COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Musik 1. VOXPOP(1), dt.: (w) "Mischwesen? Das sind Menschen, die genetisch vermischt werden? Mit anderen?" / (m) So oben Mensch, unten Pferd." / (w) Ein Mensch mit einem Elefantenkopf? Das ist doch völlig unheimlich!" / (m) "Wie nennt man die? Zentauren? Die machen mir eher Angst. Weil man sie nicht genau zuordnen kann. Weder zum Menschen noch zum Tier." Musik - nochmal kurz frei, dann unter Text weg Sprecher 1: Den meisten sind sie unheimlich. Mischwesen: geheimnisvolle Kreaturen, halb Mensch, halb Tier. Immer wieder tauchen sie auf, mal gut, mal böse - in alten Sagen und Mythologien, in Horror-Geschichten und Science-Fiction-Filmen. Und jetzt - sind sie hier. Autorin: Ende September 2011. Der Deutsche Ethikrat veröffentlicht eine Stellungnahme. Thema: "Mensch-Tier-Mischwesen in der Forschung". Biologen, Philosophen, Theologen, Mediziner und Ethiker wollten wissen: Wovon genau reden wir, wenn wir von Mischwesen reden? Wer braucht sie? Und wozu? Atmo / Akust. Kennzeichnung "Labor" (Schritte, Schlüssel, Türen aufschließen.., Labor) Autorin: Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie Leipzig. Instituts-Leiter Professor Frank Emmrich öffnet die Tür zum molekularbiologischen Labor: Ein weißgrauer Raum, entlang der Wände Arbeitstische und Regale, darin Chemikalien-Fläschchen und Reagenzgläser. Links eine Sicherheitswerkbank mit Spezial-Belüftung, die verhindert, dass bei Experimenten Mikroorganismen nach außen dringen - mittig eine Zentrifuge, die Zellen in ihre Bestandteile zerlegt. Hier, sagt Emmrich, werden Blutproben von sogenannten HUIS-Mäusen untersucht. Von: Human-Immun-Mäusen: 2. O-Ton, Emmrich, dt.: "Wir haben in einer Maus eine Situation erzeugt, in der wir aus menschlichen Vorläuferzellen für die Blutbildung ein gesamtes menschliches Immunsystem aufgebaut haben. Von den Gesamtzellen, die zu diesen blutbildenden gehören, haben wir Mäuse, bei denen sich 30 Prozent dieser Zellen als menschlich, mit menschlichem Ursprung, erweisen. Das Ergebnis ist natürlich ein Mischwesen. Nur: die Maus kann sich mit dieser Eigenschaft nicht vermehren." Sprecher 1: Mischwesen, deren Körper sowohl menschliche als auch tierische Zellen, Gewebe, Organe oder Gene enthalten, werden seit vielen Jahren in Laboren hergestellt. Das geschieht meist, um biologische Abläufe in Organen oder Zellen zu erforschen, um Funktionen einzelner Gene oder Gen-Abschnitte zu entschlüsseln - oder um mit Hilfe von Versuchstieren neue Erkenntnisse über die Entstehung und Therapie menschlicher Krankheiten zu gewinnen. Akustik-Trenner Sprecher 1: 2002 etwa bringen Wissenschaftler um den Immunologen Yair Reisner vom Weizmann Institute in Israel humane Stammzellen in Mäuse ein. In den Tieren entwickeln sich menschliche Nieren in Miniatur. 2008 gelingt es Wissenschaftlern in China und in Großbritannien, Hybrid-Embryos aus Mensch und Kuh herzustellen - indem sie einen menschlichen Zellkern in eine entkernte Rindereizelle einbringen. Auf diese Weise sollen embryonale Stammzellen für die Regenerative Medizin gewonnen werden, ohne dafür menschliche Eizellen verwenden zu müssen. Autorin: Im Fall der Leipziger HUIS-Maus, erklärt Frank Emmrich, werden aus menschlichem Nabelschnurblut Vorläuferzellen von humanen, blutbildenden Zellen gewonnen, in die Immundefekt-Maus injiziert - und ihre Entwicklung so stimuliert, dass sich innerhalb von Wochen in der Maus ein menschliches Immunsystem etabliert. Akustische Kennzeichnung "Labor" (s.o.) 3. O-Ton, Emmrich, dt.: "Das Ziel ist, als Untersuchungsobjekt ein Immunsystem zu haben, das ich beeinflussen kann. Dieses funktionstüchtige System könnten wir nicht im Reagenzglas, in der Petrischale, im Bioreaktor bilden. Dazu ist es zu komplex. Insofern ist diese Maus für uns schon das gegenwärtig realitätsnächste Modell, um damit Untersuchungen durchführen zu können, die beim Menschen nicht möglich sind. Wenn es zum Beispiel darum geht, zu untersuchen, wie dieses Immunsystem gegen Tumorzellen reagiert." Autorin: Oder, so Emmrich, warum es manchmal nicht reagiert und Krebs entsteht. Oder Rheuma. Oder: warum ein Immunsystem bestimmte Gewebe - meistens körperfremde, manchmal auch eigene - abstößt oder annimmt. Denn Abstoßungs- und Immunreaktionen gehören zu den größten Herausforderungen der Regenerativen und der Transplantations-Medizin. Der Forschungsbereiche, in denen es darum geht, Ersatzgewebe für erkrankte Organe bereitzustellen, zu züchten und im Patienten zu etablieren. Egal, ob menschlichen oder tierischen Ursprungs - ob im Tier oder im Körper eines menschlichen Patienten. 4. O-Ton, Emmrich, dt.: "Das Immunsystem ist für die gesamte regenerative Medizin sehr wichtig, weil es darüber entscheidet, ob ein Gewebe überhaupt angenommen wird. Ob es eingebettet wird. Wenn das Immunsystem nein sagt, dann passiert das nicht. ..Und das ist eine der wichtigsten Aufgaben in den nächsten Jahren: das Immunsystem ganz gerichtet blind zu machen für die Strukturen des Gewebes, das übertragen wird. ...Wenn es gelingt, dieses Problem zu lösen, dann ist eine Voraussetzung erfüllt, um Gewebe, seien das jetzt Blutgefäße oder auch komplexere Organe in der Zukunft, tatsächlich herzustellen. Und zur Verfügung zu stellen, ohne dass man das immer vom gleichen Individuum erzeugen muss." Akustische Kennzeichnung "Labor" (s.o., Schluss) Sprecher 1: Während Molekularbiologen und Mediziner das Ende der klassischen Organtransplantation heranziehen sehen - befürchten vor allem Sozial- und Geisteswissenschaftler die Auflösung unseres Menschenbildes. Hoffen die einen, durch ihre Forschungen mit Mischwesen zum Beispiel dem Mangel an Spenderorganen entgegenzuwirken oder Abstoßungsreaktionen bei Organempfängern minimieren zu können - sehen die anderen die Grenze zwischen Mensch und Tier verschwimmen. Autorin: In den meisten aktuellen Forschungsprojekten zur Gewebezüchtung und Regenerativen Medizin in Deutschland, in denen menschliches und tierisches Material zusammengebracht wird, werden nur einzelne menschliche Zellen oder Gene übertragen, zumeist in Mäuse. Aber: die Technik weitet sich aus. Sagt Wolf-Michael Catenhusen, Sprecher der Arbeitsgruppe Mensch-Tier-Mischwesen im Deutschen Ethikrat: 5. O-Ton, Catenhusen, dt.: Wir können künftig ganze Chromosomen, also mit hunderten von menschlichen Genen, in Tiere übertragen und wir kennen immer stärker auch einzelne menschliche Gene, die eine Steuerungsfunktion haben. Das heißt, die Eigenschaften bei einem Tier gezielt verändern können." 6. O-Ton, Emmrich, dt.: "Wir haben eine sehr interessante Versuchsstrecke im Ethikrat diskutiert, die im Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig ihren Ursprung hat. Dort gibt es eine Arbeitsgruppe, die festgestellt hat, dass ein bestimmtes Gen, das heißt FoxP2, offenbar eine Rolle spielt bei der Sprachartikulation. Wenn man dieses menschliche Gen auf eine Maus überträgt, eine Veränderung hervorruft in der Tonhöhe des Fiepens, im Ultraschallbereich. Das ist natürlich noch extrem weit davon entfernt, dass dieses Tier irgendwelche Funktionen hätte, die man als menschlich bezeichnen könnte. Aber man muss sehen, dass da weitere Entwicklungen möglich sind." Autorin: Der Fall sei auch ein Beispiel dafür, so Professor Frank Emmrich, dass nicht immer absehbar ist, welche Folgen eine Übertragung menschlicher Gene auf Tiere haben kann: 7. O-Ton, Emmrich, dt.: "Es ist völlig unerwartet gewesen, dass ein einzelnes Gen mit so einer komplexen Funktion wie Sprachartikulationsfähigkeit irgendwas zu tun haben soll. Man hat immer angenommen, dass die komplexeren Funktionen multigen sind. Und dann könnte man sagen: wenn ich ein solches Artikulationsgen in Tiere überführe - also das wäre bei den Mäusen jetzt nicht der Fall - aber Tiere, die gemeinsam auf Beutejagd gehen, wie Wölfe - wenn die sich jetzt komplexer verständigen könnten, dann wären sie vielleicht viel erfolgreicher! Es würde denen einen riesigen Vorteil in ihrer Umwelt bringen." 8. O-Ton, Catenhusen, dt.: (O7, T1, 18:20) "Und jetzt stellt sich die Frage: können wir uns eine Entwicklung vorstellen, wo durch immer stärkeres Übertragen von menschlichem Material, menschlichen Eigenschaften, menschlichen Genen in Tiere die Artengrenze wackelig wird? Und auch die Identität, sowohl des Menschen wie auch des Tieres, infrage gestellt wird. Und hier sind wir der Meinung: wir brauchen eine Entwicklung, die die Artengrenze nicht de facto infrage stellt." Musik / akust. Kennzeichnung für ethische Debatte Sprecher 1: Um die Artengrenze zwischen Mensch und Tier zu schützen - um zu wissen, wodurch genau sie eigentlich infrage gestellt werden kann - muss man sie natürlich zunächst definieren. Die Antwort auf die Frage, was den Menschen vom Tier unterscheidet, suchen die Menschen allerdings seit Jahrtausenden. 9. O-Ton, Illies, dt.: "Wir finden Dokumente dieses Nachdenkens schon aus der frühesten Zeit. Etwa 30.000 vor unserer Zeit gibt es eine kleine Elfenbeinfigur, die man gefunden hat, die einen Löwenmenschen darstellt. Ein aufrecht laufender Löwe, ein Mensch mit einer Löwenmaske. Das sind ja bereits Ausdrücke des Nachsinnens über das Mensch-Tier-Verhältnis." Autorin: ...sagt Christian Illies, Professor für Praktische Philosophie an der Universität Bamberg, der sich seit Jahren mit ethischen Fragen der Biologie und Anthropologie beschäftigt. Ob die geheimnisvollen Sphinxen der Ägypter und die vogelköpfigen Götterwesen der Assyrer, die Kentauren, Gorgonen und Satyrn der griechischen Mythologie, der elefantenköpfige Hindu- Gott Ganesh, Meerjungfrauen und Wassermänner bis hin zum Yeti: Durch die gesamte Kulturgeschichte hindurch, so Illies, finden sich die Beispiele für die Versuche des Menschen, sich seiner Stellung in der Natur bewusst zu werden: 10. O-Ton, Illies, dt.: "Die Frage: ‚Was bin ich als Mensch?' stellt sich, wenn man sich vergleicht, mit Mensch-Tier- Mischwesen. In vielen Geschichten, zum Beispiel der Sphinx, hat man diese Frage nach den Menschen explizit gestellt. Insofern liegt nahe, dass das immer auch Ausdruck einer Selbstreflexion, eines Versuchs der Selbstverortung in der Ordnung der Dinge ist." Sprecher 1: Solange die Natur als gottgeschaffen galt, kam dem Menschen vor allem in der abendländischen Philosophie zumeist ganz selbstverständlich der Platz als "Krone der Schöpfung" zu. Er stand im Zentrum - und an der Spitze der gottgegebenen Hierarchie, unter ihm die Tiere. Mischwesen stellte man sich schlimmstenfalls als unheimlich vor - bedrohlich wurden sie erst mit der Aufklärung und der Entwicklung der Naturwissenschaften. Autorin: Zum einen wurde der Mensch mehr und mehr als Erschaffer, als bewusst lenkendes Subjekt in der Natur denkbar. Zum anderen wurde er spätestens durch Darwin als eine Spezies in das Naturganze eingeordnet, die sich wie alle anderen zufällig und durch Anpassung an ihre Lebensräume entwickelt hat: Als Teil der Evolution. Die Frage nach der Rolle des Menschen in der Natur stellte sich neu - Philosophen wie Jeremy Bentham oder in der jüngeren Geschichte Albert Schweitzer und Hans Jonas, kritisierten Anthropozentrik und Mensch-Tier- Dualismus. Sie betonten stattdessen Würde und Wertigkeit allen Lebens. 11. O-Ton, Illies, dt.: "Es gibt zwei Gründe, warum die Diskussion in der Gegenwart wieder so spannend geworden ist: Das eine ist, dass unser Verständnis über die biologische Seite des Menschen subtiler geworden ist. Ein immer mehr biologisch erklärbarer Mensch stellt sich die Frage, aus welchen Gründen er sich noch auszeichnen kann, wenn er nur ein besonderes Tier ist. Das andere liegt in der fortschreitenden Machbarkeit von Lebensformen, der Mensch wird zu einem machbaren Gegenstand. Und dies wirft wieder die Frage auf nach der Besonderheit des Lebens. Nach der Würde. Nach dem, ob es Grenzen gibt dessen, was wir tun sollten." Autorin: Diese Frage ist eine zutiefst menschliche. Und die Tatsache, dass der Mensch sie sich stellt der Grund, ihn gegenüber dem Tier auszuzeichnen: 12. O-Ton, Illies, dt.: "Es spricht viel dafür, einen Vorrang des Menschen im Vergleich zu anderen Organismen zu machen. Die besondere Würde des Menschen, an der ich unbedingt festhalten würde, begründet sich vor allem darin, dass er das einzige Wesen ist, das wir kennen, was moralisch achten kann. Was die Frage aufwirft: ‚Ist es gut was ich tue? Ist es falsch, was ich tue?' Was moralfähig ist. Das zeichnet ihn in besonderer Weise aus." Musik / akust. Kennzeichnung für ethische Debatte Sprecher 1: Etwa seit den 90er Jahren tauchen jedoch immer häufiger Stimmen auf, die eine besondere Stellung des Menschen gegenüber dem Tier infrage stellen. 1995 veröffentlicht die amerikanische Biologie-Historikerin Donna Haraway ihr Buch "Primaten, Cyborgs und Frauen. Die Neuerfindung der Natur". Jegliche Grenzziehung, so schreibt sie - ob zwischen Mann und Frau, Mensch und Maschine oder Mensch und Tier - sei konstruiert. Biologisch sei sie immer komplizierter nachzuweisen und aufrechterhalten werde sie durch Tradition, Kultur und Sprache, durch Recht und Politik. Feministen, Medienwissenschaftler und Künstler greifen die These begeistert auf. Autorin: In den Politik- und Sozialwissenschaften ist mit den Debatten über das Verhältnis des Menschen zum Tier um die Jahrtausendwende ein ganz neues Forschungsfeld entstanden - die Human-Animal-Studies. Auch deren Protagonisten lehnen die Existenz einer "Artengrenze" zwischen Mensch und Tier ab. Sie sei die Grundlage einer weiteren Form von Rassismus. Sagt etwa Swetlana Hildebrandt, Politikwissenschaftlerin am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin - und Mitbegründerin des ersten deutschen Human-Animal- Studies-Arbeitskreises "Chimaira": 13. O-Ton, Hildebrandt, dt.: "Dieses Konstrukt Mensch-Tier basiert auf der Idee, dass es ein Eigenes und ein Anderes gibt. Und das Eigene sich über das Andere stellt. Das ist ein Phänomen einer Gesellschaft, die auf Hierarchien aufgebaut ist und in der Unterschiede als Legitimation für Herrschaft verstanden werden. Das hat was mit dem kompetitiven, hierarchischen Gesellschaftsverständnis zu tun. Dass es einen an der Spitze geben muss, einen der am besten ist. Und es ist für uns Menschen klar, dass das wir als Menschen sind. Weil wir über die Natur herrschen." Autorin: Die Menschen, so argumentieren die Human-Animal-Studies in Anlehnung an Gender- und Rassismustheorien, beanspruchten einen herausgehobenen Status für sich aufgrund von Kriterien, die für andere Lebewesen schlicht nicht relevant seien. Und die daher auf diese auch gar nicht anwendbar seien. So könne ein Hund vielleicht keine Wörter artikulieren oder eine Grille nicht rechnen. Dennoch verfügten beide Tiere über Fähigkeiten, die eine perfekte Anpassung an deren jeweilige Umwelten möglich machen - und die Menschen nicht haben. Dass trotzdem die vom Menschen gesetzten Kriterien zu Definition eines bestimmten Status Gültigkeit besitzen, sei nicht natürlich-biologisch zu begründen - sondern Beleg für die Herrschaftsposition, die die Menschen innehaben. 14. O-Ton, Hildebrandt, dt.: "Das heißt, dass die Verhältnisse, in die wir Tiere drängen, auch in die Gesellschaft zurückspielen. Und dass es auf dieser Idee von "dem Anderen" beruht, die ja auch für Frauen oder für Menschen anderer Hautfarbe oder Menschen, die behindert sind, benutzt wird. Das Problem ist, dass Differenz als Angriff auf die eigene privilegierte Stellung verstanden wird. Und eben nicht als Attribut, was uns zwar vom anderen unterscheidet, was aber mögliche Gemeinsamkeiten nicht ausschließt." Autorin: Denn davon, sagt Swetlana Hildebrandt, gibt es zwischen Menschen und Tieren mehr als lange angenommen - man hatte nur nicht danach gesucht. Inzwischen haben Studien der modernen Verhaltensbiologie gezeigt, dass Schimpansen Werkzeuge benutzen und planvoll handeln können, Graupapageien einfache Rechenaufgaben lösen und Farben und Formen erkennen können oder Buckelwale komplex kommunizieren und kooperieren. Unter anderem. Musik / akust. Kennzeichnung für ethische Debatte Sprecher 1: Auch ohne radikale Positionen zu vertreten ist es schwierig, eine klare Grenze zwischen Mensch und Tier zu ziehen. Und damit festlegen zu können, bis wohin beispielsweise die Herstellung von Mischwesen in der Forschung unproblematisch ist - und ab wann sie ethisch unvertretbar wird. Macht ein bestimmter Anteil humaner Zellen, humanen Gewebes oder irgendwann vielleicht humaner Organe eine Labormaus mehr oder weniger "menschlich"? Wird eine transgene Ratte durch ein übertragenes Gen menschenähnlicher - oder müssen es fünf oder zwanzig oder noch mehr Prozent des menschlichen Genoms sein? 15. O-Ton, Catenhusen, dt.: "Man kann nicht einfach durch Abzählen quantitativer Größen sagen: ‚Ich sage mal, ab zehn Prozent ist es ein Problem.' Es gibt internationale Stimmen, die sagen: ‚Eins muss klar sein, mehr als die Hälfte darf es auf keinen Fall sein'. Das ist eine vom Vorsichtsprinzip getragene Position, die ich persönlich voll teile." Autorin: Die Frage nach dem vertretbaren Ausmaß einer Vermischung menschlichen und tierischen Materials ist auch im Ethikrat intensiv diskutiert worden. Zwar können "menschliche" Anteile bei Versuchstieren durchaus berechnet werden, sagt Wolf-Michael Catenhusen: Werden etwa einige Tausend humane Hirnzellen in ein Mäusegehirn transplantiert, das 100 Milliarden Neuronen pro Gramm Hirngewebe aufweist, käme man auf einen verschwindend geringen Anteil menschlichen Materials - im kaum darstellbaren Promillebereich. Werden einer Maus mit rund 30 Tausend eigenen Genen einige wenige humane Gene übertragen, liegt der transgene Anteil ebenfalls unter einem Promille. Wird ein ganzes Chromosom übertragen, läge das Mischungsverhältnis im Prozentbereich. Ausreichend, so Catenhusen, sind solche Berechnungen für eine ethische Bewertung des Mischwesens allerdings nicht: 16. Catenhusen, dt.: "Der Mensch definiert sich als eigene Art und eigene Arten sind dadurch gekennzeichnet, dass sie in ihrem Genom spezifische Eigenschaften ausgeprägt haben. Es gibt bestimmte Bereiche, die für das Menschsein besonders wichtig sind, das ist seine Vernunft, sein Hirn, sein Verstand, der ganze Bereich des Nervensystems und des Hirns. Das heißt zum Beispiel, dass wir's nicht zulassen, dass menschliche Gene in Erbanlagen eingeschleust werden, die die Sprachfähigkeit steuern oder die Intelligenzfragen beeinflussen. Hirn muss generell in bestimmten Zusammenhängen ein Tabu werden." Atmo / Akustische Kennzeichnung "Labor": (s.o.) ...Schritte, Stimmen, Hantieren im Labor... Autorin: Universität Göttingen, Abteilung Zelluläre und Molekulare Immunologie. Ein Gebäude mit 70er-Jahre-Charme, Linoleum-Fußboden und Neonlicht in den Fluren. In einem winzigen Labor bereiten Doktoranden Arbeitsplatten für die Kultivierung von Stammzellen vor. Ein paar Türen weiter besprechen Professor Ahmed Mansouri, Biochemiker und Leiter des Göttinger Max-Planck-Instituts für biopysikalische Chemie, und Professor Ralf Dressel, Mediziner, den Stand ihres laufenden Forschungsprojektes: Aus menschlichen, embryonalen Stammzellen züchten sie sogenannte Vorläuferzellen, in einem nächsten Schritt werden diese im Reagenzglas weiter zu Hirnzellen, Neuronen, ausdifferenziert. Schließlich werden die gezüchteten Neurone einer Ratte transplantiert - deren Gehirn vorher so verändert wurde, dass das Tier Symptome der Parkinson-Krankheit zeigt. 17. O-Ton, Mansouri, dt.: "Sie nehmen das Gehirn der Ratte und bringen die Zellen mit einer Nadel in diese Region hinein, wo vorher die neuronalen Zellen zerstört worden sind. Sagen wir mal, eine Million Zellen bringen sie da rein, mit einer Nadel. Und dann schauen sie nach, wie sich das entwickelt. Im besten Fall sollen sich die Zellen dort integrieren. Sollen also die Zellen, die zerstört worden sind, ersetzen. Im Idealfall. Und die Funktionen der Zellen übernehmen, die nicht mehr da sind." Autorin: Auf ähnliche Weise sollen irgendwann auch Menschen behandelt werden. 18. O-Ton, Mansouri, dt.: "Ich hoffe, dass man wirklich, irgendwann Parkinson-Patienten mit einem Transplantat helfen kann. Dass man entweder die Medikamenten-Dosis reduzieren kann oder wirklich Leute ohne Medikamente behandeln kann." Autorin: Natürlich sei allen bewusst, so Ahmed Mansouri, dass die Ergebnisse der Forschungen am Rattengehirn nicht hundertprozentig auf den Menschen übertragbar sind. Aber: 19. O-Ton, Mansouri, dt.: "Man muss halt irgendwo mit einem Tiermodell anfangen. Eine Ratte ist auch ein gutes Modell, gerade physiologisch. Sie können physiologisch feststellen, ob das, was sie da eingebracht haben, eine bestimmte Funktionalität wieder zurückgebracht hat. Dann geht man weiter, wird man im nächsten Schritt probieren, bei Affen das zu machen. Das ist ganz klar. Weil, physiologisch gesehen und auch von der Entwicklung her sind die natürlich viel näher als die Ratten, uns Menschen." Autorin: Gerade die Nähe zu den Menschen allerdings, sagt Wolf-Michael Catenhusen, die bestimmte Tiere, wie eben Affen, für die Forschung besonders attraktiv macht, macht sie aus ethischer Sicht zum Problem: 20. O-Ton, Catenhusen, dt.: "Wir neigen sehr zu der Auffassung, dass vor allem bei Tieren, deren Hirnstruktur dem Menschen besonders ähnlich ist, also Primaten, vor allem Menschenaffen, solche Versuche auf größte Zurückhaltung stoßen. Beim Affen stellt sich ja dann doch die Frage, in welchem Umfang können wir dort menschliches Erbmaterial, menschliches Material einfügen? Riskieren wir dabei nicht, dass Wesen entstehen, die wir nicht mehr eindeutig Mensch oder Tier zuordnen können? Und hier gibt es einen sehr großen Konsens, dass wir die Mischung von Mensch und Tier, die zu Wesen unklarer Artzuordnung führt, unter allen Umständen verhindern wollen." 21. O-Ton, Mansouri, dt.: "Das ist sicher ein ethisches Problem. Man muss die Frage sich stellen: wenn ich Neuronen in Affen hineinbringe, die vom Menschen herstammen - würde ich dann die Gedanken dieses Affen dazu bringen, dass er wie ein Mensch anfängt zu denken?" Autorin: Auch Professor Ahmed Mansouri kennt die Befürchtungen, dass mit der Übertragung von menschlichen Nervenzellen in das Gehirn von Menschenaffen Verhaltensänderungen in den Tieren hervorgerufen werden könnten. Aus seiner Sicht - und auch aus der vieler anderer Hirnforscher, Biologen und Mediziner - sei das allerdings äußerst unwahrscheinlich. 22. O-Ton, Mansouri, dt.: "Wenn ich Neurone in das Hirn von Affen bringe - gibt es keine einzige Studie, die bisher gezeigt hat, dass diese Neurone sich so integrieren, dass die voll in diesem Geflecht von neuronalen Zellen mitwirken. Meistens wachsen Neurone, aber die integrieren sich nicht. So dass man eigentlich davon ausgehen kann, dass dort diese Befürchtungen, dass plötzlich Affen anfangen, wie ein Mensch zu denken - das kann man einfach so nicht sehen." Autorin: Überhaupt, gibt Mansouri zu Bedenken, sei die Anzahl der in seinen Forschungen in Rattenhirne transplantierten humanen Zellen verschwindend gering. Und bisher sei man froh, wenn die humanen neuronalen Transplantate im Rattenhirn überhaupt überleben. Erfahrungsgemäß, so der Forscher, sterben rund 90 Prozent der Zellen während oder nach der Übertragung ab. Von Wesen, die durch die Versuche in irgendeiner Form "menschenähnlicher" werden könnten - könne hier gar keine Rede sein. 23. O-Ton, Mansouri, dt.: "Da wird ein Computer uns eher manipulieren als ein Affe. Weil unsere Computer immer schlauer werden und wir sitzen den ganzen Tag davor. Es gibt meines Wissens keine Versuche, egal in welchem Land, wo jemand Mischwesen herstellt, dass der Affe jetzt menschliche Gedanken entwickelt, plötzlich seine Persönlichkeit verändert und auf die Menschen losgeht - ich glaube, das gehört in Fantasy und solche Sachen." Atmo / Akustische Kennzeichnung "Labor" (s.o. Schluss) Sprecher 1: Die meisten der aktuellen Forschungsprojekte, in denen Mensch-Tier-Mischwesen in irgendeiner Form eine Rolle spielen, da sind sich Naturwissenschaftler und Ethiker größtenteils einig, sind ethisch vertretbar. Vor allem angesichts der großen Hoffnung, auf diesem Weg Fortschritte auf dem Gebiet der Organtransplantation und der Regenerativen Medizin, im Kampf gegen Krebs, Alzheimer-Demenz oder Parkinson zu erzielen. Autorin: Dennoch - ein Unbehagen bleibt: 24. VOXPOP(2), dt.: (m) "Wenn herumexperimentiert wird, kann viel passieren. Kann Vorteile haben, bei der Bekämpfung von Krankheiten, kann aber auch ins Gegenteil umschlagen." / (w) "Ich finde, das brauchen wir nicht." / (m) Früher oder später wird es ein paar komische Kreaturen geben, von denen man nicht einschätzen kann, wie die sich entwickeln." / (m) "Es kann durchaus sein, dass dadurch etwas entsteht, das schlauer oder stärker ist als der Mensch." Autorin: Einigkeit besteht deshalb auch darin, alle Experimente zu verhindern, bei denen echte, lebens-, entwicklungs- und fortpflanzungsfähige Mischwesen aus Menschen und Tieren entstehen könnten. Experimente zum Beispiel, in denen Menschenembryonen in eine tierische Gebärmutter eingepflanzt werden könnten, Befruchtungen zwischen menschlichen und tierischen Keimzellen stattfinden würden oder entwicklungsfähige tierische Zellen in menschliche Embryonen eingebracht würden. Bei denen lebensfähige Wesen entstehen könnten, die nicht mehr eindeutig den Menschen oder den Tieren zugeordnet werden könnten. Akustiktrenner, kurz Autorin: Vielleicht so deutlich wie nie zuvor, sagt Ethikrat-Mitglied Wolf-Michael Catenhusen, zeige die moderne Biologie und die Auseinandersetzung mit Mensch-Tier-Mischwesen: in seiner rein physischen Existenz, genetisch und physiologisch, ist der Mensch - zumindest vielen Säugetieren - ähnlicher als lange angenommen. Und hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, ihrer Intelligenz und ihren Verhaltensweisen sind viele Tiere dem Menschen ähnlicher als lange gedacht. 25. O-Ton, Catenhusen, dt.: "Wir sehen die Verwandtschaft des Menschen mit dem Tier - aber ihm ist in seiner Entwicklung doch eine Sonderrolle zugekommen, die ihn dazu befähigt und auch verpflichtet, Verantwortung für den Schutz von Tieren und Umwelt wahrzunehmen." Autorin: Forschungsvorhaben, in denen menschliches und tierisches Material in irgendeiner Form vermischt wird, müssten daher zunächst zwar stärker als bisher daraufhin geprüft werden, ob sie Konsequenzen für den Status des Menschen in der Natur, für seine Menschenwürde haben könnten. Aber ebenso darauf: ob sie die Bedürfnisse der Versuchstiere in unzulässiger Weise einschränken, ihnen ein artgerechtes Leben unmöglich machen. Sprecher 1: So wird in Zukunft viel Tierleid in der Forschung vermieden werden können - und auch den Affen mit übermenschlicher Intelligenz oder die Maus mit Menschengesicht wird es sehr wahrscheinlich niemals geben. Nicht verschwinden wird auf diese Weise jedoch: die Angst vor Mischwesen. Denn die - geben die Human-Animal-Studies zu bedenken - ist viel weniger Angst davor, dass ein Affe vielleicht schöner, schlauer oder kräftiger als ein Mensch werden könnte. Sondern viel eher davor, dass überhaupt irgendjemand schöner, schlauer oder kräftiger sein könnte als wir. Weil das in der Welt, in der wir leben, meistens auch reicher, gesünder, privilegierter und mächtiger bedeutet. Musik - Schluss 13