Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 4. Oktober 2010, 19.30 Uhr Missbrauch per Mausklick Kinderpornografie überschwemmt das Internet Von Jens Rosbach Atmo Computer-Tastatur 1 Atmo Computer-Mausklick 1 O-Ton Bosinski Zunächst einmal muss man sagen, dass die Benutzung von Kinderpornografie - und deshalb ist sie ja auch strafbar - indirekt Missbrauch ist. Sie nutzt nämlich den Missbrauch aus, den Andere begangen haben. Und dann gefilmt und fotografiert und ins Netz gestellt haben Atmo Computer-Mausklick 2 O-Ton Thelen Es gibt Hinweise darauf, dass die kommerziellen Angebote im Netz zugenommen haben. Und sicherlich noch mehr zunehmen werden. Und dass sich dort auch eine mafiöse Struktur aufgebaut hat, dass Leute damit sehr viel Geld verdienen. Atmo Computer-Mausklick 3 O-Ton Hüneke Also im Prinzip ist das wie der übliche Hase-und-Igel-Lauf: Man ist als Strafverfolger immer ein bisschen hinterher. Die Doofen wird man immer kriegen - und die, die clever sind, die schaffen's einfach. Musik 1 hochziehen Sprecher vom Dienst Missbrauch per Mausklick - Kinderpornografie überschwemmt das Internet Ein Feature von Jens Rosbach O-Ton Matthias Na bei mir durften zum Beispiel keine Jungs dabei sein. Sondern wirklich nur Mädchen. Für mich war eigentlich erstmal schon befriedigend, erstmal überhaupt die Seite zu finden. Weil das eben verboten war. Das war denn eben dieser berühmte Kick, den man denn so brauchte manchmal. Sprecher Jeden Tag werden unzählige Bilder missbrauchter Jungen und Mädchen online gestellt. Mehr als 15 Millionen illegale Aufnahmen sollen bereits im Netz kursieren. Die pädophilen Konsumenten verlangen ständig "frisches" Material. O-Ton Matthias Und denn so als Zweites denn irgendwo in Selbstbefriedigung geendet. Dis ... war klar. Das ist im Prinzip wie ne Sucht bei mir. Sprecher Matthias Schmück ist einer der wenigen Kinderporno-Nutzer, die Interviews geben. Wenn auch nur unter Pseudonym und mit verfremdeter Stimme. Der 35-Jährige hat ein blasses, schmales Gesicht; er wirkt ängstlich und unterwürfig. Der Berliner arbeitet bei einem Logistik-Unternehmen und wohnt noch bei seinen Eltern. Schmück erklärt: Er habe sich nie an einem Kind vergangen - sich aber jahrelang an Aufnahmen nackter Mädchen berauscht. Angefangen habe alles in seiner Jugend, als er eine FKK-Zeitschrift in die Hände bekam. Mit Strandbildern nackter Eltern - und nackter Kinder. O-Ton Matthias Jahre später habe ich mal, weil ich im Internet auch normale Pornos gesucht hatte, mich auch irgendwo mal registriert habe, dann mal ne Mail gekriegt. Und da waren denn eben auch kinderpornographische Seiten mit bei gewesen. Man hat sich dann Abend für Abend auf die Suche gemacht: Gibt es irgendwo paar neue Seiten? Und so hat sich das langsam immer ringesteigert. Atmo Computer-Tastatur, Mausklick, Computerklong Sprecher Matthias Schmück hortete tausende Missbrauchs-Fotos und rund 20 Videos auf seiner Festplatte. Das bekomme ja niemand mit, dachte der Pädophile. O-Ton Matthias Na, stand eines Tages die Polizei vor der Tür. Durchsuchungsbeschluss. Hausdurchsuchung: Auf den und den Seiten haben Sie sich kinderpornografische Materialien runtergeladen. Dann wurde eben alles mitgenommen, was verdächtig erschien. Und dann hab ich mir geschworen: Ne, jetzt machst Du so was nicht mehr. Hat auch noch ne Weile gehalten. Aber irgendwann ging es wieder von vorne los. O-Ton Thelen Es gibt Hinweise darauf, dass die kommerziellen Angebote im Netz zugenommen haben. Und dass sich dort auch eine mafiöse Struktur aufgebaut hat, dass Leute damit sehr viel Geld verdienen. Sprecher Der Bonner Staatsanwalt Marko Thelen weiß: weltweit sorgen pädophile Konsumenten für eine ständige Nachfrage. Doch wer versorgt diesen Markt? Wer missbraucht Kinder vor laufender Kamera? Wer verdient sein Geld mit den Vergewaltigungsaufnahmen? Fragen, die sich Strafverfolger stellen. Rückblick, Dezember 2006: Die Bonner Staatsanwaltschaft stößt im Internet auf ein breit gefächertes Kinderpornografie-Angebot. Ein Angebot auf über 300 professionellen Webseiten - mit Online-Kunden in 81 Ländern. O-Ton Thelen Die User dieser Seiten mussten 49 bis 99 US-Dollar für einen Ein-Monats-Zugang auf eine oder mehrere dieser Seiten bezahlen. Das ging ja so weit, dass man Jahresabos für alle Seiten, die von dem Netzwerk angeboten wurden, abschließen konnte für 2000 US-Dollar und dann noch als kleines Dankeschön zwei DVDs mit kinderpornografischem Material bekam. Sprecher Marko Thelen leitet vor vier Jahren eins der größten deutschen Kinderpornografie- Verfahren ein: die Operation "Data". 567 deutsche Konsumenten werden entdeckt - zumeist gut verdienende Bürger, darunter Ärzte, Beamte und Unternehmer. Der Schlüssel für den Ermittlungserfolg: eine Adressdatei der Porno-Anbieter - eine geheime Kundenliste, die auf einem deutschen Server entdeckt wurde. O-Ton Thelen Das war ein gefundenes Fressen, ja. Sprecher Die Strafverfolger durchsuchen massenhaft Wohnungen, beschlagnahmen kistenweise Missbrauchsmaterial und leiten hunderte Strafverfahren gegen die Konsumenten ein. Doch die Anbieter, die Kinderporno-Dealer, konnten bis heute nicht gefasst werden. Die Bonner Staatsanwaltschaft vermutet die Hintermänner in den ehemaligen Sowjet-Republiken Osteuropas. Das kriminelle Netzwerk hinterlässt kaum Datenspuren beim Verkauf der Kinderpornografie. O-Ton Thelen Daneben haben sie sich allerdings noch andere kriminelle Standbeine ausgesucht. Zum einen das Phishing, das heißt das Einsetzen bzw. auch der Handel mit abgegriffenen, abgefischten Onlinebanking-Daten, Identitätsdiebstahl im Netz, das Handeln mit bestimmten Accounts, Email-Adressen. Das heißt, sie sind nicht nur im kinderpornografischen Bereich tätig. Die nehmen eigentlich alles, was an kriminellen Machenschaften im Netz möglich ist, nehmen die mit. Musik 2 leise drunter,dann hochziehen bis Musikende Sprecher Auch die Staatsanwaltschaft Halle ist in den vergangenen Jahren auf einen Ring professioneller Kinderporno-Händler gestoßen. Bei ihrer Operation "Mikado" entdeckten die Ermittler ein Online-Portal, das zur Zahlung eines bestimmten Betrages per Kreditkarte aufforderte. Die Strafverfolger rasterten daraufhin sämtliche 20 Millionen Kreditkartenkonten in Deutschland nach diesem Betrag - und konnten so mehr als 300 mutmaßliche Konsumenten entdecken. Aber auch in diesem Großverfahren wurde der Drahtzieher, offenbar ein Krimineller aus Südostasien, nicht gefasst. Atmo Computer-Tastatur, Mausklick, Computerklong Sprecher Professionell gestaltete Webseiten. Kreditkarten-Überweisungen. Kunden weltweit. Alles Hinweise auf eine organisierte Kriminalität. Und doch bezweifeln Experten, dass es einen strukturierten, professionellen Kinderpornografie-Markt gibt. O-Ton Hüneke Einige Landeskriminalämter sagen: Es gibt keinen Markt. Es gibt einige Landeskriminalämter, die sagen: Jawohl, es gibt doch einen Markt. Sprecher Arnd Hüneke forscht als Jurist an der Universität Hannover. Der Wissenschaftler hat Landeskriminalämter, Bundeskriminalamt und Staatsanwaltschaften zum Thema Kinderpornografie befragt. Hüneke hat dabei Folgendes erfahren: Viele Ermittler gehen davon aus, dass die Masse des verbotenen Materials nicht über kommerzielle Webseiten vertrieben wird, sondern über private Tauschbörsen. Mehr als 150.000 soll es davon geben. Dabei handelt es sich um streng abgeschirmte, illegale Benutzergruppen. Wer in diesen Foren Mitglied werden will, muss erst einmal selbst zum Dealer werden: Der Interessent soll sich irgendwo Missbrauchsfotos besorgen und anschließend zum Forum hochladen. Einschlägige Kreise nennen das Aufnahmeritual zynisch "Keuschheitsprüfung". O-Ton Hüneke Also die Polizei möchte sich natürlich nicht strafbar machen. Und darf deswegen selber Kinderpornografiebilder nicht verbreiten. Und deswegen auch keine Kinderpornografiebilder zum Tausch anbieten. Damit fallen Ermittlungsmethoden weg. Und diese geschlossenen Benutzergruppen sind im Prinzip tatsächlich geschlossen. O-Ton Matthias Und wer sich denn eben einloggen will, muss denn eben drei Bilder schicken, um zu beweisen, er ist eben kein Polizist oder so was oder Staatsanwalt. Um dann zu sagen: Okay, Dich nehme ich oder Dich nehme ich nicht. Sprecher Die Kinderporno-Szene operiert weitgehend im Verborgenen. Allerdings nutzen die Konsumenten nicht nur abgeschirmte Online-Foren. Um nicht aufzufallen, greifen die Pädophilen auch auf die weit verbreitete peer-to-peer-Kommunikation zurück. Hierbei wandern die begehrten Daten - über gewöhnliche Filesharing-Seiten - direkt von Rechner zu Rechner. Andere Nutzer anonymisieren ihre Emails. Auch die Anbieter verwischen ihre Spuren. So ändern einschlägige Webseiten ständig ihre Adressen. Zudem wird das Missbrauchs-Material von wechselnden Servern verbreitet - vor allem Servern in Nordamerika und Europa. So können Strafverfolger nur schwer abschätzen, ob die Masse der Missbrauchsvideos auf privatem Wege oder über kommerzielle Seiten verbreitet wird. Ein riesiges Dunkelfeld. Atmo CD-Maschine A 007, dann drauf Sprecher Landeskriminalamt Berlin. Büroräume, voll gestopft mit Computern, Monitoren, Laufwerken, Festplatten und DVDs. Atmo CD-Maschine B 004 ... Sprecher Ein Automat, der pro Tag 100 CDs oder DVDs in ein Laufwerk zieht, die Daten einliest und auf einem Computer speichert. Davor sitzen die LKA-Ermittler Judith Dobbrow und Thorsten Ivers. O-Ton Dobbrow Bei der Durchsuchung einer normalen Wohnung nehmen wir im Schnitt zwei Rechner heutzutage mit, mehrere externe Festplatten und dann noch ungefähr zwei Umzugskisten an CDs, DVDs oder anderen Datenträgern. O-Ton Ivers 160 im Schnitt. Also 160 lose Datenträger. Aber es gibt auch schon mal Ausreißer, dass wir also Durchsuchungen haben, wo wir dann also bis zu 6000 CDs und DVDs beschlagnahmen. Das sind halt sammelwütige Leute. Dann merkt man schon, dass das ne enorme Anzahl von Datenträgern ist. Sprecher Die Berliner Strafverfolger sind überlastet. Sie haben zwar das Einlesen der Missbrauchs-DVDs automatisiert. Aber die Polizisten müssen das beschlagnahmte Material per Hand sichten - und zwar möglichst vollständig: Nur so lassen sich Indizien finden für private oder kommerzielle Kinderporno-Produzenten. Und nur so lässt sich ausreichend Beweismaterial finden für ein Gerichtsverfahren. O-Ton Ivers Also ich sag mal so: Der normale kriminalpolizeiliche Sachbearbeiter bei uns wird so 50 Prozent des Tages damit verbringen, sich Bild- und Videomaterial anzugucken. Das ist also auch eine anstrengende Tätigkeit. Es gibt sicherlich sehr unappetitliches Material, das hängt mit dem Alter des Opfers zusammen, das hängt auch oftmals damit zusammen, ob man Geräusche hört, also so ein Schreien ist sehr unangenehm. O-Ton Dobbrow Also es ist natürlich schwieriger, sich Missbrauchsvideos anzusehen, wenn man das Opfer kennt. Das ist natürlich auch belastend, wenn halt Babys missbraucht werden. Oder wenn die Kinder vielleicht aussehen wie die eigenen Kinder. Musik 3 Sprecher Flüchtige Webseiten. Geschlossene Benutzergruppen. Und eine nicht endende Datenflut. Die Polizei klagt über eine weitere Ermittlungshürde: das Verbot der Vorratsdatenspeicherung. Der Hintergrund: Bislang konnten die Strafverfolger die offenen Tauschforen nach Kinderporno-Schlagworten scannen. Die Schlagworte führten zu den IP-Nummern der Tauschpartner, also zu den Adressen der Computer im Internet. Die IP-Nummern wurden bislang von den Serverbetreibern erfasst und abgelegt. Doch im vergangenen März hat das Bundesverfassungsgericht diese Vorratsdatenspeicherung untersagt. Jörg Ziercke, der Präsident des Bundeskriminalamtes, zeigte sich daraufhin frustriert: Nun könnten auf diesem Wege keine Kinderporno-Nutzer mehr gefasst werden. O-Ton Ziercke Wir haben im Bereich der Kinderpornografie einen Fall, von dem wir definitiv wissen, dass ein Vater einen Säugling missbraucht, wir haben die IP-Adresse, aber wir können ihn nicht identifizieren. Sprecher Netzaktivisten halten solche Aussagen allerdings für Populismus. Constanze Kurz ist Sprecherin des Chaos Computer Clubs in Deutschland und Sachverständige der Internet-Enquetekommission des Bundestages. Die IT-Expertin erklärt, dass es bereits vor Einführung der Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2008 eine gute Aufklärungsquote bei der Kinderpornografie gegeben habe. Spezialistin Kurz hält das BKA-Beispiel mit dem verbrecherischen Vater deshalb für Meinungsmache. O-Ton Kurz Es ist natürlich sehr schade, wenn der Präsident des Bundeskriminalamtes solche Einzelfälle rauszieht, wo ein offensichtliches Versagen in der Ermittlungsarbeit stattfindet. Wenn sie wissen, er hat Filme oder Bilder hochgeladen und sie können ihn dafür nicht dingfest machen. Aber damit, mit so einem Einzelbeispiel die Vorratsdatenspeicherung zu fordern, ist natürlich gegenüber all den 80 Millionen Menschen, die hier unbescholtene Bürger sind, einfach infam. Atmo Demo Freiheit statt Angst! Freiheit statt Angst! 006 ... dann drauf: Sprecher Die Debatte um die Bekämpfung der Kinderpornografie ist hoch politisch. Denn letztlich geht es um die Freiheit des Internets. Zwei Lager stehen sich in der Diskussion gegenüber. Auf der einen Seite: Netzaktivisten, die maximale Meinungs- Freiheit fordern. Auf der anderen Seite: Polizisten und Politiker, die maximale Ermittlungs-Freiheit wollen. Im Fokus der Debatte steht nicht nur die Vorratsdatenspeicherung. Sondern auch die Idee, Internetsperren einzuführen. Den Auftakt für den jüngsten Streit gab die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen im April 2009 - fünf Monate vor der Bundestagswahl. Die damalige Bundesfamilien- und heutige Bundesarbeits-Ministerin präsentierte damals ein Projekt für neuartige Online-Sperren, das die Flut der Missbrauchs-Aufnahmen stoppen sollte. O-Ton von der Leyen Deshalb sagt heute die Politik gemeinsam mit dem Bundeskriminalamt und der Internetwirtschaft der Kinderpornografie im Internet konsequent den Kampf an. Wir unterzeichnen heute einen Vertrag, der den gemeinsamen Willen formuliert, den Zugang zu diesen grauenhaften Bildern zu blocken. Sprecher Die Sperrlisten sollten geheim sein, damit niemand gezielt nach den verbotenen Seiten suchen bzw. diese gezielt umgehen kann. BKA-Chef Ziercke räumte bei der Projektvorstellung allerdings ein, dass versierte Internetnutzer den Sperren tatsächlich ausweichen könnten. Aber Neukunden könnte man abschrecken, so der oberste deutsche Fahnder. O-Ton Ziercke Die Erfahrungen der norwegischen Kollegen, auch anderer, zeigen, dass diese Gelegenheitsuser, die die potentielle Käufergruppe ja darstellen, nicht die Umgehung suchen. Und das macht uns sicher, dass dieses Stoppschild eine abschreckende Wirkung haben wird. Video Zensursula Zensursula, was machst Du denn da? Zensursula, das ist doch wohl nicht wahr! Sprecher Doch die Politik hatte sich verrechnet. Die zumeist junge Internet-Community entfachte einen Sturm der Entrüstung - vor allem gegen Ministerin Ursula von der Leyen, gegen "Zensursula". Die Kinderporno-Sperren, warnten Aktivisten, könnten schnell weitere Internet-Sperren nach sich ziehen. Etwa gegen Glücksspiel oder gegen Tauschforen für Musikstücke und Filme. Die weit verbreitete Befürchtung: Online-Schranken würden einem Kontrollstaat Tür und Tor öffnen. Atmo Demo Freiheit statt Angst! Freiheit statt Angst! Sprecher Die Proteste im vergangenen Jahr beeindruckten die Politik. Im Sommer 2009 verabschiedete der Bundestag zwar das sogenannte Zugangserschwerungsgesetz, das die Sperrlisten vorsieht. Allerdings wird das Gesetz bis heute nicht angewendet. Der Grund: Nach der Bundestagswahl im September letzten Jahres hatte die FDP protestiert. Die Liberalen setzten in den Koalitionsverhandlungen durch, dass die schwarz-gelbe Regierung das Sperrlisten-Projekt nicht umsetzt. IT-Expertin Constanze Kurz bilanziert: Die Politik sei mit ihrem populistischen Zensur-Projekt gegen Kinderpornografie gescheitert. O-Ton Kurz Na, man kann sich ja natürlich überlegen, wie die Debatte mal entstanden ist. Und das es natürlich durch den Wahlkampf geprägt war. Und wir wissen, dass im Wahlkampf die Wahrheit immer weit weg ist. Und dass natürlich auch mit den Emotionen, dass die meisten Leute den Tausch oder auch nur die Vorstellung über solches Material absolut widerwärtig finden - mit diesen Emotionen wurde Wahlkampf gemacht, ganz massiv. Sprecher Doch nun droht die Debatte um Internetbarrieren erneut aufzuflammen. Denn die EU- Kommission plant, europaweite Sperrlisten einzuführen. Atmo Computer-Tastatur, Mausklick, Computerklong Sprecher Die Politik setzt gern auf Internet-Sperren, weil die Online-Barrieren schnell wirken. Die Löschung des Missbrauchs-Materials gilt zwar als nachhaltiger - ist aber viel aufwändiger. Vor allem, wenn Missbrauchsvideos auf ausländischen Servern gespeichert sind. In diesem Fall müssen die Strafverfolger nämlich einen hochbürokratischen Weg gehen bis zur Beseitigung der Dateien. So kann der Bonner Staatsanwalt Marko Thelen zwar seine Kollegen in den europäischen Schengen- Staaten direkt ansprechen. Doch bei allen anderen Staaten muss der Ermittler ein Rechtshilfeersuchen einleiten - ein Ersuchen, das erst einmal seinen Weg finden muss durch die deutsche Behörden-Hierarchie. O-Ton Thelen Dann gehen Sie von der örtlichen Staatsanwaltschaft zur Generalstaatsanwaltschaft mit Ihrem Rechtshilfeersuchen. Von der Generalstaatsanwaltschaft zum Justizministerium, vom Justizministerium des Landes zum Bundesamt für Justiz, von dort entweder unmittelbar in das jeweilige Land oder über das Auswärtige Amt - auf dem diplomatischen Wege - bis es dann erstmal in dem Land ankommt und dort auf dem selben Wege dann wieder nach unten geht. Da geht manchmal innerhalb weniger Wochen, ich habe aber auch schon Erfahrungen gesammelt, dass es Monate, wenn nicht Jahre gedauert hat. Sprecher Betroffene Ermittler klagen, dass die Rechtshilfeersuchen vor allem in osteuropäischen Staaten lange dauern. Besonders Russland reagiere zögerlich auf die Gesuche aus dem Ausland. O-Ton Thelen Es ist ähm ... es ist problematisch manchmal, ja. Sprecher Internet-Expertin Constanze Kurz schüttelt über den bürokratischen Aufwand den Kopf: Es gebe auch einen schnelleren Weg. So gehe der Chaos Computer Club Verdachtsfällen direkt nach, erklärt sie. O-Ton Kurz Wir schreiben ne simple Email an denjenigen, der diesen Server betreibt. Und in der Regel ist das binnen weniger Stunden vom Netz. Weil natürlich in diesen Ländern auch die Strafbarkeit gegeben ist. Da frage ich mich doch: Wieso können das unsere Polizeibeamten nicht? O-Ton Thelen Das Problem daran ist, dass wir nicht - weder als Polizeibeamte noch als Justizbedienstete - unmittelbar mit dem Ausland kommunizieren dürfen. Wir dürfen es einfach nicht. Sprecher Der Staatsanwalt verweist auf die rechtlichen Regelungen außerhalb des Schengen- Raumes: O-Ton Thelen Es ist uns untersagt, Vornahme von Amtshandlungen oder Kontakt zu Dritten im Ausland zu suchen als deutsche Ermittler. Sprecher Das Löschen von Kinderpornografie stößt nicht nur auf bürokratische Hürden. Häufig gibt es auch Probleme, den ausländischen Server-Betreiber zu ermitteln. Und wird bei einer Telekommunikations-Firma die Tilgung der Daten beantragt, muss oft nachgehakt werden. Dieser Recherche-Aufwand schreckt viele Medienwächter ab. So geriet kürzlich das EU-weite Hotline-Netzwerk "Inhope" in die Kritik. Denn die Inhope-Kontrolleure melden die illegalen Seiten oft einfach nur der Polizei - anstatt die Löschung zu veranlassen. Die Polizei ist aber häufig selbst überlastet und kommt nicht um langwierige Rechtshilfeersuchen herum. Die Kinderpornos bleiben somit lange Zeit online. Musik Sprecher Sind schnelle Sperrlisten also doch effektiver? Staatsanwälte, wie Marko Thelen, bilanzieren resigniert: Letztlich mache es keinen Unterschied, ob die Missbrauchsdateien gesperrt oder gelöscht werden. O-Ton Thelen Der Inhalt der Seiten ist auf einer Vielzahl von Servern gespeichert, als Ersatz. Sodass die Frage des Sperrens einer Seite nicht wahnsinnig viel bringt. Genauso wie das Löschen der Seite. Weil drei Tage später haben Sie die Seite unter anderer Bezeichnung absolut inhaltsgleich wieder im Netz gehabt. Natürlich ist Sperren oder Löschen - sind beides gangbare Wege, um mal ein kurzfristiges Ärgernis zu produzieren. Allerdings dauerhaft wird man das Problem damit nicht aus dem Weg bekommen. Sprecher Laut bundesweiter Kriminalstatistik ist seit Einführung des Internets die Zahl der Kinderporno-Delikte stetig angestiegen. Höhepunkt war das Jahr 2007 mit rund 8000 Tatverdächtigen, die das Material erworben bzw. besessen haben sollen. 2008 und 2009 sank die Zahl der Verdächtigen in Deutschland wieder. Experten deuten die Entwicklung folgendermaßen: Ermittelt die Polizei besonders intensiv, werden auch viele Kinderpornonutzer erwischt. Ermittelt sie eher in anderen kriminellen Szenen, werden weniger pädophile User gefasst. Atmo Computer-Tastatur, Mausklick, Computerklong O-Ton Bosinski Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Der Besitz von Kinderpornografie ist erst seit Mitte der 90er-Jahre strafbar in Deutschland. Bis dahin war es so, dass Männer sich derartige Materialien im Ausland, wo es frei verkäuflich war, beispielsweise in Holland ... Das haben sich die Männer dort besorgt. Es gab diesen Markt immer, er ist durch das Internet nur offensichtlicher und deutlich besser vernetzt. Sprecher Professor Hartmut Bosinski ist Pädophilie-Forscher. Der Kieler Mediziner erinnert daran, dass Öffentlichkeit und Wissenschaft erst seit der sexuellen Revolution offen über Pädophilie und Kinderpornografie diskutieren. Die Aufklärung der Gesellschaft habe messbare Fortschritte gebracht. O-Ton Bosinski Noch in den 50er-Jahren waren die Haupttätergruppe Jugendliche und Heranwachsende, also über 14-Jährige bis 25-Jährige. Und ganz häufig fanden sich dabei Täter, die ein Kind missbraucht haben, weil sie mal ein nacktes Mädchen sehen wollten. Das ist heute nun nicht mehr nötig, sag ich einmal. Sie können ja kaum den Fernseher anmachen, ohne mal ne nackte Frau zu sehen. Sprecher Der Wissenschaftler räumt ein, dass die 68er durchaus eine zwiespältige Rolle gespielt haben: Einige ihrer Vertreter hätten - in unverantwortlicher Weise - die freie Liebe zu Kindern propagiert und praktiziert. Bosinski denkt dabei auch an die Missbrauchs-Debatte um pädophile Reformpädagogen - etwa an der hessischen Odenwald-Schule. O-Ton Bosinski Dass es Trittbrettfahrer gab, die versuchten, ihre pädophilen Neigungen unter dem Deckmantel der sexuellen Liberalisierung durchzubringen - all das ist sicher unstrittig. Aber genauso unstrittig ist, dass die sexuelle Liberalisierung dazu geführt hat, dass wir uns dem Thema überhaupt offen diskutierend zuwenden können. O-Ton Matthias Wenn man sich im Prinzip Bilder anguckt im Internet spielt ja auch der Kopf irgendwie ne große Rolle. Man sagt sich denn eben: Okay, dit und dit machst Du jetzt mit det Kind. Sprecher Matthias Schmück, der 35-jährige Kinderporno-Nutzer aus Berlin. O-Ton Matthias Man redet sich da auch ein, das die Kinder das eben so ooch wollen. Man guckt sich ja keene Bilder an, wo ein Kind ..äh.. Tränen in den Augen hat, sondern lächelt. Und eben im Prinzip nicht schreien. Ich sag mal, bei manchen Videos hast Du eben die Schnapsflaschen im Hintergrund gesehen. Die hat man eben denn sich nicht angeguckt, sondern die wirklich optisch vernünftig dargestellt worden sind. Man denkt sich das im Prinzip schön. Sprecher Was weiß die Forschung über Männer, die sich zu Kindern hingezogen fühlen? Pädophilie ist eine psychische Störung, eine abweichende sexuelle Präferenz. Wie und warum sie entsteht - darüber rätselt die Wissenschaft noch. Ebenso unklar ist der Hang vieler Männer, sich sowohl durch "normale" als auch von Kinderpornografie erregen zu lassen. Mediziner nennen dieses Phänomen pädophile Nebenströmung. Ob Gelegenheits- oder Intensiv-Nutzer - beide Gruppen zeigen häufig Suchtstrukturen: Sie wollen immer neue Missbrauchs-Aufnahmen sehen. Typische Rechtfertigung in der Szene: Es sei immer noch besser, ersatzweise die Missbrauchs-Filme anzugucken, als selbst ein Kind zu missbrauchen. Medizinprofessor Bosinski geht allerdings vom Gegenteil aus: Das Angucken wecke den Wunsch nach mehr. O-Ton Bosinski Wir wissen zwar nicht, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass jemand, der aufgrund einer pädophilen Neigung Kinderpornos benutzt, auch später zum eigenhändigen Täter wird. Aber dass die Wahrscheinlichkeit, dass dann auch einmal selbst erleben zu wollen, also auch selbst einen Missbrauch zu begehen, wesentlich höher ist als bei Männern, die keine Kinderpornos benutzen, dass die Wahrscheinlichkeit dafür höher ist, ist völlig unstrittig und auch empirisch belegt. Insofern würde ich jedem, der sagt "Ich gucke ja nur Kinderpornos" dringend raten, sich in entsprechende Behandlung zu begeben und Techniken zu erlernen, die verhindern, dass er das weiter tut. Atmo Charite 006, dann Text drauf: Sprecher Berlin-Mitte, in einem Altbau der Berliner Charité. Ein Warteraum mit Neonlampen, gläsernen Tischen und schwarzen Kunstlederstühlen. Hier treffen sich zwanghafte Kinderpornonutzer - zur Therapie. Sie nehmen an einem Pilotprojekt teil, das die Ärztin Janina Neutze konzipiert hat. Die Sexualmedizinerin weiß: Pädophilie ist nicht heilbar. Aber die Patienten können lernen, ihr Surfen im Internet zu kontrollieren. Und sich in die Opfer hinein zu versetzen. O-Ton Neutze Wir nutzen Rollenspiele, wo sozusagen die Szenen, die auf den Abbildungen zu sehen sind, tatsächlich nachgespielt werden. Und der Nutzer in die Rolle des Kindes schlüpft. Wir haben das sogar schon gemacht mit der konkreten Nachstellung der Filmsituation. Das heißt, nicht nur dass die sexuelle Interaktion im Rollenspiel nachgespielt wird, sondern dass dabei auch ne Kamera läuft und das Ganze aufgenommen wird. Sprecher Auch der Berliner Kinderporno-Konsument Matthias Schmück hat sich in Therapie begeben. Zwei Mal hatte ihn die Polizei erwischt. Und zwei Mal hatte ihn ein Gericht verurteilt - jeweils zu einer vierstelligen Geldstrafe. Nun trifft sich Schmück mit anderen Pädophilen in einem Berliner Sozialverein, um seine Sucht in den Griff zu bekommen. O-Ton Matthias Bei mir im Kopf ist es natürlich so, zu sagen: Okay, ich will nicht vor den Leuten stehen, vor der Gruppe stehen und sagen: Jungs, ich war vorige Woche im Netz und habe mir Kinderpornos angeguckt. Das ist für mich irgendwo auch eine Motivation, zu sagen: Okay, ich will die Jungs hier nicht enttäuschen und auch die Therapeuten nicht enttäuschen. Sprecher Trotz der Therapieangebote bleiben viele Experten besorgt. Experten wie Sigrid Richter-Unger von der Berliner Hilfseinrichtung "Kind im Zentrum". Die Kindertherapeutin warnt: Die meisten Straftäter blieben unerkannt. Zudem gebe es viel zu wenig Beratungsstellen in Deutschland. Werde nicht intensiver ermittelt, therapiert und aufgeklärt, gebe es ständig neue Opfer: missbrauchte Kinder, die noch Jahrzehnte später unter ihren Traumata leiden. O-Ton Richter-Unger Also Opfer laufen schon häufig durch die Strassen oder lernen eben jemanden irgendwo kennen und überlegen: Hat der mich vielleicht im Internet gesehen? Könnte das sein? Warum redet der mich jetzt an zum Beispiel? Warum geht der auf mich zu? Weil der vielleicht irgendwas von mir gesehen hat? Also das ist schon ne zusätzliche schlimme Situation. Atmo Computer-Tastatur, Mausklick, Computerklong Sprecher Gerissene Kinderporno-Händler. Geheime Pädophilen-Tauschforen. Machtlose Polizisten. Planlose Politiker. Die verbrecherischen Aufnahmen kursieren weiter im World Wide Web. Der Missbrauch scheint nicht zu stoppen zu sein. Sprecher vom Dienst Missbrauch per Mausklick Kinderpornografie überschwemmt das Internet Ein Feature von Jens Rosbach Es sprach: Markus Hoffmann Ton: Philipp Adelmann Regie: Klaus-Michael Klingsporn Redaktion: Stephan Pape Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 1