COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Länderreport, 23.3.2010, 13.07 Uhr (3) Ärger vor Ort ? Suhl in Finanznöten Autor: Jan Bösche Red.: C. Perez Atmo: Wochenmarkt, Verkaufsgespräche Wochenmarkt in Suhl: Es gibt Obst, Bratwurst und die ersten Stauden des Frühlings. Am Gemüsestand diskutieren die Suhler die Finanzlage ihrer Stadt: "Suhl ist arm. Es wird auch nichts gebaut, alles geht kaputt. Das einzige, wenn man hier Stadtmitte guckt, da ist sauber, aber sobald man außerhalb kommt, ist ja echt ne Katastrophe." "Nachher kommt ja kein Geld her in die Region. Alles wird oben verprasst, ja, es ist so." "Solange der Bund alles auf die Kommunen umlegt, werden wir immer ärmer werden." "Ja" Am Rande des Marktplatzes steht das historische Rathaus - hinter der roten Fassade kämpft der parteilose Oberbürgermeister Jens Triebel gleich mit einem ganzen Bündel von Problemen: Ton Triebel: "Wir haben seit 1990 rund 15.000 Einwohner verloren, wir haben wendebedingt damit zu kämpfen, dass große Arbeitgeber nicht mehr am Markt sind. Wir haben eine Reihe von öffentlichen Einrichtungen, die einen Großteil unseres Steueraufkommens auch wieder aufzehren und wir müssen mit neuen Tarifabschlüssen für den öffentlichen Dienst leben. Wir müssen mit einer Reduzierung der Zuwendungen vom Freistaat rechnen, wir haben mit den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise zu kämpfen." Suhl ist die Stadt mit den geringsten Einnahmen aus der Gewerbesteuer pro Kopf in Deutschland. Unterm Strich klafft im Haushalt für dieses Jahr eine Lücke von 10 Millionen Euro. Einen Grund für seine Finanzprobleme sieht Triebel bei Bund und Land. Sie haben in den vergangenen Jahren Aufgaben an die Stadt abgegeben, aber zuwenig Geld hinterher gereicht: Ton Triebel - "Der Bürger kriegt dann am Ende nicht mehr mit, dass sich eigentlich Bund und Land aus der Verantwortung gezogen haben, sondern er lädt seinen Frust über die geringer ausfallende Leistung am Ende bei der Kommune ab." Aber nicht für alle Suhler Probleme sind andere verantwortlich. Die DDR hatte Suhl zur Bezirkshauptstadt gemacht - ein neues Stadtzentrum wurde aus dem Boden gestampft, Plattenbau-Gebiete wuchsen die Berghänge hinauf. Dass dieses Wachstum ein abruptes Ende haben könnte, damit rechneten die Lokalpolitiker nach der Wende nicht. Atmo: Vögelgezwitscher, Autos, Schritte Die Folgen sind im Stadtteil Suhl-Nord zu besichtigen. Früher lebten hier 15.000 Menschen, jetzt sind es noch 4.000. Das neugebaute Einkaufszentrum Rennsteig-Carree verfällt, auch sanierte Plattenbauen stehen leer. Die städtische Wohnungsgesellschaft hat falsch investiert, jetzt ist sie hoch verschuldet und die Stadt muss zahlen. Als Bezirkshauptstadt schuf Suhl außerdem ein großes Freizeitangebot: Kongress-Zentrum, Philharmonie, Sternwarte, Tierpark, ein Schießsport-Zentrum. Vieles davon hält die Stadt weiter offen, sagt Oberbürgermeister Triebel, auch wegen der Lebensqualität: Ton Triebel - "Die Frage, wie viele freiwillige Leistungen man sich leisten kann, steht immer im Mittelpunkt, auch an dieser Frage werden wir weiter arbeiten müssen. Ich kann keinen Hehl daraus machen, dass wir über weitere Schließungen oder eingeschränkte Öffnungszeiten weiter denken müssen." Atmo: Fußgängerzone Eine besondere "freiwillige Leistung" ist in der Innenstadt zu besichtigen, nur wenige Schritte vom Rathaus entfernt, am anderen Ende der Einkaufsstraße: Die neue Stadtbücherei. 2004 leistete sich die Stadt ein neues Gebäude, vier Stockwerke hoch, mit einer Fassade ganz aus Glas. Atmo: Empfang, Ausleihe, Kinderecke Ein Luxus für eine klamme Stadt - den die Büchereileiterin Irmhild Roscher verteidigt: Ton Roscher "Auf keinen Fall ist eine Bibliothek ein Luxusgegenstand weil: Wir haben ganz einfach einen sozialen Auftrag. Wir haben eindeutig den Auftrag, Informationen, Wissen zu vermitteln. Und der Lernprozess, dass wissen wir alle, hört nie auf im Leben und deshalb sind wir für alle, die lernwillig sind, auch da." Dafür braucht sie Geld ? um neue Bücher zu kaufen, Veranstaltungen für Kinder zu organisieren, Jugendliche mit Videospielen anzulocken. Bislang steigen die Besucherzahlen in der neuen Bücherei, aber auch Roscher muss auf die Haushaltsnot reagieren. Sie hat die Öffnungszeiten zusammengestrichen, auf Mitarbeiter verzichtet: Ton Roscher -"Ja, pfff, was soll ich sagen - die Situation ist angespannt, die ist wahrscheinlich so angespannt wie noch nie. Wir müssen ganz einfach damit auch klarkommen und ich bin auf der anderen Seite aber auch optimistisch, dass wir es schaffen." Die Suhler Finanzprobleme haben längt die Thüringer Landespolitik erreicht. Hier wird über eine Kreisgebietsreform debattiert. Besonders die Linke, aber auch die SPD sieht in einer solchen Verwaltungsreform die Möglichkeit, Geld zu sparen. Die CDU ist dagegen noch skeptisch. Die schwarz-rote Koalition vereinbarte, erst mal ein Gutachten zu erstellen. Triebel würde die Kreisfreiheit Suhls durchaus hergeben - wenn die Verwaltung und die Finanzströme im großen Stil korrigiert würden: Ton Triebel - "Das Problem besteht in Gänze und sollte sich nach meinem Dafürhalten daran orientieren, dass diejenigen im Freistaat, die die Leistungsträger sind, nämlich die Städte, auch entsprechend gestärkt aus einem solchen Strukturprozess hervorgehen." Bis der große Wurf kommt, versucht Triebel, im Alltagsgeschäft den Finanzlöchern Herr zu werden, mit Ausgabesperren und weiteren Kürzungen. Dabei hilft die Erinnerung an seine Zeit als Bergsteiger: Ton Triebel - "In beiden Geschäftsfeldern erfährt man relativ schnell, wer seine Freunde sind, ist man in der Lage, im Team zu arbeiten, aber genauso auch, wenns ums eigene Fell geht, in der Lage, sich alleine durchzuboxen, und in beiden Fällen ist es lebenssichernd, wenn man in der Lage ist, auch fünf Minuten vorm Ziel umzukehren."