COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport 22.2.2012, 13.07 Uhr Ausgegrenzt und kriminalisiert Opfer und Angehörige von Opfern des Nationalsozialistischen Untergrunds Autorinnen van Laak, Claudia / Schmidt-Mattern, Barbara Redaktion Stucke, Julius Sendung 22.02.2012 - 13 Uhr 07 Die deutsche Öffentlichkeit weiß mittlerweile, wer Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sind - die drei mutmaßlichen Mitglieder der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund." Doch wer kennt die Namen der Mordopfer, wer weiß, wer Enver Simsek, Ismail Yaser oder Mehmet Kubasik waren, drei der zehn Ermordeten? Am 23. Februar findet in Berlin eine Trauerfeier für die Angehörigen der Mordopfer statt. Der Länderreport hat sich auf Spurensuche begeben, hat Tatorte besucht, mit Opfern des Nagelbombenattentats in der Kölner Keupstraße gesprochen und mit Bekannten und Angehörigen der Mordopfer. M A N U S K R I P T B E I T R A G Nürnberg, 9. September 2000 Enver Simsek, Blumenhändler Nürnberg, 13. Juni 2001 Abdurrahim Özüdogru, Schneider Hamburg, 27. Juni 2001 Süleyman Tasköprü, Obst- und Gemüsehändler München, 29. August 2001 Habil Kilic, Obst- und Gemüsehändler Rostock, 25. Februar 2004 Mehmet Turgut, Dönerverkäufer Nürnberg, 9. Juni 2005 Ismail Yasar, Imbissbesitzer München, 15. Juni 2005 Theodoros Boulgarides, Mitinhaber eines Schlüsseldienstes Dortmund, 4. April 2006 Mehmet Kubasik, Kioskbesitzer Kassel, 6. April 2006, Halit Yozgat, Betreiber eines Internetcafés Heilbronn, 25. April 2007 Michèle Kiesewetter, Polizistin Enver Simsek ist das erste Opfer. 8 Schüsse feuern die mutmaßlichen Mörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 9.September 2000 in Nürnberg auf den Blumenhändler ab. Er stirbt zwei Tage später im Krankenhaus. Was die Opferfamilien erlitten haben, interessiert nur sehr wenige. Semiya Simsek, Tochter des ermordeten Blumenhändlers Enver Simsek. Als eine der wenigen Hinterbliebenen der Opfer geht sie an die Öffentlichkeit. Viele Angehörige sind nach den Enthüllungen misstrauisch geworden, haben sich zurückgezogen, wollen mit niemandem reden. Nicht so die 25jährige. Ich gehe auch an die Öffentlichkeit, weil ich denke, ich bin das meinem Vater irgendwo schuldig, wir müssen ja als Familien etwas tun, dass sich etwas ändert. Die Deutsch-Türkin hat in ihre Wohnung ins hessische Friedberg eingeladen. Sie serviert türkischen Tee in Gläsern und Marmorkuchen, entschuldigt sich sofort dafür, dass er gekauft und nicht selber gebacken ist. Semiya Simsek ist in Deutschland geboren, hat hier ihr Abitur gemacht und studiert, arbeitet als Sozialpädagogin in einem Jugendzentrum. Was in den 11 Jahren passiert ist, was für ein Mensch, was für ein Gesicht mein Papa hatte, das wird sehr wenig der Öffentlichkeit präsentiert, und das ist auch ein bisschen schade. Der Türke Enver Simsek kommt 1986 nach Deutschland, arbeitet zunächst als Fabrikarbeiter, beginnt dann, Blumen zu verkaufen. Mit Erfolg. Aus einem kleinen Geschäft wird im Laufe der Jahre ein Großhandel mit angeschlossenen Läden und mehreren Verkaufsständen. Enver Simsek fährt nach Holland, kauft dort die Blumen, verteilt sie an seine Läden und Verkaufsstände. Im September 2000 steht Simsek ausnahmsweise selber am Nürnberger Blumenstand, sein Mitarbeiter ist im Urlaub. Am 9.September gegen Mittag treffen ihn 8 Schüsse aus nächster Nähe. Seine damals 14jährige Tochter Semiya eilt ins Krankenhaus. Dann kam mir schon ein Beamter entgegen, der hat mir dann die ersten Fragen gestellt, ob er eine Waffe dabei hatte, ob wir bedroht wurden und so was, da hab ich gedacht, warum stellt der mir so komische Fragen. Beamte durchsuchen die Wohnung der Familie, nehmen persönliche Gegenstände wie Fotoalben mit. Es folgen Verhöre auf der Polizeiwache, Verdächtigungen. Da Enver Simsek seine Blumen in Holland holte, vermuten die Beamten, er könne Rauschgifthändler gewesen sein, die Tat also vielleicht ein Racheakt im kriminellen Milieu. Wir waren eh schon Opfer, meine Mama hat ihren Ehemann verloren, wir haben unseren Vater verloren, dann wirst du noch so misstrauisch betrachtet, das war echt nicht schön. Semiya Simseks braune Augen füllen sich immer wieder mit Tränen, wenn sie an die Monate nach der Ermordung ihres Vaters denkt. Ihre Mutter hält die Ungewissheit, die Unterstellungen und Verdächtigungen nicht aus, der Tod ihres Mannes lässt sie bis heute nicht los. Sie ist dadurch krank geworden, natürlich, sie hat psychische Störungen, wir können nicht mir ihr im selben Haushalt leben, deshalb leben wir alle getrennt, natürlich besuchen wir sie, sie ist meistens bei ihren Eltern in der Türkei. Insgesamt 9 Migranten sterben in den Jahren 2000 bis 2006 durch dieselbe Waffe, eine Ceska 83, Kaliber 7,65 Millimeter. Die Ceska war die Signatur, sie war das Bekennerschreiben der Zwickauer Terrorzelle. Der Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter im Jahr 2007 passt nicht dazu, sie ist Deutsche, sie stirbt durch eine andere Waffe. Die Polizei tappt im Dunkeln, weitere Morde mit der Ceska 83 blieben aus. Vielleicht ist dieser irre Mörder selber tot, wer weiß - sagt sich Semiya Simsek. Auch Jahre später beschäftigt sie das ungeklärte Verbrechen. Dann plötzlich die erschütternde Meldung: die Mordserie geht aller Wahrscheinlichkeit nach auf das Konto von Rechtsterroristen. Stimmt das oder stimmt das nicht? Soll ich mich darauf verlassen oder nicht? Das war mein erster Gedanke. Sie ruft beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden an, versucht, eine Bestätigung für diese Meldung zu erhalten. Ohne Erfolg. Erst eine Woche später - da diskutiert schon ganz Deutschland über die Zwickauer Terrorzelle - erhält Semiya Simsek eine offizielle Information. Ihr Wunsch: Die Leute, die gesagt haben, mein Papa hatte mit Drogen oder Rauschgift zu tun, die müssen jetzt wirklich in die Ecke gehen und sich dafür schämen, dass die so was geäußert haben. (John) Sie hatten große Verluste zu tragen, nicht nur materielle Verluste, sondern es ist ja auch in das Leben der Familien eingegriffen worden durch die monatelangen Verhöre, durch die Verdächtigungen, die Familien sind auseinandergesprengt worden. Das kleine soziale Netz, das sie hatten, wurde oft zerstört, es sind schon gewaltige Änderungen, die sich da ergeben haben, die ja auch jahrelang andauerten und nun plötzlich alles zurück, alles anders. So beschreibt Barbara John die Lebensumstände der Hinterbliebenen. Im Dezember letzten Jahres erhält die langjährige Berliner Ausländerbeauftragte einen Anruf von Maria Böhmer, CDU-Parteifreundin und Ausländerbeauftragte der Bundesregierung. Ob sie sich vorstellen könne, sich in den nächsten Monaten um die Familien der Neonazi-Mordopfer zu kümmern? Barbara John sagt zu. Ihre Aufgabe beschreibt die 74-Jährige so: Alles was die Familien bedrückt im Zusammenhang mit dem Verlust ihrer Väter oder ihrer Brüder, ihrer Ehemänner, wieder etwas gerade zu rücken, das Leben leichter zu machen. Barbara John wertet zurzeit die ausgefüllten Fragebögen aus, die ihr die Hinterbliebenen der Neonazi-Mordopfer zurückgeschickt haben. Da ist der Sohn eines Ermordeten, der sein Studium abbrechen musste, weil die Familie einen Ernährer brauchte. Jetzt will er weiterstudieren, erhält aber kein Bafög. Da sind die psychischen Probleme einer Witwe, die Krankenkasse will die Therapie nicht bezahlen. Da ist der Wunsch einiger Hinterbliebener auf eine doppelte Staatsbürgerschaft - diese sieht das bundesdeutsche Recht nicht vor. Und ich hoffe, dass es mir gelingt, natürlich in Zusammenarbeit mit den Städten, mit den Ländern, in denen die Opferfamilien leben, das Leben wieder etwas zu normalisieren. Wir können nichts wiedergutmachen, aber wir können zumindest ein wenig helfen. Zum Beispiel mit einer finanziellen Zuwendung aus dem Fonds für Terrorismusopfer. Jährlich eine Million Euro stellt die Bundesregierung dafür zur Verfügung, mehr als 200.000 Euro hat das zuständige Bundesamt für Justiz bereits für Opfer der Zwickauer Terrorzelle ausgezahlt. Schnelle unbürokratische finanzielle Hilfe haben zum Beispiel Geschäftsleute und Bewohner der Kölner Keupstraße erhalten. Hier explodierte am 9. Juni 2004 eine Nagelbombe, für die ebenfalls die Zwickauer Terrorzelle verantwortlich ist. Ali Demir, 60 Jahre alt und seit drei Jahrzehnten in der Keupstraße zuhause, erinnert sich. Plötzlich habe ich geguckt, dann habe ich festgestellt, dass die Leute rechts, links laufen, schrien und auch natürlich ein Rauch und Staub. Die Leute waren verletzt, die Verletzten auf die Straße gelaufen... Kaum ein Schaufenster bleibt ganz, überall liegen die Scherben. Freunde und Nachbarn eilen herbei, einige von ihnen mit schnell herbeigeschafften Bettdecken für die Verletzten. Ali Demir erzählt das alles, als sei es gestern geschehen. Ja, Friseursalon ist hier... Dass das Nazi-Trio ausgerechnet den Friseurladen als Anschlags-Ziel wählte, sei kein Zufall gewesen. Der Kuaför, so steht es mit Ö auf dem Eingangsschild, ist seit jeher ein beliebter Treffpunkt. Hier werden Bärte gestutzt und Haare geschnitten, aber vor allem treffen sich die Keupstraßenbewohner hier zum Schwätzchen. Auch die Tatzeit haben die Attentäter im Juni 2004 ganz bewusst gewählt, sagt Ali Demir: Circa 16 Uhr. Das war die Zeit, in der die Eltern ihre Kinder vom Kindergarten abholen, das war Mittwoch. Als Ali Demir den Friseurladen betritt, wird er mit einem freundlichen Lächeln begrüßt. Aber mit einer Journalistin möchte Inhaber Özcan Yildirim nicht sprechen - nur auf ein paar Fragen von Ali Demir lässt er sich ein, während er einem Kunden die Haare schneidet. Bundespräsident Wulff hat ihn eingeladen, als er noch im Amt war, und so wird Özcan Yildirim gemeinsam mit seinem Bruder, der damals beim Anschlag schwer verletzt wurde, an dem Staatsakt teilnehmen. Das sei für ihn keine Pflicht, sondern eine wichtige Geste. Während Yildirim flink mit Schere und Kamm den Kopf seines Kunden bearbeitet, lächelt er scheu, vermeidet aber jeglichen Blickkontakt. Nach wenigen Minuten wird das Gespräch zäh - Zeit zu gehen. Zurück auf der Straße schlägt Ali Demir vor, nur wenige Meter weiter einen - natürlich türkischen - Kaffee im Restaurant Mevlana zu trinken. Dort angekommen, wählt er einen Tisch am Fenster aus und setzt sich. Mit der Trauerfeier für die Opfer und Hinterbliebenen der Neonazi-Morde hat Demir so seine Probleme: Diese Leute sind bis jetzt vier Mal eingeladen worden, wieso denn noch ein fünftes Mal? Demir ärgert sich, dass Leute wie er, die sich seit Jahren für mehr Integration auf beiden Seiten engagieren, nicht eingeladen wurden. Und auf Christian Wulff, der letzte Woche zurückgetreten ist, ist er auch ein wenig sauer. Dass der Islam zu Deutschland gehöre, sei ja ein schöner Satz, aber mehr sei dann leider nicht gekommen. Und was folgt daraus? Die Leute haben Integration total vergessen - schade! Auf manche Landsleute ist Ali Demir derzeit aber auch nicht gut zu sprechen. Fast jeder, der durch den Anschlag vor acht Jahren verletzt wurde, hat mittlerweile 5000 Euro Entschädigung vom Staat erhalten. Doch in der Keupstraße murren einige jetzt: Das sei zu wenig. Ali Demir hat dafür überhaupt kein Verständnis: Die haben geglaubt, dass Bundesrepublik Deutschland diese Straße mit Geld vollmacht. Das geht nicht! Ein Freund kommt an den Tisch und wird herzlich begrüßt: Der Freund betreibt ein Geschäft für Haushaltswaren gleich gegenüber vom Restaurant. Ein wenig schüchtern nimmt er Platz und stellt sich vor: Mein Name ist Gümüs Yüksel, Y-ü-k-s-e-l - lacht Auch Gümüs Yüksel hat von der Trauerfeier in Berlin gehört: Meine Meinung? Es ist zu spät. Genau das kritisieren auch einige muslimische Verbände in Deutschland. Die Opfer hätten damals nach den Morden getrauert, und nicht erst Jahre später, so monierte Ende Januar die Türkische Gemeinde in Deutschland. Außerdem würden die Türken erwarten, dass man zu ihnen kommt und nicht umgekehrt. Der deutschen Gesellschaft und Politik fehle es an Sensibilität. So weit will Gümüs Yüksel aus der Keupstraße nicht gehen. Er, seine Frau und die sechs Kinder blieben damals beim Anschlag zwar unverletzt, aber bis heute hat Yüksel ein ungutes Gefühl: O-Ton Yüksel Wir haben auch Angst, wie kann man jetzt Kinder alleine lassen, in der Schule oder im Kindergarten... Schon damals waren Yüksel und die anderen aus der Keupstraße überzeugt, dass Neonazis hinter dem Anschlag steckten. Aber niemand glaubte ihnen. Das frustriert Gümüs Yüksel bis heute. Zumal er damals um seine Existenz bangte. Hoffentlich, sagt er zum Abschied, passiert ihm das nie wieder: Nach dem Bombentattentat (haben wir) wirklich sechs Monate kein Geschäft gemacht. Die Leute (haben) Angst gehabt, in die Keupstraße zu kommen. So eine Zeit möchte ich nie wieder erleben, das ist wirklich schlimm Zum Zeitpunkt des Nagelbombenattentats in Köln, im Juni 2004, haben die Täter bereits 5 türkische Migranten mit der Ceska 83 ermordet, zwei davon in Nürnberg. Und noch einmal zieht es die Täter in die Stadt der NS-Rassegesetze, die Stadt der Reichsparteitage. Also wir sind jetzt in der Siemensstraße, Ecke Gyualer Straße in der Südstadt in Nürnberg. erläutert Birgit Mair. Die Sozialwissenschaftlerin engagiert sich seit Jahren in Franken gegen Rechtsextremismus. Und das ist der Ort, wo 2001 der türkischstämmige Fabrikarbeiter und Schneider Abdurrahim Özüdogru hingerichtet worden ist. Hier in der Nürnberger Siemensstraße weist nichts auf den rassistischen Mord an Abdurrahim Özüdogru hin. In den Schaufenstern der früheren Änderungsschneiderei stehen verstaubte asiatische Skulpturen, der Laden ist geschlossen. Das Geschäft verfügt über eine Eingangs- und eine Ausgangstür - ideal für die Flucht, dürften sich die Mörder gedacht haben. Birigt Mair ist davon überzeugt, dass diese Tatorte nicht zufällig ausgewählt worden sind, ich hab mir gleich gedacht, die sind nicht spontan nach Nürnberg gefahren und haben den erstbesten türkisch Aussehenden umgebracht, sondern man weiß es mittlerweile auch, dass da ja gute Fluchtwege in der Nähe waren, die erste Tat war ja am Waldrand. Birgit Mair vermutet, dass die Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds von ortskundigen Gesinnungsgenossen unterstützt wurden. Zwischen der thüringischen und der fränkischen Neonazi-Szene existieren vielfältige Verbindungen. Als die NSU-Morde bekannt wurden, hab ich mir sofort gedacht, jetzt aber Razzien, in Nürnberg, bei allen bekannten Neonazis und die leben ja hier zuhauf in der Region, und nichts ist passiert, und das ist das, was mich beunruhigt, denn jetzt ist die Zeit verstrichen, jeder kann seine Computer und alles verschrottet haben, seine Aufzeichnungen geschreddert haben, ja, was will man denn jetzt noch finden. Wer die Tatorte in Augenschein nimmt, stellt fest, dass historische nationalsozialistische Orte nicht weit entfernt liegen. In der Nähe der früheren türkischen Änderungsschneiderei in der Siemensstraße befindet sich eine ehemalige SS-Kaserne, jetzt Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Nur ein kurzer Weg ist es vom ehemaligen Reichsparteitagsgelände zum Tatort in der Scharrerstraße. Dort stand der Dönerimbiss von Ismail Yasar - er wurde im Juni 2005 erschossen, aller Wahrscheinlichkeit nach von den Mitgliedern der Zwickauer Terrorzelle. (Özen) Damals hat keiner irgendwie einen Zusammenhang da gesehen, weil es so in den Medien berichtet wurde, dass es Türken unter sich waren, das es türkische Mafia war. Bei dem hier wurde gesagt, dass er an die Kinder, an die Schüler Drogen verkauft hat. Taylan Özen steht dort, wo sich bis zur Ermordung von Ismail Yasar seine Dönerbude befand. Schräg gegenüber eine hauptsächlich von Migranten besuchte Schule, in der Nähe befindet sich das türkische Konsulat. Ein weiterer Hinweis darauf, dass der Tatort nicht zufällig gewählt wurde. Taylan Özen setzt sich gemeinsam mit anderen dafür ein, dass in Nürnberg an die von Rechtsterroristen ermordeten Kleinunternehmer erinnert wird. Über einen türkischen Migrantenverein hat der 33jährige versucht, Kontakt zu den Hinterbliebenen des ermordeten Ismail Yasar aufzunehmen - ohne Erfolg. Die Frau möchte nicht an die Öffentlichkeit, sie hat auch Angst, türkisches Konsulat versucht mit ihr zu reden, aber sie hat Angst, ist auch verständlich. Semiya Simsek hat keine Angst. Seitdem bekannt ist, dass mutmaßlich Rechtsterroristen ihren Vater ermordeten, wird die 25jährige eingeladen - in Talkshows, zu Podiumsdiskussionen, ins Schloss Bellevue. Die Deutsch-Türkin ist hin und hergerissen - einerseits schmeichelt die plötzliche Aufmerksamkeit. Andererseits: Nach 11 Jahren ist es zu spät, leider es ist so, es ist zu spät, mein Papa kommt nicht mehr zurück. Morgen wird Semiya Simsek im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt eine Rede halten. Die Fernsehkameras und Mikrophone werden auf sie gerichtet sein, 15 Sekunden ihrer Rede landen vielleicht als Aufmacher in der Tagesschau. Semiya Simsek wird dann zurück ins hessische Friedberg fahren und ihrem Arbeitgeber die Kündigung überreichen. Ich hatte bis heute eigentlich nie die Frage: gehöre ich in diese Gesellschaft oder nicht, diese Frage hatte ich gar nicht, aber mittlerweile denke ich, wir gehören gar nicht dazu, die wollen uns gar nicht. Deshalb wird Semiya Simsek das Land, in dem sie vor 25 Jahren geboren wurde, verlassen. Enttäuscht von einem Staat, der es zuließ, dass Rassisten jahrelang unentdeckt morden konnten. Im Juni wird die Tochter des Blumenhändlers Enver Simsek in die Türkei ziehen. -E N D E- 1