COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Länderreport 19.7.2012 Ein kühles Helles unter Kastanien - 200 Jahre Biergärten in Bayern Autor: Michael Watzke Redaktion: Heidrun Wimmersberg _________________________________________________________________________ 1 - KATHARINA MAIER "Ihr wisst ja, jetzt ist wieder tanzen angesagt: überall, wo noch Lücken frei sind, da können sich jetzt die Tanzpaare reintrauen. Euch wird nix anderes übrig bleiben, denn die Tanzgeiger, die jucken unter den Füßen. Pack'mers, Rudi!" ATMO POLKA Sonntag morgen, sechs Uhr früh am Chinesischen Turm in München. Mitten im Biergarten werfen sich fünftausend Pärchen in eine wilde Polka. Mit Kochschürzen oder als Dienstmagd verkleidet, in Dirndln oder Lederhosen. Mittendrin im feiernden Volk fuchtelt eine kleine, hochschwangere Frau mit den Armen: 2 "Ich bin die Katharina Maier, und ich bin die Tanzmeisterin vom Kocherlball. Der Kocherlball ist eigentlich ein Angestellten-Ball, für die "Kocherl" eben, die Köche und Mägde von früher. Sonntag in der Früh war die einzige Zeit, wo das Personal Ausgang gehabt hat, weil die Herrschaft in der Kirche war. Dann hat's Personal Ausgang gehabt. Dann haben natürlich die Mäuse auf den Tischen getanzt. Und hier im Freien Big Party! Und dann natürlich in die Büsche geschlagen. Wie das damals üblich war!" So ist es auch heute noch üblich. Und vor allem möglich. Denn die Kocherlball-Gäste feiern mitten im Englischen Garten - zwischen jahrhundertealten Kastanien und dichtem Strauchwerk. 3 "Weil das hier der optimale Ort ist. Weil man keine Miete zahlen muss für irgendeinen großen Saal. Weil man genug Platz hatte. Weil's einfach ein traditioneller Ort ist. Klar, der Englische Garten hat Kult-Status, entsprechend hat natürlich auch der Biergarten Kult-Status. Aber auch alle anderen großen Münchner Biergärten sind mindestens genauso wichtig, gerade und besonders für unsere Kultur." Die bayerische Biergarten-Kultur ist den Münchnern so heilig, dass sie das taten, was echte Bayern tun, wenn sie Angst um ihre Traditionen haben: sie gründeten einen Verein. An der Spitze, im rosa Dirndl: Uschi Seebeck-Förster. 4 "Ich bin die Präsidentin des Vereins zur Erhaltung der Biergarten-Tradition. Das ist ganz wichtig. Der Biergarten hat eine soziale Funktion. Auch Familien mit Kindern, die sich im teuren München nicht immer einen Restaurant-Besuch leisten können, die gehen gern in einen Biergarten und nehmen ihr Essen mit. Die Getränke müssen natürlich beim Wirt gekauft werden. Und dann deckt man schön den Tisch, mit einer Tischdecke und einem Kerzerl, und dann nimmt man das, was man möchte, einfach mit." So hat das schon der junge Lion Feuchtwanger gemacht. Als Jude konnte er sein koscheres Essen in den Biergarten mitbringen. Und Bier ist von Haus aus koscher. In seinem Roman "Erfolg" schrieb Feuchtwanger 1929: "Die Stadt München war eine dörfliche Stadt. Viele Kleinbürger, noch sehr verwachsen mit dem Landvolk. Viel Grün war da und große Biergärten mit behaglicher Sicht auf Fluss und Berge." Für Sissi und Piroschka hat sich seitdem nicht viel verändert. Die zwei jungen Damen aus Ungarn sind in Trachten aus Siebenbürgen zum Kocherlball gekommen. Für ihre Freunde und sich haben sie einen Biertisch eingedeckt wie eine festliche Tafel in einem fürstlichen Ballsaal. 5 - SISSI UND PIROSCHKA "Ich hab schon einiges mitgebracht. Etwas zum Frühstück, Knabbereien. Also für die Leute, die die Nacht durchgemacht haben, sind Knabbereien da. Und die, die noch nicht gefrühstückt haben, die kriegen Brötchen und Käse." / "Und Schinken und Tomaten. Also alles, was wir brauchen, haben wir schon dabei!" Es wäre nun an der Zeit, das Tischgebet im Andenken an den seligen Maximilian I. zu sprechen. Jenen bayerischen König, der vor 200 Jahren eine Ausschank-Verfügung erließ, die den Biergarten sozusagen erfand. Zitat: 6 - SPRECHER "Den hiesigen Bierbrauern solle gestattet seyn, auf ihren eigenen Märzenkellern in den Monaten Juni, Juli, August und September selbst gebrautes Märzenbier in Minuto zu verschleißen, und ihre Gäste dort selbst mit Bier und Brod zu bedienen. Das Abreichen von Speisen und anderen Getränken bleibt ihnen aber ausdrücklich verboten. Verordnung vom 4. Jänner 1812, unterzeichnet Ihre Hoheit Maximilian, König von Bayern." Die Verbots-Klausel des Biergarten-Erlasses war ein diplomatisches Meisterstück des Königs. Denn er musste zwei widerstrebende Interessen vereinen: die der Bierbrauer gegen die der Wirte. Die mächtigen Münchner Brauer, erklärt Peter Lueg, der Leiter der Münchner Gewerbe-Behörde, durften ihr Bier vor 200 Jahren erstmals ab Werk verkaufen... 7 - PETER LUEG "... gegen den wütenden Protest der Münchner Gastronomie. Die sahen ja, dass ihnen das Geschäft entgeht. Damit auch die Gastronomen zufrieden gestellt werden, war der Erlass mit der Auflage verbunden, dass sie nur das Bier abgeben durften und keine Speisen." Diese Verfügung gilt noch heute. Wer seine Gartenwirtschaft in München "Biergarten" nennen will, muss strenge Auflagen erfüllen. Der Boden etwa muss aus Kies bestehen, das Bier muss in Fässern im Kühlkeller lagern. Nur wenige der 3500 Freischankflächen in München halten diese Bedingungen ein. 8 - PETER LUEG "Also Biergärten, das ist einigermaßen überschaubar in München. Wir haben 49 Biergärten, die diese Kriterien erfüllen. Also der Garten mit hohen Bäumen bestanden. Heute sind das meistens Kastanien, früher waren es auch Ahorn-Bäume. Und in dem Bier ausgeschenkt wird. Und wo der Gast sein Essen selbst mitbringen kann. Das ist die Voraussetzung. Davon haben wir 49. Wenn Sie mal alle Gastplätze zusammenzählen im Freien, dann sind das etwa 180.000." 180.000 Plätze bei 1,3 Millionen Einwohnern. Theoretisch kommt auf jeden siebten Münchner ein Platz auf der Bierbank! Christian Vogler bietet allein schon 5000 Plätze. Der Wirt des Augustiner-Biergartens am Hauptbahnhof steht vor dem Eingang unter dichten, grauen Wolken und pinselt schwarze Farbe auf den hölzernen Rahmen einer uralten Schiefertafel. 9 - CHRISTIAN VOGLER "Das ist ein ganz ein altes Teil, eigentlich. Die hat mein Vorgänger schon von seinem Vorgänger geerbt. Ich find' die sehr schön. Und das ist eine ruhige Minute heute Nachmittag, ich hab' jetzt Lust, so was zu machen. Jetzt streich' ich das einfach neu." "Heute knuspriger Spanferkelbraten mit Kartoffelknödeln!" hat Christian Vogler mit Kreideschrift auf die Schiefertafel geschrieben. Und "Frisches Augustiner Edelstoff vom Fass". Voglers Biergarten gilt vielen Münchnern als der urigste und traditionellste. 10 - CHRISTIAN VOGLER "Wir bei Augustiner, wir sind ja privat geführt. Das gehört einer Stiftung der Familie Inselkammer. Und Augustiner ist ja eh speziell. Wenn Sie sehen: 70% der Münchner trinken Augustiner Bier, obwohl es die kleinste Münchner Brauerei ist. Wir haben 124 Stammtische, und die Stammgäste kommen einfach regelmäßig. Das sind die alteingesessenen Münchner, zum Beispiel Handwerksmeister. Die Tische, die Sie hier sehen, diese runden Tische, die gehören den Gästen tatsächlich. Also die Gäste bringen die im Frühjahr und nehmen sie im Herbst wieder mit. Der älteste Stammtisch, den wir hier haben, der ist vom Alpenverein und ist von 1896." Heute ist nicht viel los im Augustiner, es ist kalt und beginnt zu regnen. Wettertechnisch ist das Jubiläums-Jahr ein Katastrophenjahr für Vogler. Aber treue Stammgäste kommen trotzdem. Arnold Stangassinger etwa sitzt mit Trachtenhut im Nieselregen. Für ihn ist der Biergarten... 11 - ARNOLD STANGASSINGER / CHRISTIAN VOGLER "... eine Münchner Institution, in der ich mich wohlfühle. Weil's ein gutes Bier vom Fass gibt." / "Und das Wetter spielt keine Rolle?" / "Das spielt keine Rolle!" / "Es war ja hier früher der Siggi Sommer Stammgast. Das ist der ehemalige Kolumnist der Abendzeitung. Und der Siggi Sommer hat unter seinem Tisch so ein 10-Liter-Essiggurken-Fass gehabt. Aus Metall. Und wenn es kalt war, hat er unten Holzkohle rein und hat angeheizt. Dass er eine Fußbodenheizung hat. Und die Geschichte war - eine wahre Geschichte - dass der Prälat Betzwieser, ein ehemaliger Pfarrer, der hatte einen Holzfuß. Und irgendwann saßen die mal recht lange am Nachmittag hier. Und plötzlich sagt der Siggi Sommer: ,Prälat, ich glaub', Ihr Holzfuß brennt!' Da ist dem Prälat tatsächlich fünf Zentimeter von dem Holzfuß abgekokelt. Der ging mit Schlagseite aus dem Augustiner - und das lag nicht am Bier!" An verregneten Nachmittagen wie diesem könnte Christian Vogler stundenlang Anekdoten erzählen. Wahre und fast wahre. Er könnte auch Thomas Mann zitieren, der gern und häufig im Biergarten einkehrte. 1911 schrieb der Münchner Nobelpreisträger in seiner Novelle "Tod in Venedig": "Beim Aumeister, wohin stillere und stillere Wege ihn geführt, hatte Aschenbach eine kleine Weile den volkstümlich belebten Wirtsgarten überblickt, an dessen Rande einige Droschken und Equipagen hielten, hatte von dort bei sinkender Sonne seinen Heimweg außerhalb des Parks über die offene Flur genommen und erwartete, da er sich müde fühlte und über Föhring Gewitter drohte, am Nördlichen Friedhof die Tram, die ihn in gerader Linie zur Stadt zurückbringen sollte." ATMO TRAMBAHN Heute rauscht die Tram am Augustiner-Biergarten vorbei und übertönt das Lachen und Lärmen der Besucher. Blasmusik wird hier nicht gespielt. Ein Gerücht sagt, dass unter den mächtigen Kastanien vor 200 Jahren eine Hinrichtungsstätte gewesen sei. Unsinn, ruft Christian Vogler. Schuld sei wieder mal Siggi Sommer. 12 - CHRISTIAN VOGLER "Der Siggi Sommer mochte keine Musik. Und hat überall rumerzählt: weil hier früher die Richtstätte gewesen sei, dürfe keine Musik gespielt werden. Und der Fritz Wepper, der hat mich dann aufgeklärt. Der Wepper kannte den Siggi Sommer, saß bei ihm am Tisch und wusste, dass die Geschichte vom Siggi Sommer kommt. Dass der immer versucht hätte, den Leuten was von Hinrichtungen einzureden. Was aber gar nicht stimmt, wie gesagt, gell?" Der wahre Grund für die fehlende Blasmusik im Augustiner liegt vielmehr beim Münchner Kreisverwaltungs-Referat. Dort sammeln sich bei Peter Lueg, dem Leiter der Gewerbe-Behörde, die Lärm-Beschwerden: 15 - PETER LUEG "Mit den Biergärten haben wir in München natürlich schon ein bisschen mehr Probleme als in anderen Städten. In Berlin beispielsweise kann manches stattfinden, wo wir in München bereits an unsere Grenzen gestoßen sind. Weil in Berlin einfach die Straßen breiter sind und die Wohnbebauung etwas lockerer ist. Im Augenblick haben wir ein bisschen Probleme im Hirschgarten. Zumal die Wohnbebauung immer näher an den Hirschgarten rangegangen ist. Aus dem Grund haben wir da immer wieder mal Beschwerden." Peter Lueg ist vorsichtig, wenn er über die Probleme mit dem Lärm spricht. Er weiß: eine solche Beschwerde hat 1995 in München eine Revolution ausgelöst. Die 1.Münchner Biergarten-Revolution. 40.000 Menschen demonstrierten auf dem Münchner Marienplatz für den Erhalt der "Wawi" - der Waldwirtschaft bei Pullach, südlich von München. Die Wawi sollte wegen des Besucherlärms schon um neun Uhr abends schließen. Manfred Schauer, ein regelmäßiger Wawi-Gast, ging auf die Barrikaden und rief zur Massendemo: 18 - MANFRED SCHAUER "Damals war's ja nicht nur das, da wollten sie ja die Wiesn schon um zehn Uhr schließen. Und was damals wie heute ist: da zieht jemand aufs Land raus, sinnigerweise selten ein Hiesiger. Dann werden als erstes die Kuhglocken abgeschraubt. Der Gockel vom Mist verbannt. Kirchturmglocken kannst im Keller aufhängen. Und wenn's so weitergeht, werden die Misthaufen noch vakuumverpackt. Das war damals wie heute so. Da krieg ich nicht nur einen Kropf - da krieg ich auch noch einen Hals. Und der Kamm stellt sich auf." Manfred Schauer betreibt das Varietee-Theater "Zum Schichtl", die älteste und traditionsreichste Attraktion des Oktoberfestes. Er kann stundenlang reden und eine Pointe nach der anderen raushauen, wenn man ihn auf ein Bier einlädt. Eine Maß Bier: 28 - MANFRED SCHAUER "A Maß Bier hat Charakter. Diese Kölner Stamperl, das sind ja Depressionsbehälter. Bier hat im Stamperlglas nix verloren. Und das Stamperl geht bei mir bei 0,3 los!" Manfred Schauer, der Hobby-Revoluzzer, kämpft noch heute für den bayerischen Biergarten. Er sei nun mal ein homo bavaricus: 19 - MANFRED SCHAUER "Mia san das letzte Volk, das noch im Garten Eden lebt. Hier heißt es Freistaat Bayern. Ab und zu müssen wir uns halt wehren. Wenn es sein muss, mit einer Revolution. Ob man das gern tut oder nicht. Wir haben ja schon diverse Revolutionen gehabt. Aufstände haben wir auch schon gehabt. 1925 zur Bierpreis-Erhöhung. Das ist halt kulturelle Notwehr." Die "kulturelle Notwehr" spürte auch der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber. Er nahm die Petition der Revolutionäre persönlich entgegen und entschied: bayerische Biergärten müssen generell erst um 23 Uhr schließen. 17 - MANFRED SCHAUER "Also wenn die sich überall so fürs Volk interessieren würden... Wissen Sie, da waren halt zigtausend Wählerstimmen vor Ort, Hunderttausende, ach was, Millionen im Land, die das beobachtet haben. Mei, das sind Wählerstimmen. Da macht man sich halt schön dafür." Schön macht sich auch die Bayerische Biergarten-Verordnung. Im Bayerischen Gesetzblatt hält sie in wunderbarstem Amtsdeutsch fest: 20 - SPRECHER "Biergärten erfüllen wichtige soziale und kommunikative Funktionen. Die Geselligkeit und das Zusammensein im Freien wirken Vereinsamungs-Erscheinungen im Alltag entgegen. Der Gartencharakter wird entweder durch eine auf dem Betriebsgelände selbst in erheblichem Umfang vorhandene Bepflanzung oder durch eine in der Umgebung in erheblichem Umfang vorhandene Bepflanzung bestimmt. Biergärten sind vor allem für die Verdichtungsräume ein ideales Nahziel zur Freizeitgestaltung im Grünen." LIED "SOMMER IN DER STADT" Die Spider Murphy Gang mit "Sommer in der Stadt". Ein Münchner Evergreen, den die bayerische Band in der "Waldwirtschaft" schrieb, jenem Biergarten bei Pullach, der einst die Biergarten-Revolution entfachte. Anfang der 80er Jahre, als der Hit aus allen Radios dudelte, erlebten die Münchner Biergärten ihre Blütezeit. Seitdem geht die Zahl der Gäste zurück, beobachtet Manfred Schauer. 22 - MANFRED SCHAUER "Die Leute besuchen die Biergärten nicht mehr so stark. Die sind nicht mehr so frequentiert, und die Leute bleiben auch nicht mehr so lang. Selbst an schönen Sommerabenden ist an der Isar und am Gärtnerplatz mehr Betrieb als im Biergarten. Das war Ende der 70er bis in die 90er ganz anders." Damals gingen vor allem die jungen Leute in die Biergärten. Heute haben die Jungen andere Biere und andere Gärten gefunden. 23 - MANFRED SCHAUER "Die haben eine neue Urbanität entdeckt. Und das hat schon was - an der Isar quer durch die Stadt, mitten in der Großstadt. Und am Gärtnerplatz: wie die die Grünfläche okkupieren, das find ich lässig. Vor dieser wunderschönen Kulisse, mitten in der Stadt drin. Wenn die Sauhammel nur ihren Dreck mitnehmen würden, sowohl als auch. Aber sonst find ich es eine lässige Angelegenheit. Mag sein, dass die den Biergärten als Besucher letztlich fehlen." Die Münchner Brauereien leiden seit Jahren unter Absatzproblemen - und mit ihnen die Biergärten. Manchen fällt es sogar schwer, Nachfolger für scheidende Wirte zu finden. Etwa für den größten Münchner Freiluft-Ausschank, den Hirschgarten. Auch der Nockherberg, der Traditions-Biergarten der Paulaner-Brauerei, kämpft mit steigenden Personalkosten und sinkenden Umsätzen. Paulaner-Brauerei-Chef Andreas Steinfatt deutet aus seinem Büro auf die Gewitterwolken über dem Nachmittagshimmel. 29 - ANDREAS STEINFATT "Schauen Sie die letzten Wochen an: man hat untertags ein wunderbares Wetter, es ist alles vorbereitet - und pünktlich um 17 Uhr gibt's ein Riesen-Gewitter und es regnet zwei Stunden. Und das war's dann: die Tische sind nass, die Bänke sind nass, der ganze Biergarten ist nass, und dann ist es auch ungemütlich..." Viel ungemütlicher als in den sonnigen Paulaner-Werbespots, in denen sich stets fröhliche Biergarten-Besucher zuprosten: 31 - WERBESPOT "G'schichten aus dem Paulanergarten" / "Ich zahl' dann mal!" / "Popopopopp, Ihr habt schon genug bezahlt! Das machen wir Griechen!" / "Oho, sammer wieder flüssig? Prost! Jámas!" / "Gut, besser, Paulaner." Die Paulaner-Brauerei gehört zur belgischen Anheuser-Busch-Gruppe, dem größten Bierkonzern der Welt. Der Nockherberg-Biergarten ist für Paulaner als Image-Faktor wichtig. Aber wirtschaftlich gesehen... 30 - ANDREAS STEINFATT "Mei, wirtschaftlich... es gehört halt mit dazu. Natürlich könnte man versuchen, im ein oder anderen Bereich was hinzubauen. Oder eine Gastronomie zu erweitern. Aber Biergärten haben nun mal auch einen großen Baumbestand. Und die dürfen nun mal auch nicht umgeschnitten werden. Und da muss man als Gastronom und Wirt schon auch gut aufgestellt sein, um mit so etwas umgehen zu können." Die Paulaner-Brauerei hat sich gerade erst entschlossen, ihre Produktion zu verlagern. Vom Stammsitz in der Münchner Au an den westlichen Stadtrand. Gerade noch auf Münchner Stadtgebiet, damit Paulaner nicht die Konzession für das Oktoberfest verliert. Das ehemalige Produktionsgelände, so groß wie 12 Fußballfelder, verkauft Paulaner für eine mutmaßlich dreistellige Millionensumme. Die Grundstückspreise in München sind ins Unermessliche gestiegen. Die Landeshauptstadt ist so begehrt, dass München kaum mit dem Wohnungsbau nachkommt. Stadtbaurätin Elisabeth Merk verkündete jüngst auf einer Fachkonferenz, sie suche händeringend nach Bauland. 25 - DR. ELISABETH MERK "... gerade weil wir diese reinen grünen Flächen nicht mehr haben, dieses ganz neue Bau-Erwartungsland. Das gibt es praktisch nicht mehr. Also nicht in unserer Stadt. Und deshalb muss man in größeren Quartiers-Zusammenhängen diese Dinge entwickeln. Nicht in einzelnen Briefmarken. Und dann kann man viele dieser Probleme - wenn auch nicht alle - durchaus verträglich und wirtschaftlich lösen." In jedem Fall wird die Wohnbebauung in München noch dichter an die Biergärten heranwachsen. Der Nockherberg etwa hat bald tausende neuer Nachbarn. Viele von ihnen werden für eine 70qm-Wohnung eine halbe Millionen Euro gezahlt haben. Paulaner-Chef Steinfatt weiß: die neuen Nachbarn sind potentielle Biergarten-Besucher ebenso wie potentielle Lärm-Geschädigte. 32 - ANDREAS STEINFATT "Ich hoffe auf ein gutes Miteinander von Biergarten und den neuen Auern, sozusagen, die hierherziehen werden, wenn hier Wohnbebauung ist." LIED "LÄNDLER" Den Biergarten am Chinesischen Turm plagen solche Sorgen nicht. Er liegt im riesigen Englischen Garten. Fernab jeglicher Wohnbebauung. So laut die Blaskapelle auf dem Turm auch spielt - kein Anwohner fühlt sich gestört. Auch nicht um sechs Uhr früh beim Kocherlball. 26 - TÄNZER "Aufstellung, Aufstellung zur Münchner Francaise. Paarweise vis-a-vis aufstellen." / "Ich bin die Melanie aus Oberbayern. In Minga der Kocherlball, das ist Tradition. Da kannst Du machen, was Du willst, alle san da. Alle in Tracht. Das ist einfach der Oberknaller!" / "So. Jetzt werden wir nur noch tanzen und nix mehr sagen." 27 - LIED "FRANCAISE" Und dann tanzen 10.000 Menschen die Münchner Francaise. Die Herren verbeugen sich vor den Damen. Und die Damen drehen sich im Kreis, bis ihre fliegenden Dirndl die Form des Chinesischen Turms annehmen, der sich seit 222 Jahren zwischen den mächtigen Kastanienbäumen versteckt. Am Fuße des Turms schäumt das Bier in scheinbar endlosem Fluss aus Fässern in Krüge. Aus Krügen in Kehlen. Es ist ein Münchner Biergarten Eden. 1