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Man sieht ja immer wieder, was aus den Feldern rauskommt an Steinen. Also wie schwer die Böden sind, also wie schwer sie auch zu bearbeiten sind. Also steinreich bedeutet ja jetzt nicht unbedingt, Geld zu haben. (B, 3.62) Musik hoch O-Ton 3 Reinhard Kögler Man hat den Eindruck, dass die harte Arbeit am Stein die Leute sicherlich auch beeinflusst hat. Dem Fichtelgebirgler wird eine gewisse Sturheit und Wortkargheit nachgesagt. Und ich denke, dass das auch mit der schweren Arbeit im Steinbruch zu tun hatte. (IV, A, 3.10) Musik hoch O-Ton 4 Roland Blumenthaler Also ich habe ein besonderes Herz für den Granit - weil er aus der Gegend stammt, weil ich diese helle Farbe einfach gerne mag und weil sich hier in der Gegend so viel um den Granit rankt. (I, B, 5.10) Musik hoch SpvD Hufeisen aus Granit. Im Steinreich des bayerischen Fichtelgebirges. Eine Deutschlandrundfahrt mit Stefanie Müller-Frank Atmo 1 Grillen zirpen und Bienen summen Autorin Fichtelgebirge. Deutsches Mittelgebirge zwischen Franken, Bayern und Böhmen. Während andernorts die Felder bereits abgeernet sind, wiegt sich hier noch das Getreide im Wind: Weizen, Roggen, Sommergerste und ab und an ein Feld mit reifen Maiskolben. Im rauen Klima des Fichtelgebirges, auf 650 Metern Höhe, setzt die Vegetation ganze drei Wochen später ein. Atmo 2 Pappeln rauschen Autorin Die Luft ist klar, in der letzten Nacht hat es geregnet. Jetzt jagen dramatische Wolkenformationen über den Himmel. Am Horizont ringsum zeichnen sich die Konturen der sanft bewaldeten Bergrücken ab - wie Walfische ragen die rundgeschliffenen Granithügel aus dem grünen Wäldermeer. Über 50 Prozent Wald bestimmen hier die Landschaft. Ein typisches deutsches Mittelgebirge. Und auch wieder nicht: Denn auf dem höchsten Gipfel des Fichtelgebirges, dem Schneeberg, sticht auf 1053 Metern ein weißer, massiver Betonturm ins Auge. Die ehemalige Radarstation für den Horchposten gen Osten erinnert daran, dass wir uns im Grenzland befinden. Atmo 3 Motor aus und Autotür zuschlagen O-Ton 5 Roland Blumenthaler Unser Tor steht nach Tschechien weit offen. Das finde ich ein Riesenplus für die Gegend. Ich habe den Eisernen Vorhang noch erlebt, und für mich ist es ein Gottesgeschenk, dass man da rüber kann ohne große Probleme. Traditionell war ja die Gegend hier immer stark nach Böhmen orientiert - wiewohl es ja zum Teil, muss man sagen, zu dem Markgrafen von Ansbach-Bayreuth gehört hat. Also die Wurzeln oder die Verbindungen ins Böhmische waren immer sehr groß. (II, A, 6.15) Autorin Roland Blumenthaler klettert aus seinem Wagen, blickt über die Felder und nickt beeindruckt. Nicht, dass er die Landschaft hier, die wogenden Felder und diesen aufgewühlten Himmel, noch nie gesehen hätte. Als Förster betreut er rund 1.500 Waldbesitzer auf 5.000 Hektar Fläche rund um Marktredwitz, ist also jeden Tag hier, im Herzen des Fichtelgebirges, unterwegs. Aber der freie Blick bis nach Böhmen bannt ihn jedes Mal aufs Neue. Allein an den Bäumen, sagt er, lässt sich erkennen, wo die Grenze verläuft. O-Ton 6 Roland Blumenthaler Der Wald hier sieht aus wie in Böhmen. Also meist Fichte und Kiefer, mit a bisserl was drin. Aber wenn man den direkten Grenzstreifen erreicht, dann sieht man das schon, weil das früher Brachland war, das also intensiv freigehalten wurde und heute meistens mit Pionierbaumarten bestanden ist - also Birken, Weiden, Kiefern. Man sieht's besonders schön auf dem Luftbild oder wenn man oben drüber fliegt: Man sieht dieses Band, das sich eben die ganze Grenze entlang zieht. (B, 2.34) Musik: Pachelbel, Kanon Autorin Die Berghänge des Fichtelgebirges sind heute vor allem mit dunklem Nadelwald überzogen. Was dem Klischeebild vom romantischen deutschen Wald entsprechen mag, aber nichts mit dem ursprünglichen Bewuchs zu tun hat. Einst standen hier nämlich Mischwälder, die im Mittelalter für den Bergbau abgeholzt wurden. Aufgeforstet wurde dann meist mit der robusten und schnell wachsenden Fichte. Heute versucht man dagegen, der Landschaft den einstigen Charakter wiederzugeben und pflanzt Rotbuche, Bergahorn, Esche oder Tanne rund ums Fichtelgebirge an, das auch das granitene Hufeisen genannt wird. O-Ton 7 Roland Blumenthaler Weil das Fichtelgebirge nach Osten offen ist und die Berge sich nach Westen, Süden und Norden außen rumranken und in der Mitte so eine Hochfläche auf ungefähr 650 Metern Höhe besteht. Und das trägt auch zur Rauheit des Klimas bei. Weil die warmen Winde aus Westen werden meist abgehalten, und im Winter, wenn der berühmte böhmische Wind weht, der aus Sibirien kommt, dann kann es sehr kalt werden. Ich kann mich an meine Schulzeit erinnern, dass in der Frühe, noch in den 70er Jahren, der Schulbus eingesulzt ist, weil es zu kalt war. Dann mussten wir bei minus 25 Grad zu Fuß zur Schule laufen. (II, A, 6.00) Autorin Schroff und abweisend muss die Region einst gewirkt haben. Das Klima rau, die Landwirtschaft wenig ertragreich. Das Gestein aber barg Schätze, die es zu heben lohnte: Eisenerz, Zinn - sogar Gold. So wurde der Bergbau im späten Mittelalter zum wichtigsten Erwerbszweig im Fichtelgebirge. Atmo 4 ins Auto einsteigen und Motor an Autorin Bereits im 19. Jahrhundert hat man die Gruben jedoch wieder geschlossen, Hammerwerke und Schmelzöfen wurden aufgegeben, weil sich der Bergbau nicht mehr rentierte. Naturstein dagegen wird noch immer abgebaut - vor allem Granit. Wenn sich die aktiven Steinbrüche heute auch an einer Hand abzählen lassen. O-Ton 8 Roland Blumenthaler Granit war ein Mittel zum Leben, man hat den Stein einfach gebraucht, um hier zu überleben. Um zusätzliches Einkommen in den kleinen, unrentablen Landwirtschaften zu haben. Deswegen sind die Männer als Steinhauer eigentlich in den Wald gegangen oder in den Steinbruch. Und das war ein wesentlicher Beschäftigungszweig. (II, A, 4.40) Atmo 5 Auto parken und in den Wald Autorin Der 44-Jährige parkt sein Auto mitten auf dem Forstweg und zeigt auf einen mit Moos überbewachsenen Granitfindling, der sich am Wegrand in die Böschung schmiegt. Heute ist der Granit streng geschützt, früher dagegen hat man das, was man abschlagen und wegtragen konnte, einfach mitgenommen. Natürlich nach Rücksprache mit den Besitzern. Aber die, erzählt der Förster, hatten ja ein großes Interesse daran, dass auf ihren Flurstücken nicht so viele Blöcke herumlagen, um den Wald besser bewirtschaften zu können. O-Ton 9 Roland Blumenthaler Die Steinmetze, die hier waren in der Gegend, haben diese Blöcke natürlich überall im Wald aufgesucht und man sieht hier an den Blöcken, wo sie die Keile angesetzt haben, um diese Blöcke zu spalten. Also wir haben hier jetzt nur noch Restblöcke, kann man sagen. Die Besten und die Schönsten hat man klein gemacht und zu Pflastersteinen, Fensterbänken, Türschwellen usw. verarbeitet. (II, A, 1.30) Atmo 6 Bächlein rauscht Autorin Vor einer Reihe Pappeln liegt noch ein walfischgroßer, rund geschliffener Granitfindling im Waldboden. O-Ton 10 Roland Blumenthaler Wir haben hier an der Kösseine auch einen blauen Granit, also durch besondere Mineralzusammensetzung ist der blau. Also das ist ganz verschieden. (Das heißt, man könnte, wenn man nicht wüsste, wo man wäre, könnte man einfach den Stein aufschlagen und dann wüsste man, wo man ist?) Ja, soweit könnte man's treiben. Also ich könnte Ihnen bei vielen Granitsteinen sagen: Also der kommt vom Waldstein, der kommt von der Kösseine, das ist ein Falkenberger Granit oder ein Marktleuthener Granit. (II, A, 1.90) Atmo 7 Schritte über Granitweg Autorin Und selbst der Forstweg besteht aus Granit. Das war Blumenthalers Idee, man sieht es seinem Grinsen an. 23 Unterschriften musste der Förster zusammenbekommen, um die 46 Hektar Privatwald zwischen Kleinwendern und Bad Alexandersbad zu erschließen. Überzeugt hat die Waldbesitzer wohl die Beharrlichkeit Blumenthalers - und vielleicht auch, dass die Nettobaukosten zu 70 Prozent vom Freistaat Bayern übernommen wurden. Und ganz nebenbei hat der Bau des Forstwegs auch die heimische Wirtschaft unterstützt, denn der Schotter stammt aus einem der wenigen noch aktiven Steinbrüche in der Gegend. MUSIK 1 Pachelbel: Kanon Autorin "Der Granit lässt mich nicht los", schreibt Goethe in einem Brief an Charlotte von Stein. Insgesamt drei Mal reist der Dichter und Naturwissenschaftler ins Fichtelgebirge, um die Entstehung des grobkörnigen Gesteins zu erforschen. Schon auf seiner ersten Reise im Jahr 1795 besucht er dabei auch das Felsenlabyrinth der Luisenburg oberhalb von Wunsiedel, wo sich riesige, übereinander gestürzte Granitbrocken zu einem spektakulären Felsenmeer aufeinander türmen. Vielleicht hat diese Faszination Goethes für den Granit den Anstoß dafür gegeben, dass sich Ende des 18. Jahrhunderts ein Kreis von Wunsiedeler Bürgern dazu entschließt, das Felsenlabyrinth begehbar zu machen: Man sprengt Durchgänge in die Felsen, legt Sümpfe trocken, haut Treppen in den Stein und baut hölzerne Stiegen über die Felsen. Autorin So entsteht, ganz nach englischem Vorbild, ein scheinbar "natürlicher Landschaftsgarten" - in dem die Natur jedoch bis ins Detail durchkomponiert und so gestaltet ist, wie man sie sich als ursprüngliche, wilde Natur vorstellt. Eine Natur mehr für Romantiker und Spaziergänger als für Puristen und Bergsteiger. Entstanden fast zur selben Zeit wie das fürstliche Gartenreich Dessau-Wörlitz - hier allerdings ohne Anbindung an einen Hof: Ein erster bürgerlicher Landschaftspark also. Atmo 8 im Felsenlabyrinth Autorin Und der Anblick ist imposant: Kreuz und quer türmen sich die Granitbrocken am Waldhang auf- und übereinander. Mal scheinen sie in sich zusammengestürzt, mal lehnen sie sich nur sachte aneinander - so, als könnten sie jeden Augenblick weiter in die Tiefe rollen. Eine umgestürzte Fichte versperrt den Weg, während das Sonnenlicht schräg durch die Felsspalten fällt, dramatische Schatten wirft und das Moos auf den abgerundeten Granitfelsen geheimnisvoll leuchten lässt. Keine Felsformation gleicht der anderen. O-Ton 11 Dietmar Hermann Sie haben also völlig unterschiedliche Formen, bedingt durch die atmosphärische Granitverwitterung. Wenn man von der Verwitterung des Granits spricht, müsste man so ungefähr 300 Millionen Jahre zurückgehen, wie sich beim Zusammenstoß der Kontinentalplatten Erdräume gebildet haben, die dann mit flüssigem Magma von unten aufgefüllt worden sind. Im Laufe der Jahrmillionen ist die Deckschicht durch die Erosion abgesunken und die Felsen kamen so, wie wir sie jetzt hier sehen, zum Vorschein. Und diese Granitverwitterung ist ja ein Zustand, der ständig weitergeht. (VII, B, 2.91) Autorin Dietmar Hermann ist Heimatkundler, ehrenamtlich beim Fichtelgebirgsverein tätig und erklärt mir das, was schon Goethe vor 200 Jahren bei seinen Reisen herausgefunden hat - allein durch präzise Naturbeobachtung: Dass nämlich weder Vulkanausbrüche noch Sturmfluten die Steine gewaltsam aus der Erde geschleudert und aufeinander getürmt haben, sondern ein langsamer Verwitterungsprozess zur Entstehung des Felsenlabyrinths geführt hat. O-Ton 12 Dietmar Hermann Verwitterung bedeutet, dass die atmosphärischen Einflüsse wie Wasser, Kälte, Frost, Regen, Sturm einen Einfluss auf diesen Fels nehmen, ihn entweder spalten, dadurch auseinander dividieren, dadurch stürzt er um, verrollt sich, dann entstehen diese herrlichen Felsgebilde. Das sind also die atmosphärischen Einflüsse, die jetzt oberhalb der Erdoberfläche nach wie vor stattfinden und die nächsten Jahrmillionen stattfinden werden. (B, 4.74) Autorin Ich betrachte den Granitfelsen über meinem Kopf und versuche mir vorzustellen, wie Wind, Wasser und Eis ihn in Jahrmillionen zu dieser runden, abgeschliffenen Gestalt geformt haben. Aber mich lenken die riesigen Wurzeln einer Fichte ab, die sich bestimmt zwei Meter um den Granitbrocken geschlungen haben. Die Fichte steht tatsächlich oben auf dem Fels und holt sich dennoch ihre Nahrung aus dem Boden. Ich bin beeindruckt. Atmo 9 durch Grotte Autorin Wir steigen eine Treppe hinauf, um in die erste Grotte zu gelangen. Der Fels fühlt sich feucht an und riecht leicht modrig. Dann wird es eng. Atmo 10 eng in Grotte Atmo 11 Vater mit seinen beiden Söhnen klettern durch die Grotte Autorin Vor mir quetscht sich gerade ein Vater mit seinem kleinen Sohn auf dem Arm durch den engen Felsspalt, Schweiß läuft ihm über die Stirn. Der ältere Sohn ist schon durch geschlüpft - man kann ihn nicht mehr sehen, nur noch hören. Aber der Vater wirkt gelassen. O-Ton 13 Günther Steinhauser Meine Jungs sind beide Kletterhasen und die machen solche Touren gerne, sind gerne in der Natur und dementsprechend versuchen wir, so viele solche Dinge zu unternehmen wie möglich. (Für Sie aber ganz schön anstrengend, oder?) Ja, natürlich. Man muss halt öfters den Kleinen mal auf den Arm nehmen. Aber mir ist das zu gefährlich jetzt für ihn, dass er mal einen Tritt neben raus macht. Und das gehört ja auch richtig dazu, (Und der Größere kann sich ja auch schon richtig festhalten und die Stufen selbst nehmen?) Ja, der hat das eigentlich gut im Griff. (Melden die sich selbst oder schätzen Sie das lieber ein?) Also zutrauen würden sie sich alles! (lacht) Dann muss ich schon eher eingreifen. Dann sag ich schon: Komm mal her ich nehme dich auf den Arm oder gib' mir deine Hand. (B, 6.55) Autorin Über den Pfeilen, die den Weg markieren, sehe ich immer wieder auch Hinweisschilder mit der Notfallnummer der Bergwacht. Gerade im Sommer, wenn ganze Schulklassen durchs Felsenlabyrinth jagen, geht auch mal ein Kind verloren, erzählt Gerhard Hanske, Mitglied der Bergwacht Wunsiedel: Atmo 12 Schüler jagen durch Grotte O-Ton 14 Gerhard Hanske Das ist durchaus schon häufig vorgekommen. Das stellt in der Regel aber kein großes Problem dar, weil bisher haben sich alle Kinder wiedergefunden. Wer mit den Nerven dann am Ende ist, das sind die Verantwortlichen wie Lehrer oder Erzieher oder sonstige Begleitpersonen. Kritisch wird es dann im Winterhalbjahr, wenn Schnee liegt oder schnell die Dunkelheit einbricht. Dann ist natürlich unter Umständen auch Gefahr im Verzug. (A, 6.55) Autorin Und dann wird auch schon mal eine Hundestaffel angefordert. Am kritischsten aber ist es, sagt Hanske, wenn sich jemand so verletzt hat, dass er nicht mehr auftreten kann. Denn es gibt einige Stellen im Felsenlabyrinth, die einen Abtransport mit den regulären Rettungsgeräten unmöglich machen. Dann muss der Hubschrauber ran und der Verletzte mit der Seilwinde geborgen werden. Zum Auftrag der Bergwacht in Bayern gehört allerdings nicht nur der Schutz der Menschen vor der Natur, sondern auch der Schutz der Natur vor dem Menschen. Eine Pflanze ist besonders charakteristisch für das Felsenlabyrinth, denn sie wächst nur in Grotten: Das sogenannte Leuchtmoos: O-Ton 15 Gerhard Hanske Das ist ein Moos, dessen fluoreszierender Effekt darauf beruht, dass die Pflanze einen bestimmten Standort hat und einen bestimmten Lichteinfall, den sie eben nutzt, um überhaupt ihr Chlorophyl erzeugen, um überleben zu können. Viele Menschen haben leider in der Vergangenheit das ausgerupft und waren der Meinung, zu Hause im Garten würde sich das gut machen. Aber natürlich ist mit dem Entfernen vom Standort auch der Effekt dahin. (A, 6.34) Atmo 13 in Teufelsgrotte Autorin In der letzten Grotte vor dem Gipfel, der Teufelsgrotte, sehe ich tatsächlich einen winzigen, grünlichen Moosteppich in der Felsspalte leuchten. Ein einzelner Sonnenstrahl hat sich den Weg durch die Felsen in die Grotte gebahnt und lässt die Tautropfen in den Spinnweben schimmern. Wenn jetzt noch eine Elfe durch den Spalt gekrochen käme - mich würde das nicht wundern. MUSIK 2 Edvard Grieg: Peer Gynt und die Grüngekleidete Atmo 14 am Sicherungskasten Lichter anknipsen Autorin Reinhard Kögler öffnet den Sicherungskasten und legt die Lichtschalter um. 5.700 Musterplatten - damit besitzt das Deutsche Natursteinarchiv in Wunsiedel, im Herzen des Fichtelgebirges, die weltweit größte Sammlung an Naturwerksteinen. Atmo 15 Treppe hoch O-Ton 16 Reinhard Kögler Unter Naturwerksteinen versteht man jetzt die Gesteine, die wirklich in der Architektur, zum Beispiel an der Fassade, als Bodenbelag innen und außen Verwendung finden, die im Grabmalbereich als Denkmal, in der Bildhauerei. Das heißt also, es sind Gesteine, mit denen man mehr anfangen kann als Split und Schotter zu produzieren. (A, 3.87) Autorin Der Diplomgeologe steigt die Treppe hoch in den ersten Stock, wo sich in alle Richtungen großzügige Räume öffnen. Helles Sonnenlicht fällt durch die Fenster und auf die Stellwände mit den Gesteinplatten. Auf den ersten Blick sehen die Steine aus wie nass. Was daran liegt, erklärt Reinhard Kögler, dass alle Gesteine poliert sind, um sie besser vergleichen zu können. Unter jeder Steinplatte ist eine Tafel mit den zentralen Informationen angebracht: Zur Gesteinsart, zum Entstehungszeitalter und zum Handelsnamen. Das Wichtigste aber ist die Fundortskizze, aus der hervorgeht, wo der Stein eigentlich abgebaut wird. Denn erst der Abbauort identifiziert das Gestein, während der Handelsname gerne mal ein reiner Phantasiename ist, der nichts über den Stein aussagt. O-Ton 17 Reinhard Kögler Es sind 5.700 Musterplatten. Dazu ist zu sagen, dass wir natürlich auch historische Gesteine sammeln: Also nicht alles, was wir hier ausstellen, ist auch noch erhältlich. Aber zum Beispiel Restauratoren interessieren sich gerade für die Gesteine, die nicht mehr verfügbar sind. (..) Die kommen dann oft mit einer Musterplatte in der Hand und interessieren sich für Vergleichsmaterialien. Die wissen vielleicht sogar, woher der Stein kommt. Die wissen genau Bescheid über die Eigenschaften dieses Gesteins, das gesucht wird, aber sie wissen auch: Diesen ursprünglichen Steinbruch gibt es nicht mehr. (A, 4.10) Autorin Dann sucht Reinhard Kögler gemeinsam mit den Restauratoren im Archiv nach einem Stein, der ähnlich aussieht - und noch im Handel zu bekommen ist. Vor allem aber weiß der Geologe, ob der ausgewählte Stein auch geeignet ist für den Ort, an dem er verbaut werden soll: Ob er draußen ebenso verwendbar ist wie für den Innenbereich, ob er zum Beispiel wasserdurchlässig, frostbeständig oder säureempfindlich ist. Es juckt mich ja doch in den Fingern, den Stein auch anzufassen. O-Ton 18 Reinhard Kögler Den dürfen Sie anfassen. (Und dürfte ich den jetzt auch mal bearbeiten?) Bei mir nicht. (lacht) Denn Sie können sich natürlich vorstellen: Diese Platten sollen auch noch nach Jahrzehnten ihre Oberfläche behalten. Und ich sehe es an sich ungern, wenn da jemand mit Salzsäure oder Ritzwerkzeugen drüber geht und die technischen Eigenschaften hier austesten will. (A, 4.74) Autorin Das Natursteinarchiv ist aber nicht nur wichtige Anlaufstelle für Restauratoren, Architekten und Bauherren, sondern in erster Linie eine Schulsammlung. Sie gehört zur Staatlichen Fachschule für Steinbearbeitung, die seit über 100 Jahren in Wunsiedel Fachkräfte fürs Steingewerbe ausbildet. O-Ton 19 Reinhard Kögler Dazu muss man sagen, dass das Fichtelgebirge vor etwa hundert Jahren, und vielleicht bis in die 50er/ 60er Jahre, eines der Natursteinzentren in Deutschland gewesen ist. Und zwar DAS Zentrum für die Granitgewinnung und Verarbeitung. Das war der Grund dafür, dass sich hier natürlich viel Industrie angesiedelt hat. Unter anderem ist hier im Fichtelgebirge, in Weißenstadt, von der Firma Ackermann das industrielle Polieren von Granit erfunden worden. Es ist eine Tradition. (IV, A, 0.18) Autorin Wer heute eine Ausbildung zum staatlich geprüften Steintechniker durchläuft, der muss bei Reinhard Kögler Steine auf ihre technischen Eigenschaften bestimmen lernen. Während man sich bei heimischem Gestein meist auf langjährige Erfahrungswerte verlassen kann, müssen importierte Steine nämlich erstmal auf ihre Eignung hin untersucht werden. Das ist auch deshalb so relevant geworden, sagt Reinhard Kögler, weil aufgrund der hohen Lohnkosten in Deutschland heute ein Großteil an Naturwerkstein aus Brasilien oder China importiert wird. Was dazu geführt hat, dass im Fichtelgebirge gerade noch sechs Granitsteinbrüche in Betrieb sind. O-Ton 20 Reinhard Kögler Granit - das war früher ein Exportartikel. Fichtelgebirgsgranit sehen Sie heute noch in allen großen Städten Deutschlands: (...) Fußgängerzonen, Fassaden, Geschäftsfassaden, natürlich auch Pflaster, Randsteine. Sie finden es sicher auch in privaten Bauten als Fensterbänke, als Küchenarbeitsplatten. Aber seit den 1980er Jahren ist da der Einfluss von Fichtelgebirgsgranit stark gesunken. (A, 1.12) Autorin Natürlich unterliegt Granit auch Moden und richtet sich nach der Baukonjunktur. Um 1900 zum Beispiel, als die Eisenbahn gebaut wurde, war die Nachfrage nach Granit groß. Und die Nationalsozialisten verwendeten für die Fassadengestaltung ihrer Kolossalbauten, wie das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, am liebsten Granit - wegen seiner vermeintlichen Härte und Beständigkeit. Mit der modernen Architektur und der Erfindung von Spannbeton geriet der Granit dann erstmal aus der Mode. MUSIK 3 Camille Saint-Saens: Fossilien Autorin Einmal quer durch das granitene Hufeisen verläuft nicht nur die europäische Hauptwasserscheide zwischen Nordsee und Schwarzem Meer, sondern auch die Dialektgrenze zwischen fränkisch und bayerisch - nicht selten mitten durch die Dörfer. Es kann also vorkommen, dass zwei Ortsteile derselben Gemeinde einen vollkommen anderen Dialekt sprechen. Generell aber gilt: Während die Oberfranken, also der nordwestliche Teil des Fichtelgebirges, ein astreines Fränkisch sprechen, herrscht im südöstlichen Teil, also in der Oberpfalz, der bayerische Dialekt vor. Und um es noch komplizierter zu machen: Das Bayerisch der Oberpfälzer wiederum ist eng verwandt mit dem Böhmisch, das die heimatvertriebenen Egerländer sprechen, von denen sich 1945 viele in der Oberpfalz niedergelassen haben. Wie man an der Farbe des Granits also sein Herkunftsort bestimmen kann, so lässt sich an der Mundart eines Fichtelgebirglers ziemlich genau sagen, aus welchem Dorf - oder zumindest, aus welcher Gemeinde - er stammt. Atmo 16 Fett knistert in Pfanne Autorin Hildegard Leser stammt ursprünglich aus Glitschau in Böhmen und lebt heute gemeinsam mit ihrer Tochter in Bärnau, direkt an der tschechischen Grenze, ungefähr 30 km von ihrem einstigen Heimatort entfernt. Streng genommen liegt Bärnau nicht mehr im Fichtelgebirge - zumindest nicht im Innern des granitenen Hufeisens. Aber dass es sich um einen, gemeinsamen Kulturraum handelt, das merkt man nicht nur an der verwandten Mundart, sondern auch an Liedgut und Brauchtum - und der regionalen Küche. Böhmischen Liwanzen zum Beispiel backt man heute noch immer, beiderseits der Grenze. O-Ton 21 Hildegard Leser Liwanzen ist ein Gebäck, das man auch zum Mittagessen kredenzen kann, davor eine gute Kartoffelsuppe. Und als Nachspeise die Liwanzen, mit Zucker und Zimt oder mit Pobil. Pobil ist eine Marmelade aus Zwetschgen. Der eine wünscht es mit Zucker und Zimt, der andere mit Pobil. (V, B, 0.59) Autorin Hildegard Leser steht am Herd und gießt Teig in eine Pfanne, in die wiederum vier Vertiefungen eingelassen sind. Mit einem langen Stab hebt sie die Küchlein regelmäßig an, um zu überprüfen, ob der Teig an der unteren Seite auch nicht anbrennt. Sie ärgert sich ein wenig: Über die Pfanne aus Emaille, denn die arbeitet nicht so zuverlässig wie die Originalpfanne aus Eisen, und über sich: Denn das Original konnte sie auf dem Boden nicht finden - dabei ist sie überzeugt, dass die ihr noch letzte Woche auf die Zehen gefallen ist. Ihre Tochter kann sich ein liebevolles Grinsen nicht verkneifen. O-Ton 22 Hildegard Leser Wir kommen aus dem Egerland. Wir sind 1945 ausgesiedelt worden und haben uns hier wieder eine Bleibe gesucht. (B, 1.26) (Haben Sie damals den ganzen Hausstand mitgenommen oder war die Pfanne schon was Besonderes?) Die Pfanne war schon etwas Besonderes. Die hat man einfach mitgenommen. Denn Mehl, Milch, Eier waren im Hause - und da wurde schnell eine Speise draus gemacht. (B, 1.18) Autorin In Böhmen aß man die Liwanzen ursprünglich zu Mittag, nach einer kräftigen, herzhaften Vorsuppe. Bei den Lesers gibt es sie heute zum Kaffee. Oder genauer gesagt: Zu Kaffee und Gesang. Atmo 17 Begrüßung Autorin Zu Besuch sind drei Frauen, die das heimische Liedgut pflegen: Monika Kunz, Gertraud Dietl und Annemarie Liebald. Gemeinsam treten sie als "Waldsassener Dreigesang" auf - und eine Gattung, die auf ihrem Programm nie fehlen darf, sind die so genannten "Küchenlieder": O-Ton 23 Monika Kunz Küchenlieder sind immer eine Frauensache: Die armen Frauen, die in der Küche arbeiten mussten und ihr Liebesleid hinausgesungen haben. Es waren lauter schmalzige Texte und lauter Tränen flossen und Unglücke passierten und es gab nie ein Happyend. Und da haben sich die Frauen so richtig schön reingesteigert und da kann man nebenbei Zwiebeln schneiden und da ist's schon egal, wegen was man weint. (lacht) Ja, die Arbeit ging halt besser von der Hand. Heute hört man Radio, und die haben halt früher selber gesungen. (B, 3.34) Atmo 18 Teig kann aufgehen beim Singen Autorin Je schmalziger, umso besser, sagt Monika Kunz, grinst und greift zu den Noten. Atmo 19 Küchenlied von der Liesl Autorin Das Küchenlied von der armen Liesl. Hildegard Leser blinzelt mir kurz verschwörerisch zu, als die drei Frauen ihre Texthefte zur Seite legen und es sich am Küchentisch gemütlich machen. O-Ton 24 Hildegard Leser (Sie haben mitgesungen, oder?) Ja, sie hat ja gesagt, den Refrain sollen wir mitsingen. (Sie kennen das also!) Ja, natürlich. (lacht) Ich kenne das Lied. Alle die Lieder, die die Damen singen. (Und haben Sie die auch in der Küche gesungen?) Ja, auch. (A, 4.43) Atmo 20 Kaffeetafel Autorin Der erste Schuss ist fertig, jetzt steht die eigentliche Entscheidung an: Wer will die Liwanzen einfach, wer doppelt, wer dreifach? Atmo 21 Liwanzen einfach, doppelt oder dreifach Autorin Die Frauen witzeln auf oberpfälzisch über das dunkelbraune Zwetschgenmus, aber als ich sie bitte, mir den Scherz ins Hochdeutsche zu übersetzen, winken sie ab und lachen. Manche Dinge lassen sich eben nur in der Mundart sagen. O-Ton 25 Monika Kunz Im Dialekt kann man bestimmte Dinge viel deutlicher ausdrücken als in der Hochsprache. Zum Beispiel, wenn's um Gefühle geht. Da sind ja dann auch immmer so Vergleiche dabei: Dieses "Weih, wenn ihr wisset, wie das war..." Und da kann man dann ja beschreiben - also ein Bayer oder ein Oberpfälzer oder ein Nordgau-Bürger würde nie sagen: Ich liebe dich. "Ich mog di'", sagt der. Also der würde das nie direkt sagen. Liebeserklärungen geschehen anders. (B, 4.22) Autorin Zu Beginn sind die drei Frauen vom "Waldsassener Dreigesang" vor allem mit oberbayerischem Liedgut aufgetreten. Noten und Texte von Liedern aus der Region, also aus der Oberpfalz und dem Egerland, waren nämlich gar nicht so leicht aufzutreiben. Denn da, erzählt Monika Kunz, hat es immer geheißen: Das klingt nicht schön, das Oberpfälzisch. O-Ton 26 Monika Kunz Also die Oberpfälzer haben vielleicht in der Vergangenheit mehr dazu geneigt, ihren Dialekt zu verleugnen, wenn sie ins bayerische Ausland gekommen sind, während oberbayerische Mundart, die galt ja als schick und da war man wer. Und viele Oberpfälzer haben sich also in kürzester Zeit umgestellt und ihre Wurzeln verleugnet, weil das Oberpfälzische als primitiv galt, also nicht sehr vornehm oder einfach als minderwertig. (B, 3.40) Autorin So hat man in der Oberpfalz auch lange die oberbayerische Tracht getragen - ist hier eine Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln doch noch komplizierter als beim Liedgut: Puristen meinen nämlich, dass es eine authentische Oberpfälzer Tracht nie gegeben hat. Monika Kunz geht das Thema Kleiderordnung mit Humor an - wie das Lied vom Bärnauer Bock'l beweist, das all jene auf die Schippe nimmt, die Kleidervorschriften allzu wörtlich interpretieren: O-Ton 27 Monika Kunz Also die Buben haben ja erst zur Firmung ihre langen Hosen bekommen. Und bis dahin haben sie als Kinder Röckchen getragen oder halt kurze Hosen. Und bei den ältren Damen war es so, dass die unter ihren langen Röcken gar nichts anhatten. Und von dieser Situation berichtet jetzt dieses Lied. (VI, A, 0.53) MUSIK 4 Neualbenreuther Zwio: Bärnauer Bock'l Autorin Fichtelgebirge. Hufeisen aus Granit. Auch die Landschaft ist von der Steinindustrie geprägt, die die Menschen hier über Jahrhunderte ernährt hat. Trugen die Steinhauer anfangs einfach das offen liegende Gestein ab, so durfte von 1721 an nur noch derjenige Steine brechen, der durch einen vom markgräflichen Bergamt erhaltenen Lehenschein dazu berechtigt war. Was die Steinindustrie dazu zwang, den Granit aus der Tiefe zu gewinnen. Also ging man im 19. Jahrhundert dazu über, Steinbrüche anzulegen - und arbeitete sich im Laufe der Zeit mit Hilfe von Kränen und Dynamit immer weiter in die Tiefe vor. Atmo 22 Bagger Autorin So hat der Granitabbau im Fichtelgebirge tiefe Krater in der Landschaft hinterlassen. Viele dieser Narben sind jedoch dreißig, vierzig Jahren nach der Stilllegung der Steinbrüche wieder verheilt. Und nicht zufällig finden sich gerade am Osthang des Fichtelgebirges - dort, wo einst besonders viel Granit abgebaut wurde - heute die schönsten Naturschutzgebiete. In diesen verlassenen Steinbrüchen haben sich nämlich von selbst all jene Pionierbaumarten angesiedelt, die in der Region vielerorts durch die Fichte verdrängt wurden: Lärchen, Birken, Weiden oder Zitterpappeln. Und auch Geologen schwärmen für die verlassenen Steinbrüche: Wo lässt sich schon 60, 70 Meter tief in die Erde schauen - und damit in 300 Millionen Jahre Erdgeschichte? Atmo 23 Schritte Autorin Aus diesem Grund will Peter Köstner, vom bayerischen Landesamt für Umwelt, die schönsten Steinbrüche der Region nicht rekultivieren lassen, sondern sie unter Geotopschutz stellen und für Besucher offen halten. O-Ton 28 Peter Köstner Geotop heißt eigentlich auch nur, dass es die Möglichkeit gibt, in die Erdgeschichte reinschauen zu können. Da bietet sich natürlich ein künstlicher Aufschluss, wie hier der Steinbruch, natürlich buchstäblich an. Wenn wir diesen Steinbruch nicht hätten, dann müssten Sie über die Felder streifen, sich mit den Landwirten anlegen - zu Recht anlegen, um dort einzelne Lesesteine von Marmor aufzuheben, die Sie wahrscheinlich auch gar nicht erkennen würden, weil sie einfach mit Erde verschmutzt sind. Hier haben wir, wie Sie sehen, wunderbar leuchtend weiß aufgeschlossene Marmorbrocken herumliegen, die wir nur noch aufheben müssen. (B, 1.24) Autorin Denn der Aufschluss, den Peter Köstner heute besucht, ist noch aktiv. Und: Es ist kein Granit - sondern ein Marmorsteinbruch. Hinter einem Getreidefeld und einer Reihe Pappeln bohrt sich auf ungefähr 100 Quadratmetern ein kreisrundes Loch in die Erde, auf dessen Sohle sich die Marmorbrocken lose übereinander türmen. Eine spiralförmige Rampe führt 25 Meter tief bis zur Sohle - ebenso mehrere Wasserrohre, die das Grundwasser abpumpen. Die Bagger stehen kurz still, denn an den Felswänden rund um die Sohle werden gerade die Zündkabel für eine Sprengung angebracht. Peter Köstner nutzt die Gelegenheit, um dem Juniorchef ein paar Fragen zu stellen: O-Ton 29 Peter Köstner und Andreas Pöllmann Was war denn eigentlich an Überdeckung drüber? Lehm oder Ton? - Die Überdeckung ist teilweise nur ein paar Zentimeter Humus. - Also es ist direkt ausgebissen, wie man sagt, nach Übertage raus gekommen? - Ja! - Die Nachbarhäuser nördlich des Steinbruchs sind jetzt auch unter Denkmalschutz gestellt, die sind also hauptsächlich aus diesem Marmor, aus diesen plattigen Steinen, die die Landwirte hier an der Oberfläche gefunden haben, gebaut worden. (B, 3.70) Autorin Ganz Wunsiedel ist auf Marmor gebaut, erzählt Köstner, denn die Kreisstadt liegt direkt auf einem Marmorzug - dem einzigen in Bayern, ja in ganz Deutschland. Man vermutet, dass es hier in der Gegend vor ungefähr 500 Millionen Jahren ein Kalksteinlager gab. Und dass sich dieser Kalkstein dann unter hohem Druck und bei Temperaturen zwischen 300 und 500 Grad in Marmor umkristallisiert hat. Der Unterschied ist leicht zu erkennen: Schlägt man einen Marmor auf, dann glitzert und funkelt der Stein wie Kandiszucker. Atmo 24 Bagger Autorin Nur zehn Prozent des Marmors bleiben allerdings als Stein am Stück erhalten, sagt Andres Pöllmann, Juniorchef des Steinbruchs Deyerling. 90 Prozent werden entweder in Mahlwerken zu Mehl weiter verarbeitet - das findet man dann als Scheuermittel in der Zahnpasta wieder - oder zu Kiessplittern für die Kunststeinindustrie. Wie zum Beispiel für Terrazzoplatten, die den Boden so vieler Einkaufszentren schmücken. Und die Nachfrage nach Naturstein wächst beständig, seit der Garten in den Neunzigern immer mehr als privater Rückzugs- und Erholungsraum dient denn als Nutzfläche. O-Ton 30 Andreas Pöllmann Also die Nachfrage ist sehr groß - auch in, ich sage jetzt mal, gestalterischer Richtung. Eben diese Garten- und Landschaftsbauer, das kam erst die letzten fünfzehn Jahre so auf. Früher hat sich kein Mensch einen Stein in den Garten gestellt und auch noch Geld dafür bezahlt. Heute ist der Anspruch anders: Man will seinen Garten so gestalten, dass er einzigartig ist und von daher steigt die Nachfrage also jährlich an. (B, 3.24) Autorin Die Vorbereitungen für die Sprengung sind abgeschlossen: Die Bohrungen angesetzt, sämtliche Zündkabel liegen bereit. Während der Juniorchef die letzten Anweisungen erteilt, packt Sprengmeister Michael Hick sein amtlich zertifiziertes Martinshorn aus. Wenn das ertönt, wissen die Anwohner, dass sie in Deckung gehen müssen. Atmo 25 Sicherheitswarnungen Autor Alle müssen zur Sicherheit einen Helm aufsetzen, dann klappt Michael Hick sein schwarzes Lederkästchen auf: Atmo 26 Kurbel O-Ton 31 Michael Hick Das ist die Zündmaschine. Das heißt, es wird dann die Zündleitung hier angeschlossen, wird durch Kurbeln aufgeladen und mit dem roten Kopf löst man dann nach Gabe des Sprengsignals die Sprengung aus. (Das ist richtig, wie man sich das vorstellt: Ein Kästchen aus schwarzem Leder mit verschiedenen..) Anschlüssen für die Zündleitung, die kann man hier aufmachen. Die wird dann hier angeschlossen und verschraubt, dass die fest hier dran ist. Und mit der Kurbel wird dann aufgeladen und mit diesem Kopf ausgelöst. (B, 5.77) Atmo 27 Sprengung - überblenden in Musik MUSIK 5 Polarkreis 18: Dreamdancer Atmo 28 über Marmor streichen Autorin Auf dem Rückweg vom Wald schaut Roland Blumenthaler noch kurz zum Kirchendienst in St. Margarethen vorbei. Man kann den Leuten einfach nicht verständlich machen, dass sie im Sommer nicht lüften sollen, sagt der 44-jährige Förster und zieht belustigt die Augenbrauen hoch, auch wenn es dann halt mal etwas stinkt in der Kirche. Denn sonst kondensiert die Luftfeuchtigkeit am kalten Marmor, und das schadet dem Stein. Fast liebevoll streicht er mit seinen großen Händen über den Epitaph hinter dem Kanzelaltar. O-Ton 32 Roland Blumenthaler Das ist der typische Wunsiedler Marmor, der eigentlich so ein ganz heller, weißer Marmor ist. Und das ist auch was Besonderes. Das haben Sie nicht überall, dass Sie so einen schönen Marmor finden. (Können Sie beschreiben, was den so besonders macht?) Das macht diese weißliche, warme Oberfläche, denke ich. Das ist ja das Besondere am Marmor, dass er so voller Zwiespältigkeiten ist: Er glitzert ein bisschen, aber auch nicht. Er glänzt nicht, hat diese vornehme Mattheit und was das Tolle an so einem Marmor ist, dass er so beständig ist. (B, 2.85) Autorin Sogar Grenzsteine wurden im Fichtelgebirge manchmal aus Marmor gefertigt - um sie vom örtlichen Steinvorkommen unterscheiden zu können. Sonst nahm man dafür meist Granit - aber in einer Gegend, in der die Landschaft vorwiegend aus Granitstein besteht, ging das natürlich nicht. Seit dem Schengener Abkommen spielen die Grenzsteine nur noch eine untergeordnete Rolle. Vieles allerdings, was man sich von der Grenzöffnung und der neuen Lage in der Mitte Europas versprochen hat, ist nicht in Erfüllung gegangen. Zumindest noch nicht. Atmo 29 Kirche abschließen O-Ton 33 Roland Blumenthaler Deswegen sind ja viele Leute hier weggezogen, und es ist ja immer noch so, dass der Landkreis ständig Leute verliert - auch junge Leute die halt hier zum Teil keine Arbeit finden. Nur sind wir mittlerweile soweit, dass es ja hier einen eklatanten Fachkräftemangel gibt. Die Arbeitslosigkeit im Arbeitsamtbezirk Marktredwitz liegt irgendwo bei fünf Prozent. Wir hatten vor Jahren 14, 15 Prozent Arbeitslosigkeit. Also das hat sich eigentlich ziemlich gedreht. (..) Schade ist, dass man hier immer noch nicht so weit ist, dass es an den Schulen serienmäßig Tschechisch gibt als Fach, auch das Interesse an Osteuropa ist relativ gering ausgeprägt. (..) Die Leute sind sehr stark nach Westen orientiert. Aber vielleicht sind da 18 Jahre auch eine kurze Zeit, bis sich so etwas ändert. (II, A, 6.23) Atmo 30 Stufen runter Autorin Viele Fachkräfte in der Region sind heute Tschechen. Nicht nur in der Gastronomie - auch die Krankenhäuser könnten auf die tschechischen Ärzte nicht mehr verzichten. Während der Förster die Stufen des Portals hinabsteigt, streift sein Blick die alte Kirchenmauer, die aus schwarzen, graumelierten und mattweißen, aus unbehauenen ebenso wie aus gestockten und geschliffenen Steinen bunt durcheinander gewürfelt ist. Atmo 31 Kirchenglocken läuten O-Ton 34 Roland Blumenthaler Und wie auch bei den Menschen - also den verschiedenen Einflüssen: Böhmen, Bayern, Preußen, was es hier alles gab - sieht man auch an unserer Kirchenmauer, dass da ganz verschiedene Steine vorkommen. Hier hat man die weißen Steine: Das ist der Marmor. Dann hat man den normalen Granit, dann hat man den Redwitzit, dann sind die vorkommenden Basaltsteine eingebaut, das ist dieser ganz schwarze Stein. Also diese Kirchenmauer, denke ich immer, wenn ich hier Kirchendienst habe, symbolisiert a bisserl die kulturelle Vielfalt, die wir hier haben einfach durch die wechselvolle Geschichte. (II, B, 2.40) SpvD Hufeisen aus Granit. Im Steinreich des bayerischen Fichtelgebirge. Eine Deutschlandrundfahrt mit Stefanie Müller-Frank Musik hoch 25 25