COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin Deutschlandrundfahrt Ein Himmel voller Geigen - der "Musikwinkel" im sächsischen Vogtland Von Ulrike Köppchen Sendung: 14. August 2010, 15.05h Ton: Alexander Brennecke Regie: Karena Lütge Redaktion: Margarete Wohlan Produktion: Deutschlandradio Kultur 2010 Kennmusik kurz frei, dann zwischen den O-Tönen jeweils kurz hochziehen 1. O-Ton: Matthias Hoyer Wir bauen für die meisten deutschen Spitzenorchester Bögen, haben sehr viele Kunden im Ausland, in Japan, Korea, USA und sind froh, dass viele sehr gute Musiker bei uns zu Gast sind in der Werkstatt und Kunden sind. 2. O-Ton: Heidrun Eichler Ich war mal in Kalifornien und da hab ich gesagt: hier ist es so schön wie in Klingenthal. 3. O-Ton: Gabriele Herberger Ich hatte in meinem Lebensplan vorgesehen, dass ich bevor ich aufhöre zu arbeiten, noch irgend ne ganz besondere Herausforderung mache und am liebsten natürlich etwas sanieren und da hab ich dann von der Harmona gehört und da hab ich gedacht, die guck ich mir mal an, und dann hab ich gedacht: genau das ist es, das mach ich. 4. O-Ton: Enrico Weller Ohne den Instrumentenbau, also sowohl Handwerk als auch mittelständische Industrie hätte Markneukirchen eigentlich vom Gewerbe her oder von der Industrie her nicht viel zu bieten. Musik noch mal hoch Sprecher vom Dienst: Ein Himmel voller Geigen. Der "Musikwinkel" im sächsischen Vogtland. Eine Deutschlandrundfahrt mit Ulrike Köppchen Musik hoch und mit Atmo verblenden Atmo: A1 Stühle rücken, Instrumente werden angespielt (kurz frei, dann unter Autorin legen Autorin: Die Musikhalle in Markneukirchen, der heimlichen Hauptstadt des "Musikwinkels". Atmo A1 noch mal ganz kurz hoch, dann Autorin darüber Autorin: Nach und nach nehmen die Musiker ihre Plätze auf der Bühne ein. Eine junge, blonde Frau verteilt Noten. Ein anderer Freibier, gestiftet von der örtlichen Eisdiele. In karierter kurzer Hose und Sandalen klettert der Dirigent aufs Podium und holt einen Taktstock aus dem Seitenfach seiner Aktentasche. Er ist jung, jünger als viele seiner Musiker. Atmo: A2 Dirigent macht Ansagen zur heutigen Probe. Autorin: Es ist die letzte Probe des städtischen Blasorchesters vor der Sommerpause. Auf der Bühne viele Trompeten, Tuben und Posaunen. Der Vogtländer liebt ja die Blasmusik, sagt man. Atmo: A3 Musik: Granada, eine Weile stehen lassen, dann O-Ton darüber 5. O-Ton: Siegfried Kaiser Da sind ein paar geläufige Sachen dabei, ein bisschen böhmische Polkas und so weiter, aber auch konzertante Orchesterwerke, und zu den Musiktagen jedes Jahr, da sind dann solche Dinge wie ... dieses Jahr haben wir zum Beispiel die Rhapsody in Blue von Gershwin gespielt und das sind dann schon ganz ansprechende Werke und auch gerne mal so ne art Bigband-Musik, wird auch gern gespielt von uns. Autorin: Kerzengerade sitzt der alte Mann am Saxofon. Mit seinen 82 Jahren ist Siegfried Kaiser das dienstälteste Orchestermitglied und schon seit 1947 dabei. Früher hat er auch im städtischen Sinfonieorchester gespielt, erzählt er, aber das wurde ihm irgendwann zu viel. Drei Orchester leistet sich die Stadt mit ihren gerade einmal sechseinhalbtausend Einwohnern. Atmo: A4 Dirigent lässt die Bässe eine Stelle proben und singt vor, wie's klingen soll Autorin: Bei den Bässen sitzt eine Stelle noch nicht und sie bekommen Nachhilfe. Alle Musiker sind Laien, Dirigent Enrico Weller im Hauptberuf Musiklehrer am Markneukirchner Gymnasium. Eigentlich sollten alle, die jetzt hier auf der Bühne sind, Instrumentenbauer sein. Denn als das wurde das Stadtorchester vor gut 150 Jahren gegründet: ein Orchester der Instrumentenbauer. Die Tradition bröckelt, aber bei den Alten wie Siegfried Kaiser ist sie noch Ehrensache. 6. O-Ton: Siegfried Kaiser Aber selbstverständlich! Ich war bei der Firma Oscar Adler als Instrumentenstimmer für Holzblasinstrumente tätig. Also, das heißt die Klarinetten anblasen und Fagotte und kleine Mängel, die in der Stimmung aufgetreten sind noch auszugleichen und so weiter, wie soll ich sagen? Da hab ich 45 Jahre in dem Betrieb gearbeitet und jeden Tag Instrumente gespielt - so ist man halt verbunden mit der Musik, und so lange es geht, werden wir auch noch ein bisschen weitermachen. Atmo A5 Musik: Ich gehör nur mir (Instrumentalversion), schon unter den letzten O-Ton legen und dann hochziehen bis Ende Atmo: A6 Stadt, kurz frei, dann Autorin darüber Autorin: Markneukirchen am Vormittag. Auf dem Marktplatz . Atmo A6 noch mal kurz hoch und unter die folgende Passage (bis O-Ton 9 legen Autorin: Ein langer rechteckiger Platz, darauf ein Kriegerdenkmal, Blumenbeete und sprudelnde Brunnen. An den Schmalseiten eine große Kirche und das ehemalige Rathaus, dahinter eine Reihe von Patrizierhäusern. Alles gebaut nach dem großen Stadtbrand von 1840, der Markneukirchen fast komplett zerstörte. Als die Stadt Ende des 19. Jahrhunderts durch den Musikinstrumentenhandel steinreich wurde, kamen noch prächtige Villen und Bürgerhäuser dazu. Etwas verloren steht ein Straßenmusiker in einem Hauseingang und spielt Akkordeon. 7. O-Ton: Enrico Weller Das ist ein Tscheche, der jetzt manchmal rüberkommt, aber ich weiß es jetzt nicht so genau. Wäre aber von daher auch historisch ganz treffend, es gab schon immer böhmische Wandermusikanten, die rüber nach Sachsen kamen, da gibt's sogar Lieder ... heit geht's nach Sachsen nei usw. oder die Polka, aus Böhmen kommt die ... da sind wir eigentlich schon an den Anfängen, also: wer jetzt hier sagt: was macht denn dieser Tscheche oder dieser Ausländer hier Musik, der sollte diese Stadt eigentlich umgehend verlassen, denn er hat von ihrer Geschichte noch nichts begriffen. Autorin: Enrico Weller ist nicht nur Lehrer und Dirigent des städtischen Blasorchesters, sondern auch promovierter Musikwissenschaftler - Thema: der vogtländische Blasinstrumentenbau - , außerdem im Vorstand des Museumsvereins und unermüdlicher Erforscher der Stadt- und Regionalgeschichte. Und natürlich ein waschechter Markneukirchner. 8. O-Ton: Enrico Weller Mein Elternhaus steht direkt gegenüber vom Musikinstrumentenmuseum, wenn ich also früh aufgewacht bin, hab ich schon manchmal die Klänge des Leierkastens gehört und andere Dinge, mein Vater, der war in der Freizeit als ehrenamtlicher Museumsführer tätig, und wenn wir den Vater gesucht haben, dann nicht wie bei den Instrumentenbauern, dass der in der Werkstatt war, sondern der war halt im Museum. Autorin: Wie viele Städte in den neuen Bundesländern hat Markneukirchen seit der Wende Einwohner verloren. Aber es ist weniger dramatisch als anderswo. Bayern ist nah, die Markneukirchner können zur Arbeit dorthin pendeln. Und dann hat man ja noch den Musikinstrumentenbau: Etwa die Hälfte der derzeit zwölf- bis 1300 Beschäftigten im vogtländischen Musikinstrumentengeschäft arbeiten in Markneukirchen sagt Enrico Weller. 9. O-Ton: Enrico Weller Ohne den Instrumentenbau, also sowohl Handwerk als auch mittelständische Industrie hätte Markneukirchen eigentlich vom Gewerbe her oder von der Industrie her nicht viel zu bieten. Und in bestimmten Zeiten läuft das natürlich glänzend und da können wir uns alle auf die Schulter klopfen, in anderen Zeiten hat man dann halt auch schon Probleme. Musik J.S. Bach Violinkonzert a-moll, Neustrelitzer Chöre und Ensembles Autorin: Ein Haus in der Krummen Straße sieht anders aus als die meisten Gebäude in der Stadt: grau-braun, der Putz bröckelt und legt an manchen Stellen alten Feldstein frei. Am Eingang ein mächtiges altes Holztor. Kein Schild, aber immerhin eine Klingel. Es dauert etwas, bis der schwere Schlüssel in das alte Schloss gesteckt und umgedreht wird. 10. O-Ton: Matthias Hoyer Mein Name ist Matthias Hoyer, ich bin Bogenbaumeister in der sechsten Generation in unserer Familie, wir betreiben Bogenbau seit 1788 und damit ist unsere Familie die älteste Bogenbauerfamilie Deutschlands. (reißt ab) Autorin: Die Werkstatt der Bogenbaufirma Hoyer. Bescheiden und ein wenig altmodisch eingerichtet. Zwei Arbeitstische mit Lack und Werkzeug, ein Gestell mit Bögen, im Fenster ein Vogelkäfig. An der Wand hängen Fotos und ordentlich eingerahmt die Meisterbriefe der Vorväter. 11. O-Ton: Matthias Hoyer In diesem Haus hier hat der Urgroßvater mütterlicherseits Darmsaiten hergestellt, man sieht es an diesem großen Fenster an der Giebelwand, ein sehr großes Fenster, über 5 Meter lang, da sind die Darmsaiten zum Trocknen aufgespannt worden im Sonnenlicht, und seit einigen Jahrzehnten haben wir hier unsere Bogenmacherwerkstatt. Seit 1958. (Gab es denn jemals ein Firmenschild?) (lacht) Ja, das Firmenschild hatten wir an der Tür. Und das Firmenschild kommt auch wieder ans Haus. Momentan sind wir mit der Renovierung des Hauses beschäftigt und wenn das Haus wieder richtig schön ist, dann kommt auch wieder ein Firmenschild ran, sodass jeder sehen kann, was hier zu finden ist. 12. O-Ton: Günter Hoyer Es gibt ja einen Navigator. Und da drücken die drauf und da hält das Auto vor dem Haus. (reißt etwas ab) Autorin: Mit seinen fast 85 Jahren kommt der alte Meister Günter Hoyer immer noch in die Werkstatt, die eigentlich längst der Sohn übernommen hat. Ein freundlicher Mann mit weißen Haaren, der das Kunststück fertig gebracht hat, die gesamte DDR-Zeit als selbstständiger Bogenbauer zu überstehen: 13. O-Ton: Günter Hoyer Zu der Zeit ist der Sozialismus aufgebaut worden, da hieß es: wir müssen vom Ich zum Wir gehen, und das sind nur Ausbeuter, die selbstständig arbeiten, wir müssen die zu Genossenschaften zusammenführen, und das haben die auch gemacht, aber es war eine Handvoll Handwerker, und da war ich drunter, die gesagt haben: nein, wir bleiben selbstständig. Wir haben uns durchgesetzt. Es war nicht einfach. Musik kurzer Trenner, nur ein paar angedeutete Bogenstriche 14. O-Ton : Günter Hoyer Da kamen Musiker von Dresden, von Leipzig von Berlin und wollten einen Bogen kaufen. Da haben wir gesagt: tut uns Leid, wir dürfen das nicht. Das alles geht übers Handelskontor und dann mussten die nach Berlin - selbst die großen Orchester - einen Antrag stellen, dass sie mal eine Geige und Bogen oder eine Trompete kriegen konnten. Die Instrumente sind zu 90 Prozent ins Ausland gegangen. Die haben Valuta, die haben Geld gebracht, das war denen mehr wert ... . Autorin: Auch mit Materiallieferungen war es zu DDR-Zeiten mitunter schwierig. Denn das Material kommt größtenteils aus dem Ausland. 15. O-Ton: Matthias Hoyer Wir haben das Holz aus Brasilien, das Leder aus Indonesien, diesen Mammutzahn aus Sibirien, dann haben wir hier noch das Ebenholz aus Ceylon, das Rosshaar aus der Mongolei, die Muschel hier aus Japan und dann stecken noch einige andere Naturmaterialien drinne, Lackleim, also es ist schon sehr umfangreich oder vielseitige Sache, und das war jetzt nur die Materialseite und dann die ganze Bearbeitung ... es ist anspruchsvoller, als es vielleicht im ersten Moment aussieht. Autorin: In der kleinen Werkstatt entstehen Bögen, die unauffällig aussehen, aber viel Geld kosten. Vor allem Kontrabassbögen 16. O-Ton: Matthias Hoyer Wir bauen für die meisten deutschen Spitzenorchester Bögen, haben sehr viele Kunden im Ausland, in Japan, Korea, USA und sind froh, dass sehr viele gute Musiker bei uns zu Gast sind in der Werkstatt und Kunden sind. Autorin: Die einfachsten Modelle gibt es für 1500 Euro, sagt Matthias Hoyer nach oben sind dem Preis keine Grenzen gesetzt. 17. O-Ton: Matthias Hoyer Ja, es hat halt alles seinen Preis. Das Material ist nicht billig, und der Bogen hat auch sehr viel Einfluss auf den Klang des Instrumentes, nicht nur die Spieleigenschaften, auch der Klang wird sehr stark vom Bogen beeinflusst. Wir haben viele Musiker, die kommen mit einem Instrument, das klingt zu dunkel oder zu obertonreich, und da kann man mit dem Bogen sehr viel beeinflussen noch ... (reißt ab) Autorin: Und wie macht man das? Das verrät der Bogenbauer nicht. Höchstens seinem Sohn, der mal sein Nachfolger werden soll. Firmengeheimnis. Musik: D. Schostakowitsch, Streichquartett Nr. 11, Manhattan String Quartett Atmo: A7 Hobeln Autorin: Auf dem langen Arbeitstisch vor dem Fenster liegen Geigenteile und Hobel, Feilen und anderes Werkzeug in allen Größen. Außerdem ein voller Aschenbecher und eine ganze Batterie Plastikflaschen mit Apfelsaftschorle. Hier hat Geigenbaumeister Jörg Wunderlich seine Werkstatt. An der Haustür ein Zettel mit krakeligen Buchstaben: "Klingel defekt. Tür offen. 1. OG". Das ganze Haus ist eine Baustelle. Der Geigenbauer renoviert es gerade. Jetzt sitzt er in seiner provisorischen Werkstatt und schabt mit einem Hobel kleine Stücke von der Unterseite einer Geige ab. 18. O-Ton: Jörg Wunderlich Also, mit diesen kleinen Wölbungshobeln wird diese Rundung, wie Sie es sehen beim Instrument, erst von außen rausgehobelt und später wird das Instrument innen ausgehobelt. (Geräusch) Das hab ich schon mal vorgearbeitet.. Autorin: Allein um einen Cello-Boden herzustellen, braucht man etwa eine Woche, sagt er. 19. O-Ton: Jörg Wunderlich Könnte man auf jeden Fall auch maschinell herstellen, wird auch für Schülerinstrumente gemacht, (ab hier ohne Geräusch) aber ... ich erklär's jetzt mal an den Zargen: Die Zargen werden ja gebogen mit Feuchtigkeit und Wärme. Maschinell werden die Zargen einmal gebogen und Holz hat halt immer die Spannung, wieder gerade zu werden oder sich zurückzubiegen. Der Unterschied ist, bei einem guten Instrument: die Zargen werden so oft gebogen, bis sie stehen bleiben, bis sie also nicht mehr zurückgehen, und das ist unheimlich wichtig, weil man sollte bei einem neuen Instrument fast keine Spannungen reinkriegen, weil das wirkt sich sonst negativ auf den Klang aus. Autorin: Zargen, das sind Seitenteile des Instruments, die Boden und Decke verbinden. Jörg Wunderlich ist erst 43, aber schon seit 25 Jahren im Geschäft. Davon knapp 20 Jahre als selbstständiger Meister, der teure Solisteninstrumente herstellt, hauptsächlich für den Export. Preis zwischen dreieinhalb und 12.000 Euro. Ein Bastler und Tüftler, der am liebsten nachts arbeitet. Und der bestens geeignet scheint, jede romantische Klischeevorstellung von einem Geigenbauer zu zerstören. Ein kleiner, kahlköpfiger Mann mit einem freundlichen Gesicht, der früher in einer Heavy-Metal-Band Gitarre gespielt hat. 20. O-Ton: Jörg Wunderlich Also, eigentlich wollte ich wie eigentlich jeder junge Mann damals in Richtung Elektriker oder Autoschlosser oder so was in die Richtung. Autorin: Da waren aber gerade keine Lehrstellen frei. Dafür aber im Geigenbau: 21. O-Ton: Jörg Wunderlich Es war halt zufällig damals ne Stelle frei und ich hab dann mal so reingeschnuppert in den Beruf und hab dann ganz schnell gemerkt, dass ich das eigentlich fast so in den Genen hab, dass mir das leicht fällt und ja, jetzt bin ich froh, dass ich dabei geblieben bin. Autorin: Obwohl er überhaupt nicht Geige spielen kann. 22. O-Ton: Jörg Wunderlich Damals, wo ich angefangen habe zu lernen, wurde es einfach nicht verlangt. Die Grundvoraussetzung war handwerkliches Geschick und Geduld. Daher hab ich's halt nie gelernt. Es gab viele Geigenbauer, auch gute Geigenbauer, die kein Instrument spielen konnten.//Das Spielen ist glaub ich nicht so wichtig. Man braucht halt das Gehör, um ein Instrument herzustellen. Autorin: Jörg Wunderlichs Spezialgebiet ist der Nachbau alter Geigenmodelle der italienischen Geigenbaumeister Guarneri, Amati - und natürlich Stradivari ... Musik George Enescu, Complete Works for Violin and Piano, Vol.I, Impressions d'enfance for Violin and Piano, Remus Azoitei. 23. O-Ton: Jörg Wunderlich Das Geheimnis einer Stradivari kann man glaub ich in einem Satz nicht sagen. Es ist einfach so: zu dieser Zeit hatten die optimale Voraussetzungen. Sie hatten einmal das beste Holz, das ist auch zur richtigen Zeit geschlagen worden, und die nächste Voraussetzung war: Stradivari war einfach ein genialer Handwerker und durch seine Erfahrung ... er hat ja drei Schaffensperioden gehabt, in der letzten Schaffensperiode, da war er schon über 50 Jahre, da hat er eigentlich seine Topmodelle gebaut. Ich sag mal, das ist eine Gesamtkombination aus Holz, Erfahrung, und das ergibt dann diesen einzigartigen Klang. Autorin: Seine erste Begegnung mit einer Stradivari war allerdings eher enttäuschend. 24. O-Ton: Jörg Wunderlich Die erste Stradivari eigentlich schon in der Lehrzeit, damals waren alle Geigenbauer in Russland, in Moskau, in der sogenannten Kollektion und da hab ich erst den ersten Kontakt mit dem italienischen Geigenbau gehabt, und ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich war erschrocken, weil ich hab gelernt, Stradivari ist das nonplusultra, Super- Geigen, und man hat bei ner echten Stradivari gesehen: es war ein Handwerker. Und ich hab mir damals gesagt: wenn der das so kann, kann ich das auch. Und seit dieser Zeit versuche ich halt, hinter das "Geheimnis" zu kommen. Musik Johannes Brahms, Klaviertrio C-Dur op.87, Finale: Allegro giocoso, Würzburger Klaviertrio Autorin: Hinter Markneukirchen verändert sich die Landschaft plötzlich: Keine sanft geschwungenen Hügel mehr, keine leuchtend grünen Wiesen, auf denen Schafe, Kühe und Pferde weiden. Die Berge werden steiler und die Täler schmaler. Der Wald dichter und dunkler. Nicht einmal 20 Kilometer von Markneukirchen entfernt liegt Klingenthal und es ist eine ganz andere Welt. Ein echtes Naturparadies, findet die Leiterin des Markneukirchner Museums, Heidrun Eichler: 25. O-Ton: Heidrun Eichler Ich war mal in Kalifornien und da hab ich gesagt: Hier ist es so schön wie in Klingenthal. Autorin: In vielen Kurven schlängelt sich die Straße die Hänge hinauf. Eine davon ist die sogenannte Geigenmacherkurve, gebaut während der Weltwirtschaftskrise in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts, erzählt Heidrun Eichler. 26. O-Ton: Heidrun Eichler Es gab damals auch schon Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und man hat halt dann die Geigenmacher die Straße bauen lassen, weil man wirklich keinen Absatz mehr hatte. (Aber wo ist denn nun die Geigenmacherkurve?) Die Geigenmacherkurve ist zwischen Markneukirchen und Klingenthal und wen auch immer ich frage, keiner kann's mir sagen, welche es nun wirklich ist (lacht) Ich weiß es nicht, wenn ich es Ihnen jetzt zeigen sollte - keine Ahnung. Autorin: Auf jeden Fall endet hier das Geigen- und Blasinstrumentenbaugebiet und es beginnt das Territorium der Akkordeons und Mundharmonikas. Auf diese Arbeitsteilung hat man sich zwischen Klingenthal und Markneukirchen irgendwann im Laufe des 19. Jahrhunderts stillschweigend geeinigt. Musik Igor Flach, Klingenthaler Harmonika 27. O-Ton: Claus Dunsch Ja, ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich also kein Musikinstrument spiele. Zu meiner Lehrzeit damals ist man direkt aufgefordert worden, ein Instrument zu lernen und das war mir irgendwo ein bissel zuwider, also das liegt nicht auf meiner Schiene, sag ich mal so.. Autorin: Dafür kennt er sich bestens mit dem Vogtland und den Vogtländern aus - und ganz besonders mit Klingenthal: 28. O-Ton: Claus Dunsch Mein Name ist Claus Dunsch, ich wohne in Klingenthal, bin 62 Jahre alt, und, ich muss sagen, ein echter Klingenthaler. Fast auf dem Marktplatz geboren. Musik Akzent: Bernd Schlott, Entre Chien et Loup, T 12 Feierabend Autorin: Dort sitzt er jetzt auch und trinkt ein Bier. Im Rücken ein kleiner Pavillon, in dem manchmal Konzerte stattfinden, vor allem mit der in der Gegend so heiß geliebten Blasmusik. Auch Klingenthals Marktplatz hat prächtige Fassaden, doch sind sie abweisender, strenger, schroffer. Irgendwie viel mehr DDR. Hinter dem Platz ein großes Haus mit einer großen, bunten Reklame: VEB Harmonikawerke Klingenthal. Über 13 Kilometer und sieben Täler erstreckt sich die Stadt. Auf dieser Strecke viel Unsaniertes, verwaiste Lagerhallen und stillgelegte Bahnanlagen. Am Marktplatz 1 sei er geboren, sagt Claus Dunsch. In der DDR nach abgebrochenem Studium Fernfahrer, später war er beim Lokalfernsehen und hatte eine eigene Sendung, die "Klingenthaler Notizen". Inzwischen betreibt er eine kleine Videoproduktionsfirma, macht Touristenführungen und engagiert sich in Vereinen für die Stadt. Aber ist das hässliche Entlein Klingenthal nicht ohnehin auf verlorenem Posten gegenüber Markneukirchen, dem stolzen Schwan? 29. O-Ton: Claus Dunsch Nein! Würde ich auf keinen Fall so sagen, weil ich ja weiß, welche Entwicklung Klingenthal genommen hat. Es ist halt ne Industriestadt gewesen, man muss es so sagen. Die Instrumente, die man hier hergestellt hat, Massenartikel, kann man schon sagen - ja, und mit der Wende ist es dann schon schwierig gewesen, mit dem Zerfall der Sowjetunion fielen dann auch die Exporte aus, und das war natürlich auch eine schwierige Zeit, und es wird dann natürlich auch noch eine Zeit dauern, bis diese Industriebrachen jetzt verschwinden. Autorin: Klingenthal hat seit der Wende viele Einwohner verloren, von mehr als 12.000 ging die Bevölkerung auf nicht einmal achteinhalbtausend zurück. Außerdem ist die Stadt von der Altersstruktur der Bewohner her eine der ältesten in Sachsen. Gehen Sie auf die Berge, sagt Claus Dunsch, dann sehen Sie, wie schön Klingenthal ist. Seine Hoffnung ruht auf der großen, neuen Skisprungschanze, der Vogtland-Arena. 30. O-Ton: Claus Dunsch Es ist ein Lichtblick. Mit diesen drei Säulen Sport, Musik und Tourismus, und da wird halt der Schwerpunkt mehr auf dem touristischen Gebiet sein und da mit dem Sport. Mit dem Sport verbindet sich ja auch wieder der Tourismus. Weltcup-Skispringen wieder in Klingenthal, mit dieser neuen Schanze, Klingenthal ist wieder als internationaler Standort bekannt und damit wird dann auch der Tagestourist, der zu den Skispringen kommt, die Stadt besuchen. Musik: Akkordeon: H.-G. Kölz, Duofieber, Erste Begegnung 31. O-Ton: Gabriele Herberger Wir fahren hier mit einem historischen Fahrstuhl, er ist Baujahr 1958. Er wird regelmäßig gewartet ist also technisch auch völlig in Ordnung, aber halt historisch ... (Tür geht auf, wieder zu, Schritte auf dem gang ... ) Autorin: Ungewohnte Klänge im Vogtland. Ein leicht südhessischer Akzent. Er gehört zu einer Frau um die 60 mit kurzen Haaren, Jeans und praktischen, flachen Schuhen. 32. O-Ton: Gabriele Herberger Mein Name ist Gabriele Herberger, ich bin die geschäftsführende Gesellschafterin von der Harmona GmbH Autorin: Vor fünf Jahren hat die Dietzenbacher Unternehmensberaterin das Klingenthaler Akkordeonwerk gekauft, das Akkordeons der Marke "Weltmeister" herstellt. Damals stand der Betrieb kurz vor der Insolvenz. 33. O-Ton: Gabriele Herberger Ich hatte in meinem Lebensplan vorgesehen, dass ich, bevor ich aufhöre zu arbeiten, noch irgend ne ganz besondere Herausforderung mache und am liebsten natürlich etwas sanieren und da hab ich dann von der Harmona gehört und da hab ich dann gedacht, die gucke ich mir mal an, und dann hab ich gedacht: das ist es, das mach ich, und so hab ich das dann gemacht. Atmo: A7 Akkordeon 1 Atmo: A8 Schritte auf der Treppe, Tür wird geöffnet, ein Höllenlärm Autorin: In der große Holzwerkstatt arbeiten Männer mit Overalls und Ohrenstöpseln an Gehäusen ... Ein Höllenlärm. Atmo: A9 Schritte, Herberger: So, dann gehen wir hier weiter. 34. O-Ton: Gabriele Herberger Ja, wir haben hier so circa 90 Prozent Fertigungstiefe, das heißt, wir machen von den 2000 Einzelteilen, die so am Akkordeon dran sind, 90 Prozent selber, mit Spritzgussmaschinen, mit Stanzen, mit ner Holzabteilung, also diese verschiedenen Materialien Holz, Zelluloid, Pappe, Kunststoff verarbeiten wir hier alle selber und dadurch sind wir auch sehr autark. Autorin: Aus mehr als 2000 Einzelteilen besteht ein Akkordeon und es braucht ungefähr 5000 Handgriffe, um eines zu bauen, sagt die Harmona- Chefin. Aber keiner ihrer knapp 80 Mitarbeiter muss alle dieser Handgriffe beherrschen. Die Arbeit in der Akkordeonmanufaktur ist hochgradig spezialisiert. Atmo: A10 Kaschieren des Balges 35. O-Ton: Anja Peetz Ich kaschiere den Stoff auf den Balg, hab vorher die Ecken reingemacht und dann wird der Stoff dadrauf kaschiert Autorin: Die Akkordeonbauerin Anja Peetz. In einem geblümten Kittel leimt sie auf einem Gestell aufgespannte Blasebälge ein und beklebt sie mit weißem Stoff - das sogenannte Kaschieren. 36. O-Ton: Anja Peetz Es gibt schon Leute, die sagen, dafür kann man auch Leute von der Straße holen, aber da bin ich anderer Meinung. Ich denke das Handwerk sollte man schon gelernt haben. Ich hab ganz normal drei Jahre gelernt, oben in der Berufsschule. Ein bisschen Geschick und Fingerfertigkeit braucht man schon dazu. Autorin: Rasch und routiniert legt Anja Peetz den Stoff an die Kante des Balgpappe, ohne ein einziges Mal die Lage zu korrigieren oder eine Falte in das Tuch zu machen. Überstehenden Reststoff schneidet sie mit einer Schere ab. Dann pinselt sie die nächste Balgpappe mit Leim ein. Atmo: A11 Pinselschwünge, nur ganz kurz, dann Autorin drüber Autorin: Angenehme Ruhe herrscht in Anja Peetz Arbeitskabuff, verglichen mit dem Krach aus der Holzwerkstatt. Dafür riecht es hier etwas streng: 37. O-Ton: Anja Peetz Knochenleim. Das ist wirklich ... Der eine riecht gar nicht, und der hier ... wir haben den Sack aufgemacht ... man merkt das dann an den Tieren, wie die gestorben sind ... der hier, der riecht wieder so widerwärtig ... (Auf welche Todesart lässt das denn schließen?) Auf Aas. Das kann man nicht beschreiben, aber man merkt schon, dass die unterschiedlich sind, das ist nicht immer das Gleiche. Atmo: A7 Akkordeon 1 als kurzen Trenner stehen lassen Atmo: A12 Tür geht auf Herberger begrüßt die Mitarbeiter ... Gut, dass hier alle grad sind ... Herr Falkenhauer ist Reinstimmer (im Hintergrund Akkordeontöne) Autorin: Was an Akkordeons hier in der Abteilung ankommt, ist schon so gut wie fertig. Nur gestimmt werden müssen sie noch. Atmo : A13 Falkenhauer holt Werkzeug und Instrument: "So!" Autorin: Der Reinstimmer Lutz Falkenhauer nimmt sich ein Akkordeon und ein Werkzeug, das so aussieht wie die Geräte, mit denen der Zahnarzt prüft, ob die Füllung noch sitzt. Dann spielt er eine Taste an Atmo A14 StimmTöne, dann: "also ich tu die Töne, die jetzt in der Stimmung noch nicht 100 Prozent passen, noch nachkorrigieren, das sind nur Kleinigkeiten. Bei manchen hört man's sofort, bei manchen dauert's ne Weile" - also, ich höre überhaupt nichts. - Nee, das ist Routine. Autorin: Wenn der Ton nicht stimmt, muss der Stimmer die Tonzunge auf der Stimmplatte korrigieren, die beim Akkordeon den Klang erzeugt. 38. O-Ton: Lutz Falkenhauer Ich kratze an der Tonzunge, und wenn der Ton zu hoch ist, am vorderen Teil, wenn der ton zu niedrig ist, am hinteren Teil. Damit verändert man dann das Gewichtsverhältnis, also es hat nicht nur mit dem Gewicht zu tun, sondern mit dem Verhältnis von vorne und hinten, dementsprechend schwingt die Zunge dann schneller oder langsamer und die Frequenz wird höher oder tiefer. Atmo: A7 Musik Akkordeon 1 als Trenner 39. O-Ton: Gabriele Herberger Im Januar bekam ich einen Anruf und meine Sekretärin sagte, das Bundeskanzleramt ist dran und da hab ich gedacht, das ist so der übliche Witz, wie man sich so meldet mit Kindergarten Heuschrecke oder so was, und es war aber wirklich das Kanzleramt, (reißt ab) Autorin: ... das Gabriele Herberger zum Unternehmergespräch mit der Kanzlerin einladen wollte. Thema: Krise, Export und Förderprogramme. Davon war natürlich auch die Harmona im letzten Jahr betroffen 40. O-Ton: Gabriele Herberger Das ging ziemlich von jetzt auf gleich mit dem russischen Markt, das kam ziemlich plötzlich, sodass wir uns auch nicht vorbereiten konnten, und bis man andere Märkte und Alternativen erschlossen hat, braucht ja seine Zeit, also insofern war das schon heftig das letzte Jahr, wir haben dann auch Kurzarbeit machen müssen, was dann eigentlich so auch ein ganz gutes Instrument ist Autorin: Da ist die Harmona inzwischen aus dem Gröbsten raus, sagt die Chefin - aber noch lange nicht am Ziel 41. O-Ton: Gabriele Herberger Ich möchte, dass sie sich schrittweise aufbaut zu einem Akkordeonzentrum mit Workshops, mit Vorträgen, mit Akkordeon- Unterricht. Mit so ner kleinen Akademie dran. Die Harmona und der Musikwinkel gehören für mich zusammen, und es muss eben erhalten bleiben, und es nützt nichts, wenn ich jetzt zum Beispiel die Harmona ganz toll hinkriegen würde und rundherum ist nichts Attraktives oder umgedreht, das gehört zusammen, und dann muss ich mich auch an allen Stellen engagieren und außerdem hab ich hier ja in der Woche abends schön Zeit (lacht) Musik: Die Prinzenberger: Vogtländisches Zechlied 42. O-Ton: Marco Focke Oberkrainer Musik ist in Slowenien entstanden, die hat der Slavko Avsenik erfunden, hat sich dann über den Alpenraum, über Österreich nach Deutschland ausgebreitet und wir haben das damals aufgegriffen, also ich konnte nichts dafür, ich bin als letzter dazu gekommen, die haben bloß einen Trompeter damals gesucht, weil der alte hat aufgehört und ist zum Studium gegangen und dann haben sie einen neuen gebraucht und dann standen auf einmal zwei Mann vor der Tür, haben gefragt, hey, hast du Lust auf Oberkrainer? Hab ich gesagt: hä, was für Zeug? Ich war damals in einer Rockband, hab Gitarre gespielt und natürlich hatte ich null Dunst von Oberkrainer ... Autorin: Marco Focke aus Wernitzgrün bei Markneukirchen, 37 Jahre alt, Sänger und Trompeter der Vogtland-Band "Prinzenberger", die neben Oberkrainer Musik auch Schlager und Volkstümliches spielt, Lieder wie zum Beispiel dieses "vogtländische Zechlied" Musik Prinzenberger noch einmal kurz hoch 43. O-Ton: Marco Focke Ja, und dann war ich mit auf Probe bei denen und dann hat mir das gut gefallen, es war super, was die gemacht haben, es war lustig, es war frisch und hat einfach gefetzt. Wir haben das ja noch ausgebaut, allein hier mit Oberkrainer hier jetzt einen Abend zu bestreiten, das kann man nicht bringen, und dann haben wir natürlich unsere Möglichkeiten genutzt, dadurch, dass wir viele Instrumente spielen und haben mal unser Repertoire schrittweise ausgebaut in alle Richtungen, jetzt sind wir hier eigentlich die Partyband hier in der Region Nr. 1 Musik Prinzenberger noch mal hoch und weg Autorin: Überwiegend Instrumentenbauer sind in der Band. Das ist auch Marco Fockes Beruf. Gemeinsam mit seinem Vater betreibt er die Kontrabass- Meisterwerkstatt "Alfred Meyer". 44. O-Ton: Marco Focke Wir heißen Focke und die Meyer-Werkstatt gibt es schon seit 1904 und wurde damals von dem Alfred Meyer gegründet, und das war auch Vater und Sohn und der Sohn hatte aber keine Nachkommen und somit war eigentlich das Geschäft beendet hier, aber mein Vater hat es von dem alten Meister übernommen, und das war aber mehr Bekanntschaft, also das ist nix Verwandtschaftliches von uns hier. Atmo: A15 Vater redet vor sich hin und läuft durch die Werkstatt Autorin: Auch Marco Fockes Vater ist da, schlurft im grünen Arbeitskittel durch die Werkstatt und nähert sich immer wieder unauffällig dem Mikrofon 45. O-Ton: Marco Focke Werd ich hier interviewt oder du? (lacht) Wenn du da mit neiquatschst, komm ich ganz aus dem Tritt. (Geplänkel hin und her ... ) Autorin: Vater Focke sagt: ich kann ja auch rausgehen, überlegt es sich dann aber doch noch einmal 46. O-Ton: Günter Focke Ich hab auch im Orchester gespielt, im Sinfonieorchester, aber es war mir zu langweilig. Klassische Musik hat mir nicht gefallen. Dann haben wir eine Zeitlang im Blasorchester gespielt und dann haben wir im Trio gespielt und dann haben wir in der Bigband gespielt, dann ging die Beatles-Zeit los, da bin ich vom Bass abgekommen, hab mir eine E- Bassgitarre gebaut. Weil's ja nix gab bei uns. Als Amateurband hast du sowieso nichts gekriegt. Autorin: Besuch in der Meyer-Werkstatt. Zwei Kontrabassisten aus Sachsen- Anhalt. Einer ist bereits langjähriger Kunde und gut bekannt. Er hat einen Kollegen mitgebracht, der einen Kontrabass kaufen möchte. Marco Focke holt einen Bass aus dem Nebenraum. Atmo: A16 So. Brauchen Sie einen Stuhl? - Ja, im prinzip ja. (Stühlerücken, Stimmgabel, Bass wird gestimmt) Was sind denn das für Saiten?- Das sind die xxx-Belcanto-Saiten ... spielt den Bass an ... kurz anklingen lassen, dann O-ton drüber 47. O-Ton: Marco Focke Wir gehen natürlich zu Messen, zu verschiedenen Messen in Deutschland, natürlich auch alte Kundschaft von früher her, oder auch Mundpropaganda unter den Bassisten, die werden sich natürlich austauschen über die Instrumente - und auch übers Internet. Kommt auch viel über die Homepage, Anfragen, ja. Die rufen an erstmal, machen einen Termin aus, fragen an, was wir so vorrätig haben und dann erklär ich ihnen das und dann kommen die her und können in Ruhe die Instrumente ausprobieren und testen Atmo A16, Kontrabass wird getestest, noch mal kurz hoch Atmo: A17 Musiker und Focke reden über die Vorzüge der jeweiligen Bässe: Also, der ist handlicher, definitiv.. /Wir haben das gleiche Modell noch mal in klein Autorin: Eine schwierige Entscheidung: der eine Bass ist schön und handlich, der andere klingt vielleicht etwas besser, könnte aber möglicherweise in kleiner Besetzung die anderen Instrumente an die Wand spielen. 48. O-Ton: Marco Focke Wir könnten auch sagen: wir geben einen mit zum Probieren, müssten wir eine kleine Versicherung abschließen, die kostet so ... 60 Euro oder irgend so was, wenn natürlich der Bass dann genommen wird, dann ziehen wir die wieder ab 49. O-Ton: Marco Focke Wollen wir ihn mal einpacken? Papa, hol mal eine 5-saitige Hülle rauf, bitte. - Ja. (Schlurft weg.) Musik Der schännste Weg, Grünbacher Folkloristen Atmo: A19 kurz frei, dann unter Autorin legen, zwischendurch immer mal wieder hochziehen Bus hält vor dem Museum, Rentnergruppe geht die Museumstreppe hoch: Sind da Toiletten? Hanni, sind bei dir Toiletten? - Reiseleiter ruft: Kommt ihr alle rein? - Können wir da weiterrauchen? Bus fährt weg Autorin: Eine kleine Seitenstraße in Markneukirchen. Vor einem großen gelben Haus hält ein Reisebus, eine Gruppe Rentner steigt aus und bewegt sich mit steifen Knien auf das Eingangstor zu. (Atmo hoch) Neben dem Tor ein Vorgarten mit einer dicken alten Eiche und einer Bronzestatue, die an die Gründung der ersten Geigenbauerinnung 1677 erinnert - der ältesten noch bestehenden Geigenbauerinnung Deutschland, wie es im Fremdenverkehrsjargon heißt. (Atmo hoch) 50. O-Ton: Heidrun Eichler Das ist 1784 erbaut worden. Es war ursprünglich ein vierflügliges Gebäude und sieht aus wie ein kleines Schloss, deswegen nennen wir das auch nach dem letzten privaten Besitzer das Paulus-Schlösschen, denn Max Paulus hat hier bis 1927 drin gelebt, er war Saitenfabrikant und Instrumentenhändler, er war ledig, hatte eine Haushälterin und diese hat dann das ganze Gebäude, das ganze Anwesen hier von ihm geerbt. Autorin: ... bis die Stadt das Paulus-Schlösschen kaufte und ihre Musikinstrumentensammlung dort unterbrachte. Heidrun Eichler ist die Direktorin des Museums. 51. O-Ton: Heidrun Eichler Früher hatten wir in unserem Museum ja sehr, sehr viele Besucher, wir hatten bis zu 140.000 Besucher im Jahr, das ist eine Zahl, die kann ich heute gar nicht mehr so richtig nachvollziehen - wir hatten nur mit Besuchern zu tun, wir hatten nichts anderes.. war keine Zeit für irgendwas, und das waren auch viel Reisegruppen und wir haben also gemerkt nach der Wende, da gab's noch ... klar konnte man sehen, da musste man nicht wissen, woher die Gruppe kam: Die ostdeutschen Rentner sind bis in den letzten Winkel gelaufen und die letzteTreppe hochgestiegen, die westdeutschen sind nach einer Etage fertig zusammengebrochen auf die nächsten Stühle, hat sich gewandelt: jetzt brechen sie alle zusammen oder sitzen hier unten. Autorin: Heidrun Eichler ist Hüterin einer der schönsten Musikinstrumentensammlungen des Landes. Mehr als 1000 Musikinstrumente sind hier ausgestellt, nicht nur aus dem Vogtland, sondern aus aller Welt. Historische und moderne, skurrile und gewöhnliche - und keiner weiß es. Jedenfalls im Westen nicht. 52. O-Ton: Heidrun Eichler Mir geht's jetzt eigentlich darum, dass so aufzuziehen, dass wir mal in die Medien kommen und dass auch die Westdeutschen merken, dass sie mal hierher kommen können. Denn das ist unser Problem, was wir haben: Wir haben nach wie vor Besucher aus der Dresdener, Zwickauer Gegend - nach Hof ist es noch näher als nach Zwickau, da haben wir viel zu wenig. Musik Gitarre Siegfried Behrend, "Allessandro Stradella", Johann Kasper Merz 53. O-Ton: Heidrun Eichler Ja, und hier ist jetzt die große Ausstellung. Es sind 60 Instrumente zusammengetragen sowohl von unserem Museum als auch von der Fachhochschule als auch aus Privatbesitz, und so haben wir von Bremen, München, Dresden, Berlin Instrumente hier wieder nach Hause geholt. Musik Behrend noch mal kurz hoch und wieder unterlegen Autorin: Eine Sonderausstellung zum 50. Todestag von Richard Jacob, genannt "Weißgerber". Der wohl berühmteste Instrumentenmacher, den Markneukirchen und der Musikwinkel hervorgebracht haben. Ein unglaublich produktiver Gitarrenbauer, der etwa 3700 Gitarren im Laufe seines Lebens hergestellt hat - alle in Handarbeit. 54. O-Ton: Heidrun Eichler Die Gitarren sind berühmt geworden durch Siegfried Behrend, wir sehen hier unten das Foto mit ihm, das war ein westdeutscher Gitarrist, der in den 50er-Jahren sehr berühmt geworden ist und in aller Welt konzertiert hat und der dann fast nur Weißgerber-Gitarren gespielt hat und sie auch in Japan bekannt gemacht hat, und so hat man dann in Japan gerne auch solche Instrumente gekauft und dass sie ja nun nicht leicht zu haben waren, lag schon daran, dass Richard Jacob in der DDR gelebt hat und man nicht so einfach hierher kommen konnte, um mal schnell eine Gitarre zu kaufen, so hat man sie zum Teil bis zu 20.000 DM in Japan verkauft. Musik Behrend noch mal kurz frei, dann weg Autorin: Ein paar Räume weiter ist das Originalhandelskontor der Firma Pfretzschner ausgestellt, eine der reichen Markneukirchner Händlerfamilien: das Stehpult, die dicken Firmenbücher, der alte Schreibtisch, ein Globus und die großen Holzkisten, in denen die Instrumente verschifft wurden. Aber zumindest ein Gegenstand im Raum stammt nicht aus dem letzten Jahrhundert: 55. O-Ton: Heidrun Eichler Herr Pfretzschner hätte sicher nie sich träumen lassen, dass mal so ne schicke Frau mit ner Westerngitarre vor seinem Schreibtisch sich posiert. Also, wir haben einen Kalender gemacht, mit erotischen Fotos, mit einmaligen Musikinstrumenten und schönen Frauen und ich hoffe, dass wir den in der nächsten Zeit gut verkaufen, der ist also für das kommende Jahr, und wie ich geschrieben habe, die Besitzer dann hoffentlich den Weg nach Markneukirchen finden, um sich davon überzeugen zu können, dass es hier wirklich schöne Frauen und einmalige Musikinstrumente gibt. Musik: G. Schädlich Mein Wanderlied, Eimberglerchen 56. O-Ton: Claus Dunsch: Vielleicht rührt auch dieses Sprichwort der Vogtländer, das zänkische Bergvolk daher, dass diese einzelnen Täler untereinander um Privilegien kämpften, sag ich mal. Ob das das braurecht war ... Ausschankrecht, Braurecht ... Und ansonsten geht es halt wirklich nur um Dinge, die eigentlich belanglos sind. Autorin: Eben so etwas wie die uralte Rivalität zwischen den beiden Musikstädten Markneukirchen und Klingenthal. Und die Animositäten, die daraus entstanden sind, sagt Claus Dunsch, ein Vogtländer, der es wissen muss. 57. O-Ton: Claus Dunsch ich war damals beim Lokalfernsehen und ich fuhr auf dem Weg von Markneukirchen nach Klingenthal über die Gopplasgrüner Höhe, das ist also ein Bergrücken zwischen Klingenthal und Markneukirchen, der also das richtig schön abgrenzt und oben, direkt auf der Höhe sah ich mehrere Touristen auf einem Haufen stehen und haben eine große Tafel angeschaut und da hielt ich doch mal an, weil mich das interessiert hatte und da sah ich doch ein riesengroßes Bauschild. Europäisches Projekt stand drauf: Talsperre Klingenthal. Es ist also eine nachgemachte Bautafel gewesen, die also dann darstellte, dass die EU hier ein Projekt fördert, das Klingenthal überflutet. //Als ich dann diese Touristen danach befragte: ja, da wird ja dann Klingenthal aufgewertet und dann habt ihr ja herrliches Gebiet hier, ich hab dann gesagt: na, schauen Sie doch mal auf die Höhenmeter, da wäre nämlich dann von der Kirche hier ... nur die Turmspitze hätte da herausgeschaut - also es war ein kleiner, böser Streich, so aus Richtung Markneukirchen. Autorin: Es liegt am unterschiedlichen Dialekt, dass die beiden sich nicht mögen, sagen manche. Oder man sieht die Ursache in der Geschichte. 58. O-Ton: Claus Dunsch Früher wurden in Klingenthal die Musikinstrumente hergestellt und in Markneukirchen wurden sie gehandelt und verkauft. Und mit der Musikinstrumentenherstellung hatte man halt nicht so viel verdient wie mit dem Handel, und wenn man heute durch Markneukirchen fährt oder durch Markneukirchen läuft, sieht man halt, dass man dort sehr ... wie soll ich sagen? Ja, jetzt fehlen mir die Worte ... Sehr viele Geschäftshäuser. Autorin: Bis es dann nach dem Krieg den Klingenthalern gelang, den Spieß umzudrehen. 59. O-Ton: Claus Dunsch Und dann gab es natürlich die Zeit nach dem Kriege, wo hier die politische Ordnung verändert wurde, die regionale Aufteilung, und Klingenthal wurde damals in den 50er-Jahren Kreisstadt und Markneukirchen nicht. Und da kann man sich natürlich vorstellen, dass jetzt einige die Zähne gefletscht haben, ja, und so ist das halt auch heute noch. Autorin: Trotz allem, beeilt sich Claus Dunsch zu versichern, sei das ja alles gar nicht so ernst gemeint, letztlich seien doch beide Vogtländer - und als sächsische Vogtländer eben auch die einzig wahren Vogtländer. Schließlich gibt es ja auch noch ein bayrisches und ein thüringisches Vogtland ... 60. O-Ton: Claus Dunsch Es gibt ja auch ein bayrisches Vogtland, ein thüringisches Vogtland. Ich würde sagen: für den Vogtländer hier - wir sind ja die Vogtländer - hört das Vogtland an der Kreisgrenze auf. Also hinter Plauen. Dort wo die Grenze ist zu Thüringen. (Also man hat schon Sinn für Verwaltungseinheiten?) Auf jeden Fall. (Lacht) Auf jeden Fall. Sprecher vom Dienst: Ein Himmel voller Geigen. Der "Musikwinkel" im sächsischen Vogtland. Sie hörten eine Deutschlandrundfahrt mit Ulrike Köppchen Musik 1