunterricht Pflicht, heute findet er nur dort statt, wo Schulen noch eine Schwimmhalle finden. O-Ton Norbert Ich bin der Meinung, Schwimmen gehört zur Allgemeinbildung. Aber die Möglichkeiten für viele Schulen, Schwimmausbildung zu machen, bestehen nicht. Schwimmhallen werden abgerissen und dichtgemacht. Und die Hallen, die noch da sind, wollen viel Eintrittsgeld für die Kinder, für die Gruppen. Atmo Meer Autorin Fast ein Drittel aller Deutschen kann nicht schwimmen, noch in den 90er Jahren waren es nur 10 Prozent. Allein in den letzten sieben Jahren wurden 320 Hallen- und Freibäder geschlossen. Der Wachführer schaut aufs Meer. Das 13. Jahr ist er jetzt schon hier im Einsatz. O-Ton Norbert Ich hab? ein regelrechtes Helfersyndrom: Ich kann nicht anders, ich muß hierher. Obwohl andere - ich bin ja noch berufstätig - in Urlaub fahren, ist das jetzt hier für mich der Urlaub, drei bis vier Wochen immer so im Schnitt. Es ist ein Ehrenamt, eine Berufung, was die Wenigsten verstehen. Und am wenigsten verstehen, wenn?s bloß 20 Euro am Tag Aufwandsentschädigung gibt. Für das Geld geht man doch nicht auf den Turm, sagen viele. Ist so. Aber das geht uns allen so hier, das Geld spielt nicht so die Rolle, es ist eben der Einsatz hier. Wo ist er nun hin? Roland?? Atmo Meer, Besen Autorin Inzwischen sind auch die anderen Rettungsschwimmer eingetroffen. Alle per Fahrrad oder zu Fuß - Hiddensee ist eine autofreie Insel. André Gentzmann greift zu einem Besen mit harten Borsten und fegt - tatsächlich - den Deich. Atmo hoch, Norbert, Andrè Ja, ist immer schön, wenn es sauber auf dem Arbeitsplatz aussieht! - Das machen nicht alle -lachen - kehren? Autorin Genauso ein Ritual wie das Kehren ist das Anschreiben des sogenannten Tagesspruchs - die kleine Tafel am Rettungsturm ist eine Institution der ?Rettis?, wie die Rettungsschwimmer liebevoll auf der Insel genannt werden. O-Ton Norbert Das ist eine Tradition aus den 50er Jahren, irgendeiner hat das damals eingeführt. Und seitdem ist es ein ungeschriebenes Gesetz: Jeden Tag ein neuer Spruch. Das ist ein altes Muß hier. Atmo Schreiben Tafel darauf Autorin Heute ist Andreas Manske dran, der jüngste im Team, ein Lehramts-Student. O-Ton Andreas Das trägt halt auch zu dem guten Verhältnis bei zwischen Rettungsschwimmern und den Touristen. Da kommt man auch mit den Touristen ins Gespräch und das gibt es mittlerweile schon auf Facebook, daß der Spruch hier von Vitte immer gepostet wird. Das ist was Besonderes auf der Insel. Autorin Und der heutige Spruch? O-Ton Andreas Das Schlimmste am Faulenzen ist, daß man nie weiß, wann man fertig ist. Autorin Andreas Manske kommt aus einer Rettungsschwimmerfamilie aus Rostock, seine Eltern haben schon zu DDR-Zeiten an der Ostsee Dienst geschoben. Auch damals war es ein Ehrenamt, Rettungsschwimmer wurden jedoch für ihren Einsatz von der Arbeit freigestellt und mussten keinen Urlaub nehmen. O-Ton Andreas Ich hab mit 16 angefangen. Auch die Bundeswehr war bei mir sehr sozial, sie hat mir immer Sonderurlaub gegeben. Von den 14 Tagen Dienst waren halt fünf Tage Sonderurlaub nehmen, dann mußte ich nur noch fünf Tage Urlaub nehmen. In der Studentenzeit ist es natürlich gerade die Nachsaison, weil die schwer zu besetzen ist. Dann kann man in der Nachsaison auch mal an einen Ort fahren, den man sich als Student sonst nicht leisten könnte - sprich Kühlungsborn oder auch Hiddensee. Autorin Jede Station ist mit zwei Rettungsschwimmern besetzt, gerade in der Vor- und Nachsaison ist das ein Problem für die Planer der ?Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft? in Bad Nenndorf bei Hannover. Dort steht Peter Siemann vor einer riesigen Wandtafel mit vielen bunten Markierungen. O-Ton Siemann vor Tafel Das ist jetzt das große Puzzle. Ich habe es noch nicht abgeschritten, aber ich glaube, es sind um die acht bis zehn Meter, wo wir hier an der Wand nach ganz althergebrachter Weise die Planung machen. Ich wünsch mir auch irgendwann ein digitales Brett zu haben, wo ich die Namen hin und herschieben kann. Aber um den Überblick zu haben gibt es nichts Besseres, als das einfach handschriftlich an die Pläne zu schreiben. Und wenn sich was ändert, wird das überklebt und ein neuer Name wird raufgeschrieben. Die haben eine farbliche Kodierung. Die Wachführer sind in orange gehalten. Wir haben her die Station Borkum mit insgesamt vier Badestellen, an jeder ist ein Wachleiter. Die blauen sind die Boosführer, die grünen sind die Rettungsschwimmerr, die schon Erfahrung haben und mehrfach an der Küste waren. Und die gelben sind Neulinge. Autorin 4000 Namen sind auf dem Riesen-Puzzle vermerkt sind. Dahinter in Klammern das Alter der Rettungsschwimmer. Peter Siemann dreht an einem weißen Papierpfeil. O-Ton Siemann vor Tafel Die Pfeile deuten meistens - der müßte jetzt hier eigentlich gedreht werden - darauf hin: Da brauchen wir noch dringend Rettungsschwimmer. Das sind die weißen Felder, die Sie hier noch teilweise sehen. So ab September, 29. August bis Mitte September, einzelne Stationen sind bis Ende September besetzt, werden wir noch Bedarf haben. Also, wenn der geneigte Hörer Lust verspürt und eine Rettungsschwimmerausbildung in Silber hat, dann soll er sich gerne melden! Autorin Auch in Binz auf Rügen gibt es noch freie Plätze - jenem Ort der in der Geschichte der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft eine besondere Rolle spielt. 1913 brach dort bei der Ankunft eines Ausflugsschiffes die Seebrücke zusammen, 16 Menschen ertranken. Kaum einer konnte damals schwimmen. Als Konsequenz aus diesem Ereignis wurde 1913 in Leipzig die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft gegründet. Sie sah es schon damals als ihre wichtigste Aufgabe an, Menschen das Schwimmen beizubringen. Heute ist sie die größte Wasserrettungsorganisation der Welt. Sie hat 1,3 Millionen Mitglieder und Fördermitglieder. Fast die gesamte Wasserrettung wird aus Beiträgen und Spenden finanziert. Achim Wiese in Bad Nenndoof hat den Überblick über die Gelder. O-Ton Wiese Mittlerweile ist das so, daß diese Förderer so wichtig für die DLRG sind. Die Spenden, die wir über die Förderer einnehmen, machen im Gesamthaushalt fast 70 Prozent aus. Autorin Rettungsschwimmer im Einsatz müssen die rot-gelbe DLRG-Kleidung tragen - und sie selbst bezahlen. Ein großer Teil der Spendenmittel geht deshalb in Zuschüsse für die Kleidung und Ausrüstung. Für Boote, Rettungsmittel, Unterkunft und Verpflegung müssen die Gemeinden vor Ort sorgen. Eine Förderung vom Staat können die Rettungsschwimmer, die in vielen Orten in den Schwimmhallen ehrenamtlich für den Schwimmunterricht zuständig sind, kaum erwarten. O-Ton Wiese Die Tausende Euro können wir an einer Hand abzählen. Im Haushalt machen sie unter fünf Prozent aus. Das ist Förderung für den Katastrophenschutz z.B., aber auch zum Teil noch für die Sportförderung. Wobei uns für die Sportförderung gerade 120 000 Euro gestrichen wurden. Die DLRG liefert ja keine Medaillen bei Olympia, weil wir nichtolympisch sind. Von daher kann man das Geld streichen - das war jetzt bißchen ironisch gemeint. Autorin Die meisten Rettungsschwimmer trainieren regelmäßig zuhause in ihren Ortsgruppen das Schnell- und das Ausdauerschwimmern, das Tief- und das Streckentauchen, die Rettungsgriffe und das Abschleppen. Die besten vertreten Deutschland bei den ?Rescue? Welt- und Europameisterschaften. Der schnellste Rettungsschwimmer schwamm bei der letzten WM in Montpellier die 100 Meter in 51.91 Sekunden - der Weltrekord der Profischwimmer liegt bei 46,91. Rettungsschwimmen kann auch Hochleistungssport sein. Doch ob man Rekorde schwimmt oder das für den Einsatz nötige ?Silberne Rettungsabzeichen? erwirbt: Es ist ein Sport, den man für andere betreibt. 50 000 Rettungsschwimmer leisten an der Küste, an Seen und Kiesgruben, in Frei- und Hallenbädern 2,2 Millionen freiwillige Einsatzstunden jährlich. In den meisten Ländern wird Baywatch von hauptamtlichen Kräften betrieben. O-Ton Wiese /Siemann Wenn die äußeren Rahmenbedingungen stimmen, dann ist mit Sicherheit das Ehrenamt besser, weil dann die Motivation besser ist. Dann kommt man mit Liebe und Leidenschaft an den Strand. / Siemann: Ich könnte es mir jetzt einfach machen und einfach auf die Ertrinkungszahlen verweisen. Und dann werden Sie feststellen, daß die Ertrinkungszahlen im Ausland höher sind als in der Bundesrepublik. Auch wenn dort professionelle Kräfte arbeiten. Hauptamtlich Kräfte kosten Geld, das ist keine Frage. Das führt manchmal dazu, daß Strände nicht bewacht sind. Dieses ehrenamtliche Engagement ist für den Strandbetreiber, der für die Sicherheit verantwortlich ist, immer der günstigste Weg. Sonst wären überall hauptberufliche Rettungsschwimmer. Da hat man eine gewisse Verfügbarkeitssicherheit. Das ist bei den Ehrenämtern immer eine Vabanque-Spiel. Weil natürlich wir auch jetzt Rückmeldungen bekommen: Ich hab mir das Bein gebrochen, ich kann nicht kommen. Oder: Mein Arbeitgeber hat ein neues Projekt, ich krieg eine Urlaubssperre reingedrückt. Das sind so die Probleme, die wir haben. So etwas hat man mit hauptberuflichen Rettungsschwimmern in der Regel nicht. Aber da macht es dann bei uns letztlich die Masse. Atmo Meer, Möwen Autorin Drei Wachtürme müssen allein auf der kleinen Insel Hiddensee von Mai bis September bis zu 12 Stunden am Tag besetzt werden. Andreas Manske bekam erst vor wenigen Tagen einen Anruf aus Bad Nenndorf, ob er den noch fehlenden Platz besetzen könnte. Er steckt zwar mitten in der Examensarbeit, aber er sagte zu. O-Ton Andreas, Norbert Und man kann dann auch anfangen, abends zu lernen, dann ist es ja auch bedeutend ruhiger am Strand. - Norbert: Hier an dem Tisch sind schon einige Doktorarbeiten entstanden! Ist doch möglich, ich sitze da, bin in Bereitschaft, kann ein bißchen tippen und wenn was ist, kann ich sofort aufspringen. Ist doch eine sinnvolle Verbindung! Autorin Der Jüngste auf der Station ist zugleich der Bootsführer - als erstes hat er den Motor wieder in Gang gebracht, der nicht mehr ansprang. Ein Rettungsboot nur gibt es auf der Insel, das liegt in Vitte. Für den Ernstfall steht jedoch an jedem Turm ein Rettungsbrett bereit, eine Art Surfbrett mit vielen Schlaufen. Und zur Not tun es auch die Schwimmflossen. Es gibt Orte, da sind die Rettungsschwimmer mit schickerem und neuerem Material ausgestattet. Doch das wiegt für Andreas Manske die Vorteile von Hiddensee nicht auf. O-Ton Andreas Kühlungsborn, Trassenheide, Zempin, Ahrenshoop, Göhren, Binz - also, paar hab? ich schon. Hier ist es eine ganz andere Welt, die Leute sind viel entspannter. Wenn man an den Strand geht und sagt: Ist nicht so eine gute Idee heute mit dem Baden gehen, dann wird man nicht angemotzt. So wie sich einige Rettungsschwimmer beschweren. An anderen Stränden sagen die Leute, sie haben dafür bezahlt und erwarten eine Leistung. Und wenn man sagt, heute nicht baden, es ist zu gefährlich, dann sagen sie: Nee, wir haben Urlaub und haben bezahlt und wir machen, was wir wollen. Atmo Meer, Möwen Autorin Alle machen sich auf den Weg. Zwei Kilometer weiter steht der Rettungsturm von Kloster, dem nördlichen Inseldorf mit Heimatmuseum, Gerhart-Hauptmann-Haus und Inselkirche. Hier dient ein Bretterhäuschen auf zwei Rädern als Rettungsturm . Atmo Meer, Wind Autorin Der Wind hat aufgefrischt inzwischen. Dieter Schauten am Turm in Kloster zückt ein kleines, schwarzes Gerät. O-Ton Dieter Das ist ein Windmesser. Der zeigt dann einmal hier die Temperatur und hier die Meter pro Sekunde. Und die Balken, die hier nach oben gehen, zeigen die Windstärke. Und das macht er hier mit dem Windrad - rauschen - Autorin Dieter Schauten hält das Gerät hoch über sich und nimmt es dann vorsichtig herunter. O-Ton Dieter So, zeigt er er jetzt an zwischen vier - vorhin hatten wir auch schon fünf und sechs. Jetzt kommt er auf fünf hoch je nach den Böen. So, und bei Windstärke vier bis sechs haben wir rot geflaggt. Also eigentlich Badeverbot. Wenn Sie ins Wasser gehen, tun Sie es auf eigene Verantwortung. Heißt also im Umkehrschluß: Wenn was passiert, ist der Rettungsschwimmer nicht verpflichtet reinzugehen. Natürlich würde ich reingehen - lacht - so wie er jetzt, er misst jetzt nochmal die Temperatur - Wind - Autorin Wenige Minuten später kommt André Gentzmann vom Temperaturmessen zurück, die Flossen unterm Arm kommt er auf seinen Kollegen zu, der ihn mit einer Decke in Empfang nehmen will. Atmo Meer, André, Dieter Komm, du erkältest dich! - Nee, will nicht! - Kann ich gar nicht sagen, das Ergebnis. Weil das glaubt mir keiner! 18 Grad steht dran! Gestern hat sich das schön aufgewärmt durch den Westwind. Aber jetzt haben wir den Untersog, die Brandungsströmung. Das bedeutet, das kalte Wasser oder das Uferwasser wird unten weggezogen. Warmes Wasser, kabbelige See, aber auch gefährlich für kleinere Kinder und ältere Leute, die nicht so gut auf den Füßen sind. Das können wir nicht anschreiben! Vor allen Dingen, dann denken alle Leute, es macht Spaß, Wellen sind da, Wasser ist warm, gehen wir rein! Muß mich erstmal bißchen anziehen. Atmo Meer Autorin Bei genau solchem Wetter und Strömungsverhältnissen - allerdings war es noch wärmer und damit einladender zum Baden - sind im Juli 2014 an der deutschen Ostseeküste 95 Menschen ums Leben gekommen, einige davon auch auf der Insel Usedom. Auf Hiddensee zum Glück keiner. André Gentzmann steckt inzwischen wieder im warmen Trainingsanzug und setzt sich auf die Bank. Mit Flossen bei starkem Wellengang zu schwimmen ist für ihn ein gutes Training. Der 54jährige, der in Oranienburg bei Berlin ehrenamtlich junge Rettungsschwimmer ausbildet, hat den Ehrgeiz, das Rettungsabzeichen in Gold zu schaffen - obgleich Silber ausreicht. Die Anforderungen dafür sind nicht nach Alter gestaffelt. O-Ton André, Dieter Einen Altersbonus gibt es nicht. Der ist ja auch nicht praktikabel, weil wenn da draußen jemand um Hilfe schreit, dann sagst du: Schrei mal bißchen länger, ich bin über 50? Das geht ja nicht, nee, nee! - lacht - ich hoffe, daß die Leute sich beschützt fühlen durch mich. Und deswegen, Dieter ja auch, der schwimmt kilometerweise jeden Morgen eigentlich. -Dieter: Zuhause schwimme ich jeden Tag einen Kilometer, dafür laufe ich nicht, weil das gelenkschonender ist in meinem Alter. Ich habe mit 16 den Rettungsschein Silber gemacht und mit 59 habe ich gesagt: Ach, kannst ja nochmal versuchen. Und es hat geklappt. Und da bin ich über die DLRG hier an die Wasserrettung Küste gekommen und bin das erste Mal auf Hiddensee eingesetzt worden und seitdem nur noch hier, in der Vorsaison und in der Nachsaison. Atmo Strand, Kinder Autorin Der Lufthansa-Angestellte aus Bonn ist in Altersteilzeit. Acht Wochen verbringt er auf der Insel. Die Kinder, die am Strand Ball spielen, erinnern die beiden Rettungsschlimmer an die vergangene Woche. Da sie für die Hiddenseer Schulkinder etwas ganz Besonderes organisiert. O-Ton André Wir haben so eine Rettungsaktion draußen gemacht mit drei Staffeln, drei Stationen. Bißchen spaßbetont, aber eigentlich ihnen auch was beigebracht, z.B. 110 oder was die fünf ?W? sind beim Abfragen oder wie man jemanden mit der Trage transportiert. Und wir werden wieder mehr auf der Straße angesprochen: Hallo Retti, das war schön - lacht - Wir wollen die ja dahin bringen, daß sie auch ein bißchen Blut lecken und sagen: Och, ich will auch Rettungsschwimmer werden! Ich sag meinen Kindern auch - ich sag ?meine Kinder?, also die, die bei mir Rettungsschwimmer werden - denen sage ich von vornherein: Ihr seid für mich Helden. Weil nur Rettungsschwimmen trainiert man körperlich oder geistig, um anderen zu helfen. Alles andere, wenn man Fußball spielt oder Basketball oder was anderes, das macht man für sich alleine. Aber Rettungsschwimmen macht man für die anderen. So argumentiere ich und dann gehen sie mit stolz geschwellter Brust los. Und das soll auch so sein. Atmo Meer Autorin Daß ein ganzes Rettungsschwimmerleben vergehen kann, ohne daß es einmal zum ?Ernstfall? kommt, ist zumindest auf der beschaulichen Insel Hiddensee wahrscheinlich. Keiner der anwesenden Rettungsschwimmer hat ihn je erlebt, den Ernstfall. Zumindest nicht im Wasser, an Land schon: Herzinfarkte, Kreislaufversagen, Schlangenbisse. Aber auch kleinere Wehwehchen wie 1. Hilfe bei Feuerquallen, Sonnenbrand und Verletzungen. ?Pflasterdienst? sagen die Rettungsschwimmer dazu. Und Naturschutzhelfer sind sie auch. Immer wieder laufen die Leute über die abgesperrten Dünen, um ein Stück Weg abzukürzen. Dieter Schauten hat eben wieder einen erwischt. O-Ton André - Dieter kommt - Na, hat er es verstanden? - Natürlich nicht - lacht - Ich hab ihm gesagt, das ist Küstenschutz. Ja.Hm.Ja. Und außerdem haben wir viele Kreuzottern hier! - lacht - Ja, das ist gut! - Andrè: Wir machen es schon so, nicht, daß sie die Pflanzen kaputtmachen, was ja passiert, sondern wir sagen: Würde ich nicht machen, sind ganz viele Kreuzottern hier! Der Effekt ist der gleiche, aber bei Kreuzottern sind sie vielleicht ein bißchen schneller raus aus der Düne! Atmo Düne, Feldlerchen Autorin Die Düne ist die Lebensversicherung des kleinen Eilandes, ohne sie wäre die Insel längst überspült, so wie es zu früheren Zeiten immer geschah. Die strengen Regeln des Nationalparks schützen vor allem die Dünen- und Heidelandschaft in der Mitte und im Süden der Insel. Wer als Rettungsschwimmer für Neuendorf eingeteilt ist, radelt fünf Kilometer durch die Heide, vorbei an wenigen Sommerhäusern, Wiesen und Wald. Hierher zieht es Roland Papendick seit den siebziger Jahren immer wieder. O-Ton Roland Ja, und dann sind eben 40 Jahre draus geworden. Ich hab mich in die Insel verliebt, kann man schon so sagen. Auch in die Leute und die Art, wie das hier lief. Hier gingen die Uhren ein bißchen langsamer. Das war immer wie ein bissel außerhalb der DDR. So habe ich mich immer gefühlt. Atmo Meer Autorin Damals verbrachten die rettungsschlimmer - bei festem Gehalt - die ganze Saison auf der Insel, im Winter suchten sie sich zuhause einen Job. Oft kommt Roland Papendick, mittlerweile 65 Jahre alt, auch abends nach Dienstschluss hierher. An Geschichten schreibt er, Rettungsschwimmergeschichten aus 40 Jahren. Einige handeln davon, wie sich das Ansehen der Lebensretter verändert hat. O-Ton Roland Ich hatte mal zu Ost-Zeiten in Kloster einen kleinen Jungen, der krabbelte da auf diesen Felsbrocken rum. Da hatten wir oft schwere Unfälle, Da bin ich natürlich immer hin und sag: Komm mal runter da! Im Osten ist der natürlich sofort runtergekommen und schuldbewusst abgetrabt. Und dasselbe Ding habe ich - es war 91 vielleicht, da krabbelte so ein Junge da rum. Ich bin hin und sage: Komm mal runter! Das ist gefährlich! Er reagierte nicht. Und ich habe noch ein paarmal gerufen, dann kam er doch und blieb widerwillig vor mir stehen. Ich sage: Du, das ist gefährlich, was du machst. Ist doch mein Problem, sagt der. Da war ich platt. Der selbstbewusste Westjunge, der meint, es gehört zur Freiheit. Und das Besondere war, da kam so ein kleiner, abgesägter, drahtiger Herr mit einem bunten Jogginganzug auf mich zu gestürzt und er sagt: Also, wenn Sie nochmal die Absicht haben, meinem Jungen irgendwelche Richtlinien zu verabreichen, dann wenden Sie sich vorher an mich. Und seitdem schreite ich nicht mehr ein. Nur, wenn es soweit ist. Ich dachte: Mensch, das ist doch anders mit der Freiheit. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Verboten ist nichts mehr. Ich sag ja auch immer, die können ja selbst bei roter Flagge baden gehen. Sie müssen bloß wissen, daß sie dann vielleicht Pech haben. Die Freiheit ist in jeder Hinsicht größer. Auch die Freiheit, sich umzubringen. Atmo Musik, Gitarre (a capella) Autorin Geschichten wie diese hat Ronald Papendick zu Papier gebracht. Einmal in der Woche liest er in der Gaststätte ?Heiderose? aus seinem Manuskript. Die Plätze reichen kaum. Ein Rettungsschwimmerkollege, Professor an der Kunsthochschule in Halle, greift zur Gitarre. Atmo Musik hoch Autorin Die Gemeinde Hiddensee hat in diesem Jahr ihrem am längsten gedienten Rettungsschwimmer eine Freude gemacht: Sie schuf für ihn einen Mini-Job-Posten: Er soll die meist 14tägig wechselnden Rettungsschwimmer-Besatzungen einweisen und betreuen und für sie die Verbindung zur Kurverwaltung halten. Es freut es ihn, daß er auf diese Weise wieder die ganze Saison auf der Insel bleiben kann - wie damals. O-Ton Roland Früher war hier ein berühmter Mann, der Muthesius. Da war ich oft eingeladen. Und wenn der so von Indien erzählte, Griechenland oder Australien und wo er überall war, sagte ich: Herr Muthesius, ich möchte auch ein bißchen reisen. Das war vor der Wende. Da sagte der immer zu mir: Roland, du sitzt im Paradies, du weißt es bloß nicht. Da denke ich heute oft drüber nach. Der hat recht. Hundertprozentig recht. Atmo Lied schon drunter, Leute summen mit ?nehmt mich mit, ich tausche gerne all die vielen fremden Länder gegen eine Heimat aus - Beifall ENDE 1