COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Jenseits der Medaillenschmieden Chinas unsportliche Kinder Deutschlandradio Kultur "Nachspiel" Sendetermin: 07.11.2010 Autorin: Ruth Kirchner SFX 1 Musik Asian Games Link 1 China rührt die Werbetrommel für die Asienspiele. Nach Olympia 2008 und Expo 2010 sollen die Asienspiele in Guangzhou das nächste Highlight für das aufstrebende Riesenreich werden. Ein neuer sportlicher Höhepunkt: 476 Wettkämpfe in 42 Sportarten. Die Volksrepublik schickt 1400 Athleten und Betreuer in die südchinesische Metropole - darunter 35 Olympiasieger. SFX 1 aufblenden Link 2 Der Song für die Asienspiele beschwört einmal mehr den Sports- und Teamgeist . Chinas Sportmaschine läuft für das Großereignis seit langem auf Hochtouren. Chinesische Athleten dürften das Ereignis dominieren: im Tischtennis und im Turnen, beim Wasserspringen, Badminton und Gewichtheben rechnet man fest mit Gold. Seit Jahren führt China den Medaillenspiegel der Asienspiele unangefochten an. Und das, obwohl man die Wettkämpfe vor allem dafür nutzt, junge Athleten für Olympia vorzubereiten. In Guangzhou sollen sie internationale Wettkampf-Erfahrung für die nächsten Sommerspiele 2012 in London sammeln. Dafür hat sich die Stadt Guangzhou herausgeputzt, sagt He Weiqing vom Organisationskomitee. Act 1 He Weiqing (Mann) In der ganzen Stadt wird eine fröhliche, herzliche und tolle Atmosphäre herrschen. Egal wie man es nennt - ein Versprechen oder eine Pflicht - wir haben das Selbstvertrauen und die Fähigkeiten diese Spiele zu einem Erfolg zu führen. Link 3 China investiert seit Jahren massiv in die Sportförderung. In speziellen Sportschulen werden die Medaillengewinner der Zukunft herangezogen. Ausgewählte Kinder und Jugendliche bereiten sich in den Kaderschmieden auf Sportlerkarrieren vor. Diese Sportschulen werden daran gemessen, wie viele Spitzensportler sie hervorbringen. Doch für die breite Masse von Chinas Kindern und Jugendlichen sieht der Alltag ganz anders aus. SFX 2 Schulstunde Link 4 Eine typische Pekinger Schule. In langen Reihen sitzen die Kinder in ihren blauen Trainingsanzügen und roten Halstüchern an den Tischen und lernen. Die Schultage in China sind lang, die Kinder kommen nachmittags nach Hause - für Sport haben sie dann keine Zeit mehr. Zum Beispiel dieses Mädchen aus Peking. Act 2 Mein Name ist Feibi. Ich bin neun Jahre alt. Ich mag am liebsten den englischen Musikunterricht. Meine Mama sagt, ich soll auch Deutsch und Französisch lernen. Link 5 Feibi ist ein typisches Pekinger Mittelklassekind. Ihre Eltern zahlen viel Geld, damit sie auf eine Eliteschule gehen kann - denn aus Feibi soll später mal was werden. Sie soll es an die Uni schaffen. Doch der Wettbewerb ist hart. Für den Gaokao, die landesweite Aufnahmeprüfung für die Universitäten, pauken Chinas Jüngste jahrelang an den Schulen - von Prüfung zu Prüfung. Schon Kindergartenkinder und Grundschüler werden aufs Lernen gedrillt. Fürs Spielen oder für Sport bleibt da kaum Zeit. Feibi zum Beispiel kommt um vier Uhr aus der Schule und hat danach noch Klavier- oder Sprachunterricht. Abends macht sie Hausaufgaben - und fällt um halb zehn dann todmüde ins Bett. Dann träumt sie von schicken Klamotten und Schmuck. Für die neunjährige steht schon jetzt fest: Wenn sie groß ist, will sie Modedesignerin werden. Act 3 Feibi (Mädchen) Ich möchte nicht ins Ausland gehen. Lieber suche ich mir eine gute Pekinger Uni. Wenn ich im Ausland einen Job finde, muss ich ja dort bleiben dann würde ich meine Eltern zu sehr vermissen. Die sind ja in China. Link 6 Der Druck in den chinesischen Schulen ist gewaltig - für Sport und Fitness bleibt wenig Zeit. Manchmal sind es sogar die Eltern, die klagen, Sportunterricht würde den Kindern kostbare Zeit stehlen, die man besser zum Lernen nutzen könnte. Dass die Paukerei in den Schulen Chinas Kinder zu Bewegungsmuffeln erzieht, macht mittlerweile auch der Wissenschaft Sorgen. Trotz besserer Ernährung und besserer Lebensbedingungen seien die Kinder in China heute weniger fit als noch vor einer Generation, sagt Luo Dongmei von der Pekinger Sportuniversität. Act 4 Luo Dongmei (Frau) Seit 1979 untersucht der Staat regelmäßig in Stichproben die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, um Probleme frühzeitig zu erkennen. Bei diesen landesweiten Umfragen haben wir festgestellt, dass sich die physische Kondition der Kinder und Jugendlichen verschlechtert. Die Kinder sind heute größer als früher und schwerer, aber ihre Herz-Lungen-Leistungen werden schwächer. Ausdauer und generelle Fitness gehen zurück. Link 7 Doch nicht nur die Schule ist schuld. Innerhalb nur einer Generation haben sich die Lebensverhältnisse in China grundlegend gewandelt. Die Städte expandieren, der wachsende Wohlstand beschert Annehmlichkeiten, von denen vor 20 oder 30 Jahren niemand zu träumen gewagt hätte. Und die strenge Familienplanungspolitik führt dazu, dass die vielen Einzelkinder nicht nur von ihren Eltern, sondern auch von den Großeltern verwöhnt werden, sagt Professor Luo. Act 5 Prof Luo (Frau) Die Kinder dieser Generation wachsen wegen der boomenden Wirtschaft in materiellem Wohlstand auf. Es ist heute normal, dass eine Familie einen Fernseher und einen Computer hat. Früher, als es all das nicht gab, war es normal, dass die Kinder draußen spielten - da haben sie sich ganz von selbst genug bewegt und genug Sport gemacht. Heute bleiben die Kinder im Haus oder in den Wohnungen - verbringen mehr Zeit vor dem Fernseher oder dem Computer - als Konsequenz bewegen sie sich zu wenig und bekommen physische Probleme. Link 8 Auch die Ernährung hat sich - zumindest in den Großstädten - mit dem wachsenden Wohlstand geändert. Die Menschen essen mehr und vor allem mehr Fleisch und Kohlehydrate. Auch die Mahlzeiten zwischendurch sehen anders aus. Früher knabberte man Sonnenblumenkerne und trank Tee. Heute trinken mehr und mehr Menschen Softdrinks, wie Cola und Limonade, und essen in Schnellrestaurants. In seinem Buch "Fat China" warnt der China-Experte Matthew Crabbe bereits vor einer Welle der krankhaften Fettsucht, die auf China zurollt. Anders als beispielsweise in den USA sei Fettleibigkeit in China kein Problem der Unterschicht, sagt er. Act 6 Matthew Crabbe (Mann) In China ist dies ein Problem der städtischen Eliten - also genau am anderen Ende des sozialen Spektrums. Das liegt vor allem an der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung der letzten 30 Jahre, also in nur einer Generation. Die Generationen davor litten unter den Entbehrungen der Kulturrevolution und anderen Kampagnen - sie hatten ein anderes Verhältnis zum Essen, sie wussten noch wie es war als Nahrungsmittel knapp waren. Die darauf folgende Generation darf nur ein Kind haben - also investiert man alles was man hat, Liebe, Aufmerksamkeit und Geld, in dieses eine Kind - und das bekommt mehr und mehr zu essen. Link 9 Vor allem das Tempo sei besorgniserregend, mit dem sich Dickleibigkeit vor allem unter Kindern ausbreite, sagen Crabbe und andere Experten. In Städten wie Peking kann man sie bereits sehen - die schlanken Großeltern, die gut genährten Eltern und die dicken Einzelkinder. SFX 3 Fernsehcomic Link 10 Zum Beispiel die kleine Weiwei. Mit Knabberzeug sitzt sie auf dem Sofa und guckt Zeichentrickfilme im Fernsehen. Die achtjährige ist 1 Meter 30 groß und wiegt 50 Kilo. Sport macht sie nicht, das sei zu anstrengend, sagt sie. Auch ihr Leben dreht sich ums Lernen. Der Tag ist gefüllt mit Schulstunden und zusätzlichem Privatunterricht. Act 7 Weiwei (Mädchen) Ich habe so viele Hausaufgaben, da mag ich manchmal kein Fernsehen mehr, aber wenn ich nichts für die Schule machen muss, dann schaue ich doch gerne. Am Wochenende lese ich, ich mag Geschichten. Dann vergesse ich auch, dass niemand mit mir spielt. Link 11 Noch sind Kinder wie Weiwei in der Minderheit, aber die Kombination von falscher Ernährung und zu wenig Bewegung lässt auch in China die Alarmglocken schrillen. In den Pekinger Schulen versucht man daher seit einiger Zeit Kindern und Jugendlichen mehr Bewegung zu verschaffen. Das "Sonnenschein"-Projekt schreibt vor, dass jeder Grundschüler und jeder Mittelschüler sich jeden Tag insgesamt eine Stunde draußen bewegen muss. Aber mit Sport und all dem Spaß der zum Sporttreiben dazu gehört, haben Frühgymnastik oder Runden drehen um den Schulhof meist wenig zu tun. Professor Luo von der Sportuniversität fordert ein Umdenken in der ganzen Gesellschaft. Act 8 Professor Luo (Frau) Einige Kinder sind schon nach wenigen Übungen erschöpft oder fallen sogar in Ohnmacht. Wenn man das immer öfters beobachtet, dann müssen sich nicht nur Lehrer und Wissenschaftler, sondern die ganze Gesellschaft Sorgen machen. Für eine gesunde Entwicklung braucht ein Kind drei Dinge: Schlaf, Nahrung und Bewegung. Wenn man eines dieser Elemente ignoriert, gibt es natürlich Probleme. Unsere Kinder brauchen mehr Zeit zum draußen spielen. Wenn die Gesellschaft nur verlangt, dass sie gute Noten haben, dann haben sie natürlich weniger Zeit für den Sport. Link 12: Aber wann und wo sollen die Kinder außerhalb der Schule eigentlich Sport treiben? In China gibt es so gut wie keinen Breitensport für Kinder und Jugendliche. SFX 4 Jingshang-Park Link 13 In den Parks in Peking wie hier im Jingshan-Park gleich hinter der Verbotenen Stadt trifft man am frühen Morgen und am Wochenende vor allem alte Menschen. Sie machen ihre Tai Chi- Übungen - wie es die Tradition lehrt im Zeitlupentempo - oder die traditionelle Klopfgymnastik Pai Da Jing Mai, die die Energieströme im Körper aktivieren soll. SFX 4 aufblenden Link 14 Auch an den einfachen Trimmgeräten, die in fast allen Parks stehen, sieht man fast nur Rentner. Alte Frauen tanzen traditionelle Fächertänze, Männer halten sich mit Rückwärtsgehen oder Schwert-Übungen fit. Doch alles was Kindern und Jugendlichen Spaß macht, ist in den Parks verboten: Ballspielen, Rollschuhlaufen oder Fahrradfahren. Und weil es auch sonst in Peking viel zu wenige Sportplätze gibt, sieht man fast nie Kinder- und Jugendliche beim Kicken. In der chinesischen Hauptstadt mit ihren rund 20 Millionen Einwohnern gibt es heute beispielsweise weniger als 100 Fußballplätze, sagt Rowan Simons, der sich seit 20 Jahren für den Amateurfußball in China stark macht. Act 9 Rowan Simons (Mann auf Englisch) In meinen 20 Jahren hier hat die Zahl der Fußballplätze abgenommen - der Grund und Boden wird für neue Gebäude gebraucht. Dort, wo es früher zwei Plätze gab, gibt es jetzt nur noch einen, dort wo es einen gab, gibt es jetzt nur noch einen halben - wir sehen ein Verschwinden des Raumes. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Golfplätze steil gestiegen. In Peking gibt es rund 26 Golfplätze - für eine privilegierte Minderheit die sich die teuren Mitgliedschaften leisten kann. Golf ist ein durch und durch elitärer Sport - jenseits der Träume von normalen Leuten. Gleichzeitig hat die Zahl der Fußballplätze abgenommen. Darin spiegeln sich die Probleme der chinesischen Gesellschaft wieder - sie ist sehr elitär, das Geld, die Kontrolle über die Macht - das ist in den Händen einiger weniger. Link 15 Und so wie es keine Fußballplätze gibt, gibt es auch so gut wie keine Sportvereine in China, keine Angebote von unten, außerhalb von Schule und Uni. Sport wird in China von oben verordnet, ist eine Angelegenheit des Staates. In einem Land, in dem die Kommunistische Partei die alleinige Macht hat, darf es keine Massenorganisationen außerhalb des Einflussbereichs der Partei geben, werden Eigeninitiativen von unten misstrauisch beäugt oder vom staatlichen System usurpiert. Unabhängige Sportvereine, die sich in Deutschland historisch in Dörfern, Betrieben oder Gemeinden über Jahrzehnte entwickelt haben, gibt es in China so gut wie nicht, sagt Simons Act 10 Rowan Simons (Mann in English) Mit der Kommunistischen Befreiung von 1949 hat der Staat die Kontrolle über alle Lebensbereiche übernommen und man hat sich dabei am Modell der Sowjetunion orientiert. Der Sport wurde damals auch verstaatlicht: Man hat dann ein elitäres System geschaffen - man wählt Kinder aus, trainiert sie, und wenn sie gut sind können sie innerhalb dieses Systems weitermachen - ansonsten fliegen sie wieder raus. Sportvereine, die natürlich wachsen und an der Basis verankert sind, das war einfach nicht möglich. Link 16 China hat sich total verändert, aber das Sportsystem mit der elitären Förderung einiger weniger ist geblieben. Als "Schule der Schmerzen" sind die chinesischen Sportinternate bis heute bekannt und berüchtigt. SFX 5 Tischtennishalle. LINK 17 Zum Beispiel die Sportschule Shichahai, am malerischen Houhai-See im Norden Pekings. In der Tischtennishalle wird hart gearbeitet. Knirpse tänzeln wie Profis auf und ab und schmettern im Sekundentakt die Bälle über die grüne Platte. Der kleine Zhang Kai trainiert hier jeden Tag. ACT 11 Junge auf Chinesisch Ich will trainieren, bis ich Weltmeister werde. Mein Traum ist es, das Beste zu leisten, ich will die Nummer eins werden. LINK 18 Der Achtjährige lebt seit einem guten halben Jahr im Sportinternat, teilt sich ein Zimmer mit fünf anderen Kindern - seine Eltern sieht er nur am Wochenende - und auch das nicht regelmäßig. Zhang Kai selbst hat seine Eltern gedrängt, ihn ins Internat zu schicken, erzählt er, und er bestand schließlich die schwere Aufnahmenprüfung. Anfangs fand er das Training ziemlich hart und die Trainer streng. Aber mittlerweile hat er sich daran gewöhnt. ACT 12 Junge auf Chinesisch Ich habe von klein auf in der Schule Tischtennis gespielt und es gleich gemocht. Hier trainieren wir jeden Tag über vier Stunden. Die Schule gefällt mir sehr gut, es gibt nichts, was mir nicht gefällt. LINK 19 Rund 600 Nachwuchssportler trainieren jeden Tag in Shichahai. Die Hälfte der Schüler wird staatlich gefördert, die anderen müssen das Schulgeld von rund 3000 Euro im Jahr selbst zahlen. SFX 6 Volleyball-Training LINK 20 Die Schule bietet neben Tischtennis auch Turnen, Badminton oder wie hier Volleyball an. Auch da wird verbissen trainiert. Denn der Druck auf die zukünftigen Champions ist enorm. Anders als Zhang Kai kommen viele Schüler in Chinas Sportinternaten aus armen Familien - die staatliche Sportförderung sehen sie als die große Chance auf ein besseres Leben. Und natürlich hoffen alle auf Ruhm und Medaillen. Doch nur die wenigsten schaffen es, sagt Shichahais Schulleitern Shi Fengshua. ACT 13 Schulleiterin Shi Unsere Schule hat die Erfahrung gemacht, dass es von hundert Schülern vielleicht einer nach ganz oben schafft. In über 50 Jahren hatten wir über 3000 Schüler, davon sind etwa 30 Weltmeister geworden. Gegenüber anderen Schulen ist das sogar noch sehr viel. SFX 7 Turnhalle LINK 21 In der Turnhalle üben Sechsjährige am Schwebebalken. Mit elegantem Schwung breitet ein Mädchen im rosa Turndress ihre Arme aus. Dann biegt sie ihren Rücken ganz weit nach hinten, bis ihre Hände hinter den Füßen den Schwebebalken berühren. Nach einer Reihe schneller Überschläge blickt sie ernst auf ihre Trainerin. Doch die ist nicht zufrieden. "Noch Mal", ruft die Frau im blauen Sportanzug streng. "Wir sind hier doch nicht im Tanzkurs!" SFX 7 aufblenden LINK 22 Gelacht wird nicht an diesem Nachmittag in der Turnhalle. Stumm und ernst wiederholen die Kinder ihre Übungen. Sprechen dürfen wir mit den Nachwuchsturnerinnen nicht. Wie hart es auch in etwas weniger elitären Sportschulen zugehen kann, hat der Matthias Brosamer erlebt. Der Deutsche, der beim SC Freiburg in der Jugendmannschaft gespielt hat, arbeitete ein knappes Jahr an einer Pekinger Mittelschule als Fußballtrainer. Die Schule kooperiert mit dem Pekinger Profi-Verein Guo'an, der auf diese Weise nach Nachwuchstalenten sucht. Neben dem ganz normalen Schulbetrieb gibt es an der Mittelschule ein Fußballinternat, an dem rund 100 Kinder im Alter zwischen neun und 15 Jahren jeden Nachmittag stundenlang trainieren. Auch dort werden die Kinder hart gedrillt, sagt Brosamer. Act 14 Brosamer auf deutsch Spaß oder mal Lachen im Training, das gab's sehr sehr selten, gerade bei den Kindern, da war ein Trainer sehr sehr hart, der hat die Kinder so gescheucht, so dass ich irgendwann gesagt habe, das geht nicht, das funktioniert nicht, aber der Boss war von dem Trainer überzeugt, obwohl er im Training auch mal ein Kind in den Hintern getreten hat und das so getreten hat, dass das Kind danach geheult hat. Link 23 Der 28jährige Brosamer sitzt auf dem Campus der Pekinger Fremdsprachen- Universität, wo er derzeit studiert, und schüttelt bei den Erinnerungen an seine Zeit als Fußballtrainer immer noch ungläubig den Kopf. Im Hintergrund rauchen Autos auf einer vielbefahrenen Schnellstraße vorbei. In den Sportschulen, so seine Erfahrung, gehe es letztendlich nur um kurzfristige Ergebnisse und vorzeigbare Erfolge, nicht um die langfristige Förderung von Talenten, wie es gerade im Fußball notwendig ist. Zugleich seien den Trainern die schulischen Leistungen ihrer Schützlinge oft völlig egal gewesen. Doch Kinder und Jugendliche, die es dann nicht zum Profi schaffen - wegen mangelnder sportlicher Leistungen oder Verletzungen - stehen auf einmal vor dem Nichts. So erging es einem seiner ehemaligen Schüler, erinnert sich Brosamer. Act 15 Brosamer auf deutsch Der hat sich mit 18 verletzt und hat dann keinen Schulabschluss gehabt und hat dann nichts gefunden und ist jetzt Taxifahrer - und da hat er wahrscheinlich noch Glück gehabt. Link 24 Der Druck auf die Kinder kommt aber nicht nur von den Sportschulen, sondern auch von den Eltern. Weil es keine Vereine gibt, kann sich Sport nicht als Freizeitbeschäftigung entwickeln. Sport in China, das gilt vielen immer noch als Karrierekrücke. Act 16 Brosamer auf deutsch Die Eltern schicken ihr Kind zu einer Fußballschule und gehen davon aus, dass ihr Kind mit 18 Fußball-Profi ist. Und alles andere ist für die völlig uninteressant. Die kamen dann zu mir, das Kind war 14, die laden Dich dann ein und dann heißt es, mein Kind muss Profi-Fußballer werden, dann sagte ich, ja gut, das Kind ist doch gerade mal 14, ob das Profi-Fußballer wird oder nicht, das ist sehr, sehr schwierig zu planen, das ist unmöglich zu planen, da sind so viele Einflüsse dabei, wie gut sind die Trainer, wie entwickelt sich das Kind, gerade auch in der Pubertät, und die Eltern. Doch die Eltern wollen das oft nicht wahrhaben. Da geht es nur darum, Du bist ein guter Trainer, kommst aus Deutschland, du warst früher selber fast Profi-Fußballer, Du machst mein Kind zum Profi und du schaffst das schon und wir geben alles dafür, mehr oder weniger. Link 25 Brosamer hat den Trainer-Job an der Pekinger Mittelschule schließlich frustriert an den Nagel gehängt. So hatte sich der blonde Freiburger die Arbeit mit Kindern nicht vorgestellt. Sport - egal ob Leistungssport oder Amateursport - müsse zunächst einmal einfach Spaß machen, sagt er. Nur so kann man Kinder und Jugendliche für ein aktives, sportliches Leben begeistern. SFX 8 Fußball-Turnier in Shunyi Link 26 Doch auch in China gibt es heute erste Anzeichen eines Umdenkens. Zum Beispiel bei diesem Fußballturnier im Pekinger Vorort Shunyi. Kinder-Teams aus ganz Peking treten gegeneinander an. Gekickt wird in kleinen Gruppen mit fünf oder sechs Spielern. Alle sind dabei, fünfjährige Anfänger, die noch gar nicht so genau wissen, auf welches Tor sie schießen sollen, bis hin zu Teenagern, die das Turnier todernst nehmen. Aber es geht nicht um die besten Leistungen oder die meisten Tore - sondern zunächst einmal einfach um den Spaß am Sport. SFX 9 Coach (everybody will get a medal) Link 27 Jeder bekommt eine Medaille, ruft einer der Trainer den Kindern zu und jubelnd stürzen die sich auf die Spielfelder und jagen den Bällen hinterher. Hinter dem Turnier steckt "Wang Guo Qun Xing", der wohl erste und mittlerweile größte Amateur-Fußball-Club in Peking. Seit der Club vor sechs Jahren anfing, auch Programme für Kinder und Jugendliche anzubieten, finden immer mehr Familien den Weg zu den Spaß-Fußballern, die an mittlerweile 20 Orten in Peking Kurse anbieten. Heute kicken 2000 Kinder in dem Club - etwas mehr als die Hälfte sind in Peking lebende Ausländerkinder, die andere Hälfte Chinesen. Aber gerade unter den einheimischen Kindern gewinnt der Club immer mehr Fans. Gegründet wurde Wang Guo Qun Xing von Fußballfan Rowan Simons in den 90er Jahren. Ihm ging es damals vor allem um die Möglichkeit mit Gleichgesinnten am Wochenende Fußball spielen zu können. Er erinnert sich noch gut daran, wie perplex die Behörden waren, als er eine Amateur-Lizenz beantragte. Act 17 Rowan Simons Die Behörden dachten, wir wären verrückt. Warum wollt ihr einen Fußball-Club für Leute, von denen ihr wisst, dass sie nie wirklich gut sein werden, fragten sie. Wir sagten, genau das wollen wir. Wir wollen eine Organisation, die Fußball für diejenigen anbietet, die es zu nichts bringen werden. Wir wollen kein Profi-Club werden. Und sie sagten, ihr spinnt, der chinesische Fußball-Verband hat nicht einmal eine Abteilung für Amateurmannschaften. SFX 10 Fußballturnier Link 28 Beim Fußballturnier im Vorort Shunyi steht auch die 35jährige Wang Hongjuan hinterm Tor und feuert ihren siebenjährigen Sohn an: Bei Wang Guo Qun Xing oder "Club Football" wie der Club auf Englisch heißt, gefällt ihr, dass viele der Trainer aus dem Ausland kommen. Vom Sportprogramm der Schule ihres Sohnes ist sie enttäuscht. Act 18 Wang (Frau) Sie machen dort nicht genug. An der Schule werden nur ein paar wenige für die Schulmannschaft ausgesucht. Man kann da nicht einfach mitmachen. Bei Club Football ist das anders, außerdem gefallen mir die Trainer - die Ausländer denken sich viele Spiele aus und sind nicht so streng wie die chinesischen Trainer. Sie haben einen eher spielerischen Umgang - das ist gut - sie wissen wie man mit Kindern umgeht. Link 29 Anfangs war es nicht einfach, chinesische Eltern für einen Fußball-Club zu begeistern, bei dem es zunächst einmal einfach um Spaß am Sport geht. Viele Eltern empfanden das als Zeitverschwendung. Aber die Organisatoren überzeugten die Eltern schließlich mit einem Trick, erinnert sich Rowan Simons. Act 19 Rowan Simons Wir dachten uns diesen Slogan aus - Spiel Fußball, lern Englisch - und das war der Schlüssel, um chinesische Kinder zum Mitmachen zu bewegen. Wenn wir in London mit dem Slogan "Spiel Fußball, lern Deutsch" werben würden, würde keiner deswegen kommen. Das Fußballspielen allein reicht schon aus. Aber hier ist es genau umgekehrt - "Spiel Fußball, lern Englisch" hat viel dazu beigetragen, chinesische Mitglieder anzuwerben. Link 30 Immer noch ist der Slogan wichtig, obwohl die Bedeutung der ausländischen Trainer abnimmt und es vielen Kindern nach wie vor schwer fällt, den Anweisungen auf Englisch zu folgen. Sie hören lieber auf die chinesischen Co-Trainer. Zugleich wächst der Anteil derjenigen, die wirklich nur um des Sports willen mitmachen. Doch für diese Mutter ist das Englischlernen immer noch wichtig. Act 20 Mutter Heutzutage müssen alle Kinder Englisch lernen und mit den ausländischen Trainern können sie üben sich in einem englischsprachigen Umfeld zurechtzufinden. Der Hauptgrund für meinen Sohn hier mitzumachen, ist natürlich trotzdem der Sport, das Englischlernen ist zweitrangig. Aber ich finde es finde nahezu perfekt, wenn man beides kombinieren kann. Link 31 Und manche Eltern erkennen mittlerweile auch, dass ihre Kinder im harten Schulalltag mit den endlosen Hausaufgaben dann doch - zumindest am Wochenende - einen Ausgleich brauchen. Das chinesische Schulsystem mit seinen gnadenlosen Auswahlverfahren fördert zudem Einzelkämpfer und Konkurrenzverhalten. Der Sport kann ein Gegengewicht schaffen, glaubt dieser Vater eines siebenjährigen Sohnes. Act 21 Vater Die Kinder müssen nicht nur pauken, sondern auch als Menschen wachsen. Sport hilft dabei, Schwierigkeiten zu überwinden und sich Herausforderungen zu stellen. Das wichtigste ist, dass die Kinder glücklich sind Link 32 Fußball, sagen immer mehr Eltern, fördert die Kondition und den Teamgeist. Die meisten Kinder sind heute Einzelkinder- daher ist Sport besonders wichtig. Auch der deutsche Fußballtrainer Matthias Brosamer hat bei Wang Guo Qun Xing eine neue Heimat gefunden. Mit seinem fließenden Chinesisch und seinen guten Kenntnissen beider Sportwelten, der europäischen und der asiatischen, hat er jetzt eine Vermittlerrolle übernommen. Act 22 Brosamer Die chinesischen Kinder kommen zu Anfang da hin und wissen nicht so recht was Fußball ist und dass verändert sich aber dann, wenn sie dann eine Weile bei Club-Football sind, dann lieben sie den Sport auch und lernen das relativ schnell, weil es ihnen vermittelt wird, dass es einfach um Spaß geht, um dieses langfristige Denken. Die Kinder sollen am Besten ein Leben lang mit Fußball was zu tun haben, den Fußball lieben, den Sport lieben. Link 33 Für die große Masse der Chinesen ist Sport immer noch hauptsächlich aus der Zuschauerperspektive interessant. Basketball, vor allem die amerikanische NBA ist unter Kindern und Jugendlichen sehr populär. Fußball - wenn es nicht gerade die schwache und korrupte chinesische Liga ist - hat ebenfalls viele Fans. Weder die Olympischen Spiele vor zwei Jahren In Peking noch die Asienspiele jetzt in Guangzhou haben die Chance ergriffen, Sport zum Mitmachen zu propagieren. Und trotzdem, glaubt auch Sportprofessorin Luo Dongmei, setzt gerade unter den besser gebildeten Mittelklassefamilien langsam ein Umdenken ein - auch wenn immer noch das Lernen an erster Stelle steht.. Act 23 Luo (Frau) Nach meinen Erkenntnissen spielt auch in China das ganzheitliche Wohl der Kinder eine immer größere Rolle. Natürlich sind die Schulnoten, Prüfungen immer noch wichtig. Aber gerade in Peking achten die Eltern auch auf andere Dinge, nicht nur aufs Pauken. Es geht darum, sich in die Gesellschaft einzufügen, um soziale Fähigkeiten, mentale Belastbarkeit. Und mit mehr Zeit für Spiel und Sport heißt ja nicht, dass man schlechter lernt. Im Gegenteil - wer gesund und aktiv ist, lernt mehr in kürzerer Zeit. Link 34 Chinas unsportliche Kinder haben also durchaus noch eine Chance. So schnell wie sich das Land in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, so schnell passen sich manche Menschen auch den veränderten sozialen Bedingungen an. Platz für Breitensport und öffentliche Sportanlagen dürften allerdings angesichts der rasant steigenden Wohnungspreise in den Städten auch weiterhin Mangelware bleiben. Auch die Schulen - weder das Pauksystem an den Regelschulen, noch die elitären Sportinternate - werden sich nicht über Nacht ändern. Und eines ist ebenfalls sicher: Bei den Asienspielen in Guangzhou werden die Nachwuchskader aus dem staatlichen Sportsystem wieder ganz vorne mitmischen. SFX 11 Musik Asian Games 14