Deutschlandradio Kultur Nachspiel 09.05.2013 (Wdh. 30.09.2012) Ein Spielzeug macht Karriere Von Kerstin Ruskowski 01 Atmo Rollen und Tricks (evtl. schon unter Ansage legen) Ein kleiner Skatepark in Köln. Der 15-jährige Yannick Rothermund gleitet über die aus Beton gegossenen Bodenwellen. Seit zehn Jahren schon steht Yannick regelmäßig auf dem Skateboard - im Sommer fast jeden Tag. Sein erstes schenkte ihm sein Onkel, der selbst ein begeisterter Skater ist. Heute gehen die beiden am liebsten zusammen rollen, aber Stephan Weinand muss mittlerweile manchmal kürzer treten. Denn mit 37 Jahren merkt er, dass Skaten ganz schön auf die Gelenke geht. 02 Stephan Weinand Ich merke, dass da gar nicht mehr viel geht. Das hat mich auch ziemlich ruiniert. So im Hinblick auf mein Knie und meinen Rücken. Das war nicht so vorteilhaft. Diese Probleme kennt Yannick noch nicht. Immer wieder springt er in die Luft und lässt das Board in die Höhe schießen. Dabei kann es sich in alle möglichen Richtungen drehen. Die Kunst ist, wieder mit beiden Füßen auf dem Brett aufzukommen. Wie bei jedem Skater war auch Yannicks erster Trick der Ollie. 03 Yannick erklärt Ollie Also, als erstes drückt man den Fuß nach unten und als nächstes zieht man den Fuß nach oben, so dass das halt in der Luft ist und dann drückst Du den mit dem vorderen Fuß nach unten, dass Du so wieder auf dem Boden landest. 04 Atmo Ollie Der Ollie ist elementar - er bildet die Basis für alle weiteren Tricks. Ganz einfach ist er aber nicht. Um ihn zu lernen, braucht man wenigstens ein paar Tage. Das bestätigen auch die fünf Jungs von der HipHop-Band Blumentopf. Sie haben sich Anfang der 90er-Jahre in Freising kennengelernt -teilweise auch übers Skaten. Damals war Skaten noch untrennbar mit Punkrock- Songs verbunden. Das wichtigste Lied für Cajus und Holunder damals: 05 Blumentopf Weakness von McRad. Extrem schöner Gitarren-Rocksong. Dededededede (singen) (kreuzblenden mit 06 McRad - Weakness) 07 Blumentopf Wir haben dann auch so n bisschen übers Skaten eigentlich angefangen HipHop zu hören. Plan B-Video war viel HipHop drin, das erste. - Ja, da hat dann dieses Crossover-mäßige Skateboard-HipHop hat dann so angefangen mit den Beastie Boys-Sachen mehr oder weniger für mich so. Wo es eben dann von dem punk-rockigen rüberging auch dazu, dass HipHop dabei ist. Und dann später in den ersten H-Street-Videos, da waren dann, glaub ich, auch schon HipHop-Songs drin. - Ja. Wenn man über Skaten in Deutschland spricht, kommt man an einem Namen nicht vorbei: Titus Dittmann. Der inzwischen 63-Jährige gilt als Vater der deutschen Skateboardszene - auch wenn er nicht nur Fans hat: Für viele ist der Name Titus Dittmann mit Kommerz verbunden. Denn er war es, der Anfang der 80er Jahre die "Titus GmbH" gründete - bis heute Europas größter Vertrieb für Skateboardmode. 08 Titus Ich versuch ja schon seit 30 Jahren mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass ich das Skateboard erfunden habe, dass ich das Skateboard nach Deutschland gebracht habe und dass ich Weltmeister im Skateboarden war. 09 Musik Danny and Juniors - At The Hop unterlegen Erfunden wurde das Skateboard in der Tat schon in den 50er- Jahren in den USA. Die wichtigsten Meilensteine in der Entwicklung hat der ehemalige Profi-Skater Holger von Krosigk in einem Kapitel seines Buches "Alles über Skateboarding" zusammengefasst. Demnach bastelten sich die Skater ihre Boards in den ersten Jahren noch selbst. Erst 1959 stand mit dem "Roller Derby Skateboard" das erste industriell gefertigte Skateboard in amerikanischen Kaufhausregalen: ein einfaches Stück Holz mit starren Achsen und Rollen aus Stahl. Das Material war in den ersten Jahren so schlecht, dass es nicht nur zu unzähligen Verletzungen, sondern sogar zu einigen Todesfällen kam. So warnte das "Life Magazine" 1965 vor den Gefahren von Skateboarding: Sprecher: "It's easier getting bloody than fancy." 10 Geräusch Hinfallen Kurz darauf verschwand der Sport in den USA plötzlich aus der Öffentlichkeit - nach nur zwei Jahren mit offiziellen Skateboardteams und -wettbewerben. Erst 1972 kam das Skateboard durch die Erfindung weicher Rollen aus Urethan zurück. Der Kunststoff brachte endlich Haftung zwischen Board und Asphalt. Es folgten weitere wesentliche Verbesserungen des Materials wie spezielle Achsen und Präzisionskugellager - und Skateboarding wurde zum Massenphänomen. 11 Fahrgeräusche (übereinanderlegen) Nach Deutschland schwappte die Begeisterung für die "Rollbretter" erst Ende der 70er-Jahre. Ein Lied, das Titus Dittmann damals geprägt hat und das er bis heute mit Skaten verbindet: "Our house" von der britischen Band Madness. 12 Madness - Our House (unterlegen) 13 Titus Dittmann In den 80er-Jahren, als das Dingen grade rauskam und ein Hit war und wir unsere Halfpipe aufgebaut haben, da kann ich mich dran erinnern, das haben wir am häufigsten gespielt. Also, wenn wir Bock hatten Skateboard zu fahren, dann hatte immer irgendeiner so n Ghettoblaster - oder damals waren das noch Kofferradios oder wie auch immer - dabei und dann spielte das Lied rauf und runter und deswegen ist das mir so im Kopf geblieben. Doch der Reihe nach: Die Geschichte beginnt 1977 im Herzen von Münster. Titus Dittmann ist 29 Jahre alt, studiert Sport und Erdkunde für das Lehramt und hält das Skateboard für ein Kinderspielzeug - bis er auf dem Aaseehügel zum ersten Mal einem echten Skater begegnet. 14 Titus Dittmann Da ging das bei mir Klick und da wusste ich genau: Woa! Mit dem Teil kann man ne Menge bewegen. Das hat einen solchen Aufforderungscharakter, allein das Gerät erzeugt so ne Motivation, da braucht man keinen anleiten, da braucht man keinen zwingen - jeder will auf das Ding, will damit fahren. Doch auch in Deutschland gibt es nicht nur Begeisterung für das Skateboard. Titus Dittmann erinnert sich noch genau an eine Meldung in der Tagesschau vom 9. Mai 1977: 15 Ausschnitt Tagesschau vom 09.05.1977 Die in der Bundesrepublik populär gewordenen Rollbretter, die Skateboards, sollen wegen der hohen Unfallgefahr eventuell verboten werden. Entsprechende Überlegungen werden im Bundesarbeitsministerium angestellt. Eine Statistik aus den USA ergebe, dass dort innerhalb eines Jahres über 50.000 Unfälle mit Rollbrettern registriert worden sind. Das Ministerium in Bonn hat die zuständigen Behörden der Länder aufgefordert, Angaben über leichte und schwere Unfälle von Kindern oder Erwachsenen zu machen. Zur gleichen Zeit ist Skateboarding in den USA so populär wie nie. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die so genannten Z- Boys aus Dogtown, einem ärmeren Viertel von Los Angeles in der Nähe des Venice Beach. Eigentlich sind sie Surfer, doch weil sie beim Wellenreiten so abhängig von Gezeiten und Wind sind, entdecken sie zu Beginn der 70er-Jahre das Skateboard, oder - wie es anfänglich heißt - das Sidewalk Surfboard für sich. Ihr Stil geht in die Geschichte ein: Denn die Z-Boys übertragen einfach die Bewegungen aus dem Wasser auf den Asphalt. Sie stehen tief in den Knien, balancieren mit den Armen und stützen sich mit einer Handfläche auf dem Boden ab, um Kurven zu fahren. Anfangs ist daher auch oft von "Asphaltsurfen" die Rede. 16 Jan and Dean - Sidewalk Surfing (unterlegen) Infiziert von der Begeisterung für das Skateboard gründet Titus Dittmann in Deutschland Ende der 70er kurzerhand eine Skateboard AG. Um seine Schüler mit vernünftigem Material zu versorgen, fängt er an, Boards, Rollen, Achsen und Klamotten aus den USA nach Deutschland zu importieren. Zusammen mit seiner Frau gründet er "Titus Rollsport", woraus später die "Titus GmbH" hervorgeht. 1984 hängt er den Lehrerjob endgültig an den Nagel und fertigt seine Boards und Rollen größtenteils selbst. Zur selben Zeit häufen sich auch seine Auftritte im Fernsehen: 1982 demonstriert er zum ersten Mal mit mehreren Leuten live im "Aktuellen Sportstudio", was eine Halfpipe ist. Sieben Jahre später ist er zu Gast bei "Bios Bahnhof" - und sein Bekanntheitsgrad merklich gestiegen. 17 Ausschnitt Bios Bahnhof - (00:50:53) Und das ist der Titus, nach dem heißt das alles. Man hat mir gesagt, Sie seien der Guru oder der Godfather der Rollerskater in Deutschland. - Na, man sagt viel. Aber Münster ist so n bisschen so ne heimliche Hauptstadt der Skater - kann man das sagen? - Ja, zumindest haben dort die ersten Impulse stattgefunden. Parallel fängt er an, die ersten Wettbewerbe auszurichten. So zum Beispiel 1982 auf dem Parkplatz einer Schwimmhalle. 18 Titus Dittmann Das war noch relativ klein, mehr Aktive als Zuschauer, aber schon beim ersten Mal kamen schon Skateboarder aus England rüber, weil die Skateboardszene lag am Boden, es hat sich keiner drum gekümmert. Wir waren weltweit die einzigen, die überhaupt da n bisschen Aktivitäten gezeigt haben. Und dadurch, dass das so ein Vakuum war und wir hier in Münster kontinuierlich Power gebracht haben, hat sich dann tatsächlich in den 80ern die komplette, ja, Weltszene auf Münster konzentriert. Die Disziplinen damals: Slalom, Skateboardweit- und -hochsprung oder Freestyle. Beim Freestyle werden Pirouetten gedreht oder Handstände auf dem Board gemacht. Binnen weniger Jahre avanciert der "Münster Monster Mastership" zur offiziellen Skateboard-Weltmeisterschaft. 19 Titus Ditmmann Am Anfang, ja Gott. Erst haben wir es nur Mastership genannt. Dieses Münster Monster ist auch von den Engländern geprägt worden, weil die konnten das Münster so schlecht aussprechen und haben immer geübt und irgendwann haben sie einen unserer Mitglieder Münster Monster genannt. Und irgendwann waren wir alle die Münster Monster und dann haben wir gedacht: Ist doch geil, dann machen wir Münster Monster Mastership und das Münster Monster Magazin und haben halt den Stabreim laufen lassen. Das "Münster Monster Mastership" ist schon seit einigen Jahren Geschichte - unter anderem aus finanziellen Gründen. Auch Jürgen Horrwarth bemerkt, dass sich die Finanzkrise allmählich auf die Szene auswirkt. Der 36-Jährige ist einer der wenigen hauptberuflichen Profi-Skateboarder in Deutschland. 20 Jürgen Horrwarth Als gesponsorter Skater lebst du halt von den Marken, die im Skateboarding ihr Geld machen, weil die Skateprodukte verkaufen und wenn es denen nicht gut geht, dann geht es dir auch nicht gut, weil die dich nicht bezahlen können - und dann hast du natürlich auch keinen Job. Dabei gibt es ohnehin nur sehr wenige, die ihren Lebensunterhalt wie Jürgen Horrwarth ausschließlich mit Skateboarden bestreiten können. Vor allem Skaterinnen können im Profibereich schon froh sein, wenn sie von Sponsoren mit Material und Kleidung versorgt werden. Wenn sie doch mal Geld kriegen, dann meistens deutlich weniger als die Jungs, sagt Yvonne Labedzki. 21 Yvonne Labedzki Die Mädels sind einfach weniger in den Magazinen. Und das ist ja das Interessante für die Marke. Die möchten ja auch, dass man präsentiert wird und dass dann viel auf Reisen gegangen wird, viele Videos gemacht werden und haste nicht gesehen und bei den Mädels, da kommt einfach nicht soviel bei raus und dann braucht man denen auch nicht so viel Gehalt geben. Zusammen mit ihrer Freundin Gienna Giese hat sie 2011 einen Skateboardwettbewerb nur für Frauen ins Leben gerufen: Suck My Trucks. Die Probleme, die die Organisation eines solchen reinen Frauenwettbewerbs mit sich bringt, sind für Yvonne Labedzki und Gienna Giese eine Herausforderung, die sie gerne annehmen. Denn die beiden wissen: Was das Skaten angeht, stehen die Mädels den Jungs in nichts nach. Das gibt auch Profi-Skater Jürgen Horrwarth zu, der den "Suck My Trucks"-Contest moderiert. 22 Jürgen Horrwarth Also es ist wirklich so, dass skatende Mädchen mit skatenden Jungs einfach auf einer Wellenlänge sind heute. Das war vor zehn Jahren noch nicht so. Bei den großen Wettbewerben gibt es mittlerweile manchmal einen Lauf nur für Frauen - eigene Wettbewerbe sind aber eher die Ausnahme. In Brasilien zum Beispiel fahren die Frauen sogar in der gleichen Wertung wie die Männer. Das erzählt Renata Paschini, eine 39-jährige Zahnärztin aus São Paulo. Sie hat damit kein Problem - für sie steht ohnehin der Spaß im Vordergrund. 23 Renata Paschini (+Voiceover) Skaten ist mein Leben. Ich kann mir mich ohne mein Skateboard überhauptnicht vorstellen. Es ist Teil meines Lebens, ein Teil von mir. Contests sind für mich nur eine Party: die Leute sehen, alle sehen. Ich mag die Stimmung auf Contests, die Nervosität, alles. Es ist eine große Party. Wenn ich gewinne, wäre das toll, aber wenn nicht, ist das auch egal. Ich will bloß mit meinen Freunden skaten. So sehen das die meisten Skater. Ums Gewinnen geht es den wenigsten. Skaten ist eher eine Lebenseinstellung als ein Sport. Es geht um Respekt und um Solidarität, erklärt Jürgen Horrwarth. 24 Jürgen Horrwarth Das ist eigentlich, wo das Ganze entsteht - in diesem Respektding. Und die Verbindung, die geht halt nicht weg. Also, Du hast eigentlich so ne Verbindung zu jedem Skateboarder auf dieser Erde. Also, ich kann jetzt irgendwo hingehen und selbst wenn das in nem anderen Land ist und ich geh da an nen Spot und ich bin neu. Wenn ich mich dementsprechend verhalte und ich krieg den Respekt von den Locals und ich lern die kennen, dann hab ich in der Regel nen Platz zum Schlafen. Seit inzwischen fünf Jahren wird darüber diskutiert, ob Skaten olympisch werden soll. Doch Olympia bedeutet Normen - und dagegen sperren sich die meisten Aktiven. Das Internationale Olympische Komitee würde Skateboarding gerne in die Liste der olympischen Sportarten aufnehmen - schließlich können so neue und vor allem jüngere Zielgruppen erschlossen werden. Doch dafür braucht es Strukturen, nationale Verbände beispielsweise und auch klare Bewertungsregeln. So etwas gibt es aber beim Skateboarding nicht - genauso wenig wie feste Trainingszeiten oder Skateboardvereine im Sinne von Fußball- oder Schwimmvereinen. Denn Skateboarding ist ein Sport, der sich ständig weiterentwickelt - weil er sich mit den Skatern und ihren Ideen verändert. Neue Tricks ergeben sich meist von alleine, durchs Ausprobieren. Das macht auch eine objektive Bewertung bei Wettbewerben schwierig, wie Anna Groß aus eigener Erfahrung als Wertungsrichterin oder neudeutsch Judge weiß. 25 Anna Groß Es ist keine Sportart, die nach festgelegten Regeln funktioniert - sowieso gibt es ja auch ganz viele Leute, die niemals sagen würden, es ist ein reiner Sport, sondern es ist ne Leidenschaft, es ist ne Kreativität, es ist irgendwie ein Ausleben der eigenen Persönlichkeit. Und das wird eben alles mit in diese Tricks reingelegt und insofern spielt das alles beim Judgen auch ne Rolle. Also, wenn wir uns das angucken, was fahren die Fahrerinnen, wie fahren die, was haben die für nen Stil? Erkennt man, dass sie da irgendwie sich selbst verwirklichen mit dem, was sie tun? Und das wird alles mit bewertet und das kann man nicht so gut nach Regeln aufschreiben wie das bei Olympia vielleicht nötig wäre. Diese Freiheit bringt für die Skater extrem vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten mit sich. Und genau das ist es, was für viele den Geist von Skateboarding ausmacht. Auch Titus Dittmann findet die Idee, aus Skateboarding eine olympische Wettkampfdisziplin zu machen, eigentlich Quatsch. 26 Titus Dittmann Skateboarding gehört nicht nach Olympia. Skateboarden ist halt Jugendkultur, ist halt Protest, ist auch n bisschen Anarchie, ist halt Kratzen an den Normen, ist sich Distanzieren vom Establishment und Olympia ist Establishment, Olympia ist Norm, Olympia ist eigentlich alles das, wogegen Skateboarden opponiert. Auf der anderen Seite sieht es so aus, dass der Wunsch vieler Funktionäre sehr groß ist, dass Skateboarden olympisch wird, weil man hofft, dass das wieder den ganzen olympischen Gedanken etwas verjüngt. Aber bevor jetzt die Funktionäre zusammen mit denen, die das kommerziell vermarkten wollen, die Entscheidungen treffen, ist es immerhin das kleinere Übel, wenn wir Skateboarder uns organisieren und das Zepter selbst in die Hand nehmen. Deswegen überlegt Titus Dittmann zusammen mit anderen, wie das gehen kann. Auch Jürgen Horrwarth beschäftigt sich mit dem Thema. Er ist deutscher Vertreter in der International Skateboard Federation, die ebenfalls in Gesprächen mit dem Internationalen Olympischen Komitee steckt. Doch genau das ist der Grund, warum es bisher nicht geklappt hat, Skateboarding als olympische Disziplin zu etablieren: Es gibt nicht den einen internationalen Skateboardverband, der die Verhandlungen mit dem Internationalen Olympischen Komitee führen könnte. Dabei gab es schon häufiger Versuche Skateboarder und Inline-Skater in einem Verband zusammenzufassen, sagt Jürgen Horrwarth. 27 Jürgen Horrwarth Skateboarder sind halt nicht Rollsportler, wo schon immer mal versucht wurde, das unter ein Dach zu bringen, unter Rollsport. Kannste aber nicht machen, weil Inlineskater haben mit Skatern gar nichts zu tun, die können einander auch nicht leiden in der Regel und wie willst du solche Leute unter einen Dachverband stecken? Das geht überhaupt gar nicht, das funktioniert nicht. Da kommt nicht eine Sache dabei raus und so ist es halt, seitdem ist die Diskussion halt da, was ist mit der Olympiade? Ja oder nein? Im Endeffekt ist es wirklich so, dass die Olympiade das Skaten braucht, aber das Skaten braucht die Olympiade eigentlich überhaupt nicht, will die eigentlich auch nicht. Es gibt aber bestimmte Tendenzen im Skaten und in der Skateindustrie, die das befürworten, weil das natürlich gewisse Vorteile hat auf der geschäftlichen Seite. Bei Titus Dittmann ist das Geschäftliche nach gut 30 Jahren in den Hintergrund getreten: Die Titus GmbH hat er inzwischen seinem Sohn überschrieben. Doch auch mit 63 Jahren kommt er nicht los vom Brett. Von vielen in der Skateboardszene wird er deswegen belächelt. Manche sind sogar richtiggehend genervt. Was vor allem mit seiner Allgegenwart zu tun hat. Doch für die angehenden Lehrer, die er jede Woche im Skater's Palace, einer Skatehalle auf dem Titus-Firmengelände, unterrichtet, ist Titus Dittmann ein Idol. Denn seit dem vergangenen Jahr hat der Skateboardpapst einen Lehrauftrag an der Uni Münster. Den Studenten will er vor allem den Spaß am Skaten vermitteln. Ein bisschen Ernst ist bei einem Uni-Seminar aber dann doch nötig und dazu gehört zum Beispiel die Anwesenheitskontrolle. 28 Seminar Anwesenheitskontrolle (als Atmo aufziehen, dann unterlegen) Auf den Bierbänken vor der Theke haben sich etwa 20 Studenten versammelt - darunter auch zwei Mädchen. Einige tragen Ellbogen- und Knieschützer, weil sie noch blutige Skateboard- Anfänger sind. Beim heutigen Seminar geht es zunächst einmal um die Theorie: In weniger als einer halben Stunde fasst Titus Dittmann die wesentlichen Eckpunkte der Skategeschichte zusammen. Zum besseren Verständnis reicht er Skateboards verschiedener Entwicklungsstufen herum. 29 Atmo hochziehen Doch worum es ihm vor allem geht, ist die Praxis. Heute sollen die Studenten den Hippie-Jump lernen. 30 Hippie-Jump Also, Hippie-Jump sagt man heute respektlos. Wir bauen so kleine Dinger auf, dann nehmt ihr euer Board, dann rollt ihr an und ganz, ganz wichtig ist, dass ihr einfach nur nen kleinen Impuls nach oben gebt, ganz locker. Ihr dürft auf keinen Fall, wie sonst beim Hochsprung oder Weitsprung versuchen: Oi, ich muss da hin und da vorne abspringen. Dann bleibt das Brett stehen und ihr landet da vorne, aber das Brett steht vor der Latte. 31 Atmo Skater's Palace Titus Dittmann zeigt auf das Hindernis vor ihm: eine Holzlatte auf zwei Sockeln, etwa 30 Zentimeter über dem Boden. Beim Hippie-Jump geht es darum, während der Fahrt beide Füße vom Skateboard zu lösen, und zwar gleichzeitig. Das Board soll dann unter dem Hindernis weiterfahren, während der Skater oben drüber springt und auf der anderen Seite wieder mit beiden Füßen auf seinem Board landet. Das gelingt auf Anhieb den wenigsten. Bei vielen flippt das Board vorne oder hinten hoch. Bei Vera sieht der Absprung noch etwas zaghaft aus. Sie ist eine von zwei weiblichen Teilnehmern und hat sich extra für das Skateboard-Seminar ein Brett und die passende Schutzkleidung gekauft. Nach Snowboarden und Surfen ist das Skaten ihr dritter Brettsport - und es läuft auch schon ganz gut. 32 Vera Also, ich hab's eben hinbekommen, die Ramp n bisschen hochzufahren und runter, da halt überhaupt n Gefühl für zu haben, wie man das Gewicht verlagern muss, um auf dem Board halt hochzuspringen und ich versuch mich grad an dem Ollie, aber das ist nicht so einfach. Beim Erlernen des Ollie soll der Hippie Jump eine Hilfe sein. In ein paar Wochen ist Prüfung. Dann müssen Vera und ihre Kommilitonen einen kleinen Parcours durch die Halle fahren und wenigstens einen Sprung beherrschen. Irgendwo muss das Skateboardfahren eben akademisiert werden, wenn es als Studienleistung anerkannt werden soll. Wobei Titus Dittmann wichtig ist, dass seine Studenten auch bei der Abschlussprüfung so viele Freiheiten wie möglich haben. 33 Titus Dittmann So ist das nämlich im Skateboardfahren - da gibt es ja keine Pflicht, sondern nur Kür und jeder macht das, was er besser drauf hat. Und wenn einer den einen Trick nicht kann, dann lässt er ihn einfach weg in der Kür und macht irgendwas anderes - fertig. So, und genauso könnt ihr auch da drüber. Das ist skateboardtypisch. Nicht so einengen - auch später, wenn ihr in der Schule seid, nicht sagen: Hey, jetzt müsst ihr das und das und das machen, sondern stellt ne Aufgabe, ne, wie: Ihr müsst von A nach B und nehmt die Füße nicht vom Board oder irgend so ne Scheiße. Ok! Das Seminar an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster ist europaweit das erste seiner Art. Mit der Ausbildung der Lehrer verfolgt Titus Dittmann ein ganz konkretes Ziel: Eine Kooperation der Uni Münster mit der Uni Herat in Afghanistan. Seit 2009 initiiert und unterstützt Titus Dittmann mit Skateaid Entwicklungshilfeprojekte auf der ganzen Welt. Den Anfang machte er zusammen mit Rupert Neudeck von der Nichtregierungsorganisation Grünhelme in Afghanistan: Gemeinsam haben sie auf dem Pausenhof einer Schule im Westen des Landes eine etwa 500 Quadratmeter große Skateboardanlage gebaut - für 15.000 Euro. 34 Titus Dittmann In Afghanistan, da versuchen wir tatsächlich so n bisschen die Spielzeug-Kalashnikov mit dem Skateboard auszutauschen, in der Hoffnung, wenn wir durch das Skateboard an das Wertesystem dieser Jugendlichen rankommen, dann braucht man wirklich nur noch eine Generation zu warten bis diese Jungs an der Macht sind, dann wird sich auch insgesamt die Gesellschaft ändern. Doch nicht nur für die afghanischen Jungs ist Skateboarding eine Chance. Besonders die Mädchen reißen den Skateaid- Mitarbeitern die Skateboards förmlich aus der Hand. 35 Titus Dittmann Die haben so gut wie keine Möglichkeiten Sport zu machen, weil Frauen dürfen natürlich keinen Männersport machen. Und das wiederum eröffnet dem Skateboard in Afghanistan extreme Möglichkeiten, weil das Skateboard ist historisch nicht belastet. Das heißt, der Mullah kommt gar nicht auf die Idee zu sagen: Öh, das ist doch n Männersport. Für den ist das eher n Spielzeug. 36 afghanische Rap-Musik unterlegen In Zukunft sollen die Afghanen die Skateboardanlage in Herat selbst betreuen. Eigentlich geht es Titus Dittmann nämlich gar nicht so sehr darum, dass deutsche Lehrer das Skateboard im Schulunterricht einsetzen. Ihm liegt daran, dass afghanische Lehrer das Skateboard als pädagogisches Unterrichtswerkzeug kennen und nutzen lernen. 37 Titus Dittmann Wir möchten ja, dass die selbstständig dort alles machen und das den Einheimischen selbst überlassen und dann muss man entsprechende Strukturen schaffen. Also hat er mit der Rektorin der Uni Münster einen Deal vereinbart: Titus Dittmann wird Lehrbeauftragter und kann sich dann selbst als offizieller Vertreter der Uni darum kümmern, die Kooperation mit den Afghanen einzufädeln. Diese Art der Entwicklungshilfe war allerdings nicht seine Idee. Ursprünglich unterstütze Titus Dittmann Skateistan, eine Skateschule, die der Australier Oliver Percovich in Herat betreibt. Dafür sammelte der 63-Jährige Skateboards und brachte sie nach Afghanistan. Bei seinem Besuch wurde er dann eingeladen, das Zuckerfest, das Ende des Fastenmonats Ramadan, zu feiern. Ähnlich wie in christlichen Ländern zu Weihnachten bekommen bei dieser Feier alle Kinder etwas geschenkt. Titus Dittmann stellte fest, dass so gut wie alle männlichen Kinder und Jugendlichen Plastikwaffen auspackten: Pistolen, Maschinengewehre oder Kalashnikovs. 38 Titus Dittmann Und da war Kinderkrieg in der ganzen Stadt und da haben alle Kinder mitgemacht und es gab sogar richtige, echte Schießstände, wo dann Kinder mit echten Gewehren auf Zielscheiben schießen konnten. Das ist einfach Normalität. Und das war für mich sehr schockierend. Und da hab ich gedacht: Wow, da kann ich richtig schön deutlich machen, was wir eigentlich erreichen wollen: Ein Jugendlicher kann diesen Übergang vom Kind zum Erwachsenen auch super mit nem Skateboard schaffen. Da kann er auch ne coole Sau werden und n harter Mann mit, kann man sich mit verletzen, blutet, man kann zeigen, dass man Mut hat, man kann zeigen, dass man n harter Typ ist - dafür braucht man nicht die Spielzeug-Kalashnikov, weil der Krieg wird nie aufhören, wenn man eine ganze Generation von Kindern mental nichts anderes machen lässt als Krieg zu spielen. Mittlerweile umfasst die Arbeit von Skateaid Entwicklungshilfeprojekte in Südafrika, Tansania, Kenia, Uganda und Costa Rica. Und auch in Deutschland gibt es verschiedene Projekte: In einer Palliativklinik in Datteln beispielsweise trainieren Jugendliche mit dem Skateboard ihren Gleichgewichtssinn, während andere, durch Misshandlungen traumatisierte Jugendliche damit ihre Aggressionen abbauen können. 39 Titus Dittmann Wenn da sich Aggressionen aufgestaut haben, gibt es eigentlich nichts Geileres, als denen ein Skateboard in die Hand packen, weil die fallen so oft auf die Schnauze, das tut so weh, das tut die Aggressionen so runterfahren. Jemand, der ne Stunde Skateboard gefahren ist, der haut keinem mehr in die Schnauze, weil der hat sich ausgetobt und dem tut schon alles weh. Die Idee ist überall die gleiche: Das Skateboard soll den Jugendlichen helfen, ihre Persönlichkeit zu bilden. Und: Skateboarden ist das ideale Mittel, sich von den Erwachsenen abzugrenzen. 40 Titus Dittmann Dieses harte Für-das-Skateboarden-Stehen und das nicht zu akzeptieren, was nicht Skateboarden ist, das führt dazu, dass in der Skateboardszene plötzlich traditionelle Dinge, die differenzieren, die unterscheiden, keine Rolle mehr spielen: Hautfarbe - scheißegal, Glaube - scheißegal, Herkunft - scheißegal, Kohle - scheißegal. Alles, was normalerweise zu Kriegen führt, zu Hass führt und ja, unangenehm das gesellschaftliche Zusammenleben behindert, das spielt innerhalb der Skateboarder plötzlich überhaupt keine Rolle mehr. Und dann nehm ich gerne die kleine Intoleranz in Kauf, dass Skateboarder sagen: Du bist kein Skateboarder, du kannst mich mal am Arsch lecken. Aber Titus Dittmann geht noch weiter: Seiner Meinung nach trainiert Skaten auch wichtige Eigenschaften wie Ehrgeiz, Durchhaltevermögen und Disziplin. Eigenschaften also, die besonders auch für das Erwachsenwerden wichtig sind. Doch lassen sich diese Eigenschaften wirklich so einfach vom Skateboard in andere Lebensbereiche übertragen? Stephan Weinand steht am Rande des Kölner Skateparks und überlegt. Er ist skeptisch, ob er beispielsweise den Abschluss seines Geografiestudiums dem Skateboarden zu verdanken hat. 41 Stephan Weinand Nee, ich glaub, da ist die Sozialisation durch andere Dinge eher beeinflusst. Also, mein Vater, der hat halt auch ein starkes Durchhaltevermögen. Der beißt sich immer durch - ob es die Arbeit war oder zuhause Handwerken oder Fahrradtouren oder so. Also, da hab ich das eher von ihm - ich würd das jetzt nicht aufs Skaten beziehen. Trotzdem hat Skaten in seinem Leben eine wichtige Rolle gespielt. 42 Stephan Weinand Skaten hat eigentlich alles verändert. Ja, mein ganzes Leben eigentlich, meine Einstellung zum Leben, der Lifestyle, ne, das ist natürlich total wichtig gewesen, so in der Zeit, wo ich gesucht hab für mich, was zu finden, so meinen eigenen Stil. Und da war Skaten enorm wichtig. Dadurch bin ich zum Punk gekommen im Endeffekt durch Skaten. Und das hat mich total geprägt definitiv. 43 Operation Ivy - Knowledge Verwendete Musik: * McRad - Weakness Track B2 auf dem Album "Absence Of Sanity" Label: Beware Records (2) - DX1205 Format: Vinyl, LP, Album Country: US Released: 1987 Genre: Rock Style: Hardcore, Punk * Danny and Juniors - At The Hop Autoren/Kompo.: Singer, Arthur (1919-), Medora, Johnny, White, Dave Labelcode: 03843 Bestellnummer: NR-01-9214694007 EAN: 4006408138556 * Madness - Our House (1982) Autoren/Kompo.: Smyth, Carl (1959-), Foreman, Chris (1958- ) Labelcode: 00116 Bestellnummer: NR-01-9124477207 EAN: 0743216072125 * Jan and Dean - Sidewalk Surfing 6012610 Sidewalk surfin' Autoren/Kompo.: Wilson, Brian Christian, Roger Labelcode 06213 Bestellnummer(n) 780029-2 * Ausschnitt Bios Bahnhof aus dem Film "Brett vorm Kopp" von Ali Eckert und Monica Nancy Wick * Warrior (Davud) & Elijah (Sabur) - Afghanistan Producer: Peter One * Davud - Zindabad Afghanistan * Operation Ivy - Knowledge Track 1 auf Album "Operation Ivy" Label: Lookout! Records - Lookout 10CD Format: CD, Compilation, Remastered Country: US Released: 1991 Genre: Rock Style: Ska, Punk