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Das Spiel der Germanen gegen den FC Sachsen-Leipzig, es beginnt in wenigen Minuten. Atmo 2 wir wollen Halberstadt, wir wollen Halberstadt siegen sehen .... Oh wie wäre, oh wie wäre das wunderschön Autorin: Bislang ging dieser Wunsch nicht in Erfüllung. Zuhause, sagt Eddi Masannek, haben wir gegen Sachsen-Leipzig immer eins auf die Mütze gekriegt. Der 44-jährige rümpft die Nase, schaut dann den Spielern in rot-weiß weiter beim Aufwärmen zu. Echte Fußballfans sprechen oft in der Wir-Form. Egal ob ihre Spieler gewinnen oder ver- lieren. Eddi Masannek ist ein echter Fan. Vor drei Jahren gründete er den Fanclub Harz. Für die Anhänger ab 25 plus, sagt er und grinst. Atmo 3 Vor dem Spiel beim Aufwärmen Atmo 4 Musik im Hintergrund O-Ton 1 Eddi Masannek: Im Vordergrund steht sicher, dass man natürlich die Mannschaft unterstützen möchte. Indem man einfach das, was sowieso durch die regelmäßige Anwesenheit überhaupt passiert, weil die Leute immer zu den Heimspielen gehen und auch viele zu den Auswärtsspielen mitfahren. Und dass man da einfach sagt, dass man noch ein bisschen mehr machen will so wie wir von der Mannschaft auch erwarten, dass sie immer ein bissel mehr macht, um ne bessere Leistung zu bringen und wir als Fans dann auch ne bessere Leistung bringen. Am Ende träumt man doch so´n bisschen vom großen Fußball immer. Autorin: Ein Traum vom großen Fußball wäre zum Beispiel, als Oberligist im Finale des Landespokals zu stehen. Eddi Masannek gerät ins Schwärmen. Dann würde der Fanclub eine Koje organisieren, wie man sie aus den großen Stadien kennt. Blockfahne über die ganze Kurve, extra angefertigte Spruchbänder. Unsere Doppelhalter sehen bescheiden aus, sagt Masannek und deutet mit dem Daumen hinten sich. Ein junger Fan in schwarzer Kluft, verspiegelter Sonnenbrille und Baseballkäppi auf dem Kopf wedelt mit einer schmalen Fahne. In der DDR hieß der Verein anfangs BSG Lokomotive. Aus dieser Zeit stammen auch die Farben schwarz rot weiß. Atmo 5 Trommel ... Halberstadt Autorin: Die jungen Anhänger, die so genannten Ultras, haben ihren eigenen Fanclub gegründet. Sie nennen sich die alten Germanen. Masannek schaut plötzlich ernst drein. Im Unterschied zu den sächsischen Ult- ras stünde bei den Halberstädter Ultras der Fußball und nicht die Ge- walt im Vordergrund. Nach einer kurzen Pause setzt er nach: Schlä- gereien und Kämpfe, so etwas gibt es bei uns nicht. Als im vergange- nen Jahr die Anhänger vom FC Sachsen-Leipzig zuerst den Zaun demolierten und dann aufs Spielfeld rannten in Richtung gegnerischer Fans, traten die Halberstädter lieber den Rückzug an. Atmo 6 Oleoleole VFB ... eine Stadt in den Farben ... nur damit es jeder weiß. Autorin: Der Fanclubvorsitzende Eddi Masannek will gar nicht ausschließen, dass es auch in Halberstadt Anhänger mit rechter Gesinnung gibt. Ei- ne klare Absprache aber zwischen den beiden Clubs sei: Keine Ge- walt auf dem Fußballplatz und keine rassistischen oder antisemiti- schen Sprüche. O-Ton 2 Eddi Masannek: Es ist eben überhaupt nicht relevant, ob jemand eher linke oder rechte politische Ansichten hat, sondern hier geht es wirklich um den Fußball, hier geht es um die Mannschaft, hier geht es um den Verein. Und dass wir da mit Herzblut eben für kämpfen und dahinter stehen. Und der Rest muss, das ist in jeder Fanorgani- sation so, einfach einer gewissen Selbstorganisation überlassen bleiben, dass dieser Prozess dann auch so angenommen wird, weil das nützt eben genau nichts, wenn da einige meinen, wir wollen das so steuern, denn es muss aus eigener Überzeugung kommen. Und das haben wir eigentlich ganz gut hinbekommen. Autorin: Anpfiff, das Spiel beginnt. Atmo 7 Zickzack Sachsenpack ... Ja ich glaub den Fairnesspokal, den gewin- nen wir wieder nicht. ... Muss ja auch nicht sein ... Autorin: Im normalen Leben leitet Edward Masannek ein Kraftwerk in Staßfurt. Dann steckt er in Anzug und Schlips. Im Fußballleben ist zum Glück nichts mehr normal. Über seiner Jeans trägt Eddi ein rotes Trikot mit der Nummer zwölf. Synonym für den zwölften Mann im Verein, den Fan. Um seine Taille hat er einen schwarz-rot-weißen Vereinsschal geschlungen. Mit seiner rechten Hand langt Eddi Masannek in die In- nentasche seiner Lederjacke, zieht mit einem Grinsen eine dicke Zi- garre hervor. Unsere Siegerzigarre, sagt er, knipst das Ende ab, zün- det sie an und schaut genüsslich dem Spiel zu. Bis der Schiedsrichter seine erste falsche Entscheidung trifft. O-Ton 3 Eddi Masannek: Was, was soll denn das? Autorin: Eddi Masannek lehnt den Oberkörper weit über das Geländer. Reißt beide Arme in die Luft. Verzweiflung im Gesicht. Das war ein klares Foul. Die Sachsen spielen nicht fair. Masannek dreht sich zur Seite. Kollegin Claudia Mayer mit hochrotem Kopf nickt ihm zu. Sie hat das Foul auch gesehen. Nur der Schiri nicht, der lässt weiterspielen. Atmo 8 Zickzack Sachsenpack, zickzack Sachsenpack, wo ist denn der Schiri her? Aus Thüringen, Schluchtenjodler. O-Ton 4 Eddi Masannek: Ich möchte nicht sagen, dass das im Mittelpunkt steht , aber Ag- gressionen abbauen kann man hier auch ... das ist nicht der Hauptpunkt, es steht schon die positive Spannung eigentlich wirklich im Vordergrund, aber es macht schon Spaß auch ein bisschen rumzugrölen, will ich gar nicht verhehlen. Autorin: Fluchen, lästern, schimpfen in Gesellschaft. Wo darf man das noch heutzutage. Eddi Masannek grinst von einem Ohr zum anderen. Der 44-jährige ist seit 15 Jahren Fan des VfB Germania. Als er vor 20 Jahren nach Halberstadt zog, spielte der Verein mehr schlecht als recht in der Landesliga. Mit gerade mal 80 Zuschauern. Dabei hatte der Halberstädter Fußball schon bessere Zeiten erlebt. Zum Beispiel in den 70er Jahren. Als man in der DDR-Liga mitkickte. Jürgen Spar- wasser, Torschütze beim 74er-WM-Spiel gegen die Bundesrepublik, erlernte hier sein Fußballhandwerk. Inzwischen sehen die Fußballzei- ten wieder rosiger aus. VFB Germania spielt in der Oberliga mit. Und mit dem Erfolg wächst auch die Gunst. Beim Spiel gegen die Sachsen spornen über 1.000 Zuschauer die Germanen an. Atmo 9 der kommt gut ... Tooor, Tooor, ... Halberstadt ... O-Ton 3 Bernd Waldow mit Fans: 27. Spielminute, Tor für den VFB Germania. Unser Torschütze mit der Nummer 4 ist Randy ... wir haben eine neuen Spielstand, Tore für den VFB Germania: eins! Tore für den FC Sachsen: 0! Danke! Bitte! Atmo 9 mischen mit Atmo 10 Domplatz mit Glockenschlag Autorin: Halberstadt, eine Kleinstadt mit knapp 40.000 Einwohnern im Westen von Sachsen-Anhalt. Schon von weitem sieht der Besucher den Dom mit seinen zwei prächtigen gotischen Spitztürmen. Halberstadt - ihr Tor zum Harz wirbt die Stadt seit der Wende. Die meisten Besucher sind nur auf der Durchreise. Entweder wollen sie weiter nach Werni- gerode und mit der Schmalspurbahn auf den Brocken. Oder sie sind auf dem Weg nach Quedlinburg, in die Welterbestadt. Nachdem im vergangenen Sommer rechte Schläger fünf junge Theaterleute brutal zusammengeschlagen haben, ringt die Kreisstadt um ihr Image. Fast 250.000 Einwohner leben im Harzkreis. Es ist einer der größten Landkreise in Sachsen-Anhalt, aber auch einer mit einer hohen Ar- beitslosigkeit. Zurzeit liegt die Quote bei 16 Prozent. Atmo 11 Gang in das Domherrenhaus, Tür geht auf und zu, Klingel Autorin: Der Präsident vom VfB Germania Halberstadt hat kein eigenes Büro im Stadion. Dazu reicht das Geld nicht. Gäste empfängt Olaf Herbst in den Räumen seiner Firma. Der Bauunternehmer residiert in der Belle Etage eines früheren Domherrenhauses. An der weißen Wand seines Büros hängen große Fotos von Brücken. Der "Iron Bridge" in Coalbrookdale, der ersten Eisenbrücke der Welt, der Golden-Gate- Bridge in San Francisco und der Glinicker Brücke in Potsdam. In den 80er Jahren habe er dort als Matrose gedient, sagt Herbst und lässt sich entspannt in seinen schwarzen Ledersessel plumpsen. Seit bald acht Jahren ist er Präsident des Vereins. Ein Plakat der Germanen ist jedoch nirgends zu sehen. O-Ton 5 Olaf Herbst: Ich bin in einer Familie groß geworden, wo es wirklich jeden Sonnabend um 18:05 ging damals die Sportschau los. Da konnte passieren was wollte, da ging der Fernseher an und alles musste ruhig sein. Weil meine Vater eben so war, der wollte immer Fuß- ball gucken. Wir hatten Familienfeiern, mein Bruder hat geheira- tet und da wurde Fußball geguckt, weil an dem Tag gerade ein Länderspiel war. Autorin: Der Präsident eines Oberliga-Vereins sollte vor allem gute Kontakte zur Wirtschaft haben, erzählt Olaf Herbst. Denn Oberliga bedeutet Geld und das muss er akquirieren. Als der Verein vor acht Jahren von der Verbandsliga in die Oberliga aufstieg, gründete Herbst mit Unter- nehmern aus der Region eine Gesellschaft, die Halberstädter Fußball GmbH. Vier Sponsoren gaben damals das private Startkapital. Inzwi- schen unterstützen 85 Sponsoren den Verein und 23 Gesellschafter teilen sich das Sagen. O-Ton 6 Olaf Herbst: Der Reiz liegt daran für alle, die sich dort beteiligt haben, einfach was für die Region zu machen. Dass man Menschen, insbeson- dere erst einmal junge Leute, jungen Menschen von der Straße kriegt, und dass man diesem Verein auch einfach die Möglichkeit bietet, traditionsreiche Fußballmannschaften nach Halberstadt zu holen. Das ist alles, was reizt, aber der grundsätzlich Gedanke ist eben etwas für die Stadt zu tun, in der man lebt und Geld ver- dient und vielleicht etwas zurückgeben kann. Autorin: Das mit dem Geben ist aber immer so eine Sache. Die Germanen sollten in dieser Saison alles geben, um in der Oberliga Süd auf einen der ersten vier Ränge zu kommen. Darin waren sich die Gesellschaf- ter einig: die Regionalliga war das Ziel. Eine feine Sache dachten sich die Spieler, die Fans und die Gesellschafter. Doch die Hinrunde lief schlecht, der 13. Platz das magere Ergebnis. Die Gesellschafter be- schlossen deshalb, keinen Lizenzantrag beim Deutschen Fußball- bund für die Regionalliga zu stellen. Trainer, Spieler und Fans wurden darüber allerdings nicht informiert. Ein paar Tage gaukelte ihnen der Geschäftsführer der Fußball GmbH sogar vor, er habe den Antrag beim DFB eingereicht. Die Wahrheit erfuhren sie erst aus der Tages- zeitung. Autorin: Ja, gibt Präsident Olaf Herbst zu, besonders glanzvoll sei das Ganze nicht abgelaufen. Aber der DFB stellt für den Aufstieg in die Regional- liga Bedingungen, die unser Verein nicht erfüllen kann, verteidigt er sich. Eine Flutlichtanlage, ein Kunstrasenplatz, die Zuschauertribüne muss zu einem Drittel überdacht sein, der ganze Platz braucht einen Zaun, den kein Fan mehr von Sachsen-Leipzig einfach über den Hau- fen rennen kann. Investitionen, die weit über einer Million Euro liegen dürften. O-Ton 7 Olaf Herbst: Als dann diese Sache raus kam Mittwoch, nach meiner Arbeits- zeit, haben wir uns dann mit der Mannschaft in der Kabine ge- troffen. Ich habe versucht, den Frust entgegenzunehmen und na- türlich Erklärungen abgegeben. Sicherlich an dem Abend war es nicht gerade angenehm, auch für mich nicht. Macht auch keinen Spaß, der Überbringer von schlechten Botschaften zu sein. Und ich habe auch die Spieler an dem Abend verstanden, die frust- riert waren. Jeder Fußballer glaubt ja, jetzt ist die Chance da und in der Regionalliga kann ich mich dann besser präsentieren und ich schaffe es vielleicht mal in die zweite Bundesliga. Atmo 12 Jungs kommen an, klacker, klacker, klacker ... Autorin: Zurück zum Spiel gegen den FC Sachsen-Leipzig. Halbzeit. Noch immer steht es eins zu null für die Germanen. Das Vereinshaus stammt aus den 50er Jahren. Die Stollen der Spieler klackern über abgelaufene Fliesen. Die Umkleidekabine ist schlicht. Graue Wände, braune Holzbänke, der Kühlschrank gefüllt mit Energiedrinks. An der rechten Wand hängen zwei grüne Tafeln. Darauf hat jemand mit wei- ßer Kreide zwei Tore, ein paar Xse und Pfeile gemalt. Atmo 13 Umkleidekabine ahhh Autorin: Rote Gesichter, nasse Haare, verschwitzte Körper. Auf der Bank liegt die Nummer eins, Torwart Sebastian Kischel. Mannschaftsarzt Wolf- gang Bartel winkelt vorsichtig sein rechtes Bein an. Atmo 14 Drück hoch den Fuß, nicht so doll ... nicht so doll, nicht so doll Autorin: Dann stellt sich Trainer Andreas Petersen vor die Kreidetafeln. Breit- beinig, die Hände in die Hüften gestemmt. An seiner Seite Co-Trainer Frank Lindemann. Andreas Petersen zieht die Stirn in Falten, schaut grimmig drein, holt tief Luft. Erst mal setzt es Schelte. O-Ton 8 Andreas Petersen: Wir haben das Spielfeld viel zu groß gehalten. Der Torwart macht nen Abschuss von denen im Feld der eigenen Hälfte, Saale ste- hen hier hinten drinne, habt ihr zuviel Schiss gehabt? Bisschen Mut mehr, jetzt müssen wir aufpassen. Autorin: Die meisten Spieler japsen noch immer nach Luft. Nur wenige schau- en den Trainer an. Der fordert mehr Ballaktion, es ruhig mal klatschen zu lassen, höhere Bälle. Jeder Spieler kriegt sein Fett weg. O-Ton 9 Andreas Petersen: Elge, 5 Minuten vor der Pause bist du munter geworden. Ja, Latzi such die eins eins Situation, riskier das, sie werden jetzt noch mal Druck erzeugen, sie müssen Druck erzeugen, daraus erge- ben sich Räume, aber Elge und Latzi müssen immer diese Wege immer mitgehen, ja ... Autorin: Nils soll nicht so viele Einwürfe produzieren. Die ganze Mannschaft, brüllt der Trainer schließlich, braucht mehr Aktion. Bisher habt ihr viel zu langweilig gespielt. Andreas Petersen holt noch einmal tief Luft. Dann werden seine Gesichtzüge plötzlich weicher. Er lächelt, nickt seiner Mannschaft aufmunternd zu. Von nun an wird gepäppelt. Psy- chologische Fußball-Taktik. Nur gebrüllt wird noch lauter. O-Ton 10 Andreas Petersen: Habt jetzt weiterhin diese Entschlossenheit, diese Galle, diese Bissigkeit, diese hohe Laufbereitschaft, und zu verschenken, Saale, haben wir hier gar nichts. Den Ball schießen wir hier nächstes Mal nicht mehr ins Aus, ja. Wir wollen den Dreier holen, wir zeigen es allen den, die nicht mehr an euch und uns glauben. Auf geht´s Germania ... Autorin: Von den Streitereien über den verpatzten Lizenzantrag ist in der Um- kleidekabine nichts zu spüren. Nils Pölzing, 23 Jahre jung, sitzt auf der unbequemen Holzbank. Mit der Hand wischt er sich den Schweiß vom Gesicht, das ist immer noch rot wie eine Tomate. Die blonden Stoppelhaare stehen ihm zu Berge. Er ist der Mann in der Mannschaft mit den meisten Spielminuten. Der linke Verteidiger spielt ziemlich gut, darum sind auch andere Vereine an ihm interessiert. Zum Bei- spiel der Hallesche FC oder Tennis Borussia Berlin. Ein Innenband- riss vermasselte ihm im vergangenen Jahr den Wechsel zum Traditi- onsverein Eintracht Braunschweig. Körperlich ist er topfit, dafür macht ihm jetzt der DFB das Leben schwer. O-Ton 11 Nils Pölzing: Dieses Jahr ist es halt so, dass viele Vereine selber nicht sagen können, wie es momentan mit ihnen weitergeht, weil alles in der Schwebe ist, was mit der neuen Regionalliga ist. Wenn sie es schaffen, sieht es finanziell super aus, wenn sie es nicht schaf- fen, geht bei vielen auch das Licht aus. Ich schaffe es nicht mehr so Fußball zu spielen, dass ich irgendwann mal sagen kann, ich kann mit 30 aufhören. Autorin: Mit fünf fing er an Fußball zu spielen. Mit dreizehn träumte er von der großen Karriere als Bundesligastar. Jetzt mit 23 denkt Nils Pölzing manchmal über ein Leben nach seinem Fußballerleben nach. Aber für solche Gedanken hat er in der Halbzeit natürlich keine Zeit. Nach zehn Minuten ist die Verschnaufpause vorbei. Kapitän Enrico Gerlach treibt seine Jungs in die zweite Halbzeit. Die absolvieren sie mit Bra- vour. Am Ende besiegen die Germanen den FC Sachsen-Leipzig mit zwei zu null. Eine Premiere in der Vereinsgeschichte. Atmo 16 Halle mit Druckmaschinen Autorin: Rodersdorf. Hier könnte demnächst das zweite Leben von Abwehr- spieler Nils Pölzing beginnen. Alex Maree steht in seiner Fabrikhalle, einem ehemaligen Schafstall. Vor acht Jahren hat der Niederländer mit seiner Firma Etikon den Westen verlassen und ist in den Osten gezogen. Etikon produziert selbstklebende Etiketten aller Art. Die mo- dernen Maschinen in der Halle drucken bis zu sechs Farben auf un- terschiedlichstes Material. Die Investitionen haben viel Geld gekostet. Aber es waren nicht nur die Subventionsmittel, die den 44-jährigen nach Rodersdorf lockten, es waren auch die Menschen. O-Ton 13 Alex Maree: Wir waren mit diese Firma in Ratingen bei Düsseldorf. Das größ- te Problem war Personal. Man hat einfach kein Personal gekriegt. Hmmm wieso, ja, wie sage ich das. Die wollen alle einfach nicht mehr so gerne mit die Hände arbeiten. Saubere Hände am Rech- ner, am Telefon, das war eigentlich unser größtes Problem. Autorin: In Rodersdorf machen sich Menschen ganz gerne ihre Hände schmutzig, wenn sie dafür einen sicheren Arbeitsplatz bekommen. Der scheint bei Maree sicher zu sein, das Unternehmen wächst. Im vergangenen Jahr lag das Wachstum bei 22 Prozent, in diesem Jahr bei 15 Prozent, schätzt der Niederländer. Atmo 17 Maschine klackert Autorin: Im Sekundentakt spucken die Maschinen weiße rechteckige selbst- klebende Etiketten aus. Bei Bedarf können es auch schwarz-rot- weiße Germania-Aufkleber sein. O-Ton 14 Alex Maree: Haben wir auch gemacht (lacht), war Pflicht natürlich als Spon- sor, kostenlos, jawohl. Autorin: Seit dieser Saison unterstützt Etikon den Fußballverein. Vor kurzem ist Alex Maree auch als Gesellschafter eingestiegen. Welche Geld summe er den Germanen in der kommenden Spielzeit überlässt, will der Niederländer nicht preisgeben. Überhaupt, über Geld spricht man in dieser Branche nicht gern. Präsident Olaf Herbst freut sich über je- den Geldbeitrag. Auch wenn es nur 100 Euro sind. O-Ton 15 Alex Maree: Die gehen da schon ein bisschen drüber hinaus (lacht) genaue Zahlen will ich nicht nennen, aber es ist ähm ein ganz anspre- chende Summe kann ich sagen, ja. Da wird jeder Bundesligaver- ein sich auch drüber freuen, ja. Autorin: Vielleicht ist es eine sechsstellige Summe, die Maree in den Verein investiert. Damit würde er Hauptsponsor, dürfte stärker mitbestim- men, wie es weiter gehen soll. Bisweilen seien ihm die Diskussionen der 22 anderen Gesellschafter, Maree zaudert kurz und sagt dann, zu provinziell. Daran will er was ändern, doch was genau, will er vorerst nicht verraten. Doch mit Profit habe Sponsering wenig zu tun, sagt der 44-jährige. Und warum soll ein Holländer nicht eine deutsche Fußballmannschaft unterstützen. Diese Vorstellung habe einen ge- wissen Charme, sagt der zwei Meter Mann und lächelt sein breites Lächeln. O-Ton 16 Alex Maree: Die meisten Holländer sind fußballbegeistert, die Deutschen auch. Es ist so´n Art Volkssport. Wir verdienen hier unser Geld und wir wollen auch etwas zurücktun. Und Fußball ist einfach ein Hobby von mir, ich habe mein Leben lang Fußball gespielt. Und Germania Halberstadt wie unsere Verein dann heißt, ich nenne das schon unser, hat natürlich wahnsinnig viel Potential. Und warum sollen wir nicht das erreichen hier in diese neue Land- kreis was viele für unmöglich halten. Warum sollen wir nicht auf- steigen in die 4. Liga und vielleicht sogar in Zukunft in die 3. Li- ga. Möglich ist das hier alles. Autorin: Der Niederländer hat Visionen. Doch für die kommende Saison ist bei den Germanen erst einmal Konsolidierung angesagt. Darum sollen al- le Spieler einer geregelten Arbeit nachgehen. Trainiert wird dann nur noch abends. Alex Maree hat dem Abiturienten Nils Pölzing eine Lehrstelle als Industriekaufmann angeboten. Der Abwehrspieler ist ein wichtiger Mann im Team. Mindestens sieben Fußballer kommen bei Etikon unter. Atmo 18 Schweißen in einer Halle Autorin: Steffen Plock hat bereits zwei Jobs. Tagsüber arbeitet er bei hatewe. In der riesigen Halle des Metallkonstrukteurs riecht es nach Metall und Öl. Fünf Meter lange Wannen für Schiffsmotoren stehen auf dem Boden. Der 32-jährige läuft auf drei Kompressoren zu, von denen je- der in ein Einfamilienhaus passen würde. Steffen Plock trägt eine modische Fransenfrisur und hat ein Grübchen im Kinn. Auf dem Fuß- ballplatz spielt er seit vielen Jahren im Mittelfeld. Darin hat er Routine. In seinem Job bei der Firma hatewe fehlt sie ihm noch. Der Diplom- Sportingenieur hatte Glück. Nach seinem Studium fand er auf Anhieb Arbeit in Halberstadt. O-Ton 17 Steffen Plock: Ne glückliche Situation war, dass der Geschäftsführer René Cu- naeus damals auch Geschäftsführer der Fußball GmbH gewesen ist und somit konnte ich das ganz gut kombinieren und ich bin auch ganz dankbar dafür, dass das geklappt hat. Autorin: René Cunaeus steht neben seinem ein Jahr jüngeren Schützling. Der Geschäftsführer hat früher natürlich auch für die Germanen gekickt. Die große Fußball-Familie trifft sich bei der Arbeit, beim Training, bei den Spielen und manchmal abends noch auf ein Bier. Der VfB Ger- mania - ein Netzwerk, das seinesgleichen in Halberstadt sucht. Doch ohne Leistung käme ein Fußballspieler auch bei dem Metallkonstruk- teur hatewe nicht weiter, betont René Cunaeus. O-Ton 18 René Cunaeus: In der Rangfolge ist schon wichtig, dass Steffen sich auch im Unternehmen einbringt bei den Mitarbeitern. Wenn die Arbeit nicht passt und er geht eine Stunde früher, dann brauchen wir da beim zweiten Mal nicht drüber zu diskutieren. Da ist es sein Ei- genengagement, dass er eben sagt, dass diese Zeit eben ir- gendwo nachgearbeitet wird, oder er sich auch noch einmal zu- hause hinsetzt am Wochenende, um bestimmte Zeichnungen aufzuarbeiten. Atmo 19 Schweißen Autorin: Die Doppelbelastung - Arbeit und Fußball - war anfangs anstrengend. Inzwischen, sagt Steffen Plock, bekomme er das ganz gut hin. Tags- über zur Arbeit, abends zum Training. Tja und nachts dann zu seiner zweieinhalbjährigen Tochter und seiner Freundin nach Magdeburg. O-Ton 19 Steffen Plock: Das zerrt schon an mir. Und noch mehr als diese zeitliche Belas- tung wiegt eigentlich das Gefühl, zu wenig für die Familie da zu sein. Da muss ich meiner Freundin natürlich auch totale Hoch- achtung zollen, dass die das so mitmacht. Autorin: Doch noch scheint Steffen Plock vom Virus Fußball infiziert zu sein und macht sich auf den Weg zum Training. Atmo 20 Fußballplatz Autorin: Claudia Meyer sitzt auf einer Bank vor dem Vereinshaus. Sie ist Fan der Germanen. Sie wartet darauf, dass ihre Helden aus der Umklei dekabine kommen. Ungeduldig wippt sie mit ihren Füßen auf und ab. Die zierliche Frau kommt vormittags und nachmittags zum Training, zu den Heimspielen und fast jedem Auswärtsspiel. Hinter der Brille schauen erwartungsvoll zwei große grüne Augen, dann fängt sie an, über das ganze Gesicht zu strahlen. Mittelfeldspieler Steffen Plock, liebevoll Plocki genannt, tritt aus dem Gebäude. Atmo 21 Begrüßung Spieler - Claudia Autorin: Er gibt ihr die Hand, dann folgt ein Küsschen rechts und links auf die Wange. Kapitän Enrico Gerlach kommt auch aus dem Vereinshaus. Die 29-jährige fängt am ganzen Körper an zu zappeln. Gerle ist näm- lich ihr Lieblingsspieler. Atmo 22 Klatschen, super Gerle, saustark, mir kannste auch gratulieren ... Autorin: Claudia Meyer erzählt Gerle begeistert, dass sie mit ihrer Mannschaft das Rolli-Basketballspiel gewonnen hat. Enrico Gerlach klapst der 29- jährigen liebevoll und anerkennend auf die Schulter. Dann trabt er los Richtung Trainingsplatz. Autorin: Es gibt aber auch Tage, an denen Claudia Meyer nicht zum Training kommt. Wenn es mir schlecht geht, sagt sie, und meine Beine nicht so wollen wie ich will. Die junge Frau ist seit ihrem zweiten Lebens- jahr an Händen, Armen und Beinen teilweise gelähmt. Eine Hirnhaut- entzündung hat das Leben von Claudia Meyer radikal verändert. O-Ton 20 Claudia Meyer: Am Anfang war ich auch ein bisschen schüchtern und wusste nicht, wie ich auf die Jungs zugegangen bin und dann haben sie mitgekriegt, dass ich komplett bei jedem Spiel dabei bin und dann haben sie halt gesagt, O.K., das ist unser Edelfan, da muss man halt ein bisschen was machen. Autorin: Nach ihrer Lehre als Bürofachfrau blieb der 29-jährigen nichts ande- res als die Arbeitslosigkeit. Die Fußballer sind inzwischen ihre zweite Familie. Sie akzeptieren mich so wie ich bin, sagt sie. Und unterkrie- gen lasse sie sich von ihrer Krankheit genauso wenig, wie die Ger- manen vom verpatzten Lizenzantrag für die Regionalliga. Dann rafft sich Claudia Meyer auf und läuft langsam mit Hilfe von zwei Krücken zum Spielfeld. O-Ton 21 Claudia Meyer: Das mag ich super gerne an der Mannschaft. Dass halt der Kampfgeist so groß ist, ganz egal was passiert. Wenn sie verlie- ren, dann machen sie eben den nächsten Sieg, oder wenn sie nur unentschieden spielen, dann sind sie eben auch wieder beim nächsten Sieg. Andere Mannschaften, die geben sich auf, das würden unsere nicht tun. Ich meine klar, wenn sie dann verlieren, knicken erst Mal die Köpfe weg, aber brauchen sie so ein Fan wie mich, der dann sagt, los Kopf hoch, weiterkämpfen. Noch ist die Saison nicht vorbei. Atmo 24 Training .... Trillerpfeife, Felder abräumen, Felder abräumen, kommt alle hier zusammen, hier, Ploggie, mal die Schuhe runter, so Männer... Autorin: Am Spielfeldrand steht Andreas Petersen, gibt Anweisungen fürs Training. Im kommenden Spiel will er unbedingt drei Punkte. Unver- holen gilt in der Mannschaft die Devise: Auch wenn der Lizenzantrag für die Regionalliga fehlt, Platz fünf bleibt das Ziel. Atmo 24 Hier wird geschnurrt, wir wollen Sonntag wieder ein ordentliches Spiel machen, da legen wir heute die Grundlagen schon mal für ... Autorin: Die Mannschaft wird in drei Gruppen aufgeteilt. Jung spielt gegen Alt. Die Mittleren dürfen mit dem Medizinball unterm Arm Wendeläufe ver- anstalten. Sehr beliebte Trainingseinheit. Atmo 25 laufen mit Medizinball Autorin: Als Andreas Petersen vor einem Jahr die Mannschaft übernahm, drohte ihr der Abstieg in die Verbandsliga. Ziel war, die Klasse zu hal- ten. Jetzt stehen die Germanen auf Platz fünf. O-Ton 23 Andreas Petersen: Ja momentan sieht es nicht schlecht aus, aber nie zufrieden sein, nie zufrieden sein ... ich weiß, wenn du dich heute freust und feierst, bist du morgen schon gefeuert uihh ... Randy ruhig laut werden, Ploggie komm bewegen Atmo Training Hintergrund Autorin: Andreas Petersen ist ein strenger Trainer. Drei Tage vor jedem Spiel sind Alkohol und Frauen tabu - zumindest in der Öffentlichkeit. Wer sich nicht dran hält, kriegt einen Strafzettel. Petersen hat früher selber gespielt, schaffte es bis in die DDR-Liga. Atmo 27 Hintergrund Kneipe durchgängig Autorin: Zwei Stunden später sitzen Spieler und Trainer in der Kneipe Zum Bierhebel. Alle Vierteljahr veranstalten die Germanen einen Mann- schaftsabend. Auf einer riesigen Leinwand flimmert ein Spiel der Championsleague. Das Interesse ist mäßig. Schließlich spielt kein deutscher Verein. Das Thema Lizenzantrag stößt noch immer auf gleichgültige Minen. Der Kapitän der Mannschaft, Enrico Gerlach, schaut bei der Frage lieber in sein Bierglas und sagt dann trotzig. Atmo kurz hochziehen Autorin: Noch ist er Vollprofi, von der nächsten Fußballsaison an wird Enrico Gerlach tagsüber arbeiten gehen müssen. Einen festen Job hat der gelernte Heizungsmonteur noch nicht. Aber die neue Strategie, die der Verein jetzt fahre, die sei schon in Ordnung, meint der Kapitän mit dem drahtigen Körper. Oberliga sei schließlich nicht Bundesliga. Ein Leben ohne Fußball kann sich der 31-jährige Mittelfeldspieler im Moment nicht vorstellen. Als Sportler, sagt er lächelnd, willst du doch dein ganzes Leben lang die Nummer eins sein. O-Ton 26 Enrico Gerlach: In erster Linie bin ich Sportler, und wenn man das ab dem fünf- ten Lebensjahr irgendwo bestritten hat den Sport, man liebt den Sport, dann hat man nicht solche Abende wie heute, sag ich mal, das ist schon die geilste Sache auf der Welt. 19