COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 21. Oktober 2013, 19 Uhr 30 Schwierige Partner - Deutschland und seine befreundeten Machthaber. Von Johannes Nichelmann 01.O.-Ton: CDU TV I (Moderator) Frau Merkel, ich schlage vor, wir fangen an? (Merkel) Joa. (Moderator) Holen mal den ersten Anrufer, die erste Anruferin zu uns und dort haben wir Petra Z. aus Heidenheim. Einen schönen guten Abend! (Frau Z.) Z., guten Abend! Ich habe folgende Frage, Frau Doktor Merkel: Wie sehen Sie die Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland auf wirtschaftlicher Ebene? (Merkel) Also, ich hab mich natürlich gefreut, dass der chinesische Ministerpräsident, ähm... Musik Sprecherin vom Dienst Schwierige Partner - Deutschland und seine befreundeten Machthaber. Eine Sendung von Johannes Nichelmann. 02. O-Ton: CDU TV II (Merkel) Zwischen China und Deutschland, ja? (Frau Z.) Ja. Autor Die Kanzlerin bei CDU TV, im Internet. Christdemokraten stellen Fragen an die Parteichefin. Und die erzählt. Zum Beispiel, dass sie mit dem chinesischen Ministerpräsidenten nicht nur über Wirtschaft geredet habe... 03. O-Ton: CDU TV III (Merkel) Sondern auch über politische Fragen, über Fragen der Menschenrechte, der Pressefreiheit zum Beispiel. Und was die wirtschaftliche Zusammenarbeit anbelangt, so hat Deutschland jetzt natürlich schon sehr gute Kontakte nach China... Musik Autor Deutschland ist Europas Wirtschaftsnation Nummer eins. Exportorientiert - aber rohstoffarm. Die Handelspartner sind über den gesamten Globus verteilt. Darunter auch zahlreiche Staaten, in denen ein autoritäres Regime an der Macht ist, Menschenrechte eine untergeordnete Rolle spielen. Zum Beispiel: Saudi-Arabien - 11 Milliarden Euro Handelsvolumen. Pakistan und Aserbaidschan jeweils 2 Milliarden, Kasachstan - 6 Milliarden, China - 67 Milliarden Euro aus Ausfuhren. 77 Milliarden Euro aus Einfuhren. Unsere Wirtschaft ist abhängig von diesen Ländern und umgekehrt. Welche Rolle kann bei Geschäften die Moral spielen? Und: Welchen Einfluss darf die deutsche Politik auf die Menschenrechte in anderen Ländern nehmen? Musik: Ende/ Blende Autor Eberhard Sandschneider hat seine Antwort darauf gefunden. Der China-Experte ist Leiter des Forschungsinstituts der "Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik". Eine Organisation, die politischen Köpfen aus aller Welt eine Bühne bietet. Und intensiv über Wege in der internationalen Politik nachdenkt. Bundeskanzlerin Merkel, sagt Professor Sandschneider, habe einen guten Grund, warum sie Chinas Ministerpräsident Li Keqiang an die Menschenrechte erinnert. 04. O-Ton: Sandschneider Die Tatsache, dass sie die Ansprache von Menschenrechten erwähnt, hat zunächst einmal weniger mit dem chinesischen Ministerpräsidenten zu tun, sondern mit deutscher Innenpolitik. Das erwarten die deutschen Medien, dass erwartet die deutsche Öffentlichkeit, dass die Kanzlerin das sagt. 05. O-Ton: Collage, Vox-Pop (Frau I) Das ist so ein gravierendes Problem. Ich denke, da sollten sich Länder, die gut funktionieren, so wie Deutschland, schon einmischen. (Mann I) Außenpolitisch gesehen profitieren ja beide Seiten davon. Das heißt, die deutsche Wirtschaft profitiert durch ihre Gewinne. Aber auch das Ausland. Durch den Handel. Sind die Menschen ja besser gestellt. Sonst würde es ihnen ja noch schlechter gehen. (Frau II) Wir haben alle gerade was an uns, was aus China kommt. Und das ist das Problem. Wir halten uns nicht dran. Aber das ist so, wie mit allen Dingen, wo wir nicht konsequent sind. Was soll ich sagen, hier vor einer Bank?! 06. O-Ton:Sandschneider Was sie ihm genau gesagt hat, kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich bei dem Gespräch nicht dabei war. Aber selbst wenn sie etwas gesagt hat, wird sie vermutlich vom chinesischen Ministerpräsidenten eine sehr selbstbewusste Antwort bekommen haben, die sinngemäß darauf hinausläuft, dass er sagt: "Wir wissen, dass wir noch Probleme mit den Menschenrechten haben. Aber Sie müssen verstehen, der Westen hat mehrere Jahrhunderte gebraucht, um diese Politik umzusetzen, wir sind jetzt seit dreißig Jahren unterwegs, wir brauchen noch Zeit." Musik Autor China verändert sich. Seit dem Ende der 1970er Jahre gibt es Wirtschaftsreformen. Auch das Rechtssystem wurde in den letzten Jahrzehnten grundlegend umgestaltet. Dennoch beobachtet "Amnesty International" immer wieder Rückschritte. Dirk Pleiter beschäftigt sich für die Menschenrechtsorganisation mit der Situation in China. Willkür durch Polizei und Gerichte, Unterdrückung von Tibetern und Uiguren, unwürdige Arbeitsbedingungen - die neue Regierung der Volksrepublik hat bisher keine Signale für Veränderungen gesetzt. 07. O-Ton: Pleiter Die Menschenrechtsprobleme, die wir in den Jahren zuvor beklagen mussten, die sind nach wie vor aktuell. In manchen Bereichen stimmt einfach die Richtung nicht, ist einfach die grundsätzliche Bereitschaft der chinesischen Regierung nicht da, elementare Menschenrechte tatsächlich auch zu schützen. Das ist etwas, wo es nach wie vor eines politischen Drucks auf die chinesischen Behörden auch bedarf. Autor Dirk Pleiter begrüßt es, dass die Bundeskanzlerin China immer wieder auf diese Missstände hinweist. 08. O-Ton: Pleiter Die Bundesregierung macht das natürlich auch ein Stück weit aus dem Grund, weil sie natürlich eine kritische Öffentlichkeit hier in Deutschland nachfragt. Deswegen vermissen wir ja auch eigentlich immer auch eine konsequente Umsetzung auch einer Menschenrechtspolitik, die hier wirklich auch langfristige Ziele verfolgt. Natürlich wissen wir auch, dass man da kurzfristig keine Veränderungen oder große Veränderungen in China herbeiführen kann. Dafür ist ja letztendlich auch die chinesische Führung selbst verantwortlich. Musik Autor Berlin, Auswärtiges Amt. FDP-Mann Markus Löning ist der Menschenrechtsbeauftragte der scheidenden schwarz-gelben Regierung. Über dem Sofa in seinem Büro hängt eine große Weltkarte. Viel ist er in den letzten Jahren herumgekommen. Hat Menschenrechtler auf dem gesamten Globus getroffen. 09. O-Ton: Löning Kernfreiheiten sind, ich sag mal, Pressefreiheit. Meinungsfreiheit ist die Mutter aller Freiheiten, denn wenn Menschen wissen, was in ihrem Land vorgeht, wenn sie frei darüber sprechen können, dann folgt aus dieser Freiheit zu diskutieren fast immer die Freiheit einen Wechsel einzuleiten und die Verhältnisse zu verbessern. Insofern ist das ganz zentral. Autor Die Bundesregierung, sagt Markus Löning, könnte bei der Verbesserung der Menschenrechtslage nur insoweit helfen, als das sie die Bewegungen im Land oder Aktivisten im Exil unterstützt. Auch im Fall China. 10. O-Ton: Löning Gleichzeitig machen wir natürlich Druck auf die chinesische Führung und fordern immer wieder ein, dass sie ihre eigenen Gesetze einhält. Dass sie international eingegangene Verpflichtungen einhält. Wir setzen sie unter Druck, zum Beispiel bei der Todesstrafe. Es gibt einen intensiven Rechtsstaatsdialog, wo es darum geht Rechtssetzung, aber auch Rechtspraxis zu verbessern. 11. O-Ton: Löning Wie viel Einfluss wir haben, ist sehr schwer statistisch zu messen. Ich messe das immer daran, dass mir die chinesischen Bürgerrechtsaktivisten sagen, sie sagen immer: "Was Ihr als Deutschland macht, als Bundesregierung macht, das hilft uns sehr. Das unterstützt uns sehr." Und das ist für mich das Maß der Dinge. Was sagen die Chinesen selber? Autor Markus Löning bekommt hin und wieder Anrufe von erbosten Firmenchefs. Er würde durch seine Arbeit in "ruppiger Art und Weise" das Klima vergiften. Passen Menschenrechte und Wirtschaftsinteressen in eine Gleichung? Eberhard Sandschneider. 12. O-Ton: Sandschneider Ich halte es für prinzipiell falsch, Menschenrechte und wirtschaftliche Interessen in dieselbe Gleichung einzubauen. Weil an der Stelle die weichen Kriterien immer hinten runter fallen. Wenn man die wirtschaftlichen Interessen dazu benutzt, einen vertrauensvollen, kritischen Dialog über Menschenrechte zu formulieren, kommt man insgesamt weiter. Beides schließt sich nicht gegenseitig aus. Insofern halte ich es für falsch, das Menschenrechtsargument zu ziehen, gegen wirtschaftliche Interessen oder umgekehrt zu sagen, wir reden nicht über Menschenrechte, weil wir wirtschaftliche Interessen haben ist genauso verlogen wie umgekehrt. Autor Unternehmen, die in der Heimat auf ein westliches Wertesystem bauen, geben gerne an, dass sie dieses auch in Staaten mit autoritärer Führung bringen. Stück für Stück werde die Situation der Arbeiterinnen und Arbeiter dort verbessert. Vorausgesetzt allerdings, dass sich alle Beteiligten daran halten. Für Dirk Pleiter von "Amnesty International" geht das nicht auf. 13. O-Ton: Pleiter Das ist eine Entwicklung, die kann vielleicht so ablaufen. Es gibt aber überhaupt keine Garantie und das ist kein Ersatz für eine Menschenrechtspolitik. 14. O-Ton: Sandschneider Wir haben keine Verantwortung für die Innenpolitik eines anderen Staates. Wir sind mit der Verantwortung unsere eigene Innenpolitik zu organisieren bestens beschäftigt. Verantwortung an der Stelle gibt es nicht. Wir haben ein übergeordnetes Interesse daran, dass Menschenrechte, weil wir sie für sinnvoll halten, weil wir auch von ihnen profitieren, wir alle sind froh unter diesen Menschenrechtsbedingungen zu leben und nicht unter den chinesischen. Daraus kann man die Verantwortung ableiten, für die Verbreitung dieser Idee sorgen zu wollen. Ob man dafür legitimiert ist, ist schon eine spannende Frage in der internationalen Politik. Autor Sich nicht offen für die Menschenrechte einsetzen? Markus Löning hält das für zynisch. 15: O-Ton: Löning Wir leben in einem freien Land, wir haben das große Privileg in einem freien Land zu leben. Und ich glaube, dass es keine Frage der Moral ist, sondern eine Frage der Mitmenschlichkeit und auch des eigenen Interesses, dass wir diejenigen unterstützen, die ihre Länder in Richtung Rechtsstaatlichkeit, in Richtung Demokratie entwickeln wollen. 16. O-Ton: Sandschneider Wir sollen aufhören verlogene Menschenrechtspolitik zu betreiben. Versuchen Sie dieser Tage mal einem Chinesen zu sagen: "Ihr müsste Eure Menschenrechtspolitik verbessern!". Wissen Sie, was der antwortet? Der kommt zurück und sagt: "Ach so!? Ja, dann erklären Sie mir doch mal bitteschön Guantanamo, erklären Sie mir Abu Ghraib. Können Sie mir eigentlich erklären, warum sie in Libyen eingreifen, aber nicht in Syrien? Und können Sie mir erklären, warum dreitausend Giftgastote in Libyen einen Militärschlag des Westens auslösen, aber die hunderttausend Menschen, die in den Jahren davor gestorben sind, nicht? Glaubwürdigkeit ist das große Defizit in unserer Menschenrechtspolitik! Musik 17. O-Ton: Archiv, Reportage Gaddafi (Reporter) Gaddafi bedankte sich formvollendet für den standesgemäßen Empfang. (Gaddafi) Arabisch. (Übersetzer) I would like to see this opportunity to... (Reporter) Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen und meinem Bruder Prodi dank sagen. (Gaddafi) Arabisch. (Übersetzer) I would like to say that this is a very... (Reporter) Und ich möchte auch sagen, dass es ein historisches Treffen war. Musik Ende Autor Der Fall Gaddafi. Jahrzehntelang galt der Führer Libyens für den Westen als Terrorist. Die Beziehungen lagen nach dem Anschlag auf eine Berliner Diskothek, 1986, auf Eis. Doch irgendwann wurde man sich wieder handelseinig und der Diktator in der EU ein gern gesehener Gast. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ließ ihn mitten in Paris zelten, Silvio Berlusconi lobte ihn "als Mann tiefer Weisheit" und Gerhard Schröder lächelte 2004 mit ihm in die Kameras. Und dann kam der sogenannte "Arabische Frühling" und der Westen startete seine Kampfjets. 18. O-Ton: Merkel Natürlich freuen wir uns und ich hab seit langem gesagt, genauso wie der Bundesaußenminister, dass Gaddafi seine Legitimation verloren hat und das wäre nur gut, wenn er möglichst schnell aufgibt, um Blutvergießen zu vermeiden und dass es nicht noch weitere Menschenleben kostet. Autor Billiges Öl und die Absicherung der Grenzen nach Europa. Das war der Preis für Muammar al-Gaddafi, sich wieder beliebt zu machen. 19. O-Ton: Ruf All das war natürlich Grund zur Freundschaft. Gott, Politik ist immer auch ein Stückweit Markt. Und man hat eben sich mit ihm gezeigt, weil man die neue Freundschaft untermauern wollte. Bei Freundschaften geht es nicht um Moral, sondern da geht es um Interessen im Bereich der Politik. Autor Werner Ruf, Professor für Friedens- und Konfliktforschung. Er hat jahrelang in Nordafrika geforscht. Und Gaddafi, meint er, ist nur ein Beispiel für die Politik des Westens, die sich häufiger nach dem Wind drehe. 20. O-Ton: Ruf Erinnern Sie sich doch mal an den Anfang des "Arabischen Frühlings"! Die Herren Ben Ali und Mubarak, das waren unsere besten Freunde, Jahrzehntelang! Sie haben uns die Flüchtlinge vom Hals gehalten. Sie haben uns die Islamisten, die als Terroristen galten, vom Hals gehalten und sie waren unsere verlässlichsten Freunde. Von einem Tag auf den andern hat man sie fallen lassen. 21. O-Ton: Werner Ruf Sehen Sie, ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem deutschen Botschafter, in einem dieser Länder. Da war ich unterwegs für die europäische Kommission und habe da ein Gutachten zur Menschenrechtssituation gemacht. Und dieser Botschafter sagte mir: "Wissen Sie, die Menschenrechte hier, das ist fürchterlich! Es ist unerträglich! Aber wir haben hier Interessen und die sind wirtschaftlicher Natur. Das mit den Menschenrechten können ja auch die Skandinavier machen." Musik 22. O-Ton: Gaddafi They love me all! They will die to protect me. My people! 23. O-Ton: Engelmann Kasachstan, das ist ein Land, was weit entfernt ist und doch so nah. Es ist ein interessantes Land, landschaftlich, wenn Sie nach Almaty kommen und sehen diese große Stadt, eine Million und dann fahren Sie dreißig Minuten mit dem Auto, da sind Sie im Gebirge. Und es ist ein Land, das sich in der Entwicklung befindet und natürlich für Deutschland immer interessant war, weil dort wo Entwicklungen sind, wir ja Arbeit haben. Musik Ende Autor Joachim Engelmann ist der Chef der Firma "Chemieanlagenbau Chemnitz". Das mittelständische Unternehmen ist seit Jahrzehnten in Kasachstan aktiv. Das Land in Zentralasien besitzt viele wertvolle Rohstoffe. Deutschland ist in den Top 10 der Wirtschaftspartner. Und Kasachstan der viertgrößte Öllieferant für Deutschland. Das sächsische Unternehmen liefert Anlagen zur Förderung und engagiert sich in der Forschung. Das Kasachstan ein Problem mit der Korruption hat, merkt Joachim Engelmann deutlich. Bei den Menschenrechten ist das anders. 24. O-Ton: Engelmann Also da muss ich sagen, Ihr von der Presse seid sehr aktiv, aber man muss aufpassen, dass man Einzelfälle nicht verallgemeinert. Natürlich, wenn man es kennt, würde man auch Stellung nehmen. Aber es dringt nicht immer bis zu uns vor, muss ich offen sagen. Ich kann also nicht sagen, dass Menschenrechte verletzt werden. Dort ist einfach noch ein anderer Maßstab anzulegen, wenn es darum geht, wie kann ich denn das Land leiten? Wie kann ich das Land lenken? Natürlich haben wir eine völlig andere Auffassung von Demokratie. Autor Auch der Geologe Rüdiger Schwarz ist mit seinem Unternehmen in Kasachstan aktiv. Er blickt von seinem Berliner Büro im 23. Stockwerk über die ganze Stadt. Auf das Bundeskanzleramt, den Bundestag. 25. O-Ton: Schwarz Was ist mein Job? Wir sind eine Bergbauberatungsgesellschaft, das heißt, wir arbeiten ausschließlich im Ausland. Wir haben verschiedene Projekte im asiatischen Raum. In China, in Kasachstan, in der Mongolei. Die Rohstoffe liegen halt da wo sie sind und scheren sich, leider muss man sagen, nicht um die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen. Autor Gerade deutsche Unternehmen würden sich in der Regel inzwischen vorbildlich verhalten. Sie tragen die soziale Marktwirtschaft in die Welt, sagt Rüdiger Schwarz. Damit nicht selten verbunden: Tarifautonomie, Abstimmungen zwischen Belegschaft und Unternehmensleitung. 26. O-Ton: Schwarz Am Ende des Tages ist es wichtig, dass in dem Land, wo die Industrie, die Wirtschaft tätig ist, politisch stabile Rahmenbedingungen herrschen. Wenn man nach einem langen Tag zusammensitzt und das ein oder andere des Tages Revue passieren lässt, dann kommt man auch auf politische Diskussionen. Aber es ist nicht Aufgabe der Wirtschaft, aktiv an der Veränderung politischer Rahmenbedingungen zu wirken. 27. O-Ton: (Winjawski) - russisch - Sprecher Das stresst mich. Das ist alles unbefriedigend! Hier werden Rohstoffe gegen Demokratie eingetauscht! Die westlichen Länder, die für Demokratie einstehen, die immer davon reden, machen bei uns eine Ausnahme. Haben wir etwa andere Rechte als die Europäer? Ich weiß natürlich, dass jedes Volk seine Demokratie selbst erkämpfen und seinen Weg gehen muss. Aber das ist nicht so leicht, wenn man auch weiß, dass die einzige Hoffnung für Demokratie darin besteht, eben die Öffentlichkeit in Europa zu gewinnen. Autor Igor Winjawski war einst Chefredakteur der Wochenzeitung "Wsgljad", "Der Blick". Sie wurde im Dezember 2012 verboten. Ebenso wie ein TV-Anbieter und das Blatt "Respublika", "Die Republik". Der Vorwurf: Extremismus. Das Vergehen: kritische Berichterstattung über Aufstände von Ölarbeitern im Dezember 2011. "Respublika" - Chefin, Irina Petruschowa und ihr Team, machen dennoch weiter. Ihre Zeitung erscheint als Text-Datei und Online-Ausgabe. 28. O-Ton: Petruschowa - russisch - Sprecherin Unsere Redaktion in Kasachstan darf gar nicht mehr arbeiten. Das hat ein Gericht beschlossen. Uns wurde verboten, weiter journalistisch tätig zu sein. Deswegen machen wir unser Blatt jetzt von Moskau aus. Diesen Standort haben wir gewählt, weil es hier für uns weniger gefährlich ist. Die zentralasiatischen Themen sind für die russische Regierung weniger interessant. Aber ja, klar. Gegen Putin dürfen wir nichts schreiben. Da hätten wir dann wieder ein anderes Problem. Autor Die Chefredakteurin selbst arbeitet von London aus. Russland sei für sie nicht sicher. Igor Winjawski lebt im Exil in Warschau. Beide Journalisten berichten von Repressionen aus der Heimat. 29. O-Ton: Winjawski - russisch - Sprecher Ich habe angefangen mich mit Vertretern des Deutschen Bundestags und des EU- Parlaments zu treffen. Zu Hause sagten sie dann über mich, dass ich von der US- Regierung unterstützt und bezahlt werde. Und, dass ich Pornofilme machen würde, bei denen meine Frau und ich vor der Kamera stünden. Außerdem würden wir Kinder missbrauchen, einen polnischen Swinger-Club betreiben und schließlich am Ende schlechte Informationen über Kasachstan verbreiten. Musik Autor Im Büro von Manfred Grund. Der Thüringer CDU-Mann ist Mitglied des Deutschen Bundestags und parlamentarischer Geschäftsführer. Zudem ist er der Vorsitzende der Deutsch-Kasachischen Gesellschaft. Die fördert die wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, kulturellen und persönlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Ehrenvorsitzender ist Außenminister a.D. Hans-Dietrich Genscher. Außerdem sind, unter anderen, noch die Siemens AG, die Commerzbank AG, die Landesbank Berlin und die EEG-Erdgas Erdöl GmbH mit dabei. Wir werden im Bundeskanzleramt und im Bundesaußenministerium gehört, sagt Manfred Grund. Was meint er zu den Äußerungen der kasachischen Journalisten? 30. O-Ton: Grund Ich würde es mir gerne mal ansehen, weil, ich höre diese Berichte und ich höre die Situationsbeschreibungen. Deckt sich nicht immer mit meiner Wahrnehmung. Ich hoffe nicht, dass ich da zu voreingenommen in das Land reise. Autor Die letzten Wahlen, im April 2011, beobachtet er für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE. In einer selbstproduzierten "Video- Depesche" im Internet berichtet Manfred Grund einer Interviewerin, dass er in den drei Tagen seines Aufenthaltes keine Unregelmäßigkeiten hat feststellen können. Es seien freie und transparente Wahlen gewesen, zumindest am Wahltag. 31. O-Ton: Video-Depesche Junge Frau-Welche Auswahl hatten die neun Millionen Wahlberechtigten der insgesamt 16 Millionen Kasachen? (Manfred Grund) Es konnte sich eigentlich jeder Kasache bewerben, als Präsidentschaftskandidat nominiert zu werden. Es haben sich tatsächlich auch 22 Kandidaten gefunden. Und die Wahl ist nun sehr eindeutig, mit hoher Wahlbeteiligung, ich hab das auch selbst in den Wahllokalen registriert und gesehen, 90 Prozent Wahlbeteiligung und 95 Prozent für den Präsidenten ausgefallen. Und das zeigt auch, dass in den Augen der Kasachen, die anderen Kandidaten keine wählbare Alternative zum Präsident Nasarbajew gewesen sind. (junge Frau) Herr Grund, haben Sie vielen Dank für das Gespräch. (Manfred Grund) Gerne, war mir eine Freude. Autor Persönliche Eindrücke. Die OSZE selbst spricht in ihrem Bericht von gravierenden Unregelmäßigkeiten. Die Auszählung der Stimmen sei nicht transparent gewesen, Unterschriften auf Wählerlisten identisch und zusätzliche Wahlzettel seien in Urnen gesteckt worden. 32. O-Ton: von Möllendorff Wir beobachten, dass insbesondere auch von der deutschen Seite, in ganz Zentralasien die Menschenrechte eher ungern angesprochen werden. Autor Marie von Möllendorff beschäftigt sich für "Amnesty International" mit der Menschrechtspolitik in Zentralasien. Die Lage in Kasachstan sei alles andere als entspannt, sagt sie. 33. O-Ton: von Möllendorff Ein Problem, dem wir uns sehr intensiv widmen, ist das Problem der Folter. Und das ist natürlich gerade ein Problem, was man von außen nicht so einfach zu sehen bekommt, weil das in den Folterkellern passiert. Das Problem der Folter ist sehr weit verbreitet. Nach wie vor werden Geständnisse erpresst durch Folter und die werden dann auch in Gerichtsverfahren verwendet. 34. O-Ton: Grund Ja, wir kennen auch diese Berichte. So sie auch nachvollziehbare Relevanz haben, sprechen wir auch mit der kasachischen Seite. Mit den kasachischen Diplomaten oder mit der Regierung darüber. Und drängen natürlich darauf, dass Kasachstan da von dieser Anklagebank auch selber herunterkommt. 01. Atmo: Schüsse - darüber: Autor Am 16. Dezember 2011 kommt es in der kleinen Stadt Schangaösen, im Westen Kasachstans, zu jenen gewaltsamen Zusammenstößen, über die die Journalisten Igor Winjawski und Irina Petruschowa kritisch berichtet haben. Polizei und Öl- Arbeiter liefern sich harte Gefechte. Internetvideos zeigen kurze Szenen des Konflikts. 01. Atmo: Ende/ Blende 35. O-Ton: Demonstrant (Demonstrant) - russisch - Sprecher Was fordern wir? Wonach fragen wir? Wir fragen nicht danach, die ganze Welt zu verändern. Wir fordern Lohn für unsere Arbeit! Angeblich bekommen wir genug. Wir fordern aber eine angemessene Bezahlung! Bürger, Brüder, wovor fürchten wir uns? 36. O-Ton: Berichte von Möllendorff Also es gibt mehrere und sehr glaubwürdige Augenzeugenberichte darüber, dass die Polizei in die Menge geschossen hat und sogar flüchtende Demonstranten niedergeschossen hat. Unseren Erkenntnissen zufolge sind mindestens fünfzehn Menschen dabei gestorben und über hundert Menschen haben schwere Verletzungen davon getragen. Meistens durch Schusswunden. Autor Kurz nach diesen Ereignissen reist der Abgeordnete Manfred Grund von Berlin in Kasachstans Hauptstadt Astana. Dort habe er in erschrockene Gesichter geblickt. Die Führung Kasachstans sei über das Ausmaß des Konflikts mit den Öl-Arbeitern entsetzt gewesen. 37. O-Ton: Grund Dieses Erschrecken war in Astana ganz deutlich zu sehen. Und man hat dann auch reagiert, mit Prozessen, wo die örtlich verantwortlichen und zwar die lokal Verantwortlichen, dann zur Rechenschaft gezogen worden sind. Und wo man uns dann als Deutschland gefragt hat: "Könnt Ihr uns helfen, damit wir uns auf solche Situationen, die wir nicht haben wollen und auch nicht wieder erwarten, einstellen können? Wir haben keine Ahnung von Deeskalation. Könnt Ihr uns helfen bei der Berufsausbildung? Weil das waren schlecht qualifizierte Arbeiter in der Erdölindustrie, die auch einen niedrigen Lohn bekommen haben und die ihre Situation verbessern können durch Qualifikation. Also man versucht dem Problem nicht nur punktuell, sondern umfassend zu begegnen. Da versuchen wir hilfreich zu sein. Manches, was als Kampagne erscheint, ist auch Unvermögen. Autor Gehört zu diesem Unvermögen auch, dass ein Jahr nach den Aufständen, die Zeitungen von Igor Winjawski und Irina Petruschowa verboten worden sind? Laut "Amnesty International" hat die Regierung den Konflikt darüber hinaus genutzt, um andere politische Gegner auszuschalten. 38. O-Ton: von Möllendorff Zum Beispiel einen Oppositionellen, der dann zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, obwohl er eigentlich nur Mitglied einer unabhängigen Untersuchungskommission war, die dort hingefahren ist, um die Vorwürfe von Folter und unangemessener Gewaltanwendung zu überprüfen. Ihm wurde dann vorgeworfen, dass er sozusagen Teil hatte an der Erhebung von Unruhen. 39. O-Ton: Bundestag (Bundestagspräsident) Das Wort der Kollege Stefan Liebich. (Applaus) (Liebich) Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren. Autor Aussprache im Bundestag am 22. März 2012. Es geht um die Hinrichtung zweier mutmaßlicher Metro-Attentäter von Minsk in Belarus, Weißrussland. Alle Fraktionen verurteilen die Tat. Aber auch und vor allem die Art und Weise, wie Präsident Lukaschenko mit den Tätern verfahren ist. Den Abgeordneten der Linken, Stefan Liebich stört dennoch etwas. 40. O-Ton: Bundestag II (Liebich) (Applaus) Es passt nicht zusammen Lukaschenko zu verurteilen und den seit zwanzig Jahren regierenden, ehemaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Kasachischen Sozialistischen Sowjetrepublik und jetzigen Führer der Nation, Nursultan Nasarbajew auf dem roten Teppich im Kanzleramt zu begrüßen. Noch im letzten Dezember wurden streikende Arbeiter... 41. O-Ton: Reaktion (Liebich, aus Lautsprecherboxen)...wurden streikende Arbeiter von seinen Sicherheitskräften erschossen. (Grund) Also hier werden Bilder bedient, die weder Lukaschenko gerecht werden, noch Nasarbajew gerecht werden. Sind beide sicher nicht durchweg Lichtgestalten, aber lassen sich auch miteinander nicht vergleichen. (Liebich, aus Lautsprecherboxen)...Wie liefen die Diskussionen heute, wenn in Belarus Öl- und Gasvorkommen existierten und es ebenso reich an Gold, Silber, Uran, Kupfer, Blei, Zink, Oxid oder Phosphor wäre, wie Kasachstan? (Grund) Man muss auch in Kasachstan die Entwicklung sehen, die in den letzten zwanzig Jahren stattgefunden hat. Und die Defizite, die dann da sind, möglicherweise da sind, versucht Kasachstan ernsthaft, glaubhaft abzustellen und dieser Prozess ist für die Menschen so viel Wert, dass sie Nasarbajew mehrfach zum Präsidenten mit einer überwältigenden Mehrheit gewählt haben. Musik Autor Deutschland und Kasachstan. Deutschland und China. Deutschland und seine schwierigen Partner. Beziehungsstatus: "Es ist kompliziert." Menschenrechte gelten als sogenanntes "weiches Kriterium". Und solange das so ist, übt der berühmte Satz im deutschen Grundgesetz "Die Würde des Menschen ist unantastbar" eine mitunter dekorative Funktion aus. Ein Dilemma. Kennt die Antwort darauf nur der Markt? 42. O-Ton:Grund Man muss aber auch nicht alles auf dem Marktplatz der Eitelkeiten, der Öffentlichkeit austragen, sondern im Bereich der Menschenrechte - asiatische Gesichtswahrung - ist es auch notwendig und richtig auch hinter geschlossenen Türen, mit den richtigen Gesprächspartnern, das anzusprechen. Wir ordnen unsere oder nationale Interessen, Energie-, Rohstoffinteressen - ordnen wir nicht den Menschenrechten unter. 43.O-Ton Merkel So ist dann auch das außenpolitische Selbstverständnis Deutschlands geprägt von der Maxime: die Bewahrung der Menschenrechte und friedliches Miteinander zu fördern und zwar weltweit. Musik Sprecherin vom Dienst Schwierige Partner - Deutschland und seine befreundeten Machthaber. Eine Sendung von Johannes Nichelmann Es sprach: der Autor Ton: Christiane Neumann Regie: Frank Merfort Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2013 1