COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Vom Nanga Parbat bis zum Lhotse Vor 25 Jahren hat Reinhold Messner den Wettlauf um die 14 Achttausender für sich entschieden Deutschlandradio Kultur, Nachspiel 31.1.22011 Von Ernst Vogt Musik C 132037 (BR-Archiv), Cirque du Soleil, Saltimbanco, Komponist: René Dupéré, Take 9 Poikinoi, Länge 1Min., LC 01846, BIEM/SABAM. 0602498289006 Reinhold Messner "Je wilder die Welt war, je menschenfeindlicher die Welt war, in die ich mich begeben habe, umso größer das Wiedergeboren-seinsgefühl, wenn ich wieder zurück war unter den Menschen." Reinhold Messner hatte keine guten Erinnerungen an den Lhotse, den vierthöchsten Berg der Welt. Dieser war ihm als einziger noch übrig geblieben von den insgesamt 14 Gipfeln, die die Achttausendergrenze überragen. 1975 hatte eine Lawine am Fuß der Lhotse-Südwand das Basislager seiner italienischen Expedition zerstört. Ein weiterer Versuch, den 8516 Meter hohen Himalayariesen im Alleingang zu besteigen, scheiterte 1980. Übersetzt aus dem Tibetischen heißt Lhotse "Südspitze". Der Berg im Grenzgebiet von Nepal und China ist durch den Südsattel mit dem Mount Everest verbunden. Als der Südtiroler Ausnahmebergsteiger Reinhold Messner den Lhotse zum dritten Mal 1986 in Angriff nahm, ging es für ihn um viel. Bedenklich nahe war ihm der polnische Höhenbergsteiger Jerzy Kukuczka gekommen, im Wettlauf um die sogenannte Achttausenderkrone. Wer schafft als Erster alle 14 Achttausender - das war die spannende Frage vor 25 Jahren. Reinhold Messner und sein Landsmann Hans Kammerlander hatten in der Nacht zum 16. Oktober 1986 kein Auge zugetan. Sie lagen in halb zerstörten, eingeknickten Zelten. Draußen tobte der Sturm. Trotzdem setzten sie zum Gipfelgang an, ohne Seilhilfe, um zügig voranzukommen. Messners Partner erinnert sich. 1. Zusp. Hans Kammerlander "Der Aufstieg war schon sehr am Limit: Es war die ganze Nacht Sturm. In der Früh sind wir aufgebrochen. Der Wind kam von hinten, der hat uns förmlich nach oben geschoben, aber es war in meinen Augen an der Grenze dessen, was man noch verantworten kann, weil es so kalt war. Wenn ein bisschen Haut frei war, war es sofort weiß - schon ganz, ganz grenzwertig." Reinhold Messner notierte in sein Tagebuch: Zit.: "Da stehst du nun ganz oben und willst nur noch hinunter. Hinunter auf den flachen Boden, dorthin, wo es warm ist; dorthin wo du ausruhen kannst; dorthin wo die Freunde sind. Auf Dauer hält es in diesem fast luftleeren Raum niemand aus." Seinen Zustand am Gipfel beschreibt der damals 42-jährige Extrembergsteiger so: Zit.: "Da stand ich vornübergebeugt, wie ein Kranker, der nicht mehr kann. Der Schnee unter meinen Füßen war hart und weit weg. Weit weg von mir. Dabei waren nur die Steigeisen dazwischen. In den Sturmböen schloss ich die Augen und kauerte mich noch fester zusammen. Nur der Mund blieb weit offen. Um mich die "Hölle", die noch intensiver da war: Sturm, Kälte, der Abgrund." 2. Zusp. Reinhold Messner "Wir sind auch hintereinander zu diesem Schneeturm aufgestiegen, ziemlich exponiert, und sind dann sofort wieder runter, um uns die Hölle, weil der Wind so stark war. Wenn Windstille gewesen wäre und die Sonne geschienen hätte, auch bei Kälte, hätte man ruhig ein bisschen sich freuen können, vielleicht kurze Zeit, aber generell behaupte ich, dass das vielstrapazierte Glück am Gipfel nur das Wunschdenken der Untengebliebenen ist." Mit der Besteigung des Lhotse hatte Reinhold Messner den Wettlauf um die Achttausender gegen Kukuczka für sich entschieden. 3. Zusp. Reinhold Messner "Er hat schnell aufgeholt, aber immerhin muss man wissen, dass er am Ende - es war 1986 - zwölf Achttausender bestiegen hatte und ich hatte 18 Achttausender bestiegen, wenn man die Doppelbesteigungen mitrechnet, und deswegen hätte ich diesen Wettlauf, der nur auf dem Papier da war oder in den Medien aufgebauscht wurde, nicht verlieren können außer ich wäre umgekommen." Doch sein Seilpartner Hans Kammerlander aus dem Südtiroler Ahrntal fühlte den Druck, der in der Endphase des Wettbewerbs auf dem Führenden lastete. 4. Zusp. Hans Kammerlander "Ich hab? selber deutlich gespürt, dass das ein knallharter Wettlauf war. Der Reinhold war den anderen a bissl voraus, aber es waren ihm ein paar Bergsteiger im Nacken, und da ging es nur noch darum: "Hoch auf den Lhotse". Die Route war uns in dem Moment egal. Die Expeditionen vorher waren viel kreativer, da haben wir etwas Besonderes gesucht - neue Wege - aber plötzlich war der Wettlauf wichtiger." Dass der imaginäre Wettbewerb um die Achttausender in die letzte Runde gehen und mit großem Einsatz geführt werden würde, hatte Hans Kammerlander bereits am Makalu gespürt. Der fünfthöchsten Berg der Erde, genannt "der große Schwarze" war Messners vorletzter Achttausender, den er unmittelbar vor dem Lhotse bezwang. 5. Zusp. Hans Kammerlander "Das Ganze war traurig, weil da war auch einer dieser Anwärter auf die 14 Achttausender, der Schweizer Marcel Ruedi. Wir waren bereits am Berg und er kam - das war alles sehr hektisch. Er hat dann auch viel zu früh mit dem Polen Wielicki den Berg probiert. Die sind auch hochgekommen, aber er war bei weitem noch nicht akklimatisiert. Nach dem Gipfel waren seine Kräfte zu Ende und er ist beim Abstieg an Erschöpfung gestorben. Wir haben ihn beim Aufstieg gefunden. Er saß im Schnee. Er war tot." Der Schweizer Marcel Ruedi hatte den Kampf um die "Krone der Extrembergsteiger" nicht überlebt. Trotz seiner großen Fähigkeiten. Sein 10. Achttausender war ihm zum Verhängnis geworden. Er wollte - wie Messner - alle 14. 6. Zusp. Hans Kammerlander "Ruedi war knallhart dahinter. Er hat sich dabei umgebracht. Und der Messner war halt auf dem Weg weiter, weil er den Loretan und den Kukuczka im Hintergrund gehabt hat. Also scheitern wäre für ihn knapp geworden. Die wären die anderen beiden sofort parallel an seiner Seite gewesen oder vielleicht sogar einen Schritt voraus." Für Messners Seilpartner Hans Kammerlander war der Tod des Konkurrenten Marcel Ruedi der Geschwindigkeit geschuldet, mit der dieser den 8463 m hohen Makalu-Gipfel bezwingen wollte. Ein hoher Achttausender verlangt eine wochenlange Zeit zum Akklimatisieren. Ruedi war wohl mit dem Hubschrauber ein Stück weit ins Tal hineingeflogen und konnte beim Abstieg vom Gipfel seinem Seilpartner nicht mehr folgen. Der Partner erzählte Messner und Kammerlander im Basislager die Geschichte vom verschollenen Marcel Ruedi. 7. Zusp. Hans Kammerlander "Und gerade in dem Moment sehen wir ganz oben, vielleicht so 400 Meter unterhalb des Gipfels, einen Punkt, der sich nach unten bewegt wie eine Schnecke, und deshalb sind wir sofort und ohne Zeit zu verlieren nach oben. Das hat sich nur um Stunden gehandelt. Wir haben ihn kommen sehen. Wir waren im Gespräch mit Wielicki, seinem Gipfelpartner, und während er uns diesen tragischen Zwischenfall erklärt, sehen wir auf einmal: Der ist doch nicht verschollen, da oben ist er, der kommt runter. Also der ist nach dem Gipfel einfach fertig gewesen und hat ein Freibiwak gemacht, einfach nur im Schnee sitzend. Und so eine Nacht, die ist brutal, wenn jemand sowieso schon ausgebrannt ist. Am nächsten Tag hat er noch probiert runterzugehen, aber es hat nicht mehr gereicht." Eine tragische Geschichte im Wettbewerb um die Besteigung aller 14 Achttausender. Als schärfster Verfolger Messners blieb der Pole Jerczy Kukuczka im Rennen. 8. Zusp. Reinhold Messner "Ich habe größten Respekt vor ihm, weil er an den Achttausendern Winterbesteigungen gemacht hat - mir ist keine einzige gelungen - und weil er Erstbegehungen gemacht hat ähnlich wie ich. Er ist nicht einfach darauf aus gewesen, die Achttausender zu sammeln, sonst hätte er die Normalwege gemacht und hätte mich mit Sicherheit überholt. Ich bereue es heute, dass wir nie zusammen geklettert sind. Wir hatten ja die Möglichkeit, zusammen zu klettern." Kukuczka wurde der Zweite, der alle 14 Achttausender bestiegen hat. Allerdings verunglückte er drei Jahre nach Messners Triumph tödlich in der Lhotse-Südwand, als sein Seil riss und er 2.000 Meter in die Tiefe stürzte. Für Messner dagegen begann nach seinem Erfolg am Lhotse am 16. Oktober 1986 ein neuer Lebensabschnitt. 9. Zusp. Reinhold Messner "Als ich zurückkam vom Lhotse war ich befreit von meiner eigenen Last - die Zielsetzung wird ja dann auch eine Last, wenn man sie vehement verfolgt - diese großen Berge weiter besteigen zu müssen. Ich hatte ja inzwischen 18 Besteigungen gemacht, weil ich vier zweimal bestiegen habe. Ich bin 15, 16 Jahre lang diesem Ziel nicht exklusiv, aber hauptsächlich nachgegangen, hatte bereits ganz andere konkrete Zielsetzungen - Arktis oder auch die Wüssten - und wollte dafür frei sein. Und das kostet schon auch einige Überwindung, alle Jahre eine solche Expedition auf die Beine zu stellen, zu finanzieren, die richtigen Partner zu finden, natürlich auch zu trainieren, um wegzufahren, ohne jede Sicherheit zu haben, dass es auch klappt." Musik CD 54067 (BR-Archiv), The Rick Wakeman New Age Collection, Zodiaque (Tony Fernandez & Rick Wakeman). Take 8 Libra, 20 Sek., LC 1421 25 Jahre nach dem Wettlauf um die höchsten Gipfel der Erde ist Reinhold Messner noch immer als der "Mann der Achttausender" in Erinnerung. 10. Zusp. Umfrage "War das nicht der Messner? Ich bewundere die Leute, wenn die ganz steile Wände hinaufsausen, mein Ding wär?s nicht. / Messner war der Erste, das ist klar. / Ich kann mit Abstand sagen, das ist toll, ich würde aber auch keinen Impetus haben, dem nachzueifern. / Ich kann das nachvollziehen, dass das reizt, aber mich selbst würde das nicht reizen. Es befriedigt ihn ja anscheinend auch recht gut. / Das ist eine Leistung, das muss man erst einmal schaffen. /Ich finde toll, was ein Mensch sich vornehmen kann und was er dann auch unter schwierigen Umständen leisten kann. Das könnte ich zum Beispiel nicht. Da liegt jahrelanges Training hinter und ein gewisser Fanatismus, aber ich finde es eine tolle Leistung, obwohl die Achttausender für Menschen wahrscheinlich gar nicht vorgesehen sind." Reinhold Messner hat vieles gemacht in seinem langen Abenteurerleben: Er war Extremkletterer in den Dolomiten, überquerte zu Fuß die Antarktis und durchquerte Wüsten - zuletzt mit 60 die Wüste Gobi im Alleingang. Mit seinen 14 Achttausendern aber hat er Geschichte geschrieben. Das wird anerkannt sowohl von Konkurrenten als auch von Weggefährten, wie dem Züricher Chefarzt Oswald Oelz. 11. Zusp. Oswald Oelz "Das ist historisch gesehen eine einmalige Leistung und interessanterweise war ja die Entwicklung schon so weit fortgeschritten, dass er am Schluss sich beeilen musste, dass er wirklich der Erste war." Oelz war mit Messner 1978 am Mount Everest. Der Arzt kann sich noch gut an die Diskussionen von damals erinnern. 12. Zusp. Oswald Oelz "Zunächst einmal haben die Physiologen behauptet, es sei unmöglich, ohne supplementären Sauerstoff höher als 8500 Meter zu steigen. Das war irgendwie aus der Historie gewachsen, diese Überzeugung. Und dann haben sie gesagt, falls es doch möglich ist für die Muskulatur, ist es ganz sicher schädlich fürs Gehirn und die beiden würden, falls sie überhaupt wieder herunterkommen, den Rest ihres Lebens als vertrottelte "Spinaltiere" zu verbringen haben." Oswald Oelz hatte damals eine andere Meinung vertreten und seinen Expeditionskollegen darin bestärkt, dass eine gute Chance für den Gipfelaufstieg ohne Sauerstoffmaske vorhanden wäre. 13. Zusp. Oswald Oelz "Und zwar aus der historischen Erfahrung: Der Engländer Norton ist 1924 schon bis in eine Höhe von 8650 Meter auf der Nordseite des Everest geklettert, ohne ein Sauerstoffgerät zu verwenden. Und das war mit der damaligen Technik und der damaligen Ausrüstung, mit der damaligen, noch nicht optimierten Taktik offenbar möglich. Also würde es, hab? ich mir gedacht, schon möglich sein, noch 300 m weiter zu steigen." Man muss nicht dabei gewesen sein, um die Leistungen des Südtiroler Extrembergsteigers an den Achttausendern aus alpingeschichtlicher Perspektive zu würdigen. Günther Härter, selbst Höhenbergsteiger und dreimal an Achttausendern erfolgreich: 14. Zusp. Günther Härter "Die 14 Achttausender von Reinhold waren eine absolute Pionierleistung, denn er war der Erste, der alle 14 Achttausender bestiegen hat, und vor allem wiederum mit einem besonderen Stil, den man vorher z.T. als nicht-menschenmöglich erachtet hat - ich erinnere nur an die Besteigung des Mount Everest im Frühjahr 1978, als er mit Peter Habeler ohne künstlichen Sauerstoff den Gipfel erreicht hat. Das hatten viele für nicht machbar erachtet. Er hat bewiesen, dass dies möglich ist. Und er hat auch - das ist eine seiner ganz großen Leistungen - den Everest als Erster alleine bestiegen. Das war wirklich eine echte Alleinbegehung am Mount Everest, denn es war zu diesem Zeitpunkt, als er im Sommer 1980 unterwegs war, kein weiterer Mensch an diesem Berg unterwegs." Außenstehende haben den Höhenbergsteiger Messner gelegentlich für einen Supermann gehalten, dem alles gelingt. Härter versucht dem Erfolgsgeheimnis des Südtirolers in der Analyse seiner Fähigkeiten auf die Spur zu kommen. 15. Zusp. Günther Härter "Er hat sicher enorme physische Fähigkeiten, eine nahezu unvorstellbare Ausdauerleistung zu bringen, aber diese Fähigkeiten besitzen auch einige andere Bergsteiger. Was den Reinhold wie wenige andere auszeichnet, ist, dass er eine unerhört mentale Stärke hat. Er kann sich auf ein Ziel konzentrieren zu hundert Prozent, er weiß aber auch ganz genau, wann er umdrehen muss, um dann aber auf der anderen Seite das Ziel nie aus dem Blick zu verlieren." Sportliche Höchstleistungen oder auch Errungenschaften der großen Abenteurer haben zu ihrer jeweiligen Zeit für Furore gesorgt, doch Messner und die Achttausender sind in den Köpfen vieler Menschen untrennbar miteinander verbunden. Auch junge Bergsteiger wie der 21-jährige Tiroler Extremkletterer David Lama ziehen den Hut vor der Leistung Messners. 16. Zusp. David Lama "Die Leistung von Reinhold war dazumal sicher ein Wahnsinn und war eine Pionierleistung in gewisser Weise, also das war einfach gewaltig und ist ein Stück Alpingeschichte geworden. Manche Leute haben gedacht, dass damals schon der Alpinismus ausgestorben sei, ich muss dem einfach widersprechen und sagen, es gibt noch so viele Ziele. Auch wenn unsere Generation meint: Bald haben wir nichts mehr zum Klettern. Ich glaub?, die nächste wird noch genügend finden, aber das vom Reinhold war in jedem Fall eine Pionierleistung und gewaltig." Fragt man in der Bergsteigerszene nach, erhält man immer wieder die Antwort: Messner hat Maßstäbe gesetzt. Voller Respekt äußert sich auch Bernd Kullmann, ein versierter Kletterer, der selbst auf den Achttausendern Mount Everest, Shisha Pangma und Cho Oyu stand. 17. Zusp. Bernd Kullmann "Reinhold hat mit der Besteigung aller 14 Achttausender, und das noch dazu in einem supersportlichen puritanischen Stil seinerzeit Maßstäbe gesetzt, die leider heute nicht mehr gelten, nicht weil sie heillos übertroffen sind, sondern weil heute an den Achttausendern viel unsportlicher geklettert und berggestiegen wird, und das finde ich wahnsinnig schade; eigentlich sollte eine Generation später - das sind die 25 Jahre zeitlicher Abstand - schon die nächste Leistungsstufe erreicht sein. Wir haben aber eher einen Rückschritt als Fortschritt, da sollte sich die junge Generation oder auch die breite Masse, an dem orientieren, was er damals abgeliefert hat, wo er die Latte hochgelegt hat." Ganz gleich wie sich das Höhenbergsteigen weiterentwickelt hat, eines wird Reinhold Messner immer bleiben: 18. Zusp. Bernd Kullmann "Also die größte Leistung überhaupt war, dass er das überlebt hat. Dass er einen wahnsinnigen Trieb, einen Ehrgeiz hat, das hat man schon daran gesehen, dass er damals lebend wieder vom Nanga Parbat runter kam und das hat ihn auch die Folgejahre dazu getrieben, die 14 Achttausender voll zu machen. Aber dies in einem so souveränen Stil zu machen und dabei noch unbeschadet das Ganze zu überstehen, war für mich die größte Leistung überhaupt." Nachfolgende Generationen pflegen von den Vorgängern in der Regel wenig zu halten. Wer zur Lichtgestalt werden will, muss aus dem Schatten der Vorgänger heraustreten und selbst Strahlkraft entwickeln. Dennoch erkennt Thomas Huber, der Ältere der Huberbuam aus dem Berchtesgadener Raum, neidlos an: 19. Zusp. Thomas Huber "Der Reinhold ist ein großes Vorbild für mich, nicht so sehr vielleicht in seinen sportlichen Leistungen, die er vollbracht hat, weil ich natürlich meinen Alpinismus anders aufstelle als es Reinhold getan hat. Ich bin auch immer auf der Suche nach neuen Wegen, und was mich an Reinhold inspiriert hat, das ist, weil er ein Neuerer ist, neue Wege entdeckt hat und aufgezeigt hat, dass es funktioniert. Und genau diese Ideologie von Reinhold versuche ich auch in meinem Tun weiter zu leben." Und Stefan Glowacz, Extremkletterer aus Garmisch-Partenkirchen, schätzt zwar die Gipfelqualitäten des Südtirolers, aber mindestens genauso dessen Erzählqualitäten, die die Achttausender zu einer bekannten Größe in den Köpfen der Menschen gemacht haben. 20. Zusp. Stefan Glowacz "Ich muss sagen, dass wir alle nicht hier sitzen würden, wenn es den Reinhold Messner nicht gegeben hätte, oder geben würde, weil der Reinhold hat nach dem Luis Trenker wahrscheinlich dieses Talent, dass er, was er geleistet hat, auch einem großen Publikum darlegen kann und erzählen kann in einer faszinierenden Art und Weise. Auf der einen Seite kannst du natürlich ein hervorragender Bergsteiger sein, aber das heißt noch lange nicht, dass du so eine Ikone wirst wie der Reinhold. Und letztendlich hat er durch die Visionen, die er hatte, das Bergsteigen in eine andere Dimension gehoben." Abenteurer, die in den unwirtlichsten Gegenden der Erde selbst auf Expedition waren wie Thomas Huber wissen, dass die Achttausender in den 70er und 80er Jahren eine ganz andere Herausforderung darstellten als in der heutigen Zeit, in der kommerzielle Expeditionen an der Tagesordnung sind. 21. Zusp. Thomas Huber "Das Schwierige war das Unbekannte, definitiv, auch die Ungewissheit, wobei er hat schon immer diese Kaltschnäuzigkeit gehabt, immer das zu tun, was andere gesagt haben, dass es nicht möglich ist. Das hat den Reinhold ja schon immer gereizt. Und das Schwierige war auch, das Ganze gradlinig durchzuziehen. Er hat seine Grenzen neu definiert. Uns das ist etwas, was mich am Reinhold auch inspiriert, dass er niemals aufgehört hat, Grenzgänger zu sein." Musik CD 54067 (BR-Archiv), The Rick Wakeman New Age Collection, Zodiaque (Tony Fernandez & Rick Wakeman), Take 7 Aries, 25 Sek., LC 1421 Der Lhotsegipfel war der Schlusspunkt für Reinhold Messner im Kampf mit den 14 Achttausendern. Jeder Berg stellte andere Anforderungen an die Protagonisten. Doch im Gegensatz zu einem sportlichen Wettbewerb barg jeder Versuch das Risiko eines tödlichen Absturzes. Nicht umsonst spricht man von der Todeszone über einer Höhe von 7.500 Metern, in der - auf einen einfachen Nenner gebracht - die Luft dünner wird und das Gehirn langsamer arbeitet. Der Höhenmediziner Oswald Oelz analysiert die Statistik: 22. Zusp. Oswald Oelz "Eine konstante Absterbekurve von jenen, die es immer wieder machen, und der Reinhold ist auch ein paar mal relativ knapp davon gekommen, aber er hatte eben Glück in dieser Lotterie, außerdem hat er sich durchgebissen." Oelz kennt Messner wie kaum ein Zweiter durch viele Expeditionen und Klettertouren. Ist der Südtiroler ein Konditionswunder? 23. Zusp. Oswald Oelz "Es ist eine normal gute Physis, sie ist nicht außergewöhnlich, wir haben das ja ausgemessen, und es ist ein optimaler Gesundheitszustand, aber es ist dann in erster Linie eben die Motivation und diese ungeheure Energie, die in ihm brodelt und die er dann ganz gezielt einsetzen kann." Eines - so der Zürcher Chefarzt - habe er an Reinhold Messner immer bewundert: Er habe einen Instinkt dafür, wann das Risiko zu groß wird. Aber auch dafür, was er mit dem letzten Quäntchen Kraft und Können gerade noch schaffen kann. Aber das macht den Südtiroler keinesfalls zu einem furchtlosen Menschen. 24. Zusp. Oswald Oelz "Überhaupt nicht, dann wäre er schon lang tot. Die Angst, die die letzten Kräfte mobilisiert, ist ein ganz wesentlicher Bestandteil der Fähigkeit zu überleben und der Reinhold kann diese Angst wirklich aktivieren und produktiv umsetzen." Diese Fähigkeit hat dem Südtiroler Extrembergsteiger auch bei den Achttausendern geholfen. Reinhold Messners Bilanz: 31 Expeditionen zu den höchsten Bergen der Erde innerhalb von eineinhalb Jahrzehnten. 18 Mal stand er auf einem Gipfel über 8000 Meter. 13 Mal musste er vorzeitig umdrehen. Aus den gescheiterten Expeditionen habe er am meisten gelernt, bekennt er. Als Messner und Kammerlander den Lhotse-Gipfel vor Augen hatten, setzten sie noch einmal alles ein, so der Expeditionsbericht: Zit.: "Als wir zwischen den beiden Gipfelhörnern des Lhotse standen, zögerten wir einen Augenblick lang. Wir witterten die Gefahr. Aber die Gipfelnähe stärkte unsere Selbstsicherheit. Weiterzugehen bedeutete Abschluss. Am Gipfel war diesmal keine Zeit für Freude, nur die Angst, wieder herunterzukommen. Auch beim Abstieg mussten wir uns voll konzentrieren. Erst am nächsten Tag, als wir den Eisbruch überwunden hatten, und uns dem Basislager näherten, kam in mir so etwas wie Lebensfreude auf. Nicht in der Art: "Hurra, wir leben noch!", vielmehr die Freude, überhaupt am Leben zu sein." Dass Reinhold Messner durch seinen Stil Pionierarbeit an den Achttausender geleistet hat, ist unbestritten. Dazu zählt, dass er nie eine Sauerstoffmaske verwendet hat, in kleinen Teams und ohne vorher eingerichtete Hochlager geklettert ist, teilweise im Alpinstil, teilweise im Alleingang. Allerdings ist es ihm auch gelungen, den Ton des Bergsteigens zu verändern. Er hat das Heldenhafte und das Pathos der früheren Jahrzehnte abgelehnt und mit einer sachlichen, aber plastischen Sprache das Bergsteigen salonfähig gemacht. Seine Bilanz ist beileibe kein Helden-Epos: Zit.: "Nach den 14 Achttausendern kam ich mir weder wie ein Sieger noch wie ein Held vor. Ich hatte die Genugtuung, eine komplexe Idee, ein Ziel, das ich mir gestellt hatte, realisiert zu haben." Diese Idee war aber nicht schon bei Messners erstem Achttausender da, dem Nanga Parbat, den er 1970 mit knapper Not überlebte. Er verlor dabei seinen Bruder Günther, der in einer Eislawine ums Leben kam. Der Gedanke an eine Serie der 14 Achttausender kam erst viel später. 25. Zusp. Reinhold Messner "Bis Anfang der 80er Jahre war der Gedanke gar nicht denkbar, weil es politisch nicht möglich war, alle Achttausender zu machen. Der Kangchendzönga war lange Zeit umstritten in Nepal und Indien, man durfte ihn nicht besteigen, der Cho Oyu war verboten, lange Zeit sogar." Dabei fand Reinhold Messner in Hans Kammerlander für den Abschluss der Achttausender-Serie einen idealen Partner. 26. Zusp. Hans Kammerlander "Ich glaub? schon, wir waren ein perfektes Team. Er war der absolut erfahrene Taktiker, Planer, und ich war halt in der Zeit einfach ein Draufgänger. Er ist schon auch ziemlich ans Limit hingegangen, aber er hat gewusst, wann Schluss ist. Und das ist ganz entscheidend wichtig." Auch bei diesem perfekt eingespielten Team gab es lebensgefährliche Momente. Zum Beispiel bei der Überschreitung der Gasherbrum-Gipfel. Hans Kammerlander ging auf dem Gletscher voraus, da passierte es: Er stürzte in eine Spalte. 27. Zusp. Hans Kammerlander "Auf einmal war ich weg im Loch und hing unten wie ein Sack, weil ich hab? keinen Klettergurt gehabt aus Gewichtsgründen. Ich hab nur das dünne Seil um den Bauch gebunden gehabt wie der Trenker in seinen besten Zeiten, und hing auf einmal drunten in dem Loch. Das war sehr knapp und er hätte mich nie herausziehen können. Und ich hab? keine Steigeisen an den Füßen gehabt, weil da hat?s so gestollt. Und dann die Steigeisen vom Rucksack fischen und frei hängend die Steigeisen drankriegen, also wenn?s beim ersten Versuch net gelingt, des zweite Mal kriegst du die Beine nimmer hoch, ums Steigeisen zu fixieren. Und dann geht's schnell. Das war auch einer von den ganz kritischen Augenblicken." Kammerlander konnte sich letztlich mit den Steigeisen an den Füßen aus der eisglatten Spalte nach oben arbeiten. Wieder einmal überlebt! Bei den 14 Achttausendern ging es in erster Linie darum, wer die Nummer eins wird. In zweiter Linie ging es auch um die Frage des Stils. Menschen, die nahe dran sind am Bergsteigen, äußern sich voller Respekt über den sogenannten "sauberen Stil" von Reinhold Messner. Weg von der Großexpedition hin zum flexiblen, kleinen Team. Der Neu-Ulmer Alpinist Siegfried Hupfauer, der selbst acht Achttausender bestiegen hat: 28. Zusp. Siegfried Hupfauer "Das war eine sehr gute Entwicklung, er hat den Stil von der Cho Oyu - Erstbesteigung weiter geführt, mit ganz wenig Gepäck zu solchen Bergen ziehen, und mit ganz wenig Aufwand, mit getragenem Zelt - der reine Alpinstil, das hat er gezeigt, das ist leider wieder untergegangen. Jetzt sind das Monsterunternehmen." Die Experten - wie der Höhenmediziner Oswald Oelz und Bergführer Siegfried Hupfauer stellen besonders die Solotouren des Südtirolers in den Vordergrund. 29. Zusp. Oswald Oelz/Siegfried Hupfauer "Der Alleingang am Nanga Parbat kurz nach der Everestbesteigung, dann das Allergrößte, dieser Alleingang am Everest auf der Nordseite 1980. Er musste sich einrichten darauf, dass ihm niemand helfen kann, da war niemand, außer seinem Schatten nichts dabei. Und das war speziell am Everest eine ganz große Sache, super!" Gaby Hupfauer, die mit drei Achttausendern lange Zeit die erfolgreichste Höhenbergsteigerin Deutschlands war, kann diese extreme Anspannung beim Alleingang nachempfinden. 30. Zusp. Gaby Hupfauer "So Alleingänge: Deine Entscheidung muss die richtige sein, du darfst keinen Fehltritt machen, du musst eben immer voll konzentriert sein und das ist über so eine lange Zeit im Auf- und Abstieg fast nicht durchführbar." Das Bergsteigen an den Achttausendern hat sich gewandelt - seit der Zeit als Messner, Kukuczka und Loretan ihre Spuren in den Schnee zogen. Es war damals nicht besser, sondern anders. 31.Zusp. Reinhold Messner "Wir hatten einfach wilde Gebirge und das Ausgesetztsein gehörte dazu. Wir waren im Himalaya und kein Mensch daheim wusste, was wir gerade tun. Es gab kein Netz, es gab keine Verbindung zu einem Wetterfrosch, es gab keine Möglichkeit, sich von außen helfen zu lassen, um das Ganze zum Erfolg zu führen." Emotionen spielen auch an den höchsten Gipfeln der Erde eine große Rolle - allerdings in einer anderen Art und Weise, als wir es uns vorstellen. 31. Zusp. Reinhold Messner "Je höher ich hinaufsteige, umso enger wird die Überlebensmöglichkeit, wenig Sauerstoff, weit weg von jeder Zivilisation, der Sturm kann mich runterblasen. Am Lhotse wäre das nicht ganz ausgeschlossen gewesen. Umso weniger ist das Gipfelglück vorhanden, sondern das Glück kommt nachher." Die Achttausender haben Reinhold Messner in einer entscheidenden Phase seines Lebens geprägt. Haben ihm das Image eines Machers und erfolgreichen Bergsteigers eingebracht, der seine Abenteuer gut vermarkten kann. Rückblickend zieht er Bilanz: 33.Zusp. Reinhold Messner "Wir brauchen Glück, und auch ich hatte Glück, sonst können wir gar nicht überleben. Wir können nur dann und wann den Gipfel schaffen, aber je älter man wird, umso mehr man Erfahrungen gesammelt hat, gerade an den Achttausendern in meinem Fall, umso klarer wird, wie schnell man dabei umkommen könnte. Und die Kunst bleibt ja nach wie vor, es zu wagen und dabei nicht umzukommen. Wir sind im Verhältnis zu diesen Kräften, zu dieser Natur, zu dieser wilden, sich immer wieder ändernden chaotischen Natur, im Grunde nichts." Schlussmusik C 139631 (BR-Archiv) The Alan Parsons Project, Take 8 Mammagamma 3'34 Minuten, BIEM/GEMA. LC 0348. 1 1