COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Zeitreisen, 20. Januar 2010 Die Reise ins Innere der Meere Jacques Piccard und die Tiefseeforschung von Dirk Asendorpf Länge: 28:35 Min. Besetzung: * Autor * Sprecherin * Zitator Cut 1: Atmo Meeresoberfläche, Wellen, Möwen, darüber: Zitator: 8:15 Uhr: Alles in Ordnung. Die Stromkreise funktionieren. Der Wind heult. Ein Brecher rollt über mich hinweg. Ich klammere mich an den Schnorchel, um nicht mitgerissen zu werden. Ich steige in die Kabine hinunter. Walsh folgt mir. Autor: Es ist der 23. Januar 1960. Jacques Piccard, der studierte Volkswirt und passionierte Ozeanograph aus der Schweiz und der US- amerikanische Marine-Leutnant Don Walsh wollen den letzten Rekord brechen, den die Erde noch zu bieten hat. Die Pole waren längst besucht, der höchste Berg sieben Jahre zuvor bestiegen worden. Jetzt machten sich Piccard und Walsh zur tiefsten Stelle auf, dem Challengertief im Marianengraben zwischen den Philippinen und der Pazifikinsel Guam. In seinem "Logbuch aus der Meerestiefe" beschreibt Piccard die Tauchfahrt zum elf Kilometer entfernten Grund. Cut 1: Atmo Meeresoberfläche, Wellen, Möwen, kurz hoch, dann darüber: Zitator: Wir schließen die Tür. Noch einige Minuten. Das Wasser rauscht in den Einstiegsschacht. Wir nehmen an Gewicht zu. Ich höre, wie die Ballastkammern sich füllen. Eine Minute lang pendeln wir noch wie verrückt. Plötzlich herrscht Ruhe. Die Ruhe aus der Tiefe, die bis unter die Meeresoberfläche reicht. Und das 65. Tauchunternehmen der Trieste beginnt. Cut 1 ausblenden. Sprecherin: Trieste war der Name des Tauchboots für den Rekordversuch. Piccards Vater Auguste hatte das Gefährt konstruiert und Bathyscaph genannt, eine Verbindung der altgriechischen Worte für "tief" und "Schiff". Autor: Die Idee hatte er schon als Student. Doch zunächst beschäftigte er sich als Physiker nicht mit dem Ab-, sondern mit dem Aufstieg. Als erster Mensch gelangte er 1931 mit einem Ballon 15 Kilometer hoch in die Stratosphäre. Welche Parallelen es zwischen dem Ausflug in die extreme Höhe und die extreme Tiefe gibt, erklärte Auguste Piccard im Sommer 1960 auf einer Tagung des Verbands Deutscher Ingenieure in Karlsruhe. Cut 2 (Auguste Piccard): Sie wissen: In der Stratosphäre kann man nicht leben, weil der Luftdruck zu gering ist. In der Tiefsee kann man nicht leben, weil der Druck zu groß ist. Beide Male muss man geschützt werden. In der Stratosphäre durch eine Kabine aus leichtem Aluminiumblech mit Innendruck. Diese Kabine ist schwerer als Luft und sie wird getragen durch einen Ballon, der gefüllt ist mit einem leichten Gas, mit Wasserstoff. Um in die Tiefsee zu gehen, müssen wir eine Kabine haben, die schwer, die sehr fest ist, einen Druck aushält von tausend Kilo pro Quadratzentimeter und die viel schwerer ist als Wasser. Die muss getragen werden. Für große Tiefen kommt ein Tragkabel nicht in Betracht. Diese Kabine wird befestigt an einem Schwimmkörper, der sie trägt. Und der Schwimmkörper entspricht dem Ballon, nur dass er statt Gas hat er Benzin als Füllung und statt der Stoffhülle, Tuchhülle gummiert, hat er Eisenblech, starkes Eisenblech. Sprecherin: Benzin ist leichter als Wasser und sorgt damit für den nötigen Auftrieb. Damit die dünnen Blechwände der Benzinbehälter unter dem extrem hohen Wasserdruck der Tiefsee nicht bersten, sind sie nach unten offen. So kann Meerwasser eindringen und für einen ständigen Druckausgleich sorgen. Das leichtere Benzin wird dabei nach oben gedrückt, kann aber nicht entweichen. Trotz aller Ähnlichkeit mit einem Ballon gibt es auch einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Schweben in der Luft und dem Schweben im Wasser. Cut 3 (Auguste Piccard): Beide Male haben wir die gleichen Begleiterscheinungen: wenn wir raufgehen, müssen wir Ballast abgeben. Und wenn wir runter gehen, müssen wir Ventil ziehen, entweder Gas oder Benzin ablassen. Der Unterschied im Ballast ist nur der: Wenn ein Ballon keinen Ballast mehr abgeben kann, dann landet er eben, dann ist die Fahrt fertig. Und wenn ein Tiefseeboot runterkommt und keinen Ballast geben kann, dann landet es auch, aber es landet unten im Meer, und dann ist auch fertig. Autor: Und mit ihm die Besatzung. Denn in der Tiefe gibt es keine Hilfe. 1960 war die Trieste das erste und einzige Tauchboot, das es tiefer als 5.000 Meter schaffen konnte. Ein von Auguste Piccard erdachter Mechanismus sollte seinem Sohn Jacques und dessen Begleiter als Lebensversicherung dienen. Sprecherin: Der Ballast der Trieste bestand aus 32 Tonnen Eisenschrot, in zwei Silos von starken Elektromagneten festgehalten. Wurde der Stromfluss unterbrochen, rieselte der Schrot langsam heraus. Wäre die Stromversorgung aus irgendeinem Grund ganz ausgefallen, hätte sich mit der Zeit der gesamte Ballast gelöst und das Tauchboot wäre zur Meeresoberfläche zurückgekehrt. Autor: Und wenn die Öffnungen bei der Landung auf dem Meeresgrund verstopfen würde? Auch daran hatte Vater Piccard gedacht. Cut 4 (Auguste Piccard): Nun, das wäre noch nicht schlimm. Der ganze Ballastbehälter hängt an einer Kette, und oben am Boot ist ein Elektromagnet, der ihn hält. Der trägt es. Und im schlimmsten Fall könnte man diesen Strom auch unterbrechen, und dann würde der ganze Ballast runterfallen und man käme doch wieder rauf. Das ist die Sicherheit. Cut 5: Atmo Tauchboot, darüber: Zitator: 10:15 Uhr: Vier Stunden lang Tauchen ohne besondere Ereignisse. Bei 450 Meter wird es dunkel. Der Pazifik ist hier weniger durchsichtig als das Wasser um Capri. Es wird uns jetzt bewusst, dass wir erst vor zwei Monaten noch auf 5.600 Meter und vor 15 Tagen auf 7.025 Meter getaucht sind. Wir sind jedes Mal ein wenig tiefer ins Unbekannte eingedrungen; heute aber wird der große Sprung folgen. Cut 5 ausblenden. Autor: In der Geschwindigkeit eines Fahrstuhls, einen Meter pro Sekunde, geht es abwärts. Der Wasserdruck steigt, alle 10 Meter um ein weiteres Bar. 2,18 Meter Durchmesser und 12 Zentimeter Wandstärke hat die Stahlkugel, in der die beiden Tiefseefahrer eingezwängt sind. Geschmiedet wurde sie in Essen. Ein halbes Jahr nach dem Tauchrekord antwortet Jacques Piccard dort auf die Fragen eines WDR-Reporters. Cut 6 (WDR-Interview 1960): Interviewer: Aber jetzt eine ganz persönliche Frage, Herr Piccard. Wenn man so tief unten ist, also ich gestehe es ehrlich: Ich hätte Angst. Wie war's bei Ihnen? Ja warum Angst? Wenn man Angst hat, sollte man zuerst wissen warum. Interviewer: Ich hab mir sagen lassen, dass auf diese Stahlkugel ein Druck lag in dieser Tiefe von 172.000 Tonnen, das entspricht etwa dem Gewicht von vier Schlachtschiffen. Ich meine das Gefühl: Wird die Kugel diesen Druck aushalten? Ja natürlich, dafür hatte man eine Kugel. Das ist viel zu viel für uns, aber für die Kugel war es ganz gut. Die Kugel war ganz genau von meinem Vater gerechnet worden und ganz gut von der Firma Krupp gebaut und dafür sollte man keine Angst haben. Sowieso hatte man keine Zeit dafür. Wir hatten so viel zu tun, zu beobachten, zu arbeiten, zu messen. Das kam gar nicht in Frage. Interviewer: Wie lange waren Sie überhaupt unten? Die ganze Tauchfahrt dauerte ungefähr neun Stunden. Cut 7: Atmo Tauchboot, darüber: Zitator: 11:45 Uhr: 8.860 Meter. Jetzt sind wir so tief unter dem Meer wie der Mt. Everest darüber aufragt. Im Lichtkegel der Scheinwerfer ist das Wasser kristallklar. Kein Meerschnee und nicht die geringste Spur von Plankton. Es ist eine riesige Leere, unfassbar in ihrer Weite. Unter uns liegt immer noch eine Wasserstrecke von vielleicht zwei Kilometern. Werden wir Fische sehen? Mein Gott, hoffentlich wenigstens einen einzigen! Damit könnten wir eine Frage beantworten, die Ozeanographen in aller Welt sich seit Generationen stellen: Können Fische in Tiefen über 10.000 Meter noch existieren? Bei einem Druck von tausend Atmosphären oder tausend Kilogramm auf den Quadratzentimeter? In einem Wasser, dessen Temperatur sich null Grad nähert und in dem jegliches Sonnenlicht fehlt? Cut 7 ausblenden. Autor: Je stärker der Wasserdruck auf der Stahlkugel lastete, desto fester wurden die drei Segmente aufeinander gepresst, aus denen sie mit einem Spezialharz zusammengeklebt worden war. Kein Tropfen Wasser sickerte hinein. Sprecherin: Erst in theoretischen 20 Kilometern Tiefe, so hatten es die Ingenieure berechnet, würde die Kugel bersten. In ihrem Inneren war die Luft kühl und trocken. Frischer Sauerstoff kam aus Druckflaschen, das ausgeatmete CO2 wurde mit Alkali-Patronen entfernt. Cut 8: Atmo Tauchboot, darüber: Zitator: 12:20 Uhr: 10.000 Meter. Eine schöne Ziffer. Alles geht gut vonstatten. Wir sinken langsam in diese traumhafte Stille, die ebenso in tausend und 5.000 wie bei 10.000 Meter herrscht. Plötzlich ein Krach! Eine heftige Erschütterung, ein dumpfer Schlag. Was ist geschehen? Sind wir auf Grund gestoßen? Nein, wir sinken weiter. Ist vielleicht eine Schweißnaht der Schwimmkammern geplatzt? Verlieren wir Benzin? Wir müssen umgehend wissen, ob dies der Fall ist. Ich bremse die Trieste, und sie hält folgsam still zwischen zwei Wasserschichten, nachdem sie einen Augenblick lang zu zögern scheint. Cut 8 ausblenden. Autor: Wenig später stellte sich heraus, was passiert war: die überlebenswichtigen, mit Benzin gefüllten Auftriebskörper waren unversehrt, auch die Stahlkugel, in der die beiden Tiefseefahrer hockten. Nur die äußere Einstiegsluke aus Plexiglas, die gar keinem Druckunterschied ausgesetzt war, hatte sich von ihrem Metallrahmen gelöst. Eine Gefahr bedeutete das vorerst nicht, die Rekord-Tauchfahrt konnte weitergehen. Cut 9: Atmo Tauchboot, darüber: Zitator: 13:06 Uhr: Der Meeresgrund! Eine weite, glatte, helle Fläche, die sich am Horizont - so weit sie beleuchtet ist - verliert. Eine Wüste von hell zimtfarbenem Schlick. Unser Scheinwerferlicht konzentriert sich auf einen immer engeren Kreis, der dadurch umso heller beleuchtet wird, vor allem im Bereich der letzten Tauchmeter. 10.916 Meter. Und was sehen wir da plötzlich vor uns, unbeweglich, wie eingeschlafen, zur Hälfte im Sand eingegraben? Nicht sehr groß, 30 Zentimeter etwa. Nicht sehr breit: ungefähr 15 Zentimeter. Mit zwei großen Augen auf ein und derselben Kopfseite; ein Fisch, der einer Seezunge ähnelt. Ein richtiger Tiefseefisch; kein Fisch, der uns von der Oberfläche her begleitet hat. Will er uns als Ozeanographen vielleicht narren? Cut 9 ausblenden. Sprecherin: Biologen hatten bereits vermutet, dass es auch in der ewigen Dunkelheit und unter dem extremen Wasserdruck sehr großer Meerestiefen Fische geben würde. Lebendig hatte sie aber noch kein Mensch gesehen, denn den Druck- und Temperaturunterschied auf dem Weg an die Meeresoberfläche überleben sie nicht. Nicht nur aus diesem Grund war die Beobachtung durch die 18 Zentimeter dicken, handtellerkleinen Plexiglasbullaugen der Trieste von großer Bedeutung. Cut 10 (Jacques Piccard): Wir haben einen Fisch gesehen, das heißt im Wasser gibt es auch Sauerstoff. Das heißt, dass es Unterwasserströmungen gibt. Das wusste man ungefähr früher auch, aber es ist eine sehr wichtige Bestätigung. Autor: Und eine politisch brisante: denn Anfang der 60er-Jahre war es durchaus üblich, hochgiftige Abfälle einfach ins Meer zu verklappen. Ernsthaft wurde sogar darüber nachgedacht, die sogenannten Subduktionszonen der Tiefseegräben als Endlager für den radioaktiven Abfallberg der aufkommenden Nuklearindustrie zu nutzen. Im Marianengraben schiebt sich eine Erdplatte über eine andere. Wenn die dabei langsam ins flüssige Erdinnere gedrückt wird, nimmt sie den strahlenden Atommüll einfach mit, bevor er Schaden anrichten kann, so die Theorie. Die Flunder am Grund des Marianengrabens waren ein Beweis dafür, dass sie falsch war. Denn wenn frisches Wasser selbst zu den tiefsten Stellen der Tiefsee strömt, dann wird im Gegenzug verseuchtes Wasser an die Oberfläche gelangen. Cut 11 (Jacques Piccard): Das heißt, es könnte sehr gefährlich sein, die Atomabfälle im Meer wegzuwerfen. Das ist nicht ganz neu, aber es ist eine gute Bestätigung, die wir gefunden haben. Sowieso soll man sehr, sehr vorsichtig sein mit diesen Atomabfällen. Autor: 37 Jahre alt war Piccard, als er den Grund des Marianengrabens erreichte. Weiteren Rekorden ist er nicht mehr nachgejagt. Was sich 1960 bereits andeutete, wurde sein zentrales Lebensthema: der Schutz der Meere. In seiner Schweizer Heimat gründete Piccard eine Stiftung für die Erforschung und Bewahrung des marinen Lebens und entwickelte große Skepsis gegenüber dem Glauben an den technischen Fortschritt, der Anfang der 60er-Jahre noch weitgehend ungebrochen war. 1990, im Alter von 68 Jahren, resümierte Piccard: Cut 12 (Jacques Piccard, 68jährig): Mehr Technik hat man, mehr Luxus usw. Das Leben scheint besser zu sein, aber natürlich man fabriziert so viel und alles, was man einmal fabriziert, wird einmal Abfall sein. Das kann nicht anders sein. Das kann Rauch sein, das kann Pulver sein oder schlechtes Wasser sein usw. Und alles das kommt ein bisschen in die Luft und in die See, manchmal zuerst in die Luft und dann in die See. Und wenn man weiß, dass nur ungefähr ein Zehntel der Weltbevölkerung das machen kann und neun Zehntel das auch machen möchten, dann sieht man, dass das endlich ein furchtbares Problem für die Erde wird und für die Menschheit. Cut 13: Atmo Tauchboot, darüber: Zitator: 13:36 Uhr: Eine halbe Stunde ist seit unserer Ankunft auf dem Grund vergangen. Gleichgültig gegen den Druck von fast 170.000 Tonnen, der auf ihrer Metallkugel lastet, hält sich die Trieste elegant im Gleichgewicht. Wir konnten beobachten, was wir uns vorgenommen hatten und hatten sogar die Möglichkeit, einen Fisch, eine Garnele und eine kleine Meduse zu sehen. Auch haben wir einige Messungen über Radioaktivität vorgenommen. Wir können also mit gutem Gewissen wieder aufsteigen. Cut 13 ausblenden. Autor: Jacques´ Vater Auguste war 1931 so hoch in die Atmosphäre aufgestiegen wie kein Mensch vor ihm. Jacques´ Sohn Bertrand gelang 1999 als erstem Menschen eine vollständige Erdumrundung ohne Zwischenlandung im Ballon. In drei Generationen hat die Familie Piccard spektakuläre Rekorde erzielt. Doch darum sei es ihm überhaupt nicht gegangen, versicherte der Tiefseetaucher Jacques schon kurz nach seiner Tauchfahrt. Cut 14 (Jacques Piccard): Interviewer: Herr Piccard, damit haben Sie ja den absoluten Weltrekord aufgestellt. Ja sicher, aber wir haben das nicht dafür gemacht. Wir haben das gemacht, weil wir hatten viele wissenschaftliche Beobachtungen zu machen und auch, weil mein Vater und ich selbst zeigen wollten, dass der Bathyscaph gebaut ist, um so tief zu gehen. Ich meine, dass er jetzt überall in der Welt gehen kann. Das war die Sache. Man kann nicht nur in einer Tauchfahrt viele Beobachtungen machen, man sollte sehr viel mal tauchen natürlich. Aber es war sehr wichtig, einmal bis an den Grund zu gehen, um zu wissen, dass jetzt die Ozeanographen, die Ozeanologen irgendwo in der See mit der Trieste tauchen können - ganz ohne Angst zu haben und ohne Schwierigkeiten. Autor: Der Reporter des WDR reagierte mit leichtem Unglauben auf Piccards Behauptung, ihm sei es gar nicht um den Rekord gegangen. Cut 15 (Jacques Piccard): Sie waren nun 11.000 Meter tief, tiefer geht's nicht mehr ... Dann sollte ich weniger tief gehen. Und das ist noch interessant genug? Sowieso ist es interessant, es gibt viele Gebiete bis 1.000 Meter oder 4.000 Meter, die sehr sehr wichtig für die Menschlichkeit sind und die gar nicht bekannt sind. Die noch nicht erforscht sind und die ja doch von einiger Bedeutung für die Menschheit sind, wenn wir daran denken - denken wir an die Fische was da noch für Möglichkeiten für die Ernährung liegen. Ja, Fische und viele, viele Sachen. Man kann 1.000 Meter tauchen im Mittelmeer und dann in der Nordsee und dann im Atlantik oder im Pazifik und es wird immer etwas anderes sein, auch wenn die Tiefe immer die gleiche ist. Sprecherin: 70 Prozent der Erdoberfläche sind von Ozeanen bedeckt, über die Hälfte davon liegt als Tiefsee in ewiger Dunkelheit. Ihre Geheimnisse gibt sie nur äußerst zögernd preis. Auch 50 Jahre nach Piccards Rekord hat sie die Faszination des Unbekannten behalten. Cut 16: Atmo Tauchfahrt-Simulation im Universum, darüber: Sprecherin: Eine Fahrt im virtuellen Tauchboot gehört heute zu den Höhepunkten eines Besuchs im Bremer Science Center, genannt Universum. Tobias Wolff, der Ausstellungsleiter, ist selber studierter Meereswissenschaftler. Cut 17 (Tobias Wolff): Damals ging's vor allem darum, da diesen Rekord auch aufzustellen, in den tiefsten Punkt der Erde hinunter zu tauchen. Aber der ist eben wissenschaftlich nicht so interessant wie viele andere Zonen, wo man nicht ganz so tief braucht. Die mittelozeanischen Rücken, es sind aber auch an den Kontinentalabhängen interessante Bereiche, da wo eben auch häufig diese Unterwasserlawinen, sogenannte Trübeströme, stattfinden können. Das Allermeiste kennt man noch gar nicht im Ozean, es ist schlechter erforscht als der Mond. Cut 16 kurz hoch, dann ausblenden. Über die Blende: Autor: Einer, der sein gesamtes Arbeitsleben mit der Erforschung der Tiefsee verbringt, ist der Bremer Meeresgeologe Gerhard Bohrmann. Der Bestsellerautor Frank Schätzing hat ihm in seinem Roman "Der Schwarm" aus Dank für die wissenschaftliche Beratung eine Rolle gegeben. Knapp überlebt er dort den dramatischen Angriff eines Hais. Im echten Leben hat Bohrmann so etwas noch nicht erlebt, doch Überraschungen bietet ihm die wissenschaftliche Arbeit immer wieder. Ungeahnte Quellen und Vulkane. Cut 18 (Gerhard Bohrmann): Die heißen Quellen, die hat man 1979 entdeckt, 78/79, und da sind chemosynthetische Organismen, eine Biomasse, Organismen, die völlig anders am Meeresboden leben als an Land. An Land ist alles von der Sonne gesteuert, wir haben Photosynthese und ein Leben, das auf die Sonne aufbaut. In der Tiefsee gibt es diese Organismen, die von chemischen Substanzen leben, also ein völlig abgekoppeltes Leben, was wir damals noch nicht kannten. Und es gibt nicht nur diese heißen Quellen, es gibt auch die kalten Quellen, es gibt Gashydrate, es gibt also sehr, sehr viel mehr am Meeresboden. Wir haben 2003 im Golf von Mexiko Asphaltvulkane gefunden, ein Phänomen, das kannte man bis dahin noch überhaupt nicht. Sprecherin: Anders als bei der Erforschung von Monden und Planeten sind die Mittel der Fernerkundung unter Wasser äußerst begrenzt. Während Satellitenkameras Objekte von der Größe eines Autonummernschilds aus dem All aufnehmen können, liefern selbst die besten Echolote nur ein grobes Bild des Meeresbodens. Der 20 Meter hohe Schlot eines Schwarzen Rauchers oder ein kleiner Schlammvulkan sind darauf nicht zu sehen. So wurden die meisten Entdeckungen in der Tiefsee bisher eher zufällig gemacht. Cut 19: Atmo Tauchboot, darüber: Zitator: 14:30 Uhr: Das Aufsteigen verläuft ohne nennenswerte Ereignisse. Die Form der Trieste ist ausgezeichnet, ihre Stabilität perfekt. Während dieser 11.000 Meter Aufstieg keine einzige Erschütterung und kein Knarren! Das Benzin dehnt sich aus und verdrängt das Meerwasser, das in die Brennstoffkammern während der Abwärtsfahrt und auf dem Grund eingedrungen ist. Das Boot wird leichter und beschleunigt seinen Aufstieg wie vorgesehen. Cut 19 ausblenden. Sprecherin: Technisch hat der Bathyscaph den Weg bis in die tiefste Tiefsee geöffnet. Durchgesetzt hat sich das piccardsche Tauchbootprinzip allerdings nicht. Weltweit wurden zwischen 1948 und 1968 nur fünf Bathyscaphe gebaut, der letzte bereits 1980 wieder ausgemustert. Zwar kamen die klobigen Unterwasserballons zuverlässig hinunter und herauf, manövrieren konnten sie mangels Antrieb jedoch kaum. Für die Erforschung größere Gebiete des Meeresbodens waren sie deshalb ungeeignet. Ihr Einsatz war teuer und bei hohem Wellengang auch nicht ungefährlich. Deshalb wird die Tiefsee heute fast nur noch mit wesentlich kleineren und wendigeren unbemannten Fahrzeugen, sogenannten remotely operated vehicles, kurz ROVs erforscht. In der großen Halle des Bremer Zentrums für marine Umweltwissenschaften warten einige von ihnen auf den nächsten Einsatz. Cut 20 (Gerhard Bohrmann): Das ist unser Quest 4.000, das ist der Roboter, den wir in Bremen hier einsetzen. Dieser Tauchroboter hat eine Kabelverbindung zum Schiff, und alle Personen, die mit dem Tauchen zu tun haben, sitzen also auf dem Schiff, können verfolgen an Monitoren, was los ist. In diesem Kontrollcontainer, das sieht ein bisschen so aus wie in nem Tauchboot, aber ist natürlich wesentlich mehr Platz und man hat auch die Kommunikation zum Schiff, zum Kapitän. Sprecherin: Und anders als ein Bathyscaph kann der signalrot angestrichene Hightech-Würfel tagelang in der Tiefsee bleiben. Autor: Heute wird die Entwicklung von Unterwasserfahrzeugen nicht mehr von der Jagd nach Rekorden, sondern vor allem von den Explorationen der Offshore-Industrie angetrieben. Öl und Gas fördern die Unternehmen bereits aus mehreren tausend Metern Meerestiefe. In Zukunft werden dort womöglich auch noch Methanhydrate oder Manganknollen abgebaut. Cut 21 (Gerhard Bohrmann): Wenn Sie hier oben das AUV sehen, dieses torpedoartige gelbe Gebilde, das ist so ein Gerät, was man in der Exploration wiederum einsetzen kann, das kann also autonom am Meeresboden verschiedene Kurse abfahren und dabei vermessen, wie zum Beispiel Manganknollen verteilt sind. Manganknollen ist ein Thema, was man als Rohstoff in der Zukunft wahrscheinlich nutzen wird und da werden schon Untersuchungen gemacht mit solchen autonomen Fahrzeugen. Autor: Der Meeresboden als Rohstofflieferant für die Metallindustrie der Zukunft - dem 68jährigen Jacques Piccard hat diese Spätfolge seiner Expedition in die Tiefsee gar nicht gefallen. Cut 22 (Jacques Piccard, 68jährig): Man soll, ehe man diese Manganknollen an die Oberfläche bringt für die Industrie, man sollte das Problem besser studieren und man sollte wissen: Was wird passieren, wenn man Millionen Tonnen davon nimmt. Man weiß das nicht. Das kann für dieses Zooplankton alles ändern, das dort unten ist und dann für die Fische usw. Das Ganze Leben des Meeres könnte sich ändern, wenn man das macht. Das ist, wie wenn man zu viele Bäume verbrennt, es wird sehr schlimm für die Erde sein. Und die gleiche Sache kann unter Wasser passieren. Cut 23: Atmo Tauchboot kehrt an die Meeresoberfläche zurück, darüber: Zitator: 16:56 Uhr: Fast auf die Minute genau haben wir die vorgesehene Zeit eingehalten. Das wilde Schwanken des Bathyskaphs zeigt uns sofort an, dass sich die Meeresoberfläche seit unserem Eintauchen nicht beruhigt hat - im Gegenteil: Sie ist noch bewegter geworden. Über uns kreuzen die Schlauchboote, die die Matrosen des Schleppers herbeibringen, der die Trieste ins Schlepptau nehmen soll. Cut 23 ausblenden. Autor: Nach dem Rückflug von Guam über Hawaii und San Diego wurden Piccard und Walsh von US-Präsident Eisenhower im Weißen Haus persönlich empfangen und ausgezeichnet. Zweieinhalb Jahre nach dem Sputnik-Schock hatten die USA im Kalten Krieg erstmals wieder einen kleinen Sieg über die Sowjetunion errungen. Die tiefste Stelle der Ozeane war zuerst von einem amerikanischen Tauchboot besucht worden. Erfunden und gesteuert hatten es zwar zwei Schweizer, doch zur Finanzierung ihres Projekts waren Vater und Sohn Piccard gezwungen gewesen, ihre Trieste an die US-Navy zu verkaufen. Einige Jahre wurde sie noch für die Suche nach gesunkenen U-Booten eingesetzt, dann landete der Bathyscaph im Navy-Museum von Keyport im US-Bundesstaat Washington. Cut 24: Atmo Fischstimmen, darüber: Autor: In der tiefsten Tiefsee kehrte wieder Stille ein, gestört höchstens von den merkwürdigen Lauten des einen oder anderen Fisches. Die Trieste blieb das einzige bemannte Fahrzeug, dass es tiefer als 7.000 Meter schafft. Weltweit sind heute gerade einmal fünf Tauchboote im Einsatz, die unterhalb von 4.000 Metern operieren können, ein japanisches, ein französisches, ein amerikanisches und zwei russische. Alle gehören sie Forschungseinrichtungen. Die Militärs haben das Interesse an der Tiefsee verloren. Dafür gehen heutzutage ab und zu Millionäre auf private Tauchfahrt. Cut 25 (Gerhard Bohrmann): Der Tourismus ist etwas, was zugenommen hat, weil es natürlich Leute gibt, die sehr gerne in Tauchbooten zum Meeresboden tauchen. Und die beiden Mir-Tauchboote, die auf der Keldysch stationiert sind, die werden dazu genutzt, um Touristen an attraktive Punkte zu bringen, also zur Bismarck oder zur Titanic. Und das ist etwas, was leider nicht unterbunden werden kann, weil man versucht, mit diesen Tauchbooten natürlich auch Geld zu machen. Autor: Auch geopolitisch hat ein Tauchboot für Schlagzeilen gesorgt. Im August 2007 rammte die russische MIR eine Fahne aus Titan in den über 4.000 Meter tiefen Meeresgrund unter dem Eis des geographischen Nordpols. Eine symbolische Inbesitznahme, die von den anderen Anrainern der Arktis heftig kritisiert wurde. Der Grund des Marianengrabens bekam noch zweimal Besuch von unbemannten Tauchrobotern. Doch der Rekord von Piccard und Walsh war bis heute niemals in Gefahr. Cut 26 (Gerhard Bohrmann): Wenn es in Zukunft jemanden gibt, der besonders viel Wert darauf legt, das will ich also nicht ausschließen, jemand der besonders viel Geld dafür her gibt, denn die Kugel muss aus Titan gebaut werden, und so etwas dann baut, ja, dann kann das ja vielleicht stattfinden. Aber ich kann mir das eigentlich nicht vorstellen. Ich glaube, die Zeit ist vorbei. Für wissenschaftliche Zwecke können wir mit Tauchrobotern arbeiten. Also ich denke, aus wissenschaftlicher Sicht macht es keinen Sinn, große Tauchboote zu bauen. Autor: Piccards amerikanischer Begleiter Don Walsh blieb noch bis 1975 als U-Boot-Offizier bei der Navy, wechselte dann als Professor für Ozeanographie an die University of Southern California und gründete ein amerikanisch-russisches Beratungsunternehmen für Arbeiten in der Tiefsee. Jacques Piccard entwarf für die Weltausstellung 1964 in Lausanne das größte nicht-militärische U-Boot, mit dem innerhalb eines Jahres über 30.000 Touristen den Grund des Genfer Sees beobachten konnten. Bis ins hohe Alter nahm Piccard an Tauchfahrten teil. Der engagierte Umweltschützer starb im November 2008 im Alter von 86 Jahren in der Schweiz. Cut 27: Tauchboot an der Meeresoberfläche, Wellen, Möwen, darüber: Sprecherin: Sein Logbuch aus der Meerestiefe, die Beschreibung der Rekordfahrt zum Marianengraben, endet lapidar. Zitator: Das 65. Tauchunternehmen der Trieste ist ein Erfolg. So wie jede Tauchfahrt, die an der Meersoberfläche endet. Cut 27 kurz hoch, dann ausblenden. E N D E 1 12