COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. DeutschlandRadio Kultur Wortspiel Red.: Dorothea Westphal Maike Albath 23.09.08 Frühstück mit Truman Capote. Ein Schriftsteller wird berühmt Regie: O-Ton Dokument Capote, mit Overvoice und Musik im Hintergrund, O-1 "Truman Capote, why do you come to Studio 54 - Truman Capote, warum kommen Sie ins Studio 54? -Are we on air? - Sind wir schon auf Sendung? - Ja. - Also, warum ich den Club 54 mag ... Es ist wirklich ein Nachtclub der Zukunft. Regie: O-Ton Gerald Clarke (voice over)/ Sprecher, O-2 Truman war sehr verführerisch. Nicht unbedingt in sexueller Hinsicht, er war ein verführerischer Mensch. Regie: Musik, Marilyn Monroe, "I wanna be loved by you ... ", CD2, Track 6 (M1), ab 0'42- 0'51, Schnitt Regie: O-Ton Gerald Clarke (voice over)/ Sprecher, O-3 Ihn kümmerte einfach gar nichts. Er wusste, dass er einzigartig war, er ergötzte sich an seinen Auftritten, er liebte das. Regie: Atmo, O-4 Atmo Capote (Partygeräusche, "Why, I don't think you have to be honest ... I am not nearly that controversial) Regie: O-Ton Gerald Clarke (voice over)/ Sprecher, O-5 Er war ein wunderbares Lästermaul. Ihn hat alles interessiert. Sex. Alles. Das Problem war, dass man nicht auf seine Verschwiegenheit zählen konnte. Wenn man ein Geheimnis hatte, war man gut beraten, es nicht Truman Capote anzuvertrauen. Regie: Musik, Count Basie, One o'clock jump, Encyclopedia of Jazz, CD1, Track 2, ab 0'37 (M2) Autorin (auf Musik): New York, Park Avenue, Ecke 87ste Straße. Im Herbst 1942 zog Truman Capote, achtzehn Jahre alt, aufgewachsen in Monroeville/ Alabama, New York und Connecticut, mit seiner Mutter Nina und seinem Stiefvater Joe zurück in die Stadt. Truman musste sein letztes High School-Jahr wiederholen, interessierte sich aber vor allem für das Nachtleben. Seine Homosexualität trug er offen zur Schau. Er liebte die Gesellschaft junger Frauen und umgab sich mit einem ganzen Tross von flatterhaften, ätherischen Geschöpfen, mit denen er von Bar zu Bar zog. Regie: Musik kurz hoch, dann übergehend in Straßenatmo Autorin (auf Atmo) Tagsüber schrieb Truman Capote Kurzgeschichten. Er wusste genau, was er wollte: er wollte Schriftsteller werden. Und zwar nicht irgendein Schriftsteller, sondern ein berühmter Schriftsteller. Doch erst einmal wurde er Redaktionsgehilfe bei der Zeitschrift New Yorker, spitzte Bleistifte und wickelte die zänkische Bürovorsteherin Daise Terry um den Finger, was noch niemand geschafft hatte. Mit seinen Erzählungen konnte Capote beim New Yorker allerdings nicht landen. Der Journalist Gerald Clarke, ein lässiger Typ um die sechzig, eng mit Capote befreundet und Verfasser einer dicken Capote-Biographie, schlendert die 43ste Straße West hinunter, wo die Redaktionsräume des New Yorkers lagen. Hier ging auch sein Freund oft lang. Regie: O-Ton Gerald Clarke (voice over)/ Sprecher, O-6 Truman Capote war ein sehr kleiner Mann. Als er jung war, hatte er helles blondes Haar, er besaß etwas Ephebenhaftes, er sah aus wie ein Elf, wie ein Kind. Die Leute dachten auch oft, er sei ein Kind. Edna Ferber, eine berühmte amerikanische Schriftstellerin, sie hat den Roman Showboat geschrieben, ging eines Tages zu einer Party von Capotes Verleger. Natürlich war Truman auch eingeladen. Nach einer Weile murmelte Edna ihrem Nachbarn zu, "Ich finde es fürchterlich, dass sie aus Mangel an Männern dieses Mal sogar ihre eigenen Kinder einladen mussten". Und Truman war damals über zwanzig. Autorin: Er rannte mit Schlapphüten herum, trug lila Krawatten, rosa Hemden und rote Socken. In den vierziger Jahren eine Provokation. Ein langer Schal flatterte hinter ihm her, und manchmal war er mit einem kläffenden Hündchen unterwegs, das aussah wie eine Puderquaste. Regie: O-Ton Gerald Clarke (voice over)/ Sprecher, O-7 Er war also sehr klein, und er hatte eine lustige Stimme. Keine Lispelstimme, eine kindliche Stimme. Eines Tages kam er zu mir, unsere Sommerhäuser auf Long Island lagen ganz nahe beieinander, und er musste ein Ferngespräch führen. Truman rief bei der Vermittlung an und stellte einige Fragen, damals gab es natürlich zehntausende von Telefonisten, und die Dame von der Vermittlung, der er seinen Namen nicht genannt hatte, antwortete ihm "Ja, Mr. Capote", und er sagte zu mir, "Woher wusste diese Person, wer ich bin?" Aber natürlich kannte man in ganz Amerika die Stimme von Truman Capote. Er war so berühmt wie der Präsident. Regie: O-Ton Capote, Lesung, frei stehen lassen, dann voice over/ Zitator, O-8 Wir saßen auf der Veranda, wo das Tuttifrutti auf unseren Tellern schmolz, als plötzlich, gerade als wir wünschten, es würde etwas passieren, wirklich etwas passierte: denn aus dem roten Straßenstaub tauchte Miss Bobitt auf: Ein drahtiges kleines Mädchen in einem gestärkten zitronengelben Festkleid, das mit Erwachsenengehabe anspaziert kam, die eine Hand an der Hüfte, in der anderen einen altjüngferlichen Schirm. Ihre Mutter, die zwei Pappkoffer und ein aufziehbares Grammophon schleppte, folgte weiter hinten. Sie war eine hagere, ungepflegte Frau mit leeren Augen und einem hungrigen Lächeln. (übersetzt von Ursula Maria Mössner) Regie: O-9, frei stehen lassen, dann voice over Regie: O-Ton Capote voice over/ Zitator, O-9 Billy Bob und die anderen Buben folgten uns hinunter zum Gartentor. Ihren Gesichtern nach hätte man meinen können, sie hätten noch nie ein Mädchen gesehen. Jedenfalls keines wie Miss Bobbit. Wie Tante El sagte, wer hatte denn schon einmal von einem Kind gehört, das sich schminkte? Pomade verlieh ihren Lippen einen orangefarbenen Glanz, ihr Haar bestand, ähnlich einer Allongeperücke, aus einer Fülle rosaroter Locken, und ihre Augen waren mit einem Stift wissend nach oben verlängert; dennoch besaß sie eine spröde Würde, sie war eine Dame und, was noch wichtiger ist, sie sah einem in die Augen mit der Direktheit eines Mannes: "Ich bin Miss Lily Jane Bobbit, Miss Bobitt aus Memphis, Tennessee", sagte sie feierlich. (übersetzt von Ursula Maria Mössner) Autorin: Miss Bobitt aus der Erzählung "Kindergeburtstag" ist ein früh gealtertes Mädchen, das für die Erwachsenen Sorge trägt, eine Empfindung, die Capote aus seinem eigenen Leben kannte. Nina, seine Mutter, war eine Südstaatenschönheit mit einer Neigung zu harten Drinks, die von mütterlicher Fürsorge nichts wissen wollte und ihren kleinen Sohn über Jahre bei Verwandten unterbrachte. Auch der Vater kümmerte sich nicht. Nur bei seiner wunderlichen Tante Sook fand Truman Capote Trost. Alabama blieb für ihn ein Sehnsuchtsort, und 1944 kehrte er für einige Monate in seine alte Heimat zurück. Plötzlich stiegen Erinnerungen an seine Kindheit in ihm auf, und er schrieb seinen ersten Roman Andere Stimmen, andere Räume. Regie: O-Ton Gerald Clarke (voice over)/ Sprecher, O-10 Truman hatte eine sehr schwierige Kindheit, eine einsame Kindheit. Er wurde nicht materiell vernachlässigt, weder fehlte es ihm an Essen noch an einer Unterkunft, man hat ihn nicht verstoßen, aber er wurde emotional vernachlässigt. Er war ein komischer kleiner Kerl. Sehr zart, sehr hübsch, und andere Jungen, die nicht so hübsch und zart waren, haben sich über ihn lustig gemacht. Wie viele andere Kinder dachte sich Truman ein Phantasieleben aus. Und im Grunde hielt er sein ganzes Leben daran fest, er war ein großartiger Geschichtenerzähler und erfand etwas. Regie: Musik, Duke Ellington, "Take the A Train?, Encyclopedia of Jazz, CD1, Track 12 (M3) Autorin (auf Musik): 1945 siedelte Capote wieder nach New York über, und jetzt hatte er bei dem Modemagazin Harper's Baazar mit seinen Kurzgeschichten Glück. Als drei Jahre später sein Romandebüt erschien, wird der zierliche Nachwuchsschriftsteller mit der spitzen Zunge endgültig zu einem unverzichtbaren Beiwerk jeder exklusiven Party. Mit seinem lyrischen Ton, der Pointiertheit und dem Gespür für seelische Abgründe hatte er auch literarisch viel zu bieten. Aber vor allem wusste er, wie man in der New Yorker Gesellschaft reüssierte: Fotos von Truman Capote, wie er sich lasziv auf der Chaiselongue räkelt oder juchzend in die Höhe springt, erschienen im Time Life-Magazine. Das Wunderkind aus Alabama war in aller Munde. Regie: O-Ton Gerald Clarke (voice over)/ Sprecher, O-11 Truman hatte die Fähigkeit, sehr schnell Freundschaft zu schließen. Er besaß die große Gabe, sich für denjenigen zu interessieren, mit dem er sprach. Wenn jemand ihn interviewte, wusste Truman am Ende oft mehr über den Reporter als der Reporter über ihn. Truman fragte ihn nach seinem Leben aus, und er gab selbst sehr persönliche Dinge von sich preis. Ich habe ja viele lange Interviews mit ihm geführt, und manchmal hatte ich das Gefühl, viel zu kühl zu sein, wenn ich ihm nicht antwortete und nicht auch etwas von mir erzählte. Also vertrauten ihm die Leute viel an. Er war sehr verführerisch. Nicht unbedingt in sexueller Hinsicht, er war einfach ein verführerischer Mensch. Truman konnte mit Geschäftsleuten sprechen, Tycoons, Konzernchefs, richtig harten Typen, die sich nur für Golf, Geschäfte und Geldverdienen interessierten. Aber am Ende des Abends lagen sie ihm zu Füßen. Regie: Musik, Cab Calloway, Minnie in the Moocher, Encyclopedia of Jazz, Track 6 (M4) Autorin (auf Musik): Kein Wunder, dass Capote 1958 eine Heldin erfindet, die auf die Männerwelt eine ähnliche Wirkung hat: die betörende Holly Golightly, bildhübsch, schlagfertig und von rührender Arglosigkeit. Frühstück bei Tiffany nannte er seinen melancholischen Kurzroman, denn Holly bekämpft Anfälle von Schwermut mit Besuchen bei dem Juwelier auf der Fifth Avenue. Auch der junge Schriftsteller und Ich-Erzähler ist hingerissen von seiner Nachbarin. Zitator: Plötzlich wurde ans Fenster gepocht, etwas geisterhaft Graues war kurz zu sehen: ich verschüttete den Whiskey. Es dauerte ein Weilchen, bis ich mich dazu überwinden konnte, das Fenster zu öffnen und Miss Golightly zu fragen, was sie wollte. "Ich habe einen ganz schrecklichen Mann unten", sagte sie und stieg von der Feuertreppe ins Zimmer. "Ich meine, er ist süß, wenn er nicht betrunken ist, aber wenn er erst mal anfängt, den vino zu schlucken, oh Gott, quel Biest! Wenn ich eines hasse, sind es Männer, die beißen." Sie schob einen grauen Flanellmorgenrock von der Schulter, um mir den Beweis dafür zu zeigen, was passiert, wenn ein Mann beißt. Der Morgenrock war alles, was sie anhatte. "Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe. Aber als das Biest so lästig wurde, bin ich einfach aus dem Fenster geklettert. Ich glaube, er denkt, ich bin im Badezimmer, wobei mir völlig Schnurz ist, was er denkt, zum Teufel mit ihm, irgendwann wird er einschlafen, mein Gott, muss er auch, acht Martinis vor dem Essen und genug Wein, um einen Elefanten zu waschen. Hören Sie, Sie können mich rauswerfen, wenn Sie wollen. Reichlich unverschämt von mir, hier so reinzuplatzen. Aber die Feuertreppe war verdammt eisig. Und Sie haben so gemütlich ausgesehen." (übersetzt von Heidi Zernig) Regie: O-Ton Gerald Clarke (voice over)/ Sprecher, O-12 Holly Golightly war eine Frau aus einer ganz speziellen Zeit, nämlich der Zeit des Zweiten Weltkrieges, Frauen wie sie gibt es heute nicht mehr. Sie war zusammengesetzt aus sechs oder sieben jungen Frauen, die Truman damals kannte, Teenager, Mädchen Anfang zwanzig. Sehr stilvoll, frech, mit losen Sitten, es ging darum, sich zu amüsieren. Holly war sexuell eher locker, was nicht heißt, dass sie eine Prostituierte oder ein Callgirl gewesen wäre, aber zu einem gewissen Preis war sie zu haben. Dass Frühstück bei Tiffany in dieser ganz bestimmten Phase angesiedelt ist, wird von dem Kinofilm nicht berücksichtigt. Der Film mit Audrey Hepburn wurde 1962 gedreht, das war eine völlig andere Periode, und von der Zeit der Vierziger spürt man eigentlich nichts. Der Film ist eine wundervolle leichte Komödie, ich glaube jeder liebt Frühstück bei Tiffany. Regie: Atmo, Frühstück bei Tiffany ( ... when you ever get that reds? ... If I could find a place that would make me feel like Tiffany's ... ), O-13 Autorin (auf Filmatmo): Trumans Wunschbesetzung für Holly Golightly war allerdings gar nicht Audrey Hepburn. Er hatte für die Rolle eine andere Frau im Kopf, mit der er sich manchmal traf und auf Partys tanzte, obwohl sie zwei Köpfe größer war als er. Marilyn Monroe! Regie: Musik, Marilyn Monroe, "A fine romance? CD1, Track 4 (M5) Autorin (auf Musik, langsam blenden): In ihrer absichtsvollen Hilflosigkeit erinnert Marilyn Monroe an Capotes Holly Golightly. Ganz Amerika verfiel diesem Mädchen im Handumdrehen. Als Frühstück bei Tiffany 1958 in die Buchhandlungen kam, brach ein Rummel los, wie er selbst für New York ungewöhnlich war. Der schmale Roman werde bald ein "kleiner Klassiker" sein, prophezeite Norman Mailer etwas neidisch. Aber Truman Capote ließ sich von seinem Erfolg nicht blenden - literarisch blieb er kompromisslos. Er wusste um seine lückenhafte Bildung und wollte sich auch ästhetisch entwickeln. Regie: O-Ton Gerald Clarke (voice over)/ Sprecher, O-14 Als junger Schriftsteller besaß Truman eine sehr lyrische Sprache. Es war ein sehr guter Anfang, aber als Truman älter wurde, veränderte und entwickelte sich auch sein Stil, er wurde spartanischer. Er hat ganz bewusst an einem schmuckloseren Stil gearbeitet. In seinem dokumentarischen Roman Kaltblütig fand er dann seinen Ton. Ein klarer, einfacher Stil. Regie: Musik Frühstück bei Tiffany (M6) Autorin (auf Musik): Schon im Jahr nach der Veröffentlichung von Frühstück bei Tiffany fühlte sich Capote ausgebrannt und leer. Hinter ihm lag eine ereignisreiche Zeit: lange Aufenthalte in Europa, Theaterinszenierungen, ein Film, Reportagen, intensive Schreibphasen. Aber er hatte genug von den leichtlebigen Partygirls und den champagnertrunkenen Kurzgeschichten. Er war auf der Suche. Regie: O-Ton Gerald Clarke (voice over)/ Sprecher, O-15 1959 arbeitete Truman an einem Roman, der Erhörte Gebete heißen sollte. Die Sache lief nicht gut. Er erzählte mir später, dass er damals eine unglaubliche Gier auf Sachbücher entwickelte. Er suchte nach etwas, das mit Fakten zu tun hatte. Und eines Tages Mitte November schlug er die New York Times auf und entdeckte im hinteren Teil der Zeitung, ich meine, es sei auf Seite 36 gewesen, eine kurze Meldung über einen Mord an einer vierköpfigen Familie in Kansas City. Plötzlich machte es Klick. Sein Interesse war geweckt. Truman sprach mit dem Chefredakteur des New Yorkers und wollte nach Kansas fahren, um eine Reportage zu verfassen. Die Mörder waren ja noch nicht gefasst, und man wusste überhaupt nicht, ob man sie jemals finden würde. Aber Truman war sich sicher, dass es spannend sein könnte, über die Reaktionen der Leute in dieser Kleinstadt in Kansas zu schreiben, schließlich war er selbst in einer Kleinstadt aufgewachsen und wusste, wie man dort mit solchen Dingen umging. Das ist die Entstehungsgeschichte seines Romans Kaltblütig. Als er dort ankam, veränderte sich nämlich die Lage, die Mörder wurden gefasst. Im Laufe einiger Wochen stellte sich heraus, dass er den Stoff für ein Buch hatte und dass daraus ein großartiges Buch werden könnte. Zitator: "Wohin führt die?", fragte der Sheriff und deutete auf eine zweite Tür. Er ging voran, aber drinnen war es so dunkel, dass man die Hand nicht vor Augen sehen konnte, bis Mr. Ewalt den Lichtschalter fand. In dieser Gegend installieren die Leute einfach einen Heizkessel und pumpen das Gas direkt aus der Erde. Das kostet sie keinen Cent - darum sind die Häuser auch alle völlig überheizt. Tja, ich warf einen Blick auf Mr. Clutter und mochte eigentlich kein zweites Mal hinschauen. Mir war klar, dass so viel Blut unmöglich von einem Schuss herrühren konnte. Und ich sollte recht behalten. Zwar hatte man ihm, genau wie Kenyon, mitten ins Gesicht geschossen. Aber da war er vermutlich schon tot. Jedenfalls so gut wie. Der Täter hatte ihm nämlich außerdem die Kehle durchgeschnitten. Er trug einen gestreiften Schlafanzug - sonst nichts. Sein Mund war zugeklebt, der ganze Kopf mit Klebeband umwickelt. Seine Füße waren gefesselt, seine Hände nicht - möglicherweise war es ihm irgendwie gelungen, den Strick zu zerreißen, mit dem man ihm die Hände zusammen gebunden hatte. Er lag vor dem Kessel ausgestreckt. (Übersetzt von Thomas Mohr) Regie: Atmo Capote (Mr. Dewey? I am Truman Capote, New Yorker. I wondered if we could have a little interview?) O-16 Regie: O-Ton Gerald Clarke (voice over)/ Sprecher, O-17 Truman kam einem der beiden Mörder sehr nahe, Perry Smith. Perry wollte auch Schriftsteller werden, so wie Truman Capote. Truman half ihm ein bisschen und freundete sich mit Perry an. Gleichzeitig wollte er, dass er starb. Denn nur mit Perrys Tod, zu dem er für das Verbrechen verurteilt worden war, hätte er sein Buch beenden können. Truman befand sich also in einem moralischen Dilemma und stand extrem unter Druck. Der Prozess ging nach dem Schuldspruch noch fünf Jahre weiter, denn die Mörder gingen in Berufung und mussten vor verschiedenen Gerichten erscheinen, die Vollstreckung des Urteils wurde immer wieder verschoben. Während dieser Zeit zerbrach etwas in Truman, der Bogen war überspannt worden, das hat er mir erzählt. Und als er dann zusah, wie die beiden Mörder gehängt wurden, erschütterte ihn das bis ins Mark. Er sagte zu mir: "Ich glaube, es hat mich getötet. Es hat mich getötet". Und in gewisser Weise stimmt das. Danach hat er nie wieder ernsthaft arbeiten können. Er hat schöne Sachen geschrieben, aber keinen großen Roman mehr. Er hat sich davon nie erholt. Und er war jung, als Kaltblütig 1965 erschien, erst einundvierzig. Autorin: Kaltblütig war ein Coup. Der dokumentarische Charakter, die Vermischung von Fakten und Fiktion, das spannungsreich arrangierte Stimmen-Mosaik aller Beteiligten und die unheimliche Nähe zu den Tätern, wodurch Capote das Böse umkreist und eine Düsternis wie in einer griechischen Tragödie erzeugt, waren etwas Neues in der amerikanischen Literatur und wurden auch für den Journalismus stilbildend. 1966, mit zweiundvierzig Jahren, war Truman Capote auf dem Zenith seines Erfolges angekommen. Jetzt ging es darum, seine Ängste zu vergessen. Regie: Musik, Benny Goodman, "Stompin at the Savoy?, Encyclopedia of Jazz, CD1, Track 18 (M7) Autorin (auf Musik): Er wollte seinen Ruhm genießen und das Geld mit beiden Händen ausgeben. Höchste Zeit für eine Party! Capote mietete den Ballsaal des Plaza und feierte am 28. November den "Black and White Ball", der im ganzen Land Schlagzeilen machte. Als der Einlass an der Fifth Avenue begann, wurde das Radioprogramm unterbrochen. Schaulustige begutachteten die Roben der Geladenen und drängelten sich am Eingang, das Fernsehen berichtete live. Die Gästeliste reichte von Lauren Bacall, Henry Ford, Henry Fonda, Andy Warhol und Thornton Wilder bis zu dem frisch verheirateten Ehepaar Mia Farrow und Frank Sinatra, drei Präsidententöchtern, einem Maharadscha, verschiedenen Herzögen und einigen Farmern aus Holocomb. Truman Capote war ein Star. Regie: O-Ton Dokument Capote, mit Overvoice und Musik, O-18 "Truman Capote, why do you come to Studio 54 - Truman Capote, warum kommen Sie ins Studio 54? -Are we on air? - Sind wir schon auf Sendung? - Ja. - Also, warum ich den Club 54 mag ... Es ist wirklich ein Nachtclub der Zukunft. Es ist eine Art Gipfelpunkt dessen, wohin sich Nachtclubs im Laufe der letzten zehn Jahre hinentwickelt haben ... Ich meine, hier gibt es keine Schranken mehr, weder in sexueller, noch in ethnischer Hinsicht. Hier gibt es Jungs mit Jungs, Mädchen mit Mädchen, Mädchen mit Jungs, Maultiere mit Migranten, alles ist möglich. Regie: Musik, Bee Gees, "Stain alive?, Saturday Nightfever, Track 1 (M8) Autorin (auf Musik): Truman Capote wurde wieder der allseits beliebte partyboy. Er ging mit Jackie Kennedy aus, tröstete die steinreiche Babe Pailey über die Untreue ihres Ehemannes hinweg oder kaufte mit der Herausgeberin der Washington Post Kay Graham neue Kleider. Im Sommer ließ er sich von der FIAT-Familie Agnelli auf deren Yacht einladen und schickte indiskrete Telegramme um den Erdball, wenn sich Trennungen oder neue Liebschaften anbahnten. Er trank, nahm Drogen, taumelte von Exzess zu Exzess. Die Boulevardpresse weidete sich genüsslich an seinen Abstürzen; von dem Schriftsteller Capote sprach man kaum mehr. Mitte der siebziger Jahre plante er ein Buch über den amerikanischen Geldadel. Einen Schlüsselroman. Regie: O-Ton Gerald Clarke (voice over)/ Sprecher, O-19 Wir hatten beide Häuser auf Long Island, ganz in der Nähe der Atlantikküste, und im Sommer 1975 saßen wir eines Tages bei Freunden an einem Swimmingpool. Er gab mir ein Kapitel seines unveröffentlichten Manuskriptes, es hieß La Côtes Basques nach einem bekannten New Yorker Restaurant. Ich las es. Ich lag auf einer Chaiselongue, Truman paddelte auf einer Luftmatratze im Pool herum, es war ein heller, warmer Tag mit wolkenlosem Himmel, ein perfekter Sommertag. Ich erkannte einige der Leute, die sich hinter den Figuren verbargen, bei anderen sagte mir Truman, um wen es sich handelte. Als ich fertig war, sagte ich zu Truman: "Du weißt, dass diese Leute nicht sehr glücklich sein werden, wenn sie das lesen?" Er antwortete: "Ach was, sie werden sich ja gar nicht wieder erkennen". Aber natürlich erkannten sie sich wieder. Zitator: Altes texanisches Sprichwort: Frauen sind wie Klapperschlangen - zuletzt stirbt der Schwanz. Einige Frauen sind ihr Leben lang dazu bereit, für einen Fick alles in Kauf zu nehmen; und Miss Langman blieb, wie ich höre, eine Enthusiastin, bis ein Schlaganfall sie umbrachte. Oder wie Kate McCloud gesagt hat: "Eine wirklich gute Nummer ist eine Reise um den Globus wert - in mehr als einer Beziehung". Und Kate McCloud hat, wie wir alle wissen, zu diesem Thema einiges zu sagen: wenn aus ihr so viele Stängel herausstehen würden, wie in sie hineingesteckt worden sind, dann würde die gute Kate aussehen wie ein Stachelschwein. (übersetzt von Heidi Zernig) Regie: O-Ton Gerald Clarke (voice over)/ Sprecher, O-20 Warum hat er das getan? Er besaß damals eine selbst zerstörerische Tendenz, das war ganz klar. Er hatte den Eindruck, wie ein Hofnarr behandelt worden zu sein. Er ging in hochherrschaftlichen Häusern ein und aus, bei den Agnellis in Turin, es waren Paläste, aber er fühlte sich als Hofnarr. Sie verstanden ihn als Entertainer und nicht als Künstler, der er aber war. Eine Woche, bevor dieses Romankapitel in einer Zeitschrift erschien, sprach ich in New York mit Leuten, die mir versicherten, wie sehr sie Truman liebten. Kurze Zeit später schnitten sie ihn. Dieser kleine Junge aus Alabama, der so einen rasanten Aufstieg hingelegt hatte, stürzte in die Tiefe. Das war schmerzhaft. Regie: Musik, The velvet underground, Track 19, ab 0'38-0'52, oder Coleman Hawkins, "How deep is he ocean", Encyclopedia of Jazz, CD1, Track 20, M9 Autorin (auf Musik) Jetzt ging alles den Bach runter. Truman soff, kokste und stopfte sich mit Medikamenten voll, bis er am Morgen des 25. August 1984 nicht mehr aufwachte, sechzig Jahre alt, verachtet und als Schriftsteller vergessen. Gerald Clarke und Capotes jahrzehntelanger Partner Jack Dunphy richteten die Beerdigungsfeier aus. Erst als 2004 in einer Pappschachtel sieben Schulhefte auftauchten, die sich als Truman Capotes unveröffentlichtes Debüt entpuppten, erinnerte man sich wieder an ihn. Plötzlich setzte eine Renaissance ein. Sommerdiebe heißt die sprühende Geschichte über eine frühe Liebe, die ebenso schlecht endet, wie das Leben von Truman Capote. Zitator: Gump, Clyde und sogar Peter, sie waren aneinandergefesselt durch sprachlose, taube Verzückung - es lag Freude in dem stumpfsinnigen Krachen von Clydes Fäusten, und während das Auto mit quietschenden Reifen die Third Avenue hochschoss, Hochbahnpfeilern auswich und sich nicht um rote Ampeln scherte, starrte Grady stumm vor sich hin, wie ein benommener Vogel, der gegen Wände und Glas geprallt ist. (übersetzt von Heidi Zernig) Regie: O-Ton Gerald Clarke (voice over)/ Sprecher, O-21 Er hat immer das Scheinwerferlicht geliebt. Sein ganzes Leben lang. Regie: Musik, Marilyn Monroe, "I wanna be loved by you", ab 0'58, M1 Zitator: Denn wenn Panik ausbricht, verfängt sich der Verstand wie die Reißleine eines Fallschirms: man fällt immer weiter. Das Auto bog rechts in die Neunundfünfzigste und schlidderte auf die Queensboro Bridge; und dort, über dem dumpfen Tuten der Schiffe auf dem Fluss und an einem Morgen, dessen Farben am Himmel er nie sehen sollte, schrie Gump: "Verdammt, du wirst uns umbringen", aber er konnte ihre Hände nicht vom Lenkrad lösen: sie sagte: "Ich weiß". (übersetzt von Heidi Zernig) 1