COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Manuskript Von Svenja Pelzel Thema: Kaffeefahrt zum Krematorium Sendung: DLR, Die Reportage, Wiederholung November 2011 O-Ton 1 0?11 Autorin: ich bin bei dieser Bustour mitgefahren, weil ich einfach mal wissen wollte, was sind das für Leute, die ihre Angehörigen irgendwo in Tschechien anonym in der Erde verscharren lassen. ? sagt Reporterin Svenja Pelzel und hat sich der Reisegruppe mit Ziel Krematorium angeschlossen. Wir wiederholen heute ihre Reportage: Kaffeefahrt zum Krematorium. Svenja Pelzel über die etwas andere Kaffeefahrt nach Tschechien. Atmo 1 hoch Abfahrt Bus 0?5 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin 1 Berlin Neukölln, sechs Uhr dreißig. Schwerfällig setzt sich der große Reisebus in Bewegung. Das Ziel: Vysocanske ? ein kleines Dorf in Tschechien. An Bord: der Bestattungsunternehmer Hartmut Woite, Tochter Mirjam und Bruder Norbert, Mitarbeiterin Daniela und fünfzig müde Berliner. Im Transporter vorneweg: zwei Fahrer und vier Leichen. Die vier sollen im Krematorium von Vysocanske verbrannt und teilweise dort beerdigt werden. Anonym. Ohne Grabstein, ohne Tamtam, einfach so in die Erde. 888 Euro kosten Papierkram, Transport, Einäscherung und anonyme Bestattung - so wenig wie nirgendwo in Deutschland. Seit elf Jahren bietet Woite mit seinem Berolina Sargdiscount diese Billigbeerdigungen an, misstrauisch beobachtet von der Konkurrenz. Weil ihm diese irgendwann vorwarf, in Tschechien gehe nicht alles mit rechten Dingen zu, charterte Woite kurzerhand einen Bus, lud seine Kunden zur kostenlosen Tschechienreise ein, mit Krematoriumsbesichtigung, Mittagessen und Beerdigung. Heute ist der Bus wieder unterwegs. O-Ton 2 Atmo 2 darunter 0?34 Woite Begrüßung 1/10 Wir werden also ein paar Stunden zusammen sein im Bus, wir werden im Krematorium eine Trauerfeier halten, wir haben eine Familie dabei, die durch einen Sterbefall betroffen ist. Unser Bestattungsfahrzeug transportiert im Moment die Mutter der Frau Buse. Sie sind heute unsere Gäste. Die Getränke werden wir anfangen auszuteilen, sowie wir auf der Autobahn sind. Autorin 2 Langsam verfärbt sich der Himmel hinter den Scheiben des Reisebusses im Morgenrot. Hartmut Woite und seine Helferinnen verteilen Multivitaminsaft und Mineralwasser - die erste von zahlreichen kostenlosen Erfrischungen auf dieser Reise. Um die siebeneinhalb tausend Euro lässt Hartmut Woite sich die Veranstaltung kosten. Der 67-jährige Unternehmer erhofft sich davon ein anständiges Medienecho und ausreichend Mund zu Mund Propaganda. Peinlich achtet Woite deshalb darauf, dass sich jeder Mitreisende wohl fühlt, dass entspannte Stimmung herrscht. Schon nach einer dreiviertel Stunde Fahrt wird die erste Pinkel- und Rauchpause eingelegt. Atmo 3 hoch 2?00 Aussteigen aus Bus 1/21 Wir haben die ersten Zehnminutenpause. 0?5 frei stehen lassen dann darüber: Autorin Während die Raucher schnell eine Zigarette reinziehen, die Frauen zur Toilette hasten, steht Hartmut Woite etwas abseits und plaudert mit den Fahrern. Dabei beobachtet er genau seine Reisegruppe. Schließlich sind alles mögliche Kunden und Mulitplikatoren, die er binnen des heutigen Tages für sich gewinnen muss. Die meisten sind mit dem Ehepartner oder einer Freundin hier, fast jeder ist über 60, alle wirken offen, neugierig und gut gelaunt. Nur zwei Männer, Mitte zwanzig, fallen aus der Gruppe der Senioren heraus. Einer von beiden wurde von seiner Familie mitgeschickt. Die Großtante liegt im Sterben. Er soll herausfinden, ob das hier etwas für sie wäre. O-Ton 3 Atmo 2 darunter 0?30 Woite 1/32 Also ich kann mir vorstellen, dass es für ihn sehr belastend ist, wenn er mitgeschickt wird um zu sehen, wie so ein Krematorium funktioniert, weil in seiner Familie ein Sterbefall zu erwarten ist. Also ist schon eine schwere Situation denke ich, weil es ist ja noch nicht da und er muss sich jetzt schon mal umsehen danach, muss er viel Kraft haben. Ich behalt ihn im Auge, dass ihm da emotional nicht so viel passiert. Autorin Zehn Minuten später: zurück auf der Autobahn Richtung Tschechien, der nächste Programmpunkt: Atmo 4 hoch 1?20 Kaffeeausschank Einmal weiß bitte ? einmal weiß. Geklapper. So bitte schön. Weiß und schwarz. Wunderbar. 0?15 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin Atmo 2 wieder Es gibt Kaffee. Freundlich plaudernd verteilen Daniela Burzinski und Woites Tochter Mirjam Plastikbecher mit dem heißen Getränk. Der Kaffee ist für Hartmut Woite ein guter Aufhänger, um mit seinen potentiellen Sterbefällen ins Gespräch zu kommen. Zum Beispiel mit Margit und Klaus Jank. Bereits vor vier Wochen haben die Janks eine alte Dame in Tschechien einäschern lassen. Elschen, wie sie die Tote liebevoll nennen, war 92 als sie starb, hinterließ keine Familie, nur die Janks, ihre gesetzlichen Betreuer. Viereinhalb Jahre haben sich die beiden um Elschen gekümmert. O-Ton 4 0?15 Margit Jank Wir waren jeden Tag mit ihr zusammen drei bis vier mal bei ihr. Wir haben alles gemacht, alles. Von Wohnung, Baden, Spazierenfahren. Wir haben sie mit zu uns nach Hause genommen, also wir haben wirklich alles mit ihr gemacht. War aber auch ne ganz liebe alte Omi. Autorin Für die liebe alte Omi ohne Hinterbliebene hatten die Janks in jedem Fall eine anonyme Beisetzung geplant. Nach einigem Rumtelefonieren landeten sie beim Berolina Sargdiscount von Herrn Woite und seinen unschlagbaren Preisen in Tschechien. Doch nicht nur das Geld war für die Janks entscheidend. Elschens Asche solle in alle Winde verstreut werden. Eine Bestattungsart, die in Deutschland noch immer verboten ist. O-Ton 5 0?41 Herr und Frau Jank 2/45 Wir haben es extra so haben wollen, weil diese Dame ? die hat immer gefragt, was ist denn draußen zu hören. Die Flugzeuge von Tegel, die konnte man hören, wenn se starten. Und dann hat se immer gefragt, bist du schon geflogen. Ich saje, logisch, bin ich öfter geflogen. Bin ich dusselig gewesen, sachtse, hab nur gespart, nur gespart, hab mir es nicht mal gegönnt, dass ich mal fliege. Und das wollten wir ihr als letztes dann bieten. Dass sie mitfliegt und dann oben in der Luft quasi alleene nochmal fliegt ? ja so haben wir uns das vorgestellt. Er: So hamma uns das vorgestellt. Autorin Mit einem Heißluftballon will Klaus Jank samt Elschens Urne heute in den tschechischen Himmel starten. Allerdings sind die Windverhältnisse derzeit vor Ort nicht optimal, gibt es noch keine Flugerlaubnis. Falls es nicht klappt, wollen beide auf jeden Fall noch einmal die Ochsentour der zehnstündigen Fahrt auf sich nehmen. 1160 Euro kostet es die Janks, Elschen in Tschechien verbrennen zu lassen und in den Wind zu streuen. Beide sind von dieser Bestattungsart begeistert, haben schon den gesamten Bekanntenkreis verrückt gemacht und mit den eigenen Kindern gesprochen. O-Ton 6 0?34 Margit und Klaus Jank Ich glaube es wäre ihnen egal, es geht ja hauptsächlich darum, wer will sich um die Gräber kümmern, die Kinder nicht. Wir haben selber Angehörige, Verwandte, die auf dem Friedhof liegen und wir gehen auch nicht auf den Friedhof. Das ist irgendwie , muss das nicht sein. Wir können die Leute in Erinnerung behalten, wir müssen dazu nicht auf den Friedhof gehen. ? Er: wir haben eine Türnische und da hängen alle Bilder von denen, die von uns verstorben sind und die können wir jeden Tag quasi ansprechen. ? Sie: ich stell frische Blumen an die Bilder Zuhause ich muss deshalb nicht auf den Friedhof gehen Atmo 5 hoch 3?00 Busgeräusch auf tschechischen Holperstraßen, 0?5 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin Fünfeinhalb Stunden ist der Bus bereits unterwegs, vorbei an Chemnitz, und den schneebedeckten Wäldern des Erzgebirges. Heute dauert alles besonders lange. Das Kamerateam verzögert immer wieder die Weiterfahrt. Einige allein reisende Männer im hinteren Teil des Busses lassen sich davon nicht die Laune verderben. Proportional zur zunehmenden Zahl geleerter Bierflaschen, steigt ihre Stimmung. Den Höhepunkt erreicht sie, als gegen Mittag kurz hinter der Grenze die ersten Bordelle und Prostituierten auftauchen. Begeistert kleben die Männer an den Fensterscheiben, zeigen sich aufgeregt die halbnackten Frauen, winken den Tschechinnen hysterisch zu. Die Prostituierten sitzen in wintergartenähnlichen Glasbauten, die zur Straßenseite hin an die schäbigen Häuser angebaut wurden und winken gelassen zurück. O-Ton 7 0?31 Männer grölen, 1/95,96 Kiek mal da im Schaufenster, jetzt habt ihr was verpasst, da haben se gemacht winkewinke im Bikini, fahr mal zurück ? das ist ja fast wie in Amsterdam ? ist ja wirklich gewaltig ja, - Lachen. Da, jetzt ? guck mal ? huhuhu, hallo Mädchen ? die müssen doch frieren ? det hälste nich aus - da kommen die nächsten ? Fidschis jetzt . ? Lachen Atmo 5 hoch Busgeräusch kurz hoch, 0?3 frei stehen lassen, dann darüber: O-Ton 8 0?20 Hartmut Woite 2/111 Wenn jemand im Bus kichert, ist das sicherlich gut, aber wenn hier durch irgendwelche Vorkommnisse auf der Straße gepfiffen oder gejohlt wird, das stört mich sehr. Das stößt mich ab. Es ist so. Bin ich an und für sich unglücklich. Atmo 4 hoch Busgeräusch, kurz frei, dann darüber: O-Ton 9 Atmo 6 Parkplatz 2?15 darunter 0?34 Durchsage von Herrn Woite im Bus 1/99 Meine Damen und Herren, wir nähern uns mit ziemlicher Geschwindigkeit dem Krematorium, es ist auf der rechten Seite. Sie können es von hier aus schon sehen, die kleine Klosteranlage und das Krematorium ist dort angeschlossen. Wir werden vom Parkplatz aus direkt die kleine Kapelle betreten und werden dort die Trauerfeier abhalten für eine Verstorbene, die wir mitgebracht haben. Um einmal die Zeremonie zu sehen, aber auch um die Familie in diesem Moment zu begleiten und zu unterstützen. Autorin Wie bestellt strahlt der Himmel in werbewirksamem Azurblau über der barocken, kleinen Klosteranlage, der Kirche und dem nagelneuen Krematorium. Alles hier ist so blitzsauber und neu, dass es fast kulissenhaft unecht wirkt. Kein Papierchen verschmutzt den asphaltierten Parkplatz. Das Krematorium mit seinem altrosa farbenen Anstrich, dem pagodenähnlichen braunen Dach, den schweren Holztüren, den roten Pflastersteinen, den weißen Papierkörben und grünen Zwergkiefern davor, ähnelt einem japanischen Tempel mit Ziergarten. Die Bürger von Vysocanske haben vor elf Jahren die Verbrennungsanlage extra für die Deutschen aus dem nahen Bayern und Sachsen gebaut. Am Anfang kam hauptsächlich Hartmut Woite aus Berlin, mittlerweile hat die Idee reichlich Nachahmer gefunden. Fünf Mal die Woche rückt Woite mit seinem Transporter und vier Särgen an. Die Toten werden am Nachmittag verbrannt und ihre Asche bei der nächsten Tour wieder mitgenommen. Noch lassen 80 Prozent der Angehörigen ihre Verstorbenen lieber Zuhause beerdigen. Nicht so Ingrid Buse. Ihre Mutter Frieda Runge soll heute verbrannt und wie Elschen dem Wind übergeben werden. Die dazugehörige Trauergemeinde besteht aus 50 Berlinern, die Frieda Runge noch nie im Leben gesehen haben. Etwas unschlüssig stehen die Männer und Frauen vor dem Krematorium und warten darauf, dass ihnen jemand sagt, ob sie schon rein gehen sollen. Dass sie jetzt alle gleich an der Beerdigung von Ingrid Buses Mutter teilnehmen werden, finden manche dann doch befremdend. O-Ton 10 0?43 Stimmen Reisende 1/102, 2/18, 2/39, * Ich würde nicht mitfahren mit so einem Busunternehmen, dann alleene mit dem Auto. So viel Zuschauer, das ist dann doch ein bisschen hart. * Vielleicht haben sie es umsonst gekriegt oder preiswerter. Nee, also das könnte ich mir auch nicht vorstellen oder wenn ick det meinen Kinder sagen würde. Ick hab det so gedacht. Mit so nem Bus mit so vielen, det wär glaube ick ne Zumutung ja. Dieses hier sonst ist okay, aber nicht mit so vielen Menschen. * Das würde mir nicht stören und denjenigen, um den es da geht, der kriegt davon sowieso nüscht mit. Und wie ick meine Familie kenne, denen wird das ejal sein, Hauptsache es läuft vernünftig und ordnungsgemäß und so weiter. Atmo 7 hoch Hineingehen in Kapelle mit Musik, 0?5 frei stehen lassen, dann darüber: O-Ton 11 0?43 Norbert Woite 1/106 Sie alle haben sich zu dieser Einäscherung eingefunden und aus Anlass einen weiten Weg gewählt, sie Frau Buse begleiten ihre Mutter, sie Herr Buse ihre Schwiegermutter auf einem ihrer letzten Wege. Die Gemeinschaft, welchen sich aus den Teilnehmern der Tour gebildet hat, bitte ich für ein paar Augenblicke um Unterstützung zugunsten der angesprochenen Familie. Autorin Die Unterstützung durch die fremde Trauergemeinde sieht so aus, dass alle angemessen verstummen. Immerhin. Vorne, in der ersten Reihe sitzen Ingrid und Heinz Buse. Nervös blicken die beiden 72-jährigen Alten auf den Sarg, der vor ihnen aufgebahrt steht, obenauf ein Strauß echter Sonnenblumen, dahinter ein schwerer, roter Samtvorhang, zu beiden Seiten auf Metallständern ein Kranz aus bunten Plastikblumen. Bei den Worten von Norbert Woite fängt Ingrid Buse an zu weinen, Heinz Buse kämpft hart gegen die aufsteigenden Tränen an. Zum Glück dauert die Ansprache nur ganze acht Minuten, sonst hätte der alte Mann am Ende doch noch geweint Nicola Schuster, der junge Mann, der für seine Großtante mal gucken sollte, ist wenig begeistert. O-Ton 12 Atmo 8, 2?50 darunter 0?53 Nikola Schuster, 2/26 Supertoll, lieber in den Fluss schmeißen lassen als das. Es ist furchtbar. Also auch der Redner, da hätte ich lieber auf den Redner verzichtet, bevor ich mir anhören kann, ob ich jetzt ein oder zwei Weltkriege, den Kaiser oder sonst wen erlebt hatte, eine Ausbildung als Floristin hatte und dann leider Schuhverkäuferin machen musste. Und dann ist diese furchtbare Musik, diese furchtbare Plastikblumendeko. Diese Heuchelei, vielen Dank für die Anteilnahme, weil es die Leute zwei Minuten geschafft hatten, ruhig zu sein, aber auch nur mit Ach und Krach. Da hinten sind schon wieder irgendwelche Scherzchen gemacht worden. Furchtbar! Autorin Die anderen Mitreisenden stehen ebenfalls etwas hilflos und betreten herum. Wie bei einem Theaterstück, wo alle auf den Beginn warten, macht sich Erleichterung breit, als Hartmut Woite endlich den bodenlangen roten Samtvorhang hinter dem Sarg zur Seite zieht. Er trennt Aussegnungshalle und die Öfen zumindest optisch voneinander. Woite bittet die Gruppe zum letzten Akt der Frieda Runge - die Verbrennung der Leiche. Auch hier im Vorraum des Krematoriums kann man sich des Eindrucks einer Kulisse kaum erwehren. Der Boden glänzt marmorn, die Ofentüren blitzen edelstahlfarben. Ein edler Vorhof zur Feuerhölle, in die zwei tschechische Helfer Frieda Runge mittels moderner Hydrauliktechnik befördern. Atmo 9 hoch 2?15 Ofen geht auf, Hitzegebrüll 0?18 frei stehen lassen, dann darüber: Autorin Hitzegebrüll könnte man das Geräusch nennen, das aus dem geöffneten Krematoriumsofen dringt. Ein beeindruckender Lärm, der nun endgültig an Hölle erinnert. Zum ersten Mal an diesem Tag verstummt die Reisegruppe wirklich, als sich die Klappe hinter dem Sarg schließt. Allerdings nur für einen kurzen Moment. Dann bittet Hartmut Woite die Reisenden in den Raum hinter dem Ofen. Der marmorähnliche Boden weicht weißen Kacheln, aus der schicken Vorhölle wird ein aseptischen anmutender Raum, in den die beiden sauber polierten Edelstahlöfen weit hinein ragen. Zwei bis zweieinhalb Stunden dauert es bis ein Mensch darin zu Asche verbrannt ist, je nach Körperfülle. Ohne jede Hemmungen blicken die Reisenden durch die kleine Klappe, die vorne an den Öfen angebracht ist, schauen sich ausgiebig um, betrachten neugierig die offenen, gefüllten Urnen, stellen absurde Fragen. Daniela Burzinski muss viele davon beantworten. O-Ton 13 0?30 Burzinski, Reisende 2/15 Das schaut aus wie Schrot ? ? ja, im Prinzip ist es ja auch, weil es vorher nochmal durch ein gesondertes Mahlwerk geht - hm, also das ist hier menschliche Asche? ? von einem Menschen? ? das ist von einem Menschen, bei einem mehr, bei dem anderen weniger ? ist das ganz bis nach unten in dem Zylinder drin ? dann kann man sich das hier reinfüllen und mit nach Hause nehmen. Atmo 10 hoch 3?50 Essen kurz frei stehen lassen, dann darüber Autorin Nach der Verbrennung gibt es im angeschlossenen Klosterrestaurant Knödel, Sauerkraut, fette Bratwurst und Fleisch für alle. Ingrid und Heinz sitzen in einer Ecke der Gaststube, vor sich ein paar leere Schnapsgläser und wirken bereits wieder völlig entspannt. Die Aussegnung hat beiden prima gefallen. Dass nur Fremde dabei waren, hat die zwei nicht gestört. O-Ton 14 0?30 Heinz und Ingrid Buse, 2/51, 53 Wir sind beide Menschen, die mittendrin sind, ob das Fremde sind, ob das Freunde sind, die waren nett, zurückhaltend, ich kann nicht klagen. Wir haben uns nicht fremd gefühlt. Unsere Familie ist sowieso überall. Mein Vater in Russland, mein Bruder, meine Mutter in USA, ich in Deutschland, eener ist irgendwo in Polen geblieben, wir sind sowieso eine Familie, die nicht sesshaft ist. - Immer überall war. Als Kind Ostpreußen und überall. Autorin Wenn sie mal sterben, das steht für Ingrid und Heinz schon fest, wollen sie auch hier eingeäschert und begraben werden. O-Ton 15 0?24 reden schön durcheinander 2/54 -Ja aber, - sofort wir beide und wie ick det gehört habe - sowieso, klar, - ja bloß keen Begräbnis, nein - wenn det hier alles vorbei ist, wir gehen und besprechen det und machen das fest ? schon als junget Paar, damals, wie wir noch nicht an Tod gedacht haben , haben wir schon immer gesagt ? und preiswert auch noch. ? Wir sind Naturburschen, von jeher schon an ? und es hat uns gefallen. Autorin Die Buses haben nur eine Tochter, mit der sie sich auseinander gelebt haben. Für ein Grab soll sie mal nicht sorgen müssen. O-Ton 16 0?30 Beide Buses 2/56 Wir sind keine Friedhofsgänger, das will ich ihr nicht zumuten. Wir sollen irgendwo wenn?s geht, auch da oben verstreut werden ? wir hinterlassen kein riesiges Erbe, det werden wir vorher schön verbraten, warum soll ich den Leuten det Jeld hinterlassen, wo ich mein Leben lang für gearbeitet habe -?nee, und darum brauchen se auch nicht fürt Grab sorjen. So wolln wa det. ? Ja.- Wir sind weg, wie wir es immer geliebt haben ? Pfeift ? ist für uns dat Schönste. Autorin Atmo 10b darunter Friedhof 1?00 Nach dem Essen bekommt Hartmut Woite Bescheid vom Flughafen. In zehn Minuten wird sich der Wind legen, der Ballon kann steigen. Ingrid und Heinz Buse, samt Mamas Asche, Hartmut Woite, Klaus Jank mit den Überresten von Elschen klettern in den Korb und schweben in den tschechischen Himmel. Oben verstreut Woite die Asche der beiden alten Frauen. Zuvor hat er Blütenblätter in die Urnen. Elschen und Frieda fliegen zum ersten und zum letzten Mal in ihrem Leben ? wenn man so sagen kann - und laden weiträumig verteilt auf tschechischem Acker, Klosteranlage und dem Krematoriumsparkplatz. Während dieser Zeit steht der Rest der Busladung mal wieder verloren herum. Diesmal auf dem Dorffriedhof von Vysocanske. Unter einigen Bäumen haben die Tschechen für ihre Toten mannshohe, kunstvoll behauene Grabsteine aufgestellt, die Gräber davor sind sorgfältig bepflanzt, auf einigen liegt frischer Blumenschmuck. Etwas abseits, vor der ehemals weiß gekalkten Friedhofsmauer hat jemand das braune Laub zur Seite gekehrt und zwei eimergroße Löcher in die nackte Erde gebuddelt ? der Platz für anonyme Bestattungen. Nichts erinnert daran, dass an dieser Stelle bereits einige Menschen liegen. Kein Kreuz, keine Gedenktafel, nichts. Jeder Hamster bekommt von den Kindern, denen er einmal gehörte, zumindest einen Blumentopf auf sein Grab im Garten gestellt. Hier ist nur nackte Erde. O-Ton 17 0?24 Daniela Burzinski Wir sind jetzt also hier zusammen gekommen, um zwei Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen und zur letzten Ruhe zu bitten. Die Angehörigen sind jetzt nicht hier dabei. Die werden zu einem späteren Zeitpunkt hier erscheinen und alleine Abschied nehmen. Ich bedanke mich noch einmal bei ihnen vielleicht für ein stilles Gedenken. Und möchte das Wort weiter reichen. O-Ton 18 0?10 Norbert Woite Wir übergeben die Urne mit der Asche von Georg Ahrens der Erde zurück und sagen Ruhe in Frieden. Autorin Atmo 11 darunter Zuschaufeln 5?17 Zehn Sekunden dauerte die Grabrede für Georg Ahrens. Dann versenkt Norbert Woite die Urne ? einen schmucklosen schwarzen Plastikbehälter mit silberfarbenem Deckel und weißem Namensaufkleber - in dem zwanzig mal zwanzig Zentimeter breiten Loch und schaufelt das Ganze mit wenigen Bewegungen zu. Obenauf legt er ein Gesteck aus roten Rosen. Anschließend faltet er die Hände, nickt kurz und tritt ab. Mehr Zeremoniell ist nicht. Klaus Schulmann hat vor vier Monaten seine Mutter auf genau diese Weise hier beerdigen lassen. Heute ist er mitgefahren, um ein letztes Mal ihr sogenanntes Grab zu besuchen und ein paar Rosen auf Erde und Laubreste zu legen. O-Ton 19 0?28 Klaus Schulmann 2/72 Wissen sie, ich habe meine Mutter zehn Jahre betreut. Ich habe alles zu Lebzeiten gemacht, was ich für sie tun konnte. Was kann ich jetzt tun. Nutzt ihr der Stein irgendwas? Und so kann ich mir gesagt, kann ich jede Woche eine Blume hinstellen Zuhause, hab mein Bild da. Schwiegermutter ist das Bild und von meiner Mutter ist das Bild. Da kommen ein paar Blumen jede Woche und dann. Wenn meine Knie nicht mehr funktionieren und mein Kopf nicht mehr funktioniert, wenn ich vielleicht noch zum Blumenladen komme, kann ich immer noch eine Blume. Zum Friedhof kann ich se nicht mehr bringen. Autorin Während die Reisenden nach der Beisetzung den Friedhof besichtigen, kommt eine junge Tschechin mit ihrem Kind und legt Blumen auf ein Grab. Nachdenklich beobachtet Ingrid Domster die Szene. O-Ton 20 0?23 Ingrid Domster 2/96 Ich frag mich, was die Tschechen von uns denken. Das frag ich mich eigentlich. Wenn hier dieser Beerdigungstourismus stattfindet auf so einem kleinen Dorffriedhof. Wo man Gräber sieht, die doch sehr üppig sind und Gräber sieht, die schön sind. Die Leute sind auch nicht die reichsten hier und trotzdem leisten sie sich eine Beerdigung in diesem Maße wie man es gewöhnt ist. Autorin(kürzbar) Ingrid Domster hat ebenfalls ihre Mutter vor zwei Monaten verloren und beerdigt. Mit vielen Gästen, Trauerfeier, Grabstein, Erdbestattung, Leichenschmaus, eben allem, was dazu gehört, wie sie findet. O-Ton 21(kürzbar)Atmo 11 weg, Atmo 2 darunter 0?36 Ingrid Domster 2/97 Also ich habe vorhin schon gesagt, meine Mutter ist mit 45 Witwe geworden, mein Vater starb 1959 und sie hatte vier Kinder und mein Vater hat ein vernünftiges ordentliches Grab bekommen, mit einem Stein, wo man hingehen konnte, wie hat die dat gemacht mit vier Kindern? Ich finde det einfach ein bisschen sehr schwach, dass man überhaupt nicht ein bisschen Einsatz zeigen will. Ist einfach zu wenig finde ich. Man hat doch mit dem Menschen gelebt, mit dem hat man viele Jahre zusammen gelebt und irgendwie det soll er einem auch wert sein, dass er eine vernünftige Grabstelle bekommen und nicht irgendwie im Ausland verscharrt wird. Det find ich nicht so in Ordnung. Atmo 2 hoch Bus kurz frei stehen lassen, dann darüber: Autorin Am Nachmittag, auf der Heimreise Richtung Berlin verteilt Daniela Burzinsky Informationsmaterialien an die Reisenden. Die Prospekte werden gerne genommen und sofort durchgelesen. Die meisten Männer und Frauen hier im Bus denken nicht so wie Ingrid Domster. Viele sind von dem heutigen Tag begeistert. O-Ton 22 1?09 Frau Jank, Sylvia , Familie Abraham, Woite, 1/42, 2/79, 86, 116 * Und ich find die ganze Sache auch toll, ich find das so toll, dass man nicht unnötig noch viel Geld ausgeben muss. Wir waren gleich begeistert * Es ist ja ne ganz saubere Sache. Eh man, mal überlegt, man wird von den Würmern zerfressen irgendwann mal. Ist doch schön eigentlich. Muss ich mir nochmal überlegen. Lachen. Also ich fand es wunderschön heute, ein richtig erlebnisreicher Tag. * Wir haben ja niemanden mehr, wir sind beide allein. Stellen sie sich mal vor, bei Mutti habe ich dem Pfarrer alles erzählt, dann haben wir eine Trauerfeier gemacht, dann hat der selbe erzählt, da war nur die Heimleitung, ner Schwester und uns. Na was soll?s? Das muss doch nicht! Das reicht doch so wie hier. ? da erzählste ihm, was mit mir war und er erzählt es dir dann wieder in bisschen anderen Worten.- Nich, nein, nein. * Ich persönlich werde auf jeden Fall zur Erde bestattet. Ich werde keine Feuerbestattung haben. Das ist für mich klar. Hat religiöse Gründe. Das ist es. Abmoderation: Und am nächsten Sonntag senden wir anlässlich des Weltaidstages in dieser Woche eine Reportage aus Südafrika. Jede Oma zählt ? so der Titel und Leonioe March erzählt darin die Geschichte von Aidswaisen, die bei ihrer Großmutter aufwachsen.   Hier übernehmen gleich die Kollegen vom Neonlicht. Tschüss & noch einen schönen Sonntag wünscht ihnen für die Reportage - Eberhard Schade.         0 10