COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Länderreport - Genug gefördert? - - Weniger Leistungen für Langzeitarbeitslose- Autorinnen Tonia Koch (Beitrag 1- 06'03'') Dorothea Jung (Beitrag 2- 05'48'') Verena Herb (Beitrag 3- 06'15'') Mod./Red. Julius Stucke Sendung 17.06.2011 (13 Uhr 07) Manuskript Sendung MODERATION Die Wirtschaft ist im Aufwind, die Arbeitslosenzahlen sinken. Die Bundesagentur für Arbeit registrierte im Mai 2,96 Millionen Arbeitslose, der beste Mai-Wert seit 1992. Der Deutsche Arbeitsmarkt sei kerngesund, meint Arbeitsministerin Ursula - von der Leyen. Nur: kommt der Aufschwung auch bei den Langzeitarbeitslosen an, bei denen die schwer zu vermitteln sind? Gerade in diesem Bereich hat die Bundesregierung den Rotstift angesetzt, den Jobcentern stand in den vergangenen Monaten bereits weniger Geld für Arbeitsmarktinstrumente zur Verfügung. Die Arbeitsministerin will aber noch mehr Geld einsparen. Sie will besser, gezielter Fördern - dafür allerdings weniger Geld ausgeben - bestimmte Fördermaßnahmen fallen weg oder werden strenger geregelt. Das sieht ihr geplantes "Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt" vor. Bis 2015 sollen so rund 8 Milliarden Euro weniger ausgegeben werden. Kritiker befürchten, die Langzeitarbeitslosen würden damit weiter abgehängt - warnen vor den Kürzungen der Arbeitsmarktförderung und dem Plan die Arbeitsmarktinstrumente zu reformieren. Und selbst die Bundesagentur für Arbeit meint: Eine Reform der Förderung: ja - weniger Geld ausgeben: nein. Wie haben sich die bisherigen Kürzungen ausgewirkt - welche Sorgen gibt es angesichts der Pläne für die kommenden Jahre? - unser erstes Beispiel führt uns ins Saarland, Tonia Koch berichtet Beitrag 1: Unsichere Zukunft - der sorgenvolle Blick eines Sozialkaufhauses im Saarland auf die Reform der Arbeitsmarktinstrumente (Autorin: Tonia Koch) Atmo (Kaufhaus) Autorin Etwa 2.500 Kunden besuchen monatlich das Sulzbacher Sozialkaufhaus. Sie suchen nach Möbeln, Dingen des täglichen Bedarfs, nach Bekleidung. O-Ton-Collage (Kunden) Es ist eine schöne Atmosphäre, freundlich // Ich bin auch Hartz IV und das Geld reicht doch nicht, um in ein normales Kaufhaus zu gehen, um dort die Kleider zu besorgen // Ich bin sehr oft hier. Ich hab' drei Kinder und die können auch modern herumlaufen dank solcher Häuser. Autorin Vor knapp zwei Jahren hat die Diakonie die Räume des alten Sulzbacher Kaufhauses, mitten in der Innenstadt, wiederbelebt. Die ursprünglichen Besitzer hatten aufgegeben, es rentierte sich nicht mehr. Für das Sozialkaufhaus, das zu niedrigen Preisen ausschließlich gespendete Ware anbietet, waren die innerstädtischen Räume ein Glück. Denn das Kaufhaus wirkt dadurch nicht wie ein Provisorium, sondern wie ein richtiges Kaufhaus in das sich immer mehr Menschen hineintrauen, denn es steht allen offen, betont Sozialarbeiterin Christina Reese. O-Ton (Reese) Wir haben aber 2 verschiedene Bereiche, einen geschlossenen Bereich in dem man nur mit Arbeitslosengeld 2- Bescheid, Renten oder Bafög-Bescheid oder Ähnlichem kaufen kann. Da sind die Dinge drin, die die Grundsicherung bedeuten, wie Küchen, Betten, Stühle, Waschmaschinen. Dann gibt es den offenen Bereich, wo jeder kaufen kann. Und im Bekleidungsbereich kann jeder kaufen, da ist die Einschränkung, dass man auf Vorlage seines Bescheides 20 Prozent Ermäßigung bekommt. Autorin Mit Ausnahme der Sozialarbeiterin und einem Elektrotechniker, Martin Schulz, der als Verkaufsleiter arbeitet, sind die übrigen sechs Beschäftigten des Sozialkaufhauses Langzeitarbeitslose. Sie sind aus einem Pool von Ein-Euro Jobbern ausgewählt worden. Für Björn Klein und Miriam Dörr hat sich dadurch viel in ihrem Leben verändert. O-Ton (Dörr/Klein) Eigentlich alles, das ganze Leben. Man ist glücklich, man kommt raus, hat viel mit Leuten zu tun, das ist einfach super. // Also, ein Tag ohne Arbeit ist ein verlorener Tag. Autorin Das geregelte Arbeitsverhältnis verdanken die beiden einem Förderprogramm mit Namen "Jobperspektive". Es gewährt einem Arbeitgeber einen Zuschuss von bis zu 75 Prozent der Lohnkosten, wenn er einen Langzeitarbeitslosen einstellt, für den auf dem ersten Arbeitsmarkt aufgrund seiner persönlichen Handicaps keine Vermittlungschance besteht. Entlohnt wird nach Tarif. Gemeinsam mit freien Trägern hatte das Jobcenter Saarbrücken ab 2009 insgesamt 420 solcher auf Dauer angelegter Beschäftigungsgelegenheiten geschaffen. Ende des vergangen Jahres waren jedoch vom Bund die Mittel für die Qualifizierung und Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen gekürzt worden. Das Job-Center Saarbrücken hatte 11 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Es musste sparen und es tat dies bei der Jobperspektive. Werner Jenal Geschäftsführer des Saarbrücker Jobcenters. O-Ton (Jenal) Ende Dezember des vergangen Jahres ist für 420 Personen, denen wir eigentlich im Rahmen der Jobperspektive gesagt hatten, das kann eine dauerhafte Sache für euch werden, durch die Rückführung der Haushaltsmittel einfach die Zukunft weggebrochen. Autorin Die Entscheidung, das Instrument Jobperspektive nicht mehr einzusetzen, begründet das Jobcenter damit, dass es sich auf lange Sicht nicht finanziell binden könne, denn die Jobperspektive gehört zu den teureren Varianten der Arbeitsmarktförderung. Zum einen, weil sich die Bezahlung dieser Arbeitsgelegenheiten an tariflichen Leistungen orientiert und zum anderen, weil diese Arbeitsplätze unter Umständen unbefristet angeboten werden können. Die Sozialverbände setzten viel Hoffnung in die Jobperspektive, da dieses Instrument als einziges der Einsicht geschuldet war, dass es Menschen gibt, die trotz aller Schulung am ersten Arbeitsmarkt nicht bestehen können. Überdies könnten Einrichtungen wie die Sozialkaufhäuser nur dann erfolgreich geführt werden, wenn das Personal nicht ständig wechsele, sagt Bärbel Heil-Trapp von der Diakonie. O-Ton (Heil-Trapp) Weil wir das gesamte Konzept auf eine dauerhafte Beschäftigung an dieser Stelle angelegt hatten, um auch dauerhaft eine soziale Infrastruktur 'Sozialkaufhaus' für arme Menschen anbieten zu können. Und wie dringend dieses Angebot ist, das sehen wir leider an dem großen Zuspruch, die diese Angebote haben. Autorin Trotzdem wurde den beiden Langzeitarbeitslosen Miriam Dörr und Björn Klein zunächst gekündigt, bevor sie in einem zweiten Schritt über ein anderes Instrument der Arbeitsmartkförderung wieder beschäftigt werden konnten. Es trägt den sperrigen Titel: Arbeitsgelegenheit in der Entgeldvariante. Diese Beschäftigungsform ist schlechter bezahlt, was aus Sicht der Betroffenen jedoch weniger schwer wiegt als die Tatsache, dass die Entgeldvariante grundsätzlich befristet ist. Miriam Dörr. O-Ton (Dörr) Das zehrt an den Nerven, die Unsicherheit, geht es weiter oder nicht. Autorin Auch die Diakonie muss mit der Ungewissheit umgehen. Bärbel Heil- Trapp. O-Ton (Heil-Trapp) Wir haben bis jetzt eine Perspektive bis Ende des Jahres, aber dann werden wir wieder vor dem Rätsel stehen, wie das Jahr 2012 in Angriff genommen werden kann. Autorin Eine mögliche Alternative wäre zumindest auf den ersten Blick die Bürgerarbeit. Sie unterliegt strengen Kriterien: sie muss wettbewerbsneutral sein, sich am Gemeinwohl orientieren und zusätzlich sein. Das heißt, als Arbeitgeber kommen nur öffentliche Stellen oder freie Träger wie etwa die Diakonie in Frage. Nach Ansicht der Diakonie ist die Bürgerarbeit jedoch in vielfacher Hinsicht an der Realität vorbei geplant: Nach einer sogenannten 6-monatigen Aktivierungsphase in der Langzeitarbeitslose intensiv betreut würden, seien die Menschen auf sich gestellt, das sei wirklichkeitsfremd, so Bärbel-Heil-Trapp. O-Ton (Heil-Trapp) Bürgerarbeit hat das Handicap, dass es keine Betreuungsstruktur gibt. Aber Bürgerarbeiter brauchen diese Begleitung genau wie alle anderen Langzeitarbeitslosen, um ihre Beschäftigung sinnvoll ausüben zu können. Autorin Überdies ist auch dieses Instrument befristet, es endet 2014. - ENDE 1 - MODERATION Vom Saarland nach Berlin. Fast eine Viertel Million Menschen sind in der Hauptstadt ohne Beschäftigung - Fast 200.000 beziehen Hartz-IV. Auch in Berlin gilt: die Jobcenter müssen bereits jetzt mit weniger Geld auskommen - Insgesamt hat das Land in diesem Jahr 30 Prozent weniger für die Jobcenter zur Verfügung als im vergangenen Jahr. Und auch die neuen, von der Arbeitsministerin geplanten Einsparungen würden Langzeitarbeitslose in Berlin treffen - besonders im Bereich der Ein-Euro-Jobs, also der Möglichkeit für Langzeitarbeitslose, zum Hartz-IV-Geld etwas hinzuzuverdienen. Die Hauptstadt versucht darauf mit einer speziellen Job-Offensive zu reagieren. Dorothea Jung: Beitrag 2: In der Hauptstadt der Arbeitslosen - Die Situation Langzeitarbeitsloser in Berlin (Autorin: Dorothea Jung) Atmo (Jobcenter) Autorin Die Wände der Wartezone im Flur des Jobcenters in Berlin Kreuzberg sind in einem heiteren Sonnengelb gestrichen. Doch die Stimmung von Bernd H. ist weder sonnig noch heiter. Denn der 55jährige Elektrotechniker hat vor mehr als vier Jahren seine Arbeit verloren - und jetzt auch noch seinen Ein- Euro-Job. O-Ton (Bernd H.) Ich war bislang in einer Maßnahme gewesen, in einer sozialen, bei der Berliner Tafel. Das hat sehr gut geklappt mit dem Essen, dem Organisieren und dem Austeilen , aber die war eben jetzt zu Ende und wurde jetzt nicht verlängert, und da hab ich jetzt nen Termin bei meinem Arbeitsberater, und dann wollen wir sehen, was wir jetzt weitermachen können. Autorin In den fast fünf Jahren seiner Arbeitslosigkeit hat Berndt H. seinen Arbeitsberater im Jobcenter kaum gesehen. Für den Vermittler war der qualifizierte Handwerker nämlich "in Beschäftigung". Freilich nicht als Elektrotechniker. Sondern als Hilfskraft beim Verteilen von Lebensmitteln für Bedürftige. O-Ton (Bernd H.) Da war ich ausgelastet. Dann war das Arbeitsleben wieder geregelt, eben mit Aufstehen und Zur-Arbeit-Gehen; so wie es früher war. Da hatte sich das ja erledigt, hier mit dem Arbeitsamt zu konferieren oder wie immer man das sagen möchte. Autorin Berndt H. hat sich mit seinem Ein-Euro-Job arrangiert. Das wird er aber nach dem Willen der Bundesregierung künftig nicht mehr können. "Unser Ziel ist die Integration in den regulären, sogenannten 'ersten' Arbeitsmarkt", sagt Gregor Salomon, Programmberater in der Berliner Regionaldirektion für Arbeit. Maßnahmen wie die Ein-Euro-Jobs sind da seiner Meinung nach wenig zielführend. O-Ton (Gregor Salomon) Ganz im Gegenteil, es gab dann einen sogenannten 'Log-in-Effekt'; das heißt: Die Leute verhafteten in diesen Maßnahmen und konnten sich überhaupt nicht mehr vorstellen, außerhalb zu arbeiten. Autorin Die Streichung der Ein-Euro-Jobs nennt Gregor Salomon nicht "Kürzung". Der Arbeitsmarktexperte spricht lieber von 'Anpassung' an Forderungen des Berliner Rechnungshofes. Der hatte kritisiert, dass Ein-Euro-Jobs nur selten nachhaltig Arbeitsplätze schaffen. Die Folge: Künftig gelten in Berlin für öffentlich geförderte Beschäftigungsmaßnahmen sehr strenge Maßstäbe. O-Ton (Gregor Salomon) Wir haben ja um uns herum so etwas wie eine Arbeitslosen-Industrie aufgebaut, und diese Trägerlandschaft hat sich an die enormen Zuschüsse, die sich mit solchen Maßnahmen zu verdienen sind, auch gewöhnt. Und ich denke, jetzt geht auch durch diese Landschaft ein heilsamer Schock. Und der Steuerzahler hat ein Anrecht darauf, dass wir da sehr genau hingucken. Autorin Neben einer scharfen Kontrolle von Trägervereinen für Ein-Euro- Jobber haben sich der Berliner Senat und die Bundesanstalt für Arbeit auf eine besondere Joboffensive geeinigt. Seit rund zwei Wochen kümmern sich die Jobcenter an der Spree vorzugsweise um qualifizierte Langzeitarbeitslose, die als marktnah und gut vermittelbar gelten. "Das sind insgesamt rund 65000 Menschen", sagt Gregor Salomon. O-Ton (Gregor Salomon) Wir haben doch eine ganz große Anzahl von ausgesprochen motivierten Arbeitslosen, die Bewerbungen schreiben in einer Anzahl, die wir uns gar nicht vorstellen können; und diese Menschen, trotz ihrer hohen Motivation, werden nicht mal zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Und wir versuchen hier nun, ganz speziell in Berlin, unsere Kunden an die Hand zu nehmen, zum Arbeitgeber zu gehen und zu sagen: Schauen Sie, der Mensch oder die Dame ist motiviert, das und das kann sie, das haben wir noch aufgeschult. Versuchen Sie es doch mal mit ihr. Autorin Die Vermittlung kann dann zusätzlich durch Qualifizierungsmaßnahmen und Lohnkostenzuschüsse unterstützt werden. Malte Dehmer, der Arbeitsmarkt-Referent der Berliner Industrie- und Handelskammer befürwortet diesen Fokus auf den Ersten Arbeitsmarkt. O-Ton (Malte Dehmer) Jedes vierte Unternehmen hat Schwierigkeiten, seine offenen Stellen zu besetzen. Und dann sind Arbeitslose selbstverständlich auch eine Frage oder ein Thema, auf das wir nicht verzichten können. Autorin Malte Dehmer zufolge hat den Arbeitgebern in der Vergangenheit oft ein verlässlicher Ansprechpartner im Jobcenter gefehlt. Die neue Berliner Joboffensive sei deswegen der richtige Ansatz. O-Ton (Malte Dehmer) Gerade auch, wenn denn die Vermittler zuweilen mal mitgehen und einfach auch den persönlichen Kontakt herstellen, um dem Unternehmen auch gegebenenfalls mal ein Feedback zu ermöglichen, dass der dann sagen kann, ja, hier der Arbeitslose, der ist es jetzt leider nicht, aber wenn jetzt noch einer kommt, der die Qualifikation X und Y dazu hat, dann nehme ich den sofort. Das ist eine Vertrauensbasis, die da entstehen kann. Und insofern versprech' ich mir doch einiges davon, wenn der Kontakt jetzt regelmäßiger erfolgt. Autorin Das Modellprojekt 'Joboffensive' ist auf zwei Jahre befristet. Es kostet den Bund 46, 3 Millionen Euro; 7,2 Millionen zahlt das Land Berlin. Für diese individuelle Betreuung Langzeitarbeitsloser wurden zusätzlich 350 neue Arbeitsvermittler eingestellt. Außerdem haben die Berliner Jobcenter aus ihrem Personalbestand 300 Vermittler abgezogen und mit den neuen Kräften in gesonderten Projektteams zusammengeführt. So kommen auf einen Vermittler etwa 100 Arbeitslose. Ein Betreuungsschlüssel, den die Gewerkschaften begrüßen. "Langzeitarbeitslose brauchen eine derartig intensive Betreuung", urteilt Petra Meyer vom DGB in Berlin. O-Ton (Petra Meyer) Es zeigt uns auf jeden Fall: wenn Du in diesen verkrusteten Segment der Langzeitarbeitslosigkeit in Berlin etwas bewegen willst, musst Du Geld in die Hand nehmen. Das ist nicht zu Null-Ouvert zu haben. Autorin Aber das Projekt hat auch eine Kehrseite: Durch die Umsetzung von 300 Arbeitsvermittlern in die Projektteams der Joboffensive erhöht sich der Betreuungsschlüssel für die übrigen Langzeitarbeitslosen. Also für alle, die eben nicht als qualifiziert und "marktnah" gelten. Sie bekommen zukünftig unter Umständen weniger Beratung und Betreuung, obwohl sie es am nötigsten hätten. Für 5000 Menschen aus dem Kreis dieser schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen gibt es allerdings weiterhin öffentlich geförderte Stellen. Die Finanzierung für diese Maßnahme hat der linke Koalitionspartner in der rot-roten Landesregierung im April dieses Jahres der SPD abgetrotzt. Der Berliner Wahlkampf hat begonnen. - ENDE 2 - MODERATION Eines der meistgenutzten - aber auch vieldiskutierten und oft kritisierten Arbeitsmarktinstrumente ist die bereits angesprochene Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung. Kurz: Ein-Euro-Job. Ziel der Maßnahme ist auch, Langzeitarbeitslose wieder an den ersten, den regulären Arbeitsmarkt heranzubringen. Der Erfolg diesbezüglich ist umstritten. Eine weitere Kritik: hier werden reguläre Arbeitsplätze vernichtet. Zum Teil aber ist diese Maßnahme für schwer vermittelbare Arbeitslose - für die es auf dem regulären Markt kaum Chancen gibt - durchaus von Bedeutung. Einen solchen Fall wollen wir an dieser Stelle portraitieren und das Thema zum Ende der Sendung dorthin zurückbringen worum es bei aller Diskussion um Förderinstrumente doch eigentlich geht oder gehen sollte: um den Menschen. Verena Herb hat eine Arbeitslose aus Hamburg getroffen: Beitrag 3: "Für mich ist Arbeit Urlaub von zuhause" Portrait einer Hartz-IV-Bezieherin aus Hamburg (Autorin: Verena Herb) Atmo (Schulkantine) Autorin Kurz vor halb zwölf am Mittag. Langsam füllt sich die Mensa der Stadtteilschule in Billstedt. Nach und nach schieben sich die Schülerinnen und Schüler an der Essenausgabe vorbei, hin zur Kasse. Dort steht Ireen Thiede. Sie arbeitet als Küchenhilfe - montags bis freitags, von morgens neun bis nachmittags um 15 Uhr. Ireen Thiede ist alleinerziehende Mutter, 36 Jahre alt. O-Ton (Thiede) Ich habe Hartz IV eigentlich von Anfang an des Hartz IV Programms bekommen. Autorin Ireen Thiede geht nach draußen, setzt sich auf eine kleine Steinmauer und zündet sich eine Zigarette an. Ihr pechschwarz gefärbtes Haar hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Die grünen Augen blitzen freundlich aus dem mit Sommersprossen bedeckten Gesicht. Sie wirkt aufgeschlossen, erzählt gerne und viel. Ihre Hartz IV Bezüge stockt sie mit dem Ein-Euro-Job in der Schulkantine auf, erklärt sie: O-Ton (Thiede) Ich krieg zusätzlich zu meinem Hartz IV 1 Euro die Stunde. Deswegen finde ich das auch ziemlich krass, wenn andere Leute sagen: Für einen Euro gehe ich nicht arbeiten. Das ist ja nicht ein Euro. Es wird die Miete bezahlt, man bekommt seinen Lebensunterhalt. Man kriegt zusätzlich noch das Geld von der Arbeit. Also für mich ist das ein komplettes Gehalt. So sehe ich das. Autorin Sie wirkt selbstbewusst. Die Arbeit in der Schulmensa macht ihr Spaß, sagt sie. Wenn sie diesen Job nicht hätte - O-Ton (Thiede) Das würde für mich bedeuten, ich würde wieder zu Hause abhängen. Frustriert sein. Genervt. Das Geld würde zwar durch das Hartz IV immer noch laufen, aber die Lebensfreude ist da weg. Denn für mich ist Arbeit Urlaub von zu Hause. So sehe ich die Sache, ich liebe es zu arbeiten. Autorin Das Problem seien einfach die niedrigen Löhne. Einige ihrer Bekannten müssen trotz eines 8- Stunden-Arbeitstages am Abend oder am Wochenende noch eine zweite Stelle annehmen, um über die Runden zu kommen. Für sie sei es schwierig, Geld vom Staat anzunehmen - doch: O-Ton (Thiede) Ich habe mir das ausgerechnet: Selbst wenn ich jetzt einen Job annehmen würde, hätte vielleicht 10, vielleicht 30 Euro mehr als beim Hartz IV: Ich hätte dann rund 150 Euro zum Leben. Für drei Personen. Weil ich halt die ganzen Kosten die dann anfallen, die eigentlich jetzt übernommen werden, nicht mehr habe und ich muss sie dann bezahlen. Und dann habe ich weniger als vorher. Autorin Ireen Thiede hat zwei Kinder. Ihr Sohn ist 12, die Tochter fünf Jahre alt. Von den Vätern der Kinder lebt sie getrennt, zieht die beiden von Anfang an alleine groß. Sie ist auf die öffentliche Kinderbetreuung in Kita und Hort angewiesen, sonst kann sie nicht arbeiten gehen. In ihrer Nachbarschaft leben viele, die auf Sozialleistungen angewiesen sind. Nicht alle wollen ihre Situation verbessern, sagt sie. O-Ton (Thiede) Es sind viele, die sich zurücklehnen und sagen: Och, das Leben ist halt so. Und warum soll ich mir denn da großartig Sorgen machen. Ich krieg ja alles bezahlt, so. Und da sage ich mir auch: Ey, das ist Geld, was Deine Mutter bezahlt, was Dein Onkel bezahlt, oder, oder... weil die alle arbeiten. Das sind alles Gelder, die für Dich fließen. Und Du setzt Dich zurück und sagt: Puh, ich lehn mich zurück. Das geht doch gar nicht... Autorin Ireen Thiede schlägt die Beine übereinander, drückt die Zigarette neben sich auf dem Boden aus. Auch wenn sie mit ihrer Situation eigentlich im Reinen ist: ist sie verärgert, denn sie weiß: Genau jene Beispiele sind es, die die Vorurteile in der Öffentlichkeit schüren. O-Ton (Thiede) Von wegen, Hartz IV Empfänger sind gleich Säufer, und, und, und. Das Geld wird sowieso nicht für die Kinder investiert sondern kommt sowieso... das ist totaler Quatsch, denn es gibt Leute, die ein bisschen was im Kopf haben und ihr eigenes Leben in dem Sinne einigermaßen leben wollen... Autorin Doch Ireen Thiede kommt schnell an ihre Grenze, denn: sie hat nach ihrem Schulabschluss keine Lehre gemacht. Hat als ungelernte Kraft in einer Reinigung gearbeitet. Erst vier, später acht Stunden am Tag. 1999 wird ihr Sohn geboren. Während der Schwangerschaft wird ihr gekündigt - nach 11 Jahren in der Firma. Da beantragt sie zum ersten Mal Arbeitslosengeld. Als ihr Sohn alt genug für die Kita ist, sucht - und findet - sie wieder eine Stelle: O-Ton (Thiede) Hatte dem Arbeitgeber auch von vornherein gesagt, dass ich allein erziehende Mutter bin und halt an den Feiertagen und in den Ferien halt Schwierigkeiten habe, das Kind unterzubringen. Es war kurz vor Ostern, der Chef fragte mich dann, ob ich Ostersamstag arbeiten könnte... Und dann sagte ich: Ich habe ihnen von vornherein gesagt, das geht nicht. Wochenenden sind die Kitas geschlossen. Und auch an den Feiertagen. Und ich habe dann niemanden, der das Kind dann übernimmt. Autorin Die Kündigung - gleich in der zweiten Woche. Arbeitsverweigerung, sagt der Chef: O-Ton (Thiede) Schwupp, war ich draußen. Autorin Sie beantragt Arbeitslosengeld. Da ihr gekündigt wurde, kürzt das Sozialamt 30 Prozent ihrer Bezüge: O-Ton (Thiede) Dementsprechend hatte ich dann auch zu wenig Geld. Die Miete erhöhte sich. Von einem Monat auf den anderen auf 180 Mark mehr. Dadurch habe ich dann auch meine Wohnung verloren. Musste dann irgendwie zusehen, dass ich mit meinem Kind unterkomm`. Meine Mutter war zum Glück so nett, und hat es gemacht... Autorin ... sagt Ireen Thiede und lächelt. Damals dauert es knapp zwei Jahre, bis die Hamburgerin wieder auf die Beine kommt. Eine eigene Wohnung findet, die sie bezahlen kann. Einen neuen Job. 2006 bekommt sie das zweite Kind, eine Tochter. Seitdem bekommt sie Hartz IV. Als die Kleine alt genug ist, um betreut zu werden, bemüht sie sich um einen 1 Euro Job. Sie lernt einen neuen Mann kennen, die beiden ziehen zusammen. Dann hat ihr Lebensgefährte einen Unfall, bricht sich das Bein, kann längere Zeit nicht arbeiten und erhält Krankengeld. O-Ton (Thiede) Da wir zusammen gelebt hatten, fiel das natürlich alles zusammen in einen Pott. Und dadurch, dass er halt 50 Euro mehr hatte durch das Krankengeld, ist mir das Hartz IV komplett gestrichen worden. Und wir mussten halt dieses Erziehungsgeld beantragen und Wohngeld... Autorin Mit dem Wegfall von Hartz IV verliert sie auch ihren Ein-Euro- Job. Die Situation zu Hause wird immer frustrierter, anstrengender - das Paar trennt sich. Ireen Thiede will wieder in ihrer Ein-Euro-Maßnahme arbeiten: O-Ton (Thiede) Und da sagten sie: Ne, ne - sie müssen jetzt erstmal ein Jahr pausieren, bevor sie überhaupt ne Zuweisung bekommen. Ich fragte nur: Wieso das denn, ich könnte doch jederzeit sofort wieder rein... die warten doch drauf. Ich habe da mehrere Male im Monat angerufen und nachgefragt... Autorin Schließlich hat es erneut geklappt. Doch wie lange wird sie dort noch arbeiten können? Sie hat eine Beschäftigung. Doch sie bezieht seit vielen Jahren Hartz IV und ist de facto: Arbeitslos. -ENDE SENDUNG - 1