DEUTSCHLANDFUNK Erstsendung: Feature 06.03.2007 Redaktion: Hermann Theißen Wiederholung: 25.12.2008 Auf der Suche nach Totalität Pechstein auf Palau Von Jürgen Balitzki URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ? Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Atmo/Musikakzent/Musik Sprecherin Max Pechstein, der Führer der jüngsten radikalen Richtung unter den Berliner Malern, will, dem Beispiel Gauguin auf Tahiti folgend, eine Studienfahrt nach den Inseln der Südsee unternehmen. Sprecher 2 Kunstnachrichten, 1. Feb. 1914: Sprecherin Er wird auf der Insel Palau in der Karolinengruppe einen Aufenthalt nehmen. Pechstein wurde zu dieser Expedition durch die Masken der dortigen Südseeinsulaner angeregt, die einen seltsamen primitiven Kunsttypus darstellen. Es nutzt nichts, wir müssen eben immer noch primitiver werden! Heil uns, wenn Pechstein zurückkehrt. Sprecher 2 Auf der Suche nach Totalität oder Pechstein auf Palau Ein Feature von Jürgen Balitzki Musik Sprecher Pechstein Ich sehe die primitive Ornamentik, den aus einfachstem menschlichem Bedürfnis nach Schönheit geborenen Schmuck der Hütten. Ich sehe die Kunstgriffe, mit denen dieses Urvolk seinen Körper ziert, sich an selbstherrlichen Veränderungen der Natur am eigenen Leib zu erfreuen, an diesen primären Zeugnissen des Schönheitssinnes und der Lust zur Formbildung. Ich sehe die geschnitzten Götzenbilder, in die sich zitternde Frömmigkeit und Ehrfurcht vor den unbegreiflichen Gewalten der Natur, ihre Hoffnung und ihre Schauer, ihre Angst und ihre Unterwürfigkeit unter das unvermeidliche Schicksal eingeprägt haben. Atmo Sprecher Pechstein singt "Rot ist der Abend auf der Insel von Palau und die Schatten sinken - und die Schatten sinken" Sprecherin Donnerstag, 1. Oktober Schon wieder ein Monat um, es ist recht heiß. Max schreibt Tagebuch. Sprecher Pechstein Was mir Dresden, Italien, Frankreich und Berlin an Kulturerfahrung gebracht haben, erweist sich als das, was es in Wahrheit gewesen ist: als äußerer Behang, der mühelos abgeschüttelt wird. Aus mir selbst springt mit froher Unbefangenheit der Junge heraus, als der ich mit Tieren und Blumen, mit Acker und Wasserläufen Freundschaft geschlossen habe und ohne Mühe mit Fischern, Bauern und Arbeitern lebte. Aus tiefstem Gefühl der Menschengemeinschaft konnte ich mich den Südseeinsulanern brüderlich nähern. So wie ich mit den Leuten von Nidden, Monterosse al Mare segelte, fischte und Netze warf, so lernte ich es auch hier leicht, ein Kanu durch die Korallenriffe zu steuern. Die wundervollste Einheit fühle ich um mich und atme sie in grenzenlosem Glücksgefühl. Musik O-Ton Max K. Pechstein, Sohn Max Pechstein war aus Sachsen. Sicherlich hat die sächsische Eigenschaft der Abenteuerlust mit dazu beigetragen, sich nach Palau einzuschiffen und mindestens zwei Jahre dort zu leben, was leider vorzeitig abgebrochen wurde. Zuerst haben die Spanier die Inseln verkauft an Kaiser Wilhelm, und als der Krieg ausgebrochen war, haben die Japaner Palau besetzt und die Deutschen rausgeschmissen. Sprecher 2 Max K. Pechstein, zweiter Sohn Max Pechsteins O-Ton Max K. Pechstein Pechstein war immer an maritimen Motiven interessiert, und er konnte, im Gegensatz zu Kirchner, auch wirklich Schiffe malen, was Kirchner überhaupt nicht konnte. Ich habe neulich Zeichnungen von ihm gesehen und da muss ich sagen: Schiffe konnte er nicht - nackte Frauen ja. Atmo Sprecherin In Pechsteins "Abfahrt Palau" von 1917 bestimmen zwei braune Eingeborene, unbewegt, skulpturenhaft, den Vordergrund zur geschlossenen Komposition, links ein sitzender Mann, nahezu im Profil, rechts eine stehende Frau, nahezu frontal. Zwischen den beiden entfaltet sich der stärkste Richtungskontrast: die Abfahrt eines braunen Auslegerbootes. Sein braunes Segel spannt sich zur Schulter der Frau, der Winkel zwischen Segel und Boot steigert den Winkel ihres Ellenbogens. Das Boot stößt in das tiefe Blau des Sees und bleibt optisch doch gebunden an die Nähe. Und auch die Ferne des leicht rosafarbenen ockergelben Himmels bleibt gebunden an das Ockerbraun des Frauenrocks. Das Grün des jenseitigen Ufers verklammert sich dem Grün der Nähe. Das schwere Blau von See und Himmel orientiert sich in einem gespannten Komplementärkontrast an den Ockerklang im Braun. Das zarte bläulichbraune Grau des Strandes vorn weicht zurück, das helle Ocker des Himmels strahlt nach vorn aus. Es entsteht ein zugleich geschlossener und in Richtungskontrasten zerteilter, diskontinuierlicher Raum, ein plastischer Raum aus materiellen Farben, einheitlich und gleichwohl alle Teile, die Figuren und das Boot, zur Selbstständigkeit formend. Atmo O-Ton Marion Melk-Koch Das ist das Großobjekte-Depot. Hier sind Objekte untergebracht, die in die normalen Vitrinenaufbewahrungsschränke im anderen Depot nicht reinpassen. Und dann kommen hier diese Objekte rein, die etwas Übergröße haben. Sprecher 2 Marion Melk-Koch, Ethnologin O-Ton Marion Melk-Koch Auf diesen Balken sind mythische Geschichten zu sehen. Dieser Balken hier vorne zeigt die Geschichte von neun Dämonen. Und auf der Rückseite ist dann die Geschichte eines Mannes zu sehen - das ist auch das, was ganz häufig in der Literatur wieder publiziert ist - das ist der Mann mit dem großen Penis. Musikakzent Sprecherin Wie selbstverständlich erscheint es uns heute, dass der Stilcharakter dieser primitiven Kunst nicht durch ein unentwickeltes Können, sondern durch ein andersgerichtetes Wollen bedingt ist, durch ein Wollen, das auf großen elementaren Voraussetzungen beruht, wie wir mit unserem heutigen wohltemperierten Lebensgefühl es uns kaum ausdenken können. Sprecher 2 Wilhelm Worringer - Entwicklungsgeschichtliches zur modernsten Kunst, Juli 1911. Sprecherin Wir fühlen nur dunkel, dass die groteske Unnatürlichkeit und die zwingende Einfachheit dieser primitiven Kunst zu einem stärkeren Spannungsgehalt des künstlerischen Ausdruckswollen herrühren, und wir lernen erkennen, dass es nicht nur ein gradueller, sondern ein genereller Unterschied ist, der darin besteht, dass man den Wirkungsertrag, den man von der Kunst erwartete, nicht wie heute in der Auslösung sinnlicher oder seelischer Luxusgefühle, sondern in der Auslösung elementarer Notwendigkeitsempfindungen sah. O-Ton Marion Melk-Koch Das ist der Mann mit dem großen Penis. Der Penis wuchs und wuchs und wurde so groß, dass er zu seiner Frau auf der anderen Insel durchaus weiterhin Kontakt haben konnte, sexuellen Verkehr haben konnte, bis die Frau schließlich daran verstarb. O-Ton Bernhard Fulda Ich glaube, was auch eine Rolle spielt, ist bei der Begeisterung der Brücke-Künstler mit dem menschlichen Körper, der sichtbar ist erst, wenn die Kleider fallen, Sprecher 2 Bernhard Fulda, Historiker O-Ton Bernhard Fulda ... dass die Vorstellung, dass es Völker gibt, die vollkommen unbekleidet durch die Natur wandern, der Zustand ist, den sie in ihren Moritzburger Malsessions probiert haben auch herzustellen. Das war sicher sehr attraktiv. Sprecherin Pechstein ahnte, dass sich aus dem Zusammenklang der behänden, gazellenschlanken Körper mit der wirren Urnatur künstlerische Erlebnisse ergeben würden - Sprecher 2 Eduard Plietzsch, Kunstblatt Licht und Schatten, Nr. 4, 1915 Sprecherin - dass die Art, wie sich die nie von Kleidern beengten Menschen im Boot, beim Baden oder beim Tanz biegen und recken, die Posen unserer Ateliermodelle als leere Manier erledigen würden. Musik Sprecher Pechstein Im Frühling 1906 hatte ich im Garten des Zwingers ein Beet von brennend roten Tulpen gesehen. Es berauschte mich wie die gelben Sonnenblumen von Goppeln oder das absolut harmonische Baden und Zeichnen an den Moritzburger Teichen oder wie mich im Museum für Völkerkunde Schnitzereien von Dachbalken und Querbalken von den Palau-Inseln mit Sehnen erfüllt hatten, als ahnte ich schon diese ferne tropische Welt. Sprecherin Diese Sehnsucht, das Gespürte in der Welt wiederzufinden und der Verdacht, es könne sich an einem fernen verborgenen Ort im wahrsten Sinne des Wortes entdecken lassen, ist die Triebfeder aller Paradiesvorstellungen. Utopia, das ist eine grundlegende Erkenntnis der Moderne, ist überall dort zu finden, wo es gesucht wird - ob in Nidden, Moritzburg, Goppeln oder auf Palau. O-TON Reiseagentin Hier ist Deutschland - und hier sind die Karolinen mit den Palau-Inseln. Luftlinie ungefähr 13.000 Kilometer. Die Inselgruppe besteht aus acht Haupt- und ungefähr 250 kleineren Inseln, eine davon hat sich Max Pechstein damals gekauft. Die Inselgruppe liegt im Nordpazifik, südöstlich der Philippinen, nördlich von Papua Neuguinea, ja und westlich von Mikronesien und den Marianen. Genauer gesagt: zwischen 0 und 10 Grad nördlicher Breite, also kurz überm Äquator, und 130, 140 Grad östlicher Länge. Auf der größten Insel Babelthuap befindet sich seit 2006 die Hauptstadt Melekeiok. Das Klima ist tropisch. Die durchschnittliche Jahrestemperatur beträgt 27°C. O-Ton Marion Melk-Koch Also es ist ein Traum, wunderbares Land, muss man wirklich sagen. Sicher sind das mit die schönsten Inseln, die ich je gesehen habe. O-Ton Bernhard Fulda Die eigentliche spannende Frage ist ja: Wieso kann Pechstein, der zwar ein junger, viel versprechender Künstler, aber eigentlich doch noch relativ mittellos ist - wieso kann der sich überhaupt so eine teure Fahrt nach Palau leisten? Erster Klasse, auf einem Dampfer, insgesamt 10.000 Mark teuer. Das ist, um das mal in Perspektive zu setzen, 10.000 Mark sind wahrscheinlich das fünffache Jahresgehalt eines Arbeiters der damaligen Zeit. Ohne seinen Kunsthändler Gurlitt wäre es nicht zu dieser Fahrt gekommen. Warum sollte der Kunsthändler diese Fahrt bezahlen? Ich schick hier diesen Shootingstar in die Deutsche Südsee und der kommt zurück und hat wahnsinnig viele Bilder, die sich wahrscheinlich gut werden verkaufen lassen. O-Ton Aya Soyka Und tatsächlich musste Pechstein dann ... Sprecher 2 Aya Soyka, Kunstwissenschaftlerin O-Ton Aya Soyka ... nachdem die Reise vorzeitig abgebrochen werden musste, noch jahrelang Gurlitt die Schulden für diese Reise abbezahlen. Und das endete dann im Streit mit einem Vergleich und Gurlitt weigerte sich, die als Kommissionsware in seinem Keller gelagerten über 100 Gemälde dem Künstler zurückzuerstatten. Atmo/Musik Sprecher Pechstein Nach insgesamt sechswöchiger Reise erreichten wir am 21. Juni 1914 unser Ziel und begrüßten am kommenden Morgen mit Freuden den Stationsleiter der Palau-Gruppe, Wilhelm Winkler, der auf einem schnittigen Ruderboot längsseits kam. Im Boot saßen seine Palau-Männer und hatten vorschriftsmäßig, als er an Bord ging, die Riemen hoch aufgerichtet. "Rot ist der Abend auf der Insel von Palau und die Schatten sinken singe, auch aus den Kelchen der Frau lässt es sich trinken." Die Überraschung des Stationsleiters, zwei Weiße vor sich zu sehen, die ihm erklärten, von nun an auf Palau leben zu wollen, war heftig, aber zugleich merkte man, dass seine Freude über diese Abwechslung groß und echt war. Auf jeden Fall erhielt ich von Herrn Winkler wertvolle Hinweise für mein Verhalten zu dem Völkchen der Palauer, um dessen Ehrgefühl und Sitten nicht zu verletzen. Es war, zum Lobe der deutschen Verwaltung sei es gesagt, alles in seiner Eigenart behütet worden. Nichts Europäisches gab es, außer den zwei Beamten und der etwas weiter weg auf Babelthuap liegenden Mission, der jedoch die hygienische Fürsorge ebenso wichtig war wie das Bestreben, die Palauer zu Christen zu machen. Sprecherin Wie es in vielen Kolonialreichen war, wurde auf den Palauinseln ein Häuptling zum Dreh- und Angelpunkt der deutschen Herrschaft. Am wichtigsten für die Deutschen war, dass er ihre Modernisierungspläne unterstützte und sich am Kampf des Stationsleiters Winkler gegen die palauischen Klubhäuser beteiligte. Es war in Palau üblich, dass mehrere Frauen für eine befristete Zeit mit den Männern zusammen in deren Klubhäusern lebten. Sprecher 2 Hermann Joseph Hiery, Die deutsche Südsee, 1884 bis 1914, Ein Handbuch Sprecherin In der Auseinandersetzung um den Einfluss der Schamanen oder Geisterbeschwörer stand der Häuptling den Deutschen zur Seite. Diese Geistheiler standen außerhalb des traditionellen Hierarchiesystems, übten aber durch Trance und Visionen großen Einfluss auf die Bevölkerung aus. Die durch die Deutschen initiierten Änderungen provozierten ihren Widerstand, aber Winkler reagierte mit Verhaftungen, dem Abbrennen von Geisterhäusern und der Exekution eines Aufsässigen. O-Ton Marion Melk-Koch Also so sieht eben so ein Bai aus. Ich hab auch diese beiden Bai selber gesehen, bin auch selbst drin gewesen. Es gab Männerclubs, je nach Altersklassen. Und das Interessante war, dass es diese Klubs gab, in denen junge Frauen aus einem benachbarten Dorf für einige Zeit in ein Männerhaus eines anderen Dorfes gingen, dort einen ausgewählten Partner bekamen, der auch wiederum ihrem eigenen Rang entsprach, mit dem man dann eben entsprechend zusammen lebte. Man bekam für seine Dienste entsprechend auch Schmuck und Dinge geschenkt, die man dann zurücknahm in sein eigenes Dorf. Man gewann dadurch einen höheren Status, und man war vor allen Dingen auch eine sehr begehrte Ehefrau später. Also es herrschte dort nicht, wie die Missionare das gerne gesehen haben, die absolute Promiskuität, sondern es war durchaus so, dass man also dort einen bestimmten Partner hatte. Und die Ehefrauen der Männer mussten die Nahrungsmittel liefern. Musik Sprecher Pechstein Die trunkenen Fluten fallen -- die Stunde des sterbenden Blau und der erblassten Korallen um die Insel von Palau. Die trunkenen Fluten enden als Fremdes, nicht dein, nicht mein, sie lassen dir nichts in Händen als der Bilder schweigendes Sein. Die Fluten, die Flammen, die Fragen -- und dann auf Asche sehn: "Leben ist Brückenschlagen über Ströme, die vergehn" Sprecher Pechstein Wir stiegen Treppen hinauf, deren Stufen aus den Korallenblöcken herausgehauen waren. Die Regierungsstation lag eine halbe Stunde abseits, durch eine Kokospflanzung von der Querstraße getrennt. Wie es dort Sitte ist, ging man zuerst in den Duschraum, reinigte sich und wechselte Wäsche und Kleidung, um sich dann im schneeweißen Tropensmoking zum Begrüßungstrunk vor dem Hause einzufinden. Dabei lernte ich auch Winklers Frau Narley kennen, die, durchaus uneuropäisch nur mit dem Grasrock bekleidet, die Honneurs machte. Ein erfrischend natürlicher Empfang ohne jegliche abstoßende Bürokratie. Wie viel Herrliches an Erlebnissen mir noch bevorstand, konnte ich an diesem Abend nur ahnen. Musik O-Ton Frank Pechstein Palmwein wurde in große Schalen getan, Tonschalen. Und jetzt kommt das, was man sich heute kaum vorstellen kann: Bei besonderen Festlichkeiten, bei den großen Tänzen, die zu bestimmten Zeiten stattfanden, wurden diese Tonschalen unter die Toten gestellt, die auf einem Gerüst lagen. Sprecher 2 Frank Pechstein, erster Sohn Max Pechsteins O-Ton Frank Pechstein Nun entwickelte sich in den Toten Totengift. Dieses Leichengift tropfte herab. Und das wurde vermischt mit dem Palmwein, und das wurde dann getrunken. Die sind nicht dran gestorben, nein, die sind halb wahnsinnig geworden, die sind umgekippt nachher zum Schluss. Die haben Tage und Nächte getanzt. Sprecher Pechstein Oben in einer Öffnung meines Hauses sitzend, harrte ich der Dinge, die da kommen sollten. Die Frauen begannen, sich an den Händen fassend und in den Hüften wiegend, sich von links nach rechts wenige Schritte zu bewegen, unter hellem Gesang. Die Männer stampften wechselweise mit dem linken oder rechten Fuß auf. Den dumpfen Ton, den ihre Füße auf dem Boden hervorriefen, verstärkten sie durch ein mit vollen Brusttönen hervorgestoßenes "oah-ho, oah-ho". Musikakzent Sprecher Pechstein Jeweils am Ende eines Gesangs klatschten sie sich mit beiden Händen auf das blanke Gesäß. Die Rhythmen steigerten sich, wurden immer schneller, mit einem schrillen Schrei sprang Dorfhäuptling Eibedul, der hinten am Gesäß ein herabwallendes Federbüschel befestigt hatte, zwischen sie. Mit seinem vorgestreckten roten Bart und rotem Haupthaar glich er in dem hin und her zuckenden Zickzacktanz einem balzenden Hahn. Ein Tanz löste den anderen ab und wurde höchstens einmal durch Singen einer alten Heldensage abgelöst, um den Tänzern Zeit zum Verschnaufen zu geben. Gleichmäßig und wunderbar friedlich ruhte der Mondschein über der kindlich frohen Schar der Palauer, die jetzt nur ihrer größten Freude, dem Tanz im Mondschein, hingegeben waren. Es mochte Mitternacht sein, als ich mich ins Haus auf meine Schlafmatte zurückzog und die dumpf herein klingenden Rhythmen mich in Schlaf sinken ließen. O-Ton Frank Pechstein Meine Eltern waren nun auf den Palau-Inseln und lebten dort wie die Eingeborenen. Genauso ungefähr. Vater fühlte sich sehr wohl. Sprecher Pechstein Schlanke, bronzene Gestalten in göttlicher Nacktheit, die Weiber nur mit kleinen Schürzen aus Kokos- oder Pisangfasern um die Hüften bekleidet. Holzhäuser mit hohem, spitzem Dachfirst sind ihre Behausungen, und an diesen Häusern sehe ich nun in Wirklichkeit, im Gebrauch des Alltags, in der Umgebung, für die sie geschaffen sind, die geschnitzten und bemalten Balken, die einst in Dresden meine Einbildungskraft in Schwingung versetzten. Musik O-Ton Frank Pechstein Für meine Mutter: auf der einen Seite - wunderschön, auf der anderen Seite - sie fühlte sich sehr einsam. Sie hatte ja kaum jemanden, mit dem sie reden konnte. Sie hatte dort eine Freundin gefunden. Das war die Frau des Stationsvorstehers Winkler, der eine eingeborene Prinzessin geheiratet hatte, das war die Nari. Ansonsten fühlte sie sich sehr einsam. Vater ging eben auf die Jagd, das heißt also Taubenschießen, oder fuhr mit den Fischern raus auf See. Sprecher Pechstein In Ruhe und Ausgeglichenheit folgte ein Tag dem anderen. Sprecherin Die trunkenen Fluten enden als Fremdes, nicht dein, nicht mein, sie lassen dir nichts in Händen als der Bilder schweigendes Sein. Die Fluten, die Flammen, die Fragen -- Sprecher Pechstein Es gab nichts, was meinen Seelenfrieden störte. Ob ich nun die Palauer beim Schnitzen, Fischen, Jagen oder bei der Rast beobachtete, immer hielt mein Zeichenstift ihr geselliges Leben fest. So klar und einfach, wie es war, war auch die Natur, die mich umgab. In ungebrochenen, reinen Farben bot sie sich mir in ebenso einfachen und großen Formen dar. Es drängte mich, in dem wundervollen Teakholz zu schnitzen, das sich in frischem Zustand herrlich bearbeiten ließ. Musikakzent Sprecherin 28. Juli Schulprüfung in der Mission mit angehört, ein paar talentvolle Kinder waren dabei. Die Pater und Schwestern sind sehr nett. Herr Winkler muss fort von Palau - das ist wirklich schade - ein so liebenswürdiger Mann, der einem, wo er kann, behilflich ist. O-Ton Alexander Pechstein Also das Tagebuch von Lotte Pechstein beginnt mit der Eintragung am 9. Mai 1914, als sie am Nachmittag um halb 4 von Berlin, vom Bahnhof aus losgefahren sind mit Ziel Palau-Inseln. Sprecher 2 Alexander Pechstein, Enkel von Max Pechstein O-Ton Alexander Pechstein Sie hat in ihrem Tagebuch nicht nur ihre Eindrücke schriftlich festgehalten, sondern sie hat auch die für sie interessanten Szenen festgehalten mit dem Bleistift. Das Tagebuch geht insgesamt bis auf Seite 68, das ist die Zeit, in der sie von Palau wegfahren mussten. Das war am Donnerstag, dem 1. April 1915, also die letzte Eintragung von Lotte in ihrem Tagebuch. Musik Sprecherin Freitag, 31. Juli Früh hat Max ein nettes junges Mädchen gemalt. Aod heißt sie, ist schüchtern und ruhig. Nachmittags kamen zwei Mädchen und ließen sich malen. Ich hatte furchtbare Ohrenschmerzen. Joseph kommt in der Nacht und sagt, ein wilder Hund sei da - Max schießt ihn tot. O-Ton Frank Pechstein Sie hat es als sehr schön empfunden. Natürlich, aber als junge Frau, da unten, sie durfte ja keine Kinder bekommen, aus der Angst heraus, was passiert, wenn du ein Kind bekommst und es ist kein Arzt in der Nähe. Und das war für die damalige Zeit auch recht gefährlich. Und darum hatte Vater schon vorher gesagt - um das zu verhindern - ist sie opperiert worden, und sie konnte dann keine Kinder mehr bekommen. Das einzige Kind, das sie hatte, das war ich, und der saß hier in Zwicke. Bei den Großeltern und bei der Tante. Sprecherin Am nächsten Tag, 1. August erschien ein Leprakranker mit Familie und wollte seinen Hund begraben - armes Tier - wollte nur seinen Hunger stillen - von Wildheit keine Spur. Max kam patschnass vom Fluss, hatte Stämme geholt. 4. August Ich zu Dr. Born. Meine Ohren werden gespült. Diese Schmerzen. Ich weiß kaum, was zu mir gesprochen wird. Max hat es schön, er kann gehen, wann und wo er will - ich immer allein, und er hat oft schlechte Laune. 8. August, Sonnabend Max fährt nach Eirei - mich lässt man zu Haus, warum? Sonntag, 9. August 5 Uhr nachmittags kam er wieder und hatte ein Schwein mit. Musik Sprecher Pechstein Auf einer kleinen Anhöhe verharrte ich nach der Weisung von Auchell schussfertig, und er trieb mir durch das Grasmeer, das dort mannshoch war, das aufgejagte Getier aus dem Urwald zu. Da kamen schon in hohen Sätzen weißschwarz aufleuchtende Wildziegen angesprungen. Es gelang mir, mit dem Drilling zum Schuss zu kommen, und ich erledigte eine Dublette. Noch während wir uns über unsere Beute freuten, brach als Nachkömmling seitlich ein Schwein durch. Es stutzte bei unserem Anblick und wollte zurück, doch dieses Stutzen wurde ihm zum Verhängnis O-Ton Bernhard Fulda Also die Vorstellung, dass Pechstein da irgendwie im Lendenschurz als Gleicher unter Gleichen durch die Dorfaue gelaufen ist, die kann man sich, glaube ich, getrost abschminken. Auch Fotos, die wir von Pechstein und Lotte haben, zeigen ihn im weißen Tropenanzug. Er wird natürlich auch viel mit nacktem Oberkörper rumgelaufen sein, weil es einfach wahnsinnig heiß war da in den Tropen. Bloß er hat das Leben eines Kolonialdeutschen geführt. Er hatte zwei Boys für den Haushalt, die wurden auch als solche bezeichnet, "Boys" - so wie überall im Kolonialgebiet, von den Engländern abgeschaut. Lotte beschwert sich, dass es ja anscheinend unmöglich ist, zuverlässige Boys zu finden. Zwei haben sie entlassen müssen, der dritte war dann einigermaßen. Dass er eher so einen Status hatte eines, sagen wir, eines besuchenden Häuptlings, eine Art VIP, der auf der Durchreise ist. Diese Sonderstellung, die war ihm, glaube ich, sehr bewusst. Sprecher Pechstein "Rot ist der Abend auf der Insel von Palau" Musikakzent Sprecher Pechstein Von nun an - von nun an verrinnen meine Tage im steten Gleichmaß. Alles ist wohlgeordnet. Ich arbeite. Nicht nur, dass ich schnitze - ich male, vollende einige Bilder, bespreche mit dem Stationsvorsteher meinen Plan, auch ein eigenes Haus auf eigenem Land zu erbauen. Er ist mir behilflich. Ich erwerbe ein Eiland, nicht weit von Madalai, mit einer wunderschönen, kleinen halbrunden Bucht; Süßwasser ist auch darauf, Fruchtbäume, Tarofelder, wilde Ziegen und Schweine. Geflügel und Fische gibt es ja sowieso. Hin und wieder weilte ich bei dem Stationsleiter, der immer unruhiger wurde und mir einmal gestand, er vermisse seit einem Vierteljahr die amtliche Post von Yap, wo der Sitz des Bezirksmanns war. Atmo Sprecher Pechstein Eines Tages erschien er aufgeregt bei mir und sagte, es sei Krieg in Europa. Ich möge mich auf den Weg machen und hinunter nach Angaur segeln, wo selbst ich sicher Bestimmteres erfahren werde. Diese Ungewissheit drückte uns. Wir konnten uns freilich nicht denken, dass wir auf Palau, in diesem abgelegenen Winkel der Erde, in Mitleidenschaft gezogen würden. Musikakzent Sprecherin Montag, 24. August Max nach Madalei - kam erst abends spät wieder und bringt die Nachricht, dass Japan Krieg mit uns führt - wir erwarten also täglich hier die Japaner. Sprecher Pechstein Am 8. Oktober wurden die Palaus von den Japanern besetzt, ich musste mein Gewehr abgeben, die Eingeborenen brachten hin und wieder ein Huhn, jedes Mal ging ein Stück meiner Ausrüstung dafür hin. Dann hörte auch dies auf, sie stahlen mir lieber meine Sachen, da brauchten sie nichts dafür zu geben. Sprecherin Sonntag, 25. Oktober Dreimal täglich geht eine Patrouille hier vorbei - diese Woche sollten wir Nachricht bekommen, ob und wann wir fahren. Max arbeitet wieder an einer Figur, und mir geht es wieder mal recht schlecht. Eben kommt Herr Winkler und sagt, dass wir in vier Tagen fort müssen. Mir ist es so weh ums Herz, ich hatte mich schon gefreut, bald mit Max auf einer kleinen Insel zu sitzen und er könnte arbeiten. Hier unten tanzen die Palauer - die haben sich schnell an die andere Herrschaft gewöhnt. Sprecher Pechstein Eins ist sicher, die Japaner trauen den Deutschen alles Mögliche zu und fürchten immer, übertölpelt zu werden. Haben wir auch! Noch in der Nacht nach der japanischen Besitzergreifung bin ich zu dem gefangenen Stationsleiter und habe die Geheimpapiere geholt und ins Meer versenkt. Kannte ja wie ein Palau-Mann den Busch und hübsch braun war ich auch, also ging's famos. Leider hatte sich mein kleiner Boy bestechen lassen, und sagte aus, dass ich im Kanu weg gewesen sei, auch habe er etwas plumpsen gehört bei der Fahrt. Sie fuchtelten mir mit den Bayonetten vor der Nase herum, besetzten mein Haus mit 12 Soldaten und wollten mich aushungern und ausschwitzen. Na, das vertrug ich eher wie sie, hatte mich doch schon längst akklimatisiert, dann lagen sie vor meinem Haus, wurden abgelöst, und konnten mir nichts beweisen. Musikakzent Sprecherin Leider mussten wir die schmerzliche Erfahrung machen, dass die Palau- Eingeborenen, besonders die ältere Generation, sich rückhaltlos den Eroberern auf die Seite stellten. Sprecher 2 Bericht des Regierungsarztes Dr. Born Sprecherin Die Jugend, soweit sie in der Stationsschule erzogen war und deutsch sprach sowie ein Teil der Polizeisoldaten, blieben treu. Mir war der Gesinnungswechsel der Leute keine Überraschung: Die Spanier hatten sich niemals viel um die Inseln gekümmert, die spanische Kapuzinermission hatte gar keinen Einfluss erlangt. Dann kamen die Deutschen und die Deutsche Mission. Die Freiheit des Daseins für die Palauer nach ihren alten ungeschriebenen Volksgesetzen war nun dahin. Das paradiesische Genussleben hörte auf. Das Klubhaus mit seinem fröhlichen Leben und Treiben war für den Palauer der Inbegriff aller leiblichen und geistigen Lebensgenüsse. Als diese Sitte auf einmal mit Stumpf und Stil ausgerottet wurde, nahm man dem Volk alles, was das Leben ihm bisher lebenswert gemacht hatte, ohne ihm etwas anderes dafür zu geben. Musikakzent O-Ton Berhnard Fulda Eine kritische Einstellung Pechsteins gegenüber dem, was er dort erlebt und erfährt und sieht, war weitgehend nicht vorhanden. Er war eben insgesamt sehr glücklich da, muss man sagen. Bis auf die Zeiten unter der japanischen Besetzung, als das Leben wirklich anfing, sehr hart zu werden. Als er einfach seinen privilegierten Status verloren hat und als die Einwohner vor Ort, die Palauer, sich sehr schnell auf die neuen Machthaber eingestellt haben. Und diesen Statusverlust, den hat Pechstein sehr beklagt. Er hat da sehr böse Worte dann gefunden, wie wankelmütig diese Eingeborenen doch seien und dass das deutsche Reich beschimpft wird. Das waren alles Sachen, die ihm sehr nahe gegangen sind. Pechstein war ein großer Patriot. O-Ton Max K. Pechstein Ja, es waren durchaus patriotische Züge erkennbar, unterstützt durch die Erlebnisse in Amerika, für die damalige Zeit sicherlich durchaus verständlich. Nach späteren Kriegen oder nach späteren Entwicklungen hat er keine patriotischen, nationalsozialistischen Züge entwickelt. Musikakzent/Atmo Sprecher Pechstein 25.Mai 1915, New York Drei Wochen bin ich hier und habe bis jetzt vergeblich nach einer Möglichkeit gesucht, den letzten Wasserweg zu überwinden, um nach Hause zu kommen. Jede Faser zieht mich nach Deutschland, und dass ich nicht imstande bin, mitzukämpfen, mit beizutragen an der Verteidigung unseres Vaterlandes, drückt mich sehr danieder. Für Kunst besteht in diesem Geschäftslande keinerlei Existenzmöglichkeit, ausgenommen für schlechte. Auch mit der viel gerühmten Freiheit Amerikas bleibt mir fern! Nirgends regiert der Polizeiknüppel mehr wie hier: Am quälendsten ist mir, dass ich noch keinerlei Nachrichten aus Deutschland erhalte. Ich bange um alle meine Freunde zuhause, wäre ich doch drüben, wie würde ich jauchzen, nicht eher werde ich wieder froh werden, als bis ich die deutsche Grenze überschreite. Nur die eine Angst bedrückt mich, dass ich zu spät komme. Das Schmerzlichste, was ich aber doch erlebte, war die japanische Flagge an dem deutschen Flaggenmast in Palau. Musikakzent Sprecherin Nach einer abenteuerlichen Überfahrt ist der Maler Max Pechstein in Deutschland wieder eingetroffen. Sprecher 2 Vossische Zeitung, 06.09.1915 Sprecherin Er war im Sommer vorigen Jahres mit seiner Frau nach den Palau-Inseln gefahren, um dort längere Zeit zu leben und künstlerische Studien zu betreiben. Pechstein hat sich bereits heute bei dem Bezirkskommando gemeldet. O- Ton Max K. Pechstein Er ist gleich an der Grenze in Beschlag belegt worden. Er ist von Holland aus in Wesel über die Grenze und ist sofort eingesperrt worden, erstmal. Und dann hat er Urlaub bekommen, um in Zwickau seine Eltern zu besuchen. Und das Wehrbezirkskommando in Zwickau, wo er sich zu melden hatte, hat ihn gleich dabehalten. Die haben mit Recht gesagt, ist ganz egal wo Sie Soldat werden, ob in Berlin oder Zwickau. Und dann ist er dort geblieben. Sprecher Pechstein 18.06.1916 Also seit einigen Tagen sitze ich nun auch hier und male, allerdings ist es mehr eine Ausübung des Handwerks, denn vor allem sind die Wünsche maßgebend, und eine Änderung kommt einem Befehl gleich. Habe unseren Regimentskommandeur gemalt, und er ist zufrieden damit in die Heimat auf Urlaub gefahren. Es war nicht leicht, doch habe ich ihn, wie gewünscht, jünger und mit sämtlichen Orden auf die Leinwand gezaubert. Musikakzent Sprecher Pechstein 20. 08. 1916 Die letzte Zeit näherten wir uns in Märschen unserem neuen Kampfgebiet an der Somme, dazu lebhaftestes Feuer, in kurzen Zwischenräumen erfolgen neue heftige Angriffe der Engländer, Gräben gibt es überhaupt nicht mehr, nur noch Granatlöcher, schauderhafte Verwundungen, da alle von Artilleriefeuer herrühren. Doch meine Person hat Glück, denn ich bin zum Stabe kommandiert, und muss Karten zeichnen, zwar wüst muss ich arbeiten, doch immerhin ist man einigermaßen sicher, seine Gliedmaßen auch fernerhin zum Unterhalt seiner Lieben benutzen zu können. 23.08.1916 Liebe Lotte! Esswaren und Virginias wären mir sehr erwünscht. O-Ton Max K. Pechstein Bis knapp vor Kriegsende, da ist er mit irgendwelchen Machenschaften, die ich nicht näher beschreiben kann, entlassen worden - müssen irgendwelche Freunde eine Rolle gespielt haben. Sagen wir mal, knapp vor Kriegsende war er wieder in Berlin. Sprecher Pechstein Ich fragte mich: Wie hatte ich damals meine Leinwände grundiert? Wie war meine Palette? Ich musste mir mein Handwerk mühselig aus dem Gedächtnis zusammensuchen. So entstanden die ersten neuen Arbeiten etwas unbeholfen, zögernd und eckiger in der Form, bis mich die ungebundene Freiheit, die doch noch vorhanden war, wieder vollkommen in Besitz nahm. O-Ton Bernhard Fulda Was ich interessant finde, ist, dass mit seiner Schaffensperiode 1917, diese wahnsinnig vielen Palau-Bilder, die er produziert, er auf einmal ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb des Berliner Kunstmarktes hat. Er ist schon vor seiner Palau-Reise der Shootingstar der Berliner Kunstszene, er wird als großes Talent gefeiert. Und er kommt zurück und hat auf einmal eine Riesenmasse an Bildmaterial, die in Berlin ausgestellt wird und die Aufmerksamkeit erregt. Es wird von Leuten registriert, dass da auf einmal jemand ist, der Galerien füllt mit Bildern von "Wilden", wie sie bezeichnet wurden. Sprecherin Das Monumentale typischer Gebärden hat er gut erfasst. Hier kann er seine stumpfen kühlen Farben mit dem Rostbraun und Lehmgelb der Leiber kontrastieren. Sprecher 2 Paul Friedrich über die 2. Pechstein-Ausstellung im Kunstsalon Gurlitt, Sommer 1918: Sprecherin Er fängt die Grundstellungen des Kauerns, Sitzens, Hockens auf und geht selten nur über das Allgemeine eines primitiven Ausdrucks hinaus. Dabei gelingen ihm dann seelische Durchblicke durch die starre ,Maske' des Naturmenschen, so, wenn mit einer innigen Freude ein Weib dem anderen die Haare zum Langknoten windet. Auch eine gewisse naive Koketterie kommt heraus. Sehr hell und freudig wirken die nackten, sich bückenden gelben Frauengestalten im Tarofeld gegen die blaugraue Gestalt eines im Baumschatten sitzenden Mannes. Die Bilder geben ein gutes Gesamtbild. O-Ton Berhard Fulda Es gibt Reaktionen vom damaligen Doyen der Berliner Kunstszene, von Max Liebermann, der sich bitter über die Palau-Akademie, der ja die jungen Maler alle anzuhängen scheinen, beschwert. Palau und Pechstein - das war eine Einheit, die den zeitgenössischen Betrachtern, den Kunstkritikern unmittelbar einleuchtete und die ihn von seinen Expressionismus-Kollegen Kirchner, Schmidt-Rottluff und Heckel, ganz wesentlich unterschied. Musik Sprecher Pechstein Allmählich erschauerte ich wieder in den köstlichen Wonnen der Schaffensfreude. Wenngleich meine wirtschaftliche Existenz durch die Inflation und den Vertrauensbruch meines Kunsthändlers vernichtet, meine Ehe geschieden war, blieb mir immer noch meine Arbeit. Erst in viel späteren Jahren wurde sie mir genommen durch den Alpdruck, der sich auf uns Deutsche herabsenkte durch die Gottesgeißel der Nazis. Sprecher 2 Auf der Suche nach Totalität oder Pechstein auf Palau Ein Feature von Jürgen Balitzki Sprecher: Antje Weber, Pierre Besson und Ronald Schleif Musik: Michael Heubach Akkordeon: Klaus Wedel, Schlagzeug Dale Crover und Coady Willis Sounddesign: Jürgen Balitzki Ton: Andreas Meinetsberger Regie: Holger Kuhla Sprecher Pechstein Die trunkenen Fluten fallen -- die Stunde des sterbenden Blau und der erblassten Korallen um die Insel von Palau. Sprecherin Die trunkenen Fluten enden als Fremdes, nicht dein, nicht mein, sie lassen dir nichts in den Händen als der Bilder schweigendes Sein. Sprecher Pechstein Die Fluten, die Flammen, die Fragen -- und dann auf Asche sehn: "Leben ist Brückenschlagen über Ströme, die vergehn" Atmo/Musikakzent/Musik Sprecherin Es nutzt nichts. Wir müssen eben immer noch primitiver werden. Heil uns, wenn Pechstein zurückkehrt. Sprecher Redaktion: Hermann Theißen Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks, 2007 23