DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 17.05.2011 Redaktion: Karin Beindorff 19.15 ? 20.00 Uhr Kleinstadt der Engel Bürger wehren sich zaghaft gegen Rocker Von Michael Weisfeld Coproduktion Deutschlandfunk/NDR/WDR DLF-Fassung URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Musik, Atmo O-Ton Gieseke Ich werde auf politischem, juristischem Gebiet und in einer kriminellen Form angegriffen derzeit. Es ist für mich ungeheuer wichtig und auch für meine Familie, dass nicht mehr ich alleine dastehe und den Arsch hinhalten muss. O-Ton Heer Als Michel mein Sohn zur Waldorfschule gegangen ist, da hat ihn ein Junge gefragt: Ja, dein Papa, der ist da unten dieser Puffbesitzer, Bordellbesitzer, ( ... ) was ist denn da unten? Da hat mein Sohn ganz klar gesagt: Frag mal deinen Papa, der weiß genau Bescheid, was es kostet. Seitdem ist er nie wieder angesprochen worden. Da war das Thema vorbei! O-Ton Kirchner Die Hells Angels sind für ihn einfach nur die Rückendeckung, mit Gewalt ist er nicht angreifbar, nach außen hin ist er der biedere Geschäftsmann, (..) ist großzügig mit Spenden, das ist doch das, was die Bürger sehen wollen. Und das andere ? wer weiß davon? O-Ton Gieseke Wir sind nicht in Palermo. Bloß umgedreht heißt dieser Satz ja: (..) In Palermo gibt es inzwischen 50 Kaufleute, die sich weigern, Schutzgeld zu bezahlen. Ich suche in Walsrode 50 aufrechte Bürgerinnen und Bürger, die sagen: Was hier passiert, wollen wir nicht. Wir spielen in diesem Spiel nicht mehr mit und wir sagen das auch offen. Atmo Motorrad Ansage: Kleinstadt der Engel Bürger wehren sich zaghaft gegen Rocker Ein Feature von Michael Weisfeld Atmo Saal O-Ton Stolz - im Saal - Ja, meine Damen und Herren, Sie merken, dass ein großer Andrang heute Abend ist, wir holen jetzt noch weitere Stühle rein, ich möchte Sie nur bitten, dass Sie die Notausgänge bitte freilassen, ... Erzähler: Walsrode ist eine kleine Stadt in der Lüneburger Heide. Sie nennt sich nach einem Heimatdichter "Hermann-Löns-Stadt". Hamburg, Bremen und Hannover liegen etwa gleich weit entfernt. Die Grünen ? sie stellen die kleinste Fraktion im Stadtrat - haben ihre Mitbürger eingeladen. Das Thema: "Wie gefährlich sind die Hells Angels? Was ist in Walsrode zu tun?" Die 400 Plätze in der Stadthalle sind schon besetzt. Aber immer mehr Leute drängen durchs Foyer. O-Ton Fahrlehrer Wir merken hier keine (..) Hells Angels im negativen Sinne. Die tun uns hier ja nichts. ( ... ) Es gibt Unterstellungen, aber nichts anderes. Gibt's nichts anderes. Eine Vorverurteilung von irgendwelchen Leuten, grundsätzlich, weil sie irgendwo angehören, ist auch schwierig zu sagen. Atmo Motorrad Erzähler: Zu der Rockervereinigung Hells Angels gehören in Walsrode zwei Männer: Wolfgang Heer und sein Sohn Michel. Sie führen hier mehrere Betriebe: Das Bordell Casanova-Club, auch "das rosa Haus" genannt. Das "Colosseum" mit Bowlingbahn und Spielhalle, die Sicherheitsfirma Bodyguard-Security. Das "Sportzentrum Walsrode", wo Bodybuilding und Kampfsport trainiert werden. Hinzu kommen Betriebe in der weiteren Umgebung, darunter Bordelle in Verden, Achim und in dem Künstlerort Worpswede bei Bremen. O-Ton AWO-Spendensammler Ich kenne Herrn Heer nur vom Sehen, von kurzen Gesprächen. (..) Er spendet nicht nur fürs Stadtmarketing, wie man ja weiß, er spendet überall. Ich hab eine Aktion gehabt von der Arbeiterwohlfahrt, wo ich mit im Vorstand bin, da ging's um sozial schwache Familien, die man in den Heidepark einladen wollte mit ihren Kindern, und ich bin zum Heer gekommen, hab kaum was gesagt, hab nur das Wort Kinder erwähnt, da hat er mir 50 Euro auf dem Tisch gelegt. Also, er spendet überall. Frage: Und wo das Geld herkommt, mit dem er spendet? - Da kann ich Ihnen nichts sagen, wo's herkommt. Musik O-Ton Gieseke Sein Outfit: Glatze, Muskelshirt, gut trainiert, trotz der über 60 Jahre jetzt schon. Erzähler: Detlef Gieseke, Lehrer und Ratsmitglied der Grünen, über Wolfgang Heer. O-Ton Gieseke Man hat ihn gesehen mit ( ... ) dem Cadillac durch die Stadt fahren, Kaffee trinken, man fand so einen Mann ja interessant, was passiert denn sonst in so einer Kleinstadt? Gut, der hat ein Bordell, der macht damit auch so sein Geld, aber er wohnt auch hier. O-Ton Heer Wir waren in Hamburg beschäftigt auf der Großen Freiheit, im "Safari", da kriegten wir eines Tages den Anruf, da ist ein Cabaret zu verkaufen, Erzähler: Wolfgang Heer, gelernter Binnenschiffer aus Hannoversch Münden, über seine Anfänge. O-Ton Heer ... dann sind wir nach Walsrode gefahren und haben uns entschlossen, das zu kaufen und uns selbstständig zu machen. Ich mit meiner farbigen Tänzerin, die dann wenig später auch meine Ehefrau wurde. Dann habe ich die berühmt-berüchtigte Django-Bar übernommen, das war das einzige in der Lüneburger Heide, wo es Striptease gab und wo Pornofilme gezeigt wurden. Sechs Monate später wurde uns noch ein Cabaret angeboten in Eckernförde an der Ostsee, dort haben wir dann die Django-Bar zwo gemacht, nur mit farbigen Tänzerinnen. Es ging von Eckernförde nach Verden, wo wir noch ein Cabaret eröffnet haben, und einen Nightclub eröffnet haben und eine Diskothek in Verden, ich hatte zu guter letzt acht Lokale, Cabarets und Nightclubs und Diskotheken. Atmo Saal O-Ton - im Saal - Ansage von Frau Stokar Ich bitte noch um einen kleinen Moment Geduld, es versuchen noch eine ganze Reihe Leute, Platz zu finden, wir bauen hinten noch ein paar Stuhlreihen auf ... O-Ton Kirchner Es ist also nicht so, dass irgendjemand hingeht und sagt: Ich eröffne (..) ein Bordell. So einfach ist das nicht. Erzähler: Bernd Kirchner war als Polizeiagent im Rotlicht- und Rockermilieu Niedersachsens tätig. O-Ton Kirchner In gewissen Gegenden hätten Sie überhaupt keine Chance, ein Bordell zu betreiben oder Zimmer zu vermieten, weil Konkurrenz gnadenlos ausgeschaltet wird. Die Mädchen werden bedroht, die Mädchen werden verprügelt, die Betreiber werden verprügelt und mit dem Leben bedroht. So ohne Weiteres geht das nicht. Musik O-Ton Heer Mir eilte so ein Ruf voraus, dass die Leute gesagt haben: Wir greifen lieber andere an, aber den greifen wir nicht an. Ich mache auch kein Hehl daraus: Ich hab ein paar Vorstrafen aus meiner früheren wilden Zeit wegen unerlaubten Waffenbesitz, die Leute wussten, wenn sie mich angreifen, dass ich mich wehre. Vielleicht ist es der Mythos der Hells Angels, der da ein bisschen mit dazu tut. Erzähler: Der "Gentlemen's Club" war Heers zweites Bordell in Walsrode neben dem "Casanova-Club". Es brannte im August 2009 aus und wurde am Himmelfahrtstag 2010 als Heim des Motorradclubs Red Devils wieder eröffnet. Damals waren Rocker-Clubs schon monatelang in den Schlagzeilen, besonders wegen der blutigen Kämpfe zwischen Hells Angels und Bandidos. Die Red Devils gehören zum Lager der Hells Angels. Eine Anzeige in der "Walsroder Zeitung" lud ins neue Clubhaus zum "Opening" mit Live-Musik und Go-Go-Girls. Einige Stadträte wurden aufmerksam und wollten von der Kriminalpolizei etwas über die Hintergründe erfahren. O-Ton Gieseke Die haben uns eine Karte gezeigt mit 20 Clubhäusern der Red Devils, die seit 2007 rund um Hannover gegründet worden sind. Die Polizei hat uns damit erklärt: Hier seht ihr eine Strategie, und auf diese Strategie müssen wir, Polizei, aber müssen auch die Städte eine Antwort finden. O-Ton Heer Red Devils ist ein selbstständiger, befreundeter Motorradclub. Das sind doch keine Hells Angels, das sind einfach Red Devils. Zitator: Lokale Motorradclubs werden von den Hells Angels angesprochen, ob sie sich nicht den Red Devils anschließen wollen. Erzähler: Das niedersächsische Landeskriminalamt über das Wachstum der Red Devils. Zitator: Das muss nicht mit Druck oder Gewalt verbunden sein. Manche Clubs werten es sogar als Anerkennung, wenn die Hells Angels sie als Unterstützer gewinnen wollen. O-Ton Heer Ich sehe im Moment überhaupt keinen Zuwachs. Ich sehe nur, dass wir hier in Walsrode ein paar Jungs hatten, die wollten gern Motorrad fahren, was machen wir. Und da kamen sie auf die Idee, Red Devils zu machen. Eine ganz natürliche Sache. O-Ton Heer Mein Schwager ist mit bei den Red Devils, der hat mich dann gefragt, (..) Mensch Wolfgang, können wir vielleicht das Haus bei dir da mieten? Da es ja nun abgebrannt war, und wir waren gerade in der Aufbauphase. Da hab ich gesagt: "Mir ist es letztendlich doch egal, an wen ich es vermiete." Atmo Foyer Erzähler: Noch immer drängen Leute in die Stadthalle. O-Ton Das ist das allererste Mal, dass überall, wo wir zusammen kommen, wo man Freunde trifft, Bekannte trifft, immer wieder ist das Thema Wolfgang Heer, Hells Angels und die Frage: Gehst du zu der Veranstaltung? Erzähler: Der Name dieser Frau soll nicht genannt werden. O-Ton Es ist schon Angst bei vielen Leuten da, seit bekannt ist, dass Wolfgang Heer auch dran teilnimmt, ist Angst da, gesehen zu werden, Angst, die eigene Meinung zu sagen, das macht vielen Leuten Angst, mir selber auch. Ihn selbst sehe ich selten im Stadtbild, aber seine Bodyguards, die da rumlaufen, die machen schon Angst, die sind schon beeindruckend, die sind schwarz gekleidet und haben fast alle Glatzköpfe und sind sehr groß und kräftig. Musik Erzähler: Zum Beispiel beim "Walsroder Mittwoch". Das sind Open-Air-Konzerte in der Innenstadt, bei denen Bands und Schlagersänger auftreten. Wolfgang Heer richtet einzelne Abende aus. Seine Leute stellen den Sicherheitsdienst. O-Ton Gieseke Dann habe ich nachgefragt hier bei uns im Rat: Ist es richtig, dass dieser Mann mit der Stadt Geschäftsbeziehungen unterhält, indem er an einem Musikabend, der hier in der Stadt im Sommer immer stattfindet, den Sicherheitsdienst stellt? Ist es richtig, dass wir so etwas zulassen? Erzähler: Im Sommer 2010 traten hier unter anderen die "Hells Balls" auf, zu deutsch: "Höllen-Eier", eine AC/DC-Coverband. Veranstalter des "Walsroder Mittwoch" ist der "Förderverein Stadtmarketing Walsrode", eine Organisation der einheimischen Kaufmannschaft. Das Stadtmarketing soll das Image der Stadt verbessern. O-Ton Gieseke Wir haben einen Vorschlag gemacht, (..) ganz konkret: Eine Empfehlung an das Stadtmarketing, den Sicherheitsdienst nicht mehr von der Familie Heer zu nehmen. Dafür eine Mehrheit zu bekommen, war nicht möglich mit der Begründung, dass keine gerichtsverwertbaren Dinge vorliegen, sodass man solch einen Schritt nicht tun wolle. Erzähler: Die Grünen, erzählt ihr Ratsmitglied Detlef Gieseke, blieben mit ihrer Initiative im Stadtrat allein. Aber die Vorsitzenden der Stadtratsfraktionen trafen sich danach mit Vertretern des Stadtmarketings und der Walsroder Kaufmannschaft. Musik O-Ton Gieseke Das war für mich schon ein Schlüsselerlebnis. Denn hier wurden von Seiten der Kaufmannschaft drei Argumente angebracht: Erstens: Wir wissen nichts über diese Geschäfte der Hells Angels und über Wolfgang Heers Rolle in diesen Geschäften, wir können niemanden ausschließen aus der Kaufmannschaft aufgrund solcher Verdächtigungen. Und drittens: Wir sind auf die Mitarbeit von Wolfgang Heer angewiesen, denn seine finanzielle Unterstützung und seine Hilfe beim Sicherheitsdienst, die er unentgeltlich macht, sind für uns nötig. Bei diesem Treffen mit der Kaufmannschaft von allen fünf Parteien, die im Rat vertreten sind, habe ich gesagt, dass wir Grünen uns genötigt sehen, die offensichtlich fehlenden Informationen nachzuliefern, und dass wir sie herzlich einladen zu einer Informationsveranstaltung über die Hells Angels, die wir öffentlich durchführen werden. O-Ton Älterer Mann Ich kenn ihn auch übern Sportverein, privat kenne ich ihn auch ganz gut. Er hat viel gesponsert. Nicht nur da, er hat auch den Walsroder Mittwoch, und Not leidende Kinder zu Weihnachten unterstützt, und hat ja selber auch ein Pflegekind, eine Brasilianerin oder? Passant: Jedenfalls eine dunkelhäutige. Behandelt er wie ... da lässt er nichts drauf kommen und alles. (..) Die hat jetzt eine Lehre in München angefangen, also da kann man nichts Nachteiliges sagen. Gar nichts. Deswegen. Also: Wir verstehen es irgendwo nicht. O-Ton Gieseke Wir haben dann (..) Gespräche mit der Polizei geführt und gefragt: Wie gefährlich ist das, wenn wir das machen, was müssen wir beachten? Mich hat beruhigt, dass Herr Heer Kontakt zu mir aufgenommen hat, sowohl in Form eines Briefes, als auch dann mit einem Telefonat direkt zur Veranstaltung, wo er gebeten hat, einen Redebeitrag halten zu dürfen, was ich ihm dann auch zugesagt habe. Atmo/Musik Zitator: Walsrode ? Altenboizen. Auf dem Grundstück von Detlef Gieseke, Mitglied der Grünen-Ratsfraktion in Walsrode, wurden in der Nacht zu Montag, den 11. Oktober 2010, zwei Autos beschädigt. Unbekannte zerkratzten die Autos, zerstachen mehrere Reifen und schlugen eine Heckscheibe ein. Die Pkw wurden außerdem mit schwarzer Bitumenfarbe beschmiert. Auf den Autodächern zündeten die unbekannten Täter bengalische Feuer und Knallkörper. Es entstand ein Schaden von zirka 3000 Euro. Gieseke befand sich zum Zeitpunkt der Tat auf einer Urlaubsreise. Sein Sohn, seine Enkelkinder sowie eine befreundete Familie bewohnten während der Herbstferien das Haus. Musik O-Ton Gieseke Sie können sich nicht vorstellen, wie wir, in Österreich im Zimmer gesessen haben, meine Frau und ich, als uns unsere Kinder das erklärt haben. Ich bin dann (..) sofort aus dem Urlaub zurückgekommen, und wir haben in der Familie zusammen gesessen. Leider ist es nicht gelungen, meine Kollegen im Rat zu einer öffentlichen Stellungnahme zu bewegen. Ich wurde gefragt, was ich denn mit öffentlicher Stellungnahme meine, und ich habe so in der Richtung formuliert: Hier ist ein Ratsherr der Stadt Walsrode angegriffen worden unter Umständen im Zusammenhang mit seiner politischen Arbeit. Und das verurteilen wir aufs Schärfste. So einen Satz hätte ich mir gewünscht. Das ist nicht erfolgt. Das finde ich sehr schade, und das hat mich soweit entmutigt gehabt, an dem Wochenende, dass ich gedacht habe: Nee, du trittst jetzt zurück. Wie willst du denn mit den Leuten, die, wenn dir so was passiert, die dir nicht mal öffentliche Solidarität aussprechen. Ich befürchte, dass sowohl geschäftliche Verbindungen als auch Abhängigkeiten (..) viel stärker sind, als wir das ahnen. Und dass deshalb diese Mischung aus schlechtem Gewissen und wirtschaftlicher Abhängigkeit dazu führt, dass man derart nervös und aufgeregt auf unsere Initiativen reagiert. O-Ton Kindler Ich war natürlich bestürzt über den Anschlag auf Detlef Gieseke Erzähler: Sven-Christian Kindler, Bundestagsabgeordneter der Grünen. O-Ton Kindler Und hab dann erfahren, dass es bisher keine offizielle Solidarität der Stadt und der Bürgermeisterin Silke Lorenz gab, und hab ihr deswegen eine E-Mail geschrieben und sie gefragt, ob die Stadt und sie als Bürgermeisterin sich jetzt öffentlich mit ihm solidarisch erklären würde. Erzähler: Eine Antwort bekam Kindler umgehend ? jedoch nicht von der Bürgermeisterin. O-Ton Kindler Allerdings hat Wolfgang Heer mir deswegen eine E-Mail geschrieben, ich war doch schon etwas verwundert, dass Wolfgang Heer mir schneller geantwortet hat, als die Bürgermeisterin, die sich bisher überhaupt nicht geäußert hat. O-Ton Heer Wenn zwischen mir und Gieseke es ein ernsthaftes Problem geben würde, (..) ich fahr zu ihm hin und stell ihn selber zur Rede. Ich hab auch die Eier, selber, wenn er Stadtratssitzung hat, da reinzugehen und ihm da meine Meinung zu sagen. Da habe ich gar keine Bedenken vor. Aber so'n Kinderkram! Ich weiß nicht, wo er sonst noch Feinde hat. Er macht ja viele Sachen, auch viel gegen rechts, (..) also meine Person hat da mit Sicherheit nichts mit zu tun. Atmo Foyer O-Ton Frau aus Altenboizen Ich komme hier mit Nachbarn aus Altenboizen, wir leben im selben Dorf wie Detlef Gieseke, wir wollten uns gerne hier heute Abend informieren, was hier los ist. Man kann sich da reinsteigern, tierisch, doll sogar, dass man Angst bekommt, aber ich persönlich habe keine Angst. Mir macht es Mut, dass so viele heute Abend herkommen wollen. ( ... ) Frage: Mögen Sie Ihren Namen sagen? ( ... ) Nö. (Lachen) Atmo Foyer Erzähler: Durchs Foyer stampft jetzt Frank Hanebuth, der Präsident der Hells Angels in Hannover, einer der einflussreichsten Höllenengel Deutschlands. Der ehemalige Boxer betreibt mehrere Bordelle. O-Ton Hanebuth Wir sind ja hier, um die ganzen Vorwürfe gegen Herrn Heer auszuräumen, die halt nicht zutreffen. Wollen mal sehen, was der Abend bringt, was noch ans Tageslicht kommt, es wird auf jeden Fall spannend. Erzähler: Wenig später kommt Wolfgang Heer selbst durch die Glastür. Er ist 65 Jahre alt, knapp mittelgroß, aber kräftig. Neben ihm geht sein Sohn Michel, 25 Jahre alt. Er ist größer als sein Vater, vierschrötig, trägt den Schädel ebenfalls kahl rasiert. O-Ton Stokar Ich begrüße Sie alle recht herzlich zu der Veranstaltung der Grünen in Walsrode: "Wie gefährlich sind die Hells Angels? Was ist in Walsrode zu tun?" Erzähler: Silke Stokar war innenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion. O-Ton Stokar Wir haben als Grüne das Hausrecht hier in dieser Versammlung. (..) Niemand wird beleidigt, es wird nicht zur Gewalt aufgefordert, (..) ich möchte mich bedanken bei allen Bürgerinnen und Bürgern, die gekommen sind und ihr Interesse zeigen, ich gebe jetzt erst mal weiter an Frau Christine Kröger, die uns allgemein etwas zu den Hells Angels erzählen wird. Frau Kröger, vielleicht können Sie uns eine kleine Einführung geben. (Beifall) Erzähler: Christine Kröger ist Reporterin der Bremer Tageszeitung Weserkurier. Sie hat Aufsehen erregende Berichte aus dem Rockermilieu Norddeutschlands geschrieben. Ihr gegenüber in der ersten Reihe sitzen Frank Hanebuth, Vater und Sohn Heer und viele andere Männer, die wie Rocker aussehen. Die Red Devils besetzten die ersten Reihen, wird später ein Kriminalbeamter sagen, die seien in Walsrode gut organisiert. O-Ton Chr. Kröger Guten Abend meine Damen und Herren, ich bin ganz erstaunt, wie viele Menschen hierhin gekommen sind, (..) zumal ich hier vor einem Publikum spreche, auf das ich so nicht gefasst war, insofern werde ich mich jetzt auch etwas anders einlassen, als ich das sonst getan hätte. (..) Ich möchte hier etwas sagen zu den sogenannten OMCG, den Outlaw Motocycle Gangs, Motorradbanden außerhalb des Gesetzes, und als solche bezeichnen sie sich selber, als solche sind in Deutschland präsent nach Ansicht sämtlicher Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamts vier Gangs: das sind die Hells Angels, das sind die Bandidos, das ist der Gremium MC und der Outlaw MC. Diese vier Motorradbanden stehen in sämtlichen Landeskriminalämtern, im Bundeskriminalamt, und auch in internationalen Polizeibehörden wie Interpol und Europol unter dem Verdacht der organisierten Kriminalität. Nach polizeilicher Erkenntnis (..) sind mehr als die Hälfte der Mitglieder einschlägiger Rockerbanden wie der Hells Angels wegen rocker-typischer Rohheitsdelikte bereits aktenkundig geworden. Als rockertypisch gelten danach: Tötungsdelikte, gefährliche Körperverletzung, Waffengesetzverstöße, Drogenhandel, sexuelle Nötigung, Bedrohung und Erpressung. Der organisierten Kriminalität verdächtige Gruppen zeichnen sich noch durch etwas anderes aus: Sie gehen Stück für Stück in die Legalität. Sie verdienen viel Geld, oft mit illegalen Geschäften, und dieses Geld will wieder investiert sein. Und wenn man viel Geld hat, möchte man etwas darstellen in der Gesellschaft, und so investieren sie ihr Geld in legale Firmen, Geldwäsche ist da sicher auch ein Thema und ein Stichwort, aber es geht auch um gesellschaftliche Anerkennung. Beifall O-Ton Heer Mein Name ist Wolfgang Heer, bin seit 1971 hier, bin hier seit 1971 im Rotlichtmilieu, aber ich sage euch mal eins: Ich stehe zu dem Rotlicht. Weil alles andere, gerade wenn Männer das sagen: "Oh, das Rotlicht!" Heuchler! Denn wir Männer gehen dahin, nicht die Frauen, und wenn die Männer sagen: "Oh, Rotlicht, das ist aber einer!" Fasst euch an die Nase! Beifall Als vor einigen Jahren in der Waldorfschule rechte Schläger die Lehrer gebackfeift haben, wer kam denn da? Die Lehrer haben sich nicht gewehrt. Wer kam? Mein Sohn wurde geschlagen. Wir sind hingefahren und haben die Rechten zur Rede gestellt und haben sie da verwiesen. Das war unsere Methode, das ist meine Methode, wir konnten's nicht ändern, dass wir uns so verhalten mussten, aber dann war Ruhe in der Waldorfschule. Musik O-Ton Küchel Zu diesem Punkt ist nur zu sagen, dass wir per Zufall von dieser Aktion etwas mitbekommen haben, Erzähler: Christoph Küchel, seit 35 Jahren Lehrer an der Waldorfschule Benefeld, nah bei Walsrode. O-Ton Küchel ... allein dadurch, dass ich zufällig aus der Schule kam, und da stand Herr Heer mit ein paar Vertretern eines Motorradclubs. Ich blieb eine Weile da stehen, aber erfuhr nicht genau, was und weshalb. Ich vermutete, dass er mit seinen Etablissements irgendwelche Dinge zu regeln hatte, aber dass das mit der Schule zu tun hatte, entzog sich vollkommen unserer Kenntnis. Es gab immer wieder, durch die Internatssituation bedingt, Reibungen zwischen den Jugendlichen aus dem Ort und den Waldorfschülern, und dass der eine oder andere einen Freund hinzugeholt hat, der dieser Szene nahe stand, um kräftiger zu sein, das kann ich nicht ausschließen. Aber dass Rechtsradikalität für die Schule eine Bedrohung war, muss ich zurückweisen. O-Ton Heer Wenn Sie, mein lieber Herr Gieseke, meinen, dass man meine Spenden nicht mehr annehmen muss - ich zeige Ihnen jetzt mal meine Spendenliste und ich möchte Sie bitten, das von Ihrer Lehrerpension auch zu bezahlen. Gelächter, Beifall ( ... ) Wenn Sie jetzt sagen: Ich darf nicht mehr spenden, dann trifft es die sozial Schwachen, nicht Sie, Sie haben ihre Lehrerpension. Sie brauchen das Geld nicht. Beifall Dann statte ich die Kriegsgräberfürsorge jedes Jahr ? übrigens: da kommt ein politischer Rivale zu mir immer, der hier auch mit im Rat sitzt, und bekommt Geld, und solange mein Sohn in der Waldorfschule war, habe ich auch die Waldorfschule immer bedacht. Musik O-Ton Fenton Aufgrund des Datenschutzes kann ich keine konkreten Aussagen geben, (..) aber da gibt es keine Ausreißer, dass wir eine große Summe von irgendjemandem individuell erhalten hätten. Erzähler: Christian Fenton, Lehrer an der Waldorfschule O-Ton Küchel Insofern wären wir dankbar, wenn wir mehr Spenden bekommen würden. Aber von Herrn Heer haben wir die leider ? oder Gott sei Dank - nicht bekommen. O-Ton Heer Laut den Leiter der Polizei, Herrn Börner, ich weiß nicht, ob er hier anwesend ist, Erzähler: Nein, Wolfgang Börner ist nicht anwesend. O-Ton Heer: ... ist er anwesend? Erzähler: Auch zu einem Interview für diese Sendung war der Leiter der Polizei nicht bereit. O-Ton Heer: Laut Herrn Börner hat sich hier in Walsrode mit den Hells Angels noch keine Straftat ereignet. Walsrode, hat er mir wortwörtlich gesagt, ist kein Problemfall. Wir zwei Hells Angels ( ... ) sind kein Problemfall. Mein Sohn hat nicht eine Vorstrafe, kein Ermittlungsverfahren. Also. Sind wir so eine große Gefahr jetzt für Walsrode? Musik O-Ton Wehler Wir haben nachgeschaut, dass keine Minderjährigen beschäftigt wurden. Und dass Frauen nicht in Abhängigkeit gehalten wurden. Erzähler: Hartmut Wehler, früher Kriminalbeamter in Walsrode. O-Ton Wehler Es gab ein größeres Verfahren, an das ich mich noch erinnern kann, und wo es zu einer längeren Verurteilung gekommen ist, und wo dann die Strafe auch abgesessen worden ist. Unter anderem wurde damals eine minderjährige Prostituierte hier in einem Bordell in Walsrode angetroffen. Erzähler: Wolfgang Heers Aufstieg führte über viele Straftaten. Er verbrachte Jahre in Haft, während seine Geschäfte weiterliefen. O-Ton Heer Ich bin also nie ein Feigling gewesen, der gesagt hat: ich hab da was gemacht, bitterlich weinend, jetzt muss ich in den schlimmen Knast, ich habe immer gesagt: Habe ich gemacht, gehe ich durch und Schluss aus. Erzähler: Vor zehn Jahren ging das letzte größere Strafverfahren gegen Wolfgang Heer zu Ende. O-Ton Heer Es wurden verhaftet: Meine Person, meine Nichte, meine Ehefrau, und mein ältester Sohn. Wegen Förderung der Prostitution, Vorwurf war der Menschenhandel, und, und, und. Die ganze Palette voll. Eine junge Staatsanwältin hat sich aus dem Fester gelehnt, weil der leitende Oberstaatsanwalt zur Zeit in Urlaub war, (..) sie hat unsere gesamten Grundstücke beschlagnahmt, das waren etwas über sieben Millionen, wo sie Pfändungsbeschlüsse geschickt hat, und hat uns erst mal eingelocht. Das hat aber nicht lange gedauert, nach 14 Tagen waren wir wieder draußen. Ich ganz überraschender Weise, ich hatte ja gar nicht damit gerechnet, dass ich rauskam, der Oberstaatsanwalt hat das so angeordnet, (..) der war aus dem Urlaub zurück. Und dann haben wir uns mit den Anwälten und meiner Person zusammengesetzt und haben gesagt: So, wie räumen wir das jetzt aus, was wollen wir machen. Wir können großen Termin machen, alle Mädchen laden ... Erzähler: Ergebnis dieser Gespräche war: Ein Jahr Haft auf Bewährung für Wolfgang Heer und eine Geldbuße von rund 100 000 D-Mark. Die zuständige Staatsanwaltschaft erteilt zu diesem sonderbaren Verfahren keine Auskünfte, weil sie sonst das Interesse Heers, wörtlich: "sich ein normales Leben aufzubauen, verletzen würde." Der Resozialisierungsgedanke stehe im Vordergrund. O-Ton Wehler Frauen wurden - das war üblich in der Branche ? teilweise in Abhängigkeit, indem man ihnen anfangs die Ausweise wegnahm, wenn es ausländische Prostituierte waren, sodass sie sich nicht frei bewegen konnten. Frage: Wie ist denn das Verhältnis zwischen Heer und der Polizei? Früher hat er offenbar ganz gute Kontakte gepflegt. Frage: Woran konnte man das denn sehen? (..) Dass manche meiner Einsätze sehr frühzeitig bekannt waren. Wie da heute Kontakte bestehen, kann ich nicht beurteilen. Das ist üblich im Milieu gewesen zumindest früher, dort Leuten auch Vergünstigungen, im Allgemeinen gesprochen jetzt, ist durchaus üblich gewesen, ja. O-Ton Heer Ich habe wirklich, Leute, keinen Heiligenschein und bin auch nicht harmlos. Ich habe das nie gewollt und will es auch nicht. Ich bin so, wie ich bin. Ich werde mich in meinem Alter auch nicht mehr verbiegen, nur weil die Gesellschaft sagt: Der darf nicht sein, wie er ist. Heute mit unserem Firmenverbund haben wir 110 Angestellte, Festangestellte und Aushilfen. Nun sagen Sie mir doch, wo die Leute bleiben werden! Sie wollen doch nicht, dass wir selbstständig sind. Als Hells Angels muss man uns ausgrenzen und so weiter. O-Ton Gerd Langer Mein Name ist Langer, ich bin Lehrer hier an der Realschule. Wir sprechen so viel über Parallelgesellschaften, die wir hier in unserem Lande haben. Die suchen wir dann und finden sie auch im muslimischen Bereich, ich finde, diese Kritik ist vollkommen in Ordnung. Aber die Parallelgesellschaft, die sich mir hier heute darstellt, die können wir auch nicht dulden. Es ist nicht hinnehmbar, dass sich eine Gruppierung von Menschen außerhalb unserer Gesetze stellt. Wo kommen wir da hin? Ich bin 60 Jahre alt. Ich kenne nur Angst nur von meinen Eltern, im Dritten Reich. Und jetzt gibt es wieder eine Situation, wo ich mir zu Hause überlegen muss, ob ich mich hier vor das Mikrophon stelle und was sage! Weil ich nicht möchte, dass irgendjemandem, mich eingeschlossen, so etwas Ähnliches widerfährt, wie der Familie Gieseke widerfahren ist. Alle, die in dieser Stadt schweigen, und den Mund halten, und den Kopf in den Nacken einziehen, unsere Gäste von den Hells Angels würden sagen: den Schwanz einziehen, die würde ich dann bitten, aufzupassen und den Mund aufzumachen. Das geht. Ich vermisse hier Stimmen vom Rat, Herr Gieseke hat schon gesagt, er ist allein, ich vermisse die Stimmen der Organisationen, ich vermisse auch die Stimmen der Kirche. Erzähler: Kein Pfarrer der protestantischen Kirchengemeinde war anwesend. Auch der Superintendent nicht. Er möchte auch in dieser Sendung nicht Stellung nehmen. Allenfalls ein seelsorgerliches Gespräch mit Detlef Gieseke könne er sich vorstellen, sagt er am Telefon. O-Ton Ebbeshausen Mein Name ist Timo Ebbeshausen, ich bin Schüler und nebenbei Vorsitzender der hiesigen Jungen Union, Erzähler: Der einzige parteipolitisch gebundene Redner dieses Abends ? von den Grünen abgesehen. O-Ton Ebbeshausen ... und ich denke, dass hier der Konsens herrscht, dass Gewalt und Kriminalität in dieser Stadt natürlich keinen Platz haben sollten, und dass wir dem auch keinen Raum geben sollen. Beifall Ich hoffe, dass es nicht der Fall sein darf, dass hier irgendjemand Angst haben muss vor ein Mikrophon zu treten und über irgendein Thema zu sprechen. Soweit müssen wir uns alle einig sein und müssen auch dafür einstehen. Musik Erzähler: Die Bürgermeisterin Silke Lorenz ? sie ist parteilos, kam als Kandidatin der CDU in ihr Amt - fehlt bei der Veranstaltung. Zu einem Interview für diese Sendung war sie nicht bereit. Einige Fragen beantwortete sie schriftlich. Dem Privatsender Sat 1 sagte sie: O-Ton Bürgermeisterin Es gibt ja recht viele Hells-Angels-Mitglieder in ganz Deutschland, und ich glaube, die Situation in Walsrode ist nicht anders als anderswo. Erzähler: Auch in anderen Städten wollen Geschäftsleute aus dem Rockermilieu in die bürgerliche Gesellschaft hineinwachsen. Aber Wolfgang Heer in Walsrode ist weiter als andere gekommen. Zitatorin: Er hat mit Sicherheit eine ganze Menge Leute in der Hand. Erzähler: Eine junge Frau, die weder ihren Namen noch ihre Stimme preisgeben will. Zitatorin: Und wenn es nur war, dass sie in seinem Casanova-Club ihren Spaß hatten und nicht dazu stehen können, weil sie Familie haben, weil das ein Thema ist, zu dem nicht viele Leute eine grade Einstellung haben. O-Ton Heer: Ich war immer verschwiegen. Wenn ich heute durch die Straßen gehe und seh jemand, der grüßt mich nicht, dann weiß ich: Okay, er grüßt mich nicht aus dem Grunde: Seine Ehefrau könnte ja denken, dass er bei mir war. (..): Der einzige, der es wissen könnte, wenn ich ihn denn sehe zu diesem Zeitpunkt, wäre ich. Aber wissen Sie, Walsroder verkehren nicht in Walsrode, die fahren schon mal die 25 km zum nächsten Ort. Frage: Im nächsten Ort, die Lokalität gehört auch Ihnen? Die gehört auch mir. In dem Sinne bleibt sich das gleich. Bloß eben: Man will ja nicht erkannt werden. (...) Wir sind alles nur Männer. Die ( ... ) haben ja nun jahrzehntelang gesehen, dass ich verschwiegen bin, es sei denn, ich schreibe mal mit 90 ein Buch über mein Leben, das wäre auch sehr interessant. (..) Frage: Jedenfalls Sie wissen viel? Das auf jeden Fall, ja, auf jeden Fall. Erzähler: Detlef Gieseke, der grüne Ratsherr, sagte öffentlich, dass die Bürgermeisterin und Wolfgang Heer sich duzen. Die Bürgermeisterin verklagte ihn, und Gieseke nahm seine Aussage vor Gericht zurück, weil er keinen Zeugen fand, der seine Behauptung bestätigen wollte. O-Ton Heer Die Bürgermeisterin ist doch einfach nur fair. Sie behandelt mich wie jeden anderen Geschäftsmann in Walsrode auch. Ich zahle hier meine Gewerbesteuer, warum soll ich anders behandelt werden. (..) Oder sehe ich das verkehrt? (lacht) Ich setze mich dann auch durch. Weil wer viel zahlt, hat auch gewisse Rechte, denk ich mir. Wer viel für die Stadt macht. Musik Zitator: Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, Erzähler: schreibt Dr. Klaus Balser, ein Chemiker im Ruhestand. Zitator: ... der Red Devils Motorradclub hat am Samstag eine "X-Mas-Party" mit Striptease und Feuershow in seinem Clubhaus veranstaltet. Diese Veranstaltung wurde öffentlich beworben durch Plakatanschläge und war bei freiem Eintritt jedermann zugänglich. Als Sponsoren werden Bodyguard Security und Sportzentrum Walsrode genannt, zwei Firmen aus dem Familienimperium Heer, sowie Original 81, das sind die Hells Angels Hannover. Es erhebt sich hier die Frage, ob dafür die erforderlichen Genehmigungen erteilt sind. Die Baugenehmigung aus dem Jahr 1960 für einen "Laden mit Gaststätte" mag vielleicht noch die spätere Umnutzung als Bordell abgedeckt haben. Mit Sicherheit aber nicht den Abriss der Ruine nach dem Brand 2009, den Aufbau und die Umnutzung als Clubhaus. Die Walsroder Bürgerschaft ist in zunehmendem Maße gegen diese Szene sensibilisiert und verfolgt mit Argwohn deren umtriebige Aktivitäten. Erzähler: In ihrer Antwort erklärt sich Bürgermeisterin Silke Lorenz für nicht zuständig und verweist stattdessen auf den Landkreis. Die Red Devils feiern weiterhin ohne Baugenehmigung. O-Ton Stolz Natürlich hat auch eine Stadt Möglichkeiten zu handeln. (Zwischenrufe) Erzähler: Holger Stolz, Vorsitzender der Grünen in Walsrode. O-Ton Stolz Das Gaststättenrecht wirklich eng auszulegen, da haben wir auch Handhabe. Gewerberecht, Baurecht, gerade jetzt hier der Red Devils Club. Im Landkreis Leer gab es das gleiche Bestreben, und da ist es gelungen, mit Polizei und der Kommune zusammen, das zu verhindern, weil die aufgestanden sind und gesagt haben: Wir wollen solch einen Club hier nicht haben! Und ich frage mich: Warum gibt es so was in Walsrode eigentlich nicht. So einen Aufschrei, der sagt: Wir wollen so einen Club hier nicht haben. Erzähler: Im Jahr 2007 eröffnet Heer das "Colosseum", eine Gaststätte mit Bowlingbahn und Spielhalle. Die Bürgermeisterin ist dabei. Michel Heer, der Geschäftsführer, und die Bürgermeisterin schicken die ersten Kugeln auf die Bahn und posieren gemeinsam für Pressefotos. O-Ton Stokar Möchten Sie wirklich, dass Ihre Kinder, dass die Jugendkultur, dass die Jugendlichen in dieser Stadt ( ... ) dominiert werden von Red Devils und Hells Angels, ( ... ) wollen Sie das als Konkurrenz zum Jugendzentrum? Trauen Sie sich zu, dass Sie in der Lage sind, Ihre eigenen Kinder davor zu schützen, in diese Clubs zu gehen, fasziniert zu sein, von dem Sportangebot, von dem Freizeitangebot und langsam reinzuschlittern in Bereiche der organisierten Kriminalität, wollen Sie das für Walsrode? Diese Fragen werden Sie auf dem Nachhauseweg ( ... ) für sich beantworten müssen ... Atmo Sportzentrums Erzähler: Wochen später feiert das Sportzentrum Walsrode, das den Heers gehört, zehnjähriges Bestehen. Neben der Freitreppe steht die überlebensgroße Statue eines schwarzen Boxers. Das Untergeschoss ist mit Geräten fürs Krafttraining ausgefüllt. Kinder führen vor, was sie beim Teakwondo gelernt haben. Atmo Teakwondo O-Ton Heer Wir haben Kinderprogramme, wir haben Kinder-Teakwondo, Kinder-Kick-Thai und Kinderboxen, spezielle Kinderabteilung mit Trainerin dabei. Hier trainiert eine Pastorin genauso wie ein Rentner, der mal Polizeiobermeister war. (..) Hier trainieren alle. Die Polizeischule, da haben wir einen großen Schwung, die hier trainieren, ja, das sind Polizeianwärter. Musik Erzähler: Ob tatsächlich viele Schüler des "Bundespolizeiaus- und Fortbildungszentrums Walsrode" bei den Hells Angels trainieren, teilt das Zentrum auf Anfrage nicht mit. Darüber mache die Bundespolizei keine statistischen Erhebungen, es handele sich um den Privatbereich der Anwärterinnen und Anwärter, heißt es in der Antwort. Und: Über ein mögliches Fehlverhalten des Fitnessstudiobetreibers lägen keine Erkenntnisse vor. Atmo Kampfsporttraining Erzähler: Einige der Männer hier tragen das Logo der Sicherheitsfirma auf dem T-Shirt, bei anderen steht: 81 Hannover auf dem Rücken. Mit 81 ist der achte und der erste Buchstabe des Alphabets gemeint, 81 bedeutet HA, Hells Angels. O-Ton Heer Fitness ist natürlich Voraussetzung, um in der Security mitzuarbeiten. Wir haben hier alle Kampfsportarten, wir haben hier Boxen, Kick Thai, Tekwondoo und Krav-Maga das ist vom Mossad, vom israelischen Geheimdienst diese Kampfsportart. (..) Und das macht die Leute schon selbstsicher. Wir haben hier ein Büro und in Hannover eins. Von Hannover läuft auch viel, bedingt durch die Großdiskotheken und so weiter.. Musik Erzähler: Die jungen Angestellten halten zum Jubiläum des Sportzentrums eine Überraschung für Wolfgang Heer bereit: Eine Torte, auf der die Fassade des großzügigen Gebäudes nachgebildet ist. O-Ton Frau: Von uns allen. O-Ton Heer: Die ist aber schön, die kann man gar nicht essen, Mensch! Ist die schön! (..) Erzähler: Die Hells Angels expandieren, sagt das Landeskriminalamt. Wenn das stimmt, brauchen sie Menschen. In Walsrode haben sie viele Mittel, junge Menschen an sich zu ziehen: Das Sportzentrum, den Motorradclub "Red Devils", das "Colosseum", wo sich Jugendliche treffen, um zu bowlen und an Automaten zu spielen, die Bodyguard-Security, die jungen Männern Aushilfsjobs als Türsteher vor Bordellen und Diskotheken anbietet. Zitator: Wolfgang Heer ist bei manchen Jungendlichen beliebt. Sie nennen ihn "Wolle", auch wenn sie ihm noch nie die Hand gegeben haben. Erzähler: Ein junger Mann, der weder seinen Namen noch seine Stimme preisgeben will. Zitator: Wer hier für Heer und für die Hells Angels ist, kann sich offen dazu bekennen. Wer dagegen ist, redet nur hinter vorgehaltener Hand, der hat Angst. Ich auch. Deswegen soll meine Stimme in der Sendung nicht zu hören sein. Die Stadt ist klein. Der Anschlag auf Detlef Gieseke hat uns alle gewarnt. Erzähler: Wolfgang Heer nimmt mich mit in sein Büro im Erdgeschoss des Sportzentrums. Von hier aus wird seine Firmengruppe verwaltet. O-Ton Heer Wenn man was geschafft hat und merkt, man kann noch ein bisschen mehr schaffen und noch ein bisschen mehr, dass man sagt: Das ist schön, das ist gut, dann kannst du noch ein bisschen dazu kaufen, wir Menschen sind so. Wenn wir was haben, wollen wir immer noch ein bisschen mehr haben. Ich bin wirklich stolz, was ich in meinen Leben geschafft habe, ich bin wirklich stolz, dass ich einen guten Sohn habe, der bedingungslos an meiner Seite steht, ( ... ) stolz auf meine anderen Kinder und auf meine Enkelkinder, und wenn man das so weit geschafft hat, dann kann man auch zufrieden sein. Sie sehen ja, wie ich aussehe mit 65. Die Leute sagen, ich sehe blendend aus für mein Alter, (..) vier Jahre will ich wohl noch machen, ja. Atmo Big Band Nikolaus Musikschule Erzähler: Zum Neujahrsempfang 2011 scheint die Walsroder Welt wieder in Ordnung. In der Stadthalle, wo zwei Monate zuvor noch über das düstere Thema Hells Angels gestritten wurde, ist heute die Stimmung festlich. Die Damen sind ausgesucht elegant gekleidet, die Herren treten in dunklen Anzügen auf ? oder in Uniformen von Schützenvereinen, Feuerwehren, Polizei oder Bundeswehr. Ein Glas Sekt gibt es gratis. Wolfgang Heer, der in den vergangenen Jahren dabei war, fehlt. Die Bürgermeisterin begrüßt den niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister und weitere Ehrengäste und wirft einen Blick zurück, ohne das Thema Hells Angels zu erwähnen. O-Ton Bürgermeisterin 2010 war ein spannendes Jahr nicht nur für Stuttgart, sondern auch in Walsrode war einiges los, das (..) noch in die Zukunft wirken wird. Beginnen möchte ich mit der Schulpolitik ... O-Ton Gieseke Ich will es mal so sagen: Es sind die drei Affen: Ich sehe nichts, ich höre nichts und deshalb muss ich auch und kann nichts sagen. Man steckt den Kopf in den Sand, man versucht, die Verbindungen hier in der Stadt, die ja offensichtlich viel stärker sind als wir vermutet haben und als wir heute (..) wissen, man versucht die Verbindungen zu Herrn Heer jetzt nicht zu problematisieren, man möchte das verhindern. Erzähler: Auch die Polizei konnte Detlef Gieseke nicht helfen. Sie hat die Leute, die Monate zuvor auf seinem Hof zwei Autos demolierten, nicht erwischt. Drei weitere Sachbeschädigungen ähnlichen Musters wurden bisher ebenfalls nicht aufgeklärt. Trotzdem: Seit der Veranstaltung der Grünen im November 2010 keimt Widerstand in Walsrode. Er zeigt sich in Leserbriefen und in Anfragen bei Vereinen, ob diese vielleicht Spenden von einer Hells-Angels-Firma annehmen. Seitdem trifft sich eine "Gruppe aufmerksamer Walsroder Bürger". Zuerst bestand sie fast nur aus Mitgliedern der Grünen und der Gewerkschaften, dann kamen Menschen hinzu, die sich von den Hells Angels und ihrem Anhang geschädigt fühlen. Die Gruppe will sich mit dem Einfluss der Hells Angels nicht abfinden. O-Ton Bürgermeisterin: Wir sind am Ende unseres kleinen Programms. (..) Draußen gibt's noch Gelegenheit für ganz viele Gespräche, herzlichen Dank, dass Sie bei uns waren, herzlichen Dank noch mal an die Musik, Musikschule Nikolaus! Beifall Atmo Big Band Nikolaus Musikschule Absage: Kleinstadt der Engel Bürger wehren sich zaghaft gegen Rocker Ein Feature von Michael Weisfeld Sie hörten eine Coproduktion des Deutschlandfunks mit dem Norddeutschen Rundfunk und dem Wetsdeutschen Rundfunk 2011 Es sprachen: Fabian Gerhardt, Katherina Wolter und Martin Bross Ton und Technik: Wolfgang Rixius und Jutta Stein Regie: Matthias Kapohl Redaktion: Karin Beindorff Atmo Motorrad 2