Redaktion: Deutschlandradio Kultur / Die Reportage Titel: Gipfel der Entschleunigung Autor: Eberhard Schade Script Beitrag Atmo 1; Rhätische Bahn / Text auf Atmo Autor: Ich reise an wie Hans Castorp. Ganz klassisch, mit der Bahn. Der Rhätischen, einem Schweizer Kulturerbe. Knallrot von außen, blitzblank sauber innen. Vor mir, auf einen Klapptisch geklebt, eine Karte der Schweiz. Rechts außen, das Ziel. Davos. Atmo 1; Rhätische Bahn / Text auf Atmo Autor: "Jetzt aber geht es allen Ernstes ins Hochgebirge", schreibt Thomas Mann im Zauberberg, von einer "keuchenden Lokomotive" und "Kohlepartikeln" im Zugabteil. Die Rhätische schafft die Steigungen spielend. Und die Luft ist prima. Mir schräg gegenüber sitzt eine Russin. Sie trägt hautenge Jeans, eine viel zu große Sonnenbrille und Pelzjacke, tippt ununterbrochen Kurznachrichten in ihr Smartphone. Meins ist aus, ich habe kein Netz hier oben. Ich schaue auch viel lieber aus dem Fenster in das winterliche Heidi-Panorama. Kühe, Ziegen, Berge ziehen vorbei. Atmo 2; Ankunft Bahnhof / 2a Abholer / Text auf Atmo Autor: Kein "Mann im Livree, mit Tressenmütze" holt mich ab am Bahnhof Davos Platz wie damals Hans Castorp. Nein, Christian trägt Fleece- Pullover, Jeans und kommt wie ich vom flachen Land. Ob das gelingen kann, frage ich ihn, in nur zwei, drei Tagen zu entschleunigen? Etwas zu spüren vom Geist eines Romans, der den Müßiggang feiert wie kaum ein anderer? Fahren Sie doch erstmal rauf, sagt Christian. Und: der Chef wartet schon. Atmo 3; Seilbahn / Text auf Atmo Autor: Muss er auch, denn die über 100 Jahre alte Standseilbahn auf die autofreie Schatzalp hat nur zwei Kabinen. Und erst wenn eine davon oben ist, hält die andere unten. Der Blick aus der Kabine auf die Graubündner Berge ist atemberaubend. Der Luftkurort dagegen wird auch von oben nicht wirklich schöner. Flachdächer und Beton wuchern in alle Himmelsrichtungen. Mittendrin liegt das Kongresszentrum, dass alle paar Jahre vergrößert werden muss, weil immer mehr Schöne und Reiche zum Weltwirtschaftsgipfel kommen. Atmo 3; Seilbahn Ankunft / Text auf Atmo Autor: Oben angekommen, steigen ein paar verschlafene Skiläufer aus und auf ihre Ski und fahren einen Ziehweg Richtung Sessellift. Die Schatzalp ist nämlich beides, Hotel und Ski- und Wandergebiet. Dienstags und Donnerstags Führungen durch das ehemalige Luxussanatorium steht auf einem Schild am Rande des kleinen Platzes. Und: Herzlich Willkommen auf dem Zauberberg. Auf einem zweiten Schild gegenüber steht: Terasse geöffnet, daneben hängt eine Speisekarte. Elf Uhr. Hans Castorp würde jetzt sein erstes Kulmbacher trinken. Mir dagegen tippt ein Herr auf die Schulter. Atmo 4; Schritte auf Kies / Text auf Atmo Autor: Pius App ist Miteigentümer der Schatzalp, ein großgewachsener Mann mit weißen, mittellangen Haaren, wachen Augen und feinen, langgliedrigen Händen. Er trägt Jeans, Fleecepullover und einen 3- Tagebart. O-Ton App; take 1: Die Anlagen die wir haben, stehen auch an anderen Orten. Und die schämen sich, dass sie so alte anlagen haben. Und was wir machen ist, wir sagen: die alten Anlagen sind toll! Autor: 2003 übernimmt er das ehemalige Luxussanatorium. Erfüllt sich damit einen Traum. Seine Zielgruppe sind Familien und vor allem ältere Skifahrer. Ein Ort der Entschleunigung also - damals wie heute. Und nur 4 Minuten vom Zentrum Davos entfernt. Gefühlt mindestens 4 Stunden. Kommen sie, sagt App und geht den schmalen Weg in Richtung Sonnen-Terasse. Nach ein paar Schritten steht er vor einem eisernen Torbogen. Atmo 5; Torbogen / Text auf Atmo Hier ist der eigentliche Eingang. Durch diese Eisentüre hier, wenn man hier durchgeht, ist man eigentlich in einer anderen Welt ... Autor: Die Ruhe hier - fas schon gespenstisch. Richtung Süden liegt nur noch das Tal und dahinter wie auf einer kitschigen Fototapete das Bergpanorama. Atmo 6; Tinzenhorn / Text auf Atmo Autor: Ich stehe zum ersten Mal vor der Fassade des langgestreckten Jugendstilbaus und kann Thomas Mann verstehen. Dass er jeden Tag hierher aufsteigt, als seine Frau Katia 1912 unten im Tal zufällig eine Kur macht. Und er diesen Ort später zum Schauplatz seines Romans wählt. Von weitem, schreibt er, wirkt das Hotel "vor lauter Balkonlogen löchrig und porös wie ein Schwamm." O-Ton App; take 2: Das hat ja zu tun mit dem Heilungsprozess, die lagen ja da an der frischen Luft und die hat ihnen zu einem längeren Leben verholfen. Hier war die erste Klasse und das war die zweite Klasse, das war der Sinn dieser Gebäude. Autor: 27 riesige Balkone auf 3 Etagen, 81 exklusive Sonnendecks. Auf denen damals hustendene Großindustrielle und schwindsüchtige Adlige eingepackt in Wolldecken tagsüber ihre Liegekur machten. Wochen, Monate, manchmal Jahre wie Hans Castorp. Und abends wurde dann getanzt, gelacht, gesungen und auf den Korridoren geküsst. Die alten Holz- Fenster und Balkontüren hat App isolieren lassen, die Fassaden der Balkone so gelassen wie sie sind. O-Ton App; take 3: Die Sache die wir hier machen, das darf man gar nicht sehen, z.B. die Fenster. ... Die gesamte Fassade, das ist die Schatzalp, oder, so stellt man sich die Schatzalp vor. Atmo 7; Schritte / 7a Schritte im Schnee / Text auf Atmo Autor: 100 Meter weiter führt der Weg ums Haus vorbei an einem eingeschneiten botanischem Garten, dem Alpinum. "Fedrige Glockenblume" und "Eurasische Salomonsiegel" steht auf zwei der Plexiglas-Schildchen, die aus dem Schnee heraus ragen. Im Sommer, wenn es blüht, sagt App, dann brechen sie zusammen - so schön ist das. O-Ton App; take 4: Im nächsten Juni sehen wir dann, was überlebt hat. Autor: Weiter zur Ostseite des Berghotels. Hier führt eine Schlittenbahn bis nach Davos hinunter, im Sommer ein Anliefer- und Spazierweg. Das muss der Ort sein, über den Thomas Mann schreibt: "Dort müssen sie im Winter ihre Leichen per Bobschlitten herunterbefördern ..." App grinst nur, will jetzt aber weiter, sein Haus von innen zeigen. Stapft durch den Schnee in Richtung Hintereingang. Atmo 8; Hinten rein & Schritte innen / Text auf Atmo Autor: Wenig später steht er in einem der drei über hundert Meter langen mintgrün-gestrichenen Flure vor einem 14 Meter langen, schmalen Holzbuffet, verglast bis zur Decke - und voller Bücher. O-Ton App; take 5: Das ist also eine Bibliothek auf dem Stande von 1935, die damals sehr wichtig war. Da hat es Werke drin, was man damals brauchte, wenn man für mehrer Monate dort droben war. Nicht gerade eingesperrt, aber für mehrere Monate weg. Autor: Auf den ersten zwei Metern Goethe, Tolstoi, Hofmannsthals kleines Welttheater. In buntem Leder eingefasste Novellen, Erzählungen, Dichtungen, Dramen, Reisebeschreibungen. O-Ton App; take 6: Die Bibliothek haben wir gelassen, sie ist wie eine Zeitkapsel auf dem Stand von damals. Atmo 9; Hotelhalle / 9a Schritte innen / Text auf Atmo Autor: Wie in einer Zeitkapsel fühlt man sich auch im Rest des Hotels. Mit seinen Jugendstillampen, quietschenden Flügeltüren, den großen Panorama-Fenstern. Der vergitterte, tapezierte Aufzug, in den tatsächlich ein ganzes Bett passt, bringt Gepäck und Besucher in die großen Zimmer mit den alten, geschwungenen Armaturen in den Bädern. Und im Erdgeschoss, gleich neben dem schlichten Hoteleingang, liegt der weiße Speisesaal, in dem die Patienten im Zauberberg mit fetthaltigen Speisen und Haferbrei aufgepäppelt werden. Atmo 10; Speisesaal / Text auf Atmo Autor: Brokatgardinen und schwarz-weiße Marmorfliesen, genau wie im Roman. Sicher kommt jeden Moment Madame Chauchat durch die Glastür und lässt diese laut hinter sich zufallen ... Am Buffet aber stehen keine kranken, der Welt entrückten Gestalten wie im Roman, auch keine peinliche High-Society, sondern auffallend normal gekleidete Frauen und Männer. Viele ältere, aber auch junge Familien mit Kindern. Wissen sie, sagt ein Herr aus Westfalen mir später, in vielen Häusern wirkt die Atmosphäre so aufgesetzt. Das hat die Schatzalp nicht nötig - hier ist sie echt. Atmo 9/9.2; Hotelhalle / Text auf Atmo Autor: Pius App hat bewusst den kurzen Abstecher in den Speisesaal gemacht. Er sucht Brigitte Bernhard und Gabriele Weber, zwei Künstlerinnen aus Zürich. Die beiden sind Stammgäste und schon ein paar Tage hier. Wir verabreden uns in einer halben Stunde in der X-Ray-Bar. Atmo 9/9.2;Hotelhalle / Text auf Atmo Autor: Die liegt im alten Röntgen-Zimmer und ist allein schon wegen ihres Fußbodens Kult. Der ist aus Stein. O-Ton App; take 7: Weil wir haben Tangogruppen im Winter hier die tanzen Tango und fahren Ski, nicht gleichzeitig. Und die stehen auf das Ding da. Atmo 9/9.2; Hotelhalle / Text auf Atmo Autor: Thomas Mann dagegen bleibt der Kult-Status in Davos lange Zeit verwehrt. Die Leute hier, erzählt App, waren nach Erscheinen des Romans alles andere als amüsiert ... O-Ton App; take 8: ... weil ein paar der Charaktere, hat´s hier Leute gehabt, die sich erkannt haben. Logischerweise waren das Leute, die auch Einfluss gehabt haben. Und es kam dann wirklich dazu - der Thomas Mann hat sich nicht mehr hier hoch getraut. Ich glaub vor etwa 5 Jahren hat man sich das erste Mal getraut und gesagt: Ok, wir machen einen Thomas Mann Weg oder benennen eine Straße nach ihm. Autor: Aber nur eine kleine ... Erst später, als Mann für "Die Buddenbrooks" den Nobelpreis für Literatur bekommt, entspannt sich das Verhältnis. Atmo 9/9.2; Hotelhalle / Text auf Atmo Autor: Kaum hat sich App verabschiedet, setzt sich eine junge Frau im roten Mantel an meinen Tisch. Sie hat mich und den Hotelbesitzer schon eine Weile beobachtet. O-Ton Johanna W.; take 9: Hab sie heute morgen schon beim Frühstück gesehen mit diesem Herren und hab erst gedacht, dass sie Energie auspendeln ich hab nicht gesehen, dass das ein Mikro ist (lacht) ... Autor: Seit ich hier bin, erzählt sie weiter, ist um mich herum ganz viel Stille und Ruhe. Gleichzeitig aber kommen ganz viele Dinge in Bewegung. Dieser Ort, er beschäftigt die junge Frau. Vor allem das, was er mit ihr anstellt. Vielleicht hat sie deshalb einfach spontan eingecheckt. O-Ton Johanna W.; take 10: Ich hab gestern Früh meine Tasche gepackt und nachmittags saß ich auf dieser Terrasse und war so ganz bei mir und dann hab ich gesagt ja, ich frag jetzt und dann war noch ein Zimmer zur Sonnenseite frei, und dann musste ich das irgendwie buchen. Autor: Johanna Weweler arbeitet in einer Consulting Agentur. Als sie abends ihre Freundin in Zürich anruft, ihr von den ganz besonderen Energien und Schwingungen auf der Schatzalp erzählt, schwingt es munter weiter ... O-Ton Johanna W.; take 11: ... da sprang mir plötzlich eine Katze auf den Schoß und ich dachte ist das jetzt real? Ja, Dinge sind irgendwie hier anders oder erwecken Dinge in mir, vielleicht geht das anderen auch so, wäre schön. Autor: Wenn sie öfter hierher kommen, ist es wie nach Hause kommen, sagt Brigitte Bernhard, die sich jetzt mit ihrer Freundin dazu setzt und genüsslich eine filterlose Zigarette raucht. Beide Frauen tragen auffallend altmodische Kleidung, Brigitte eine dreiviertellange Kniebundhose aus Harris-Tweed mit dazu passender Weste. O-Ton Bernhard; take 12: Es erstaunt uns jedes Mal: wir sind schon so oft hier gewesen, das Gefühl und die Schwingungen der vergangenen Zeit sofort wieder da ist. Das ist toll, jedes Mal. Immer wieder ist man, wenn man da oben ist, mit den Nerven wieder schön runtergefahren. O-Ton Weber; take 13: Das Schöne ist ja auch, man kann sich echt abschirmen hier wenn man möchte, es hat zwar ein Radio aus den 60ern auf dem Zimmer, man kann Radio hören oder nicht, man kann die Zeitung lesen oder nicht und wenn man das nicht möchte, dann kann man hier ein Woche verbringen und rundum könnte heutzutage z.B. Gadaffi gestürzt werden, man merkt es nicht. Autor: Beide glauben, dass das daran liegt, dass das Haus eine Seele besitzt. O-Ton Bernhard; take 14: Man hat Momente in diesem Haus, ich hatte verschiedene, aber es gibt einen Moment in dieser Halle, wo ich zweimal in meinem Leben wirklich geweint habe und ich weiß heute nicht warum. Ganz ganz viele Leute haben ihr Leben hier gelassen oder ein neues bekommen, weil sie geheilt worden sind. Da ist schon so viel Seele da drin und das spürt man und das fühlt man da drin. Wenn es Geister hier gibt, da sind wir uns sicher, sind es gute. Autor: Gute Schwingungen, Seelen und gute Geister überall. Ich bin optimistisch, dass ich hier schnell entschleunige. Wenn nicht hier, wo dann? Nach einer Tasse Café entschließe ich mich zu einem Spaziergang. Atmo 11; Draußen / Text auf Atmo Autor: Nach Sturm wie bei Castorps Schneetraum sieht es draußen heute nicht aus. Die Sonne strahlt, der Himmel ist blau. Ich schlage zuerst den noch relativ neuen Thomas-Mann Weg ein. Er hat zehn Stationen, an jeder ist eine Tafel mit einem Zauberberg-Zitat befestigt. Bei Tafel 6, die das Leben als ein Mittelding zwischen Materie und Geist definiert, lasse ich den Dichterpfad links liegen. Ich pfeife auf eine Vision. Habe einfach nur Hunger und suche eine Hütte, auf der es etwas zu Essen gibt. Wenig später treffe ich Angelika Förg. Atmo 12; Spaziergang hoch / Text auf Atmo Ich lauf sehr gern, ich muss mich sehr viel ausruhen, ich find´s einfach traumhaft ... Autor: Die Seniorin ist mit Eisen und Stöcken unterwegs, geht langsam aber zielstrebig in Richtung Berghütte Strelapass. Immer wieder bleibt sie stehen, blickt runter ins Tal. Atmo 13; Spaziergang hoch / Text auf Atmo ... aber ist das nicht herrlich! ... ich bin sehr ängstlich. Es darf nicht steil sein, es darf nicht buckelig sein. Autor: Ihr Mann dagegen hat keine Angst. Er ist groß und weißhaarig, ein fantastischer Skiläufer. Die Pisten sind einsam, nur einige Kilometer lang, Lifte gibt es genau zwei! Deshalb begegnet Franz Förg seiner Frau auch immer wieder. Er winkt ihr dann oder ruft ihr zu, wann sich beide oben auf der Hütte treffen wollen, wenn er mit dem Schlepplift an ihr vorbei fährt. Wo gibt es noch so was, denke ich nur und steige weiter auf Richtung Pass. Atmo 14; Ankunft Alm & Atmo 15; Hütte innen / Text auf Atmo Autor: 2353 Meter über dem Meeresspiegel. Und noch ruhiger als unten. Kein DJ Ötzi, keine Hüttengaudi, kein Alm-Ballermann. Nur eine Handvoll Skiläufer und Schneewanderer, die in Klappliegestühlen in der Sonne dösen oder an einem langen Holztisch auf ihre Heusuppe oder ihre beschwipste Käseschnitte warten. O-Ton Förg; take 15: Oh, das ist vielleicht schön. Wenn sie jetzt hier noch bis auf den Buckel hochgehen, ich ´denke das ist Parsenn da hören sie da oben die Musik von da drüben - aber hier, das ist herrlich, das ist herrlich. Autor: Früher, erzählt ihr Mann Franz, war er ein ambitionierter Skiläufer, lief mit seinen Kumpel nur drüben die schwarzen Pistenb. Heute zieht es ihn hierher, auf die leichten Pisten mit dem echten Schnee. Die Ruhe, sie entspannt mich, sagt er. Der Trubel drüben - der stresst ihn nur. O-Ton Förg; take 16: Ich kann mich sehr gut einfühlen in Leute, die nicht so routiniert sind und dann verängstigt, weil ständig Leute hinter ihnen sind, die sie umschwirren und abdrängen. Autor: Alte, etwas ängstliche Läufer und Familien mit Kindern - will die Schatzalp locken. Und wirbt deshalb im Internet mit dem Begriff Slow Mountain. Und dem Versprechen: Unsere Anlagen fahren garantiert so langsam wie früher. Alt und langsam ist auf dem Zauberberg kein Makel. Im Gegenteil: Es ist toll! Angebote zur Entspannung braucht die Schatzalp nicht, der Ort an sich entspannt. Und das Konzept scheint aufzugehen. 2010 hat das Hotel 20 Prozent mehr Gäste als noch 2009. Franz Förg ist deshalb skeptisch. O-Ton Förg; take 17: Es ist tatsächlich so, man guckt ein bisschen links, man guckt ein bisschen rechts, man ist absolut sicher, man hat die Bahn hinter sich und vor sich niemand. Es ist natürlich die Frage, ob das so bleiben wird, denn wenn die Akzeptanz steigen wird, wird die Zahl der Teilnehmer steigen. Atmo 16; Hütte draußen / Text auf Atmo Autor: So lange es hier oben noch so schön überschaubar ist, sind auf der Terrasse fast immer Liegestühle frei. Wolldecken gibt es auch. 14 Uhr. Hans Castorp würde jetzt sein zweites Kulmbacher trinken. Ich bestelle auch eins und verordne mir eine Liegekur. Atmo 17; Spaziergang > Blende in Atmo 18; Lift / Text auf Atmo Autor: Abstieg in Richtung Schatzalp. Die Förgs sind längst unten, bis auf ein paar vereinzelte Skiläufer bin ich hier oben allein. Mit Abraham Hartmann, dem Bügelgeber, der unten am Schlepplift steht. Atmo 19; Liftmusik / Text auf Atmo Autor: Hartmann trägt ein großkariertes Wollhemd, darunter ein langärmliges weißes Unterhemd. Mit seinem dichten weißen Bart und seinem sonnengegerbten Gesicht sieht er aus wie eine Mischung aus Luis Trenker und dem Alm Öhi. 20 Jahre war er im Skigebiet drüben, hat Bügel verteilt. Dann wurde dort aufgerüstet, Hartmann ausgemustert. Bis Pius App kam, ihn auf die Schatzalp holte. Den Pensionär für die Pensionäre. App installierte ihm ein Internet-Radio - und plötzlich war alles so wie früher. Echter Schnee, echter Bügelgeber, echte alpenländische Musik - die Hudigeigi. Alle paar Minuten holt Hartmann einen Bügel runter, schiebt ihn unter einen Skiläufer-Popo. Das macht er mit links. Die rechte bleibt lässig in der Hosentasche. Weil so wenige Läufer kommen, wirkt hier oben selbst der Lift entschleunigt. Nein, sagt Hartmann, schmunzelt und schüttelt den Kopf, der ist nicht langsamer. O-Ton Hartmann; take 18: Wir fahren mit 3 Metern in der Sekunde, die Schnelligkeit ist genau wie andere auch. Die Skiläufer, ja wir haben hier zum großen Teil Kinder und Pensionierte, oder? Normalerweise haben wir so das ruhigere Volk da, wenn man das so sagen will. Da kennt man ja jeden wenn er kommt, zwei dreimal da gewesen ist, weiß man genau wer zu wem gehört. Das ist das schöne da, ja, die kommen alle immer wieder. Atmo 20; Bindung / Text auf Atmo Autor: Ich nehme ihn beim Wort und stehe am nächsten Morgen oben am Lift. Diesmal mit Skiern. Drüben und in jedem anderen Skigebiet kann man Skilehrer buchen. Auf der Schatzalp eine Skitherapheutin ... Karo Steinberg. Ich bin nicht krank und auch nie schlimm gestürzt. Dennoch hat mich Karo überzeugt: zu meiner totalen Entschleunigung gehört eine ganzheitliche Körperwahrnehmung. O-Ton Steinberg; take 19: Das bedeutet, ich versuche den Menschen die Bewegung klarzumachen und fange meistens in den Füßen an und gehe bis zum Kopf. Ich mach wie ´ne Körperreise durch den Körper und schaue was welches Körperteil wann genau beim Skifahren macht. Autor: Das verleiht Sicherheit, sagt sie, Leichtigkeit. Und fängt bei meinen Füßen an. Atmo 21; Steinberg / Text auf Atmo Jetzt schau Du erstmal auf deine Füße. Alles klar. Ok. Schwünge. Autor: Mir fällt nichts weiter auf. Nur, dass meine Füße viel lieber Links - als Rechtsbögen fahren. Atmo 21; Steinberg / Text auf Atmo Ja, das ist schon mal ganz ganz wichtig, dass ich für mich sehe, gibt es ein Bein, das für mich sich angenehmer anfühlt als das andere, dann muss man mit dem anderen mehr arbeiten. Das ist das schöne beim Skifahren, es geht um Symmetrie. Autor: Noch nie meine Stärke. Warum tue ich mir das hier überhaupt an? Da kommt Karo schon mit der nächsten Frage. Atmo 22; Steinberg / Text auf Atmo Gibt es irgendwelche Punkte, die du drückst beim Schwung? Irgendwelche Körperteile müssen ja den Schwung auslösen, sonst würdest du ja einfach nur geradeaus fahren. Atmo 23; Abfahrt / Text auf Atmo Autor: Wir fahren nochmal 200 Meter, bleiben wieder stehen. Und schweigen bis Karo mich rettet, mich freundlich über die drei Druckpunkte meiner Füße aufklärt: Ferse, Ballen, großer Zeh. Atmo 24; Steinberg / Text auf Atmo ... ganz spannende Sache der große Zeh, weil der große Zeh ist derjenige, mit der wichtigste Druckpunkt bei meinen Füßen. Das können wir mal ausprobieren. Wenn man Raucher ist, dann drückt man eine Zigarette in der Kurve aus oder man drückt eine Traube aus. In der Zeit, wo ich um die Kurve rumfahre, drücke ich den großen Zeh mit aller Kraft, die ich habe .... Autor: .. . dann geht der Rest wie von alleine, sagt Karo. Und lässt mich Kurve um Kurve imaginäre Weintrauben im Schnee ausdrücken. Mittags setzte ich mich dann - eingepackt in eine Wolldecke - wieder in einen Liegestuhl auf der Berghütte, bestelle wie Hans Castorp ein Bier. Und blicke von oben auf die Schatzalp. Sie liegt da wie ich. Sonnenbestrahlt. Zeitversetzt. Entschleunigt. ENDE