COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Zeitfragen Wir regeln das unter uns - Von muslimischen Friedensrichtern Ein Feature von Güner Balci Musik O-Ton Heinz Buschkowsky: Auf der Freien Wildbahn läuft niemand rum mit nem Schild auf dem Kopf Friedensrichter, es gibt auch keine Geschäfte oder Büroräume, wo dransteht Mohammed so und so Friedensrichter, das ist alles unterhalb der Wasseroberfläche. Friedensrichter sind wie Eisberge, nur ein Siebtel ist über Wasser und outet sich auch, lässt sich interviewen, aber die größte Menge findet im Verborgenen statt. Sprecher vom Dienst: Wir regeln das unter uns O-Ton Richter Schromek Muslimische Paralleljustiz, soweit wir Kenntnis davon erlangt haben bedeutet, dass man versucht auch gewaltsame Konflikte in friedliche Bahnen zu lenken, indem man einen Ausgleich zwischen den beteiligten Großfamilien sucht. Allerdings vollzieht sich das in Bahnen, die meines Wissens, meiner Einschätzung nach so beschaffen sind, wie wir es in unserem Staat nicht wollen. Es geht um das Recht des Stärkeren, der stärkere Clan setzt sich durch, es geht um finanzielle Interessen und was wir leider auch immer wieder beobachten, Frauen spielen da überhaupt keine Rolle. Frauen haben da an sich einen nur sehr geringen Wert, Frauen können auch zur Mehrung von Familienehre nicht beitragen, Frauen können nur dazu beitragen, dass Familienehre gefährdet wird. Sprecher vom Dienst: Von muslimischen Friedensrichtern O-Ton Wilhelm Weber Unser deutsches Rechtsystem sieht ja ähnliche Mechanismen vor. Nennen wir es mal Mediation oder Güteverfahren im Zivilrecht oder nennen wir es Täter-Opfer Ausgleich im Strafprozess. Das ist ja an sich auch nichts Schlechtes, nur wenn das nicht der staatlichen Kontrolle unterliegt und wenn Asymmetrien entstehen, das heißt, wenn eine Familie oder eine Seite sich durchsetzt nur weil sie die gefährlichere, die brutalere oder die mächtigere ist, dann entsteht eine Asymmetrie, die so für den Rechtstaat nicht hinnehmbar ist. Sprecher vom Dienst: Ein Feature von Güner Balci Atmo Cafe O-Ton Mustafa Ich meine interessant ist auch, ich bin hier geboren aber diese Menschen kommen alle aus der Heimat, der eine zwanzig Jahre, der eine zehn Jahre, der andere fünf Jahre hier Sprecherin: Mustafa Özbek, 47, ist "Friedensrichter" in Bremen. Der kräftige Mann mit dem kahlgeschorenen Kopf ist in Deutschland aufgewachsen, seine Eltern kamen als Gastarbeiter. Früher war er Türsteher, Drogendealer und Schutzgelderpresser - und geriet oft mit dem Gesetz in Konflikt. Heute ist er geläutert, will Gutes tun, sagt er. Als Arbeitsloser hat er zumindest viel Zeit dafür. Özbek stellt sich in die Tradition seiner anatolischen Vorfahren - schon sein Urgroßvater sei ein anerkannter Friedensrichter im Dorf gewesen. Das Büro des Friedensrichters ist ein Männercafé im Bremer Stadtteil Gröpelingen. Er ist fast jeden Tag hier. O-Ton Mustafa Man kann ja zum Beispiel, wie es bei uns in der Heimat gelöst wird? Wie weit ist der Staat involviert? Wie weit lässt man den Staat ran, zum Beispiel wenn eine Schlägerei oder Messerstecherei ist oder Tod oder Mädchenentführung? Wie wird das dort gelöst? Ist ja auch interessant, da gibt es ja auch einen Staat, auch der Türkische Staat hat Gesetze, auch in den Ländern ist es so das trotzdem außerhalb dieses Rahmens zu lösen, nach alten Gesetzen, die bei uns im Kopf sind. Es steht ja nirgendwo geschrieben, so oder so, sondern das ist uns mündlich weitergegeben. Atmo Männercafé Sprecherin: In dem kleinen Raum ist jeder Stuhl besetzt, Männer spielen Karten, lachen und diskutieren. Im Samowar dampft schwarzer Tee. In Gröpelingen leben viele Muslime, man ist gern unter sich. Nur die wenigsten hier sprechen Deutsch. Viele sind seit Jahren arbeitslos, vertreiben sich hier die Zeit. Die zwei Spielautomaten an der Wand rattern ohne Unterlass. Darüber ein Flachbildschirm, es läuft türkisches Fernsehen. Gleich am Eingang wird Mustafa Özbek von seinen kurdischen Landsleuten mit Handkuss begrüßt, ein besonderes Zeichen der Ehrerbietung, so empfängt man Respektspersonen in der Heimat. Und Mustafa Özbek ist mehr als das, für viele hier ist er Polizist und Richter in einer Person. Wenn es Probleme gibt, ruft man ihn - für die Männer hier ist das ganz selbstverständlich. So sieht es auch Özbeks bester Freund Apo: O-Ton Apo Das ist zwischen Ausländern ist so, die rufen nicht die Polizei an, wenn die Polizei anrufen, dann stehen die da als Feiglinge, dann sagen die guck mal die sind feige die haben die Polizei angerufen, das ist so in der Kultur drinne, deswegen machen die das nicht. Sprecherin: Eine Kultur, die kein Pardon kennt, wenn jemand Schwäche zeigt. Hilfe bei der Polizei zu suchen gilt bei vielen als unehrenhaft - und es macht das weitere Leben in der kurdischen Community schwer. Auch Mustafa meint, er löse die Probleme besser als die Polizei. O-Ton Moustafa Ich mach eigentlich nicht mehr wie die Polizei. Das Einzige, das ich mehr mache ist, dass ich die Leute zusammenbringe. Die Polizei hat ja kein Ansinnen oder keine Absicht irgendwie, die Leute dazu zu bewegen, dass sie sich wieder vertragen. Das wird ja von uns gewünscht, dass wir die Leute zusammenbringen, dass die miteinander reden und das die Sache anders geregelt wird, als mit Gewalt. Sprecherin: Wie viele dieser "Friedensrichter" in Deutschland aktiv sind, weiß man nicht - für die Selbstjustiz im Verborgenen gibt es keine Statistiken. Doch immer wieder gelangen einzelne Fälle an die Öffentlichkeit. Heinz Buschkowsky, Bürgermeister von Berlins berühmtem Stadtteil Neukölln: O-Ton Heinz Buschkowsky: Ich kenne einen Fall, da hat ein junger Mann bei einem Verkehrsunfall einen anderen getötet. Der Junge Mann mit dem Auto war völlig Schuldlos. Es wurde ein Friedensrichter eingeschaltete, der dann zwischen der Familie des Autofahrers und der Familie des Verstorbenen verhandelt hat um das Blutgeld festzulegen. Und er fällt dann den Spruch, dass 50.000 Euro angemessen wären - also der Originalspruch waren 50 Kamele und ein Kamel ist mit 100 Euro anzusetzen. KURZER MUSIKAKZENT O-Ton Hassan Allouche 19:50 (telefon klingelt) Klingelt immer mein Handy, Allouche!....(spricht arabisch) Sprecherin: Auch Hassan Allouche lebt in Berlin Neukölln, Er ist einer der bekanntesten Friedensrichter Deutschlands . O-Ton Hassan Allouche ich bin richtig bekannt, sie haben mich auch in Fernsehen mehrere Male gesehen. Ich hab so viele interview gemacht, für die Zeitung fürs Fernsehen, RBB, RTL, ZDF bei die dänische Fernsehen auch dänische auch französische, ägyptische Zeitung. Sprecherin: Wie sein "Richterkollege "Özbek" stellt Allouche sich und seine Tätigkeit in die Tradition seiner Vorfahren. Obwohl die Konkurrenz in diesem Geschäft groß habe er viel zu tun. O-Ton Hassan Allouche Heute zum Beispiel hat mich einer angerufen: Er hat mit seinem Partner ein kleines Problem. Ich habe gesagt, ich komm später zu dir, Manchmal krieg ich täglich ein/zwei Anrufe, einen Anruf pro Woche, manchmal zwei Anrufe, manchmal nix, manchmal zehn Anrufe in einer Woche. Sprecherin: Ein viel gefragter Mann, der versichert dennoch kein Geld für seine Dienste zu nehmen. O-Ton Hassan Allouche Es gibt mafiosische Leute, die wollen Friedensrichter machen. Damit kassieren sie Geld, aber ich kassiere nicht einen Cent davon. Aber wenn mir jemand eine Schachtel Zigaretten gibt, Abend essen, Mittag essen, 10 Euro oder so was, dann sage ich danke schön. Ich verlange von Niemandem etwas - nicht wie die Anderen. Wenn jemand 10.000 Euro zu kriegen hat, dann sagen die: Ja wir holen sie dir und kriegen 4- 5 tausend Euro. Das ist nicht meine Art, so mach ich nicht. Ich bin unkäuflich und ich bleibe unkäuflich. Sprecherin: Hassan Allouche regelt nicht nur kleinere Konflikte und Familienstreitigkeiten. Er wird auch geholt, wenn es um echte Straftaten geht. O-Ton Hassan Allouche Ich kenn die Kultur von fast allen Menschen hier, von allen Migranten, die hier leben in Deutschland. Ob Albaner, Jugoslawe, Türke, Araber - ich kenn fast alle. Vor vier Monaten: Ein jugoslawisches Mädchen wurde entführt. Die Jugoslawen haben sich bei mir gemeldet. Sie hatten den Verdacht, dass die Frau in einem Haus war. Und dann waren ca. 30-40 Mann die wollten in das Haus reingehen und die Wohnung durchsuchen. Ja und die haben mich gerufen. Sprecherin: Am Ende musste doch die Polizei kommen, um festzustellen, dass die Frau freiwillig geflohen war. Man regelt die Sachen lieber unter sich und meistens anders, als es das deutsche Rechtsystem vorsieht. Klaus Dieter Schromek, Vorsitzender Richter am Bremer Landgericht O-Ton Schromek: Ich glaube, dass es daran liegt, dass es dieses Phänomen schon seit Jahrhunderten in den Herkunftsgesellschaften gibt. Das sind Gesellschaften, die ihre Ursprünge finden in Regionen, wo es keine staatlichen Autoritäten gab, wo man eigentlich auf solche Prozesse angewiesen war, damit nicht jeder selbst sein Recht durchsetzen musste, deshalb haben sich solche Konfliktregularien entwickelt in diesen tribalen Gesellschaften und die sind dann hierher mitgenommen worden in unsere Gesellschaft und es kommt noch hinzu, dass diese Menschen häufig aus Regionen kommen, wo es auch kein Vertrauen gegenüber dem Staat gibt, wo es darum geht, wer das meiste Geld hat, hat das meiste Recht, und dann ein Vertrauen zu entwickeln zu unseren staatlichen Organen, ich denke mal das fällt vielen doch schwer. Sprecherin: Deshalb ist auch Mustafa Özbek aus Bremen ein viel gefragter Mann. Man ruft lieber ihn anstatt der Polizei. So wie an jenem Abend im Juli 2009. Vor einem Krankenhaus in Bremen eskaliert ein Streit zwischen einigen Kurden und Iranern. Beide Parteien rufen Ihre Clanmitglieder zur Hilfe. Es kommt zu einer Messerstecherei mit mehreren Schwerverletzten. Als die Polizei anrückt verweigern beide Seiten jede Aussage. Stattdessen holen sie Özbek, er soll für sie den Streit schlichten. Semmsettin Aydin war an jenem Abend einer der Schwerverletzten. Der Kurde ist Özbek heute noch dankbar für die erfolgreiche Schlichtung. Atmo Straße Begrüßung Mustafa & Semsettin auf kurdisch O-Ton Semsettin Die Sache ist sehr schlimm geworden. Wir sind froh, dass das vor dem Krankenhaus, direkt im Krankenhaus war, sonst hätt ich sterben können. Ich bin fünf Mal operiert worden, die Hauptader ist durchschnitten worden, die Lunge ist durchgebohrt worden, lag tagelang im Koma. Es gab sieben Verletzte, wir sind froh, dass das am Ende gut gegangen ist. Wir haben nur einen einzigen Menschen wirklich zu danken - von Herzen - dass er das alles zur Ruhe gebracht hat. Wir kommen aus Kurdistan, und in Kurdistan werden Konflikten so geklärt. Man schüttelt sich die Hand, besucht die Familie und dann wird das aus der Welt geschafft. Was sollte man jemanden in den Knast bringen und bestrafen und Geld an Staatkasse bezahlen... Die Polizei hat ein Schreiben geschickt, das Verfahren wurde eingestellt, und wir haben keine Aussage gemacht - unser gutes Recht, Sprecherin: Die Clans trafen sich unter der Aufsicht von Özbek zu einem Gespräch. Was genau vereinbart wurde, behalten alle Beteiligten für sich. Bei einem Glas Tee sei auf den Koran geschworen und Frieden geschlossen worden, Geld habe dabei keine Rolle gespielt, berichtet Mustafa Özbeck, das Einzige was zähle, sei die Ehre eines Mannes in solch einer Konfliktsituation, denn Blut könne in der Regel nur mit Blut vergolten werden. O-Ton Mustafa: Ich bin ein Blitzableiter! Weder die eine noch die andere Seite hat ihr Gesicht verloren, weil ich dazwischen gegangen bin, wodurch sich Alles auf mich verlagert hat. Ich muss dafür sorgen, dass die Sicherheit von allen gewährleistet ist, es darf zu keiner Beleidigung kommen, niemand darf handgreiflich werden. Man muss einige Sachen einhalten - wenn das nicht befolgt werden würde, dann müsste ich gegen diese Menschen vorgehen, weil ich dann persönlich betroffen wäre, weil ich dann wie ein Hund dastehen würde. Sprecherin: Schlecht dagestanden hat an jenem Abend zumindest die Polizei. Noch nicht mal die Angestellten des Krankenhauses wollten Aussagen zu der Messerstecherei machen, aus Angst vor Rache, so die Klinikleitung. Monatelange Ermittlungen der Beamten liefen ins Leere. O-Ton Weber: Für den einzelnen Beamten ist das natürlich frustrierend, weil sie auf der einen Seite ein relativ schnelles Bild des Geschehens haben, allein schon durch Zeugenvernehmungen, diese Zeugen aber nach und nach ihre Aussagen zurücknehmen und sich dann ein völlig anderes Bild darstellt. Man weiß auch um die vermeintliche Wahrheit. Das wird völlig anders dargestellt vor Gericht und auch dementsprechend abgeurteilt oder gar nicht abgeurteilt. Weil es ja nicht möglich ist in solchen Fällen. Sprecherin: Wilhelm Weber, der damalige Leiter der Abteilung für die Organisierte Kriminalität beim LKA in Bremen, sieht zwar durchaus auch Raum für außergerichtliche und informelle Streitschlichtung, möchte jedoch klare Grenzen gezogen sehen. O-Ton Weber: Wir kennen da natürlich auch sogenannte Antragsdelikte, nicht jede Ohrfeige oder einfache Körperverletzung will der Staat natürlich gesühnt sehen, das hat dann aber Grenzen und ich glaube ab gefährlicher Körperverletzung, wenn auch Messer dort eine Rolle spielen und so weiter, dann ist eigentlich der Staat gefordert und zwar ausschließlich der Staat, denn das Gewaltmonopol muss ausschließlich beim Staat liegen, alles andere führt zur Anarchie und steht dem Rechtsstaat-Prinzip im Wege im Gegenspruch. Musik Sprecherin: Aber ab wann genau wird die Arbeit eines muslimischen Streitschlichters zum Problem? In den meisten Fällen werden Friedensrichter, wie Mustafa Özbek bei Familienstreitigkeiten um Rat gebeten, so wie bei Fatme. O-Ton Fatme: Ich weiß da ist jemand wo ich immer hingehen kann und dass er für mich da ist hat er schon in mehreren Fällen bewiesen Sprecherin: Fatme ist 21 und lebt heute allein - für eine Frau aus ihrem Kulturkreis keine Selbstverständlichkeit. Ihre Eltern hatten sie mit einem Cousin zwangsverheiratet. Fatme floh und suchte und fand Hilfe bei Özbek. Bis heute besucht er sie regelmäßig um nach dem Rechten zu sehen. Für sie ist er Onkel Charly. O-Ton Mustafa: Das ist für mich wunderbar das Vertrauen zu genießen, ich kann sie wie meine Schwester in die Arme nehmen. In meinen Augen ist sie kein Sexualobjekt in meinen Augen ist sie nichts, was mit Sexualität zu tun hat. Für mich ist sie ein liebes nettes Mädchen, .... und soweit ich kann, werd' ich solchen Menschen behilflich sein. Sprecherin: Und sie ist nicht die einzige, für die Mustafa Verantwortung übernimmt. Es hat sich unter den jungen Frauen herumgesprochen, dass man Mustafa vertrauen kann, wenn man vor der eigenen Familie fliehen muss. O-Ton Fatme: Und zwar haben wir durch eine Bekannte ein Mädchen kennengelernt, das von zu Hause weggelaufen ist. Die hat dann bei irgendeinem gewohnt, den sie selber auch nicht kannte, da haben wir halt Onkel Charly angerufen und um Hilfe gebeten, weil wir mit ihr nicht weiter wussten. Er hat dann mit ihren Eltern gesprochen. Ihre Eltern kamen dann auch nach Bremen, hatten dann noch mal alle zusammen miteinander gesprochen Sprecherin: Am Ende entschließt sich das Mädchen dazu nach Hause zurückzukehren. Für Mustafa Özbek ein Erfolg. Denn obwohl er in solchen Fällen gerne hilft, steht auch er dem Freiheitsdrang junger Frauen aus seinem Kulturkreis eher skeptisch gegenüber. O-Ton Mustafa: Ich hab Angst gehabt, weil ich unseren kulturellen Hintergrund kenne. Weil dann bei einigen Vätern eine Überreaktion stattfinden könnte, was verständlich ist, dass unser Ehrenkodex im Vordergrund steht. In unserm Kulturkreis ist es so, dass wenn ein Mädchen sich nicht den Regeln, die wir stellen, wen es sich nicht dem endsprechend verhält - ist es im Normalfall so, dass sie getötet wird und im besten Fall, dass sie ausgegrenzt und ausgeschlossen wird. Sprecherin: Heinz Buschkowsky beobachtet die Situation vieler dieser muslimischen Frauen aus traditionellen Familien schon seit Jahren mit Besorgnis. O-Ton Buschkowsky: Das bedeutet, dass ihre Belange in den meisten Fällen so gut wie keine Rolle spielen. Es geht nur noch um Ansehen und Ehre des Baba und da spielt es keine Rolle, was die Frau oder was die Tochter denkt. Entscheidend ist, dass er nach Außen dokumentieren kann, dass er der Herrscher der Familie ist und dass er alles im Griff hat und dass sein Gesetz in der Familie befolgt wird: The captains word is law! Sprecherin: Als Repräsentanten einer Kultur, in der Frauen und Männer nicht gleichberechtigt sind und in der das Recht des Stärkeren gilt, sieht Buschkowsky eine Gefahr in Friedensrichtern wie Mustafa Özbek und Hassan Allouche. O-Ton Buschkowsky: Friedensrichter sind ein stabilisierendes Element überlebter Gesellschaften und überlebter Normen. Wenn es so ist, kann man nur noch sagen: Es ist weit gekommen, dass jemand sagt, nur ich kann verhindern, dass das Staatsmonopol versagt. Ihr seid nicht mehr in der Lage Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten, denn wenn ich nicht tätig werde, wird es Lynchjustiz geben, wird es das Faustrecht geben. Und an der Stelle, wo dann die Gesellschaft nickt, in dem Moment hat sie sich selbst aufgegeben. Sprecherin: Mustafa Özbek kann an seiner Tätigkeit nichts Verwerfliches finden, im Gegenteil: O-Ton Mustafa Wir versuchen so die Probleme zu lösen. Eventuell auch für die Deutsche Gesellschaft ein Zugewinn, es hat eventuell seine Nachteile, dass Strafsachen eventuell hindert aber auf der anderen Seite verhindert es auch schlimmere Sachen, dass muss man mit einbeziehen.... Frage an die anderen: wie ist es bei euch in der Heimat gelaufen.... Apo: "Im Dorf wurde es auch so gelöst, wenn eine Streiterei da war dann haben sich die Dorfältesten gesammelt und dann, mit den Leuten geredet und so den Frieden geschlossen und jeder hat sich darangehalten_ Sprecherin: Dieser Ansicht sind nicht nur Mustafa und seine kurdischen Freunde, die das Dorfleben noch kennen. Auch seine Tochter Zinnet sieht keinen Konflikt mit dem deutschen Rechtsystem. In Bremen geboren und aufgewachsen, studiert die 21 jährige Politikmanagement und repräsentiert eine Generation junger Muslime, die versuchen Moderne und Tradition miteinander zu vereinbaren. Dass ihr Vater Friedensrichter ist erfüllt sie mit Stolz: O-Ton Zinnet: Natürlich macht es einen stolz, dass der eigene Vater dann so einen Respekt genießt, dass sie ihm vertrauen. Solange ein Verfahren nicht im Strafverfahren drinne ist oder solange nicht ein Fall der Polizei gemeldet wurde, ist es ja eigentlich keine Straftat oder ist es ja eigentlich nicht beschämend, dass mein Vater so etwas tut. Ich geh damit locker um. Solange der Staat noch nicht drinne war ist es ja sozusagen nicht strafbar oder ist keine Straftat, wenn man das unter sich klärt. Das was mein Vater tut, ist ja auch eigentlich hilfreich. Manchmal sind das ja auch so brisante Situationen, wo es vor Mord und Totschlag steht. Deswegen ist es ja eigentlich eine gute Sache, wenn er davor eintritt, wo die Polizei und der Staat nicht reinkommt und nicht vermitteln kann. Sprecherin: Klaus Dieter Schromek, Vorsitzender Richter am Bremer Landgericht sieht genau darin das Problem, denn dort wo der Staat nicht reinkomme, entstehe ein Graubereich mit eigenen Gesetzen. Immer wieder ist er mit Verfahren konfrontiert in denen Schlichter eine Rolle spielen und er beobachtet ihren wachsenden Einfluss mit Besorgnis. O-Ton Richter Schromek: Wir müssen versuchen unsere Prozesse davon unbeschadet zu führen, das ist nicht leicht, weil es Gegenstand dieser Prozesse ist, das man die staatliche Justiz heraushält aus der weiteren Aufarbeitung der Vorgänge, um dem entgegen zu wirken ist es einmal nötig, dass man Bewusstsein schafft in Polizei und Justiz nicht nur in der Strafjustiz, das trifft die Familiengerichte, die Zivilgerichte, alle anderen Gerichtsbarkeiten genau so, dass es dort ein Problem gibt, dass es dort Mechanismen geben kann, die dann darauf ausgerichtet sind Sachverhalte zu verändern, oder Sachverhalte zu unterdrücken, die für Gerichte wichtig sind um zu richtigen Entscheidungen zu kommen und dann muss man sich Strategien überlegen, wie man dem entgegen wirken kann. Sprecherin: Er selbst hat das schon häufiger vor Gericht erlebt. Richter Schromek kennt Mustafa Özbek aus einem Verfahren, dass er selbst geführt hat. Es ging um eine Schießerei auf der Bremer Diskomeile. Nach einem Streit zweier verfeindete Gruppen aus der Türsteher-Szene, hatte einer der Beteiligten Mustafa Özbek, als Schlichter zu Hilfe gerufen. O-Ton Schromek: Diese Unterstützung mündete dann darin, dass in der folgenden Auseinandersetzung auch Waffen eingesetzt worden sind - der Albaner der Iraner und ihre Unterstützer, alles junge Männer. Die sind dann zurück gekehrt zu der Disco und nach Eintreffen dieser jungen Männer - 10-12 Personen- kam es zu einem Schusswechsel . Herr Özbek ist in den Verfahren, die ich geführt habe, aufgetreten und hat sich präsentiert als jemand, der in dieser Nacht versucht hat den Konflikt zu vermeiden. Wir haben im Laufe des Verfahrens aber den Eindruck gewonnen, dass er eine ganz andere Rolle hatte - dass er Partei war, dass er zu der Gruppierung um diese beiden Türsteher gehört hat Sprecherin: Özbek räumt ein, dass er an jenem Abend Partei war, nicht Richter, sondern Anwalt seiner Freunde. Der Vorwurf eigene Interessen vertreten zu haben lässt ihn kalt. Viel schlimmer sei für ihn als Schlichter versagt zu haben, denn die Gegenpartei, ein einschlägig bekannter kurdisch-libanesischer Clan, habe ihn nicht als Autoritätsperson akzeptiert. O-Ton Mustafa: Ich bin dabei gewesen, als die Situation eskalierte war ich vor Ort. Ich stand hier, eine Gruppe kam hier, eine dort angelaufen und dann kam es halt zu der Auseinandersetzung, zu einer Schießerei. Ich stand unter Schock. Ich stand erst mal da wie dumm. Es ist nicht alltäglich, dass man so was erlebt, ich wusste nicht was ich machen soll und nachdem es mehrere Verletzte gegeben hat, habe ich mich auch von der Örtlichkeit entfernt und bin zum nächsten Polizeirevier gefahren. Obwohl ich mir gewünscht hätte, das an diesem Tag Polizei präsent gewesen wäre. Weil es ist manchmal so, dass an manchen Orten, die Gefahrenpotential haben, dass die Polizei da einen ganzen Tag steht. Sprecherin: Sein Einfluss als Friedensrichter stieß an die Grenzen und am Ende musste die Polizei mit einem Großaufgebot einschreiten. Vor Gericht aber wurde der Fall kompliziert, denn dort griffen wieder die alten Strukturen, Zeugen nahmen ihre Aussagen zurück, Friedensrichter aus dem Libanon wurden eingeflogen. Man versuchte alles um die Sache "unter sich zu klären". Für Richter Klaus-Dieter Schromek schlechte Voraussetzungen, um einen ordentlichen Prozess zu führen. Doch er ließ nicht locker und machte, was viele seiner Kollegen nicht tun, er zog den Prozess gegen alle Unwägbarkeiten und Widerstände durch und beugte sich nicht der muslimischen Paralleljustiz. O-Ton Schromek Der Aufwand war immens. Es hat im Landgericht Bremen mehrere Prozesse um die Schießerei auf der Diskomeile gegeben. Ich glaube es waren fünf, sechs. Ich habe an dreien teilgenommen als Vorsitzender. Zum ersten Mal bin ich damit 2006 befasst worden und habe das letzte Urteil gesprochen 2010. Fast 4 Jahre war ich damit befasst, wir haben ca. 200 Zeugen vernommen, zwischen zwanzig und dreißig Sachverständige. Es ist ein immenser Aufwand betrieben worden. Wir haben viele Sicherheitskräfte einsetzen müssen, weil der Prozess unterschiedlichen Gefährdungen ausgesetzt war, wir möchten ja, dass angstfrei auch bei uns ausgesagt werden kann. Sprecherin: Bei solchen Prozessen keine Selbstverständlichkeit, denn der Opferschutz kann in vielen Fällen nicht gewährleistet werden. Genau hier liegt einer der größten Schwachpunkte des deutschen Justizsystems. Deshalb sind manche Menschen auch froh, wenn Mustafa Özbek ihnen diesen Schutz gewährt. Um nicht in Angst zu Leben, verzichten viele Opfer und Zeugen bei Auseinandersetzungen mit kriminellen Clans auf ein ordentliches Verfahren. Auch Mustafa Özbek weiß das. Er kennt viele Racheakte aus dem Milieu und hütet sich auch selbst davor in der Öffentlichkeit etwas Falsches zu sagen. Die besonders gefährlichen Clans in Bremen würden nach Vergeltung trachten, was Özbek ganz "normal" findet, schließlich hat er das ja selbst schon oft gemacht. O-Ton Mustafa Für den Einzelnen hat es folgende Konsequenz, dass dieser Mensch Probleme und Ärger hat. Ich kenn das aus meiner Vergangenheit. Wenn einer mir gegens Bein gepinkelt hat, dann hab ich denjenigen dafür zur Rechenschaft gezogen, ob es gewalttätig abgelaufen ist oder ob es in Worten ausgetragen wurde, ist dahingestellt. Aber es hat Konsequenzen gehabt. Soll mir der Staat nicht böse sein, wenn ich sage, dass der Staat leider diese Menschen nicht schützen kann. Nicht jeder kann von der Polizei so geschützt werden, dass er 24 Std. Schutz hat - außerdem die Masse an Menschen, die eventuell unter solchen Problemen leiden, es würde nicht funktionieren, alle zu schützen. Meiner Meinung nach wird das niemals gelöst werden können. So mächtig ist der Staat auch nicht. O-Ton Schromek Wir haben hier am Landgericht die Erfahrung gemacht! Da hat einer der Angehörigen der Clans versucht das Verfahren zu torpedieren, da haben viele junge Männer vor den Gerichtseingängen Wache gehalten, haben rumgelungert und haben jeden, der hinein oder hinausging, angepöbelt und mit entsprechenden Bemerkungen versehen. Das hat dazu geführt, dass viele Menschen, die hier gearbeitet haben, Angst hatten an ihren Arbeitsplatz zu gehen - insbesondere Menschen, die hier als Parteien oder Zeugen zu tun hatten. Der Gesetzgeber hat ne Menge getan in den letzten Jahren oder Jahrzehnten, muss man sagen, um die Stellung der Opfer in Strafverfahren zu verbessern. Aber mit den Schutzmöglichkeiten außerhalb eines Verfahrens, also wenn der Zeuge oder die Zeugin diesen Gerichtssaal wieder verlassen hat, ich glaub dass, das sehr viel schwieriger ist. Sprecherin: Auch bei der Polizei hat man Verständnis, wenn Zeugen Aussagen zurückziehen. O-Ton Weber Wie würden sie reagieren, wenn sie Zeuge einer Straftat sind, sich als Zeuge zur Verfügung stellen. Dann merken sie plötzlich im Zuge der weiteren Ermittlungen, dass es sich um eine amtsbekannte sehr gefährliche Familie handelt, ein arabischer Clan. Die auch schon mit Tötungs- und sonstigen schweren Delikten auffällig geworden sind, was auch jeder weiß und dann kommt jemand von diesem Clan zu ihnen, bietet ihnen je nach Schwere der Tat 20- 40.000 Euro steuerfrei an? Die Alternative ist: Man weiß wo sie wohnen, man weiß über ihre familiären Umstände, man weiß wo sie arbeiten und so weiter. Da gibt es nicht wenige, denen die 40.000 und Ruhe zu haben lieber sind, als die Liebe zum Rechtsstaat. Ich persönlich habe dafür vollstes Verständnis, ja. Sprecher vom Dienst Wir regeln das unter uns - Von muslimischen Friedensrichtern Eine Feature von Güner Balci Es sprach: Nadja Schulz Berlinghoff Ton: Inge Görgens Regie: Klaus Michael Klingsporn Redaktion: Martin Hartwig Deutschlandradio 2013