DEUTSCHLANDFUNK Hintergrund Kultur / Hörspiel Redaktion: Sabine Küchler Ich höre nur auf den Ball Die Europameisterschaft im Blindenfußball Feature von Rainer Schildberger . Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Sendung: Freitag, 13. November 2009, 20:10 - 21:00 Uhr Personen: Erzähler Im O-Ton: Die Spieler Alexander Fangmann Cengiz Dinc Heinrich Niehaus Gerd Franzka Renee Thissen Sven Schwarze Michael Löffler Michael Wahl Die Trainer: Ulrich Pfisterer Ringo Mosch Der Physio : Thilo Nowak Die Guides : Monika Weiß Jule Halanczy Atmo 1 Pfiff (Zweites Training Banden) 16:38 Atmo 2 Erstes Training Bande Klopfen, Qietschen, Aufprall 4:58ff Uli Pfisterer: Kommt rüber gerade auf eure Bezugspunkte ... Alle warten..Cengiz warte, damit wir keinen umrennen..Ausrichten und wartet da. Ganz zurück. Stop! Ausrichten. Wichtig. Atmo 3 Zweites Training Orientierung 8.00 Uli Pfisterer: Haut auch mal gegen den Pfosten,dass da wirklich was Konkretes ist.. Ich möchte, dass ihr das voll drin habt, wo wir eigentlich sind. Atmo 4 Zweites Training Orientierung (Rufe: Hier, hier!) 11:36 O-Ton 1 René Thissen, Bd. 5, S. 85, 1.40.00 Du lernst einfach unbewusst deine Schritte zu zählen. Also nicht, dass du objektiv 1-2-3, sondern du läufst einfach von der einen Bande auf die andere Bande zu und dein Unterbewusstsein sagt dir, das waren jetzt genug Schritte, das kann nicht mehr viel weiter sein. O-Ton 2 Cengiz Dinc 2 S.13, 21.00 Wenn jemand so 10 Zentimeter neben dir steht. Dann spürst du wie ne Wand, da ist was. O-Ton 3 Gerd Franzka, Bd.2, S.135, 1.04.00 Die Bande reflektiert ja praktisch mein akustisches Signal, so das Fledermaus- Prinzip, mein Schnipsen oder was ich auch immer mache, prallt quasi von der Bande ab, wird reflektiert und kommt zu mir zurück und ich merke, da ist was. O-Ton 4 Gerd Franzka 0:06 S.1,S.25, 1.24.00 Man tut gut daran, wenn man sich bewegt, dass man immer irgendwas von sich gibt, also Leute ruft, Namen ruft. Erzähler Ein warmer, blauer Sommermorgen im französischen Nantes. Seltsame Signalrufe tönen durch das kleine Fußballstadion mitten in der Stadt. Warnrufe. Kommandos. Die Spieler laufen auf die seitliche Spielfeldbegrenzung zu, klopfen dagegen, drehen ab, rennen Richtung Tor, schlagen gegen den Pfosten. Stürmen im Tempo zurück. Es ist die letzte Gelegenheit sich mit Füßen, Händen und Ohren dem Spielfeld vertraut zu machen. Denn morgen beginnt hier die Europameisterschaft im Blindenfussball. Die Spieler tragen weiße Deutschlandtrikots und Kopfschützer aus Schaumstoff. Die Blindenstöcke haben alle in der Umkleidekabine zurückgelassen. Hier auf dem Feld hört alles auf den Ball. Atmo 1 Pfiff (Zweites Training Banden) Atmo 5 Zweites Training Banden, Verteilen der Bälle 13:01-15.30 Uli Pfisterer: "Jeder kriegt einen Ball." (Torwart ruft Spieler und verteilt Bälle) Immer wieder hochziehen zwischen die folgenden O-Töne O-Ton 5 Cengiz Dinc 2 S.8, 7:33 Der Ball ist ja nun mal das wichtigste Spielgerät..Der hat Rasseln, so Klingeln. Glocken heißt das, glaube ich, und der ist auch relativ klein und auch ein bisschen schwerer..Am Anfang kam ich nicht so gut damit klar, weil der normale Fußball ist ja erheblich leichter. O-Ton 6 Heinrich Niehaus 1 S.33, 14.32 Ist natürlich schon gewöhnungsbedürftig, wenn man jahrelang normalen FuBa gespielt hat, und der Ball nur dieses Schussgeräusch von sich gibt, und jetzt eben dieses Rasselgeräusch. Aber gut anders geht´s eben nicht. O-Ton 7 Gerd Franzka Bd.2, S.136, 1.14.08/S.130,51.06 Je spitzer das Klappern ist, von der Frequenz her je höher, umso besser hört man den. /Also diese akustische Boje, die sich ständig verändert, die mal da, mal da, mal da ist, ist der Fokus quasi../ weil er ja irgendwo immer bewegt wird. Und demzufolge bewege ich mich auch, weil ich ja immer auf Höhe des Balles sein möchte. O-Ton 8 Cengiz Dinc 2 S.8, 8.26 Wenn mir jemand den Ball zuspielt aus 15 oder 10 Metern, dann rollt er auf mich zu und ich hör genau, auch ob er quer oder schief geht.. Und dann gehe ich mit den Ohren dem Ball nach und hole ihn mir. Atmo 6 Erstes Training 18.22ff Ballführen, Namenrufen, Bande Erzähler Eben noch mussten sich die Spieler, tastend mit dem Stock, den Weg zum Sportplatz suchen, jetzt dribbeln sie mit dem Ball am Fuß über den Platz, kicken ihn gegen die Banden, die das Spielfeld an den Längsseiten begrenzen. Nehmen ihn wieder an, ziehen ihn mit. Hin und wieder verlieren sie ihn. Dann folgen sie seiner klingelnden Spur, stöbern ihm nach. Haben ihn wieder. Doch es gibt auch unerwartete Schwierigkeiten, wie der Physiotherapeut des Teams beobachtet hat. O-Ton 9 Thilo Nowak Erstes Training 15:20 Ja es ist sehr ungewohnt für die Mannschaft hier zu trainieren, weil wir auf nem feuchten Rasen trainieren müssen. Normalerweise sind sie gewohnt auf nem Hartplatz, also nem Kunstrasen zu trainieren. Und.. es ist ziemlich kompliziert jetzt für die Blinden, das praktisch rauszufinden, in welchem Abstand der Ball praktisch stoppt und wie schnell der rollt..Zum einen ist es rutschig der Platz, und der Ball ist natürlich nicht so schnell. Der stoppt früher auf nem Rasen..Und dann hat er ja kein Geräusch mehr. Wenn er liegen bleibt, wissen sie nicht wo der Ball ist. O-Ton 10 Gerd Franzka Bd.2, S.120, 22.40 Einer der sich nicht irgendwo bemerkbar macht, der ist kaum auszuma- chen..Wenn er den Ball hat, ist klar, der Ball klappert, dann kriegt man das mit. Aber wenn ich mich von A nach B bewege, weiß ich nie, steht da vielleicht noch ein Gegner und wartet auch wieder heimlich auf den Ball..Das ist das Gefährliche an unserem Spiel...Das ist in etwa so die Akustik, als wenn ich im Wohnzimmer auf Strümpfe umher-gehe. Erzähler Bundestrainer Ulrich Pfisterer gibt immer wieder hilfreiche Hinweise. Atmo 7 Erstes Training Ballführen 13:23-14.30 Uli Pfister: Ruhig ein bisschen mehr Tempo. Ich weiß, du hast Angst, dass er dir wegläuft, Heinrich. Aber sonst geht er dir mehr weg. Ja. O-Ton 11a Heinrich Niehaus 1 S.33, 14.32 Das ist natürlich blöd, wenn er nicht rollt und man weiß, der Ball liegt hier in einem Radius von ein bis zwei Metern, aber man findet ihn nicht. Atmo 8 Erstes Training Ballführen 14:00ff Uli Pfister: Vor dir zwei Meter. Geh einfach vor. Atmo 9 Erstes Training Pause 30:00 M.Löffler: Das ist komisch, manchmal rollt der Ball tierisch..und manchmal verhungert er halt. Atmo 10 (Bahn fährt vorbei) Erstes Training 15:28ff Thilo Nowak: Also wenn das immer so laut bleibt wie jetzt gerade, dann haben wir schon ein Problem, wenn Kommandos gegeben werden wie zum Schuss zum Beispiel Wenn jemand in Schussposition kommt und es kommt so ein Zug vorbei, dann ist die Orientierung futsch. Dann haut er irgendwie auf den Ball. O-Ton 11b Alex Fangmann 26.56/26.12 Störend ist alles unnötige Geräusch, was nicht Stimmen sind. Ob es ein vorbeifahrender Zug oder Flugzeug oder Autos ist. Leise Stimmen oder Zuschauergemurmel, so etwas kann man ausblenden..Wind ist eigentlich das Schlimmste. Wenn man Gegenwind hat,.. dann hat man immer den Wind in den Ohren und kann auch die Entfernungen nicht mehr so einschätzen. Weil der Schall durch den Wind viel schneller angetragen wird. Und daher denkt man, es ist alles viel näher, obwohl es noch viel weiter weg ist. Atmo 11 Erstes Training Trainingsspiel 47:40ff O-Ton 12 Heinrich Niehaus 1 S.33, 14.32 Aber wenn man dann einen Pass über das ganze Spielfeld spielt und er kommt auch an, und man hört den Ball in der Luft auch fliegen, das ist dann schon ziemlich cool. O-Ton 13 Gerd Franzka Bd.2, S.119,10.00/ S.121, 24.50 Der Ball kommt zu mir, wird sofort von anderen auch registriert, dass ich jetzt den Ball habe./Wer mir den Ball wegnehmen will, muss sich bis auf die Distanz von zwei Metern mit "Voy!" gemeldet haben./ Das ist dieser spanische Warnruf "Achtung, ich komme!" Das ist im Reglement festgelegt. Das ist ziemlich streng, einfach um die Sicherheit halbwegs zu gewähren. Erzähler Die Spanier haben als Erste vor über 20 Jahren mit dem Blinden-Fußball angefangen und das "Voi" als Warnruf im internationalen Regelwerk verankert. O-Ton 14 Cengiz Dinc 2 18:00, S.11 Deswegen kannst du auch übers Feld sprinten. Du kannst sprinten ohne Angst zu haben, weil du rufst ja immer Voi. Ich rufe immer Voi, wenn ich keinen Ball habe...Wenn ich da nichts sage und jemanden über den Haufen renne, dann kann das böse enden. Deswegen rufe ich immer Voi. Atmo 12 Eröffnung Marseillaise Orchester, Publikum 0:00-1:20 Erzähler In Ländern wie Spanien, England oder Brasilien wird schon seit über 20 Jahren Blinden-Fußball gespielt. Der rasselnde Ball ist eine Erfindung der Südamerikaner und wird daher "der Brasilianer" genannt. In Frankreich leben und lernen die Spieler sogar in einem eigens eingerichteten Internat. In Deutschland hingegen ist Blinden-Fußball praktisch eine ganz neue Sportart. Erst anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 hat sie der englische Verband in einem Workshop interessierten Blinden vorgestellt. O-Ton 15 Michael Löffler S.51,4:00 Bei dem allerersten Turnier, das wir als deutsche Auswahl mal gleich im Herbst 2006, vier Monate nach dem ersten Startschuss gespielt haben, da haben wir rumgestanden und aufgepasst, dass man uns nicht an Leib und Leben ging. Also ich kann mich an einen sehr großen, sehr breiten, sehr kräftigen Italiener erinnern, der hat mich einfach ge-fällt wie ein Baum. Das Gute war nur im Nachhinein, er hatte ne riesen Platzwunde am Kopf und konnte die nächsten Tage nicht spielen und ich hab´s überlebt. Der Kiefer war auch noch gerade und nicht gebrochen. Aber das war schon krass. O-Ton 16 Michael Wahl S.42, 9.24 Die ersten drei Minuten bin ich dreimal umgerannt worden und dachte, was ist das denn? O-Ton 17 Michael Löffler S.50,2.30 Also das war ein Rumstaksen und Rumstochern im Raum, ein Stochern nach dem Ball, das war also grauenhaft. O-Ton 18 Cengiz Dinc 1 S.2/3,4:04 Und da haben wir über ein Jahr gebraucht, bis wir so langsam Pässe gespielt haben, dribbeln konnten, in den Raum laufen usw.. Erst mal damit klarkommen, wo sind die Banden, wo sind die Leute, wie geht das. Wann laufe ich rechtzeitig los. Da haben wir auch oft über den Ball getreten. Und in den Raum reinlaufen haben wir, also ich zumindest, das erste Jahr gar nicht machen können. Erzähler Deutschland hat noch nie ein Länderspiel gewonnen. Das Letzte gegen Frankreich vor zwei Jahren ging sogar mit 0:7 verloren. Auch dieses Mal geht die Mannschaft als Außenseiter ins Turnier. Mit Frankreich, Italien und Lehrmeister England warten starke Gegner. Zwei Jahre hat die Mannschaft sich in unzähligen Lehrgängen vorbereitet, sammelten die Spieler praktische Erfahrungen in der neu geschaffenen Bundesliga. Doch was sie wirklich kann und ob sie der Härte und dem Tempo im europäischen Blindenfußball schon gewachsen ist, weiß niemand. Atmo 13 Eröffnung Fangesänge Rhythm. Klatschen, Jubeln 3:00ff Atmo 14 Englandspiel 1 Stadionsprecherin, Kinderstimmen, Beifall Atmo 15 Uli Pfisterer Nach Eröffnung S.37, 2:00 "Auch im Spiel werden Leute mit Schmerzen leben müssen. Morgen ist die Zeit und die nächsten paar Spiele, wo ihr, im Englischen sagt man "mind over matter", wo ihr das gewisse Extra geben müsst." Atmo 16 Englandspiel Ansprache U.Pfisterer 0:00 - 2.30 "Wenn wir hier was reißen wollen, dann müsst ihr auch positive Aggression haben. Es geht gar nicht anders. Wir sind hier nicht auf dem Campingplatz. Und hier geht es noch mal anders los, als in der Liga bei uns. Cengiz Dinc: Die hab ich auch persönlich immer nach dem Anpfiff, Uli." (Lachen) O-Ton 19 Cengiz Dinc 1 S.6, 2.18 Meine Psyche ist relativ stabil, weil ich mich vor dem Spiel selbst sehr konzentriere. Natürlich trägt der Trainer auch dazu bei mit seinen Reden, klar, aber letztlich muss ich meine Psyche in den Griff kriegen, und zum Beispiel vor dem Englandspiel war ich sehr ruhig. Atmo 17 Meditation vor dem Spiel S.24, 0:30 Ringo Mosch: (immer mal einen Spruch hochziehen) Beruhigt eure Atmung..Nichts ist wichtig. Nur du zählst..Ihr werdet mit jedem Atemzug stärker und stärker..Ihr seid nun voller Stärke.. O-Ton 20 Michael Wahl S.39, 1.20 Für mich ist es das erste Länderspiel. Und ich werde sehr aufgeregt sein. Ich bin immer sehr ruhig. Bis kurz bevor es losgeht, dann wird es hektisch bei mir. Erzähler Die Spieler haben sich aufgewärmt, sie schwitzen. Die Anspannung ist groß. Immer wieder muss einer auf die Toilette. Dann liegen alle in sich gekehrt auf einem Rasenstück abseits des Fußballfeldes. O-Ton 21 Thilo Nowak S.79, 10.40 Kurz vor dem Spiel ist es schon wichtig über mentales Training noch mal die Spieler einfach zu beruhigen und innere Kraft zu tanken..Bei den Blinden ist eben das Hören das Wichtigste, und diese taktilen Reize, die vom Fuß kommen, die tasten ja, wenn man so will den Boden ab, und da ist es wichtig, ne innere Ruhe zu haben, um sich voll und ganz auf diese Sinne zu konzentrieren. Dass man auch den Ball perfekt trifft oder auch dieses Gefühl hat, ich kann auch durch den Raum sprinten und einfach die Sicherheit in sich selber spüren. O-Ton 22 Michael Wahl S.42/45, 10.20/18.33 Manchmal ist es noch eine Überwindung mit dem Raum./Die ersten Halbzeiten ist es manchmal so,dass ich die ein bisschen wegschenke, weil ich schon noch ein bisschen ängstlich bin. Also die Angst ist bei mir nicht ganz weg..Und wenn ich diese Angst abgelegt habe, dann wird die Orientierung auch besser..Ich muss mich in jedes Spiel so ein bisschen reinfinden. Ich hab noch nie gegen Engländer gespielt. Atmo 18 Vor dem Spiel Eyepadskleben Uli Pfisterer: Hier sind die Augendinger Monika Weiß: Wir müssen jetzt kleben, macht euch mal trocken im Gesicht. (Reißgeräusche, Stimmen der Spieler 0:22) Erzähler Die Augen der Spieler werden mit Pflastern überklebt. Darüber noch eine weiche Dunkelmaske geschoben. Der Kopfschutz wird angelegt. Alles dient der Sicherheit. Atmo 19 Englandspiel 1 Beifall, Ansage, Musik, "Es geht los!" 6:42 Atmo 20 Einzug FR-Spiel Schritte, Hintergrund Musik 0:41 Atmo 21 Türkei Ansage Hymne Wahl 1:36 Ansage des Teams Germany in Deutsch "Für Deutschland spielen.." Erzähler Vier blinde Feldspieler und ein sehender Torwart treten gegeneinander an. Dazu noch einmal die gleiche Anzahl Ersatzspieler. .Die Spieler stellen sich hintereinander auf und legen ihre rechte Hand auf die Schulter des Vordermannes. Wie eine Raupe bewegt sich die Mannschaft vorwärts Richtung Spielfeld. Angeführt vom Torwart. Atmo 22 Englandspiel 1 Hymne England 8:56 Erzähler Obwohl es sich um ein internationales Sportereignis handelt, sind an diesem Montagvormittag nur etwa 100 Zuschauer gekommen. Zumeist Schulklassen aus Nantes. Den Spielern ist es egal. Für sie ist es ein richtiges Länderspiel. Wie im sehenden Fußball haben sie in einer Reihe Aufstellung genommen. Beim Singen der Nationalhymne sind sie sogar text-und tonsicherer als Klose und Podolski. Atmo 23 Englandspiel 1 Hymne Deutschland 9:50 O-Ton 23 Heinrich Niehaus 1 S.32, 8.27 Ist ja doch ne andere Hausnummer jetzt, wenn man Freunden erzählt, dass man jetzt gegen England, Frankreich und Italien spielt. Atmo 24 Englandspiel 1 Spielsequenz 1 14:53-17.00 16:19 Pfiff, Ball, Voi-Ruf 14:53 Lautes Knallen an Bande, Voi-Rufe 16:40 Gute Spielsounds Erzähler Die Aufstellungen. England spielt mit drei Mann in der Verteidigung und einem Stürmer. Deutschland wählt das so genannte Ypsilon. Einer hinten, einer im Mittelfeld und zwei Stürmer links und rechts an den Banden. Die Positionen werden in der Regel gehalten, damit es kein Chaos gibt. Positionswechsel oder überraschende Läufe müssen abgesprochen und einstudiert sein. O-Ton 24 Michael Wahl S.44, 15.57 Ich spiele auch meistens Angreifer auch zuhause im Verein, und dann ist es natürlich so, dass der Ball erstmal zu mir kommt. Das heißt der Torwart wirft ihn ja ab, und dann ist er im Spiel, dann ist er bei mir. Und wenn er da ist, die Annahme ist dann das wichtige, da ist nur das Gehör da, da ist der Ball einfach das A und O. Und dann wird es nur noch taktil. Dann ist dieser Sound vom Ball, die Rasseln, sind dann sekundär. Dann muss ich gucken, wo ist mein Mitspieler, wo ist mein guide. Und vor allem, wo ist mein Gegenspieler mit dem Voi! ..Rasseln ist nur wichtig, solange man nicht am Ball ist. Wenn man selbst am Ball ist, dann höre ich das auch gar nicht mehr. O-Ton 25 Gerd Franzka Bd.2, S.122, 28.10/29.30 Dann gehe ich weiter vor, weil ich weiß, der drüben den Ball hat wird ja auch weiter auf das gegnerische Tor sich bewegen, dribbeln oder stürmen,.. ich werde mich dann auch bemerkbar machen, wo ich bin,..man hat ja in dem Moment immer die Verbindung zum Tor, auch derjenige, der drüben den Ball hat, weil hinter dem Tor darf ein guide von uns stehen und uns Richtungshinweise geben Erzähler Das Spielfeld ist 40 Meter lang und 20 Meter breit. Ein Sechstel von einem richtigen Fußballplatz. Ein Stürmer ist schnell vor dem Tor. O-Ton 26 Monika Weiß S.72/73, 16.25 Als guide im Spiel ist man dafür da, dass der Spieler weiß, wo das Tor ist. Dass er weiß, wie die Situation jetzt gerade vor dem Tor ist..wie die Spieler gehen sollen..Also da muss der guide sehr schnell das Spiel lesen und richtig reagieren. Und den Spielern möglichst präzise kurze Anweisungen geben. Manche brauchen ganz genaue Meterabstände. Den hilft es unheimlich, wenn sie wissen ok, noch 5 Meter oder 8 Meter, 10 Meter. Und andere brauchen wirklich nur so einen Ton. Ok, hier ist das Tor. Hier muss ich hinschießen. Atmo 25 Englandspiel 1 Ansagen Guide im Spiel 29.52/31.10 Eckball Deutschland dicht dran mit Guide, Getümmel mit Ballverlust O-Ton 27 Gerd Franzka, Bd. 1, S. 27, 1.30.30 Viele lassen sich bestimmte Codes zurufen, zum Beispiel 7,2. Das heißt sieben Meter, zwei Personen sind noch vor dir, zwei Verteidiger. Oder anhand der Uhr. Das Tor ist meinetwegen die Zwölf. Und der ruft dir zu, du stehst auf eins. Dann habe ich 'ne Orientierung, aha, ich bin so ein bisschen schräg vom Tor weg. O-Ton 28 Ulrich Pfisterer Bd.5, S.72, 14.30 Und dann muss man sich vorstellen, dass ja eigentlich auch drei sehende Spieler im Spiel sind. Und zwar ist das der Torwart, der voll sehend ist und Direktiven von hinten gibt, Kommandos gibt, der Trainer, der Mitte hinter der Bande steht, der bei Mannschaften, die besser sind, gar nicht viel sagen braucht, weil die Spieler selber gut kommunizieren, links recht, Seitenwechsel, wissen wo jemand ist. Aber der wichtigste von den Sehenden ist sicher der guide, der hinter dem gegnerischen Tor steht. Und dann muss man sich vorstellen, dass es praktisch eine akustische Achse ist zwischen Torwart und guide. Atmo 26 Englandspiel 1 Spielsequenz 2 35.11 Klopfen "Zurück Micha, schnell!" Micha: Wo ist der Mann? Ringo: Vor dir isser und geh drauf Micha. Jawoll! 35.53 Beifall, Uli: Super, Leute, Ansage: Corner Germany O-Ton 29 Gerd Franzka Bd.1,S.30,1.41.20 Ich persönlich möchte auch gar nicht soviel Hinweise kriegen, weil, ich kann die im Eifer des Gefechtes gar nicht verarbeiten. Das müssen viele Trainer auch noch lernen. Die brüllen übers ganze Feld. Mach dies, mach das, mach jenes! Aber die vergessen, dass über diese 20 Meter und diese akustische Barriere die Worte gar nicht ankommen. Zumindest nicht als verständliche Information. Und wenn man dann zum Tor kommt wird überall gebrüllt (macht es vor) ja, war es viel zu laut, da habe ich ... den Ball verloren und ihn in dem Moment nicht wieder gefunden, weil ich nicht gehört habe. Atmo 27 Englandspiel 1 Hektische Rufe 24.40-25.50 O-Ton 30 Sven Schwarze 1 S.63, 8.35 Man lernt halt mehr zu filtern. Also man hört dann nur seine Leute, und hört halt den guide. Man hört den Trainer, man hört den Ball. Das alles drum herum, das klingt immer von außen als sehr sehr laut, wenn die Gegner rufen,..die schreien da rum. Das kam mir auf dem Platz gar nicht so vor. Atmo 28 Englandspiel 1 Halbzeitpfiff 43.41ff Klopfen. "Hier, in den Schatten.. Erstmal Ruhe.." Erzähler Zur Halbzeit steht es 0:0. Englands gefährlichster Mann, David Clark, der schon über 100 Länderspieltore in mehr als 100 Länderspielen geschossen hat, kam nicht durch. Doch die deutschen Spieler sehen müde aus. Gezeichnet vom hohen Tempo des Spiels und dem enormen Aufwand an Konzentration, den es verlangt. Atmo 29 England 1 Halbzeitansprache Uli Pfisterer S.12, 45.16ff Uli Pfisterer: Super super positiv. Ich bin schon glücklich darüber, ich weiß jetzt, wie wir aufgeholt haben. Wenn man das Spiel seht, ihr spielt nicht gegen England, sondern ihr spielt gegen Clark. Und wenn man das bedenkt, dann sind wir eigentlich schon besser als die. Weil wenn der nämlich mal krank wird oder was, dann hauen wir die in Sack.. Der macht auch decoys, habt ihr sicher gemerkt..Pscht..(Brummt!)Dass er jemanden ruft und spielt nicht ab und solche Sachen. Michael Wahl: 49.30 "Wie groß ist der? Uli: So groß wie du. Und Masse. O-Ton 31 Cengiz Dinc 1 S.3, 5.32 Das ist ja für mich ne ganz neue Erfahrung. Im ersten Spiel gegen England war ich die ersten 10 Minuten ein bisschen nervös, da wusste ich noch nicht genau, wie ich zurücklaufen soll, wo ich genau stehe. Deswegen habe ich oft meinen Mitspieler gerufen..Und dann musste ich erstmal lernen,..mich an die Schnelligkeit der Engländer anzupassen. Ich bin das erste Mal in meinem Leben..beim Blinden-Fußball zurück gesprintet. Immer mit Voi, damit ich nicht gegen jemand krache. Atmo 30 England 1 Halbzeitansprache Uli Pfisterer S.13, 53.46 "Ich mach weiterhin, dass ich euch immer sage, wo der Clark ist.." Atmo 31 England 1 Halbzeitansprache Uli Pfisterer 33.17 Kurzer Pfiff 54:31 "Los Leute, weiter geht´s." Atmo 32 England 2 Cengiz mit Voi S.14, 1.11ff Spieler Cengiz Dinc akustisch im Fokus O-Ton 32 Cengiz Dinc 2 S.11, 16.00 Ich musste sprinten und dann noch Namen rufen in der Abwehr und dann noch mich genauso hinstellen in diese Abwehrreihe, dass der Engländer nicht vorbei kam. Das sind mehrere Abläufe in einem. Und das ist schon ne Hochleistung, was hier die Blinden-Fußballer eigentlich bringen. Atmo 33 England 2 Torjubel S.14, 0:18 O-Ton 33 Cengiz Dinc 2 S.15, 31.51/30.28 Ein Blinder kann ja nicht überall sprinten./ Es macht wirklich Spaß mit Voi, Voi, Voi über 30 Meter zurück zu sprinten. Das ist echt ein Sprint ohne Angst, dass dir da jemand im Weg steht..Und das ist echt ein Supergefühl. Da stehst du nach drei Sekunden wieder an deiner Stelle und sagst: Hey, Engländer, bis hierhin und nicht weiter. Atmo 34 Nach dem Englandspiel Diskussion Spieler. 0.00 Michael: Der ist so schnell..da kommt du gar nicht mit. Cengiz: Der ist rechts rein beim 1:0 an Mulle vorbei. Da kam ich zu spät. Atmo 35 Hymne Frankreich Erzähler Fünf unkonzentrierte Minuten Deutschlands und England liegt mit 3:0 vorn. Am Ende steht es 4:1 für die Lehrmeister im Blindenfußball. Und auch das Spiel am nächsten Tag gegen Gastgeber Frankreich geht mit 0:2 verloren. Doch im Gegensatz zum 0:7 vor zwei Jahren stand es dieses Mal bis kurz vor Schluss 0:0. Nach dem Abpfiff kommen die Spieler immer in der Mitte des Feldes zusammen. Sie tasten nach der Hand des Gegners, umarmen und beglückwünschen sich. Atmo 36 Abklatschen nach FR-Spiel Ansager, Beifall, Jubel 0:42ff "Very good player.." 3:23 Atmo 37 Uli Pfisterer nach Frankreich-Spiel vor der Kabine 0:20 "Ich benutze das Wort nicht oft, aber ich bin wirklich stolz auf euch.. Ein besseres Spiel hat ne deutsche Mannschaft noch nicht gemacht..Und das nächste Mal punkten wir gegen die Italiener. Da bin ich total von überzeugt. Das ist unser kleines Endspiel, denn wenn wir das gewinnen, spielen wir um den Fünften.(Ab hier englische Hymne im Hintergrund) Jetzt zieht es erstmal rein. Für mich ist es wie ein Sieg. Weil es dreht sich ja um unsere Aufholjagd, wie wir zur Weltspitze kommen. Und das ist ein riesiger Schritt jetzt gewesen. Atmo 38 Schlachtruf nach Englandspiel 3.30 "Wer sind wir? - Deutschland!" Atmo 39 Fahrt im Bus, Musik, Stimmen, Klatschen 0:00-1.10 Erzähler Freizeit. In einem kleinen gecharterten Bus geht es raus aus der Stadt ans Meer. Die Spieler sollen auf andere Gedanken kommen. Sich besser kennen lernen. Und auch diese besondere Reise genießen. Sie haben die Sonnenbrillen aufgesetzt und bunte Hemden an. O-Ton 34 Heinrich Niehaus 1 S.32, 12.17 Ich hab für mich das Gefühl, dass seitdem ich Blinden-Fußball spiele, mich auch sicherer durch den Straßenverkehr oder durch den Alltag bewege. Weil man viel mehr darin geschult wird, genau zu hören. O-Ton 35 Michael Löffler S.52, 6.47 Es ist so, dass ich früher schon noch etwas mehr gesehen habe, als ich jetzt sehe, aber nicht viel, aber meinen Sehrest, wie man das nennt, schon benutzt habe, um mich zu orientieren, gerade auch in größeren Räumen, auf größeren Flächen, übern Parkplatz zu gehen von A nach B und am Ziel anzukommen, konnte ich früher doch noch eher mit den Augen regeln. Das ist mittlerweile nicht mehr möglich. Da hat mir der Blindenfußball auch schon geholfen, diese Orientierung zu erlernen, dieses Raumgefühl zu bekommen. Auch dieses Gefühl, mal 20, 30 Meter geradeaus zurücklegen zu können, ohne nen Orientierungs- ohne nen Anhaltspunkt zu haben. Erzähler Keiner in der Mannschaft ist von Geburt an blind. Die meisten haben nach und nach das Augenlicht verloren, als Kinder oder Jugendliche. Einige erst im Erwachsenenalter ganz plötzlich bei einem Unfall. Fast jeder hat früher schon Fußball gespielt. Als Sehender oder mit Sehenden. Solange bis auch der letzte Sehrest verschwunden war. O-Ton 36 Alex Fangmann S.20 1.33/5.02/2.36/ S.26, 22.52 Irgendwann hat meine Mutter mal einen Klingelball entdeckt, mit dem Torball gespielt wird, so ein Gummiball mit Rasseln oder Klingeln drin, und mit dem habe ich dann zuhause Fußball gespielt und auch mit meinen Freunden..mit diesem lustigen Ball./ Und die guides, das habe ich früher immer mit einem Radio im Tor gelöst..So Minikofferradio konnte man auf dem Bolzplatz ins Tor legen, und dann wusste man auch immer, wo es war./ Ich war 2006 beim Workshop in Berlin dabei. Das war natürlich sehr interessant mal mitzukriegen, dass es noch andere blinde Menschen gibt, die Fußball spielen möchten./Ich wusste nicht unbedingt, wie sind diese ganzen blinden Leute, und war sehr überrascht, dass es in dieser Fußballszene eigentlich die kompetentesten von allen sind..Dass die alle einen Job haben oder sich einfach gut zurechtfinden. O-Ton 37 Cengiz Dinc 1 S.1, 0.23 Ich wohne in Salzgitter und fahre jeden Samstag zum Training. Das sind ungefähr drei Stunden nach Dortmund..Ich setze mich in Salzgitter in den Zug und steige einmal in Braunschweig um, und dann fahre ich nach Dortmund..Ich fahre schon seit zwanzig Jahren mit dem Zug ... Das ist wie im Schlaf. O-Ton 38 Gerd Franzka, Bd. 1, S. 20, 1.07.50 Ich musste mit meinen Kumpels, mit meinem Bruder, ich hab zwei Brüder, da musste ich halt mit auch durch die Scheunen toben. Entweder ich konnte oder ich konnte nicht. Kinder sind ja grausam. Entweder du bist in der Lage oder eben nicht ... Überall rumgeklettert und gefährliche Sachen gemacht. Ich glaube, da wurde mir viel mitgegeben. O-Ton 39 Monika Weiß S.69, 0.07 Gestern hatte ich ein Gespräch mit dem Kellner im Hotel, der total beeindruckt war, wie unabhängig unsere Spieler rumlaufen. Dass die ohne Stock teilweise durch das Restaurant gehen und vor allem unabhängig, alleine vom Zimmer zum Restaurant laufen. Und dann habe ich ihm erklärt, dass die Spieler alleine mit dem Zug von Hamburg nach Stuttgart und von Berlin nach Hamburg und von Köln, also dass die einfach unabhängig von jemandem reisen können. Dass sie arbeiten, dass sie studieren und dass das im Endeffekt alles unabhängige erwachsene Männer sind. Erzähler Sie sind Studenten, Zollbeamte, Bürokaufleute. Sie gehen auf Partys, surfen im Netz, treffen Freunde. Haben zum Teil Familie und bereits Kinder. Stehen mitten im Leben. Manche hat der Blindenfußball aber auch aus dem Abseits des Blindseins zurück ins Leben geführt. Nach einem Autounfall. O-Ton 40 René Thissen, Bd. 6, S. 82, 1.34.06/1.35.42 Ich bin ja Stehaufmännchen, sag ich mal. Was ich nicht ändern kann, muss ich das Beste draus machen..und hab einfach, ja sechs Wochen nach dem Unfall angefangen wieder mein normales Leben zu leben..Das erste Mal in meiner Wohnung, ich hab mich da bewegt, als wär das das normalste von der Welt ... Haustür auf, Treppe hoch, ich gehe mal eben aufs WC. / Ich bekomme die Erwerbsunfähigkeitsrente, und engagiere mich einfach voll und ganz im Sport. O-Ton 41 Michael Löffler S.55, 15.14 Ich bin auch einer, dem dieser Fußball riesig riesig Spaß macht, dessen ganzes Leben sich außerhalb um diesen Fußball dreht. Meine Frau und ich, wir managen zusammen das Team vom FC St.Pauli, und unser ganzes Leben, unser ganzer Freundeskreis hat sich von dem Dorf um Hamburg rum, nach Hamburg ums Millerntorstadion irgendwie gruppiert durch diesen Fußball. O-Ton 42 Uli Pfisaterer Interview Lehrgang 2 S.94 6.50 Wir arbeiten wirklich mit außergewöhnlichen Menschen auch..Also es ist immer noch innerhalb der vollblinden Gruppe, ist es immer noch creme de la creme, nicht weil sie jetzt unbedingt Fußball spielen, sondern weil sie ne bestimmte Art von Leuten sind, die jetzt also wirklich durch den spirit, durch den Geist, was sie machen, wieder ihr Leben aufbauen wollen, die Ängste überwinden. O-Ton 43 Michael Wahl S.43, 13.48 Das war ein riesen Verlust..Das war ne ganz ganz große Umstellung. Das hat mich auch lange Zeit gekostet, das so anzunehmen. Aber das kriegt man auch hin. Man gewöhnt sich schon dran...Man darf sich da nicht zurückziehen. Das macht es nicht besser. O-Ton 44 René Thissen, Bd. 6, S. 82 + 83, 1.32.00 + 1.35.00 Ja als Blinder, viele sitzen den ganzen Tag, wie ich zu der Zeit damals auch. Der Blinden-Fußball ist einfach für mich ein Sport, wo du auch als Blinder viel unabhängige Bewegungen hast, ohne dass du jetzt jemanden permanent dabei hast.. O-Ton 45 Uli Pfisterer Bd. 6, S. 100,22.04 Ich hab als Beispiel einen jungen Mann, der ist 16, bei mir in der Schule, der ist vor zwei Jahren erblindet, konnte damit überhaupt nicht fertig werden, hat also sich rumgeschmissen im Unterricht, rumgebrüllt usw. Kommt jetzt zum Blinden- Fußball. Und sein ganzes Umfeld - die Eltern, die Lehrer - denken, was es denn mit dem los? Der normalisiert sich ja total. Und zwar im Training, wenn der da so Veitsteufel spielen und rumbrüllen will, dann kommt, nicht ich, dann kommt einer der älteren blinden Fußballer und sagt, jetzt hörste mal auf damit...Und weil der genau weiß, Mensch der ist auch blind, der kann das und das, ich bin auch schon dicht dran. Und der redet da-von, dass er auch mal Nationalmannschaft spielt. Der kommt regel-mäßig zum Training, der macht seine Schularbeiten jetzt. Atmo 40 Am Strand Meer, Stimmen, Ballgeräusch Erzähler Der Trainer wollte nicht, dass die Spieler einen Ball mit zum Strand nehmen. Er fürchtet Verletzungen. Denn der Ball ist hart und schwer. Ihn barfuß zu schießen, tut weh. Schnell ist da ein Zeh gebrochen. Aber die Spieler haben ihren Trainer überredet und versprochen, vorsichtig zu sein. Wie selbstverständlich schieben sie sich die rasselnde Kugel hin und her, chippen sie hoch, stoppen sie artistisch. Die anderen Badegäste scheinen gar nicht zu bemerken, dass es Blinde sind, die da Fußball spielen, schwimmen oder lässig im Sand liegen. O-Ton 46 Thilo Nowak, S.78, 8.08 Bei den Trainingslehrgängen ist es so,..dass ich dann..als Trainingspartner einspringen musste und hab mich dann gezwungen, mal die Augen zu schließen und dann auch geschlossen zu lassen. Das geht gar nicht. Die haben mich reihenweise stehen lassen, haben sich natürlich halb totgelacht, weil sie ihren eigenen Physiotherapeuten hier ausgetrickst haben..Wenn man dann Körperkontakt mit denen hat und die machen ne schnelle Drehung, dann steht man da und denkt, was ist jetzt passiert. Und dann sind die schon zwei Meter weiter..Also dieses schnelle Sprinten und Rennen, was die machen, das habe ich mich nicht getraut..Aber das liegt natürlich daran, dass wenn man sehend ist, dass man eben diese Distanzen und dieses Hören, das haben wir nicht so wie diese blinden Menschen. Und von daher ist es für einen Sehenden, der die Augen einfach mal schließt, fast nicht umsetzbar. Ich hatte da schon Angst, weil die ziehen ja auch nicht zurück die Spieler. O-Ton 47 Michael Wahl S.40, 5.50 Ich sehe mich als jemanden, der einen Sinn weniger hat. Das ist eigentlich alles. Das ist in Deutschland so ein bisschen schwierig, weil das in der Gesellschaft, also die Blinden, na gut das ist ne beidseitige Sache, sie werden irgendwie weggesperrt, sie sperren sich aber auch selbst weg. Wenn man überlegt, wie viele Blinde es in Deutschland gibt..und die meisten Leute haben noch nie einen Blinden auf der Straße gesehen. Das ist das Gute am Fußball, dass wir mehr in der Öffentlichkeit stehen, das den Leuten auch sagt, es gibt blinde Menschen und die können auch sich selbst die Schuhe zubinden und sogar auf dem Platz rumlaufen und gegen Bälle treten. Das ist das was ich eigentlich sein will. O-Ton 48 Cengiz Dinc 2 S.7, 4.00/S.16, 34.16 Ich sehe mich hier weder als armer Blinder noch als Superstar. Ich sehe mich als Leistungssportler hier./Es wäre ein Riesending, wenn ich hier auch mal ein Tor machen könnte bei dieser EM ... morgen gegen Italien, wenn mir da ein Tor gelingen würde, dann schrei ich aber laut. Atmo 41 Thilo singt zur Musik 2.32 "No woman no cry". Thilo: Da wird die Wade gleich lockerer, nicht wahr mein Freund? Alles im Rhythmus. Das ganze Leben dreht sich im Rhythmus Erzähler Nach den anstrengenden Spielen gegen Frankreich und England und vor dem entscheiden Spiel gegen Italien, hat der Physiotherapeut noch einmal alle Hände voll zu tun. Verhärtete Waden werden gelockert. Lädierte Knöchel verarztet. Bis spät in die Nacht. O-Ton 49 Thilo Nowak S.75,2.42 Die Funktion von nem Physiotherapeuten in so einer Mannschaft ist ja nicht nur das Körperliche,.. sondern die Spieler kommen natürlich auch zu mir in mein Zimmer, um sich so ein bisschen auch mal von der Mannschaft zurückziehen zu können. Um für sich allein zu sein mit mir, tun ein bisschen ihr Herz ausschütten, wenn sie Sorgen haben.. Das ist sehr wichtig ´für die Spieler, weil einmal am Tag Ruhe zu finden, das ist nämlich in so einer Mannschaft, wenn man dann im Hotel immer aufeinander hockt gar nicht so einfach.. O-Ton 50 Michael Wahl S.48, 6.13 War zuviel Heckmeck, es waren zuviel Leute um mich rum, und ich hatte in bisschen mit dem Magen zu tun. Dann hab ich mich zurückgezogen, früh hingelegt und das tat dann auch gut. Erzähler Der eine hat Probleme mit der Freundin zuhause, den anderen nervt die autoritäre Art des Trainers. Manche sind unzufrieden mit der eigenen Leistung oder dem Umstand, bisher immer nur auf der Reservebank gesessen zu haben. Da wird auch schon mal heimlich ein Bier zu-viel getrunken oder eine Zigarette geraucht. Aber zu größeren Konflikte oder gar dem berüchtigten Lagerkoller kommt es nicht. Im Gegenteil: Die Spieler verstehen sich gut. Vielleicht auch weil sie wissen, dass sie aufeinander angewiesen sind. O-Ton 51 Heinrich Niehaus 1 S.34, 17.25 Die Betten sind okay, das Essen ist top..Die Bedingungen sind schon top, dass man mit so einem großen Betreuerstab anreisen kann. Dass wir hier mit nem Bus durch die Stadt gefahren werden. Da können andere Behindertensportarten nur von träumen. Dass man solche Bedingungen hat, um an internationalen Wettbewerben teilnehmen zu können. Und Physiotherapeut, das ist ja auch nicht selbstverständlich. Erzähler Der nächste Gegner heißt Italien. Eine erfahrene Mannschaft mit robusten Spielern. Atmo 42 Eröffnungsspiel Hymnen Italien 2.52ff O-Ton 52 Alex Fangmann S.24, 16.50 Italien..Da muss man gucken, dass man die nicht zu sehr reizt. O-Ton 53 Heinrich Niehaus 2 S.36, 3.30 Wir haben ja das Auftaktspiel gehen FR gesehen,..und nach dem Spiel musste man ja schon Angst bekommen, dass die uns in Einzelteile zerlegen und wir mit mehreren Invaliden aus dem Spiel rausgehen. Atmo 43 Italien Tore 1+2 Spielsequenz 1 "OK, Grundaufstellung!" Pfiff, Voi-Ruf, Knallen gegen Bande Atmo 44 Italien Tore 1+2 Spielsequenz 2 7:17-8.35 Atmo 45 Italien 3 Spielsequenz 3 Rufe, Anweisungen, an die Bande knallen 1:33ff O-Ton 54 Sven Schwarze 1 S.62, 4.45ff Ich bin keiner, der so gerne abwehrt, weil ich hab da schon ein bisschen Respekt vor den Leuten. Dass man sich da was tut. O-Ton 55 René Thissen, Bd.5,S.82, 1.33.00 Beim ersten Mal bin ich sicher nicht so..über den Platz geflogen wie jetzt, weil Gefühl einfach noch nicht so da war. Und jetzt ist es einfach, ok, ich weiß da kommt 'ne Bande. Das schlimmste, was mir passieren kann, ist, dass ich da vor renne und ... mir 'ne Rippe anschlage. O-Ton 56 Thilo Nowak 0:00, S.74 Meistens sind es bei den Blinden eher so Prellungen, weil sie natürlich schon durch Körperkontakt oft aneinander geraten, Prellungen, Umknicken, also an den Füßen Bänderüberdehnungen, Distorsionen, solche Geschichten. Aber kommen natürlich auch leider öfters auch mal größere Sachen vor, Nasenbruch oder Platzwunde am Kopf. Wobei eher bei den Leuten, die dann keinen Kopfschutz tragen. Atmo 46 Spielsequenz 4 Italien 1 Brüllen 0:36 Italien 2 Time out 4:22-6:42 4:22 Foul, Pfiff, 4:57 Ansage Foulspiel Italien 5:45 Physio: "Umgeknickt alle vier Finger." 6:42 Alex: "Ich weiß, wie sich ein gebrochener anfühlt. Das ist es nicht." O-Ton 57 Gerd Franzka, Bd.2, S.138, 1.11.08/1.12.23 Es gibt bei uns auch sehr brutale Spieler, die erst mal mit erhobenem Bein reingesprungen kommen. Nach dem Motto: Dann wird der schon vor mir Respekt haben. Dann erzwinge ich mir den Ball. Solche Spieler gibt´s. Oder es gibt Leute, die hören da irgendwo den Ball und hauen einfach irgendwie blöd..einem in die Knochen, in der Hoffnung, der Ball wird da schon in der Nähe sein. O-Ton 58 René Thissen. Bd..6, S.86/82, 1.44.21/1.33.00 Die größte Schwäche, die du als Blinder haben kannst, ist Angst. Weil jedes Mal wenn du Angst hast, denkst du, was könnte denn jetzt passieren? Und das schüchtert dich so ein, dass es dir die Konzentration raubt. Aber Angst darfst du als Blinder nicht haben. Das hindert dich im Leben nur. Erzähler Immer wieder prallen die Spieler aufeinander. Der Kapitän der deutschen Mannschaft wird so heftig gegen die Bande gedrückt, dass er ausgewechselt werden muss. Doch von der harten Gangart der Italiener lassen sich die deutschen Spieler nicht einschüchtern. Vielleicht auch weil sie merken, dass dieser Gegner gar nicht so stark ist, wie er scheint. Ein Tor liegt in der Luft. Atmo 47 Italien 1 Spielsequenz 5 1:24ff Ausruf, Beifall, Ansage "Corner Germany" Erzähler Damit auch die Ersatzspieler mitbekommen, was sich auf dem Spielfeld abspielt, kommentiert immer einer der Betreuer das Geschehen. Atmo 47 Italien 1 Fortsetzung 1:31ff Physio erklärt, was gerade passiert ist. O-Ton 59 Gerd Franzka Bd.2, S.137, 1.08.58 Also man kann ja wenig mit Körpertäuschung machen, weil mein Gegner ja auch nicht sieht, wie ich da rumhample. Aber was man schon kann, ist mit dem Ball..zum Beispiel nach links antäuschen,..und plötzlich zieht man ihn wieder zurück und zieht dann rechts vorbei. Da wird der Gegner schon mitgehen, weil er ja auf den Ball fokussiert ist. O-Ton 60 Alex Fangmann S.23, 12.00 Und das kann man manchmal auch ausnutzen, weil sich manche auch zu sehr am Ball orientieren und zu sehr draufgehen, die wollen immer nur an Ball und nicht das restliche Spielgeschehen verfolgen, und vergessen dabei, dass es nicht nur den ballführenden Spieler gibt, sondern noch weitere. Das ermöglicht natürlich so was wie gute Passwege.. Den Ball kurz still halten, so dass der kein Geräusch von sich gibt, sofort wieder Richtungswechsel einleiten u.ä ... und dann versuchen, dadurch die Lücke zu schaffen, die dann den Weg zum Tor frei macht. Atmo 48 Italien 1 4:30ff -5.30 Ital.Torwart, deutscher Guide, Tor für Deutschland, Jubel, Rufe, Spiel geht weiter bis Pfiff O-Ton 61 Gerd Franzka Bd.2, S.128, 47.00 Ich gehe rechts durch und kann noch aus Bedrängnis den Ball richtig gut rübergeben, und in dem Moment höre ich "Tor!" Aha! Jetzt hat mein Kollege den offensichtlich bekommen, und das Tor ist relativ schnell gefallen, also war mein Pass doch präzise genug, dass er nicht erst suchen musste den Ball, sondern er hat ihn sofort in die Beine bekommen..und knallt ihn ins Tor. Da weiß ich genau, das war ich jetzt mit.. Atmo 49 Italien 1 Kommentar für Ersatzspieler 6:21 Erzähler 2:0, 3:0. Was geht da vor sich? Innerhalb von fünf Minuten ist das Spiel entschieden. Es ist wie im Rausch. Atmo 50 Italien 1 "Geh Micha, geh!" Torjubel 6:01 Atmo 50b Italien 2 Time out Michael Wahl 0:38 Ich kann gar nicht trinken, weil ich so atme. (Atmen Micha) Das war aber Glück. Jeder Schuss ein Treffer. Atmo 51 Italien 3 Halbzeitpfiff und Beifall 3:14 Atmo 52 Italien 2 Time out Uli Pfisterer 8:28 Das ist ja so sensationell, dass es jetzt die Frage ist, die Ruhe zu bewahren. Wir sind auf so nem High. 4:0 könnte man sagen, kann nichts mehr anbrennen, aber jetzt müssen wir das Spiel ein bisschen verlangsamen. Wir sind alle voll auf Adrenalin im Moment. Jeder spielt über seinem was er machen kann." Atmo 53 Halbzeitansprache Ringo 1:05 Richtung Gesundheitsfaktor. Die Italiener sind jetzt sehr sehr hart und aggressiv.. Atmo 54 Italien 3 Spielsequenz 7 1:33ff Spiel O-Ton 62 Heinrich Niehaus 2 S.36, 4.30 Und die sind zum Glück nicht angefangen, dass die Frustfouls gemacht haben. Die haben ihre Fouls gemacht, aber nicht, dass die unsere Spieler komplett umgesäbelt haben. Atmo 55 Italien Jubel, Einwechslung Heinrich 3:44 Heinrich, was hast du für ne Nummer? 4:39 Pfiff Ansage Substitution Germany 4:58 "Allez Henri!" 4:02 Spielsequenz Atmo 56 Italien Jubel Medaillen 10.15 Schlusspfiff und Jubel, im Kreis hüpfen und singen O-Ton 63 Michael Wahl S.47, 4.19/5.51 Also mein Knie tut jetzt erst weh. Man kriegt das erst nachher mit. Im Spiel merkst du es nicht und jetzt zwickt´s ein bisschen und die Wade drückt. Aber das ist alles egal. Das ist morgen vergessen.. O-Ton 64 Heinrich Niehaus 2 S.35, 0:00/1.10 Heute war ein historischer Tag. Der erste Sieg einer Blindenfußball- Nationalmannschaft auf internationaler Ebene. Das war schon ein sehr erhebendes Gefühl kann ich sagen../Für mich auch ein besonderer Tag, weil es mein erstes Länderspiel war. Atmo 57 Jubel über Heinrich Atmo 58 Italien 2.Halbzeit Verteilen und Klimpern der Medaillen Erzähler Deutschland gewinnt schließlich auch das Platzierungsspiel gegen die Türkei und wird am Ende Fünfter. Jeder bekommt eine vergoldete Medaille und ein mit Blindenschrift bedrucktes T-Shirt des Veranstalters. Und sogar einen Pokal erringt das Team. Für den jüngsten und fairsten Spieler des Turniers. O-Ton 65 Uli Pfisterer, Bd. 6, S. 102 27.24 Das Spiel war zu Ende, riesige Umarmungen, und nicht nur Umarmungen wie man sagt, ja gut gespielt, sondern es war ganz klar, ... wir sind spezial, wir sind alle blind, wir sind eine Familie. Und nachher haben die gesungen zusammen usw. Also, alles aus sich rauszuholen, trotz der Behinderung, allen zu zeigen, sich selber, was man machen kann, und dann den Sport im besten Sinne als Freundschaft noch dazu zu haben und Kontakte zu machen, ... was besseres kannste gar nicht haben. ... Und das hat der normale Fußball nicht ... Atmo 59 Stimmen Musik nach Italien, Interview spanisch 0:15ff Erzähler Einer gibt einem spanischen Fernsehsender ein Interview. Ein anderer schreibt sogar für Schulkinder Autogramme. Alle wollen noch ein Foto von der Mannschaft. Einladungen zu Freundschaftsspielen werden ausgesprochen. Neue Reisen nach Moskau, Athen, Barcelona verabredet. Jeder genießt sein Glück. Atmo 60 Stimmen Musik nach Italien Uli und Cengiz 1:35 Szenenbeschreibung, Lachen, "Foto mit uns?" O-Ton 66 Uli Pfisterer, S.91, 30.40 Diese Gesichter, dieses Stolze nach dem Spiel, ganz egal ob du gewonnen hast oder nicht, oder..dass sie ne Entscheidung treffen müssen und ne existenzielle Angst überwinden, das sind riesige Erlebnisse. Atmo 61 Stimmen Musik nach Italien ab 2:40-3.15 Atmo 62 Jubelgesang 1.15 Wer muss auf Toilette. Hier! Der Zug fährt ab. Freizeit! Atmo 63 BALLROLLEN NAH Bd. 3, S. 42, 42.11 Erzähler Irgendwo auf dem Spielfeld liegt noch der Ball. Er sieht ramponiert aus. Überall Streifen und Risse. Einer der Spieler schubst ihn an. Er rollt aufs Tor zu. Doch das Rasseln ist kaum noch zu hören. Ist der Ball am Ende auch müde geworden? O-Ton 67 Gerd Franzka, Bd.2,S.140, 1.18.08/S.139,1.17.00 Wie ne flache kleine Cremeschachtel ist so ein Döschen, was mehrere Kugeln beinhaltet. Und mehrere von solchen Schächtelchen sind auf den Ball verteilt..zwischen Blase und Hülle..geklebt ... Im Ballinnenraum ist nichts..Je länger der in Gebrauch ist, umso öfter sind solche Döschen auch mal an harte Gegenstände gekommen, ob das der Fuß, der Pfosten oder ne Wand war. Und das heißt die beulen ein und die Klappersteinchen, die verklemmen, die Bälle werden nach und nach immer ruhiger, und irgendwann klappern sie gar nicht mehr und dann kann man sie wegschmeißen. / Der Ball wird stumm. 1