DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Feature am Dienstag Dienstag, 27.10.2015 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 ? 20.00 Uhr Jadal - Kontroverse Ein Zufluchtsort in Amman Von Christoph Burgmer URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo Skype Wähltöne, Wortfetzen, Publikum, etc. (Collage) Autor Auf einem Betonpodest im vorderen Teil des Innenhofs hat Fadi am Nachmittag eine kleine Leinwand an einem Ständer befestigt. Das Podest dient an anderen Tagen als Bühne. Arabische Jazz-, Rock- oder Folkgruppen spielen dann hier, Gedichtlesungen und Podiumsdiskussionen finden statt. Die Zuhörer heute sitzen so wie ich auf Teppichen und weiter hinten dicht gedrängt in Stuhlreihen. In letzter Minute wurde ein Beamer organisiert, auf einen erhöhten Tisch mitten ins Publikum gestellt. Fadi hat ihn noch mit seinem Laptop verkabelt. Das Team des Jadal, des einzigen politischen Kulturzentrums in Jordaniens Hauptstadt Amman, ist nun soweit. O-Ton Fadi ?Since I opened until now?was not helping me so?? Sprecher 2 ?Seit ich hier eröffnet habe, kämpfe ich darum, eine offizielle Lizenz für das Projekt zu bekommen. Das ist ein sehr komplizierter Prozess in Jordanien. Man benötigt beglaubigte Papiere von verschiedenen Regierungsstellen. Der Hausbesitzer hat mich auch nicht unterstützt...? Ansage Jadal ? Kontroverse Ein Zufluchtsort in Amman Ein Feature von Christoph Burgmer O-Ton Fadi ?It took a lot of time to collect?like I will not let anyone to close this place.? Sprecher 2 ?Es hat sehr lange gedauert alle Papiere zusammen zu bekommen. Als ich den Antrag endlich in der zuständigen Stelle abgegeben hatte, sagte man mir, dass man in der nächsten Woche kommen und das Gebäude begutachten würde. Und ich habe auf sie gewartet. Doch dann ist der Termin Woche für Woche verschoben worden. Da hatten wir schon längst geöffnet. Ich war so beschäftigt, dass ich mich irgendwann nicht mehr dafür interessiert habe. Irgendwann hat man mir mitgeteilt, dass die Unterlagen verloren gegangen wären. Ich war schockiert. Wie konnte es sein, dass sie die Unterlagen, für die ich ein Jahr gebraucht hatte, um sie zusammen zu bekommen, einfach verloren haben. Daraufhin habe ich beschlossen, auf die Lizenz zu scheißen. Und in dem Fall, dass sie Jadal zumachen, ich kämpfen und das niemals zulassen würde.? Autor Fadi ist 33 Jahre alt. Ein drahtiger Mann von 1,75 m. Ich habe ihn zum ersten Mal Ende 2011 auf dem Tahrir Platz in Kairo getroffen. Er war mit einem Freund aus Jordanien gekommen, um sich mit den Schabab, den jugendlichen ägyptischen Revolutionären, auszutauschen, von ihren Ideen und Strategien etwas für die jordanische Demokratiebewegung zu übernehmen. O-Ton Fadi ?It took a lot of time to collect?like I will not let anyone to close this place.? Sprecher 2 ?Freunde haben mich dann überzeugt, die Papiere noch einmal zu besorgen. Vor sechs Monaten habe ich sie abgegeben. Die Stadtverwaltung nennt mir immer wieder neue Termine. Aber niemand kommt. Sie finden immer wieder Entschuldigungen.? Atmo der Stadt Autor Amman, die Hauptstadt Jordaniens zieht sich weitläufig über eine Hügellandschaft. Es ist eine rasant wachsende Millionenmetropole. Eine Stadt die ähnlich den modernen US-amerikanischen Großstädten nur für den Autoverkehr geplant zu sein scheint. Ausnahme ist das überschaubare, aber belebte Zentrum. Nur dort habe ich noch das Gefühl in einer typisch arabischen Stadt zu sein. In den 30er-Jahren war Amman noch ein Dorf mit 400 Einwohnern, heute gibt es hier in einem Gewirr kleiner Straßen und Gassen Geschäfte, Restaurants und Bars. Dieses Zentrum liegt in einer Senke und ist von drei steil ansteigenden Hügeln umschlossen, auf deren Höhen sich die Wohnbezirke Jabal Wabda und Jabal Amman befinden. Will man sie zu Fuß erreichen, muss man steile Treppen hinaufsteigen. Das Café Jadal liegt an der ältesten dieser Steigen. O-Ton Fadi ?It was just by chance?so it was an alternative.? Sprecher 2 ?Das Haus haben wir mit Glück gefunden. Ein Freund war gerade aus Ägypten gekommen und eines Abends saßen wir zusammen und haben in der Zeitung nach einem Haus gesucht. Dann haben wir die Anzeige von einem Haus mit sieben Schlafzimmern in Gabel Wabda gefunden. Er ist hingefahren und hat mich angerufen: Ich müsse sofort kommen und mir das anschauen. Ich war beeindruckt. Denn solche Häuser habe ich hier noch nicht gesehen. Es ist in klassischer syrischer Architektur mit einem offenen Innenhof gebaut und 1933 errichtet worden. Für Amman ist das sehr alt. Und der Besitzer verstand nicht, was ein Kulturzentrum sein sollte. Und es hat ihn auch nicht interessiert. Aber es sollte etwas sein, was sozial akzeptiert ist. Es ist eine konservative Familie. Die interessante Frage war, ob Männer und Frauen sich dort gemeinsam aufhalten würden. Ich sagte, es sei keine Moschee. Dennoch war er einverstanden. Er interessierte sich nur für das Geld. Ich habe das Haus dann gemietet und wir haben es ein Jahr lang instand gesetzt. Ich dachte an ein kulturelles Projekt. Es war eine wirkliche Gelegenheit, denn ich wusste nicht so recht, was ich machen sollte. Ich hatte ja meine Arbeit aufgegeben. Es war also eine Alternative.? Autor Nach 2012 entstanden in Amman einige unabhängige Galerien und kulturelle Projekte, die sich mit Kunst und deren Vermarktung beschäftigen. Jadal dagegen ist nicht nur ein Kulturcafé, sondern eher ein alternatives politisches Zentrum. Das arabische Wort Jadal bedeutet Wissen, aber auch Kontroverse. Seit der Eröffnung haben insbesondere syrische Flüchtlinge in Jadal einen Treffpunkt gefunden. Sprecherin 1: In den vergangen drei Jahren sind hunderttausende Syrier vor dem Krieg nach Jordanien geflohen. Das Hohe Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nation, UNHCR, geht von knapp 750.000 aus. Dazu kommt noch einmal eine geschätzte Zahl von 200.000 Flüchtlingen, die sich im Land aufhalten und nicht vom UNHCR registriert und unterstützt werden. Während die meisten Flüchtlinge in großen Lagern insbesondere im Norden des Landes in Zelt- und Containerstädten leben müssen, haben Zehntausende in den großen Städten des Landes Unterschlupf gesucht. Ihre Situation ist häufig prekär. Sie dürfen nicht arbeiten und halten sich mit Schwarzarbeit über Wasser. Autor: Hektisch läuft Fadi, der Gründer von Jadal, an diesem Sommerabend zwischen den Besuchern hin und her. Fast hundert Personen haben sich in der vergangenen Stunde durch die schmale Holztür in den engen Innenhof gedrängt. Sie erwarten offenbar etwas Besonderes. Jeder Platz bis in die hinterste Ecke ist besetzt. Die Bänke und Tische, die an normalen Tagen als Ausstattung des Cafés dienen, waren schon am Vormittag weggeräumt worden. Atmo und Gespräche, mehrstimmig, Übertragung per Skype aus dem Lager? in Damaskus Atmo: Internet Skype 2 O-Ton Ayham 1 (arabisch) Sprecher 3 ?Ich heiße Ayham Ahmed und habe an der Universität Homs Musikerziehung studiert. Ich mache Musik auf der Straße. Unter den Umständen hier verstehen die Leute Straßenmusik, was sonst nicht üblich ist. Seit 2013 spielen wir schon auf der Straße. Wir machen zusammen mit den Kindern des Lagers Musik und übertragen die Konzerte online. Denn das Lager ist von der Außenwelt abgeschlossen und wir mussten mit vielen Problemen kämpfen. Auch damit, dass die Internetverbindung ständig untergebrochen ist. Aber wir haben es immer wieder geschafft. Ich bin Palästinenser aus Syrien und wohne im Lager. Der Krieg hier ist nicht unser Krieg und wir haben nichts mit ihm zu tun. Dennoch wird das Lager ständig angegriffen.? Autor: Kristina ist die einzige Mitarbeiterin, die seit der Eröffnung 2012 ohne Unterbrechung in Jadal arbeitet. Aufgewachsen in Riga als Kind eines syrischen Vaters und einer lettischen Mutter organisiert sie alle öffentlichen Veranstaltungen. Heute ist für sie ein besonderer Tag. Nach über einer Stunde ist es ihr von Jadal aus endlich gelungen, eine Internet-Verbindung nach Damaskus herzustellen. Geplant ist ein Musikkonzert via Internet aus Yarmouk. Sprecherin 1: Yarmouk ist ein Stadtteil von Damaskus, acht Kilometer südlich vom Stadtzentrum. 1948 flohen tausende Palästinenser vor dem Krieg zwischen Israel und seinen Nachbarstaaten dorthin. Für die Palästinenser ist Yarmouk das größte Flüchtlingslager in Syrien. Es ist nicht offiziell vom syrischen Staat anerkannt, sondern gilt als normaler Stadtteil der Hauptstadt Damaskus. Da hier offiziell 112.550 von der UNO seit 1948 registrierte Palästinenser leben, bezeichnen es die Palästinenser als Lager. Autor: Jetzt steht die Verbindung nach Yarmouk, aber noch ohne Ton. Von der jordanischen in die syrische Hauptstadt: 200 Kilometer, eine Entfernung wie von Hamburg nach Berlin, denke ich. Hier Frieden, dort Krieg. Wir sehen auf der Leinwand einen jungen Mann vor seinem Laptop sitzen, auf dem Dach eines Hauses in Yarmouk. Atmo ?Hallo, Hallo?? Sprecherin 1: Seit Beginn der syrischen Revolution 2011 war Yarmouk immer wieder Schauplatz von Kämpfen. Im April 2015 überrannte der Islamische Staat den Stadtteil. Heftige Gefechte zwischen der syrischen Armee, aber auch mit der Freien Syrischen Armee und deren palästinensischen Verbündeten legten Yarmouk in Schutt und Asche. Die Versorgung brach zusammen. Hunger, Krankheiten, Häuserkämpfe und Luftangriffe terrorisierten die Menschen. Die meisten Bewohner flohen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bezeichnete Yarmouk Mitte 2015 als ?Todeslager?. O-Ton Ayham 2 (arabisch) Sprecher 3 ?Ich bin Ayham Ahmed aus dem Lager Yarmouk und spiele Klavier in den Straßen. Das Klavier war bislang hier ein unbekanntes Instrument. Aber trotzdem bringen wir damit Hoffnung an einen Ort der Zerstörung, einen Ort, der belagert ist und in dem es sonst keine Hoffnung gibt. Seit drei Jahren ist Yarmouk belagert. Ich wollte etwas anderes mit den Kindern machen als es die Welt um uns herum tut. Jetzt ist alles zerstört, und wir können nur noch in Häusern, in geschlossenen Räumen und auf den Dächern Musik machen.? O-Ton Kristina (arabisch): Sprecherin 2 ?Ayman, was bedeutet die Musik unter diesen Umständen?? O-Ton Ayham 3 (arabisch) Sprecher 3: ?Wir spielen Musik, die vom Leiden im Lager erzählt. Wir spielen Musik, denn wir gehören zur arabischen Gesellschaft im Nahen Osten. Musik war immer Teil unseres Lebens. Aber das Wichtigste ist, dass Musik Ausdruck unserer Hoffnung ist. Wir leben noch! Ich und meine Familie leben noch und ich hoffe, mit der Musik etwas bewirken zu können. Wenn Mohamed oder andere Kinder mit mir singen, empfinden sie Hoffnung. So Gott will werden wir überleben. Seit drei Jahren machen wir das jetzt schon.? O-Ton Kristina (leise, arabisch) Sprecherin 2 ?Kannst du uns etwas von der aktuellen Situation im Camp erzählen?? O-Ton Ayham (arabisch) Sprecher 3: ?Könnt ihr mich hören?? O-Ton Kristina (leise arabisch): Sprecherin 2 ?Ja, wir hören dich. Wie ist die Situation jetzt im Lager?? O-Ton Ayham Sprecher 3 ?Kannst du es bitte wiederholen, denn der Ton ist sehr schlecht.? O-Ton Kristina (leise arabisch): Sprecherin 2: ?Wie ist die Situation jetzt im Lager?? O-Ton Ayham 4 (arabisch) Sprecher 3 ?Wir gehen in die umliegenden Gebiete, um Nahrungsmittel zu bekommen, die als Spenden geschickt werden. Seit 2015 kommen Spenden an, aber immer nur mit Unterbrechungen wegen der Kämpfe. Ich habe zwei Kinder. Wir haben den letzten Karton mit Lebensmitteln im Februar bekommen. Die Spenden reichen nicht. Es gibt keine Elektrizität und kein Wasser. Es gibt kein Leben.? Autor: Ayham lässt die Kamera seines Laptops langsam über das Wohnviertel kreisen. Ich sehe auf der kleinen Leinwand eine völlig zerstörte Stadtlandschaft, Ruinen, die an Berlin 1945 oder Kabul 2001 erinnern. Menschen sind nicht zu sehen. Ein Gast im Jadal steht spontan auf und fragt, wie man helfen könne. Ob man Geld oder andere Dinge schicken solle. O-Ton Ayham 5 (arabisch) Sprecher 3 ?Nein, vielen Dank. Wir wollen nichts, außer dass es euch gut geht. Wir brauchen absolut nichts. Sie würden es sowieso nicht durchlassen. Gott ist großzügig. Es gibt viele Initiativen, die Hilfslieferungen und Geld zur Unterstützung der Leute hierher schicken wollen. Aber das macht keinen Unterschied. Absolut keinen Unterschied. Nur etwa fünf Prozent der Hilfslieferungen erreichen uns. Ich will den Leuten nicht sagen, sie sollen kein Geld mehr schicken. Aber bei Gott, es kommt nicht an. Das Lager ist zu einem Schwarzmarkt geworden. Und die Schwarzmarkthändler wollen nicht, dass die Krise aufhört. Und so hört die Krise auch nicht auf. Ich habe versucht zusammen mit einem Freund einen Karton Nahrungsmittel zu bekommen. Aber das ist gefährlich. Bis wir da rankommen, sind wir vielleicht schon tot. Und selbst wenn wir einen Karton bekommen. Was machen 5kg Reis, 5kg Zucker und 5kg Öl schon für einen Unterschied?? Atmo: typische Wähltöne von Skype Auto Als Ayham spielen will, ist die Internetverbindung unterbrochen. Die Gäste im Jadal sind schockiert. O-Ton Besucherin 1 Sprecherin 1: ?Ich finde die Veranstaltung hier tief beeindruckend. Aus der Mitte des Lagers Yarmouk. Jeder von uns hört, was dort passiert, jeder versucht, sich vorzustellen, wie sie dort überleben. Die Worte der Lieder erreichen jeden. Musik berührt tiefer als ein geschriebener Text oder selbst ein Roman, in dem die Situation beschrieben wird. Wir beten und hoffen inständig, dass sie durchhalten und dass die Situation sich bald ändert. Ich bin Jordanierin, aber für uns sind Palästinenser und Jordanier dasselbe.? O-Ton Besucher 2 Sprecher 4 : ?Ich bin Palästinenser und komme ursprünglich aus Haifa. Ein Teil meiner Familie ist noch in Haifa. Ich war mehr als 40-mal im Lager Yarmouk. Ich habe Freunde, die jetzt dort sind, und ich habe seit einer ganzen Weile nichts mehr von ihnen gehört. Die Veranstaltung heute ist eine Chance, etwas von Yarmouk zu sehen und zu hören, etwas von der Zerstörung dort, etwas von der Gewalt und der Tyrannei, der die Palästinenser in Yarmouk ausgesetzt sind. Die Musik und der Gesang aus der Mitte all dieser Zerstörung ist das einzige Licht und Ayham will, dass seine Botschaft die Welt erreicht.? Besucher 4 Sprecher 2: ?Normale Jordanier tun viel wegen der Krise in Syrien. Sie fühlen sich mit ihren arabischen Nachbarn verbunden. Das Mindeste, was man tun kann, ist zuzuhören, wenn Leute versuchen, etwas zu sagen, vor allem Leute, die unter Druck stehen und die sich in einer ausweglosen Situation befinden. Wenn Ayham ein Konzert geben will und Leute aus Jadal das organisiert haben, sollten wir auf jeden Fall hingehen und es uns anhören, damit etwas Gutes daraus entsteht, damit es einen Schimmer von Hoffnung gibt.? Atmo: typische Wähltöne von Skype Autor: Schon seit einer Stunde versucht Kristina, die Internetverbindung nach Damaskus wieder herzustellen. Die ersten Besucher werden ungeduldig und gehen. Ich komme mit einer Gruppe Frauen ins Gespräch. In den offiziellen Medien in Jordanien wird niemals über Jadal berichtet, erzählen sie mir. Die 16.000 Follower auf Facebook bilden deshalb eine alternative Öffentlichkeit. Besucherin 5 Sprecherin 1: ?Wir haben per Facebook von der Veranstaltung gehört. Uns alle geht das an, sowohl als Menschen als auch als Araber. Auch um zu sagen, dass sein Leben einen Wert hat. Ich komme aus Dira?a in Syrien, mein Vater ist Jordanier mit palästinensischem Hintergrund. Aber für mich bedeutet diese Identität überhaupt nichts. Es wäre für mich das Gleiche, wenn dies im Libanon oder in Ägypten oder sonst wo passieren würde.? O-Ton Kristina (arabisch an Besucher 6) Sprecherin 2: ?Die Hälfte ist schon gegangen, aber die andere Hälfte ist noch da, um Ayham zu hören?.? O-Ton Ayham (arabisch an Besucher 6) Sprecher 3: ?Grüße an alle... Die Gruppe ist noch hier, aber ich brauche fünf Minuten zur Vorbereitung, nur fünf Minuten... Das Internet ist zurück. Ich weiß nicht, warum mehrere Netze ausgefallen sind, alles nur um unser Konzert zu unterbrechen...? Atmo Musik vom Konzert O-Ton Fadi ?They do not have experience?we talked about the nuclear and how bad it is for the environment, blablabla.? Sprecher 2: ?Es gibt keine Erfahrung mit solchen Projekten. Überall wo ich wegen der Lizenz hinkomme, fragt man sich, was das soll. Bekommst du Geld? Man glaubt nicht, dass ich Jadal nicht aus kommerziellen Gründen betreibe. Deshalb gibt es für Jadal bis heute auch keine Lizenz. Sie können uns jederzeit schließen. Ich glaube, dass dahinter der Geheimdienst steckt. Es ist ihre Art, Projekte und Initiativen in Jordanien indirekt zu bekämpfen. Sie haben natürlich kein Interesse an öffentlichen Auseinandersetzungen. Man will nicht schlecht in der Öffentlichkeit dastehen. Deshalb nutzt man Schleichwege. Ich erinnere mich, dass wir eine gemeinsame Aktion mit Greenpeace hier im Jadal hatten. Wir organisierten ein Konzert, um über das Atomkraftwerk, das in Jordanien geplant ist, aufzuklären und uns dagegen auszusprechen. Am Tag des Konzerts habe ich fünf Anrufe von unterschiedlichen Sicherheitsbüros im Land erhalten. Sie drohten Jadal zu schließen, wenn das Konzert stattfinden würde. Ich sagte ihnen, dass ich nicht der Veranstalter sei, sondern für das Konzert nur die Räumlichkeiten zur Verfügung stelle. Sie sollten mit den Organisatoren sprechen. Das taten sie auch und sagten, dass Greenpeace nicht alle Papiere hätte, um in Jordanien solche Aktivitäten durchzuführen. Sie sagten nicht, dass das Konzert nicht stattfinden könnte. Sie benutzen solche Papierprobleme. Am Ende fand das Konzert doch statt. 200-300 Leute kamen und diskutierten über die Auswirkungen der Atomkraft auf die Natur.? Sprecherin 1: In der jordanischen Gesellschaft brachen 2011 Spannungen auf. Inspiriert vom ?Arabischen Frühling? in Tunesien und Ägypten demonstrierten Arbeiter, Angestellte und jugendliche Aktivisten für mehr politische Rechte und soziale Gerechtigkeit. Ein Schlagwort war der Ausverkauf des Landes. Denn die tiefere Ursache für den Protest war, wie in vielen arabischen Ländern seit 1999, eine radikale Privatisierungspolitik. Das haschemitische Königshaus geriet dadurch zunehmend in wirtschaftliche und auch politische Abhängigkeit der reichen Golf Staaten, insbesondere vom übermächtigen Nachbarn Saudi-Arabien. Durch die Privatisierung zahlreicher staatlicher Betriebe hatte sich zudem die soziale Situation der Arbeiter und der Mittelklasse dramatisch verschlechtert. Die Jugendarbeitslosigkeit stieg sprunghaft auf über 50 Prozent an. Anders jedoch als in Ägypten und Tunesien gab es 2011 kaum Forderungen nach dem Sturz des Regimes. Das Königshaus reagierte besonnen auf die Proteste. Jede Machtdemonstration und der Einsatz von Gewalt gegen Demonstranten wurde vermieden. Doch bis heute sind die Spannungen in der Gesellschaft spürbar. Über 35 Prozent der Bevölkerung sind unter 15 Jahre. Es leben fast 1,5 Millionen Flüchtlinge aus dem Irak, Syrien und Libanon sowie fast eine Millionen Arbeitsmigranten, zumeist illegal beschäftigt, in Jordanien. Von den knapp 6,5 Millionen Einwohnern sind fast vierzig Prozent palästinensischer Herkunft. In der Hauptstadt Amman bilden sie mit fast 90 Prozent die Bevölkerungsmehrheit. Viele Palästinenser stehen dem ?Arabischen Frühling? ablehnend gegenüber. Für sie steht der Palästinakonflikt mit Israel im Vordergrund. Autor: Fadi erzählt mir, dass er seinen Job als Bauingenieur in der Stadtverwaltung Ammans nach sechs Jahren gekündigt und an den Demonstrationen teilgenommen hatte. Doch schon bald verwandelte sich sein demokratischer Traum in die Angst vor gewalttätigen Auseinandersetzungen. Das Risiko, durch einen Sturz des Regimes einen Krieg wie in Syrien auszulösen, in dem ethnische und religiöse Identitäten als Vorwand für totalitäre Ideologien instrumentalisiert würden, schien ihm zu groß. Der Syrienkrieg spaltete die demokratische Bewegung. Linke und säkulare Kräfte solidarisierten sich mit dem Assad Regime, während vor allem die Muslimbrüder die Freie Armee unterstützten. Den meisten Schabab, den jugendlichen Aktivisten wie Fadi, schien keines von Beiden eine Perspektive zu sein. Sie zogen sich zurück und suchten nach Alternativen. O-Ton Fadi ?One of the main goals?I?m learning a lot from this experiment.? Sprecher 2: ?Eines der wichtigsten Ziele von unserem Kulturcafé Jadal ist die Herstellung einer Community. Ein anarchistisches Modellprojekt ohne Hierarchien. Es ist ein Experiment, um zu sehen, ob es funktioniert. Kann man eine solche, wenn auch kleine Gemeinschaft im Jadal aufbauen? Ich lerne sehr viel von diesem Experiment.? Autor: Doch solche Experimente sind auch in Jordanien politisch brisant. Als im Jadal ein Hebräisch-Sprachkurs angeboten wurde und man Filme israelischer Regisseure zeigte, verbreiteten sich gefährliche Gerüchte: im Jadal werde Spionage für Israel betrieben. O-Ton Fadi ?They were also fighting me through spreading rumors around in the city?you know to make them against me, I don?t know. It?s my theory. I have no prove at all.? Sprecher 2: ?Sie bekämpften mich und verbreiteten Gerüchte, dass das Zentrum für Israelis geöffnet würde und das Israelis in Jadal verkehren würden. Und dass ich Beziehungen zwischen Syrern und Israelis herstellen würde. Das haben einige islamistische Aktivisten öffentlich bekannt gegeben, ebenso, dass wir hier israelische Filme zeigen. Überall in der Stadt wurde es verbreitet. Ich habe trotzdem weiter gemacht. Irgendwann haben sie aufgehört bis auf einen, der mir Kriminelle aus den palästinensischen Lagern geschickt hat, damit sie mich zusammenschlagen sollen. Er erzählte ihnen dieselbe Geschichte und sagte, dass die Palästinenser sich gegen solche Verräter wehren müssten. Ich hatte jedoch Glück, weil einer dieser Kriminellen einen Freund von mir kannte, einen linken Journalisten, den er anrief und fragte, ob das alles stimmen würde. Dann wurden wir ausgeraubt. Zwei Laptops und andere Dinge wurden gestohlen. Gleichzeitig wurde verbreitet, dass wir Gelder von der syrischen Opposition erhalten würden. Das wurde in Kreisen verbreitet, die das syrische Regime von Amman aus unterstützen. Sie wollten unbedingt etwas gegen mich unternehmen. Es ist meine Theorie. Ich habe aber keinen Beweis dafür.? Autor: Vom jordanischen Staat wird jede Art alternativer politischer Aktivität misstrauisch beobachtet. Und durch administrative Maßnahmen gezielt erschwert. Spenden anzunehmen ist ohne Genehmigung verboten. Nimmt man Spenden aus dem Ausland an, gerät man in Verdacht der Spionage. Für Veranstaltungen darf kein Eintritt genommen werden, weil es keine Betriebslizenz gibt. Was Fadi bleibt, sind nur die Einnahmen aus dem Café, aus Sprachkursen oder Raumvermietungen an Initiativen. Deshalb sind viele Aktivitäten insbesondere für syrische Flüchtlinge ehrenamtlich. O-Ton Fadi ?And Jadal is one of the few places who support?increases this connection.? Sprecher 2: ?Jadal ist einer der wenigen Orte, an denen syrische Flüchtlinge durch kleine Projekte unterstützt werden. Es ist inzwischen bekannt, dass wenn jemand eine solche Initiative plant, man ihm sagt: Dann geh zu Jadal. Vor zwei Wochen kamen zwei Französinnen, die etwas mit syrischen Flüchtlingskindern in den Lagern machen wollten. Ich erzählte ihnen von unseren Projekten mit den Kindern und Familien in der Nachbarschaft und sie veranstalteten Workshops mit ihnen. Wir stellten dann die Kontakte zu NGOs in den Flüchtlingslagern her. Ihre Idee war, die Mütter zu unterstützen, ihnen Mittel zur Verfügung zu stellen, ihre Kinder gegenüber den unmenschlichen Bedingungen des Lagerlebens zu schützen. Sie sollten lernen, eine intensivere Beziehung zu den Kindern aufzubauen, weil viele traumatisiert sind. Sie organisierten Massage Workshops und erklärten den Müttern, wie sie eine Massage für Babys machen können. Diese Berührungen stärken die Beziehungen.? Autor: Jadal bietet eine breite Unterstützung für syrische Flüchtlinge an. Regelmäßig finden Yogakurse mit den syrischen Frauen statt. Für viele ist dieser Kurs die einzige freie Stunde in der Woche. Außerdem gibt es eine Gruppe für Mütter mit kleinen Kindern nach dem Pekip-Konzept. Diese Mütter haben durch ihre Erlebnisse im Krieg und auf der Flucht häufig die Gefühle für ihre Kinder verloren. Aber psychologische oder therapeutische Betreuung für Flüchtling gibt es in Amman sonst nicht. Atmo Hintergrund Kindergeräusche O-Ton Kristina ?So the children initiative we started around two years ago?they feel a little bit lost in space somehow.? Sprecherin 2: ?Vor 2 Jahren haben wir mit der Kinderinitiative begonnen. Am Anfang war es sehr chaotisch. In der Nachbarschaft haben einige syrische Familien gelebt, weil es hier günstige Wohnungen gibt. Sie hatten Kinder von eineinhalb bis 12 Jahren. Es gab viele Kinder und die Wohnungen sind winzig. Zuerst haben sie auf der Treppe gespielt bis sie uns entdeckten, Jadal, und hier auch willkommen waren. Irgendwann kamen sie jeden Tag. Dann haben wir mit Freunden überlegt, ob wir die Kinder nicht unterrichten könnten. Selbst die Zehn-, Elfjährigen wussten nicht, wo sie hier sind. Sie haben keine Vorstellungen von Grenzen und fühlten sich irgendwie verloren.? O-Ton Kinder 1 (arabisch) Sprecher 3: ?Ich heiße Do'aa und bin zehn Jahre alt. Ich komme aus Ost-Ghouta. Ich bin hier mit meiner Familie. Ich mag Jadal sehr, denn sie bringen uns hier etwas bei, wir lernen so viel. Seit einem Jahr kommen wir hierher. Aber wir sind schon drei Jahre hier. Sie bringen uns viel mehr bei und helfen uns besser als in der Schule.? O-Ton Kristina ?Then we decided to organize it somehow?to a different neighborhood.? Sprecherin 2: ?Dann begannen wir es systematisch zu organisieren, und sprachen mit den Kindern und auch mit den Eltern. Dabei stellten wir fest, dass keines der Kinder eine Schule besuchte. Am Anfang dachten wir OK. Aber die Kinder lernten so schnell und waren so fordernd, dass wir an unsere Grenzen kamen. Und obwohl wir von dem jordanischen Schulsystem nicht überzeugt sind, dachten wir, dass es besser sei als nichts. Wenn sie zurückgehen oder in ein anderes Land, haben sie vielleicht irgendetwas davon. Also haben wir mit den Eltern gesprochen. Das war sehr schwierig. Sie haben uns nicht getraut. Jordanier zu treffen, das hat ihnen Angst gemacht. Sie mussten ihre Isolation aufgeben, auf die Straße gehen. Es ist eine große Herausforderung für sie, die Kinder in ein anderes Stadtviertel in die Schule zu schicken.? Autor: In dem Nebenraum des Innenhofes sitzen sechs Kinder zwischen 8 und 12 Jahren um einen Tisch herum. Gerade ist die Arabischstunde vorüber. Ich will wissen, was sie später einmal werden wollen. Lehrerin und Anwältin, sagen sie, weil man dann Recht von Unrecht unterscheiden lerne. O-Ton Kristina ?Especially that all these families?plus we opened a kindergarten.? Sprecherin 2: ?Alle diese Familien kommen aus al Routa, einem Vorort von Damaskus. Die Eltern selbst sind Analphabeten. Insbesondere die Väter sagen, dass wenn sie nicht in der Schule gewesen seien, es für die Kinder auch nicht wichtig sei. Dafür will man kein Geld ausgeben. Also haben wir Gelder für das Projekt bei unseren Freunden und der Familie gesammelt. Im ersten Jahr haben wir 11 Kinder in die Schule geschickt. Die Schule in Jordanien ist zwar kostenlos. Aber man muss für den Transport, die Schuluniformen und das Material bezahlen. Pro Kind mussten wir ohne Transport schon 45 Euro rechnen. Nach der Schule sind die Kinder hierhergekommen. Zusätzlich haben wir einen Kindergarten eröffnet.? Autor: Syrer dürfen in Jordanien ohne Genehmigung keine Arbeit annehmen. Manche Väter versuchen deshalb schwarz zu arbeiten, greift man sie auf, werden sie ausgewiesen. Für die Frauen ist es dagegen einfacher. Sie können kochen, putzen oder andere Hausarbeiten machen. Das fällt weniger auf. So sind es die Frauen, die häufig das Einkommen für die Familie erwirtschaften. O-Ton Kristina ?We have the kindergarten three times per week?some kids were in our kindergarten.? Sprecherin 2: ?Wir öffnen den Kindergarten dreimal die Woche für jeweils drei Stunden. Manchmal kommen die Frauen einfach so vorbei, geben ihre Kinder ab und verschwinden. Wir hatten auch spezielle Programme für die älteren Kinder in den Schulferien. Es gab so viele psychologische Probleme. Manche Kinder konnten nicht viel sprechen, andere trauten sich nichts zu, andere wiederum waren extrem aggressiv. Viele waren durch den Krieg traumatisiert. Wenn die Kleinen ein Flugzeug hörten, haben sie sich versteckt. Wir machten alles, Massage? was auch immer uns einfiel. Mit der Zeit wurde die Beziehung zu den Kindern immer enger. Dann kam das zweite Jahr, dieses Jahr, und 27 Kinder konnten zur Schule gehen. Es waren sogar einige aus unserem Kindergarten dabei?? Autor: Inzwischen hat sich die Situation verändert. Ein Großteil der syrischen Flüchtlingsfamilien, die die meist baufälligen Häuser rund um das Kulturcafe Jadal bewohnt haben, sind vor zwei Monaten in die Lager in die Wüste an der Grenze zur Syrien zurückgekehrt. Heute sind die Kinder auf der steilen, alten Treppe verschwunden. Sprecherin 1: Anfang 2015 hat der jordanische Staat zusammen mit dem Hohen Flüchtlingskommissariat UNHCR Magnetausweise für syrische Flüchtlinge in den jordanischen Städten eingeführt. Nur mit dieser Karte hat man Zugang zur Gesundheitsvorsorge und kann seine Kinder in die Schule schicken. Selbst wenn man sich legal in Amman aufhält, muss man hohe Hürden überwinden, die Karte zu bekommen: Eine medizinische Untersuchung ist verpflichtend. Sie kostet pro Person knapp 40 ? und man muss den Nachweis erbringen, dass man sich legal in Amman aufhält. Jordanier können eine Kafala, eine Bürgschaft für Flüchtlinge übernehmen. Doch viele Jordanier lassen sich dafür bezahlen und die meisten syrischen Familien haben kein Geld. Autor: Ich weiß, dass häufig große Familien mit sieben bis zwölf Personen aus den Dörfern in der Gegend um Damaskus vor den Kämpfen fliehen. Wie sollen sie das Geld aufbringen? Eine Frau, die ich in Amman kennengelernt hatte, erzählte mir von den Lagern. Blechcontainer mitten in der Wüste, kein Baum, kein Strauch. Unerträgliche Hitze drinnen und draußen im Sommer, Kälte im Winter. Sprecherin 1: Wird eine Person ohne die Magnetkarte in Amman aufgegriffen, wird sie sofort nach Syrien ausgewiesen. Zeitgleich reduzierte die Weltgesundheitsorganisation WHO aus Geldmangel ihre finanzielle Unterstützung für Familien. Anstelle von 31 ? pro Person und Monat für Lebensmittel bekommt man jetzt noch 15 ?. Ein Liter Milch kostet in Amman 1,30 ?, 5 Kilo Reis oder Zucker je 12 ?. O-Ton Kristina ?It?s very empty now?increases this connection.? Sprecherin 2: ?Es ist jetzt sehr leer. Ein wenig wie in einer Geisterstadt. Die Kinder waren immer auf der Treppe. Jetzt ist alles sehr still und hässlich. Ich hoffe, sie werden eine positive Erinnerung an Jordanien haben. Denn die Kinder haben schlimme Erfahrungen mit Gewalt machen müssen. Niemand kümmert sich um sie. Sie werden benutzt und haben in der Situation keine andere Wahl.? Musik Ayham (arabisch) Sprecher 3 (Übersetzung Liedtext) ?Ich habe meinen Namen vergessen Ich habe die Buchstaben und die Maße vergessen Ich habe die Worte vergessen, mit denen ich meine Lieder singe Ich habe meine Stimme, mein Bild und selbst meinen Platz vergessen Ich habe den Weg zum Himmel vergessen, zu den Menschen, zu vergangenem Ruhm?? Musikakzent Autor: Zwei Torsos ineinander verkeilt. Wasserleitungen laufen durch Beine und Arme. Ein Henkerseil hängt an einem. Ich schaue mir die Ausstellung eines jungen syrischen Künstlers aus einem Flüchtlingslager an. In dem großen Raum mit einer Treppe, die auf eine Empore führt, sind über fünfzig Radierungen und Zeichnungen zu sehen. Alle handeln vom alltäglichen Elend des Krieges. Entstanden sind sie in den vergangenen zwei Jahren. Der Künstler lebt in einem Flüchtlingslager weit entfernt von Amman, sagt Fadi. In seinen Bildern ist das Innere der Menschen zu sehen, die Albträume, die die Realität erzeugt. Ein Blick in die innere Deformation jedes Einzelnen. Musik (Geiger) Autor: Ich sitze mit Hassan am Cafétisch. Seit drei Monaten lebt er im Jadal. Er hat eine Matte und einen Schlafsack in der kleinen Bibliothek, in der Bücher in zahlreichen Sprachen von einer besseren Welt erzählen. Die Bücher sind Geschenke von Besuchern und Unterstützern. Gelesen werden sie selten. Er wolle nicht über seine Flucht reden, sagt Hassan, sondern über die Lebens- und Arbeitsbedingungen syrischer Flüchtlinge in Amman. O-Ton Hassan ?I tried to work, but they used me a lot?to pay the rent.? Sprecher 4: ?Ich versuchte also Arbeit zu finden. Aber man hat mich nur ausgebeutet. Es gab nur Arbeit, die 12 oder 13 Stunden am Tag war, sieben Tage die Woche. Als ich nach einem Job für acht Stunden gefragt habe, haben sie mich ausgelacht und gesagt dass es sowas für uns nicht gibt. Ich musste darauf eingehen, weil ich Geld brauchte. Am Anfang habe ich in einer Schlachterei gearbeitet. Wir waren 13 Arbeiter. Im Monat habe ich 400 ? verdient. Ich habe ein Zimmer in einem Haus gemietet, es hat 300 ? im Monat gekostet. Ich musste schnell etwas finden, weil ich sonst obdachlos gewesen wäre. Einen Monat habe ich gearbeitet und musste zusätzlich Geld leihen, um die Miete zu bezahlen.? Autor: Hassan ist ein Flüchtling aus Syrien. Seinen wirklichen Namen darf ich nicht nennen. Er hat Angst, nach Syrien abgeschoben zu werden. Dann würde er sofort zum Militär eingezogen. Denn schon von 2007 bis 2009 hat er als Krankenpfleger in einem Militärkrankenhaus gearbeitet. Als man ihn 2012 einziehen wollte, ist er nach Jordanien geflohen. Sprecherin 1: Will man als Flüchtling offiziell in Jordanien arbeiten, muss man eine Genehmigung beantragen. Sie kostet 450? und ist ein Jahr gültig. Und sie gilt nur für einen Arbeitgeber. Der Name des Arbeitgebers wird in die Papiere eingetragen. Will oder muss man den Arbeitgeber wechseln, muss man eine neue Genehmigung beantragen und erneut 450 ? zahlen. Genehmigungen werden fast ausschließlich für niedrig qualifizierte Arbeiten z.B. als Hausmädchen, Reinigungskraft, als Arbeiter auf dem Bau, in den Fabriken oder in Restaurants erteilt. Und nur dann, wenn man einen jordanischen Bürgen vorweisen kann. O-Ton Hassan ?The best salary I got here?I had no money at all.? Sprecher 4: ?Den besten Verdienst hatte ich in einem Job in einer Fischfabrik. Dort habe ich 600 ? verdient. Die Fabrik war drei Stockwerke hoch und man arbeitete rund um die Uhr. Ich habe in der Nacht gearbeitet. Am schlechtesten bezahlt waren diejenigen, die die Fische vorbereiteten. Das haben die Ägypter gemacht, weil es noch schlechter bezahlt war und sie sowieso drei Jobs gemacht haben oder zwei Schichten hintereinander. Sie gaben dir das Gefühl, dass sie dich besitzen. Diese ganze Situation hatte mich in viele Schwierigkeiten gebracht. Ich war müde. Ich sagte, einfach fuck alles. Ich will nicht mehr so arbeiten. Das ist zu viel Erniedrigung. Dann hatte ich keine Wohnung und keine Arbeit mehr. Zuletzt bin ich einen Monat in einem billigen Hotel untergekommen. Und dann war mein Geld weg.? Autor: Sein letzter Zufluchtsort war Jadal. Hassan erzählt mir von seinen Eltern, die aus dem Golan stammen und 1973 vor dem Krieg mit Israel nach Damaskus flohen. Die Geschichten ihrer Flucht haben seine Kindheit begleitet. Er erzählt von seiner Schwester in Istanbul, seinem Bruder in Beirut. Die Familie sei über alle Kontinente verstreut. Und er erzählt mir von Afrika und seinem Traum, mit Tieren zu arbeiten. O-Ton Hassan ?28. I am 28 years old?but in the end like this is life.? Sprecher 4 ?Ich bin 28 Jahre alt. Ich denke jetzt, dass mir dasselbe wie meinen Eltern geschieht. Als ich nach Jordanien kam, dachte ich noch, dass meine Erfahrung anders sein wird als ihre. Nach einer Zeit aber hatte ich das Gefühl dasselbe durchzumachen wie sie. Das ist das Leben.? Atmo: Geiger Jadal Autor: Zwei Monate vor meinem Besuch wurden er und auch Fadi, der Gründer von Jadal, verhaftet. Sie verbrachten einige Tage im Gefängnis. Man hatte das Gerücht gestreut, im Jadal würden Drogen gehandelt. Doch über das Gefängnis wollen sie nicht sprechen. Fadi schaut mich lange an. ?Das Wichtige ist doch nur, die Leute zum Nachdenken zu bringen.? Und schließlich gäbe es erste Erfolge. An der Treppe haben erst kürzlich zwei weitere politische Projekte eröffnet. In einem werden alte Möbel gesammelt, restauriert und an Flüchtlingsfamilien weitergegeben. Das andere ist ein soziales Restaurant. Jeder, der dort Essen geht, zahlt für eine weitere Mahlzeit, die dann ein Flüchtling bekommt. O-Ton Fadi ?I would be in danger?built an alternative.? Sprecher 2: ?Ich wäre in Gefahr, wenn ich das Regime direkt kritisieren würde, oder seine Handlungen oder Politik. Ich bin nicht daran interessiert, die Regierung zu kritisieren. Mich interessiert die Überzeugung der Menschen. Die Werte der Menschen sind mir wichtiger als immer wieder nur zu kritisieren ohne Ende. Wir müssen ein neues Bewusstsein schaffen um eine Alternative zu haben.? Autor Im August 2015 erhielt Jadal offiziell die Genehmigung zum Betreiben des Kulturinstitutes. In den drei Jahren vorher haben sich 15.000 Euro Schulden angehäuft. Absage: Jadal ? Kontroverse Ein Zufluchtsort in Amman Ein Feature von Christoph Burgmer Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2015. Es sprachen: Daniel Berger, Isis Krüger, Jean Paul Baeck, Jonas Minthe, Jonas Baeck und Sigrid Burkholder Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Angelika Brochhaus Regie: Thomas Wolfertz Redaktion: Karin Beindorff 1 1