DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 19.04.2011 19.15 ? 20.00 Uhr Die Schwarzwälder Stromrebellen Eine Bürgerinitiative wird zum Energieversorger Von Frank Dietsche und Werner Kiefer URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - O-Ton Michael Sladek Also wir wussten genau, auf was wir uns dabei einlassen: Kampf gegen die Atomenergie heißt auch Kampf gegen die Großmonopolisten in diesem Land. O-Ton Wolf Dieter Drescher Letztendlich blieb die letzte Konsequenz die: Wir kaufen unser Stromnetz. Das war so locker daher gesagt, aber irgendwo auch todernst. O-Ton Rolf Wetzel Ja, es kam vor, dass ... auf der Strasse, man trifft sich, der Ort ist klein, Leute aus der Initiative, man steht und redet und plötzlich schreit jemand: Was wollt ihr da, macht dass ihr da wegkommt. O-Ton Ursula Sladek Aber was sollte es, es musste ja sein. Denn letztendlich war Schönau schon so was geworden, wie ein Symbol in der Anti-Atombewegung. Wir durften einfach nicht verlieren. "Schönau-Song" "Das gibt es nicht im ganzen Land ? nur hier in Schönau? Erzähler Die Schwarzwälder Stromrebellen ? eine Bürgerinitiative wird zum Energieversorger. Ein Feature von Frank Dietsche und Werner Kiefer Erzähler Schönau ? das ist ein kleines Städtchen im Südschwarzwald am Fuße des Belchens im Tal der Wiese. Zweieinhalbtausend Menschen leben hier. Ein idyllischer Luftkurort, in dem es fast alles gibt, was man zum Leben braucht: kleine Läden, Kindergärten, Schulen, ein Schwimmbad und sogar ein Krankenhaus. Eigentlich eine ganz normale kleine Stadt, wäre da nicht vor vielen Jahren eine Bürgerinitiative entstanden, die als Schwarzwälder Stromrebellen Geschichte geschrieben hat. Tagesschau 29.4.1986 Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. Guten Abend, meine Damen und Herren. In dem sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl ist es offenbar zu dem gefürchteten Gau gekommen, dem größten anzunehmenden Unfall. O-Ton Ursula Sladek Letztendlich ist Tschernobyl bei uns wie eine Bombe eingeschlagen. Bei mir nicht sofort, aber dann am nächsten Tag wie ich begriffen habe, was das eigentlich bedeutet. Das war mir vorher nicht so klar. Aber dann auf einmal zu sehen, dass eine Entfernung von 2000 Kilometer so gut wie gar nichts ist, dass die Radioaktivität in Dosen, die wirklich schädlich sind, bis hier herkommt, das hätte ich vorher nicht gedacht. Tagesschau 4.5.1986 Steigende Werte wurden aus Berlin, Hannover, Stuttgart und Freiburg gemeldet. Aufgrund der Regenfälle der letzten vierundzwanzig Stunden hat vor allem im süddeutschen Raum die Belastung des Bodens deutlich zugenommen. O-Ton Sabine Drescher Am Anfang hab ich die Nachrichten noch nicht so richtig verfolgt. Erst später wurde mir dann klar, dass ich eigentlich gar nimmer mit meinen Kindern raus kann. Dann ging es auch um die Ernährung: Es war für mich unfassbar, dass ich dann nimmer Salat im Garten holen kann, dass ich mit den Kindern nicht mehr spielen könnte ? es war eine ziemliche Ohnmacht für uns. Tagesschau 8.5.1986 Frage Reporter ?Was raten Sie diesen Eltern?? Antwort von Erich Oberhausen, Strahlenschutzkommission ?Diesen Eltern würde ich raten, ihre Kleinkinder mit Trockenmilch zu ernähren. Nur leben wir jetzt halt in diesem Strahlenfeld und es ist äußerst schwierig, hier Nischen zu finden, wo man dem entweichen kann." O-Ton Wolf-Dieter Drescher Ich hab irgendwann mal gefunden, ich hab keinen Bock auf den Frust nur. Ich will was machen. Aber war relativ phantasielos und hab gedacht: Ja gut, wenn mir nix einfällt, ich finde sicher jemanden, dem was einfällt. Und hab daraufhin hier im lokalen Anzeiger eine kleine Anzeige geschaltet, dass uns das stinkt, dass man doch eigentlich was tun sollte und die Frage in den Raum gestellt, wer auch was tun sollte, soll sich doch melden. Erzähler Bald darauf treffen sich im alten Forsthaus von Wolf Dieter Drescher und seiner Frau Sabine einige Schönauer Familien. Gemeinsam wollen sie gegen die Ohnmacht ankämpfen und gegen die Atomenergie. Mit dabei ist Ursula Sladek, Mutter von fünf Kindern. Mitte der 70er Jahre ist sie mit ihrer jungen Familie nach Schönau gezogen. Ihr Mann Michael ist Arzt und weiß, welche Folgen Strahlenbelastungen nach sich ziehen. Als die radioaktive Wolke den Schwarzwald erreicht, stellt sich Ursula Sladek mit anderen Müttern auf den Wochenmarkt ? direkt neben den Gemüsestand. O-Ton Ursula Sladek Eine der ersten Aktivitäten war ein Info-Stand in Schönau. Was trotzdem ja die Schönauer ? der Rest der Schönauer ja das gleiche erlebt hatte wie wir alle, irgendwie so ein bisschen was Verdächtiges war: Also man hatte vorher keine Info-Stände in Schönau. Erzähler Am skeptisch beäugten Info-Stand gibt es Informationen für den Alltag nach dem radioaktiven Fallout: Was kann man essen, was nicht? Welche Gefahren gehen von der Strahlung aus, welche von den Atomkraftwerken in der Umgebung? Erzähler Und man will auch die Opfer nicht alleine lassen. Die Initiative sammelt Geld für die Kinderkrebsklinik in Kiew. Mit einem Bus holt man Kinder aus dem Katastrophengebiet zur Erholung nach Schönau. So auch die neunjährige Natascha, die bei Sabine Drescher die Sommerferien verbringt. O-Töne Sabine Drescher und Natascha Sabine Drescher: Natascha, you like to be here in Schönau? Natascha: Ja, gut, very nice. Swimming, Essen, Eis, Fahrrad. Erzähler Für die Bürgerinitiative ist klar: Ein zweites Tschernobyl darf es nicht geben. Die Aktivisten wollen hier vor Ort den Beweis erbringen, dass ein Ausstieg aus der Atomenergie möglich ist. O-Ton Ursula Sladek Wir haben also angefangen, Energie einzusparen, mal zu sehen: Geht das überhaupt? Kann man das in einem Maßstab, der wirklich erheblich ist, ohne dass sich dadurch jetzt das Leben verändert, ohne dass man vielleicht nur noch kalt isst oder mit schmutzigen Kleidern rumläuft ? das wollten wir natürlich auch nicht. Ja, und dann haben wir festgestellt: Doch man kann sehr viel einsparen ? deswegen haben wir dann einen nächsten Schritt geplant, nämlich, dass wir gesagt haben: Jetzt wollen wir, dass ganz Schönau bei der Sparerei mitmacht. Erzähler Die Initiative veranstaltet einen Stromsparwettbewerb. Die ?Schönauer Energiespartipps? werden an alle Haushalte verteilt. Auf dem Titel strahlt ein fröhliches Glühbirnenmännchen, das einem Atomkraftwerk den Stecker zieht. Beim Elektroladen gibt es stromsparende Küchengeräte mit Rabatt, die örtliche Sparkasse vergibt günstige Kredite für deren Anschaffung ? und dem Sieger des Wettbewerbs winkt eine Busreise nach Italien. Doch nicht jeder im Städtchen ist begeistert. Der Wirt des Gasthofs Krone, Ulrich Schlageter, ein echtes Schwarzwälder Urgestein und CDU-Gemeinderat, schüttelt noch heute den Kopf, wenn er an diese Zeit zurückdenkt. O-Ton Ulrich Schlageter (Take 13) Es gab da auch sehr skurrile Vorschläge, dass man mit dem Rest von der Elektroplatte noch Spiegeleier machen kann und dergleichen. Sagen wir mal: Der überwiegende Teil der Bevölkerung hat die Sache wirklich lächerlich gesehen. Ich denke einfach, es war für uns, also für den normalen Schönauer, waren das ein paar Verrückte, die da irgendwas machen. Erzähler Verrückt genug für die Redakteure des Südwestfunks. Sie schicken ein Fernsehteam zu den rebellischen Schwarzwäldern, die den Atomstrom einfach wegsparen wollen. Reporter 1988 Jeder zehnte Haushalt in Schönau hat beim Wettbewerb mitgemacht. Einfache Auswertung: Der Jahresverbrauch 88 wurde mit dem des Vorjahres verglichen. Einige Teilnehmer haben um bis zu 40 Prozent reduziert. Alle zusammen brachten es auf 10 Prozent. Beispiel: Die Kartoffeln sind gar. Platte aus und die Hitze reicht dann immer noch für Spiegeleier. Erzähler Der Erfolg beflügelt die Initiative. Sie wollen nun auch ihren Energieversorger ? die Kraftübertragungswerke Rheinfelden - bewegen, Stromsparmaßnahmen und Ökokraftwerke zu fördern. Den KWR gehören zwar ein großes Wasserkraftwerk am Rhein ? aber sie sind auch am nahe gelegenen Atomkraftwerk beteiligt. Die Schönauer Bürgerinitiative schickt Ihre Vertreter in die Konzernzentrale. Einer von ihnen ist der Arzt Michael Sladek. O-Ton Michael Sladek Diese Strom sparende Leistung muss sich auch im Geldbeutel niederschlagen. Dazu braucht man eine ganz andere Tarifstruktur und deswegen sind wir zur KWR gegangen und haben gesagt: Runter mit den hohen Grundpreisen, dafür könnt ihr die Arbeitspreise ein bisschen höher machen. Und KWR hat uns da eiskalt die Schulter gezeigt. Erzähler Dass sie die ökologischen Ideen der Bürger ignorieren, bringt Michael Sladek in Rage. Er ist eigentlich ein geselliger Mensch, der gerne isst, vor Freude gluckst und alle kameradschaftlich duzt. Aber wenn er mit seinen 120 Kilogramm erst einmal in Fahrt kommt, ist der Mann mit dem Rauschebart kaum zu bremsen. O-Ton Michael Sladek Kampf gegen die Atomenergie heißt auch Kampf gegen die Großmonopolisten in diesem Land. Und das erweckt Ohnmachtsgefühle ? und die sind nur zu verändern, indem man eine solche Wut entwickelt gegen diese Strukturen, gegen diese Arroganz der Macht. Erzähler Die KWR haben mit der Stadt einen Konzessionsvertrag und damit das Recht zur Stromversorgung. Der Vertrag läuft eigentlich erst 1995 aus. Doch im August 1990 erreicht das Schönauer Bürgermeisteramt ein verlockendes Angebot der KWR: Wenn die Stadt schon jetzt einer frühzeitigen Verlängerung für weitere zwanzig Jahre zustimmt, erhält sie zusätzlich 100.000 DM. Gut für die Stadt ? für die Initiative ist das reine Erpressung. O-Ton Wolf Dieter Drescher Alle Versuche mit dem Energieversorger da anständige Konditionen für den Schönauer Ort hinzubekommen, das war gescheitert. Und letztendlich blieb die letzte Konsequenz die: Wir kaufen unser Stromnetz. Das war so locker daher gesagt, aber irgendwo auch todernst. Erzähler Wolf Dieter Drescher, der Sohn des Försters in Schönau, ein Umweltbewegter mit blondem Bart, langer Mähne und Nickelbrille. Der Elektrotechniker ist einer, der gerne zupackt. Seine Ausbildung hat er ausgerechnet beim jetzigen Kontrahenten KWR gemacht. Als Mitbegründer der Netzkauf Schönau muss er nun verhindern, dass sich die KWR für weitere zwanzig Jahre die Macht im Schönauer Stromnetz sichern. Die Entscheidung fällt im Juli 1991 - das Fernsehen ist vor Ort. Reporter Stadtratssitzung am vergangenen Montag. Die Stadträte müssen entscheiden, ob sie den Konzessionsvertrag mit dem Kraftwerk Rheinfelden verlängern oder nicht. O-Ton Bürgermeister Richard Böhler Wer diesem Beschlussvorschlag die Zustimmung erteilt, bitte ich um ein Handzeichen. 1,2,3,4,5,6,7. In dem Fall ist dieser Antrag angenommen. Bedanke mich für ihre Mitwirkung, bedanke mich auch bei den Presseleuten. Reporter Die CDU stimmte geschlossen für eine Vertragsverlängerung mit der KWR, außerdem ein Stadtrat von der SPD. Sieben gegen sechs Stimmen, das heißt: Es bleibt alles beim Alten. Die Leute von Netzkauf haben das wohl geahnt und eine Resolution vorbereitet: O-Ton FW-Stadtrat Egon Barbisch Wir als Bürger von Schönau sind mit dieser Entscheidung nicht einverstanden. Wir werden daher ein Bürgerbegehren einleiten, mit dem Ziel, dass in einem Bürgerentscheid dieser Gemeinderatsbeschluss aufgehoben wird. O-Ton Wolf Dieter Drescher Und schon im Vorfeld war für uns klar: Wir schlucken die Kröte nicht einfach so, sondern wir gehen bis zur letzten demokratischen Instanz alle Wege durch. Und auch ein bisschen so nach dem Motto: Koste es, was es wolle. Kabarett ?Wattkiller? singt ?Schönau im Schwarzwald, hier ist etwas los, wollen Strom aus eignem Netz, ist das nicht grandios ...? Erzähler Die hauseigene Kabarettgruppe ?Wattkiller? sorgt für ungewohnt revolutionäre Stimmung im konservativen Schwarzwaldstädtchen. Drei Monate haben die Netzkäufer Zeit, die Wähler für ihre Sache zu begeistern. Michael Sladek weiß, mit spröden Fakten ist kein Wahlkampf zu gewinnen. Kabarett ?Wattkiller? ?... sonst bleibt alles wie bisher beim Alten. Wir sagen ?Ja?!? O-Ton Michael Sladek Wir wollten in dem Wahlkampf dem kalten Geld Emotionen entgegensetzen. Emotion ? hat was mit Herz zu tun. Unser Slogan hieß ?Ja zu Schönau? und was lag näher, als dass wir so ein Herz gebacken haben, wo ?Ja? draufstand. Unser Bäcker hat das tausendmal gebacken und an jedem Frühstückstisch in Schönau am Wahltag lag dieses Herz und jeder wusste eigentlich, wie die richtige Antwort im Bürgerentscheid war. O-Ton Ulrich Schlageter Wir haben gedacht, diese Spinner, die drücken auf die Tränendrüsen - und die kriegen wir jetzt weg. Wir verlieren dieses Ding nicht. Wir bleiben beim alten Versorger ? mit dem waren wir zufrieden, der hat das gut gemacht. Was sollen wir uns auf Neuland begeben. Erzähler Ulrich Schlageter und mit ihm die ganze CDU wirbt für ein "Nein" im Bürgerentscheid ? und sie haben einen finanzstarken Wahlhelfer. O-Ton Ulrich Schlageter Wir wurden natürlich schon von der KWR unterstützt. Die KWR selber konnte ja nicht abstimmen. Es gab jede Menge Veranstaltungen. Wir hatten einen Riesenstand mal auf dem Rathausplatz und wir waren an für sich guter Dinge mit Zeitungswerbung und mit allem. Also wir dachten mit Sicherheit, wir sind die Stärkeren. Reporter Eine Stunde nach Schließung der Wahllokale war's amtlich: Der Bürgermeister musste im Rathaus seine Niederlage eingestehen. Rathaus, O-Ton Bürgermeister Böhler Mit ?Nein? haben gestimmt 579, das entspricht 44,3 Prozent. Somit ist der Bürgerentscheid im Sinne der Frage ?Ja? entschieden. O-Ton Michael Sladek Wenn man dann miterlebt hat auf dem Marktplatz, wie sich die Leute in die Arme gefallen sind und was da alles an Bevölkerung spannend vor dem Rathaus stand. Und wenn Schönau in Süditalien gewesen wäre, hätten wir denn ein größeres Volksfest gehabt auf den Straßen von Schönau ? so war es halt ein bisschen kühler und man hat sich in die Gastwirtschaften verzogen. Siegesfeier im Vier Löwen, O-Ton alter Mann Ich möchte noch mal allen versichern, dass das für Schönau ein großer Sieg ist! O-Ton Ursula Sladek Nachdem wir den Bürgerentscheid gewonnen hatten, ging die Arbeit erst richtig los, denn jetzt mussten wir ja unser bürgereigenes Energieversorgungsunternehmen aufbauen. Erzähler Technische, wirtschaftliche und juristische Probleme stehen an. Wie immer will man das Projekt gemeinsam mit Schönauern und Fachleuten aus ganz Deutschland voranbringen. Die Initiative geht auch hier neue Wege. Kabarett ?Wattkiller? ?Wattkiller-Song? Erzähler In der Gaststube des Vier Löwen trifft sich ungewohntes Publikum: Techniker in Schlips und Kragen, Künstler, Philosophen, Wissenschaftler und viele Umweltbewegte. Die Schönauer Stromseminare werden aus der Taufe gehoben ? oft eine Mischung aus Debattierclub und Dorffest mit Wein, Kabarett und Musik. Kabarett ?Wattkiller? Fortsetzung ?Wattkiller-Song?, Applaus Erzähler Aber es gibt auch lange Fachsymposien mit hochkarätiger Besetzung und komplizierter Materie. Und alle reden mit: über Netzbewertungen, Ausbaupotentiale von erneuerbaren Energien und Investitionsrücklagen. O-Ton Ursula Sladek ... was ist wünschenswert, dann zu der Ebene kommt, wo die wünschenswerten Dinge abgeklopft werden, was kann wie realisiert werden. Erzähler Auch ein Staatssekretär aus Stuttgart ist angereist. Er entscheidet mit, ob die bürgereigene Netzkauf eine Zulassung als Energieversorger erhält ? bei den Schönauern ist er nicht gerade beliebt. O-Ton Rainer Brechtken, SPD-Staatssekretär Ich bin hier gefragt worden nach meinem Verhalten, nach meinen Briefen und dazu sag ich jetzt was: Wir müssen natürlich schon dabei beachten, das wir in eine Situation nicht hineinkommen dürfen, wo wir sozusagen die Rosinen auf eine Ebene übergeben und andere Bereiche, wo es Probleme gibt mit hohen Kosten natürlich Dinge in den anderen Bereich hineingeben. (Protestgemurmel) Ja, Moment ? das Argument ist deshalb doch nicht falsch! Erzähler Aus Hamburg ist der Klimaforscher Hartmut Graßl mit von der Partie. Er ist ein international renommierter Wissenschaftler und Mitglied der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages. O-Ton Hartmut Graßl Und die Bremsung wird so lange dominant sein, so lange Staatssekretäre nicht bei der Abwägung des Drucks zwischen Lobby und Bevölkerung spüren, dass der Druck aus der Bevölkerung schon etwas größer ist als der aus der Lobby. Der Punkt muss erreicht werden. Erzähler Der Druck muss also wachsen, damit die Vision einer umweltfreundlichen Energieversorgung Wirklichkeit werden kann. Der Philosoph Carl Amery bestärkt die Seminarteilnehmer auf ihrem weiten Weg: O-Ton Carl Amery Die Zukunft der Welt kann nur gesichert werden in kleinen fehlerfreundlichen Gemeinschaften, das ist ganz entscheidender Punkt für ihre Arbeit hier in Schönau, das ist meine feste Überzeugung. O-Ton Ursula Sladek Bei den ersten Stromseminaren mit den Experten aus ganz Deutschland haben wir natürlich in erster Linie selbst etwas gelernt. Das andere war aber auch diese emotionale Unterstützung von den Leuten, die von überall herkommen. Ja ? und der dritte Aspekt war, dass wir natürlich auch gleich da wussten: Wir wirken über Schönau hinaus ? es ist nicht nur etwas, was in Schönau passiert, sondern was eine Bedeutung in ganz Deutschland hat. Erzähler Januar 1994: Drei Jahre harter Arbeit liegen hinter den Schönauern: Die technische Umsetzbarkeit ihres Energiekonzeptes wurde bewiesen, um juristische und politische Entscheidungen lange gerungen. Endlich ist es soweit: Die Elektrizitätswerke Schönau, kurz EWS, der erste bürgereigene Energieversorger Deutschlands, werden gegründet. O-Ton Wolf Dieter Drescher Der Höhepunkt war natürlich zum Schluss diese offizielle Einreichung und die offizielle Genehmigung des GmbH-Vertrags der EWS Schönau. Als wir da so im großen Kreis, wirklich großen Kreis da im Notariatsbüro saßen - der Notar schon fast verzweifelt war, weil das so viele Leute sind - und dann kam halt effektiv die Unterschrift unter diesen Gesellschaftervertrag der EWS. Und so ne Unterschrift druntersetzen und nachher sagen: So, jetzt ist alles fertig. Jetzt müssen wir nur noch übernehmen - das war schon ein geiler Moment - das war schon: Ja, jetzt! Wohlwissend dass das Abenteuer noch nicht fertig war. Erzähler Die EWS sollen anstelle der KWR die Stromversorgung in Schönau übernehmen. Im November 1995 stimmt der Gemeinderat darüber ab. Die Chancen für einen Konzessionsvertrag der bürgereigenen EWS mit der Stadt stehen gut, denn die Mehrheiten im Gemeinderat haben sich zu ihren Gunsten gewendet. Wieder übernachten Kamerateams in Schönau. Reporter Im Gemeinderat gestern Abend hauten sich die Fraktionen altbekannte Argumente um die Ohren ? die Fronten waren abgesteckt. Freie Wähler für Netzkauf, CDU dagegen, SPD gespalten - den Gegnern ist vor allem die EWS-Kalkulation nicht geheuer. Sie wären lieber bei den alteingeführten Stromprofis geblieben und fürchten bei den Seiteneinsteigern von Netzkauf schon bald höhere Strompreise für Gewerbe- und Privatpersonen. O-Ton Bürgermeister Bernhard Seger Der Beschlussvorschlag lautet wie folgt - es scheint mir dieser Vorschlag weitestgehende Lösung: Der Gemeinderat beschließt, mit den Elektrizitätswerken Schönau einen Konzessionsvertrag für die Stromversorgung abzuschließen. Wer diesem Beschlussvorschlag folgt, den bitte ich um ein Handzeichen. 1,2,3,4,5,6. Gegenstimmen? 1,2,3,4,5 und eine Enthaltung. Damit hat die Mehrheit diesem Beschlussvorgang zugestimmt und den Konzessionsvertrag für die Stromversorgung an EWS vergeben. O-Ton Michael Sladek Und ich hatte sofort Bauchgrimmen, weil man ahnte, dass die andere Seite ... Wie soll ich sagen? Ich habe sie mit einem Winkel beobachtet, dann wusste ich auch, jetzt kommt?s ? O-Ton CDU-Gemeinderat Der Gemeinderat hat heute entschieden. Die Entscheidung akzeptieren wir als Demokraten. Wir sind jedoch dafür, dass jetzt der Bürger entscheidet. O-Ton Ulrich Schlageter Uns hat ja der Bürger beim ersten Mal verboten, vorzeitig zu verlängern. Und jetzt wollen wir auch mal sehen, ob der Bürger auch dem Sladek verbietet, das Netz zu übernehmen. Nicht dass uns einer vorwirft: Ihr habt ja gewusst, dass das nicht geht, ihr habt nicht alles Mögliche getan, um diesen Supergau im Schönauer Elektrizitätsnetz zu verhindern. Erzähler Alles ist wieder offen. Ein neuer Bürgerentscheid steht bevor. Der Kampf ums Netz geht in die nächste, in die schwerste Runde. Die Bürgerinitiative hält nächtlichen Krisenrat. O-Ton Michael Sladek Es ist nur eine Etappe. Und ich weiß, mein Ziel ist: Ausstieg aus der Atomenergie. Und auch eine Stromnetzübernahme, die endgültig ist, ist immer nur eine Etappe. O-Ton Ursula Sladek Wie sind wir hier abends immer zusammen gekommen. Wie war das eigentlich auch ne tolle Zeit für den Zusammenhalt in der Gruppe, für die Kreativität. Dann muss ich sagen: Gut, also auf einmal verliert das auch für mich ein bisschen den Schrecken, noch mal einen Bürgerentscheid machen zu müssen. Und dann sag ich: Gut, wenn sie denn einen haben wollen, dann sollen sie einen kriegen ? aber mit allen unseren Kräften. O-Ton Michael Sladek Bei dieser Wahl, bei diesem Bürgerentscheid ging es um jede Stimme. Also muss jeder eigentlich aktiviert werden. Und wir haben deswegen auch Volksmusiknachmittage gemacht, wir haben Altennachmittage gemacht, wir haben Arztvorträge ? Arztvorträge ziehen immer unwahrscheinlich gut: Medizin in den Vordergrund stellen und dann vielleicht fünf Minuten über den Wahlsonntag erzählen. Oder wir haben Testament ? klingt vielleicht ein bisschen ... für alte Leute aber ein ganz wichtiges Thema. Unser Notar hat da Vorträge gehalten. Wir haben Rock für EWS gemacht. Also wir haben das ganze Klavier ein Stückweit gespielt. Volksmusik-Duett ?Es darf nicht sein, dass die Welt zugrunde geht ... doch wenn du's versuchst, könnt ich wetten, gibt's ne Chance unsere Erde zu retten.? O-Ton Ulrich Schlageter Da muss man sagen: Das waren nicht unbedingt gestandene Schönauer, also Ur-Schönauer, es waren Zugezogene: war der Dr. Sladek als Arzt, der Notar Braun, Kindergärtnerinnen, Lehrer und ? na ja ? und wir haben natürlich gesagt: Wir Schönauer Bürger, wir lassen uns nicht von denen bevormunden. Wir gucken, dass wir die wieder wegkriegen oder in ihre Löcher zurückkriegen. Erzähler Auch einige Schönauer Unternehmern wollen Sicherheit und keine ökologischen Experimente bei der Stromversorgung. Ein Fabrikant empört sich beim ZDF-Reporter: O-Ton Fabrikant Wir sind ja hier nicht auf einer Insel ? ja? Uns haben Kunden schon angerufen und haben gesagt: Ja, könnt ihr überhaupt noch produzieren, wenn euch dann der Strom abgestellt wird, ja? Denn nicht alle Vorschläge, die aus der ökologischen Grundecke kommen, sind ja unbedingt gut. Erzähler Und der KWR-Vorstand Gerhard Hauri verspricht im Interview eine heiße Endphase im Wahlkampf. O-Ton Hauri, KWR-Vorstand Wenn man uns angreift, haben wir zunächst mal mit Sachargumenten argumentiert, sind jetzt in den letzten Tagen allerdings ? und da nehme ich mich persönlich nicht aus, auch auf die menschliche, die emotionale Ebene gegangen, weil wir gesehen haben, die Entscheidung fällt möglicherweise, die letzten Prozent dafür oder dagegen, möglicherweise auf diesem Feld. O-Ton Ulrich Schlageter Die ganze Stromwirtschaft wusste: Wenn das Ding zusammenbricht, wenn da so ein Kleiner kann die Großen so ärgern, kommen andere auch ... und ... man wollte keine Laus im Pelz. Erzähler Die KWR leisten Schützenhilfe: In Großanzeigen diffamieren sie die EWS als "Fritzchen, das sich um den Posten eines Installateurmeisters bewirbt". Auf den Rathausplatz in Schönau führen sie ihren Maschinenpark vor ? mit großen Preisschildern versehen, damit jeder weiß: das kann sich die Bürgerinitiative gar nicht leisten. O-Ton Ulrich Schlageter So sind wir auch in die zweite Schlacht gezogen mit völliger Sicherheit, dass wir sie jetzt kriegen. Erzähler Einer der für die Netzkauf-Initiative in den Straßenwahlkampf zieht ist Rolf Wetzel, der Polizist in Schönau ? Ausdauersportler und kein Mann von unüberlegten Entscheidungen ? bekommt die aufgeheizte Stimmung im Ort zu spüren. O-Ton Rolf Wetzel Ja es kam vor: Auf der Strasse, man trifft sich, der Ort ist klein, Leute aus der Initiative, man steht und redet. Plötzlich schreit jemand: Was wollt ihr da, macht, dass ihr da wegkommt ? oder solche emotionalen Ausbrüche gab es natürlich schon. O-Ton Ursula Sladek Was sollte es, es musste ja sein. Denn letztendlich war Schönau schon so was geworden, wie ein Symbol in der Anti-Atombewegung. Wir durften einfach nicht verlieren, wir mussten wirklich alles für das Ziel einsetzen, dass wir auch diesen zweiten Bürgerentscheid gewinnen. Hausbesuch Rolf Wetzel bei Günther Rolf Wetzel: Guten Tag Günther, ich mach Wahlkampf für den 10. März. Wollt dir Informationen von der EWS anbieten. Weißt ja, am 10. März ist ein Bürgerentscheid ? da wird über die Stromversorgung in Schönau entschieden. Jetzt wollt ich fragen, ob du Zeit hast für mich? Günther: Isch im Momend nid grad günschdig, i bi grad voll in de Arbet drin - aber mei Gott - für Information us erschder Hand bin i an für sich dankbar. Rolf Wetzel: Okay, kann mer iine cho? Günther: Ja, Isch in Ordnung Rolf Wetzel:, prima. Hausbesuch Michael Sladek Sladek: Tschuldigung Frau Hesselbach, haben sie ein paar Minuten Zeit für mich? Ich wollt wegen dem Sonntag, wegen dem Bürgerentscheid mit ihnen noch reden. Hesselbach: Ja, kommen sie rein. Sladek: Dankeschön! O-Ton-Michael Sladek Also diese Hausbesuche waren ganz schwierige Gänge, vor allem auch für mich. Ich hatte zwei Wochen Urlaub gemacht, weil ich meinen Arztberuf trennen wollte von diesem Wahlkampf und ich hab während der Zeit in Schönau natürlich auch einige Patienten verloren und das war wirklich ... weiß ich gar nicht, wie ich das damals geschafft habe, dass ich da trotzdem geklingelt hab. O-Ton Ulrich Schlageter Es ging dann da schon ein Riss durch die Bevölkerung und die Familien. Und bei mir sind einige nicht mehr an den Stammtisch gekommen, weil sie genau gewusst haben, wo ich hingehör ? und mit dem Riss meine ich auch, dass Familien, der Vater war auf unserer Seite und die Tochter oder der Sohn oder die Mutter auf der anderen Seite: Also es haben sich da schon Grenzen aufgetan. Erzähler Am Vorabend der Wahl: Die Netzkäufer versammeln sich im Gasthof Vier Löwen. Morgen entscheidet sich, ob ihr zehnjähriger Kampf ums Stromnetz vergeblich gewesen sein wird. Zwei Jungs singen den ?Schönau-Song? ?Die Wende für die Energie, die schaffen sie zuerst in Schönau, das Stromnetz kommt in Bürgerhand ... das gibt es nicht im ganzen Land nur hier in Schönau. Und ihr alle seid dabei und mancher zahlt und spendet frei, legt etwas an und kauft sich ein, ein Anteilsscheinchen darf es sein: So schaffen wir den Durchbruch hier bei uns in Schönau? Erzähler Die Bürgerinitiative hat alles gegeben. 10. März 1996. Der Tag des Bürgerentscheids. Das ganze Land blickt auf Schönau. Für Michael Sladek ist die Spannung kaum zu ertragen. O-Ton-Michael Sladek Wie ich mich fühl? Verkrampft, verängstigt, gespannt. Da ist ein Lebensziel, ein Etappenziel vor Augen und das kann heut Abend weg sein. Das muss man selber erst mal verarbeiten. O-Ton Ulrich Schlageter Ich hatte mehr oder weniger ja auch nen Logenplatz, in der Krone. Ich konnte genau sehen, wer da wo hingeht. Und wir wussten ja schon ungefähr, wo die Kreuze gemacht werden. Und wir haben gezittert, schaffen wir es, schaffen wir es nicht. Erzähler Abends in einem der beiden Wahllokale: Gespannt verfolgen die Schönauer und angereiste Journalisten die Stimmenauszählung. Einer der Wahlhelfer ist Michael Sladek. Er weiß: Heute wird nicht nur über die Stromversorgung im Ort abgestimmt. Eine Niederlage wäre auch eine herbe Enttäuschung für viele Mitstreiter aus Umweltgruppen und Anti-AKW-Initiativen in ganz Deutschland. O-Ton Michael Sladek Das sieht schlecht aus. Wie sieht's denn drüben aus? Hier haben wir sechs Stimmen zu wenig: 267 ?Nein? und 273 ?Ja?. Also sechs Stimmen sind hier zu wenig. Erzähler Im ersten Wahllokal ist die Wahl verloren. Der Sprecher der von KWR unterstützen Gegeninitiative hat sein Statement für den Wahlsieg bereits in die Fernsehkameras diktiert. O-Ton Sprecher der Gegeninitiative Ich kann nur der Hoffnung Ausdruck verleihen, wenn der Vertrag mit KWR unterschrieben ist, dass dann alle, die jetzt so leidenschaftlich für EWS gekämpft haben auch genauso leidenschaftlich und zwar mit uns für andere Themen kämpfen und nicht aus lauter ich nenn es mal Frust ? in Anführungszeichen vielleicht auch "Bösartigkeit" gegen uns arbeiten und sich zurückziehen. Erzähler Die letzte Hoffnung für die Netzkäufer ist das zweite Wahllokal, wo noch ausgezählt wird. O-Ton Michael Sladek Ich hab weiche Knie Leute. Ich brauch irgendwas zu trinken. Ich hab so nen Adrenalinausstoß,dass ich überhaupt nix mehr, keine Spucke mehr ? verstehst du das? Jetzt müssen Sie noch mal nachzählen, bei uns ham sie auch nachzählen müssen. Wie sieht's aus? Gut? Ja? Toll (Jubel) O-Ton Michael Sladek Wie ich des erfahren habe, dass wir gewonnen hatten, konnte ich's am Anfang gar nicht glauben und dann hab ich gemerkt, wie mir da wirklich Zentner vom Herz weggefallen sind. O-Ton Bürgermeister Seger Die Mehrheit der gültigen Stimmen hat die Frage des Bürgerentscheides mit ?Nein? beantwortet. Der Beschluss des Gemeinderates vom 20. November wurde damit bestätigt, einen Konzessionsvertrag mit EWS abzuschließen. Erzähler In dieser Nacht wird Schönau zu einem Symbol der Anti-AKW Bewegung. Die Bürgerinitiative hat es geschafft: Zum ersten Mal erhalten Atomkraftgegner den Auftrag zur Elektrizitätsversorgung ihrer Stadt. Der Monopolist muss das Feld räumen. O-Ton Ursula Sladek Wir haben eine politische Legitimation wie überhaupt kein anderer Energieversorger auf der ganzen Welt. Wer hat schon zwei Bürgerentscheide gewonnen, dafür, dass er Energieversorger sein soll. Aber ? wir waren eigentlich genau so weit wie vorher auch. Erzähler Über acht Millionen D-Mark fordern die KWR für das Schönauer Stromnetz. Alle Leitungen, Transformatoren und Zähler sind ja noch in ihrem Besitz. Und die KWR wissen, dass mit diesem hohen Kaufpreis die EWS wirtschaftlich am Ende wären, bevor sie überhaupt mit der Stromversorgung beginnen könnten. O-Ton Michael Sladek Es war klar: KWR besteht auf dieser immens überzogenen Forderung und war nicht bereit, da ein Jota nachzulassen. Also wir mussten wieder nicht reagieren, sondern wir mussten agieren ? das heißt: nach vorne gehen. Und da kam dann die Idee und wir haben gesagt: Wir zahlen diese immens hohe Forderung unter Vorbehalt und wir versuchen, diese Summe einzusammeln über Spenden. Erzähler Die Stromrebellen, wie die Schönauer von der Presse mittlerweile genannt werden, müssen in kürzester Zeit mehrere Millionen sammeln. Man schwärmt aus ? es geht nach Breisach am Rhein, zu einer Anti-Atom-Demo ? 10 Jahre nach Tschernobyl. O-Ton Ursula Sladek spricht auf Demo Wir brauchen zusätzlich zu den vier Millionen DM, die wir schon haben, nochmals vier Millionen DM ? und zwar als Spenden. Alles, was wir bis jetzt in Schönau erreichen konnten, war möglich, weil wir der Übermacht des Geldes der Atomwirtschaft die Finanzkraft vieler kleiner entgegensetzen konnten. Der Atomcountdown läuft. (Applaus) Michael Sladek auf Demo Diese restlichen vier Millionen Mark können wir nicht mehr als Beteiligungen machen, weil das sonst unwirtschaftlich wird das Projekt, sondern wir machen das als Spenden. Und jetzt werben wir dafür, eine Millionen Atomkraftgegner zu finden: Mit fünf Mark wäre die Geschichte gemacht für jeden. Und wenn sie jetzt daheim noch Leute kennen in ihrem Umfeldund überall - dann wäre das ganz toll. Erzähler Die Schönauer Initiative erfährt eine breite Unterstützung von Anti-Atom-Initiativen und Umweltgruppen. Viele von ihnen kommen nach Schönau, um sich vor Ort zu informieren und ihre Unterstützung anzubieten. Die Lichter im Hause Sladek erlöschen meist erst in den frühen Morgenstunden. O-Ton Ulrich Schlageter Ich bin ja der Nachbar vom Dr. Sladek und ich hab ja gesehen, wer da ein- und ausging. Ich hab immer gesagt: Mein Gott, mein Gott, schon wieder ein langhaariger Bombenleger oder sonst wer da. Mit denen wollen wir nachher ein Stromnetz betreiben oder von denen hat er das Geld her ? was wird das nur werden? O-Ton Ursula Sladek Ganz schnell danach kam der Stefan Rotthaus auf eine Idee: Lasst uns doch mal die fünfzig größten deutschen Werbeagenturen anschreiben und sie fragen, ob sie nicht so ne richtig professionelle Werbekampagne machen wollen ? aber bitte umsonst ? weil wir haben ja kein Geld, wir brauchen ja welches. Ich habe noch gedacht: Meine Güte, so naiv kann man doch gar nicht sein, wer wird sich denn da melden. An diese Begebenheit denke ich heute immer, wenn ich mir irgendwas nicht vorstellen kann. Weil von den fünfzig haben sich fünfzehn zurückgemeldet und wollten das sehr gerne umsonst machen. Und dann ham wir eine ausgewählt, die war damals die Störfallkampagne. Also Störfall ? das war vom Wort her ganz klar, das hat was mit der Atomenergie zu tun. Ja und jetzt waren die Menschen die Störfälle für die Atomwirtschaft, indem sie Schönau unterstützten, das eigene Netz zu bekommen und eine atomstromfreie Energieversorgung aufzubauen. Dialog zwischen Franz Alt und Michael Sladek Franz Alt: So sieht Fernsehen aus! Michael Sladek: Ist ja toll! Franz Alt: So ? wie setzt Ihr uns denn? Erzähler Mit der neuen Kampagne geht man auf Spendentour. Aus dem Arzt Michael Sladek wird ein reisender Stromrebell. Ein typischer Tag: mittags Publicity bei Franz Alt im Fernsehstudio ? danach geht's gleich weiter: Archiv: O-Ton Schüler Ja, ich wollte fragen, ob sie nie Angst gehabt haben, dass Sie sich mit der ganzen Sache übernehmen? Erzähler Ein Termin mit Schülern. Sie wollen wissen, wie einfache Bürger Stromnetze betreiben können. Michael Sladek Energieversorgung ist nicht das, als was Energieversorger das manchmal darstellen. Das ist nicht so was Mystisches und Strom ist so was nicht fassbares und man könnte das technisch kaum managen. Das ist nicht der Fall. Erzähler Am Abend ein Vortrag, um neue Spender zu gewinnen. O-Ton Michael Und ich darf noch ganz zum Schluss noch mal werben für die Aktion ?Ich bin ein Störfall?. Entschuldigung, wenn ich das sage, weil ich hab ja .... Sie , des geht gar nicht um meine Person, es geht drum, einfach dieses Projekt ein Stückweit weiter zu bringen. Und ich bitte einfach um ein bisschen Solidarität, sag ich mal. Vielen Dank! Erzähler Die Schönauer Stromrebellen und ihre Mitstreiter sammeln innerhalb von nur vier Monaten weit über zwei Millionen DM ? von Menschen, die mit ihrer Spende ein Zeichen gegen die Atomkraft setzen wollen. O-Ton Ursula Sladek Die Spender kamen auch aus ja so ganz unterschiedlichen Schichten. Also da waren Schulkinder dabei, die uns quasi ihr Taschengeld gespendet haben. Da waren Leute dabei, wie zum Beispiel eine Frau aus Frankreich, die uns 25.000 Mark geschickt hat, und wie sie unseren Dankeschön-Brief bekommen hat, uns geschrieben hat: Ach, sie hat sich so über das Dankeschön gefreut, sie hat uns noch mal 25.000 Mark überwiesen. Unglaublich eigentlich. Oder ältere Herrschaften, die ihren Geburtstag unter das Motto gestellt haben: Ich bin ein Störfall. Ich brauch keine Geschenke mehr, schenkt mir nix, spendet für die Störfallkampagne. Erzähler Der unerwartete Geldsegen der Initiative bringt die KWR in Bedrängnis. O-Ton Ursula Sladek Der Chef vom KWR rief mich damals an und sagte Frau Sladek: Sie zerstören unser ganzes Images - weil es wurde natürlich in allen Zeitungen darüber berichtet und da hab ich gesagt: Nicht wir zerstören ihr Image, Sie zerstören gerade Ihr ganzes Image! Erzähler Durch die Störfallkampagne hat die Bürgerinitiative genug Geld gesammelt, um auch den vollkommen überhöhten Kaufpreis für das Stromnetz bezahlen zu können. Aber sie wollen die KWR verklagen: Eine Blamage, wenn das Gericht den Stromrebellen Recht geben würde. Schnell rudern die KWR zurück ? ihre "Truppen vor Ort" sehen fassungslos zu. O-Ton Ulrich Schlageter Wir haben uns damals ganz schön verarscht gefühlt. Weil für 8,7 Millionen wollte die KWR damals das Netz abgeben. Sie sind dann freiwillig zurück auf 6 Millionen. Also ich und meine Kollegen waren dann schon geschockt, wie die KWR uns mehr oder weniger unter falschen Voraussetzungen damals in die Schlacht geschickt hat gegen die EWS - anders kann man das nicht sagen. Erzähler Der 1. Juli 97 ist für Schönau ein historischer Tag. Im Rathaus drängen sich die Bürger und Journalisten. Die Stadt unterzeichnet mit den bürgereigenen EWS den Konzessionsvertrag. Aus Stromrebellen werden Energieversorger. O-Ton Michael Sladek Bei Vertragsunterzeichnung, da habe ich eigentlich Stolz empfunden. Stolz für die Leistung, die wir alle geschafft haben ? aus ner Bürgerinitiative zum Unternehmen zu werden ? von Engagierten dann zu Investoren und zu Handelnden zu werden. O-Ton Ursula Sladek Jetzt hieß es natürlich einfach, das Stromnetz so zu betreiben, dass der Strom einfach immer aus der Steckdose kommt, 365 Tage im Jahr, jede Sekunde ? ganz sicher ? dass die Leute sich darauf verlassen können. Ja gut, und das andere war natürlich, dass wir jetzt auch unsere Forderungen an eine zukunftsfähige Energiepolitik ja selber umsetzen mussten - wir konnten nicht mehr einfach sagen, so stellen wir uns das vor. Sondern jetzt wir mussten sagen, okay ? so haben wir uns das vorgestellt ? so werden wir das jetzt auch umsetzen. Erzähler Seit über 13 Jahren betreiben die EWS das Schönauer Stromnetz ? wirtschaftlich und ökologisch erfolgreich. Die Versorgung ist sicher, die Kosten sind wettbewerbsfähig. Als 1998 der Strommarkt liberalisiert wurde, gingen die Stromrebellen noch einmal in die Offensive. Als einer der ersten haben sie bundesweit Ökostrom angeboten. Weit über 100.000 Haushalte und Betriebe sind seither zu den Elektrizitätswerken Schönau gewechselt. O-Ton Ursula Sladek Uns geht es beim Stromeinkauf einmal um die Stromqualität natürlich: Woher kommt der Strom? Was sind das für Kraftwerke? Regenerative Kraftwerke, Kraft-Wärme-Kopplung, viele Neuanlagen. Aber uns geht es auch darum, dass diese Anlagen nicht Atomkraftwerksbetreibern oder deren Tochterunternehmen gehören, denn sonst könnte ich ihnen ja gleich das Stromgeld wiedergeben. Das heißt, letztendlich will man genau diesen ja das Stromgeld entziehen und da macht das überhaupt keinen Sinn, wenn die Anlagen Ihnen gehören. Erzähler Wer heute die EWS besucht, spürt schnell, dass er beim ungewöhnlichsten Energieversorger Deutschlands zu Gast ist. Denn die Schönauer wollen mehr als bloß Ökostrom verkaufen: Sie unterstützen andere Kommunen dabei, ihre Netze von Atomkraftwerksbetreibern zurückzukaufen, engagieren sich für Klimaschutz und Energiesparprojekte. Mit ihrer Internetkampagne "100-GUTE-GRUENDE.DE" haben sie die umfangreichste Faktensammlung für jeden Gegner der Atomkraft geschaffen. Michael Sladeks liebstes Kind ist das Schönauer Förderprogramm, das die Bürger dabei unterstützt, selbst kleine Ökostromproduzenten zu werden. Dadurch konnten in ganz Deutschland bereits fast 2000 Rebellenkraftwerke ans Netz gehen. O-Ton Michael Sladek Es macht Freude. Und es ist richtig ansteckend, wenn uns Kunden anrufen und als Erfolgsmeldung durchgeben: Jawohl, ich hab jetzt meine PV- oder Photovoltaikanlage auf dem Dach oder ich hab mein Blockheizkraftwerk im Keller und ich geh jeden Tag und besuch das mal, weil es einfach toll ist, selber jetzt Energieproduzent zu sein. Es ist ein Stückweit auch ein Schritt aus dieser Abhängigkeit heraus, ein Stückweit auch in die Mündigkeit des Einzelnen. Erzähler Abends im Hirtenbrunnen einem uralten Schwarzwaldhof oberhalb von Schönau gelegen. Ulrich Schlageter hat seine Wirtschaft in Schönau vor Jahren aufgegeben und ist nun im wildromantischen Gasthof mit internationalem Publikum der Küchenchef. Aus seinem Fenster hat er einem bezaubernden Blick hinunter ins Tal. Doch nicht nur in dieser Hinsicht hat er die Perspektive gewechselt. O-Ton Ulrich Schlageter Ich war früher ein absoluter Befürworter der Atomkraft ? emissionsfrei, die laufen immer. Wir haben genügend Strom, wir brauchen uns keine Gedanken drüber machen. Und ich sage, für mich hat?s an und für sich nichts Besseres gegeben. Aber dann kam Asse. Aber wenn man sieht, was in Asse mit dem Atommüll gemacht wird, das ist ein absolute Frechheit. Wir in unserem hochtechnisierten Land sind nicht fähig, nicht mal Fässer richtig zu lagern. Man schiebt die in ein Loch rein, fährt mit dem Bulldozer drüber und unten läuft dann irgendwann die Scheiße raus. Ich hab ja mit Leuten von der EWS oder von den Seminaren ab und zu im Frühstücksraum gesessen, mich mit denen unterhalten, festgestellt, dass da irgendwas ein Umdenken im Gange ist. Und daraufhin sprach mich mal auch einer an: Du? Du bist doch auch CDU. Wir haben so ne kleine Clique, die heißt CDAK, die CDU-Atomkraftgegner. Und deswegen bin ich dem Club beigetreten. Wir versuchen von unten, also von der Parteibasis aus, den über uns Stehenden beizubringen, dass die CDU keine Atompartei ist, sondern eine Partei von Bürgern, und die Bürger vielleicht auch nicht alles mit sich machen lassen. Wir sind noch ein kleiner Verein, wir würden uns natürlich wünschen, dass wir mehr werden und mehr Druck nach oben ausüben könnten. Erzähler Die Schwarzwälder Stromrebellen ? eine Bürgerinitiative wird zum Energieversorger. Ein Feature von Frank Dietsche und Werner Kiefer. Erzähler: Reinhard Firchow Ton und Technik: Hans Martin Renz, Katrin Fidorra Regie: Werner Kiefer, Redaktion: Hermann Theißen Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2011. Ende Informationen zu den EWS im Internet www. ews-schoenau.de Die Internet-Kampagne gegen Atomkraft www.100-gute-gruende.de Die Schwarzwälder Stromrebellen | Manuskript 11.4.2011 Seite 28