COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 7. Juli 2008, 19.30 Uhr "Ich bin ein Kronjuwel der Integration!" - Politiker mit Migrationshintergrund Von Rosemarie Bölts Spr. vom Dienst "Ich bin ein Kronjuwel der Integration!" - Politiker mit Migrationshintergrund Von Rosemarie Bölts Take 1 (Vorstellung der GesprächspartnerInnen in ihrer jeweiligen Zweitsprache: Omid Nouripour, Nesrin Yilmaz, Bülent Arslan, Apostolos Tsalastras, Bülent Ciftlik, Ramona Pop, Raed Saleh, Jasenka Villbrandt, Giyasettin Sayan, endet wieder mit Omid Nouripour) Autorin Sie sind hier, wo sie hingehören, die Migranten, "Mit"bürger mit Migrationshintergrund oder wie sie sonst noch genannt werden. In Kommunal- und Landesparlamenten, im Bundestag und im Europaparlament repräsentieren auch sie die deutsche Gesell- schaft. Sichtbar für alle, Vorbild für andere, ein Magnet im Wahlkampf: Take 2 Cem Özdemir. Cem Özdemir ist auch hier in der Runde ein bekanntes Gesicht. Viele kennen ihn noch, als er Bundestagsabgeordneter war. Er war ja der erste Bundes- tagsabgeordnete aus der Türkei, oder? Und aus Schwabenland, genau! (Rest O-Ton unter Text ziehen) Autorin Eine riesige Bierhalle mit Glaskuppeldach und dem - auch akustischen - Charme eines Regionalbahnhofs, in deren Nebenraum der Europaabgeordnete Cem Özdemir von Bündnis 90/Die Grünen mit souveräner Rhetorik seinen Parteikollegen im Münchner Kommunalwahlkampf hilft. Vor ihm sitzen hauptsächlich Migranten. Es geht, wie könnte es anders sein, um Integration, Islam und eine alternative Politik zur Igitt-Haltung der so genannten Ursprungsdeutschen: Take 3 (Cem Özdemir) Es ist nicht so schwer. Wenn man über diese Themen spricht, dann muss man den Leuten sagen, wir sind auf eurer Seite. Wir sind eure Freunde. Ihr gehört dazu, Ihr seid Teil von München, Teil von Bayern, Teil Deutschlands, Teil dieser Gesellschaft, und es geht um unsere gemeinsame Zukunft. Autorin Cem Özdemir war 1994 der erste Abgeordnete mit türkischen Eltern im Deutschen Bundestag. Der "Ausländer" oder "der Türke", wie nimmermüde Deutschtümler den damals 29-jährigen Bad Uracher Sozialpädagogen schimpften, avancierte zum viel- gefragten Talkshow-Gast und Medienstar. Es reichte, dass der Name ein Zungen- brecher ist und der Mann irgendwie "anders" aussieht. Vorurteil Nr. 1: Gerät er, der im Bundestag, beziehungsweise seit 2004 im Europäischen Parlament sitzt, nicht in Loyalitätskonflikte zwischen seinem Heimatland und dem seiner Eltern? Take 4 (Cem Özdemir) Ich sehe das eher als Bereicherung an. Das macht es mir sogar leichter bei Konflik- ten, mit denen ich persönlich gar nichts zu tun habe. Stichwort Kaschmir-Frage, die wir im Europaparlament diskutiert haben. Denn ich bin von Geburt an damit aufge- wachsen, dass es immer mehr als eine Wahrheit gab. Meine Mutter kommt aus der Großstadt, mein Vater kommt aus dem Dorf, mein Vater gehört der ethnischen Grup- pe der Tscherkessen an, meine Mutter ist eine stolze Tochter der Republik. Ich bin im Schwabenland aufgewachsen, bei schwäbischen Neu-Pietisten. Das hilft einem, sich auf andere zuzubewegen. Autorin Es gibt mehr Politiker wie Cem Özdemir, aber es gibt nicht viele und schon gar nicht überall. Deshalb machen wir eine Rundreise durch Deutschland und schauen uns - überhaupt nicht repräsentativ und doch gezielt - um. Nächste Station also: Berlin. 192 Nationalitäten leben in der 3,4-Millionen-Metropole. Jeder vierte hat ausländi- sche Wurzeln. Ins Abgeordnetenhaus, das Landesparlament, wurden in dieser Legislaturperiode elf Politiker mit Migrationshintergrund gewählt, elf von 149, je vier bei der SPD und den Grünen, zwei bei der Linken und eine Nachrückerin bei der CDU. Take 5 (Giyasettin Sayan) Nicht das Gefühl, was ich habe, ist wichtig, sondern das, was sie haben. Die müssen sich an die eigene Nase fassen und sagen: Wieso ist der Sayan immer noch Auslän- der? Ist ja kein Ausländer! Ist unser Volksvertreter! Ist für uns im Abgeordnetenhaus, der hat unsere Stimmen bekommen. Warum ist der Ausländer? Ist kein Ausländer, das ist falsch. Autorin Giyasettin Sayan kam mit 24 Jahren aus der kurdischen Osttürkei nach Deutschland. Hier hat er studiert, eine Familie gegründet und bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) ge- arbeitet. Seit 1995 sitzt der heute 58-Jährige für die PDS, nunmehr: Die Linke, im Berliner Abgeordnetenhaus und ist Flüchtlingspolitischer Sprecher seiner Partei. In seinem kleinen Büro unter dem Dach des ehemaligen Preußischen Landtags in Ber- lin-Mitte macht er hauptsächlich das, was er bei der AWO-Beratungsstelle auch schon gemacht hat: Sozialarbeit für Migranten. Als leidenschaftlich engagierter Kurde - Sayans Vater und sein Onkel waren in Kurdistan Stammesführer, und sein Bruder ist dort Bürgermeister - liegen ihm auch in seiner Berliner Heimat vor allem Minder- heiten am Herzen, was sich manchmal als konfliktreiche Klammer mit weitreichenden Konsequenzen darstellt: Take 6 (Giyasettin Sayan) Die Delegation der Menschenrechtskommission des Nationalen Parlaments der Tür- kei war hier in Berlin und wollte gerne Politiker türkischer Herkunft treffen, und dabei haben sie alle eingeladen außer Kurdischstämmige. Und daraufhin habe ich einen Brief geschrieben an Parlamentspräsident Momper und habe mich darüber be- schwert. Er hat eine meiner Meinung nach nicht passende Antwort gegeben, indem er erklärt hat, die Veranstaltung sei nicht von ihm organisiert worden, sondern extern, das heißt Türkische Botschaft und so weiter, und deshalb mischt er sich nicht ein. Autorin Das Verhältnis zwischen kurdisch- und türkischstämmigen Deutschen ist genauso getrübt wie das zwischen Kurden und Türken. Die gebürtige Kroatin Jasenka Villbrandt war Migrationsbeauftragte ihrer Partei Bündnis 90/Die Grünen. Aber nun, nicht zuletzt wohl wegen solcher, wie sie es im Politikerdeutsch umschreibt, "Animo- sitäten" hat sie, salopp gesagt, die Nase voll davon. Jetzt bringt sie als sozialpoliti- sche Autorin ihrer Fraktion lieber ihre langjährige Berufserfahrung als Sozialarbeiterin ein: Take 7 (Jasenka Villbrandt) Ich hatte ne Zeit, wo ich noch im Petitionsausschuss war, ab und zu mal Menschen oder Bürger dabei, die aus dem ehemaligen Jugoslawien kamen und nur einfach mal Hilfe gesucht haben. Aber das waren durchaus Menschen auch aus der Türkei ge- nauso wie aus Libanon. Ich glaube, dass da schon einige an mich rangegangen sind mit der Erwartung, so, du kennst dich da aus, hilf uns. Autorin Belustigt erinnert sich die heute 57-jährige Jasenka Villbrandt an die 70er Jahre, als sie - die Proletarierin aus dem sozialistischen Ausland - vor den Fabriktoren von K-Gruppen umworben wurde. Gelandet ist sie schließlich bei der unorthodoxen Alternativen Liste, später Die Grünen, die ihr mehr lag als die straff geführten Macho- Riegen der Kommunisten. Wobei sie andererseits auch ihre liebe Not mit der Kuschel-Haltung der Grünen hatte: Take 8 (Jasenka Villbrandt) Ja, das war schon manchmal schwierig, wenn ich gesagt habe, dass Menschen, die hierher kommen und leben wollen, auch deutsch lernen müssen. Und es gab inner- halb meiner Partei immer Leute, die gesagt haben, auf keinen Fall Zwang, auf keinen Fall Druck. Einige sagten dann auch, das ist die Meinung der CDU. Ich hab mich da nicht beirren lassen. Ich bin tatsächlich der Meinung, die Gesellschaft muss alles leis- ten, aber die Menschen müssen selber auch ran. MUSIK "Stark ohne Gewalt" Take 9 (Raed Saleh) Ich habe ein Projekt in Spandau ins Leben gerufen vor über einem Jahr, das Projekt "Stark ohne Gewalt". Das ist ein Projekt, da gehen Polizisten mit Jugendlichen Strei- fe. Wir haben die Migranten aktiv in die Arbeit vor Ort der Polizei eingebunden. Da gab es natürlich von Vertretern der CDU einige Sprüche, die ein Stück weit das Prob- lem der CDU widergespiegelt haben. Und wenn dann ein CDU-Mensch sagt, ich ha- be damals Streife gelaufen, da hast du noch in Ankara gewohnt, scheint er mich nicht zu kennen und auch das System nicht zu kennen, und von daher belächelt man solche Äußerungen mittlerweile." Autorin Raed Saleh wurde nämlich vor dreißig Jahren im Westjordanland geboren. Ein typi- sches Gastarbeiterkind, acht Geschwister, das Elternhaus sozialdemokratisch ge- prägt, weil "die SPD immer für uns Ausländer da war" und er die Chance bekam, die höhere Schule zu besuchen und ein Studium zu absolvieren. Mit 18 trat er in die Par- tei ein, jetzt ist er Kreisvorsitzender in Berlin-Spandau. Der quirlige Jungunternehmer ist "Ehrenkommissar" der Berliner Polizei wegen seines Projekts "Stark ohne Ge- walt", über das sogar der Fernsehsender Al Jazeera berichtet hat. Immerhin haben die Straftaten Jugendlicher innerhalb eines Jahres um zwei Drittel abgenommen. Soviel erfolgreiches Engagement will belohnt sein. Mit einem - für Migranten höchst ungewöhnlichen - Direktmandat ist er vor zwei Jahren für die SPD ins Abgeordnetenhaus eingezogen. Raed Saleh ist der einzige arabischstämmige Abgeordnete in Berlin: Take 10 (Raed Saleh) Dennoch macht man Politik für alle Menschen in der Stadt. Natürlich hat man auch gewisse Verpflichtungen, die Gruppe zu unterstützen. Aber ich unterstütze sie halt mit den Themen. Ich mache zum Beispiel auch gern das Gespräch mit russisch- stämmigen Gruppen, das heißt, Russlanddeutsche, Russen, jüdische Russen und viele mehr. Die haben auch ein riesengroßes Integrations-Defizit. O-Ton 11 (Ramona Pop) Wir sind nach Münster gekommen. Es gab dort kaum Ausländer. Es war nicht be- sonders einfach, weil ich einfach anders war. Autorin Sie formuliert schnell, zeigt Temperament und hat mit ihren 30 Jahren schon oft be- wiesen, dass sie sich nicht unterkriegen lässt. Nun ja, ihr Name - Ramona - war nicht so üblich. Aber der eigentliche Kulturschock sah - trotz deutschen Passes, trotz deutscher, akzentfreier Sprachkompetenz, trotz akademischen Elternhauses, trotz mitteleuropäischen Aussehens - so aus: Take 12 (Ramona Pop) Und ich weiß noch, der ganz große Lacher war auf dem ersten Schulfest, da waren wir gerade ein halbes Jahr in Deutschland, wurde ich von Mama ausstaffiert, wie ru- mänische Kinder auf Schulfesten ausstaffiert wurden. Das war in Deutschland aber seit zwanzig Jahren nicht mehr ganz so in, dass ich mit dem Kleidchen und den Lackschühchen antanzte mit knapp elf. Und da war ich der Oberbrüller auf diesem Schulfest. Und das war 'ne ganz schlimme Erfahrung.(Lachen). Autorin Ramona Pop kam mit ihrer Mutter aus der rumänischen in die westfälische Provinz: Familienzusammenführung. Die neue Heimatlosigkeit kompensierte sie mit Bestno- ten und politischen Aktivitäten. Gründete die "Grüne "Kaktus-Gruppe" und war ver- schrien als Emanze. Das Rumänische schob sie erst mal ganz weit weg. Es gebe ja auch keine rumänische Community wie etwa bei den Türken, weil sich die meisten Aussiedler trotz der Unterschiede als Deutsche begreifen würden, erklärt die Berliner Landesabgeordnete: Take 13 (Ramona Pop) Migranten, Migrantinnen waren nie so richtig mein Thema. Vielleicht ging mir das zu nah oder war mir zu nah. Damit wollte ich mich nicht so beschäftigen. Es gibt auch türkische Kollegen, die sagen, du bist ja auch keine richtige Migrantin, obwohl die selber in Kreuzberg aufgewachsen sind und ich ganz anderswo, nicht in Deutsch- land. Autorin Vom Landesparlament in den Deutschen Bundestag. Von dessen 612 Abgeordneten haben genau elf einen "Migrationshintergrund", und von diesen elf sind fünf in Deutschland geboren. Vier sind bei den Grünen, je drei bei SPD und der Linken, eine bei der CDU. Dieser Milliprozentsatz kann also allenfalls ein schüchterner Anfang einer repräsentativen Normalität sein. Der 38jährige Niedersachse Sebastian Edathy zum Beispiel. Eine typische Politiker- karriere. Mit 21 Eintritt in die SPD, mit 23 Vorsitzender der Jusos in seinem Land- kreis, mit 28 mit Direktmandat in den Deutschen Bundestag, mit 35 Vorsitzender des größten und mächtigsten Bundestagsausschusses, des Innenausschusses: Take 14 (Sebastian Edathy) Ich weiß nicht, wie ein Norddeutscher aussieht. Ich kann nur feststellen, ich hab bei der letzten Wahl mit 51,6 Prozent der Erststimmen 4,6 Prozent mehr als meine Partei an Zustimmung bekommen. Es war im ersten Wahlkampf so, dass man versucht hat, die Herkunft meines Vaters zum Thema zu machen, das ist dann aber von der Öf- fentlichkeit sehr stark zurückgewiesen worden. Aus Teilen der Lokalpresse heraus wurde mir unterstellt, ich würde mich von der Herkunft meines Vaters distanzieren, was absoluter Schwachsinn war und ist. Autorin Der smarte Abgeordnete schätzt, dass der Ausländeranteil in seinem konservativ- bäuerlichen Wahlkreis Nienburg-Schaumburg unter sieben Prozent liegt. Offensicht- lich stören sich die vielen Urdeutschen, die ihn demnach nun schon zum dritten Mal direkt in den Bundestag gewählt haben, nicht daran, dass Sebastian Edathys Vater aus Indien stammte und der Sohn ihm ähnlich sieht. Take 15 (Sebastian Edathy) Umgekehrt sehe ich es nicht als meine Aufgabe an, mich in die Inder-Schublade hin- einzusetzen, und es sind alle zufrieden, haben einen Alibi-Inder im Parlament, das wäre ja Quatsch. Ich bin ja auch politisch weiter aufgestellt und als Vorsitzender im Innenausschuss ja auch für alles mit zuständig, was Fragen der Innenpolitik in Deutschland anbelangt. Autorin Auch eine Folge von Integration, die Politik kühl, mit dem Kopf zu betreiben und scharf zu trennen zwischen Privatleben und politischem Handeln. Wie wäre das auch sonst auszuhalten? Take 16 (Sebastian Edathy) Ich bekomme relativ häufig rassistische Schreiben. Jede zweite Woche erstatte ich Strafanzeige wegen Beleidigung. Das bringt aber der Bekanntheitsgrad auf Bundes- ebene mit sich, und wenn man sich dann klar äußert zum Beispiel in Sachen NPD- Verbot, dann gibt es halt entsprechende Rückmeldungen. In einem Land mit 80 Milli- onen Einwohnern gibt es eben auch einige Tausend Idioten. "Schwarze Sau" ist nicht unbedingt etwas, was selten vorkommt. Autorin Nein, solch drastische Erfahrungen hat Bülent Ciftlik in Hamburg nicht. Im Gegenteil. In der Lokalpresse wurde der 35-Jährige im Februar dieses Jahres als "Barack Oba- ma von Altona" gefeiert. 8 000 Türklinken hat er, neben seinem Beruf als Sprecher der SPD, vor der Wahl ins Hamburger Parlament "geputzt". Diese "Nähe-zum- Menschen-Strategie" hat ihn von einem hinteren Listenplatz fulminant auf Platz 1 ka- tapultiert: Take 17 (Bülent Ciftlik) Zwei- bis zweieinhalbtausend deutsche Staatsbürger mit türkischem Hintergrund le- ben in meinem Wahlkreis von insgesamt 20 000 in ganz Hamburg. Ich habe aber 16.000 Stimmen bekommen. Von daher bin ich schon der Überzeugung, dass meine Strategie aufgegangen ist, mich als Politiker darzustellen, der einen anderen kulturel- len Hintergrund hat, Brücken schlagen möchte, aber für alle da ist. Autorin Auch für den in Hamburg geborenen Sohn anatolischer Gastarbeiter - Vater Werft- arbeiter, Mutter Putzfrau, beide mehr oder weniger Analphabeten - ist Bildung der Schlüssel zur Integration. Der Eintritt in die SPD war für den volksnahen Politologen sozusagen zwangsläufig. Bei Jugendlichen und deren Eltern gilt er als Vorbild: Einer von uns, der es geschafft hat - und immer für uns da ist. In Hamburg sind von den 1,7 Millionen Einwohnern knapp 250 000 Ausländer. Wie hoch der Prozentsatz der Eingebürgerten, also der Bürger mit Migrationshintergrund ist, wurde bislang nicht erfasst. Dabei macht es wohl einen Unterschied zwischen Politikern und Politikerinnen mit und ohne Migrationshintergrund, meint auch Bülent Ciftlik: Take 18 (Bülent Ciftlik) Es geht um den leichteren Zugang. Es geht auch um die Akzeptanz. Und akzeptiert wird man schneller dadurch, wenn einem unterstellt wird, die Dinge zu kennen, die unterschiedlichen Gefühlslagen, die Ausrichtung, die Probleme, die Sprache, die Kul- tur vor allem. Und ich glaube, dass ein klassisch deutscher Politiker nicht minder res- pektiert wird, aber vielleicht entsteht viel schneller das Gefühl, er oder sie mag ja sehr bemüht sein, aber kann nicht wirklich wissen, wie ich mich fühle hier in diesem Land. ATMO Oberhausen Autorin Der 1.Mai, traditioneller "Tag der Arbeit", erscheint in Oberhausen als Multikulti-Fest. Türkisch-, italienisch-, portugiesisch-, spanisch-, russisch-, polnisch- und sonstwas- Stämmige sind auf dem Platz vor dem Rathaus versammelt. Apostolos Tsalastras hat vielfachen Grund, hier zu sein. Er ist Gewerkschafter, Initia- tor und Sprecher des Arbeitskreises Migration und Integration der SPD Nordrhein- Westfalens. Seit fünf Jahren ist der studierte Volkswirt im Rat der Stadt Oberhausen Dezernent für Sport, Gesundheit und Kultur. Natürlich spricht der gebürtige Hildener - unter anderem - die Sprache seiner griechischen Eltern und portugiesisch, die Hei- matsprache seiner Frau: Take 19 (Apostolos Tsalastras) Das hört man ja gar nicht! Du sprichst aber gut deutsch! Wo kommst du denn her? Also, das sind so Sachen, wo ich denke, mein Gott, da hat jetzt jemand überhaupt nichts verstanden. Autorin 24 Jahre schon macht Apostolos Tsalastras Kommunal- und Landespolitik. Er ist das, was man einen Netzwerker nennt, und damit sehr erfolgreich. Aber auch in der SPD, so der 44-Jährige, gilt Migration nicht als "Gewinner"-Thema, mit dem man Par- tei-Karriere macht. Im Klartext bedeutet das: hintere, aussichtslose Listenplätze und abgestempelt sein als Alibimann oder -frau. Dann lieber in die Verwaltung, die Politik in den Alltag umzusetzen hat und dementsprechend fördern oder verhindern kann. Take 20 (Apostolos Tsalastras) Hier als Dezernent, glaube ich, hat es ne Menge bewegt, sowohl in der Migrantenbe- völkerung, die auch ein ganz anderes Vertrauen zu jemandem hat, der nen ähnlichen Migrationshintergrund hat, die sich dann auch beteiligen an Projekten, die wir ma- chen. Ich bemerke im Kulturbereich, dass sich ne Menge an Öffnung, an Gedanken entwickelt. Sie müssen natürlich auch die Menschen haben, die wir dann auch ein- stellen. Ich hab zum Beispiel versucht, eine türkischsprachige Logopädin zu bekom- men für den Gesundheitsbereich. Das ist mir nicht gelungen. Autorin Apostolos Tsalastras gibt nicht auf, seiner Partei beizubringen, dass Integration ein überfälliges Querschnittthema ist und dass nicht nur in der SPD, sondern in der Ge- sellschaft insgesamt die richtigen Schwerpunkte gesetzt werden müssen: Take 21 (Apostolos Tsalastras) Ich sag mal, wir ideologisieren sehr oft. Also, ob man eine Moschee baut oder nicht, ist eigentlich für jemanden, der dem Grundgesetz verpflichtet ist und wo Religions- freiheit vorgesehen ist, der müsste sich eigentlich freuen, dass die Menschen aus den Hinterhöfen, aus den Verstecken herauskommen und sich offen mit ihrer Kirche präsentieren und diese auch noch öffnen, damit Menschen auch anderer Religion Zugang bekommen und man sich besser kennenlernt. Also eigentlich ein Integrati- onsschritt, und den sollte man nicht verhindern. Autorin Der Politologe Andreas Wüst vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialfor- schung gehört zu den wenigen Wissenschaftlern in Deutschland, die über die politi- sche Integration von Migranten forschen. Kurz vor dem Abschluss steht eine Studie über Abgeordnete mit Migrationshintergrund im europäischen Vergleich. Es dürfte kaum überraschen, dass die politische Beteiligung und Vertretung von Migranten überall unterdurchschnittlich ausfallen. Auftraggeber für diese Studie sind übrigens nicht die Parteien, sondern neben der Europäischen Kommission die Volkswagenstif- tung. Die Parteien zeigen kein Interesse, meint Andreas Wüst: O-Ton 22 (Andreas Wüst) Warum macht man das nicht? Das sind natürlich gewisse Ängste der Parteien, dass hier klare Wahlmuster offenbart werden. Sie erinnern sich an die Schlagzeile von 2005, wo in der BILD-Zeitung stand, als Gerhard Schröder die Hürriyet besucht hat: Hier kämpft Kanzler Schröder um 600 000 Stimmen. Und die Minderheiten- Repräsentation ist natürlich ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite ist es natürlich gut, dass Parteien überhaupt einen ihrer Schwerpunkte darauf setzen auf Gruppen, die benachteiligt sind. Auf der anderen Seite bedeutet das natürlich auch eine Vorlage für die anderen Parteien: hier wird möglicherweise nicht die Mehrheits- meinung vertreten von dieser Partei, sondern Minderheiteninteressen. Und bei den konservativen Parteien will man sich nicht eingestehen, dass man in diesen Gruppen so furchtbar schlecht dasteht. Autorin Und wie kommt dann jemand mit türkisch-muslimischen Wurzeln in die Christlich- Demokratische Union? O-Ton 23 (Bülent Arslan) Ich sehe mich eher als einen konservativ liberalen Menschen. Und deshalb war es eigentlich völlig normal und klar, dass ich in die CDU gehe. Es waren nicht einzelne Themenfelder, es war nicht die Türkei-Politik oder Integrationspolitik, sondern es war die grundsätzliche Ausrichtung der Partei. Die CDU ist ja nicht eine Partei von und für Christen, sondern sie ist eine Partei, die sich auf christliche Werte stützt. Und das sind alles Werte, die ich genauso auch in einem aufgeklärten Islam wiederfinden kann. Autorin Das Büro des Mittelstands-Unternehmers Bülent Arslan liegt mitten in Leverkusen, und wie um das Gespräch zu illustrieren - es ist Mittag - läuten unentwegt die Glo- cken eines sehr hohen und sehr nahen Kirchturms. Bis das Fenster geschlossen wird. Vor zehn Jahren hat der in Mittelanatolien geborene Bülent Arslan sich nicht nur, wie er sagt, "für Deutschland" entschieden und die deutsche Staatsbürgerschaft erwor- ben, sondern auch die Leitung des "Deutsch-Türkischen Forums" übernommen. Da war er 22: O-Ton 24 (Bülent Arslan) Die Idee ist vor zehn Jahren von jungen deutschstämmigen und türkischstämmigen CDU-Mitgliedern ins Leben gerufen worden. Da war also weder die damalige Füh- rung der Partei an der Ideenfindung beteiligt noch jetzt irgendwelche größeren, türki- schen Gruppen. Natürlich ist eine Motivation, auch mehr türkischstämmige Wähler, mehr türkischstämmige Mitglieder zu gewinnen, völlig klar. Aber mindestens genauso ist es eine Motivation, auch inhaltlich Integrationspolitik mit der Zielgruppe gemein- sam zu machen. Autorin Mehr als 600, überwiegend der Mittelschicht angehörende Mitglieder in fünf Landes- verbänden zählt das Deutsch-Türkische Forum, das "Integrationspolitische Organ der CDU", wie dessen Vorsitzender Bülent Arslan unterstreicht. Ihm, der so emsig für seine Partei die Trommel schlägt, wird das politische Leben trotzdem schwer ge- macht. Zweimal, 2002 und 2006, hat er versucht, für den Bundestag zu kandidieren, auf Platz 45. Als einziger Migrant und als einziger von insgesamt 60 Kandidaten oh- ne Wahlkreis, also: chancenlos: Take 25 (Bülent Arslan) Da gibt es schon einige, die schon aus rein strategischen Gründen sagen, mit die- sem Mann oder dieser Frau haben wir Schwierigkeiten in einem Teil der deutsch- stämmigen Wählerschaft. Autorin Nein, frustriert sei er nicht, sagt Bülent Arslan, der unter anderem Mitglied der Grundsatzkommission der CDU und des Integrationsausschusses ist und Teilnehmer der Islamkonferenz von Bundesinnenminister Schäuble war: O-Ton 26 (Bülent Arslan) Uns muss einfach klar sein, dass wir in Zukunft bundesweit, in den meisten Bundes- ländern und in allen Großstädten keine Wahl mehr gewinnen, ohne diese Menschen für uns zu gewinnen. Autorin Nächster Ortswechsel, nach Ingolstadt. Hier, im kleinen, liberalen Eck des immer noch großen CSU-Flächenlandes, war Nesrin Yilmaz Stadträtin. 500 Stimmen haben ihr jetzt bei den Kommunalwahlen für eine dritte Amtsperiode gefehlt: O-Ton 27 (Nesrin Yilmaz) Es war nie mein Ziel, in die Politik reinzugehen. Man hat mich damals von Seiten der Grünen gebeten, auf ihre Liste zu gehen. Wobei ich, ja, Grün - Grün ist jeder junge Mensch. Man denkt alternativ, und ich hab auch nichts gegen die Grünen, aber ich bin so grundsätzlich als Unternehmerin natürlich eher konservativ, auch von der Er- ziehung her. War aber nie Parteimitglied, und dann bin ich sechs oder acht Wochen bei den Grünen gewesen und hab mich da nicht besonders wohl gefühlt - ja, und dann war die CSU ganz schnell da. Autorin Ausgerechnet Nesrin Yilmaz. Sie widerspricht allen bürgerlichen Klischees der baye- rischen Mehrheitspartei. Mit drei Jahren kam sie mit ihren Eltern, Gastarbeiter, von der türkischen Schwarzmeerküste in die nordbayerische Provinzstadt. Insgesamt neun Geschwister, keine Deutschkenntnisse. Abgebrochene Schulausbildung, Schlosserlehre, unverheiratet, ein Kind. Im Stadtrat hat sie sich acht Jahre für Integ- ration und den Erhalt der Altstadt engagiert. Nesrin Yilmaz nimmt dabei kein Blatt vor den Mund, weder gegenüber den türkischstämmigen Bürgern noch gegenüber ihren Parteikollegen: O-Ton 28 (Nesrin Yilmaz) Also, dieser Deutsch-Test regt mich schon auf. Viel zu schwierig. Und vor allem ha- ben wir das mal den Kollegen aus der Partei gestellt, diese Fragen. Da können Sie mir glauben, dass fünfzig Prozent das nicht beantworten konnten. Wirklich nicht. Ja, wann die Bundeswehr gegründet ist. Auch nicht einmal diese Fragen. Autorin Seit Jahren betreibt die nunmehr 43-jährige Jeansträgerin mit den blondierten, lan- gen Haaren ein Szenelokal mitten in der Altstadt, wo zur Mittagszeit auch gern der Oberbürgermeister seine italienischen Nudeln isst. Die CSU-Oberen, dazu gehören in Ingolstadt neben einem Bundesminister, einem Landesminister, einem Staats- sekretär, der Generalsekretärin der Partei und eben der Oberbürgermeister, haben sich immer wie eine, so Nesrin Yilmaz, "Schutzhaube" um sie gestellt: O-Ton 29 (Nesrin Yilmaz) Warum gerade CSU, wo ja nicht gerade unbedingt Ausländerfreundlichkeit herrscht? Ich würde mich überall leicht tun, bei den Linken, bei den Grünen, SPD, nur kann man diese Parteien, wie CSU und CDU, nicht verändern, wenn man nicht mitmischt. Mitmischen heißt nicht, dass ich meine Gedanken ganz hart anbringen möchte, son- dern ihnen vor Ort einfach erkläre, pass mal auf, der hat jetzt so reagiert aus dem und dem Grund, und dann sieht man, o.k., dann begreifen sie's. Und dann ist es doch besser, wenn ich in der CSU drin sitze, wie wenn ich mir das Leben leicht ma- che und gehe zu den Grünen oder der SPD, wo man ja voller Verständnis ist. MUSIK "Stark ohne Gewalt" Autorin "Mein Job, meine Sprache, mein Land - wie Integration gelingt" steht auf dem roten Einband des Buches von Omid Nouripour. Selbstbewusst und direkt im Auftreten, locker im Ton kommt der heute 32-Jährige besonders gut bei Jugendlichen an. Er selber ist mit dreizehn Jahren mit Eltern und Schwester von Teheran nach Frankfurt am Main gezogen, wegen der Zukunft für die Kinder. Eine Woche nach dem Abitur ist er der Partei der Grünen beigetreten. Seit 2006 sitzt er als Nachrücker von Joschka Fischer als Abgeordneter im Bundestag: O-Ton 30 (Omid Nouripour) Cem Özdemir war derjenige, den ich gesehen habe im Fernsehen, bei dem mir klar wurde: huch, man kann ja auch Politik machen, wenn man nicht urdeutsch ist. Richtig eingestiegen bin ich mit der Doppelpasskampagne von Koch, als er damit wirklich geschafft hat, dass Frankfurt, eine Stadt, die ich bis heute schwer als Heimat empfin- de, dann auf einmal nicht mehr Heimat war. Weil einfach die Konflikte dann alle offen lagen zwischen den so genannten Ausländern und den so genannten Nichtauslän- dern. Und das war für mich ausschlaggebend, dass man kämpfen muss um die eige- ne Heimat. Autorin Politiker und Politikerinnen mit Migrationshintergrund haben trotz gravierender par- teipolitischer Unterschiede viel gemeinsam. Sie bringen dank ihrer kulturellen Vielfalt und ihrer Mehrsprachigkeit zum einen "Farbe" und "Leidenschaft" in die Parlamente und zum anderen die Chance für die deutsche Gesellschaft, sich global zu öffnen und international zu werden. Sie sind Ausdruck lebendiger Demokratie. Besser geht's nicht: O-Ton 31 (Omid Nouripour) Ich bin ein Kronjuwel der Integration! Ich bin im Deutschen Bundestag. Ich bin mit einer urururdeutschen Frau zusammen. Ich hab Germanistik studiert. Ich hab ein Buch veröffentlicht, in deutscher Sprache geschrieben. Ich hab dem Bundesvorstand einer Partei angehört, die zu der Zeit dieses Land regiert hat. Also, mehr - mehr geht doch überhaupt gar nicht. Spr. vom Dienst "Ich bin ein Kronjuwel der Integration!" - Politiker mit Migrationshintergrund Von Rosemarie Bölts Es sprach: die Autorin Ton: Bernd Friebel Regie: Beatrix Ackers Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2008 1