Deutschlandradio Kultur Länderreport Reihenweise Rollatoren Bad Sassendorf - Seniorenparadies in NRW Autor Michael Frantzen Redaktion Julius Stucke Länge 20'09'' Sendung 29.12.11 - 13.07 Uhr Bad Sassendorf im Westfälischen ist ein Ort, an dem sich die Zukunft ablesen lässt. Denn schon heute liegt der Altersdurchschnitt dort bei 47 Jahren. Im Ganzen Land wird das, Statistikern zufolge, 2034 der Fall sein. Bad Sassendorf hat Rentner reihenweise in den Ort gelockt, ein Seniorenparadies erschaffen, um den Bevölkerungsrückgang zu stoppen. Mit Erfolg. Doch ganz glücklich ist man mit diesem Erfolg mittlerweile nicht mehr - eine stabile Sozialstruktur ginge verloren, klagt etwa der Bürgermeister. Und so versucht man wieder gegenzusteuern... - M A N U S K R I P T B E I T R A G- MUSIK Instrumental (Mann I) "Ja, Bad Sassendorf?! Vornehmlich trifft man natürlich gestandene Bürger; Ältere." MUSIK "Ich hab dich zum ersten Mal in Sassendorf gesehen. Und ich dachte gleich, es war um mich geschehen." (Mann II) "Man hat uns auch schon mal als Methusalem City bezeichnet." (Nowack) "Wir können's doch nicht ändern. MUSIK "Und ich möchte dich bitten, lass mich niemals mehr allein." (Nowack) "Ein Drittel der 12.000 Einwohner ist nun mal über sechzig." So ist die Gemengelage. In Bad Sassendorf. Dem "Seniorenparadies". Tiefstes Westfalen. 47 Jahre alt sind sie hier im Durchschnitt. Damit ist der Kurort die Gemeinde in NRW mit der ältesten Bevölkerung. Die Alten geben den Ton an. Wie zum Beispiel: (Nowack) "Christa Nowack. Mozartweg 29. Bad Sassendorf." Christa Nowack leitet das Seniorenbüro. "Miteinander - füreinander" lautet das Motto der ehemaligen Gymnasiallehrerin, die die Welt durch eine randlose Brille und mit verschmitztem Lächeln betrachtet. Zwei Mal die Woche berät sie in ihrer Sprechstunde Ratsuchende: Welche Ansprüche können Senioren geltend machen? Wie werden die Anträge zur Pflegestufe am besten ausgefüllt? Christa Nowack hat auf alles eine Antwort. "Fast alles." Meint die Frau schmunzelnd, der man vieles zutraut, nur nicht, dass sie schon 81 ist. In ihrem hell erleuchteten Büro in der Innenstadt stapeln sich die Flyer, draußen vor der Eingangstür wartet schon "Kundschaft" in Form einer adrett gekleideten älteren Dame - und außerdem "fair gehandelter Kaffee" und Batik-Deckchen aus Lateinamerika auf potentielle Käufer. (Nowack) "Das, was Bad Sassendorf ausmacht: Der dörfliche Charakter auf der einen Seite, auf der anderen Seite die Infrastruktur. Wenn se also diesen Ort genau durchwandern, dann werden sie merken, dass sie fußläufig praktisch alles erreichen können. Sie können auf der einen Seite genauso die Ärzte erreichen, sie können die Geschäfte erreichen, die Apotheke erreichen, die Kirche erreichen, die Post. Und das ist der entscheidende Punkt in Bad Sassendorf. Und das war für mich auch einer: Dass ich gesagt habe: Wir können auch im Alter bleiben." (Bleilefens) "Wir gehen mal einmal durch die Fußgängerzone" Nicht viel los in der Innenstadt. Aber ist ja auch Mittagszeit. Und schlechtes Wetter: Feiner Nieselregen geht auf schwarz-weiße Fachwerkhäuser nieder, die dazu verdammt sind, ihr Dasein - mit den gesammelten Bausünden der 60er, 70er und 80er Jahre zu fristen. Helmut Bleilefens zieht den Mantelkragen hoch und geht einen Schritt schneller - vorbei am Plakat des Kurhauses, dem zu entnehmen ist, dass sich Cats-Sängerin Angelika Milster vorgenommen hat, die "Sehnsucht der Menschen nach Frieden und Harmonie" zu befriedigen. Sogar die Milster kommt hierher. Der drahtige Mann reibt sich die Hände. Der 71jährige ist stellvertretender Bürgermeister. Ein CDU-Mann. Oder, wie es im Ortsjargon heißt: Ein "Schwarzer". Die "Schwarzen" haben zusammen mit den mindestens genauso schwarzen freien Wählern, der "Bürgergemeinschaft", immer schon das Sagen gehabt. Was unter anderem den Effekt hat, dass etwas verhältnismäßig Neumodisches wie die "Die Grünen" im Ort schlicht nicht vorkommt. Helmut Bleilefens macht nicht den Eindruck, als ob er das für einen sonderlichen Verlust hält. Ökos?! Da muss der 71jährige lange überlegen. Nein, davon gibt es in seinem Sassendorf nur ganz wenige. Dafür aber um so mehr Gehhilfen. Und Rollatoren. Einer steht an diesem trüben Dezembertag vor der breiten Eingangstür der "Lady's Fashion", die im Schaufenster nicht nur mit der neusten "Wintermode für die Dame" aufwartet, sondern auch damit, "Größen von 36 bis 52" im Sortiment zu haben. Bleilefens schaut kurz hoch: Haben halt ihre Lektion gelernt; die Gewerbetreibenden. Dass die Älteren keine Model-Figuren mehr haben. (Bleilefens) "Zudem sind die Eingänge zu den Gebäuden und Häusern überall so umfunktioniert und angeglichen worden, dass man also ohne Stufen und ohne Treppensteigen in die einzelnen Geschäfte in der Fußgängerzone hineingehen kann. Hier zum Beispiel is ne Treppe, aber sie können hinten rum das Geschäft betreten, ohne dass se ne Treppe laufen müssen." (Bleilefens) "Sie wollten ja mal in die Klinik. Da können wir hier durch laufen Barrierefrei sind auch die Eingänge aller Kliniken hier. Gibt eine ganze Menge davon: "Klinik am Park", "Klinik am Wiesengrund", "Klinik am Hellweg". In letzterer, einem roten Backsteinkasten aus den 80ern mit düsteren Gängen, hat es Irmgard Pfänder verschlagen. (Pfänder) "Ich hab ein neues Kniegelenk gekriegt. Ich bin am 11.11 operiert worden. Den Ort kenn ich nich so, aber hier die Klinik: Das is schon alles prima. Jetzt muss ich ins Kurmittelhaus, da find ich mich nicht zurecht und dann sind diese jungen Leute da, die bringen mich dahin. Ich wollt's zwar noch lernen, ehe ich gehe, aber..." Die 81jährige aus dem sauerländischen Warstein ist eine von Peter Paes Patientinnen. Doktor Peter Paes. Seines Zeichens: Chefarzt von Bad Sassendorfs größtem Krankenhaus. Auf Titel legen sie Wert am Hellweg. Sechs Oberärzte tun hier ihren Dienst, zehn Assistenzärzte und 33 Krankengymnasten und Ergo- Therapeuten. Paes ist ihr Chef. Seit 27 Jahren. Kerzengerade sitzt der vornehme Mediziner hinter dem Schreibtisch seines nicht gerade klein bemessenen Behandlungszimmers. Jede Casting-Agentur würde ihn höchstwahrscheinlich vom Fleck weg engagieren für die Rolle eines Chefarztes einer Fernseh- Krankenhaus-Serie. (Paes) "Ich war mal einer der jüngsten Chefärzte in Deutschland, ich gehöre inzwischen zum älteren Klientel. Man konnte auch durch die Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen einen Wandel der Patienten-Strukturen beobachten. Heute ist es so, dass durch die Erschwerung der Zugangswege sich bei uns natürlich ausschließlich kranke, frisch operierte Patienten befinden. Das heißt, die Klinik am Hellweg, die eigentlich als orthopädisch-Rheumatologische Schwerpunkt-Klinik auf dem Markt arbeitet, wird nun auch eine ortho- gereatrische Abteilung aufbauen. Um einfach den Anspruch der älteren Bevölkerung gerecht werden zu können." Im Januar sollen die Bauarbeiten beginnen - bei laufendem Betrieb. Auf Patienten können sie am Hellweg nicht verzichten. Auch wenn es offiziell keiner zugeben will, aber: Wenn die Klinik am Ende des Jahres eine schwarze Null schreibt, kann Peter Paes schon zufrieden sein. "So sind sie nun mal, die Zeiten" - meint der lapidar. Für Bad Sassendorf bedeutet der Anbau: Noch mehr älteres Publikum. (Marco) "Hier ist alles für die Leute über 50 ausgerichtet. Also: Bürgersteige mit fast keiner Kante. Oder Niedrig-Kante. Selbst hier: Unser Bus. Hat 15 Haltestellen in Bad Sassendorf. Hauptsache, die Leute sind glücklich." Die Leute glücklich machen - das ist, wenn man so will, die Berufung von "Marco", dem Jürgen Drews Sassendorfs. (Marco) "Wir befinden uns jetzt im Parkhotel, in der Kaiserstraße, also mitten auf der Fußgängerzone. Da gibt es bei uns jeden Nachmittag und abends Tanz." Mit Marco am Regler. (Marco) "Ob vierzig Grad Hitze oder Eis: Ich spiele hier!" Eigentlich wollte Marco, der in den 70ern aus Polen nach Deutschland kam und seine Frisur aus dieser Zeit rüber gerettet zu haben scheint, nur zwei Wochen im Parkhotel aushilfsweise Musik machen. Damals, 1978, als alles anfing. (Marco) "Ich mach die Masche jetzt seit 33 Jahre. Und sagen mal: Ich erfülle nur die Wünsche von den Gästen, die da sind." Da hat Marco einiges in Petto: Den "Zigeuner der Liebe", "Liebe auf den ersten Blick" und das Versprechen: "Du wirst brennen heute Nacht." (Marco) "Am meisten wird natürlich gewünscht das schöne Lied mit der Traumfrau. Dann heißt es auch ich hab Dich in Bad Sassendorf gesehen." (Beate) "Ich heiße Beate." Beate ist einer von Marcos treusten Fans. Ihr Nachname tut nichts zur Sache. (Beate) "Das muss nich sein." Beate ist nämlich nicht alleine da. (Karl Heinz) "Ich heiß Karl-Heinz." Karl-Heinz ist Beates Tanz-Partner - und, wie sich im Laufe des Abends herausstellt, nicht ihr Angetrauter. (Beate und Karl-Heinz) (Karl-Heinz) "Ich werde diesen Monat 83." (Beate) "Ich hab auch ne 7 vorne." (lachen) So oft wie möglich kommen die beiden ins Parkhotel. Immer die gleiche Routine: Ankunft: Kurz vor halb sieben. Und gleich der bange Blick, ob ihr Stammplatz auch frei ist: Das Tischchen rechts außen, direkt am Rand der Tanzfläche. (Beate) "Sonntags, donnerstags, freitags kommen wir hier hin. Wir tanzen eigentlich alles. Irgendein Hobby brauch' man im Alter, ja?! (Lachen) (Karl-Heinz) "Ich sitz auf jeden Fall nicht alleine zu Hause. Das war bei mir auch ausschlaggebend. Meine Frau - die war gestorben. Und war zwei Jahre da in dem Haus, was ich da hatte. Alleine. Und da auf einmal überkam mich das so. Ich denke: Lebst du überhaupt noch? Und dann bin ich nach Sassendorf gefahren." (Karl Heinz) "Wann war das? Erster Juli?! Da bin ich hier reingekommen. Und da war Damenwahl!" (beide lachen) Hat er nicht lange gefackelt. Und "zugeschlagen". Hätte er sich auf auch nicht träumen lassen. Der ehemalige Werkzeugmacher. Dass er auf seine alten Tage eine neue Frau kennen lernt und noch einmal ganz von vorne anfängt. (Karl-Heinz) "Weil ich seit erstem Oktober vom vorigen Jahr von Lüdenscheid nach Sassendorf gezogen bin." Ist ja auch verlockend - das Angebot: Rutschfeste Pflastersteine in der Fußgängerzone; Dutzende Apotheken, Kliniken und Arztpraxen, die auf die Bedürfnisse der Alten eingestellt sind; und niemand, der einen schief anschaut, wenn man im Rollator vorbeifährt. Alters-Diskriminierung, meint denn auch Christa Nowacks Mitstreiter vom Seniorenbüro, Helmut Josch, kopfschüttelnd, gibt es in Bad Sassendorf nicht. Ganz in schwarz gekleidet ist er: Hose, Pullover, die Schuhe. Alles Ton in Ton. Seit sieben Jahren ist der ehemalige Berufsfeuerwehrmann in Ruhestand, aber das mit dem "Ruhe-stand" solle man bloß nicht wörtlich nehmen. Meint der gertenschlanke 67jährige lachend, den es nur schwer auf seinem Stuhl hält. (Josch) "Ich komme eigentlich aus Frankfurt. Und bin hierhergezogen. Bin von der Großstadt in die Provinz. Meine Frau war auch hier zur Kur. Und da hat se: Ach ja! Der schöne Kurgarten! Es gibt dann eins zum anderen. Eigentlich wär ich nach Bayern gegangen, meine Heimat is eigentlich da unten. Aber: Das hat dann irgendwie so ne Soße gegeben, da haben wa gesagt: OK, das passt!" Alles eitel Sonnenschein, wenn da nicht die Sache mit seiner Wohnung wäre. Die würde Helmut Josch nämlich gerne verkaufen. (Josch) "Viel zu groß. Ich hab ne Wohnung von 115 Quadratmetern. Das is für zwei Personen einfach zu groß. Man verläuft sich da drin. Wenn da jetzt noch Kinder wären, wär das OK. Wir überlegen uns: Eine kleine Wohnung. Geht aber nicht, weil ich hier keine kleine Wohnung find. Ich such schon eigentlich die ganze Zeit lang. Nur: Das alles, was ich da gefunden hab, ging über 700, auf 800 Euro zu." Das ist Helmut Josch zu teuer. Kann er sich bei seiner Rente nicht leisten. (Josch) "Und eine neue Wohnung: Unter 200.000 Euro bekomm ich se nich. In der Größe." Während die Immobilienpreise in den Nachbardörfern wegen mangelnder Nachfrage sinken: steigen sie in Bad Sassendorf. Hier bietet die lokale Volksbank im Schaufenster ihrer Filiale, einem 60er Jahre Kasten direkt in der Fußgängerzone, wahlweise ein "klassisches Zweifamilienhaus in Kurparknähe" an, "185 Quadratmeter, Kaufpreis: 218.000 Euro." Oder: Ein "hochwertiges Reihenhaus in guter Wohnlage, 167 Quadratmeter, 258.000 Euro". Mieten ist auch nicht günstiger: "Unter acht Euro kalt", konstatiert Christa Nowack, "bekommt man hier nichts." Schmeckt ihr nicht - die ganze Entwicklung. Dass der Anblick von Baukränen fast schon zum Dauerzustand geworden ist. Einer davon ragt quer über die halbe Oststraße. Genauer gesagt: Den "Wohnpark Oststraße", wie ein Riesen-Schild am Rande der Baustelle Kund tut. 60 bis 120 Quadratmeter-Eigentumswohnungen entstehen hier. Die meisten sind schon fertig. Zitronengelb, ocker, rostbraun: Zumindest die Farbe der Drei-Geschosser variiert. Ansonsten ist alles standardisiert: Dieselben Plastikfenster, dieselben Mini-Balkone, dieselben winzigen Gärten. (Nowack) "Die können sich also praktisch in die Kaffeetasse rein gucken. Und jetzt entstehen da wirklich große, hohe Häuser. Natürlich seniorengerecht, das muss man sagen. Mit Aufzug, mit ausgezeichneten Baderäumen. Also all das ist perfekt gemacht. Aber man muss davon ausgehen, dass der Begriff "Betreutes Wohnen" nicht geschützt ist. Und von daher gesehen haben wir im Ort auch Klagen, die sagen: Lieber Investor! Du hast das nicht eingehalten, was du uns eigentlich versprochen hast." Klagt die resolute Rentnerin - nur um hinzufügen, dem Bürgermeister sei das durchaus auch schon zu Ohren gekommen. Ist es auch, nur: Antonius Bahlmann verspürt diesen Morgen keine rechte Lust, sich den Schuh anzuziehen. Den "Immobilien-Schuh". Großbauten, kontert der joviale Stadtvater, der seit 1999 in Amt und Würden ist und stramm auf die 65 zugeht - Großbauten hätte die Stadt einen Riegel vorgeschoben. Neubauten nicht höher als drei Etagen. Betont Bahlmann und gießt sich erst einmal Filterkaffee aus seiner verchromten Thermoskanne ein. Kleine Schönheitsfehler. Die so gar nicht passen wollen zur Erfolgsgeschichte, die Bad Sassendorfs Stadtoberhaupt viel lieber zum Besten gibt: Weniger als vier Prozent Arbeitslosigkeit, über 500.000 Übernachtungen im Jahr. Und dass bei ihnen die Altersfalle noch nicht zugeschnappt hat. So wie in vielen anderen Gemeinden, wo die Alten immer mehr und älter werden. Und die Jungen keine Kinder mehr bekommen; und der Ort langsam, aber sicher, ausstirbt. In Bad Sassendorf haben sie schon vor Jahrzehnten die Zeichen der Zeit erkannt - und alles peu à peu seniorengerecht gemacht. Damit die Alten, die hier mal in Kur waren, gleich herziehen. (Bahlmann) "Das is natürlich ne Herausforderung, die Bevölkerungszahl auch gerade für so einen Kurort und Heilbad zu halten. So dass wir für Bad Sassendorf im Augenblick so um die 80 bis 90 Geburten verzeichnen pro Jahr. Haben aber durch die Altersstruktur dann Sterbefälle zwischen 180 und 200. Heißt für uns: Wenn wir die Bevölkerung auf dem gleichen Niveau halten wollen, dass wir pro Jahr nen positiven Wanderungssaldo zwischen Zu- und Wegzügen von über hundert Personen haben." Bislang haben sie das in Bad Sassendorf immer hinbekommen. Fragt sich nur: Wie lange noch? Nur auf den Zuzug der Alten zu setzen, das geht auf lange Sicht nicht gut. Findet der Bürgermeister. Ergibt auf Dauer keine stabile Sozialstruktur. Weil: Die "Fluktuation", wie der ehemalige Leiter einer Landwirtschaftsschule das euphemistisch bezeichnet, die Fluktuation sei bei den Alten zu groß. Sprich: Sie sterben ihm auf lange Sicht weg. Deshalb setzt die Gemeinde jetzt auf die Jungen. Die zuziehen sollen. (Bahlmann) "Wir subventionieren mit 20.000 bis 30.000 Euro über die Preisgestaltung Bauland für junge Familien. Haben also dort Richtlinien im Gemeinderat entwickelt, dass also auch gezielt diese Familien angesiedelt werden. Und unsere Bevölkerungsstatistik zeigt, dass wir gerade bei den Kindern relativ stabil bleiben." Davon bekommt man im Ort wenig mit. Allenfalls zur späten Mittagszeit trotten kleine Grüppchen von Schülern durch den Kurort, auf ihrem Nachhauseweg von der Hauptschule. Ansonsten: Alte Leute. Und so muss man sich schon gezielt auf die Suche machen - nach den Kindern der Stadt. (Frau) "Jetzt schauen wir mal, wo die Tigergruppe ist! (Klopfen) Erst vor ein paar Monaten ist der neue Kindergarten am Rande der Stadt fertig geworden. Ein licht durchfluteter Flachbau, viel Holz, viel bunte Farbe. "Ist ganz schön geworden". Rebecca Splittkar nickt anerkennend. Die 32jährige ist heute Nachmittag mit ihrer Tochter vorbeigekommen. Ein halbes Jahr alt ist Jasmin. In aller Seelenruhe schläft sie im Kinderwagen vor sich hin, der in der Ecke des "Tigergruppen-Raums" abgestellt ist. Die Frau im grauem Fleeze-Oberteil und der weiten Hose schaut kurz rüber: Alles OK. Möglichst bald soll Jasmin im Kindergarten einen Platz bekommen, damit Rebecca Splittkar wieder anfangen kann zu arbeiten. Als Köchin in einem der Altersheime hier. Ist alles schon in die Wege geleitet. Heute ist sie aus einem anderen Grund da. Der Grund sitzt direkt neben ihr im Halbkreis und hört auf den etwas gewöhnungsbedürftigen Titel "Leih-Omi". (Splittkar) "Ich bin wegen einer Oma hier. Weil die Eltern von meinem Mann sind schon verstorben. Und meine wohnen recht weit weg. Und ich möchte halt, dass meine Tochter ne Person hat, die älter ist, wo se auch hingehen kann, wenn ich nicht da bin. Und wenn se mir was nich erzählen will. Weil: Ältere Menschen sind ja meistens schon ruhig. Teilweise mit sich selbst abgeklärter. Das überträgt sich irgendwie auch auf die Kinder." (Bürger) "Jetzt: Meine Kinder, wo die außer Hause sind und selber ihr Leben leben. Und ich alleine bin. Deswegen hab ich jetzt Zeit. Und finde es gut, die Zeit mit kleinen Kindern zu verbringen." Seit gut einem Jahr ist Regina Bürger, die pensionierte Einzelhandelskauffrau mit der Kurzhaarfrisur, jetzt schon "Leihomi". (Bürger) "Da hab ich mich vorgestellt. Hab so nen Kurs belegt, drei Mal drei Stunden. Und seit diesem April hab ich eben ne Kleine, die ich privat betreue. Regelmäßig ein Mal die Woche abends. Und zwei Mal nachmittags so spontan vom Kindergarten abholen. Wie's gerade so kommt." Die verschiedenen Generationen zusammen zu bringen, so wie beim Kennenlern- Basar" der Leihomis im Kindergarten - das ist ganz nach dem Geschmack von Christa Nowack, der Frau vom Seniorenbüro. Davon profitieren beide Seiten. Letztes Jahr ist ihr Mann verstorben. Alzheimer hatte er, keine leichte Zeit, meint die ansonsten so fröhliche 81jährige ernst. Die letzten Jahre hat sie ihn alleine gepflegt. Ihre drei erwachsenen Kinder leben woanders. (Nowack) "Wenn ich also meiner ältesten Tochter sage, die anderthalb Stunden mit dem Auto entfernt wohnt: Ich brauche deine Hilfe. Die ist berufstätig, dann wird die ein bisschen erstaunt gucken und sagen: Ja, Mama, hol dir einen Handwerker oder irgendjemand, den du brauchst. Das heißt, also die gegenseitige Hilfe, wird immer notwendiger werden. Und da haben sich natürlich schon Pflegedienste hier angesiedelt, die natürlich bereit sind zu helfen. Ich habe hier den verschiedenen Leuten von den Seniorenkliniken gesagt: Irgendwann tauche ich auf!" Noch aber ist es nicht so weit; will Christa Nowack so lange wie möglich ohne fremde Hilfe über die Runden kommen. Denn auch wenn der Kurort kein richtiggehendes "Rentner-Paradies" ist, sinniert die Frau, die laut eigenem Bekunden viel rum gekommen ist in ihrem Leben, aber: Im Vergleich zu den meisten anderen Städten sei ihr Bad Sassendorf schon ein gutes Pflaster. (Nowack) "Dass einer auf den anderen achtet. Dass man also schaut, rundherum schaut: Sind alle noch fit? Ist der Fensterladen noch hoch? Das Zweite ist die Nahversorgung der Bevölkerung. Wir haben also inzwischen auch schon Geschäfte, die nicht nur bringen, wenn ich anrufe. Wir haben mehrere Lebensmittelwagen. Die rumfahren." (Bahlmann) "Das ist das, was Bad Sassendorf im Gesamtflair irgendwo ausmacht." (Nowack) "Ja! Ich würde sagen: Das is es." MUSIK (Marco live) "Lass uns ab heute den Weg gemeinsam gehen." E N D E Seite 2 von 11 2