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Und doch gleichen die Bilder unserer Tage noch verdächtig dem Szenario, das der amerikanische Science-Fiction-Autor Ray Bradbury uns einst in "Fahrenheit 451" ausmalte: "Autobahnen, verstopft von Menschenmengen, die irgendwohin und nirgendwohin fahren". Ein neuer Typus Mensch könnte dereinst kommen, so imaginierte es Ray Bradbury 1953, er nannte ihn den "Benzinflüchtling". Wir "Benzinflüchtlinge" heute sind Realitätsflüchtlinge, die nach wie vor so leben, als wäre der Erdöl-Rausch ein immerwährender, als würden die natürlichen Ressourcen nie versiegen. Wir verhalten uns, als gäbe es ihn ewig, den Öl-Boom der schwarzgoldenen zwanziger Jahre, da Kurt Weill seine "Öl-Musik" komponierte für Leo Lanias Schauspiel "Konjunktur". 1928 war das, damals schrieb er auch den "Petroleumsong" für Lion Feuchtwangers Stück "Die Petroleuminsel". Zusp. Musik Kurt-Weill "Öl-Musik" wieder kurz hoch und dann wieder darüber Spr.: Die Petroleuminsel - ein Stück, das sich heute nicht mehr auf den Spielplänen findet. Und doch merkt man auf, wenn derzeit auf der Bühne des Münchner Residenztheaters die "Saubande" von "Standard Oil" verflucht wird, in einem alten Stück des Literaturnobelpreisträgers Eugene O'Neill, "Ein Mond für die Beladenen". "Öl" heißt das in Berlin uraufgeführte neue Werk von Lukas Bärfuss. Für den 37jährigen Schweizer Dramatiker besitzt das Thema auch heute eine Faszination. Zusp. Bärfuss: "Es ist wahrscheinlich ein ewiges Thema, seit die moderne Gesellschaft so süchtig geworden ist nach Öl. " Spr.: Einer der Anlässe für Lukas Bärfuss, sein Stück "Öl" zu schreiben, war der Fall, der vor kurzem erst wieder Schlagzeilen machte durch die fünfzehneinhalb Millionen Euro umfassende sogenannte Entschädigungszahlung des Öl-Konzerns Shell. Zusp. Bärfuss: "Das Schicksal von Ken-Saro Wiwa, dem nigerianischen Dichter, Politiker und Aktivist[en] für die Ogoni, das sind die Bewohner des Niger-Deltas, die sehr gelitten hatten unter der Öl-Förderung durch Shell, und der 1995 hingerichtet, gehängt wurde, - das hat mich damals schon sehr empört, und diese Empörung ist eigentlich geblieben darüber, das hat natürlich auch etwas damit zu tun, dass man sich mit diesem Kollegen identifiziert, er war Dichter, und da gibt es dann schon eine Betroffenheit, die ich dann mit einem Stück zu verbinden suche." Spr.: Ken-Saro Wiwa war der Führer des Aufstands im "shell-shocked land" Nigeria. Als der afrikanische Autor gehängt wurde, war der heutige Verleger Wolf-Rüdiger Osburg noch Manager beim Shell-Konzern in London, Global Vice President. Zusp. Osburg: "Das Thema Nigeria ist natürlich ein Riesenthema gewesen, das hat jeder ernst genommen, musste jeder ernst nehmen. Es ist schlichtweg nur so: Jeder hat seinen Bereich. Wir wurden unterschieden oder man unterschied in diesen Öl-Gesellschaften upstream, also das Fördern des Öls, das Nach-Oben-Bringen, und downstream, das heißt das Wieder-Unter-die-Menschen-Bringen. Ich bin immer nur im downstream gewesen. Also ich habe angefangen bei Shell 1989 als Jurist, das ist meine Ausbildung gewesen, habe dann, was damals bei der Shell der Fall war, in elf Jahren sieben Jobs gehabt, also so eine Generalistenausbildung und landete über den Tankstellenbereich, was so der Edelbereich ist außer den Raffinerien, nachher in London als Vice President Shell Chemicals, das war Autopflege." Zusp. Musik Kurt Weill "Öl-Musik" dramatisch unter Ton kommen lassen, hoch und dann frei, schließlich darüber Spr.: Ein ehemaliger Öl-Manager wird Verleger, ein Gegenwartsdramatiker schreibt ein neues Theaterstück, das sich um das schmierige schwarze Gold dreht, - und ein Thriller-Autor wie Andreas Eschbach legte vor zwei Jahren schon einen Bestseller vor mit seinem Roman "Ausgebrannt". 150.000 Leser fand er in Deutschland mit seiner gar nicht so unwahrscheinlichen Geschichte, die mit diesem Satz beginnt. Zit.: "Selbst mit dem letzten Tropfen Benzin kann man noch beschleunigen." Spr.: Ein packendes Buch, das uns äußerst drastisch vor Augen führt, was passieren könnte, wenn eines Tages in Saudi-Arabien das größte Ölfeld der Welt versiegte - innerhalb kürzester Zeit drohte der Zivilisation das Ende. Wir lesen solche Bücher, und wir schlagen Zeitungen auf, in denen der Öl-Konzern "BP" in großformatigen Anzeigen einen Imagetransfer versucht: "British Petroleum" wird da elegant zum Claim "Beyond Petroleum" umgedichtet. Ein sonnenblumenartig strahlendes Gelb, ein optimistisches Grün signalisieren: Auch wir haben begriffen und interessieren uns für die Umwelt: Doch: Jenseits des Benzins sind wir noch lange nicht. Allein, die Botschaft unters Volk bringen kann man ja schon mal. Zusp. Osburg: "Ja, wer das gut rüberbringt, hat Wettbewerbsvorteile. Was natürlich nicht bedeutet, dass die anderen nicht auch viel machen. Aber ich glaube, dass es im Moment nicht mehr ist, als sich ein Gewand geben. Aber bitte, [das ist] auch nicht ganz zu unterschätzen. Das heißt ja auch, dass allen bewusst ist, das ist ein Feld, mit dem wir eben auch werben können, und wenn das denn professionell gemacht wird und dann natürlich auch den Anspruch verursacht in der Öffentlichkeit, dass man nachfragt: Was macht ihr? Das ist ja auch nicht so ganz ohne, wenn man so wirbt, das sind schon viele Schritte, die in die richtige Richtung gehen, denn eines ist klar: Irgendwann wird es natürlich schon sehr ernst." Zusp. Öl-Musik Kurt Weill ca. 24 sec. frei, dann darüber, und nach Break unter Text langsam ausblenden Spr.: Es wandelt sich etwas: Der Shell-Konzern, der wie andere Öl-Konzerne auch Bohrtürme über Bohrtürme aus der Erde schießen ließ, so viele, dass man geneigt ist beim Anblick bohrturmbedeckter Landschaften von Gegenwäldern zu sprechen, er ist mittlerweile einer der größten Waldbesitzer weltweit. Die Öl-Konzerne denken längst um. Und wir? Unsere gesamte technische Zivilisation ist auf Öl gebaut. Unser Öldurst ist gewaltig. Wir verbrauchen fünfundzwanzig Milliarden Barrel Öl pro Jahr, Tendenz steigend, wir finden aber nur sieben Milliarden Barrel im Jahr, Tendenz fallend. Strategische Ölreserven sind angelegt, aber wie lange sie vorhalten, weiß niemand. Zusp. Bärfuss: "Ich glaube, was die geschichtliche Situation jetzt kennzeichnet, ist, dass wir sehr stark empfinden, dass Öl eigentlich der Vergangenheit angehört, also es gibt Experten, die der Meinung sind, dass der Oil Peak bereits erreicht sei, das heißt die größte Fördermenge bereits erreicht sei, dass wir die Hälfte hinter uns gelassen hätten, wie auch immer: Jedenfalls bewegen wir uns auf eine Zeit ohne Öl zu. Und schon meine Kinder werden in einer Zeit leben, wo Öl schon nicht mehr diese Bedeutung haben wird wie heutzutage, und dieses Schwellengefühl hat mich auch sehr interessiert, dass wir zwar noch mittendrin sind in etwas, aber doch sehr stark fühlen, dass wir uns daraus bewegen sollten, und die Anstrengungen, die unternommen werden, sind ja immer noch sehr unschuldig, also die Möglichkeiten alternativer Energien, scheinen immer noch sehr beschränkt zu sein, und diese Übergangszeit ist, glaube ich für das Theater ein sehr interessanter Umstand, weil natürlich etwas in Bewegung ist und wir nicht genau wissen, worauf wir uns zu bewegen, und diese Unsicherheit ist generell sehr produktiv für die Bühne." Spr.: In Lukas Bärfuss` neuem Theaterstück "Öl" geht es um einen Mann und eine Frau, beide leben sie in einem fiktiven Land. Er hat von der Regierung eine Förderlizenz gekauft und ist auf der Suche nach Erdöl. Sie wartet. Zusp. Bärfuss: "Während dieses Wartens geschieht etwas mit ihr, mit ihrer Seele, mit ihrer Liebe auch, und die Hoffnung bleibt eigentlich immer, dass sobald dieses Öl dann gefunden ist, dieses Warten aufgehoben werde und auch die Folgen dieses Wartens und das ist der Irrtum, das heißt sie finden dann tatsächlich Öl, allerdings wird es damit nur noch schlimmer. Die Verletzungen und Verheerungen, die angerichtet wurden auch in dieser Fremde, auch die Schuld, die man natürlich auf sich lädt einfach durch diese Tatsache, dass man bei dieser 'Beschaffungskriminalität nach Öl', wie Kurt Vonnegut sie genannt hat, weil man sich da schuldig macht, das wird dann mit diesem Fund natürlich nicht aus der Welt geschafft. Und die Geschichte ist eigentlich die einer Frau, die hofft, dass Geld und Reichtum sie wieder zivilisiert, und das Gegenteil geschieht eigentlich." Spr.: Eine ziemlich herrische Person, Bärfuss' weibliche Hauptfigur, die Ihrer Haushälterin von oben herab erklärt: "Ihr Land hat keinen Tag der Freiheit erlebt". - Dass Bärfuss hat sein Stück "Öl" in einem Unterdrückerstaat angesiedelt. Zusp. Bärfuss: "Es ist eigentlich ein sehr einfacher Gedanke, nämlich dass unsere westlichen Demokratien und Republiken mit all ihren Menschenrechten, Bürgerrechten, Frauenrechten, Minderheitenrechten von einem Stoff abhängig sind, der beinahe ausschließlich in totalitären Diktaturen gefördert wird. Und das finde ich eine unglaubliche Tatsache eigentlich, dass unsere Zivilisation, wie wir es nennen und unsere moderne Welt eigentlich nicht ohne diesen Stoff auskommt, und das hat mich interessiert, was richtet das eigentlich genau an oder wie integriert man dieses Wissen, dass man von etwas abhängig ist, das den Grundprinzipien unserer Gesellschaft widerspricht, wie integriert man das und ich fand, die Antwort kann man eigentlich nur dort finden, wo also vor Ort eigentlich, bei den Menschen, die direkt diesen Mechanismen ausgeliefert sind. Für die jeweiligen Förderländer ist Erdöl ja tatsächlich wie ein Fluch, also der Reichtum, der da geschaffen wird, schlägt sich eigentlich gegen neunzig Prozent der Bevölkerung. Es gibt das Phänomen der holländischen Krankheit zum Beispiel, das heißt dass diese Exportüberschüsse durch dieses Öl eine Aufwertung der Währung zur Folge habe und diese wiederum einen Niedergang der Industrie, was man in Venezuela zum Beispiel, in Nigeria, wie erwähnt, und in Kasachstan beobachten kann - und diese Folgen sind beinahe stereotyp. Und deshalb hat mich da auch die geographische oder geschichtliche Genauigkeit nicht interessiert, sondern vielmehr das Allgemeine dieser Prozesse anhand dieser spezifischen Personen, denn man darf ja nicht vergessen, es ist ein Theaterstück und keine Abhandlung, keine soziologische Abhandlung." Zusp. Öl-Musik Weill nur als Akzent Spr.: Als Kurt Weill seine Öl-Musik komponierte, Ende der zwanziger Jahre, erschien in Deutschland ein Roman, der sich damals über 100.000 Mal verkaufen sollte und heutzutage nur noch antiquarisch zu beziehen ist: "Öl!" von Upton Sinclair. Ein bisweilen polemisches, weitsichtiges Buch über Aufstieg und Fall der frühen kalifornischen Öl-Magnaten, die Sinclair hier als "Raubvögel in Menschengestalt" charakterisiert, wie sie sich nicht nur in den USA, sondern auch in Übersee - im Kaukasus, in Persien, in Sibirien wie Venezuela - Erdölkonzessionen zu sichern suchten. Mit "polterndem Wildwest-Gebaren" und Bestechungsgeldern, mit "Millionen Schmieralien", so Sinclair, bestimmten diese "wirklichen Herren von Amerika" die Außenpolitik der Vereinigten Staaten: "Das ist die Weltpolitik - ein Gerangel um eine Ölpacht", schreibt Upton Sinclair hellsichtig in seinem Roman schon 1927. Und Kurt Tucholsky dichtet nur wenige Jahre später die Zeilen: Zit.: "Ist etwas auf Erden schief und krumm, dann riecht es bestimmt nach Petroleum." Zusp. Bärfuss: "Ja, mich erstaunt immer wieder an diesen Zitaten, wie früh die im 20. Jahrhundert doch geschrieben wurden, und wie sensibel - wie Trüffelschweine - das diese Dichter doch schon empfunden haben, das hat mich auch jetzt bei der Recherche immer wieder erstaunt." Spr.: Und doch: Ist das "Muschellied" Kurt Weills, das der auf den Öl-Konzern Shell mit der Muschel im Emblem münzte, heute noch in seiner Plakativität zeitgemäß? Zusp. "Muschellied": "Ein Naphta- und Benzin-Kartell - Shell! Shell! Shell! - ... Die Muschel von Margate bringt ihnen Glück, / Muschel im goldenen Grunde, fällt auf sie sein Blick, / denkt er gern zurück an manche unvergessliche Funde. / Und als der Tank zu pumpen anfing in Margate auf der Promenade, / ein Dutzend an jedem Bohrturm hing, der über Öl bei Baku steht, / Kolchak und Denikin, da wurde aus Blut Benzin, aus tausend Hälsen sprang der Quell: Shell! Shell! Shell! Muschel von Margate, bringt ihnen Glück, Muschel von Margate / fällt auf sie der Blick, denkt er gern zurück an manche unvergessliche Funde, wir aber gehen vor die Hunde, Muschel von Margate, fällt auf sie der Blick, zahlen wir zurück, in letzter schweigender Stunde!" (01'09) Zusp. Bärfuss: "Die Kritik an Shell, an BP und an Exxon und an russischen Erdölfirmen, die ist ja beinahe omnipräsent und wird auch breit diskutiert. Ich glaube, das grundsätzliche Problem können wir nicht lösen, nämlich dass wir alle auf Gedeih und Verderb von diesem Stoff abhängig sind, also mich hat nicht so sehr interessiert, jetzt mit dem Finger auf irgendeinen Erdöl-Multi zu zeigen, sondern vielmehr danach zu fragen: was ist eigentlich meine Verstrickung in das Problem. Das ist natürlich sehr viel unangenehmer und auch gefährlicher, weil wer da genau böse ist gut, das ist dann plötzlich nicht mehr so klar. Ich glaube, dass das das Öl uns auch sehr viel Glück gebracht hat, also die Zunahme des allgemeinen Wohlstands in den westlichen Industriestaaten wäre wahrscheinlich nicht so rasant erfolgt, wenn wir das Öl nicht gehabt hätten, und mich interessiert eben gerade das Janusköpfige daran, das Zweischneidige, und ich glaube, dort ist natürlich auch die Ambivalenz sehr deutlich zu finden. Nämlich die Pharma-Industrie oder die chemische Industrie sind ja sehr stark von diesem Öl abhängig. Und dort beginnen die sehr viel komplizierteren Verstrickungen, ich glaube, das ist schon ein bisschen komplizierter als dass man einfach sagen könnte, es gibt diese Öl-Barone oder diese Haudegen, und das sind schlimme Menschen." (01'20) Spr.: Die Haudegen und Öl-Barone alten Schlags hat der ehemalige Shell-Manager und jetzige Verleger Wolf-Rüdiger Osburg schon gar nicht mehr kennengelernt, nur noch gerüchteweise kursierten damals die Geschichten um legendäre Bosse wie Sir Henri Deterding, der sich gern als "Napoleon des Öls" bezeichnen ließ. Zusp. Osburg: "Ich denke mal, also natürlich ist über viele Jahrzehnte der Zusammenhang von Politik und Öl und der Wirtschaft gesehen worden; es ist einfach so, ich sage mal, in den Chefetagen, wo früher noch meines Erachtens Minister anriefen, da riefen jetzt keine Minister mehr an. Das wurde jetzt alles sehr viel nüchterner, und die Shell war wie andere Unternehmen auch immer noch erfolgreich, aber nicht mehr weltbestimmend. Das hatte man ihnen natürlich zu Anfang zumessen können. Ich sage mal, Ölbosse in den Jahren vorher, die Führer von solchen Konzernen wie Shell in den 40er und 50er Jahren hatten mit Sicherheit eine andere Aura als das später der Fall war." Spr.: Der "Glamour" früherer Zeiten ist für Osburg damals schon weggewesen, - was womöglich seine Entscheidung erleichterte, ins Buchgeschäft zu wechseln. Der bisher erfolgreichste Titel seines noch jungen Osburg-Verlags ist, Ironie der Geschichte, die Biographie eines Autors aus der Erdöl-Metropole Baku, der einer Erdölmillionärsfamilie entstammte und der in der Weimarer Zeit sehr erfolgreich auf deutsch romantische Novellen veröffentlichte, Bücher wie "Liebe und Erdöl", "Flüssiges Gold" oder "Öl und Blut im Orient" hießen. Sein Name: Essad Bey. Zusp. Osburg: "Ja, das ist das mit drin, die Anfänge des Öls in Aserbeidschan. Das hatte ich auch als Shell-Youngster gelernt, dass das Öl ja wirklich da angefangen hat und nicht gleich in Arabien, das ist aber nur das Bühnenbild für die erste Szene dieses Buches, das dann ja im literarischen Leben Essad Beys die meiste Zeit in Berlin gespielt hat, aber es ist natürlich schon ein spannender Auftakt gewesen, die Anfänge des Öls in Aserbeidschan. Es ist aber nicht primär ein Öl- Buch, es hat eben diesen Kaukasus-Teil, aber eben nur Teil von mehreren." Spr.: Zwar ist auch Bodo Kirchhoffs aktueller, in diesem Jahr erschienener Unterhaltungsroman "Erinnerungen an meinen Porsche" primär kein Öl-Buch, dennoch behandelt es das Thema Öl auf seine Weise. Die Hauptfigur des Romans ist ein Investment-Banker, der in Termingeschäften mit den Ölpreis spielt. Zusp. Kirchhoff: "Das mit dem Ölpreis, um es bei der Gelegenheit mal zu sagen, ging übrigens so. Man erwarb das Recht, zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft, daher der englische Ausdruck futures, eine bestimmte Menge des Produktes Rohöl zu einem festen Preis geliefert zu bekommen oder auch abzugeben, eine Vorgehensweise, die ihren Ursprung bei den amerikanischen Farmern hat ... Leerverkäufe ... speziell beim Öl, weil die Verluste an den Kassen der Tankstellen weltweit ausgeglichen wurden, ohne dass es der einzelne richtig merkte. Er ärgerte sich nur ein wenig über die hohen Benzinpreise." (01'59) Zusp. "Öl-Musik" Kurt Weill Spr.: Dass Thema Öl taucht verdächtig oft in der Gegenwartsliteratur auf. 2008 erschien auf Deutsch, weithin unbeachtet, ein Roman des Dänen Peter Adolphsen: "Das Herz des Urpferds". Der Held seines Buches, sei ein Tropfen Öl, sagt Adolphsen. Der Tropfen Öl, der zu Beginn von Adolphsens phantastischer Geschichte in einem Automotor verbrennt, war vor 55 Millionen Jahren das Herz eines Urpferds. Adolphsen schildert eine faszinierende "Kette von Verwandlungen" von Materie: die Metamorphose eines Pferdeherzens zu einem Tropfen Benzin im Tank eines Autos über Jahrmillionen hinweg. Spricht man mit Adolphsen, sagt er einem, dass er dem Ende des Erdölzeitalters mit Gelassenheit entgegensehe: wir Menschen würden ohnehin irgendwann wieder von diesem Planeten verschwinden. "Nur die Bakterien werden uns überleben", lacht Peter Adolphsen, "sollen sie die Erde erben". Dem Ende seiner Zeit auf Erden mit Humor entgegen sah auch der Lyriker Peter Rühmkorf. Seinen Lebensodem verbraucht zu haben glaubte er schon 1975, - "ausgehaucht / einfach aufgrund mangelnden / Universalbenzins". So schrieb man damals witzelnd wohl noch unter dem Eindruck der Ölkrise 1973. Auch der amerikanische Romancier John Updike ließ in einem seiner "Rabbit"-Romane seine Hauptfigur Harry Angstrom zum Leiter einer Toyota-Niederlassung aufsteigen, mitten in der Ölkrise, der "Ölmisere" 1979. Das "panikartige Nachtanken", welches er gleich zu Beginn beschreibt, die Sorge um den "American Way of Drive" erinnert einen sehr an die "Billigbenzinjäger" unserer Tage. "Bessere Verhältnisse" heißt dieses Buch, in dem der Präsident erwägt, eine "Sondersteuer auf die enormen Gewinne der Ölgesellschaften" einzuführen. John Updike kommt darin gleich zur Sache: Zit.: "Der Saft geht ihnen aus, denkt Rabbit Angstrom, während er hinter den sommerstaubigen Fenstern im Ausstellungsraum von Springer Motors steht und den Verkehr auf der Route 111 beobachtet, einen Verkehr, der irgendwie dünn und verschüchtert ist, verglichen mit dem, was er einmal war. Dieser dreckigen Welt geht das Benzin aus." (aus: "Bessere Verhältnisse" von John Updike, übers. v. Barbara Henninges) Zusp. Osburg: "Ich denke mal, dass ist bei der Gesellschaft fast so wie bei Einzelindividuen - sie haben so ihren großen Schock, nicht, in den 70er Jahren, dann erleben sie hinterher: Ach, es geht ja weiter. Der Mensch schafft eigentlich immer Lösungen. Das heißt auch da geht es weiter, ein bisschen geläutert. Man hat das Thema Öl einmal durchgespielt. Aber ganz so ernst erscheint es den Menschen dann nicht, und dann geht man einfach weiter. Man hat diesen Schock gehabt, erlebt dann, dass eine ganze Menge alternative Energien gemacht werden - Benzin aus Algen -, da wird eine Menge gemacht. Nichts von dem ist jetzt - sage ich als Nicht- Ingenieur - die Lösung, aber es erweckt den Eindruck, da geschieht etwas. Als Menschen geschehen ständig schreckliche Dinge um uns herum, aber bisher haben wir immer noch eine Lösung gefunden, und ich denke, dass ist dann in den Köpfen." Zusp. "Öl-Musik" Kurt Weill Akzent Spr.: Es zieht sich eine Ölspur durch die Literatur unserer Zeit: 2007 ließ der Poet Jürgen Becker im Gedichtband "Dorfrand mit Tankstelle" einen Tankwart klagen: Zit.: "Gestern. Der Benzinpreis. Alles war gestern, sagt Moritz der Tankwart, Krieg und Antikrieg. Er schaut auf die Straße und hebt den Arm, als der Traktor vorbeikommt und der Fahrer den Arm hebt." Spr.: In Karl Heinz Otts Roman "Ob wir wollen oder nicht" ist der Held ein abgehalfterter Tankstellenpächter in einem Schwarzwald-Kaff, der diese unrentable Tankstelle hat aufgeben müssen. Dennoch will er den museumsreifen "Schrottkasten" in seiner "anrührenden Erbärmlichkeit" erhalten, aber davor ist der "schier allmächtige Konzern", der die Tankstelle mit Öl versorgt und verhindert, dass "sein großmächtiger Name mit Zerfall und Niedergang in Verbindung gebracht wird". Zusp. Osburg und Bärfuss: "Das Thema hat nicht mehr die ganz große Faszination wie ganz große Öl-Gesellschaften sie vor einiger Zeit noch hatten. Ich meine, wir haben immer wiederkehrend diese Diskussionen über die Tankstellenpreise, das hat ja schon fast was von so einem Hypnosependel, das wird dann auch wahrgenommen oder nicht verstanden, aber es hat nicht mehr den Stellenwert. Das ist natürlich irgendwo, wenn man weiß, dass die nicht-erneuerbaren Energien weniger geworden sind, erstaunlich, aber auch da wird's Erklärungen geben, - es hat einfach nicht mehr den Stellenwert. - Ja, das würde ich auch meinen, ich finde es auch immer wieder erstaunlich, wie ... ja, diese Wellen der Empörung, wenn der Ölpreis wieder steigt, oder an der Zapfsäule wieder Mal das Komma verschoben wird gegen rechts, dass man ja man empfindet halt sehr stark über das Portemonnaie und spürt es dann auch an den Heizölpreisen. Aber dass wir da immer noch etwas verfeuern, was wir sehr viel besser nutzen könnten - also es ist eben nicht nur Treibstoff, sondern es ist ein Produktionsstoff, ein sehr kostbarer Produktionsstoff - und dass wir sehr viel mehr Sorge tragen müssten für diese hochkomplexen Verbindung, die Erdöl ja ist, es ist überhaupt die komplexeste Verbindung, die wir kennen in der Natur, das ist irgendwie noch nicht angekommen. Es ist eine Schande, das überhaupt zu verbrennen und wir werden es überhaupt erst merken, wenn es fünf vor zwölf ist." Zusp. "Öl-Musik" dramatisch kurz frei, dann darüber Spr.: Wenn es dann wirklich zwölf schlägt, und wir dann entgegen der so populären Redewendung nichts mehr "in der Pipeline haben", wird man sich angesichts der massiven politischen und wirtschaftlichen Probleme, voller Wehmut an die Zeiten erinnern, da die quellen noch sprudelten und selbst Schriftsteller im Ölgewerbe arbeiteten. Lange bevor er Krimis schrieb, brachte es Raymond Chandler im kalifornischen Öl-Business zum Vizepräsidenten des Dabney Oil Syndicate, er verlor dann allerdings diesen Posten seiner Sauftouren wegen. Dass man als Dichter doch besser auf Abstand zum leidigen Sprit gehen sollte, lehrt nicht allein sein Beispiel. Der Dichter Dylan Thomas sollte 1951 das Drehbuch zu einem Werbefilm der "British Petroleum" schreiben, die damals noch "Anglo-Iranian Oil Company" hieß. Also reiste Dylan Thomas zu den Bohrtürmen nach Persien, brachte aber überhaupt nichts Werbewirksames zuwege. Über die "schrecklicken Ölmänner" beschwerte er sich in seinen Briefen. Immerhin, eine kleine Radio-Serie für die BBC über persisches Erdöl kam dann doch noch zustande. Ansonsten aber weiß man nur, dass der dem Alkohol nicht abgeneigte Dylan Thomas auch in Teheran tüchtig - na was wohl - getankt hat. Eine positive Auswirkung, darauf verweist Hans Magnus Enzensberger gern, hat das Öl ja doch auf die Literatur gehabt: im zweisprachigen Norwegen gibt es in der Tat zwei Ausgaben von Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Zusp. Enzensberger: "Das ist auch eine Komödie. Wenn sich ein kleines Land zwei Proust-Übersetzungen leisten kann, dann ist das auch etwas Grandioses. Gut, das können sie sich auch leisten, weil sie so viel Öl haben." 1