COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Nachspiel 21.10.2007 Funsport oder Killerspiel? Die deutsche Paintball-Szene und ihre Kritiker Von Fritz Schütte Take 1 Pelle Die Waffen haben alle auf der linken Seite direkt über dem Abzugshahn die Abzugssicherung. Wenn ihr nachher mit dem Finger hier drüberfasst, dann merkt ihr, da ist ein kleiner schwarzer Knubbel. Den kann man zurückziehen. In aller Regel kommt ein roter Punkt zum Vorschein. Das heißt, die Waffe ist scharf. Nicht erschrecken! (?.Schüsse?) Pressluft entweicht. Die an die Waffe geschraubte Flasche steht unter 200 bar Druck. Take 2 Wer nicht weiß, was 200 bar sind. Das ist eine Wassersäule von zwei Kilometern senkrecht gen Himmel. Wer Langeweile hat, kann sich auf dem Alex hinstellen und damit die Kugel vom Fernsehturm ?kärchern?, der braucht nicht mal ein Außenteam rauschicken, ja? Ein bisschen Respekt kann nicht schaden, meint Pelle. Viele seiner Kunden haben zum ersten Mal eine Waffe in der Hand. Take 3 Aber keine Angst! Dieser Druck in der Flasche hat nichts mit dem Bums der Kugeln zu tun. Der wird hier unten runter geregelt. Ihr kriegt mit den Flaschenfüllungen ganz entspannt eure fünfhundert Murmeln raus. Die Murmeln sind mit Lebensmittelfarbe gefüllte Gelatinekugeln, die beim Aufprall platzen. Atmo 2 ? angezahlt hattet ihr ja? Das Spielfeld von ?Gotcha-Berlin? in Garzau liegt abseits der Straße in einem Waldstück neben dem ehemaligen Bunker der Nationalen Volksarmee. In einem aus rohen Brettern gezimmerten Unterstand verteilen Mitarbeiter die Ausrüstung: ?so, dann kriege ich von dir 19,95. bunte Farbkugeln in Plastikbeuteln, Masken mit Brille und Mundschutz und die Waffen, die Markierer genannt werden. Die meisten Jugendlichen leisten sich das Abenteuer einmal im Jahr, denn es ist nicht gerade billig. Take 4 Pro Person erstmal für die Ausrüstung 45 Euro. Das sind fünfhundert Paints. Wenn du dann Paints nachkaufen willst. Fünfhundert Stück fünfzehn Euro. Das ist okay. Über einen Holztisch gebeugt füllen David und Alex die Munition in einen Plastikbehälter, der auf den Lauf geschraubt wird. Atmo 3 Au, das war es. Komm! Halt auf! Es sollte nichts daneben gehen, denn schmutzige oder verformte Kugeln könnten stecken bleiben. David, Alex, Nadine und Chrissie sind Anfang zwanzig. Sie studieren oder machen eine Ausbildung. Matze hat sich bei der Bundeswehr verpflichtet. Atmo 4 Ich spiel mit Matze. Also, haben wir doch vier. Und Bernd hier. Take 5 Pelle Okay. Zum Spielablauf. Die meisten spielen hier Eliminator. Eliminator ist eine ganz einfache Geschichte. Da werden zwei Teams gebildet, man zählt einen Countdown runter, ?drei, zwo, eins, los?, und versucht so viele Gegenspieler zu markieren, wie es nur geht. ?Einigt euch vorher auf Regeln!? rät Pelle. ?Das erspart hinterher Streitereien.? Take 6 Wer getroffen ist, bitte Hand übern Kopf, damit sichtbar ist, dass er raus ist. Wenn ihr so jemanden auf dem Feld seht, das Feuer auf den einstellen! Atmo 5-8 In Deutschland ist der amerikanische Fun-Sport vor zwanzig Jahren durch einen Kinofilm bekannt geworden: ?Gotcha- Ein irrer Trip?. Gotcha ist das Freizeitvergnügen auf Wald- oder Fabrikgelände. Die sportliche Variante heißt Paintball. Take 7 Jetzt geht ein Team vor, ja? ? und raus mit den Pfropfen? David zieht den gelben Pfropfen aus dem Lauf von Nadines Markierer. Die Waffe lässig an der Seite baumelnd, machen sich die beiden an die Verfolgung der gegnerischen Mannschaft, die in einem durch grüne Netze abgetrennten Waldstück verschwunden ist. Es dauert nicht lange, bis die ersten Schüsse fallen. Kurz darauf taucht Nadine wieder auf. Take 8 Ich wollte mich anschleichen und habe den Ball noch so fliegen sehen. Aber es war dann zu spät. Fünf Minuten später sind alle versammelt. Take 9 Und dann hat es einmal ?zack? gemacht, und das warst du.. Alex und David waren die letzten. Es ist noch nicht ganz klar, wer überhaupt gewonnen hat. Atmo 9-10 Take 10 Ich dachte die ganze Zeit, dass du noch weiter schießt. Am besten ist, - das können wir mal ausmachen, - wenn man tot ist, Pfropfen drauf. Das Ganze erinnert an Kinderspiele auch in der Sprache. ?Wer tot ist, Pfropfen drauf!? David nimmt die Maske ab und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Take 11 Ey, ich kann nicht mehr. Er ist ein bisschen zu warm angezogen in seinem alten Mantel. Take 12 Das ist geil. Macht Spaß ohne Ende. Matze schießt aus der Hüfte auf eine kleine Tonne, von der die Farbe nur so herunterkleckert. Katie hat während des Spiels nicht eine einzige Kugel abgefeuert. Take 13 Hast du nicht einmal geschossen? - Ne. - Na, dann schieß doch gegen die Tonne. - Ich treffe die ja nie ?. Atmo 11 Beim nächsten Spiel ist die Stimmung angespannt. Auch Nadine entwickelt sportlichen Ehrgeiz. Take 14 Chrissie, geh mal eine Säule vor! - Atmo 12 Take 16 Wenn man so spielt wie wir zum ersten Mal, ist es hauptsächlich Glück, ob man getroffen wird oder nicht. Take 15 David, ha, ha ?- Der war doch schon tot. ? Nein? Take 16 Man denkt die nächsten zwei Sekunden weit. Guck ich jetzt mal kurz vor, oder fliege ich dann gleich aus dem Spiel raus? Also, viel mehr Planung ist da im Moment nicht. Wenn man da von Deckung zu Deckung rennt, dann ist man erstmal fertig und kann dann vielleicht fünf bis zehn Sekunden nicht mehr geradeaus sehen. Zumindest mir geht es so. Take 17 ?., und er, dadada, weil ich mich auf den hier konzentriert habe? Es wirkt ein bisschen peinlich, wenn sich Erwachsene beim Spielen wie Kinder benehmen? Take 18 ?.mein Freund, du bist dran. Gleich von hinten kriegst du einen?. Darf ein Erwachsener überhaupt so hemmungslos infantil sein? Take 19 Warum nicht? Macht ja Spaß, sich mal so gegenseitig ein bisschen abzuknallen. - Jetzt mach nicht so eine Hetze! Wir haben schon mit den Killerspielen genug zu tun. Bei vielen setzt an dieser Stelle Selbstzensur ein vor allem den Medien gegenüber, denn in der öffentlichen Meinung gilt Gotcha oder Paintball als Gewalt verherrlichend und menschenverachtend. Atmo 13 und 16 Drei, zwei, eins ?. Ansage ? linker Cover, rechter Cover. ? Ein Spielfeld ist für Sportler reserviert. Der Rasen ist gemäht. Deckung bieten bunte mannshohe Plastikkissen in unterschiedlichen Größen und Formen. Das Spiel ist schnell. Die Kommandos wirken hektisch. Take 20 Ich spiele seit 2004. Ja, und dann haben wir erstmal nur im Wald gespielt, weil das für uns erstmal nur eine Fun-Sache war. Und irgendwann wurde es dann langweilig, weil, das ist dann mehr so lauern und warten und rumliegen, und wir wollten halt mehr action. Kevin trägt ein grünes Shirt, wie man es vom Football her kennt, und eine schwarze Hose mit Polstern an Hüften und Knien, die ihn beim Hechtsprung in die Deckung schützen sollen. Take 21 Die sind halt wirklich sehr robust. Als Arbeitshosen sind sie das Allerbeste, weil die echt nicht kaputt gehen. Kevin hat viele Sportarten ausprobiert, Fußball, Basketball, Kampfsport, bis er schließlich bei Paintball hängen geblieben ist. ?Für eine gute Ausrüstung?, meint er, ? kann man mit allem Drum und Dran zirka eintausendfünfhundert Euro hinblättern.? Der Markierer ist ausgefuchste Technik. Dennoch ist die Treffsicherheit nicht besonders hoch, denn Gelantinekugeln haben keine guten ballistischen Eigenschaften. Take 22 Was man nicht mit einem Schuss trifft, das muss man mit mehreren Schüssen nacheinander treffen. Darum trainieren die Spieler auch, so schnell wie möglich zu schießen um eine möglichst hohe rof zu erreichen, das heißt rate of fire. Im Turniersport sind fünfzehn Bälle pro Sekunde erlaubt. Wie bei jedem anderen Sport auch ist Fitness Voraussetzung und regelmäßiges Training. Take 23 Wir trainieren erstmal basics, also, Deckungsverhalten, Kommunikation, dass sich die Spieler gegenseitig die Gegenspieler ansagen, was das Spiel wesentlich vereinfacht, weil man nicht aus der Deckung gucken muss, um zu sehen, wo einer ist. Wenn der sagt, der ist hinten rechts im Cover, dann weiß der Spieler, okay da hinten rechts ist einer, auf der rechten Seite nicht rausgucken. Atmo 14-15 Gut? Drei, wie, eins, go ?. Rechter Cover, rechte Tonne, Center ? Im ersten Spiel sind Kevin und seine Mitspieler von den Gegnern regelrecht überrumpelt worden. Im zweiten Durchgang zeigt sich dann aber, dass sie das besser eingespielte Team sind. Take 24 Glücklich ist, wenn der Gegenspieler überhaupt nicht mitbekommt, dass man die Position verlassen hat. Dann steht man schon neben ihm und ?puff?. Dazu gehört aber auch eine Menge Glück. Das klappt nicht immer, weil es bei den Profiligen so ist, dass einzelne Spieler generell Gänge zu machen. Die stehen auf einer Position und schießen quasi einen Strahl quer durchs Feld, und wenn ein Spieler da durchrennt, dann geht ein Ball auf, und er ist raus. Bei Turnieren dauern Spiele zwischen drei und sieben Minuten. Wenn die gegnerische Fahne erobert ist, wird früher abgepfiffen. Take 25 Es geht nicht darum, die anderen Leute wegzuschießen oder denen weh zu tun, sondern es geht einfach nur darum, die Fahne zu holen. Atmo 15 ausblenden Take 26 Oertzen Ich persönlich halte das für keine Sportart. Da wird auf Menschen geschossen, wenn auch simuliert, und das kann ich mit vielen Grundsätzen, die wir haben, ? die Menschenwürde halte ich für ein ganz hohes Gut ?, das passt nicht zusammen. Dirk Oertzen ist Vorsitzender der SPD-Fraktion im Stadtrat von Winsen an der Luhe, und hat mit darüber zu entscheiden, ob ein solches Spiel im örtlichen Sport- und Fitnesszentrum Shape-Sport gespielt werden darf. Take 27 Wir glauben, das ist kein Sport. Und deswegen kann es da nicht stattfinden. Vor einigen Jahren beantragte Shape-Sport eine baurechtliche Nutzungsänderung für eine Halle, die ursprünglich für Indoor-Tennis angemeldet war. Da das aber kaum noch Anklang findet, solle nun Reball gespielt werden. Reball ist nichts anderes als Paintball mit weichen Kautschukkugeln, erfuhren die Ratsmitglieder. Man kann sie wiederbenutzen, was das Spiel erheblich kostengünstiger macht. Das Thema schlug hohe Wellen. Die SPD lud Politiker, Polizisten und Sportler zu einer Podiumsdiskussion ein. Das Ergebnis war das aller Podiumsdiskussionen, meint Dirk Oertzen. Standpunkte ändern sich nicht, sondern werden eher noch bestärkt. Take 28 Es blieb also dabei, dass viele ältere Beteiligte gesagt haben: ?Um Gottes willen, was ist das denn? Es kann nicht sein, dass so etwas legalisiert wird.? Und es gab die Jugendlichen, die gesagt haben: ?Lasst die das doch hier spielen. Mehr ist das doch nicht.? Dirk Oertzen ist 43. Sein sechzehnjähriger Sohn, sagt er, sieht die Sache anders. Die Jugendorganisation der FDP setzt sich sogar öffentlich für Paintball ein, obwohl das Ratsmitglied gar nichts davon hält. Atmo 17 Wochenmarkt in Winsen an der Luhe. Am Informationsstand der CDU schüttelt Fraktionsvorsitzender Andre Bock die Hände älterer Mitbürger, mit denen er in Sachen Paintball sicher nicht einer Meinung wäre. Take 29 Mein Eindruck ist der, dass es eher was Spielerisch-sportliches an sich hat. Es ist ja auch nicht so, dass die Herrschaften da in Tarnklamotten oder dergleichen rumlaufen. Es ist zwar eine Schutzkleidung aber schon sportlich aussehend. Die Geräte sind zwar gewehrähnlich aber letztlich auch wie eine Art Sportgerät zu sehen. Und es ist nicht so, dass da eine Art Tötungswille irgendwo im Hinterkopf ist oder im Vordergrund stehen würde. Andre Bock hat sich Reball auch mal angesehen. Shape-Sport hat alle Ratsmitglieder dazu eingeladen. Dirk Oertzen allerdings hat den Termin ganz bewusst ausgelassen. Take 30 Also, ich habe da keinen Informationsbedarf. Es wird für mich nicht anders, dadurch, dass ich mal angucke, wie es live funktioniert. Ich glaube, alle, die entschieden haben, dazu gehöre ich auch, wissen sehr wohl, was Reball ist und lehnen es genau aus diesem Grund ab. Atmo 18 Take 31 David Wolters Und so, ja so stehen wir da. Was soll man noch groß sagen? Und das geht jetzt schon zwei Jahre so. Die Anlage steht halt so unbenutzt, und wir können nicht spielen, ne. David Wolters ist bei Shape-Sport zuständig für Reball. Er gehört zu einer Mannschaft aus dem siebzehn Kilometer entfernten Lüneburg, die sich Rocket-Dipsticks nennt. Hinter einem Netzvorhang liegt das Kunstrasenfeld mit gelben Plastikkissen, die beim Spiel als Deckung dienen sollen. In einer Kammer die Leihmarkierer, Schachteln mit Bällen und Kehrschaufeln, um sie wieder einzusammeln. Take 32 Steht alles rum. Das letzte Mal dürfte das Material zum Einsatz gekommen sein, als die Rocket-Dipsticks einem Teil der Winsener Ratsmitglieder ihre Sportart demonstrierten, in der Hoffung sie von deren Harmlosigkeit überzeugen zu können. Take 33 Da war die Stimmung eigentlich ganz gut, aber trotzdem gab es dann immer wieder eine Ablehnung. Ich habe so persönlich das Gefühl, dass die sich nicht damit richtig auseinandersetzen wollen oder informieren auch. Das hat man so gemerkt im Schriftverkehr, dass die manchmal gar nicht wissen, worum es wirklich geht. Und wenn man mal über den Tellerrand guckt, merkt man, was in Deutschland passiert mit dem Sport. In Deutschland ist Paintball erst ab achtzehn erlaubt. David Wolters hat nach dem Zivildienst angefangen zu spielen. Seitdem hat ihn der Sport nicht mehr losgelassen. Take 34 Das ist halt voller Adrenalin. Der Körper ist total in action, man spielt aber im Kopf langsam Schach. So ungefähr kann man sich das vorstellen. Da es in der näheren Umgebung kein Spielfeld gibt, müssen die Rocket- Dipsticks zum Training bis ins über hundert Kilometer entfernte Helmstedt fahren. Take 35 Bei unserem Team, was gibt es da für Leute? Da ist durchweg alles von Studenten, Ärzte, bis hin zu welchen, die bei Airbus- Lufthansa arbeiten. Also nur so Leute. Wir haben Ärzte, die gehen morgens ins Krankenhaus und operieren und spielen abends mit uns Paintball. Sind alle verheiratet, haben alle Kinder. Das ist schon traurig, dass man das überhaupt erzählen muss. Wir sind ein ganz normales Team, wie ein Fußball-, Basketballteam sind wir nun mal ein Paintball -Team. Und da ist einfach nichts dabei. Take 36 Es ist immer dasselbe. Man muss sich als Paintballer immer rechtfertigen, weil es heißt: Ihr spielt ja irgendwie Krieg, oder wir sind irgendwie ein Wehrsport, wir werden in die rechtsradikale Szene gerückt, ne. ?Ich will dir mal was zeigen? sagt David. Auf einem Regal in seinem Büro sind bunte Kartons aufgereiht. Pumpgun steht drauf und Sturmgewehr. So etwas kann man in jedem Spielzeugmarkt kaufen. Take 37 Da sind die Patronen drin und oben hast du so ein Zielfernrohr und die Kugeln, die sehen so aus, so klein. (?Schüsse?) So, und das ist ja wohl krass, oder nicht? Aber das ist in der EU zugelassen. Und das ist ab vierzehn Jahre erlaubt. Die Waffen sehen nicht nur täuschend echt aus, man kann mit ihnen sogar starke Pappe durchschießen. David hat das den Besuchern der Podiumsdiskussion vorgeführt. Das hier zum Beispiel, das ist ab drei Jahren erlaubt ? (?Schüsse?) ? Das kann auch mal ganz böse ins Auge gehen. Zitat 1 Sprecherin Befürchtungen hinsichtlich realer Gewalt und Verrohung lassen sich für die deutsche Paintballszene nicht bestätigen. Es handelt sich um normale junge Männer und Frauen mit konventionellen Lebensentwürfen. Das ist das Ergebnis eines wissenschaftlichen Gutachtens. Die Autorin Linda Steinmetz ist Soziologin und hat über die Paintballszene ihre Doktorarbeit verfasst. Gerade die schärfsten Kritiker, schreibt sie, machen sich, bevor sie urteilen, oft nicht die Mühe, sich dem Thema zunächst einmal wertneutral zu nähern, zu beobachten oder selbst am Geschehen teilzunehmen. Denn wer Paintballspielern zuhöre, dem werde sehr bald deutlich, dass es sich eher um Endorphin-Junkees handelt als um verstörte Militaristen. Zitat 2 Sprecherin Du liegst im Wald ?.. und jetzt freie Fläche. Ist da noch einer, oder nicht? Und dann, wenn du losrennst?. dieser Adrenalinpush ? ist unbeschreiblich. Werde ich erwischt? Schaff ich es bis zur Fahne? Komme ich wieder zurück? Wo sind die anderen? Das ist es, was einem da den so genannten Kick gibt. Zitat 3 Sprecherin Ich weiß ja, dass mir nichts passieren kann. Es sind doch nur Farbkugeln. Aber die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit verschwimmen. Du merkst eigentlich nicht mehr, dass du nur vom Spielfeld runter müsstest, um wieder in einer anderen Welt zu sein. Du glaubst, es ist echt und hast Angst. Angst getroffen zu werden, zu langsam zu sein, nicht schnell genug zu rennen. Du rennst wie um dein Leben. Das Herz schlägt dir bis zum Hals. Du machst dir fast in die Hose, so aufregend ist das. Und hinterher bist du unheimlich entspannt und auch im Kopf ganz klar. Atmo 19 Verwaltungsgericht Lüneburg. Vor der zweiten Kammer geht es um die Klage der Schlüter & Frobel GbR gegen den Landkreis Harburg. Schlüter und Frobel sind die Betreiber von Shape-Sport und der Landkreis Harburg die zu diesem Zeitpunkt für die Stadt Winsen an der Luhe zuständige Bauaufsichtbehörde. Die Anwälte haben Platz genommen. Dirk Baumann aus Göttingen ist Justitiar des Deutschen Paintballsportverbandes und hat dem Gericht schon einige Unterlagen zugeschickt. Take 38 In tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht haben wir sehr umfangreich vorgetragen, die Gegenseite allerdings eher sparsam und auch nicht besonders stichhaltig. Den Landkreis Harbug vertritt Hans-Christian Schimmelpfennig. Take 39 Wir sagen mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass diese Spiele gegen die Menschenwürde verstoßen, gegen den Schutz der Menschenwürde. Das ist ein Begriff, der im Grundgesetz, wie Sie wissen, in Artikel eins steht. Auf den Zuschauerbänken sitzen die Spieler der Rocket-Dipsticks. Einer von ihnen diktiert einem Journalisten in den Notizblock, dass Reball Paintball ist mit wiederverwendbaren Kugeln, und dass man nicht Gewehr sagt, sondern Markierer ? Take 40 ?weil wir damit nur den Gegenspieler markieren wollen. Wir wollen damit nicht auf irgendjemanden schießen im Sinne von Tötungsgedanken, und es ist auch völlig unerheblich, wo wir den Gegner markieren, egal ob an seinem Markierer selbst oder nur an der Fußspitze. ?? Und wer markiert ist? ?.. Der ist raus. Atmo 20 Die Richter betreten den Saal. Die Tür wird geschlossen. Der Anwalt des Landkreises zitiert ein Urteil, das sich aber offenbar auf ein anderes Spiel bezieht. Ziemlich bald wird deutlich, dass weder er noch die Richter genau wissen, worum es geht. ?Die Kammer muss prüfen, nach welchen Regeln dieses Spiel abläuft?, sagt der Richter. ?Könnte man sich wenigstens mal so einen Ball ansehen?? Einer der Spieler schnappt sich seinen Autoschlüssel, um von zu Hause Beweismaterial zu holen. Nach einer dreiviertel Stunde ist die Verhandlung beendet. Atmo 21 Geht es um simuliertes Töten zu Unterhaltungszwecken? Werden bei Shape-Sport in Zukunft Hemmungen im Bereich der Gewaltdelikte abgebaut? Darüber werden die Richter jetzt beraten. Take 41 Sie können morgen früh auf der Geschäftstelle den Tenor der Entscheidung abrufen und die schriftlichen Entscheidungsgründe in ein bis zwei Wochen. - Alles klar?. Take 42 Wartet ihr noch mal kurz. Wir wollen noch ein Foto machen. Ruhig halten, bitte! Und jetzt stellt ihr euch?. Die Journalisten postieren die Rocket Dipsticks vor dem Schild ?Verwaltungsgericht?. Atmo 22 Der Anwalt erklärt noch mal, worum es ihm geht? Take 43 Was mir nicht schmeckt ist, dass die Verwaltung hergeht und die schwerste Keule herausholt, die unser Grundgesetz zu bieten hat, die Menschenwürde, und auf Menschen herabsausen lässt, die sich gleichberechtigt mit Gummikugeln beschießen. Dann muss ich auch hergehen und muss Fechten verbieten, Boxen verbieten. Zitat 4 Sprecherin Auch wenn der kulturelle Wert einer solchen Spielhandlung zweifelhaft sein mag, so bleibt doch festzuhalten, dass für den Spieler der eigene Erfolg im Wettkampf im Vordergrund steht und nicht das Vergnügen, andere zu quälen. So heißt es in der Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts Lüneburg. Zitat 5 Sprecherin Es handelt sich nicht um eine lustvolle Teilnahme an fiktiven Tötungshandlungen. Shape-Sport hat einen rechtlichen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung. Dennoch wird bei Shape-Sport in Winsen immer noch nicht Reball gespielt, denn der Landkreis hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Take 44 Stoiber Killerspiele gehören in Deutschland verboten. Sie animieren Jugendliche, andere Menschen zu töten. Besonders der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hat so genannte Killerspiele für die Amokläufe von Schülern in jüngster Vergangenheit verantwortlich gemacht. Auf sein Betreiben hin wurde das Ziel, diese Spiele zu verbieten, in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung aufgenommen. Im Februar hat Bayern einen Gesetzentwurf eingebracht, der Vertrieb und Herstellung von virtuellen Killerspielen unter Strafe stellt und Veranstaltung und Teilnahme an realen Killerspielen, bei den Schusswaffen benutzt werden, verbietet. In der Anlage heißt es: Zitat 6 Sprecherin Nicht erfasst werden gesellschaftlich anerkannte traditionelle Sportarten, wie etwa das Fechten. Bei diesen Sportarten steht der Zweck der körperlichen Ertüchtigung im Vordergrund. Die Gefahr, dass Gewalt verharmlost wird, besteht nicht. Auch Verhaltensweisen wie ?Cowboy- und Indianerspiele? unter Kindern und Jugendlichen bleiben vom Anwendungsbereich des Ordnungswidrigkeitstatbestandes ausgenommen. Georg Schmid ist Staatssekretär im Bayerischen Innenministerium. Take 45 Telefoninterview mit Schmid Wir von Seiten der Bayerischen Staatsregierung haben es für zwingend erforderlich gehalten, in diesem Bereich aktiv zu werden, damit solchen Untrieben endlich ein Ende gesetzt wird. - Nun hört man immer von Verteidigern dieser Sportarten Paintball oder Gotcha ?. die sagen meistens: dann müsste auch Fechten verboten werden, Kickboxen, Boxen. Wie ist das dann zu trennen? - Also Schusswaffengebrauch ist doch ein bisschen was anderes. Da wird gezielt gefordert in diesem Sport, den anderen mit diesen Schusswaffen zu treffen, und dass es dann auch Menschen gibt, junge Leute, die labil sind, und das dann übertragen wollen sozusagen ins reale Leben hinein, diese Gefahr ist verdammt groß. Und deshalb haben wir uns entschlossen, hier einen klaren Strich zu ziehen. - Dennoch bleibt die Frage offen, warum Fechten nicht darunter fällt. - Also Fechten hat jetzt aber wirklich nichts mit Schusswaffen zu tun, die sozusagen anleiten, wie ich den anderen treffen kann, um ihn zu töten. Ich halte das für unverantwortlich, gerade junge Menschen in diese Situation hineinzubringen, dass sie bewusst versuchen andere zu treffen, die Tötung zu simulieren. Aus meiner Sicht ist das menschenverachtend, und deswegen muss es verboten und untersagt werden. - Gibt es denn eigentlich Erkenntnisse über die Paintballsportszene, also darüber, wie sich die Leute verhalten ? ? Natürlich gibt es da wissenschaftliche Untersuchungen, psychologische Untersuchungen ? Der Staat muss sich die Frage stellen: will ich das positiv begleiten, oder sehe ich da Grenzen überschritten? Und wir in der bayerischen Staatsregierung sind der Meinung, dass das menschenverachtende Spiele sind, wenn es darum geht, zu versuchen den anderen zu töten oder zu verletzen unter Einsatz von Schusswaffen. Das kann der Staat so nicht akzeptieren und so nicht dulden. Und deswegen haben wir gesagt: wer das trotzdem macht, wer solche Spiele veranstaltet, der handelt ordnungswidrig genauso wie der, der an solchen Spielen teilnimmt. Atmo 23-24 Wenn sich die CSU mit ihrem Gesetzentwurf durchsetzt, könnte Paintball-World im brandenburgischen Trebbin seine Pforten schließen. Dass es so weit kommt, glaubt hier niemand. Das Ganze sei ein Generationenproblem. Take 46 Javier Das ist, denke ich mal, wie in vielen Sachen: man hat Vorurteile. Aber wenn man hinter die Kulissen blickt, dann sieht man schon: das ist definitiv ein Sport, er hat sich weiterentwickelt und entwickelt sich in einer Geschwindigkeit, die ernorm ist. Javier Primo de la Fuente gilt als einer der besten Paintballspieler. Er wohnt in Berlin, spielt aber bei den Frankfurt Syndicates in der Millennium Series, der Champions League des Paintball. Schwer zu beschreiben, was den Reiz des Sports ausmacht. Take 47 Also, da muss im Körper was passieren, dass du so hochgepusht wirst. Das ist enorm. Ob es Adrenalin ist? Angst? Ich weiß nicht, was der Körper macht, aber es ist phänomenal. Ich habe früher Triathlon gemacht oder Mountainbike, aber so extrem habe ich das noch nie erlebt. Das Spielfeld misst vierzig mal fünfzig Meter und ist mit Kunstrasen ausgelegt. Die Spieler ducken sich hinter bunte Plastikkissen. Das Mittlere hat die Form eines großen X. Zum Turnier sind sieben Mannschaften gemeldet. Sie heißen Deja Vu, Paint Off oder Farblos Berlin. Karsten Klingbeil betreut das Team von Rebirth. Take 48 ?jetzt haben sie sich entschieden vorzugehen in die snake, um das Feld von der rechten Seite nach links aufzuräumen. Jetzt ist einer raus. Es sind noch vier Spieler drinnen. So wie es sich anhört. ist es gleich vorbei ? mal schauen? das heißt, um die linke Seite braucht er sich nicht mehr zu kümmern. Jetzt passt er rechts auf, damit sein Kollege vorrennen kann. Aber man hört, es ist sehr ruhig. Einer der Schiedsrichter kontrolliert, ob die Spieler, die übrig sind, nicht vielleicht doch einen Farbklecks abgekommen haben. Ein anderer fegt die bunten Kugeln zusammen, die sich am Spielfeldrand wie welke Blätter häufen. Atmo25-26 Thomas füllt bunte Farbkugeln in Plastikrohre, die er in den Patronengurt seiner Hose steckt. Take 49 Ich habe hundertfünfzig bis zweihundert Schuss in meinem Hopper und fülle dann aus denen immer hundertvierzig nach. . Ein Paintballspieler gibt rund 250 Euro im Monat für sein Hobby aus. Bei einem Turnier verschießt eine Mannschaft mehrere Kisten Paints für einige hundert Euro. Take 50 Kommt darauf an, mit wem man spielt, und wo man spielt. Es gibt auch Spiele, da verschießt man gerade mal zehn Schuss, und das war es. Profis schießen nicht nur im Laufen, sondern auch noch während des Hechtsprungs in die Deckung. Es geht darum, den Gegner ständig unter Druck zu setzen und sich selber nicht dominieren zu lassen. Take 51 Javier Es gibt Teams, die haben Budgets von zwei Millionen oder so, die überlegen sich natürlich eine Menge mehr, wie sie in jeder Situation noch agieren können. Du spielst wirklich Schach im Kopf. Du hast immer Varianten, was du machen kannst. In den USA wird Paintball ganz normal im Sportfernsehen gezeigt, in Deutschland bisher nur gelegentlich in einem lokalen Privatkanal. Sicherlich sind eine Menge Zeitlupeneinstellungen erforderlich, denn das Spiel ist sehr schnell. Take 52 Karsten (Pfiff) Jetzt haben sie zwei Spieler nach außen geschickt, der Rest bleibt hinten und versucht zu verhindern, dass die anderen in ihre Positionen reinkommen. Die beiden Außenseiten halten gut ihre Positionen, jetzt geht der andere in die snake. Beide zur gleichen Zeit gemovet. Das war sehr gut. Dadurch konnten die Gegner nicht wirklich sehen, was passiert. Oh, jetzt ist es vorbei, jetzt ist es gleich vorbei. Das war es. Spiel vorbei. Wahnsinn ? Obwohl Paintball in der öffentlichen Meinung nicht aus der Schmuddelecke herauskommt, wächst die Gemeinde stetig. Das mag daran liegen, dass die jüngere Generation andere Informationsmedien benutzt als die ältere. Aber im Grunde könnte Paintball ein Sport für jung und alt sein, meint Javier. Take 53 Javier Vor zwei Wochen war hier Fun-Turnier. Da ist am nächsten Tag eine Frau hergekommen. Die konnte nicht mehr schlafen. Ab vier Uhr war ich wach. Und ich habe nur über den Sport nachgedacht. Und ich will das wieder spielen. Das war eine Frau, die war 45, wo ich gedacht habe, okay das ist genau das Richtige. Paintball ist ein Massensport. In Amerika ist das ein Massensport. Jeder spielt das und, wenn er Bock drauf hat, geht er in der Woche irgendwohin und spielt. Jeder, der hierher kommt und das sieht, sagt: ?Ihr seid zwar alle verrückt, aber es ist eine lustige Sache, und ihr habt eine Menge Spaß dabei.? 1