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DER BÜRGERMEISTER "Ich denke, allein heute sind mehr als 30.000 Touristen in Hasankeyf. All diese Menschen lassen Geld hier wenn sie kommen. Wenn der Staudamm gebaut ist, werden wir dieses Tourismuseinkommen verlieren." David gegen Goliath - Der Überlebenskampf des historischen Städtchens Hasankeyf gegen ein Megastaudammprojekt der türkischen Regierung Eine Reportage von Luise Sammann und Fatih Kanalici Atmo 1 Dorf, draußen Autorin 1 Beißender Dieselgeruch liegt in der Luft, mischt sich mit dem von Eseln und Hühnern. Ein junger Mann steht neben seinem rostigen Trecker, einen verschmierten gelben Kanister in der Hand. Mit dem Handrücken wischt er sich den Schweiß von der Stirn, lehnt sich für einen Moment an den großen Treckerreifen neben sich. Die Sonne steht hoch am wolkenlosen Himmel, spiegelt sich glitzernd im Flusswasser vor ihm. Ein paar wilde Weinreben klettern am morschen Zaun empor, der den Dorfplatz, auf dem der 28-Jährige steht, vom Flussufer trennt. O-Ton 1 Abdullah (laufend) "Unser Dorf hier besteht aus fünfzig oder sechzig Häusern, hier ist das Zentrum und gleich neben unserem Dorf fließt der Tigris. Bis zur syrischen Grenze sind es nur 60 Kilometer. Ich bin hier aufgewachsen, ich war immer hier - seit ich geboren wurde..." Autorin 2 Abdullah trägt ein ausgeblichenes T-Shirt, eine abgewetzte Jeans. Seine schwarzen Haare sind raspelkurz. Er geht auf die einstöckigen Betonhäuser zu, die den Platz säumen. In einem davon lebt er mit seinen Eltern, den Geschwistern und seiner Frau... Es ist ruhig im Dorf. Ein paar Hühner stolzieren herum, eine Katze liegt zusammengerollt in einem Hauseingang. Abdullah zuckt mit den Schultern. "Wer weiß, wie lange es das alles hier noch gibt", sagt er. "Die Gerüchte um den Ilisu- Staudamm machen schon seit Jahren alles kaputt". Der Ilisu-Staudamm. Abdullah spuckt den Namen geradezu aus. Ilisu ist Teil des Südanatolienprojekts, mit dem die türkische Regierung den unterentwickelten Südosten des Landes voran bringen will. 22 Staudämme entstehen an Euphrat und Tigris, bringen nach den Plänen der Regierung Energie und Wohlstand in die Region, die von Armut und Arbeitslosigkeit geprägt ist. Auch der kurdischen Terrororganisation PKK soll durch den wirtschaftlichen Aufschwung endlich die Basis entzogen werden. Die Menschen hier sollen sich über das Projekt freuen. Doch sie tun es nicht, sagt Abdullah. O-Ton 2 Abdullah "Schon seit dreißig Jahren gibt es diese Pläne und deswegen entwickelt sich hier nichts. Für Touristen ist hier am Tigris eigentlich der schönste Ort auf der ganzen Welt. Aber es gibt keine Hotels und nichts, sie lassen uns ja noch nicht mal neue Häuser bauen. Es gibt einfach keine Entwicklung." Autorin 3 Ein paar Jahre stand das Ilisu-Staudamm-Projekt still, die Geldgeber fehlten. Doch seit Kurzem bauen sie wieder, sagt Abdullah. Seine Familie gehört zu den alteingesessenen im Dorf, sein Vater ist ein einflussreicher Mann hier. Aber im Kampf gegen den Staudamm hilft das nicht - auch Abdullahs Familie muss in den nächsten Monaten umziehen. Er guckt einen Moment schweigend auf den Tigris, der nur ein paar Meter entfernt friedlich dahin plätschert. Drüben, am anderen Ufer, beginnt schon das historische Hasankeyf, das der Ilisu-Staudamm zu trauriger Berühmtheit gebracht hat. Unzählige historische Kirchen und Moscheen, eine 2500 Jahre alte Brücke, ein 15.000 Jahre alter Ort ... Das Städtchen Hasankeyf ist ein kulturhistorisches Juwel. Doch für Energie und Arbeitsplätze soll es weichen. Allein der Ilisu-Staudamm sorgt für einen 300 Quadratkilometer großen Stausee - drei Mal so groß wie Paris. Die knapp 200 Dörfer und Städte, die jetzt noch hier stehen, werden geflutet. Zigtausende Familien müssen umziehen, so auch Abdullah und seine Nachbarn. O-Ton 3 Abdullah "Es tut weh, das mit anzusehen. Wir haben hier immer wenigstens überlebt, wir sind an die Bedingungen hier gewöhnt, seit Generationen... Der Friedhof dort vorn liegt in der Mitte unseres Dorfes, neben der Straße. Wenn der Staudamm fertig ist, werden die Gräber hier bleiben und untergehen. Das ist doch nicht normal! Da liegen unsere Verwandten..." Atmo 2 (laufen auf Schotter, Abdullah redet) Autorin 4 Kopfschüttelnd geht Abdullah weiter, mit dem Fuß scheucht er ein pickendes Huhn zur Seite. Vor einem der grauen Häuser bleibt er stehen, drückt mit dem Finger gegen die angelehnte Tür und zieht sich die dreckigen Schuhe von den Füßen. Atmo 3 (quietschende Tür, eintreten) O-Ton 4 Abdullah "Hier, zwei Räume und ein Wohnzimmer... Das hier ist das Wohnzimmer. Und ich hab sogar Internet - im ganzen Dorf bin ich der Einzige. Mein Bruder lebt in Deutschland, so können wir uns sehen, wenn wir sprechen..." Autorin 5 Abdullah strahlt jetzt wie ein kleiner Junge, die schlechte Stimmung ist für einen Moment verflogen. Stolz zeigt er auf einen großen Computer in der Ecke - bis auf ein paar Sitzkissen am Boden der einzige Gegenstand im Raum. O-Ton 5 Abdullah "Auch wenn sie mir eine größere Wohnung anbieten, ich würde dieses Haus immer vorziehen. Ich bin hier aufgewachsen und ich will hier sterben. Ich möchte nirgendwo anders leben." Autorin 6 Ein schlankes, vielleicht 16-jähriges Mädchen schiebt sich lautlos durch die Tür, lehnt sich hinter Abdullah an die Wand. Unter dem seidig glänzenden Kopftuch lugt eine lockige Haarsträhne hervor, die sie schnell zurückschiebt. "Meine kleine Schwester", sagt Abdullah, dreht sich kurz zu ihr um. "Weißt du überhaupt, worum es geht?" O-Ton 6 Abdullahs Schwester "Ich weiß, dass sie hier diesen Staudamm bauen. Aber ich will das nicht, wir wollen unser Zuhause nicht verlassen. Auch wenn das hier nur ein paar Steine sind - wir sind glücklich mit unseren Steinen." Autorin 7 Abdullah nickt zufrieden. "So", sagt er, "denken alle hier im Dorf und in all den anderen Dörfern, die sie fluten wollen. Keiner hier will den Ilisu-Staudamm - nur die Regierung selbst." Atmo 4 (Vater kommt herein) Dann wird es voll im Gästezimmer. Ein weißhaariger kleiner Mann in kariertem Hemd und rot weiß gestreifter Schlafanzughose kommt herein, ballt die Hand zur Faust. Mit geröteten Wangen und funkelnden kleinen Augen guckt er zwischen Abdullah und seiner Schwester hin und her. O-Ton 7 Abdullahs Vater (Regie: sehr markant im Orginal, vielleicht länger stehen lassen?!) "Staudamm, Staudamm, wer redet hier von einem Staudamm? Meine Mutter liegt hier begraben, mein Vater liegt hier. Wo sollen die denn hin? Und wo sollen wir leben, ha? Wir wollen das nicht, wir sind dagegen.Ich habe dieses Haus mit meinen eigenen Händen gebaut. Wir hatten gar nichts vorher, ich hab das gemacht!" Autorin 8 Mustafa Afsin, Abdullahs Vater, schnaubt wütend, steckt die geballte Faust in die Tasche seiner Schlafanzughose. Seine Stimme überschlägt sich beim Sprechen, sein Türkisch ist gebrochen - im Dorf sprechen sie Kurdisch, eine Schule hat Mustafa nie besucht. Der Alte schlägt seinem schmächtigen Sohn grob auf die Schulter. O-Ton 8 Abdullahs Vater "Er hier ist auch arbeitslos. Warum bauen die hier keine Fabrik, mit Arbeitsplätzen, ha? Wäre das nicht besser als dieser Staudamm?" Autorin 9 Inzwischen ist die ganze Familie im Gästezimmer versammelt. Abdullahs dicke Mutter, in mehrere Schichten gelbe und braune Tücher gehüllt, lässt sich schwerfällig auf den Kissen am Boden nieder, mischt sich hin und wieder auf Kurdisch ein. Eine Nachbarin humpelt - durch den Lärm angelockt - von draußen herein, fragt neugierig, worum es geht. Es kommen nicht oft Gäste ins Dorf. Die meisten Wochenendausflügler aus den umliegenden Städten fahren gleich ins benachbarte Hasankeyf, dessen Jahrtausende alte Kultur vom Ilisu-Staudamm bedroht ist. "Gut so", sagt Abdullah zum Abschied. "Wir wollen unsere Ruhe hier und wir wollen, dass dieser Staudamm unser Dorf nicht wegspült. Das ist alles." Atmo 6 (Hasankeyf, draußen) Autorin 10 Auf der anderen Seite des Tigris, etwas oberhalb des historischen Städtchens Hasankeyf, steht auf einem Felsvorsprung über dem Wasser einer, der genau wie Abdullahs Familie gegen den Staudamm ist. Arif Arslan widmet sein ganzes Leben diesem Kampf. Der schwarze Anzug, in dem er steckt, ist etwas zu groß, glänzt abgetragen an Schultern und Ellenbogen. Jede freie Minute verbringt der Zweiundvierzigjährige in Hasankeyf. O-Ton 9 Arif "Ich bin in Batman aufgewachsen, das liegt 30 km von hier. Aber seit über fünfzehn Jahren bin ich der Präsident der Bürgerinitiative für die Rettung von Hasankeyf. Eine Zeit lang haben sie uns Verräter der Nation geschimpft, weil wir gegen den Staudamm sind. Aber wir sind trotzdem dagegen, denn es gibt kein zweites Hasankeyf auf der ganzen Welt." Autorin 11 Von der anatolischen Sonne sind Arifs hohe Stirn und das müde Gesicht dunkelbraun gebrannt. Eine tiefe senkrechte Falte zwischen den schwarzen Augenbrauen lässt ihn sorgenvoll dreinblicken. O-Ton 10 Arif "Ich wende fast meine ganze Zeit für Hasankeyf auf, als wir die Initiative zur Rettung Hasankeyfs 1992 gegründet haben, haben die Polizisten sich über uns lustig gemacht. Sie sagten "Warum gründet ihr diese Initiative, habt ihr nichts besseres zu tun? Lasst es doch untergehen, es sind nur ein paar Steine." Aber wir haben nicht aufgegeben. Wir haben gesagt, wir werden kämpfen. Ich leite diese Initiative seit bald zwanzig Jahren. Und ich werde so weitermachen. Mein Ziel ist es, dass dieser Ort überlebt." Autorin 12 Während er spricht wandert Arifs Blick nach oben. Mit der Hand schützt er die Augen gegen die Sonne, zeigt mit der anderen auf ein sandfarbenes Minarett zu seiner Linken, auf dessen Spitze ein Storchennest thront. O-Ton 11 Arif "Wenn der Ilisu-Staudamm gebaut ist, soll das Wasser mehrere Hundert Meter tief sein. Das bedeutet, dass es bis zu den Lautsprechern hier am Al-Rizk- Minarett reichen wird. Und es bedeutet, dass die Ruinen der Burg von Hasankeyf, dort ganz oben auf dem Berg, zu einer Insel im Stausee werden. Den Punkt, an dem wir jetzt stehen, wird es nicht mehr geben." Autorin 13 "Das gesamte historische Hasankeyf, eine fünfzehntausend Jahre alte Stadt, wird unter der Wasseroberfläche liegen", fügt Arif hinzu als könne er es auch nach so vielen Jahren noch nicht glauben. Die türkische Regierung hat Recht, sagt er dann. Der Südosten des Landes braucht dringend Unterstützung um sich endlich entwickeln zu können. "Aber doch nicht auf Kosten von Geschichte und Kultur..." Arif schüttelt wieder und wieder fassungslos den Kopf. Breitbeinig auf seinem Felsvorsprung stehend, lässt er den Blick schweifen, ganz langsam von links nach rechts. Der blaue Himmel spiegelt sich im Flusswasser, wattig weiße Wolken werfen riesige Schatten auf die Hügel, die Hasankeyf am Horizont einrahmen. Wie gemalt schmiegen sich die honigfarbenen Häuser ans Tigrisufer, hier und da ragt das Minarett einer Moschee in die Luft. O-Ton 12 Arif "Dort oben auf dem Berg ist die Burg von Hasankeyf, aus byzantinischer Zeit. Auf dem obersten Felsen stehen auch noch die Ruinen des Kleinen Palasts aus dem 14.Jahrhundert... Und dort am Fluss sehen wir die Überreste von einem alten Hamam aus der Zeit der Selcuken. Wirklich, Worte sind nicht genug, um die Schönheit dieses Ortes zu beschreiben. Wenn sie das hier fluten, dann verliert die Menschheit eines ihrer schönsten Freilichtmuseen." Autorin 14 Arif fährt sich mit der Hand durch das schwarze, dünner werdende Haar. Dann dreht er sich vom Tigris weg, zeigt auf die sandfarbenen Felswände, die steil hinter ihm aufragen und von unzähligen Höhleneingängen durchlöchert sind. O-Ton 13 Arif "Dort drinnen sind etwa sechs oder siebentausend Höhlen aus hellenistischer Zeit. Dies hier ist einer der ersten bewohnten Orte der Menschheit. In den Höhlen wohnen immer noch knapp zehn Familien, die leben dort in der sechsten Generation. Und sie weigern sich ihre Höhlen aufzugeben wenn der Ort geflutet wird. Sie haben gesagt, sie werden sich festketten..." Autorin 15 Außer diesen Familien wohnt heute niemand mehr in den Höhlen, die sich bis zur Burg hinauf durch den riesigen Felsen ziehen, erzählt Arif. Er verlässt seinen Felsvorsprung, beginnt den steinigen Aufstieg zur Burg. Atmo 7 (Arif läuft) - etwas frei stehen lassen! Auf der rechten Seite taucht eine Reihe von zehn oder zwölf Höhleneingängen auf, durch Tunnel miteinander verbunden. Natürliche Felswände und menschengemachte Mauern gehen wie zufällig ineinander über. Hier und da wachsen Moos und Gras auf den grauen Felsen. Ein paar gelbe Blumen haben sich durch Ritzen und Spalten gekämpft. "Der Markt", kommentiert Arif, vom steilen Anstieg schwer atmend, zeigt auf die wie an einer Schnur aufgefädelten Höhleneingänge rechts. Er hält einen Moment inne, schnappt nach Luft, kniet sich dann vor ein tiefes Loch im Boden, etwa einen Meter im Durchmesser. O-Ton 14 Arif "Das hier war der Backofen. Sie haben hier Brot gebacken und es verkauft, wir stehen also vor einer 3000 Jahre alten Bäckerei. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Das Wasser wird bis hier herkommen und diese Felsen werden sich langsam darin auflösen. Der Ort kann dem Wasser nicht standhalten. Und wie sollte man solche riesigen Felsbrocken hier bitte wegtragen? Ministerpräsiden Erdogan war drei Mal hier und er hat gesagt "Wir werden die Schätze von Hasankeyf retten indem wir sie wegtragen". Aber das ist doch unmöglich! Man kann Hasankeyf nur an seinem ursprünglichen Ort beschützen..." Autorin 16 Diesen Satz, so scheint es, sagt Arif zum hundertsten Mal. Er ist jetzt ganz in seinem Element, gestikuliert wild, unterstreicht seine Kritik mit erhobenem Zeigefinger und ernster Miene. Vielleicht, sagt er, können wir den seit Jahrzehnten geplanten Ilisu- Staudamm und den 300 Quadratkilometer großen Staudamm nicht verhindern. Aber wenigstens Hasankeyf wollen wir retten. Die Falte zwischen seinen Augenbrauen scheint noch ein bisschen tiefer als zuvor. Mit einem Tuch tupft er sich den Schweiß von der Stirn während er sich aufrichtet und weiter den Berg hinaufsteigt. O-Ton 15 Arif (außer Atem) "Wir möchten, dass die Leute, die den Staudamm unterstützen, Hasankeyf mindestens einmal gesehen haben, bevor sie entscheiden. Der Premierminister ist aber nur mit einem Helikopter hierüber geflogen. Er ist nicht gelandet. Ich wünschte er hätte es getan und erst danach über diesen Ort und dieses Projekt entschieden. So viele Zivilisationen haben hier gelebt, ich denke es ist unsere Verantwortung dieses historische Erbe an die nächsten Generationen weiterzutragen." Atmo 8 (Schritte auf Felsen, dann auf Holzbrücke) Autorin 17 Nur noch wenige Meter sind es bis hinauf zur Burg. Arif bleibt auf einer schmalen Holzbrücke stehen. Sie verbindet die zwei Felswände rechts und links, die durch eine steil abfallende Schlucht voneinander getrennt sind. Die Häuser von Hasankeyf liegen weit unten am Fuß des Berges, das Dorf von Abdullah und seiner Familie ist zum kleinen Punkt geschrumpft, irgendwo am anderen Ufer des Tigris. Arif zeigt in die Ferne, auf einen der Hügel, die sich sanft am Horizont entlang ziehen. O-Ton 16 Arif "Dort, neben den Bäumen, können wir das Gebiet sehen, in das Hasankeyf umgesiedelt werden soll. Es führt schon eine neue Straße zum Fuß des Berges. Dort planen sie auch einige der historischen Schätze hin zu bringen. Sie sind schon bei den Vorbereitungen..." Autorin 18 Arif hebt beide Arme, lässt sie dann kraftlos zurück sinken. Für einen Moment fehlen ihm die Worte... Wie kann die Regierung den wirtschaftlichen Aufschwung der Region über die Kultur und Geschichte des Landes stellen, fragt er müde. Dann gibt er sich einen Ruck, steuert auf ein kleines, aus gelben Steinen gemauertes Gebäude mit runden Fensterbögen zu, das sich kaum von der felsigen Landschaft rundherum abhebt. Neben einem verdörrten Baum bleibt er stehen. Nur einen Meter noch - dann hört der Felsen plötzlich auf, etwa hundert Meter weiter unten fließt der Tigris. Arif dreht sich um, drückt gegen die alte Holztür des Hauses. Atmo 9 Tür quietscht O-Ton 17 Arif (Tür quietscht während er spricht, Stimme hallt wieder) "Das ist eine der ersten Kirchen, die in eine Moschee umgewandelt wurden. Die Akustik der Stimme ist hier besonders. Die Stimme verbreitete sich so schnell und leicht im Raum, wenn z.B. der Imam hier gesprochen hat. (Bewundernd:) Die haben damals sogar schon über Akustik nachgedacht..." Atmo 10 (Verlassen der Moschee, Tür quietscht) Autorin 19 Draußen zerzaust ein Windstoß Arifs Haare. Das dünne Gras, das sich zwischen den Steinen - zwischen den zahlreichen Ruinen und Höhlen auf dem Berg ausgebreitet hat, biegt sich im Wind. Arif guckt auf seine Handyuhr: "Es ist später Nachmittag", sagt er überrascht. "Hier oben vergeht die Zeit schneller - auch nach so vielen Besuchen noch". Zügig geht er den ausgetretenen, steinigen Pfad zurück, beginnt den Abstieg hinunter in den Ort. Atmo 11 (Laufen) An der sandsteinfarbenen Al-Rizk-Moschee - mit dem Storchennest auf der Spitze des Minaretts - bleibt er stehen, holt Atem. O-Ton 18 Arif "Von hier sieht man gut die Lautsprecher unter dem Storchennest. Das Wasser soll bis hier kommen. Der Rest von Hasankeyf würde dann eine Insel sein. Sie sagen, die Touristen werden es dann mit Booten und Flößen besuchen kommen. (Ironisch:) Das ist doch wirklich ein lustiges Projekt..." Atmo 12 (Laufen, viele Menschen, Musik) Autorin 20 Der Abstieg ins bewohnte Hasankeyf geht schnell, plötzlich wird aus dem ausgetretenen Pfad wieder eine geteerte Straße, rechts und links tauchen Marktstände mit Hasankeyf-Souvenirs auf. Poster, bedruckte Tücher und Halsketten liegen auf kleinen Tischen. Türkische Wochenendausflügler mit Sonnenhüten, Picknickkörben und Plastiktüten schieben sich daran vorbei, von einem Döner-Imbiss an der Ecke weht der Geruch von gebratenem Fleisch herüber. Atmo 12 etwas frei stehen lassen Zum ersten Mal an diesem Tag hellt sich Arifs Miene ein wenig auf, die Falte zwischen seinen Augenbrauen glättet sich. O-Ton 19 Arif "Obwohl wir natürlich gegen den Staudamm sind, hat er Hasankeyf doch auch bekannt gemacht. Während hier früher pro Jahr um die 50.000, in besten Jahren vielleicht 100.000 Touristen herkamen, sind es jetzt 1 Million. Der Ilisu- Staudamm hat wirklich Werbung für Hasankeyf gemacht, das können wir nicht leugnen." Autorin 21 Einige der Händler an den Ständen winken Arif zu, die meisten hier kennen ihn. Kaum ein Wochenende, an dem er nicht zur Burg hinauf steigt. Arif grüßt zurück, hält hier und da an um jemandem die Hand zu schütteln. Dann geht er ein Stück zur Seite, zieht sein Handy aus der Hosentasche und wählt die Nummer des Bürgermeisteramts. Atmo 13 (Wählen, dann Telefongespräch mit Bürgermeister) Atmo 14 (Laufen zum Bürgermeister) Autorin 22 Der Bürgermeister von Hasankeyf ist empfangsbereit, Arif nickt zufrieden. Vorbei an dem Döner-Imbiss geht es durch die schmucklosen, asphaltierten Straßen des neueren Teils von Hasankeyf. Von der idyllischen, unwirklichen Atmosphäre der Höhlen und Moscheen auf den Felsen über dem Tigris ist hier nur noch wenig zu spüren. Eine Frau hängt sich aus dem Fenster eines der unverputzten grauen Häuser, um ein rosa Bettlaken an der Leine unter dem Fensterbrett zu befestigen. An einem weißen, von einem gepflegten Vorgarten umgebenen Haus bleibt Arif stehen. O-Ton 20 Arif "Hier ist unser Bürgermeisteramt samt Bürgermeistergarten. Und hier rundherum sind auch sonst alle wichtigen Einrichtungen der Stadt. Das Katasteramt, das Büro der Stromversorgung. Von hier aus organisieren und regieren sie Hasankeyf." Autorin 23 Ein paar Männer in gebügelten Hemden sitzen auf knallroten Plastikstühlen im Vorgarten des Bürgermeisteramts, trinken Tee aus kleinen Gläschen und rauchen. Arif grüßt vertraut. Atmo 15 (Begrüßen, Antwort, Lachen) Autorin 24 Ein großer, breitschultriger Mann erhebt sich gemächlich aus seinem Stuhl, streckt Arif über den Zaun hinweg die Hand hin. Abdul Vahab Kusen von der islamisch- konservativen AK-Partei ist seit 11 Jahren der Bürgermeister von Hasankeyf . Mit einem Fingerzeig beauftragt er einen Teejungen mehr Plastikstühle und frischen Tee heranzuschaffen. Dann wendet er sich Arif zu, beginnt die typischen türkischen Höflichkeitsfloskeln auszutauschen. Arif, mit vom Wind zerzausten Haaren, sieht neben dem kräftigen Bürgermeister plötzlich klein und müde aus. Doch auch er fühlt sich oft müde, sagt Kusen, lässt sich zurück in seinen Stuhl fallen. O-Ton 21 Bürgermeister "Stellen Sie sich das mal vor. Seit elf Jahren befinde ich mich in diesem Kampf. Die Bürger sind unzufrieden, weil sie die Zukunft nicht einschätzen können. Traurigerweise hatten wir vor 10 Jahren noch 6.000 Einwohner, heute ist es nur noch die Hälfte. Das kommt wegen der Unsicherheit, weil die Leute hier keine Zukunft sehen. Deswegen zerstört der Ilisu-Staudamm nicht nur die Kulturgüter, sondern er verursacht eben auch Migration. Er macht die Menschen hoffnungslos." Atmo 16 (Tee kommt, umrühren) Autorin 26 Während seiner letzten Worte nickt er Arif, der auf einem Stuhl gegenüber sitzt, komplizenhaft zu. Sie kämpfen zusammen gegen die Flutung Hasankeyfs durch den Ilisu-Staudamm, gegen die Zerstörung von historischen Kulturgütern und die Umsiedlung von Tausenden von Menschen. Doch sie kämpfen damit auch gemeinsam gegen die Pläne der regierenden AK-Partei von Ministerpräsident Erdogan, der Bürgermeister Kusen selbst angehört. Darüber, wie sehr das Thema Staudamm zwischen ihm und seiner Partei steht, redet der Bürgermeister nicht gern. Er windet sich wie ein Aal, trinkt immer wieder kleine Schlucke von seinem Tee, bevor er sich schließlich doch zu einer Antwort durchringt. O-Ton 23 Bürgermeister "Wir machen hier Politik in einem demokratischen Umfeld. Es gibt da also keinen Druck auf mich vom Energieministerium oder von irgendjemand anderem. Wenn ich der Repräsentant der Bürger von Hasankeyf bin, und 98% dieser Bürger gegen dieses Projekt sind, dann kann ich es auch nicht unterstützen. Denn ich bin der Vertreter dieser Bürger." Atmo 17 Muezzin Autorin 27 Die schweigenden Männer in der Runde starren auf die Teegläser in ihren Händen, nicken bedächtig. Es ist Abend geworden, von einer der vielen Moscheen in Hasankeyf ruft der Muezzin zum Gebet, der Bürgermeister wirft einen verstohlenen Blick auf seine Armbanduhr. Zeit nachhause zu gehen. Er richtet sich in seinem Stuhl auf, guckt in die Runde. Wie um sich selbst zu überzeugen sagt er noch einmal das, womit er inzwischen drei Mal als Bürgermeister von Hasankeyf wiedergewählt wurde: O-Ton 24 Bürgermeister "Ich glaube, dass sie das Wasser nicht so hoch steigen lassen werden, dass es Hasankeyf zerstört. Mit Gottes Hilfe wird das nicht passieren. Das ist unser Wunsch und unsere Hoffnung..." Atmo Muezzin auslaufend