COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport 23.02.2012, 13.07 Uhr Kleine Sprachgeschichte. Oberlausitzisch Oder: Warum die da so anders sprechen - Autor Matthias Biskupek Redaktion Claus Stephan Rehfeld Sendung 23.02.2012 - 13 Uhr 07 Politisch gehört das Gebiet zwar zu Sachsen, sprachgeschichtlich aber zum Ostmitteldeutschen. Mag man das Sächsische als sehr eigenartig bezeichnen, so kommt Oberlausitzisch sehr merkwürdig daher. Der rollende Zungenlaut kommt so gerollt daher, dass man dort zu DDR-Zeiten das Wort „Wirrwarr" in dieser dumpf grollenden Aussprache schnell auf den Sozialismus hätte beziehen können. Heute drückt es die Wirklichkeit aus. Wenig verwunderlich also, dass der Karl Valentin wurde, wie er war. Seine mütterlichen Wurzeln hatte er in dieser Region – und in einem Zittauer Hotel begann er seine große Humoristen-Karriere. Doch genug der Vorrede, jetzt wird phonetisch gequirlt und gerollt, was die Zunge so hergibt. Also trauen sie in den nächsten Minuten ruhig ihren Ohren. Matthias Biskupek ging der Kleinen Sprachgeschichte Oberlausitzisch nach und fragte sich und andere, warum die da so anders sprechen. - BEGINN MANUSKRIPT - (Frau) „Oberlausitz ist, glaube ich, Spreewald.“ AUTOR Naja … weiß man, wie die da sprechen? (Frau) „Einen leicht - slawischen Zungenschlag?“ AUTOR Wir hatten extra in der Hauptstadt gefragt, bekannt für multikulturelle Kenntnisse. Vielleicht in der falschen Gegend? In einer normalen Kneipe sollte man das wissen. (Frau / in Gaststätte) „Ich denke schon, dass ich weiß, wo die Oberlausitz ist, ich glaube es müsste sein zwischen Cottbus, Herzberg und …äh - Finsterwalde?“ AUTOR Und wie die da sprechen …? (Frau / in Gaststätte) „Ich glaube, das Charakteristische ist, dass sie mir und mich verwechseln und ich glaube die gehen „bei die Leute“ – aber ich bin mir nicht sicher.“ AUTOR Fragen wir lieber das Lexikon. SPRECHERIN Das Oberlausitzische zerfällt in das Südlausitzische, auch als das eigentliche Oberlausitzische oder die Oberlausitzer Kern- oder Hauptmundart bezeichnet, das Weslausitzische südlich und westlich von Kamenz und das Ostlausitzische im Süden u. Osten des heutigen Niederschlesischen Oberlausitzkreises und … AUTOR Gut, aber wo spricht man diese Kernmundart? SPRECHERIN Als Südlausitzer Mundartgebiet ist im Wörterbuch der gebirgige Teil zwischen Bischofswerda im Nordwesten und Zittau im Südosten festgelegt, einschließlich des Zittauer Gbirges … AUTOR Ich sehe, wir können weder von hauptstädtischen Zinnen noch von den Höhen der Wissenschaft aus erforschen, warum die da so anders reden. Drum begeben wir uns mitten hinein in diese urige Sprachgegend, wo die Orte Oberoderwitz oder Spitzkunnersdorf, Unterebersbach oder Schirgiswalde, Mittelherwigsdorf oder Kleinleutersdorf heißen. SPRECHERIN Die Oberlausitz hieß zunächst Hornja ?užica, beziehungsweise Górna ?užyca. Der böhmischen Krone untertan, wurde im 14. Jahrhundert der Sechsstädtebund von Bautzen, Löbau, Kamenz, Görlitz, Lauban und Zittau gegründet. 1474 nannte man erstmals in der Kanzlei des Ungarnkönigs Matthias Corvinus das Sechsstädteland als Lusatia superior, also Oberlausitz. Ab etwa 1550 wurde nach und nach der Landesname von den Einwohnern selbst gebraucht. AUTOR Es folgten Intrigen, Niederlagen, falsche Bündnisse; die Sechsstädte verloren Macht; es kamen protestantische Glaubensflüchtlinge aus Böhmen. Die siedelten sich vor allem in Zittau und den benachbarten Weberdörfern im Lausitzer Bergland an - und alle, alle brachten Sprachbesonderheiten mit. SPRECHERIN Klecker-Hans, der Humorist, weiß, was Oberlausitz ist. (Klecker) „Also die Oberlausitz ist zweieinhalb Mal so groß wie das Saarland und trotzdem wird nicht in der gesamten Oberlausitz auch Oberlauser Mundart gesprochen; da haben wir diesen nördlichen und mittleren Teil, der lange ausschließlich von Slawen, von Sorben besiedelt worden ist und die hamm natürlich ihre obersorbische Sprache gesprochen.“ AUTOR Hans Klecker, der Klecker-Hans, ist Inhaber der „Oberlausitz-Agentur“. Er hat sich ernsthaft mit dem hiesigen Dialekt befasst und pflegt ihn - bei humoristischen Veranstaltungen. Er bringt gern alles in großen Zusammenhang. (Klecker) „Es wird ja überall etwas anderscher gesprochen, im Norden zum Beispiel wird gesprochen, in Niedersachsen wird geschnackt, im Schwabenländle wird geschwätzt und in der Pfalz wird geplaudert. Aber in der Oberlausitz wird geräddt, also geredet.“ AUTOR Und wie funktioniert das, wenn man räddt? Dudd mer da rrulln? (Klecker) „Mir quirlen. Rollen is o ni ganz richtig, denn gerollt wird auch in anderen Regionen von Deutschland. Rollen tun auch de Amerikaner, wenn sie englisch sprechen.“ AUTOR Yes. Sir. Und wo kommt das nun her. Auch diese Eigenheit ein Import? (Klecker) „De Deutschen sind reeneweg neggsch ä Word aus änner fremden Sprache ze iebernahm.“ SPRECHERIN Die hiesige Mundart ist reich an slawischen Lehnwörtern. Diese stammen aus der langen Zeit des Zusammenlebens mit Sorben und Tschechen. Zudem ist sie eine Bergsprache, passt somit in den Reigen der verschiedenen sächsischen Bergdialekte. Eine größere historische Nähe existiert allerdings zu den früher weiter östlich und südlich von den Deutschen in Böhmen gesprochenen Dialekten, dem Nordböhmischen und Gebirgsschlesischen. AUTOR Nun wissen wir’s. Erst vor achthundert Jahren nämlich kamen Deutsche in dieses wendische Gebiet. Neben Wendischbaselitz gab es Deutschbaselitz, neben Wendischpaulsdorf Deutschpaulsdorf. Man besiedelte schließlich auch den bisher menschenleeren gebirgigen Teil, bildeten Waldhufendörfer, Straßendörfer. Diese Zuwanderer … (Klecker) „Die ham sich ihre sprachlichen Eigenheiten mitgebracht. Ich geh davon aus, dass viele aus Hessen hierhergekommen sind – und da gibt’s auch verschiedene Gebiete, die das R rollen, ähnlich wie in der Oberlausitz. Das ist die Wetterau um Friedberg, das ist um den Vogelsberg herum um Lauterbach – und das ist auch die Enklave im Raum Dillenburg-Herborn, da wird das R auch gerollt, dann im Siegerland, da wird das R auch gerollt. Kurz nach der Wende hamm se mich immer gefragt, die Reisegruppen ausm Westen, ob ich Siegburger (…) Dialekt spreche.“ AUTOR Gelegentlich birgt dieses Sprachgrollen Missverständnisse. (Klecker) „Da kam ä kleiner Junge und der meinte: Vati, Vati, wie redet denn der Onkel, der macht immer lrr lrr lrr lrr lrr – denn ich hab grade vorgetragen: „De Rupperschdurfer Runklriebm, die kullern kreuz und quar. A Radl ruhe Reecherwurscht, nee, gatt´s oack amol har!” – Vati, der Onkel macht immer lrr lrr lrr – ist das ein Neandertaler?“ SPRECHERIN Wie aus dem Neandertalerischen richtiges Oberlausitzisch wird. Klecker-Hans erklärt uns seine Sprache mit dem „Quirl“. (Klecker) „Quurrln ist also „Quirlen“ - in Mundart Quurrln. Ganz einfach deshalb, weil wir dort vier Laute drin haben, die anderscher klingen, als in der Hochsprache. Das R ist sowieso rrl rrl rrl, da wird die Zunge zusammengerollt und an den Gaumen gepresst – genau so ist das mit dem lr lr lr – mir tun bei der l-Artikulation nicht das l vorne an die Zähne pressen, sondern es wird eben auch oben wieder an den Gaumen gedrückt - lr lr lr lr - also ein ganz dunkles lr lr wird gesprochen. Das i wird zum u hin gesprochen, also nicht Quirl, sondern Quurl und das Qu wird dann sowieso gequirlt – also vier Laute, die in der Mundart anderser klingen als in der Hochsprache.“ AUTOR Vokale kommen in der Oberlausitz auf die Streckbank. Mal werden sie gequetscht … (Klecker) „Lange Selbstlaute im Hochdeutschen werden von den Mundartsprechern als Kürzungen wieder gegeben. Zum Beispiel: Sicker schinner sisser Kuche – darr tutt gutt. Also: Solcher, schöner, süßer Kuchen – der schmeckt gut.“ AUTOR Manchmal werden Vokale auch gestreckt. (Klecker) „Der Tisch eben der Tiesch; der Busch der Buusch. In der Westlausitz ist das schon nimmer so, die sagen Tisch und Busch.“ AUTOR Gelegentlich sind es winzige Wörter, die eine Mundart charakterisieren. (Klecker) „In der Oberlausitz gibt es Worte, die es woanders nicht mehr gibt. Zum Beispiel das oack. Kumm oack. Komm nur. Finsch oack rei. Finde dich nur hinein. Hurch oack a wue haar. Also: Horch nur einmal her. Ist oack in der Bedeutung von „nur“, „doch“, „bloß“.“ AUTOR Mitten in Sachsen sagt man „Noor“. Von Thüringen bis ins Süddeutsche heißt es „ge“ bis „gelle“. Fragt man, ob die Dresdner immer noch „Nu“ sagen, antworten die „Nu!“ (Klecker) „Das „Nu“ ist auch typisch. „Nu“ kommt aus dem Tschechischen, „a no“ heißt also ja. Wird allerdings auch nicht bloß in der Oberlausitz gesprochen, sondern auch im Meißnischen, im Schlesischen und im Nordböhmischen.“ AUTOR Kurze Worte aber werden in dieser Mundart manchmal recht lang. (Klecker) „Die Brille ist in der Oberlausitz ni die Brille, sondern die Brille heißt „dos Noasenfoahrroad“, aber auch das „Roaziehglas“, also heranziehen, es kann aber auch das „Schiel-Eisen“ sein oder de „Soahmaschine“ oder es „Doppelfanster“.“ AUTOR Technische Abkürzungen - mag Mundart gar nicht. (Klecker) „Da(nn) hammer den BH. Der BH ist der Kließl- oder der Keulchenraffer, weil er die Kließl oder die Keulchen, das ist also der Busen, weil er die zusammenrafft.“ AUTOR Klecker-Hans kommt immer schnell auf große Sprachzusammenhänge. (Klecker) „Wemmer mal an die Bääbe, die Baabe, in Sachsen heißt das Bääbe, in der Oberlausitz die Baabe - in anderen Regionen der Aschkuchen, der Napfkuchen, der Topfkuchen – oder im Süden eben der Gugelhupf.“ AUTOR Selbstverständlich spricht kein Oberlausitzer wie der andere. Er muss nur aus dem Nachbardorf kommen und etwas unruhig, ein Wrdlich, sein. (Klecker) „Wrds was wrd, gewrdl wrrd, unn wenns e kläner Wrdlch wrd. Also wird es, was es wird, gewirdeld – schwer gearbeitet - wird, und wenn es ein kleiner Wirdlich – also ein unruhiges Kind - wird. Ich sags noch mal in Mundart: Wrds was wrd, gewrdl wrrd unn wenns e kläner Wrdlch wrd. So, und wenn man das im Westlausitzer Mundart sagt, heißt das so: Worrds was worrd, gewordl worrd, unn wenns e kläner Wordlch word. Und um Neukirch herum heißt das so: Wards was ward, gewarrdl warrd, unn wenns e kläner Wardlch warrd.“ AUTOR Um die verschiedenen Färbungen in den benachbarten Dörfern zu erklären, kommt Klecker-Hans durch die Hintertür. (Klecker) „Die Hintertüre. Die Hintertür heißt in Obercunnersdorf und Ebersbach de Hinderdiere. So in Wittchendorf wärs de Hinnerdier. Geht man in die Görlitzer Gegend isses de Hingerdür. Und dann in der Westlausitz isses dann die Hingerdiere …“ AUTOR Die Görlitzer Besonderheiten des helleren, quasi schlesischen A-Lautes werden mit der Uhr erklärt. Dazu muss man wissen, dass die Uhr in der Oberlausitz „Seeger“ heißt. (Klecker) Hurch halt wie da Seega pumpat Und der Voadda schnacht Und die Mudda sitzt an Ufen, und frisst’n ganzen Quaak. SPRECHERIN Über diesen und jenen Hintergrund der Oberlausitzer Mundart. AUTOR Als die Mundart sich herausbildete, war die Gegend, wir hörten es schon, Teil der böhmischen Lande. Im 19. Jahrhundert blühte in den großen Städten, von Bautzen bis Görlitz die Industrie auf. (Klecker) „Während in der südlichen Oberlausitz man im Dorf geblieben ist, durch die Handweberei, dann später durch die kleinen Textilfabriken und kleinen Webereien und Schneidereien und Textilveredelungsbetriebe, konnte man im Dorf bleiben und da hat man die Sprache bewahrt.“ AUTOR Die böhmische Herrschaft merkt man bis heute. Fährt man von Zittau mit dem Zug über Mittelherwigsdorf, Hainewalde und Großschöna nach Seifhennersdorf, hält man auch im tschechischen Varnsdorf. Einst war das Ländchen ein noch bunterer Flickenteppich mit Enklaven und Exklaven. (Haschke) „Also diese böhmische Enklave von Niederleutersdorf hat es gegeben von 1635 bis 1849 und im Westteil der böhmischen Enklave, also in dem Ortsteil Neuwalde, gab es einen Gerichtskretscham, die sogenannte Greibich-Schenke, wo sich dann Karasek mit seiner Räuberbande eingenistet hatte.“ AUTOR Karasek? Der berühmte Räuber Karasek? Richtig, wir sind ja in Seifhennersdorf angekommen, wo es ein Karasek-Museum gibt. Ein ehrwürdiges Museum. (Ina Köhler) „Der Humboldt-Verein hat hier den Grundstock für das Museum gelegt, das sich 1870 gegründet hat. Später war das Museum dann im jetzigen Gymnasium untergebracht. Und hier in diesen Räumen ist es seit 1972.“ AUTOR Dessen einstiger Chef, Heiner Haschke, weiß den populären Räuber, dessen ständiges Wechseln von Böhmen nach Sachsen, mit Tourismus und dem Alleinstellungsmerkmal Dialekt zu verbinden. (Haschke) „In der heutigen Zeit, wo ich oftmals den Räuberhauptmann Karasek selber darstelle, gebe ich mir natürlich ooch große Mühe, mal so richtig zu rollen und zu quirlen, weil ich merke, die Leute wolln das einfach hören.“ AUTOR Sie hören vom guten Räuberhauptmann, der den Reichen nahm und den Armen gab. (Haschke) „Wir haben jetzt nicht nur das Museum mit dem Namen Karasek, wir haben den Karasek-Ringwanderweg, viereinhalb Kilometer an historischen Stätten, im Gebiet der einstigen Enklave von Niederleutersdorf gelegen, also im westlichen Teil genauer gesagt, wir haben den Karasek-Radweg, der hier drei Orte verbindet, die Orte Seifhennersdorf, Spitzkunnersdorf und Leutersdorf, wir haben Karaseks Naturmärkte, die dreimal im Jahr durchgeführt werden, mit Händlern aus ganz Sachsen und Nordböhmen.“ AUTOR Handel und Wandel ist selten eine Bewahranstalt für Dialekt, für Ortsmundarten. Denn wenn die Industrie einbricht, (Atmo Webstuhl, als Schleife unterlegen bis zum Schluss des nächsten Takes) muss auch die Sprache flexibel werden. Im Museum steht das Modell eines Handwebstuhls, den man in Gang setzen kann (evtl. Atmo kurz lauter), doch wenn große Fabriken entstehen, gar mit importieren Maschinenwebstühlen, geschmuggelt in großen Baumwollballen, versuchen die Einheimischen sich zu wehren. (Haschke) „(…) die Seifhennersdorfer Weber hatten Angst, dass diese Webstühle ihnen die Arbeit wegnehmen und haben diese Fabrik gestürmt, die Maschinen zerdroschen und zerschlagen … „(Atmo plötzlich aus) AUTOR Es nützte wenig, dieser Weberaufstand von 1842. Das Dorf wurde innerhalb der nächsten Jahrzehnte zum Industriezentrum. (Haschke) „Wir hatten allein in der Textilindustrie, Schuhindustrie und in Teilen des Fahrzeugbaus, (…) hatten wir hier dreitausend Beschäftigte. Und das war unter anderem ein Grund, warum 1974 das Dorf Seifhennersdorf das Stadtrecht erhielt, denn es war damals das größte Industriedorf der damaligen DDR.“ AUTOR Erstaunlicherweise hat sich dennoch viel Mundart erhalten. Ein Speiseplan, was man hier aß – und immer noch isst. (Haschke) „Zum Beispiel an Simmt, was also der Sonnabend is, gabs früh frische Wassersuppe, zun Friehsticke änne Wurschtfettschnitte, zum Mittche ganz Arbern und Haarch, zun Vaspern änne Butterschnitte unn abends Arbernmauke, nee Entschuldigung: Arpernsuppe.“ AUTOR „Haarch“ ist der Hering und die „Arbern“ die Kartoffeln. Doch wie ist das mit der Mundart in der Gegenwart? Beherrschen die Kinder sie noch? Oder erzeugen sie nur den allgemeinen Schulhoflärm an der Seifhennersdorfer Grundschule? (Atmo Kinder einblenden, dann evtl. eine Weile unter dem nächsten O-Ton lassen) (Haschke) „In den siebziger Jahren, als ich damals noch Unterstufenlehrer war in Leutersdorf, hatten wir viele Kinder, die wirklich richtig gequirrlt und gerollt haben. Es gab ooch Hortnerinnen in unserer Schule, die also dann Gruppen hatten, wo die Mundart richtig gelebt wurde, zum Beispiel ooch Kinderlieder gesungen wurden, wie „Unsre aale Miezekatze / was für schiene Tage hattse“ oder es gab dann ooch Tanzgruppen, die diese Dinge gepflegt habm. Aber es war immer im Ermessen des einzelnen Lehrers (…) es wurde also nicht staatlich gefördert – aber wer das gemacht hat, dann war das ooch o.k.“ SPRECHERIN Vom Überleben der deutschen Klassik im Mundartland Oberlausitz AUTOR Unweit von Spitzkunnersdorf ragt der Große Stein auf, mit zwei Felsgipfeln. Die Silhouette des kleineren sieht dem Gesichtsprofil Goethes überaus ähnlich. Als der Leutersdorfer Heiner Haschke ein Schulkind war, ging eines Tages in jener Gegend ein schweres Gewitter nieder. Anderntags trabte er wie immer in den Milchladen. (Haschke) „Da war so ne niedrige Holzdecke und auf der Theke standen überall die Milchkannen. Mit Leiermilch. Mit Buttermilch. Mit Magermilch und so weiter und da wurde mit en Seidel da wurde immer in die Krüge gescheppt. Aber an dääm Tag war in diesem Dorfladen alles andersch.“ AUTOR Es wurde nämlich heftig durcheinander gesprochen, also gerädd. Gebrilld. (Haschke) „Meta haste schön geheerd, beim letzten schweren Unwetter hats dem Goethe die Nase weggeblitzt.“ AUTOR Man brach sogleich auf, um den Schaden zu besehen. (Haschke) „Und tatsächlich: Die Nase war damals komplett weg. Das heeßt eener von den Hunderten Blitzen hat dem Goethe die Nase weggeschlagen. Und da hamm die Spitzkunnersdorfer das einzig Richtige damals gemacht. Die hamm ni lange gebarmt, die hamm ni lange gejammert, die hamm ooch keene wissenschaftliche Untersuchungskommission aus Berlin rangeholt, sondern die hamm ieberlägt: Was brauchm mer hier? Mir brauchen Sand, Zement, Wasser gibt ooch keens, müssmer mer oo noch hoch schaffen. Da hammse ne fette Mischung gemacht, die restlichen Steene eigesammelt und dann hattssch eener hingestellt mit ner Ansichtskoarte und hat gesoat: Fritzl pass uff: Hier muss noch ne Ecke dran, da muss noch ne Ecke dran – und seitdem hat der alte Goethe seine erschte kosmetische Nasenoperation bei uns in der Oberlausitz erfolgreich ieberstanden.“ AUTOR Gleich nach Goethe darf der wichtigste Heimatdichter der Region nicht fehlen. Der Andert-Herbert. Im Unterschied zu den meisten Autoren versuchte er, Mundart auch für ernste Themen, für Naturbeschreibung und Stimmungslyrik zu nutzen. (Haschke) „Wer feste aar derheemne stitt, Und daderbei uffs Ganze sitt. Unn oapackt, das was Ganzes wird, Das is ä Lausitzer, wiesichs gehirrt.“ SPRECHERIN Über Missverständnisse, die ein korrektes Oberlausitzisch auslösen (Haschke) „Meine Frau, die musste also mal in einer Arztpraxis mal ein Rezept holen und da geht se hin und sagt, sie hätte gern einen Schein fier A Riezept. Und da hat diejenige, die Krankenschwester die erst mal ganz dumm angeguckt und gesagt: Was willst Du haben? – Na, ich will A Riezept. Und da hat die gedacht, die will bloß een Rezept. – Nee, aber das Medikamant hieß A-Rie-Zept.“ (Klecker) „Drei Nubberschweiber – Nubbersch waren die Nachbarn – hamm Braasch miteinander – Braasch – unterhalten sich. Und redn übers Waater – übers Wetter. Soit die erschte: Sagt die erste: Wann der Nabel – der Nebel – fällt – do wird’s schiene. Nee, soite die zweete, wennsch der Nabel häät – also wenn er steigt – doo wird’s schiene! De dritte war aber ni aus der Äberlausitz. Und foitscht der Reihe: Und soite: Schön wird’s, wenn der Nabel auf dem Nabel liegt.“ AUTOR Nach so viel Erklärendem zur Oberlausitzer Mundart, sollte man sie jetzt besser verstehen. Zumal, wenn es um Ruppersdorf geht. (Klecker) „Durch Rupperschdurf kimmt a Stuorch durchs Duorf durch. Woas kimmt a Rupperschdorf durchs Duorf durch? A Stuorch!“ (Haschke) „A groober Rupperschdurfer Runks gibbt Richter Reinersch Ruth ann Gunks. Die ruppt und resst dann Racker aus dr Riebe rute Huhre raus.“ AUTOR Die folgenden Verse zeigt Welt- und Weitläufigkeit, die ganze Fremdenfreundlichkeit der Oberlausitzer. Denn kennen wir die Verse nicht so ähnlich aus dem Oberbayerischen? (Haschke) Ob er aber über Äberaberschbuuch Oder aber ieber Äberuderwitz kimm, Is ni gewies – aber kummn dudder. - ENDE MANUSKRIPT -