COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Die Reportage Wem gehört die Stadt? Von Käufern und Verkauften in Berlin Eine Reportage von Catrin Watermann ________________________________________________________________________ Atmo 1 Wohnzimmer 1 Sprecherin: Marta Nowicka sitzt auf dem Sofa vor ihrem gefliesten Wohnzimmertisch. Eine gelbe Blume steht in der Vase, ein Blatt Papier liegt auf dem Tisch. Marta, eine kleine, schmale Frau mit schulterlangem Haar, starrt es an. Seit Monaten wartet sie ängstlich auf diesen Brief von der Hausverwaltung. Jetzt ist er da. Mit fest verschränkten Armen beugt sie sich über das Schreiben: O-Ton 1, Marta: In diesem Brief steht, dass ab 1.12. dieses Jahr unsere Miete ist erhöht um über 600 Euro, also jetzt müssen wir zahlen 1352 Euro, 11 Cent. 2 Sprecherin: Marta Nowicka wohnt seit 19 Jahren mit ihrem Sohn in dieser Wohnung: 78 Quadratmeter, 3 Zimmer. Eine ehemalige Sozialwohnung. Es ist ihr Zuhause, das sie liebt. Die Wände ihrer gemütlichen Sofaecke hat die gebürtige Polin in einem warmen Orange gestrichen. Sie hat eine feste Stelle als Kellnerin. Die neue Miete von 1350 Euro kann sie von ihrem Gehalt nicht bezahlen. Sie weiß nicht, was sie machen soll. O-Ton 2, Marta: Ich weiß nicht, wie man das auf Deutsch sagt: Die alten Bäume sollen da bleiben, wo sie wachsen. Für mich ist das so wie Herz kaputt, wie Ende meiner Leben. Ich habe mich immer um die Wohnung gekümmert, das ist fantastisches, großes Wohnzimmer, mit Wendeltreppe zum Schlafzimmer und Kinderzimmer, großes Badezimmer, großer Balkon, alles sonnig. Ich bin gewohnt, das ist für mich alles, ich habe immer meinen Balkon geschmückt zu Weihnachten, im Sommer immer Blumen gehabt. 3 Sprecherin: Wie kann es sein, dass die Miete mit einem Mal um 90 Prozent steigt? Das fragt sich Marta Nowicka. Die Antwort: der ehemalige Sozialbau, gebaut und gefördert mit öffentlichen Geldern, hat seit einem Jahr neue Besitzer. Die zwei Geschäftsleute aus Bremen und Berlin setzen auf das schnelle Geld mit Touristen. Sie vermieten an Feriengäste, die pro Nacht bezahlen und nicht pro Monat. Altmieter wie Marta Nowicka wollen sie loswerden. Um sie herum sind schon fast alle langjährigen Mieter ausgezogen: O-Ton 3, Marta: Wenn ich Leute treffe, sind das fremde Leute, viele andere Wohnungen sind schon Ferienwohnungen. Was die im Sommer gemacht haben, will ich gar nicht erzählen, junge Leute aus der ganzen Welt, die haben Sex um sechs Uhr morgens draußen gemacht, und ich hab das gesehen, weil ich war wach, ich musste zur Arbeit. In diesem kleinen Garten unter mir. Das hab ich gesehen. 4 Sprecherin: Die Sechzigjährige, die oft zehn Stunden am Tag arbeitet, trifft in ihrem Haus auf junges Partyvolk aus ganz Europa. Atmo 2 Internationales Stimmengewirr Friedrichstraße/Ecke Kochstraße (unterlegen) 5 Sprecherin: Marta Nowickas Pech: sie wohnt mitten im touristischen Zentrum Berlins. Nur ein paar Meter ist es von ihrer Wohnung zum Checkpoint Charlie, dem berühmten ehemaligen Grenzübergang Westberlins. Ein Muss für jeden Berlin-Besucher. Aus dem U-Bahn-Schacht Kochstraße strömen Menschen aller Nationalitäten. Atmo 2 hoch und wieder unterlegen 6 Sprecherin An die 12.000 Ferienwohnungen soll es mittlerweile in Berlin geben, genaue Zahlen sind nicht bekannt. Es sind Wohnungen in der Innenstadt, die Mietern nicht mehr zur Verfügung stehen. "Zweckentfremdung" schimpfen Mieterverbände und auch mancher Politiker wie der grüne Bezirks-Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz. Sie fordern ein Eingreifen des Senats. Der aber hat 2002 das sogenannte "Zweckentfremdungsverbot" in Berlin abgeschafft. Seither ist Wohnraum nicht mehr geschützt. Alles ist möglich. Ein Blick in das hell erleuchtete Fenster neben der Haustür von Marta Nowicka zeigt hellen Laminatfußboden, schwarze Sofaecke, Koffer in der Ecke. Eine dänische Familie ist auf Berlinbesuch. Der junge Mann guckt freundlich aus dem Fenster: O-Ton 4, Junger Mann aus Dänemark: We just googled flats in Germany and it came up, so its pretty central, so it does great. Its a lot of room it's a seven person flat I think, really not a lot of noise, great place. 400 Euros for three nights. From Thursday to Sunday. That's a lot cheaper than hotels in Denmark. Overvoice: Wir haben gegoogelt und so haben wir die Wohnung gefunden. Sie ist sehr zentral, das ist großartig. Es gibt viel Platz, bis zu sieben Personen können hier schlafen, und es ist ruhig. Wir zahlen 400 Euro für drei Nächte. Das ist viel günstiger als Hotels in Dänemark. 7 Sprecherin: Bei einer lückenlosen Belegung kommt der Eigentümer dabei auf 4000 Euro Miete im Monat. Da lohnt es sich, Alt-Mieter wie Marta Nowicka zu vertreiben. Auch in Stadtteilen, die noch vor Kurzem als "sozialer Brennpunkt" galten, sind Mieter nicht mehr vor Vertreibung sicher. Atmo 3 Mieterdemo Hopp Hopp Hopp - Mietenstopp! Hopp Hopp Hopp - Mietenstopp! Hopp Hopp Hopp - Mietenstopp! (runterziehen und unterlegen) 8 Sprecherin: Das Bündnis Stadtvernetzt hat an einem sonnigen Herbsttag zu einer Mieterdemonstration aufgerufen. Eltern mit Kinderwagen, Rentner, Migranten, Lebenskünstler mit bunten Haaren und Damen im Kostüm wehren sich gegen steigende Mieten und Verdrängung. Sie halten Schilder hoch, auf denen steht: "Spekulanten stoppen!" Eine Frau mittleren Alters hakt sich bei ihrer Freundin unter. Sie ist kurz entschlossen mitgegangen. O-Ton 5 Weil mich das total, ärgert, was mit der Wohnungspolitik passiert hier im Kiez und in ganz Berlin, diese ganze Politik finde ich asozial, deswegen bin ich, ich habe ganz viel Wut im Bauch, dass ich dachte, so eine Demo tut vielleicht auch mal ganz gut. 9 Sprecherin: Die Demo zieht zuerst durch Neukölln, biegt in eine Straße mit Bäumen und Kopfsteinpflaster, kommt vorbei am "Campus Rütli". Vor sechs Jahren war das noch die Rütlischule und bundesweit der Inbegriff für Schulterror. Viel Geld ist seitdem in die Schule geflossen, heute präsentiert sie sich als modernes Bildungszentrum. Neukölln verändert sich. Es gibt jetzt viele Kneipen und Cafes, in denen lässige, vor allem junge Leute sitzen. Neukölln ist jetzt international. Es ist das beliebte Großstadt-Spiel: Ein armes Quartier mausert sich zu einem "Szenekiez - und die Mieten steigen. Atmo 4: Mieterdemo "Die Häuser denen, die drin wohnen!" kurz hochziehen. 10 Sprecherin Es geht weiter in den Ostteil Berlins. "Alt-Treptow" heißt der Nachbarbezirk. Das Viertel ist vor allem bei Familien beliebt. Diejenigen, die sich Eigentumswohnungen leisten können, haben gebaut oder gekauft. Das Viertel wird immer hübscher - und immer teurer. Eine junge Frau, die mit ihrem Lebensgefährten und zwei Kleinkindern demonstriert, findet die Entwicklung beängstigend: O-Ton 6 "Ich bin in einer Initiative gegen Verdrängung, weil es ist problematisch hier in Alt-Treptow, die soziale Mischung geht nach und nach verloren. Ich will nicht, dass Einkommensschwache an den Stadtrand verdrängt werden. Wir haben hier mittlerweile bei Neuvermietungen 10 Euro kalt pro Quadratmeter und das können sich auch Familien mit Durchschnittseinkommen gar nicht mehr leisten. Atmo 5 Mieterdemo Lautsprecher: Wir haben das Thema steigende Mieten sichtbar gemacht und wir sagen: So geht es nicht weiter! (langsam runterziehen) Wir müssen uns zusammenschließen und gemeinsamen Druck aufbauen. Wir brauchen ein stadtweites Bündnis mit sichtbaren Aktionen. ......Hopp, Hopp, Hopp, Mietenstopp! 11 Sprecherin Gleich nebenan in Kreuzberg: dieselbe Entwicklung, dieselbe Angst. Kann ich in meiner Wohnung, in meinem Kiez bleiben? das fragt ein alt eingesessener Kreuzberger auf der Demo. Er erzählt, dass sich seine Miete bald verdreifachen soll. Die neuen Besitzer wollen den Altbau an der Spree rundum modernisieren. O-Ton 7: Mann aus der Bevernstraße Wenn ich da rausfliege, werde ich in Kreuzberg nichts mehr finden - und Neukölln ist ja mittlerweile auch soweit, das kommt auch nicht mehr in Frage, dann kann ich nach Britz ziehen, oder Hohenschönhausen, Hellersdorf-Marzahn , da gibt´s dann vielleicht noch was... aber das sind auch Gegenden, mit denen ich gar nichts zu tun habe, ich lebe hier seit über dreißig Jahren in Kreuzberg und habe hier mein soziales Umfeld, meine Arbeit ist hier. Und es ist klar, dass Leute, die prekär leben, die gerade so auskommen, hier nicht mithalten können, ich weiß nicht, wo die am Ende wohnen sollen? Atmo 3 Demo unter folgendem Sprechertext ausblenden und mit Atmo 6 Amtsgericht mischen 12 Sprecherin: Der Kreuzberger kann genauso wenig mithalten wie Marta Nowicka, die am Checkpoint Charlie mit Touristen als Nachbarn leben muss. Und sie haben noch mehr gemeinsam. Auch der Kreuzberger Altbau in Toplage gehörte wie Marta Nowickas Haus einmal einer stadteigenen Wohnungsbaugesellschaft und wurde 2004 verkauft. Mehrfach haben seither die Besitzer gewechselt, jeder Verkauf war profitabel für die Käufer und teuer für die Mieter. Atmo 6 Amtsgericht (Auf dem Flur im Amtsgericht Lichtenberg, viele Stimmen, im Vordergrund italienisches Gemurmel (unterlegen) 13 Sprecherin Dass sich in Berlin mit Immobilien Geld verdienen lässt, hat sich längst herumgesprochen - nicht nur große Investoren suchen ihr Glück, auch viele Schnäppchenjäger wollen dabei sein beim Monopoly und gucken sich die Wohnungen vor dem Kauf nicht einmal an. Hauptsache Wohnung, Hauptsache Berlin. Atmo 6 hochziehen 14 Sprecherin Ein langer Flur im Amtsgericht Lichtenberg, kurz vor 11. Unter Neonröhren warten rund 30 Männer und Frauen. Auch der Italiener Alberto Torelli. Noch ein bisschen müde sieht er aus, er fährt sich durch den Drei-Tage-Bart und die dunklen, langen Haare. Seine Frau und zwei weitere Italiener sitzen mit ihm auf der Wartebank. Gleich wird eine Wohnung in Friedrichshain zwangsversteigert. Alberto Torelli wohnt zurzeit in Berlin und will auch bleiben. Es ist die Stadt seiner Träume. Seine Voraussetzungen sind gut: Er hat Geld, um in Immobilien zu investieren. Atmo 7 Aufgeregtes italienisches Gemurmel (kurz hochziehen und unterlegen) O-Ton 8 Alberto: The auctions are interesting I went there already three times, but didn´t win the auction because the price went even higher than the market. You can get some information, but not as much as the normal way, sometimes you don´t know the contract, sometimes you don´t get into the apartment, so it's a bit risky. But sometimes you can make of course good deals - not my case - but I heard that people can really get cheap apartment in the auction. Overvoice: Die Versteigerungen sind interessant- Bei drei war ich jetzt schon. Aber der Preis ging jeden Mal zu hoch. Man hat vorab auch nicht so viele Informationen über eine Wohnung wie bei einem normalen Kauf. Manchmal weiß man nichts über den Mietvertrag und manchmal kommt man vorher in die Wohnung gar nicht rein. Also, es ist ein bisschen riskant. Aber man kann wohl auch mal ein Schnäppchen machen - zumindest habe ich das von anderen gehört.. 15 Sprecherin: Schnäppchenjäger Alberto Torelli kommt aus Mailand. Vor zwei Jahren haben er und seine Frau einfach ihre Koffer gepackt und sind mit zwei kleinen Kindern in die deutsche Hauptstadt gezogen. O-Ton 9 Alberto: here in Berlin, I work as a artist, Berlin is a good centre for contemporary art, even if you don´t make money, its hard to make money here in Berlin, but still the life is cheaper, quality of life is better, especially with kids. Overvoice: Ich arbeite als Künstler hier, Berlin ist ein Zentrum für zeitgenössische Kunst - auch wenn es schwer ist, in Berlin Geld zu verdienen, aber dafür ist das Leben günstiger und die Lebensqualität besser, besonders mit Kindern.. 16 Sprecherin: Alberto Torelli ist Anfang Dreißig und Videokünstler. Und er ist vermögend. Eine Wohnung in Berlin besitzt Alberto bereits. Heute hoffen er und alle anderen Anwesenden auf dem Flur auf eine sagenhaft billige Ein-Zimmer-Erdgeschoss-Wohnung in Friedrichshain. Verkehrswert: 29.000 Euro. Atmo 8 Amtgericht: Aufruf über den Lautsprecher, in den Saal zu treten, allgemeiner Aufbruch (kurz einspielen, dann unterlegen) Im Saal Gemurmel, italienisch. Rechtspflegerin: Wollen wir beginnen, ansonsten zieht´s sich nach hinten hin.. (runterziehen und unterlegen) 17 Sprecherin: Es geht los bei 21.500 Euro. Die Bieter arbeiten sich in 500 Euro Schritten weiter nach oben: Atmo 9 Amtsgericht: Rechtspflegerin So, dann stehen wir jetzt bei 25.000 Euro... Kommt noch ein höheres Gebot? (Getuschel auf italienisch) 18 Sprecherin: Alberto diskutiert leise mit seinen italienischen Freunden und wartet ab. Atmo 10 Amtsgericht: Rechtspflegerin Kommt noch ein höheres Gebot als 28.000? (Bieter:) 29?! Rechtspflegerin: Ist das eine Frage oder Feststellung? (Bieter:) Feststellung. 19 Sprecherin: Zwei Bieter treiben den Preis weiter in die Höhe. Atmo 11 Amtsgericht: 35.000 (italienisches Flüstern) Bietet noch jemand mehr? 36.000 Höre ich mehr? 36.000 Euro zum Ersten, 36.000 Euro zum Zweiten, 36.000 Euro zu Dritten, letzte Möglichkeit, ein höheres Gebot abzugeben, das ist nicht der Fall, dann verkünde ich um 11:49 das Ende der Bietstunde,.....so wer rausgehen möchte... (runterziehen) Schritte im Flur unterlegen, ("it´s good fun") 20 Sprecherin: Alberto hat heute nicht mit geboten. Der Preis war ihm doch zu hoch für die kleine Wohnung - denn es stellt sich heraus, dass sie rundum saniert werden muss. Sein Ziel ist es, eine richtig große Wohnung zu kaufen, in der er mit seiner Familie wohnen kann. Und das möglichst schnell: O-Ton 10, Alberto I see the difference, I bought this apartment in June, and that we are in December, the prices rise so incredibly, like 500 more per qm. Overvoice Ich bemerke den Unterschied: Ich habe die erste Wohnung im Juni gekauft, und jetzt ist Dezember, die Preise steigen unglaublich im Moment, der Quadratmeter kostet bis zu 500 Euro mehr. 21 Sprecherin: Mit seiner Frau hat er schon viele Wohnungen besichtigt. Dabei sind sie schon in unangenehme Situationen geraten, erzählt er: O-Ton 11 Alberto: I went the other day to see an apartment with this old family living in there, old Turkish family, they live there since a long time, I felt like I don´t want to be the one to kick out this family. I knew they were paying very cheap rent, they would not find an apartment in the same area, same price, same size, never, no chance. I don´t want to be the person to kick them out. Overvoice: Vor ein paar Tagen habe ich mir eine Wohnung angesehen, in der eine türkische Familie schon seit Generationen wohnt. Ich wusste, die zahlen eine sehr niedrige Miete, und sie werden keine Wohnung mehr finden in der Gegend, für den Preis und die Größe, keine Chance. Ich habe gleich gedacht, ich will nicht derjenige sein, der sie da rauswirft. 22 Sprecherin: Alberto Torelli fühlt sich in seiner Rolle manchmal unbehaglich, denn er will niemanden verdrängen. Große Immobilienunternehmen haben damit weniger Probleme. Sie handeln anonym. Aber nur scheinbar. Denn einer muss kommen, entscheiden, zahlen - und das kann unangenehm werden. Zum Beispiel wenn der Investor nicht weiß, mit welchen Mietern er es zu tun hat. Atmo 12 : Singender Mann, Willibald-Alexis-Straße (Schelle) "Ihr wollt Euch Kreuzberg erkaufen! Seid Ihr debil? Ihr wollt Euch Kreuzberg erkaufen! Ganz schick und neu! Doch gegen uns und unsere Kraft wird das nix, das ist doch klar..." (runterziehen und unterlegen) 23 Sprecherin: Am frühen Abend postiert sich ein kleines Grüppchen vor einem Gründerzeithaus in Kreuzberg, einer der Teilnehmer singt. Atmo 12 hoch 24 Sprecherin Es sind Mieter aus dem sogenannten Chamisso-Viertel. Tagsüber rumpeln hier Sight-Seeing-Busse über das Kopfsteinpflaster. Wie eine Kulisse für das Berlin vor hundert Jahren wirken die Häuser mit Stuckfassaden, kein Neubau stört das Bild. Vor 30 Jahren wurden hier Häuser besetzt, um ihren Abriss zu verhindern. Heute gilt das Viertel als attraktive Wohnlage - dank der Altbausubstanz, die die Besetzer damals gerettet haben. Atmo 13 : Mann vor dem Haus: (Schelle) Alles in Spekulantenhand! Geld her! Geld her! Dieses Haus wird inzwischen, ohne dass irgendwas gemacht wurde, für das Sechsfache angeboten! 25 Sprecherin: Im Licht der antiken Straßenlaterne hält ein weiterer Demonstrant ein Schild in die Höhe: "Kiez wehrt sich!", steht darauf. Ein paar Meter weiter greift ein beleibter Mann im dunklen Anzug zu seinem Handy. Er ist Makler und ruft jetzt die Polizei. Seine acht Kaufinteressenten um ihn herum schauen erstaunt. Sie wollen eigentlich nur eine Wohnung besichtigen. Auf Proteste sind sie nicht vorbereitet. Atmo 12: Mann vor dem Haus, singend, (nur kurz hochziehen) Ihr wollt Euch Kreuzberg erkaufen, ...ganz schick und neu und so schön wie es war... 26 Sprecherin: Ein Polizeiwagen fährt vor. Die beiden Polizisten stellen sicher, dass der Makler und seine Kunden das Haus unbehelligt betreten können. Atmo 14: Stimmengewirr/Diskussion vor dem Haus, ("Knete!"...."wird hier etwa der Eingang kontrolliert?") dann Schritte im Treppenhaus (runterziehen, unterlegen) 27 Sprecherin: Der Makler führt die kleine Gruppe durch das alte Treppenhaus im Vorderhaus. Ihr Ziel ist die Wohnung von Volker Langenbach. Der Musiker erwartet sie schon. Seit 14 Jahren wohnt er in dem unsanierten Haus. Er heizt noch mit Kohlen. Für die 60 Quadratmeter zahlt er knapp 300 Euro Kaltmiete im Monat. Aus dem Internet weiß er, dass seine Wohnung für 100.000 Euro verkauft werden soll. Heute findet der erste Besichtigungstermin statt. Volker Langenbach ist aufgeregt und zur Verstärkung hat er zwei Freunde eingeladen. O-Ton 13: Volker ...da waren dann halt die Leute im Schlepptau, man hat sich gerade noch drauf verständigt, wie viele denn reinkommen, so in zwei Gruppen in dem Fall, und dann wird so ein bisschen im Feldherrenstil, wenn man das in einer Zwei-Zimmer-Wohnung so sagen kann, durch die Räume gelaufen. 28 Sprecherin: Zwei schöne große Zimmer gehen nach vorne zur Straße mit Dielenböden und Flügeltüren. Volker und seine Freunde stehen in dem kleinen Flur. Gut gekleidete Damen und Herren zwängen sich an einer tätowierten Punkerin vorbei in das schmale, nicht renovierte Bad mit Boiler. O-Ton 14, Volker Der Makler hat schon fast alles versucht, angeblich ´ne Badewanne passt rein und so was, er war schon bemüht, da auch ein gutes Verkaufsklima zu schaffen. 29 Sprecherin: Aber seine Kunden sind nicht begeistert. Atmo 15: Schritte die Treppe runter gehen / unterlegen "Viel Geld muss man da reinstecken", sagt ein weißhaariger Herr aus Hamburg nach der Besichtigung im Treppenhaus. Ein junger Mann aus Baden-Württemberg vermutet, dass der Mieter wohl nicht freiwillig ausziehen wird. Er wittert Probleme - zu Recht. Atmo 16: Wohnküche 30 Sprecherin Volker Langenbach geht rüber zu den Nachbarn, die gespannt auf seinen Bericht warten. In der Wohnküche sitzen Menschen zwischen 10 und sechzig Jahren um einen großen Esstisch. Ein starker Zusammenhalt ist zu spüren. Der hat seine Wurzeln: Das Haus wurde vor 30 Jahren besetzt, um den Abriss zu verhindern. Einige von "damals" gehören sogar noch zu den 17 Erwachsenen, die heute den "harten Kern" der Hausgemeinschaft ausmachen. O-Ton 15, Bewohnerin Das ist das wichtigste, glaube ich hier im Haus, dass man das Gefühl hat, man muss sich nicht alleine durchkämpfen. Auch mit dieser Räumungsklage war das immer klar, es ist schön, hier zu wohnen. Ich hab ´nen Rückhalt von hinten, es ist jetzt nicht jeden Abend so, dass die Bude voll ist, aber es ist das Gefühl, dass man nicht alleine wohnt, dass man hier einfach zusammen ist ...(lacht, Atmo in der Wohnküche unterlegen) 31 Sprecherin: Wieder ist es eine städtische Wohnungsbaugesellschaft, die das Haus 2004 für 600.000 Euro verkauft. 6 Jahre später ist es schon das Doppelte wert, eine andere Investorengruppe schlägt zu. Die neuen Besitzer versuchen, die Wohnungen zu entmieten und zu verkaufen. Seitdem kämpfen die Mieter gegen Abmahnungen, Räumungsklagen und eine Hausverwaltung, die sich auf juristischen Kleinkrieg spezialisiert hat. Nur zwei Bewohner lassen sich gegen 20.000 Euro darauf ein, auszuziehen. Die anderen bleiben und stecken nun ihre Köpfe über dem Küchentisch zusammen. O-Ton 16: Bewohnerin Es war in jedem Fall von Anfang an klar, die gehen hier nicht zimperlich mit den Mietern um, und wenn sie jemanden rausklagen können, dann versuchen sie es. 32 Sprecherin: Abmahnungen flattern ins Haus, weil Flugblätter das Treppenhaus verschmutzen und Mieter sich als "Mitglieder einer selbsternannten Gruppierung" hervortun. Dass sie sich verbünden, bestreiten die Bewohner gar nicht: O-Ton 17: Bewohner Wir haben uns als Verein zu gegründet, versucht, das Haus zu erwerben, um dem Spekulationsmarkt zu entziehen. Wir haben politische Unterstützung gesucht, weil wir gesehen haben, dass die Besitzer überhaupt nicht auf irgendein Gespräch mit uns eingehen, haben auch den Bezirksbürgermeister Schulz gebeten, uns als Moderator zu helfen. 33 Sprecherin: Das hilft wohl nichts mehr, denn mittlerweile sind schon viele Wohnungen im Haus verkauft worden. Menschen mit Rollkoffern gehen ein und aus. Offensichtlich werden die Wohnungen an Touristen vermietet. Genauso wie in dem Haus von Marta Nowicka am Checkpoint Charlie. Die Mieter im Kreuzberger Chamissokiez haben sich aber zusammen getan und wollen anderen Mut machen und sie über ihre Rechte aufklären. Volker Langenbach glaubt, dass es potentielle Käufer abschreckt, wenn sie auf Leute treffen, die vor der Haustür und auf der Straße protestieren. O-Ton 18: Volker ..die das gar nicht kennen, die einfach nur den Plan haben, ich kauf hier eine schöne Wohnung, das wohnt ja keiner drin und wenn ist er mir egal, und plötzlich geraten sie in eine Situation, die sie gar nicht kennen, mit der sie nicht gerechnet haben, wo halt einfach auf der Straße singen, oder dann wird dann meinetwegen die Polizei geholt, - ja das ist natürlich toll. Atmo 16 Küche mischen mit Atmo 1 Wohnung Marta Nowicka 34 Sprecherin: Die muntere Runde in der Küche lacht - ein harmonisches Bild, das Zuversicht ausstrahlt. Ganz anders Marta Nowicka vor ihrem Wohnzimmertisch und ihrem Brief. Sie ist allein. Neben ihr wohnen die Touristen aus Dänemark. Über und unter ihr das Partyvolk, das im Sommer den Garten für Sexspiele nutzt. Dass es Proteste in der Stadt gibt, das weiß sie aus der Zeitung. Sie weiß auch: andere Bewohner aus ihrem Haus sind zum Rechtsanwalt gegangen. O-Ton 19, Marta: Viele haben gesagt, wir haben diesen Wohnungsschutz, wir sollen vor Gericht gehen, wir können noch zwei Jahre hier wohnen, aber das geht nicht, das bringt mir nichts! Ich bin nicht mehr jung, ich bin sechzig Jahre alt, ich kann so was nicht bekämpfen, ich möchte meine Ruhe haben. 35 Sprecherin: Marta Nowicka will keine Briefe schreiben und auch keine mehr bekommen, die sie nicht versteht und die sie aufregen. Sie sucht jetzt im Internet ein neues Zuhause - vielleicht in den Plattenbauten am Stadtrand, wo auch immer. Hauptsache sie hat das Gefühl: Hier bin ich erwünscht, hier kann ich bleiben. 1