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Sprecher: Kopfschüttelnd steht Wolfgang Stöckmann in seiner kleinen Lagerhalle in Gödenstorf vor den Toren Hamburgs und schaut auf eine Tonne, die mit den Leibern zehntausender toter Bienen gefüllt ist. Ein deprimierender Anblick. TAKE 2: O-Ton Stöckmann "Das Schlimmste dabei ist, das ich nicht weiß, woran es liegt und ich vermute, dass die Völker geschwächt in den Winter kamen und dadurch nicht überlebt haben." Sprecher: Auch vor den Bienenstöcken, die er im Garten hinter seinem Haus stehen hat, liegen im Gras Dutzende Leichname. Daneben krabbeln einige Immen schwerfällig an den Grashalmen empor. Mit dem Finger hebt er ist eine von ihnen hoch. Sie ist gekrümmt, hat den Rüssel rausgestreckt und die Flügel verkrampft nach hinten gedreht. Sie wird nicht mehr lange leben. Wolfgang Stöckmann gehört zu den rund 900 Berufsimkern, die es neben rund 90 000 Hobbyimkern in Deutschland gibt. Die meisten von ihnen berichteten von ähnlichen Schockerleb-nissen, als sie nach dem langen Winter ihre Bienenstöcke öffneten. Verluste, wohin man auch schaut. Und nicht zum ersten Mal. TAKE 3: O-Ton von der Ohe "Das, was beunruhigend ist, dass eben die Aufeinanderfolge immer enger wird und das früher eben doch eher der Abstand von 10 Jahren puls minus war, tritt es jetzt häufiger auf." Sprecher: Werner von der Ohe, Leiter des Celler Instituts für Bienenkunde am Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, An- sprechstelle für Imker im Norden Deutschlands, wagt eine Schätzung: TAKE 4: O-Ton von der Ohe "Also wir haben die letzten dramatischen Überwinterungsver- luste im Jahr 2002/2003 gehabt und jetzt wieder in vielleicht vergleichbarer Höhe im Winter 2009/2010. Es sind natürlich auch viele Völker, die relativ klein waren, sind jetzt erst mal noch als überlebend gezählt worden. Ob die tatsächlich das Potential haben, das sie überleben oder nicht, jetzt in dieser immer noch kritischen Phase vielleicht auch noch absterben. Es wird so um die 25 Prozent eben sein. Dann lägen wir auf dem Niveau, wie wir 2002/2003 auch hatten." Sprecher: Schon seit Jahren berichten Imker rund um den Globus von einem mysteriösem Bienensterben, dem bereits weltweit Abermillionen Bienen zum Opfer gefallen sind. Der Tod ist aber nicht nur ein herber Verlust für den Imker: TAKE 5: O-Ton Tautz "Jeder dritte Bissen, den wir zu uns nehmen, jeder dritte Schluck, den wir trinken, kommt eigentlich durch die Bestäubungsleistung der Honigbiene zustande, über die Obst- und Gemüsesorten, die auf diese Weise erzeugt werden", Sprecher: Jürgen Tautz, Leiter des Bienenzentrums der Universität Würzburg. TAKE 6: O-Ton Tautz "Obstsorten ausnahmslos, alles, was einem in den Sinn kommt, Pflaume, Pfirsiche, Äpfel, Kirschen und was Gemüse angeht, das kann man also alphabetisch von Avocado bis Zucchini aufzählen durch die Bank, ob es Gurken sind, ob es Tomaten sind, nichts kommt ohne Bestäubung durch Insekten aus, wobei den Honigbienen da die Hauptlast zukommt." Sprecher: Gut 30 Prozent der menschlichen Nahrung hängen also von der Bestäubung ab. Und nicht nur da, sagt der Agrarwissenschaftler Kaspar Bienefeld, Direktor der Abteilung Zucht und Genetik der Bienen an der Humboldt Universität Berlin: TAKE 7: O-Ton Bienefeld "Man findet auch bei Obst oft, dass wir nicht nur mehr, zum Beispiel bei Äpfeln, mehr Äpfel finden, sondern wir finden auch, dass die Äpfel auch eine höhere Qualität haben, d.h. die werden größer und es gibt einen höheren Anteil an wertvollen Inhaltsstoffen. Der Grund ist ein relativ einfacher. Die Frucht beim Apfel ist nicht das Fruchtfleisch, was wir denken, sondern das sind die Kerne in der Mitte und durch den Bienenbeflug kommt es zu einer Mehrfachbefruchtung, d.h. es entstehen mehr Kerne und diese Kerne haben eine Wirkung auf das Wachstum des Fruchtfleisches sowohl in der Quantität als auch in der Qualität, mit anderen Worten durch Bienen bestäubte Äpfel sind schmackhafter und größer, also besser verkaufbar." Sprecher: Nur Gräser, Getreide und Reis sind auf Bienen nicht angewiesen. Sie lassen sich vom Wind bestäuben. Ohne Honigbiene bliebe also nur noch trocken Brot, denn auch die Ölpflanzen wie Oliven, Sonnenblumen, Raps gedeihen bei Insektenbestäubung weitaus besser. Selbst Butter, Käse und Fleisch könnten knapp werden, weil das Vieh inzwischen weltweit vor allem mit Sojaschrott gefüttert wird. Soja- bohnen aber sind auf Insektenbestäubung angewiesen. ATMO: Musik Sprecher: Nun gibt es noch eine ganze Reihe anderer Insekten wie Schmetterlinge, Schwebfliegen, Hummeln, Käfer und über hundert Arten von Wildbienen, die ebenfalls Nektar sammeln und dabei Blütenpollen abstreifen und verbreiten. Fällt die Honigbeine aus, könnten sie im Prinzip einspringen. Aber die wildlebenden Helfer sind ein schlechter Ersatz. Die meisten unter ihnen leben solitär, sind also allein unterwegs. Das schränkt ihre Arbeitsleistung stark ein. Jürgen Tautz konsta- tiert dann auch: TAKE 8: O-Ton Tautz "Honigbienen einmal sind als Volk schon mal eine sehr kopfstarke Einrichtung. Ein Bienenvolk hat im Sommer etwa 50 000 Individuen. Hummeln, die auch als Bestäuber in Frage kommen, auch Staaten bilden, haben 200, 300. Also man bräuchte allein rein rechnerisch, um ein Bienenvolk zu ersetzen, 500 Hummelvölker." Sprecher: Doch nicht nur der Arbeitsfleiß und die schiere Menge der jeden Tag ausschwärmenden Bienen ist entscheidend. Sie bringen noch drei andere wichtige Eigenschaften mit, die den Landwirt freuen: sie naschen an nahezu allem, was blüht. Andere Insekten sind viel wählerischer, fliegen nur ihre Lieb- linge an. Die Honigbienen bleiben zudem der Pflanze solange treu, wie sie blüht. Die Pollen werden also sehr gezielt auf dieselben Pflanzen verteilt. Und außerdem sind sie, solange es warm genug ist, bis in den Spätherbst unterwegs, während andere Insekten nach der Blüte ihrer Lieblingspflanze die Arbeit einstellen. TAKE 9: O-Ton Tautz "Also Honigbienen sind durch nichts und niemanden zu ersetzen, was die Bestäubungsleistung angeht. Man kann das mal so in Zahlen ausdrücken: eine einzelne Biene kann täglich bis zu 3000 Blüten besuchen. Wenn man das auf die Kolonie hochrechnet, kommen ein paar Millionen Blüten täglich zustande. Also, das ist schon eine sehr eindrucksvolle Leistung." Sprecher: Die lässt sich auch in Geld ausdrücken. Der Insektenforscher Josef Settele vom Hallenser Helmholtz Zentrum für Umweltforschung hat zusammen mit europäischen Kollegen versucht, den wirtschaftlichen Wert der Bestäubung zu be- rechnen: TAKE 10: O-Ton Settele "Wir haben das mal gemacht auf globaler Basis, um zu sehen, wie viel Wert die Bienen oder überhaupt die Bestäuber erst mal haben, das lässt sich schwer differenzieren, ob es immer Honigbienen sind oder generell die Bestäuber und da hatten wir auf weltweiter Basis für 2005 einen groben Wert von 150 Milliarden Euro berechnet. Das kommt daher, dass wir einfach abschätzen, wie viel kosten bestimmte Produkte auf dem Weltmarkt und wie viel davon ist auf Bestäubung zurückzuführen." Sprecher: Eine unvorstellbar hohe Summe: 150 Milliarden Euro. Für Deutschland beliefe sich der Wert der Bestäubung durch In- sekten auf rund 700 Millionen Euro. Lange haben sich die Landwirte über all das keinen Kopf ge- macht. Es gab in jedem Dorf mindestens einen Hobbyimker, der seine Völker am Feldrand aufstellen durfte. Dafür erwarteten die Bauern als Gegenleistung vom Imker Honig. Die Bestäubung wurde als Gratisdienst erwartet. Diese Zeiten sind vorbei. Inzwischen ist zumindest in den USA aus der Bestäubung ein lukratives Geschäft geworden. Allein im Februar strömen aus alle Ecken Nordamerikas Berufsimker mit ihren Bienenvölkern nach Kalifornien zur Mandelblüte. Sechzig Millionen Bäume warten darauf, bestäubt zu werden. Ohne die herangeschafften Honigbienen blieben die meisten Blüten unbefruchtet. Es gäbe viel weniger, viel kleinere Mandeln. Die Bienen steigern den Ertrag pro Baum um das Sechsfache. Pro Bienenvolk bekommt der Imker bis zu 120 Dollar vom Plantagenbesitzer. Die englische Journalistin Alison Benjamin und ihr Partner Brian McCallum, die sich vor Ort umgesehen haben, schreiben dazu in ihrem Buch ,Welt ohne Bienen': Sprecherin: ,Im Jahr 2006 wurden aus Kalifornien Mandel im Werte von über 1,9 Milliarden Dollar exportiert; mit dem Weinexport aus Nappa Valley wurde nur halb so viel verdient. Tatsächlich kommen inzwischen 80% der weltweit verkauften Mandeln aus dem sonnenverwöhnten Staat... Pro Hektar kommen etwa 5 Bienenstöcke, also ungefähr 200 000 Honigbienen, zum Einsatz, und die Mandelbäume werden von insgesamt rund 40 Milliarden Bienen bestäubt: die größte Massenbestäubung der Geschichte... Doch das ist nur der Anfang. Für viele Bienenvölker ist Kalifornien nur die erste von vielen Stationen auf einer fünfmonatigen Tour durch Amerika, bei der sie über 1,4 Millionen Hektar Obstplantagen und Felder bestäuben." Sprecher: Ein Trend, der langsam nach Europa kommt. Auch hier werden die Schläge immer größer, verschwinden Feldraine unter dem Pflug und Hunderte Hektar große Äcker und Obstfelder entstehen. Die Intensivierung der Landwirtschaft hinterlässt eine ausgeräumte Natur, in der eine natürliche Bestäubung durch Insekten kaum mehr vorkommt. Berufsimker Wolfgang Stöckmann, der nicht weit von den riesigen Obstplantagen des Alten Lands vor den Toren Hamburgs entfernt wohnt, wird immer häufiger zu Hilfe geru- fen: TAKE 11: O-Ton Stöckmann "Im alten Land wird 40 Euro gezahlt für ein Bienenvolk zur Bestäubung für Kirsche und Obst und es gibt auch andere Flächen für Saatgut z.B. Rapssaatgut in Süddeutschland einige Flächen oder in Schleswig Holstein oder auch im Ausland, in Dänemark, Frankreich, wo für Kleeflächen Saatgut oder Rapssaatgut, wo der Imker als Dienstleister hinfährt. Ich mach das auch und bekomme dann 60-70 Euro pro Bienenvolk, damit meine Bienen die Blüten dann bestäuben. Für mich lohnt sich das, für den Landwirt lohnt es sich immer, weil die Saat besser keimfähig ist und einfach eine höhere Qualität hat." Sprecher: Vor allem in den neuen Bundesländern fehlt es allerorten an Bienen, so der Bienenforscher Kaspar Bienefeld: TAKE 12: O-Ton Bienefeld "Wir haben einen Rückgang im Osten nach der Wende von 75 Prozent, 75 Prozent weniger Bienenvölker im Osten und manchen Regionen in Brandenburg, in Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg haben die niedrigste Bienendichte in ganz Europa. Das ist schon dramatisch. Gründe sind, das natürlich in der DDR die Bienenhaltung extrem gefördert wurde mit sehr hohen Aufkaufpreisen für den Honig, mit günstigen Krediten für Bienenzuchtmaterial und mit - entscheidender Punkt - mit Bestäubungsprämien, die die Landwirte zahlen mussten." ATMO: MUSIK + Bienensummen Sprecher: Als in Deutschland 2002,2003 fast ein Drittel aller Bienenvölker den Winter nicht überlebten, löste das unter den Bienenforschern eine große Diskussion über die Ursachen aus, zumal dieses Phänomen auch aus anderen Ländern gemeldet wurde. Die Medien und die Politik wurden aufmerksam. Fördergelder wurden bewilligt, neue Forschungsgruppen gebildet, der europaweite Wissensaustausch forciert. Dabei stellte sich schon bald heraus, dass das Bienensterben viele Ursachen haben kann. Das Mysterium ist keineswegs gelöst. Unter den Forschern weltweit herrscht Uneinigkeit, das macht es nicht leichter. Sie vertreten durchaus unterschiedliche Theorien. In Deutschland sind allerdings die meisten Bienenexperten davon überzeugt, dass der Hauptübeltäter ein Parasit ist: die Varroa Milbe. Sprecherin: Eigentlich in Asien beheimatet kam sie vor rund 150 Jahren in Bienenstöcken mit der transsibirischen Eisenbahn nach Europa. Während die östliche Honigbiene sich des Parasiten erwehrt, vermehrt er sich zu stark, hat die westliche Honigbiene Schwierigkeiten, ihren Plagegeist überhaupt zu entdecken, obwohl der relativ groß ist. Man kann ein ausgewachsenes Exemplar selbst mit bloßem Auge auf der Biene entdecken. Sprecher: Auf den Menschen übertragen hätte die Varroa Milbe etwa die Größe einer Handfläche. Allerdings versteckt sich der Parasit gerne unter den Bauchschuppen seines Wirtes. Dann wartet er, bis die Königin ihre Eier in die sechseckigen Wabenzellen gelegt und die Bienenammen mit dem Füttern begonnen ha- ben. Kurz danach schlägt Varroa zu, wie Bienenforscher Wer- ner von Ohe beobachtet hat. TAKE 13: O-Ton von der Ohe "Die Varroa Milbe geht auf die Bienenbrut, d.h. kurz bevor eine Larve in ihrer Zelle von der erwachsenen Biene verdeckelt wird, dringt die Varroa Milbe in diese Zelle ein, sticht die Larve an und saugt von dieser Larve Hämolymphe. Das ist das Blut der Insekten. Von diesem Blut kann sie sich ernähren, d.h. ein Weibchen entwickelt dann seine Ovarien, um Eier in der Zelle abzulegen und da nicht nur weibliche Eier schlüpfen, sondern eben auch ein männliches Tier herausschlüpft aus dem Ei und dieses männliche Tier dann eben die Schwestern innerhalb der Zelle wiederum begatten kann." Sprecher: Die Geschwisterliebe in der Zelle bringt viel Nachwuchs. Jedes Mal, wenn eine Biene schlüpft und das geschieht alle drei Wochen, verdoppelt sich die Zahl der Parasiten. Es gibt heute weltweit wohl keinen einzigen Bienenstock der westlichen Honigbiene mehr, der nicht von der Varroa Milbe infiziert ist. Anders bei der östlichen Honigbiene. Dort führt solcher Massennachwuchs des Parasiten entweder dazu, dass das Volk den Stock verlässt und die infizierte Brut zurücklässt. Ohne Opfer verhungert die Milbe. Oder sie beißen den Plagegeist tot und schmeißen ihn aus dem Stock raus. Hygieneverhalten nennen die Imker das Großreinemachen. Je besser es ausgeprägt ist, desto gesunder bleiben die Bienen. TAKE 14: O-Ton von der Ohe "Zum Hygieneverhalten gehört einerseits, dass die Biene es schafft, ihren Stock von innen noch relativ sauber zu halten. Irgendwelche toten Bienen, die auftauchen, werden sofort herausgetragen. Ein weiterer Aspekt, der zum Hygieneverhal- ten noch dazu gehört, ist auch, dass die Bienen erkennen, wenn Larven sich nicht richtig entwickeln, d.h. sie erkennen, dass die Larven sich nicht optimal entwickeln, was verursacht ist eventuell durch Krankheitskeime, und sie räumen diese Larven heraus sogar noch im verdeckelten Zu- stand." Sprecher: Doch im Falle der Varroa Milbe versagt die Gesund- heitspolizei der westlichen Honigbiene. Sie entdeckt sie nicht rechtzeitig genug. Das hat zur Folge, dass sich die Parasiten ungehindert vermehren können und die gesamte Brut attackieren. Beim Blutsaugen überträgt der kleine Vampir zudem Krankheiten. Das hat schlimme Folgen, so Kaspar Bienefeld. TAKE 15: O-Ton Bienefeld "Es gab früher, als die Varroa Milbe noch nicht da war, eigentlich mit Viren kaum Probleme, aber die Kombination plus Viren plus Varroa ist ein ernstes Problem. Das hat wahrscheinlich zwei Gründe, 1. durch die Parasitierung mit der Varroa Milbe werden die Puppen geschädigt und damit ihr Immunsystem auch geschädigt. Das wichtigste Virus in dem Zusammenhang ist das sogenannte "deformed wing virus". Das hat zur Folge, dass die Bienen mit verkrüppelten Flügeln geboren werden bzw. insgesamt deutlich kleiner und geschwächter sind, eine kurze Lebenserwartung haben und dann auch nicht in der Lage sind, dass sie die normalen Arbeiten, die so eine Biene durchläuft, auch erfüllen können. Mit anderen Worten: Varroa plus Viren bedeutet in der Regel ein Todesurteil für das Volk." Sprecher: Doch nicht nur Milben und Viren schmarotzen an den Bienen, töten ihren Wirt. Auch die Agroindustrie setzt den fleißigen Immen mächtig zu, insbesondere deren Pflanzenschutzmittel. Landwirte und Obstbauern spritzen dutzende Insektizide, um sich der zahlreichen Schädlinge zu entledigen, die an ihren Pflanzen und Früchten fressen. Nun müssen all diese Mittel vor ihrer Zulassung auf Bienengefährlichkeit geprüft werden. Schaden sie den kleinen Bestäubern, dürfen sie nur unter bestimmten Bedingungen eingesetzt werden. Dennoch wurden immer wieder Bienen vergiftet, erzählt Bienenforscher Werner von der Ohe. TAKE 16: O-Ton von der Ohe "Insbesondere hier in Niedersachsen ist es zu Bienenschäden gekommen, indem Läuse 2003 an Kartoffelpflanzen bekämpft worden sind und um an die Läuse, die auf den Blattunterseiten sind, heranzukommen, war es notwendig, eben auch Insektizide zu nehmen, die eben auch über den Pflanzensaft mit aufgenommen werden und so an die Läuse herantransportiert werden. Was man damals nicht bedacht hat, dass eben diese Läuse in den Kartoffelpflanzen aber Honigtau produzieren, d.h. die Exkrete sind zuckerhaltig und dieser Honigtau war attraktiv für Bienen, d.h. obwohl die Kartoffelpflanzen normalerweise von Bienen überhaupt nicht beflogen werden, ist es zu einem intensiven Flug von Bienen in diese Kartoffelstände bekommen und die sind dort eben mit dieser B 1 Applikation eingegangen." Sprecher: Das Mittel wird künftig nicht mehr eingesetzt. Das heißt aber noch lange nicht, dass ähnliche Ereignisse ausgeschlossen sind, wie das massive Bienensterben in Baden-Württemberg 2008 zeigte. Peter Rosenkranz, Leiter der Landesanstalt für Bienenkunde und Chef der Bienenforschungsstelle der Univer- sität Hohenheim hat damals die toten Bienen untersucht. TAKE 17: O-Ton Rosenkranz "2008 hatten wir dieses große Bienensterben im Rheintal. Da sind die Ursachen eindeutig geklärt. Letztendlich sind es Sa- men, die gebeizt sind mit Insektiziden." Sprecher: So wie man Fleisch zum Beizen in eine Marinade legt, so wird auch Saatgut in ein flüssiges Pestizid getaucht, das dann in die Saatkörnern eindringt und an ihrer Schale festtrocknet. TAKE 18: O-Ton Rosenkranz "Jetzt hatte man aber leider unterschätzt, dass der Mais aus- gesät worden ist, während der Raps und das Obst in Vollblüte war, dass gleichzeitig das Saatgut sehr schlecht gebeizt war, also dieses Insektizid sich vom Saatgut teilweise gelöst hat, dass gleichzeitig es sehr trocken und windig war und die Landwirte zum großen Teil mit pneumatischen Sämaschinen gearbeitet haben, wodurch eben zusätzlich Staub in die Luft geblasen worden ist und sich dann eben dieser Staub auf benachbarten Flächen niedergelegt hat. Bienen, die dann im Raps gesammelt haben, haben eben diesen kontaminierten Staubpartikel mit heimgebracht und sind entweder gleich oder aber mit Ver- zögerung teilweise daran gestorben, teilweise geschädigt worden, teilweise wurde die Brut geschädigt. Also insgesamt sind so in der Größenordnung 12 000 Völker zum Teil sehr stark geschädigt worden und man kann im Nachhinein sagen, es ist das schlimmste dokumentierte Bienenschadensereignis hier in Baden-Württemberg in den letzten Jahrzehnten." Sprecher: Die Zulassung für das Beizmittel Clothianidin der Firma Bayer ruht derzeit. Der Pharmakonzern bestreitet den Zusammen- hang, hat aber Entschädigung ohne Anerkenntnis einer Schuld gezahlt. Solche Unfälle schüren die Furcht der Imker vor Pflanzenschutzmitteln generell. Der niedersächsische Berufsimker Wolfgang Stöckmann jedenfalls ist davon überzeugt, dass er das große Bienensterben diesen Winter auch den Spritzmitteln zu verdanken hat. Allerdings gibt es dafür bislang kein Prüfverfahren, das diesen Verdacht einwandfrei belegen kann. ATMO: Musik + Bienen Sprecher: Damit die Königin Eier legt, muss sie mit eiweißreichen Blü- tenpollen gefüttert werden. Die Pollen werden dazu vorher mit Wasser zu einem Speisebrei vermischt. TAKE 19: O-Ton Stöckmann "Dann fliegen die Bienen aus und dann fangen sie an, morgens früh Tautropfen zu sammeln im Gras oder aber auch in landwirtschaftlichen Flächen und ganz besonders gerne nehmen sie Tautropfen oder Schwitzwassertropfen, Guttationstropfen von Pflanzen und da kann es sein, dass die Bienen dann auch Gifte mit aufnehmen, die in den Pflanzen drin sind, die im Boden drin sind und wir vermuten, dass dadurch die Winterbienen zum Teil schon geschädigt sind und dann nicht durch den Winter kommen." Sprecher: Unter den Bienenforschern ist weiterhin umstritten, welche Rolle Pflanzenschutzmittel beim mysteriösen Bienentod spielen. In Frankreich z.B. hat man das von der Firma BayerCrop Science vertriebene Pestizid Gaucho verboten, das das Insektizid Imidacloprid enthält und mit dem Sonnenblumensamen gebeizt werden. Es gehört zu einer neuen Wirkstoffgruppe, den Neonikotinoiden, synthetisch hergestellten nikotinartigen Wirkstoffen, die als Nervengift wirken. Viele Imker haben beobachtet, dass diese Pestizide bereits in sehr niedriger Dosierung fatale Auswirkungen zeigen. TAKE 20: O-Ton Ritter "Diese Substanzen werden ja von den Bienen eingetragen und die Substanzen, wenn sie jetzt mit den Nektar z.B. eingetragen werden, die bleiben ja nicht im Nektar, sondern der Nektar wird ja in Wachswaben gelagert und diese Stoffe sind alle lipophil, also fettlöslich, also gehen praktisch von dieser wässrigen Phase Honig bzw. Nektar in das Wachs über und deswegen ist der Honig praktisch rückstandsfrei, aber das bleibt also im Wachs und damit können wir jetzt sagen, gut, damit ungefährlich, das gilt auch sicherlich für den Verbraucher. Der Verbraucher braucht keine Angst um Pestizide im Honig haben." Sprecher: Dennoch gibt der einundsechzigjährige Biologe Wolfgang Ritter, Leiter der Abteilung Bienenkunde am tierhygienischen Institut in Freiburg, keine Entwarnung: TAKE 21: O-Ton Ritter "Das Problem entsteht aber für die Bienen, weil die Larven bzw. die Brut wird ja in diesen Wachszellen aufgezogen und ist damit praktisch ständig, auch wenn es niedrige Konzentrationen sind, aber doch ständig diesen Pestiziden ausgesetzt und da gibt es eben Untersuchungen, die zeigen, dass Bienen, die also unter solchen Umgebungsbedingungen aufwachsen, das die also deutlich anfälliger sind als Bienen, die also in rückstandsfreiem Wachs aufwachsen. Also anfälliger heißt, dass das Immunsystem nicht so gut entwickelt ist und anfälliger heißt auch, haben weniger Widerstandskräfte gegen bestimmte Krankheitserreger, aber anfälliger heißt auch, dass die Lebenserwartung eben deutlich kürzer ist. Die Lebensdauer, die kann um einige Tage verkürzt sein. Man muss immer dazu sagen, dass die Lebensdauer der Bienen ja insgesamt im Sommer recht kurz ist, also nur fünf Wochen und da können natürlich wenige Tage schon sehr viel ausmachen." Sprecher: Sollten sich die Pestizide tatsächlich als schädlich erweisen, treffen sie zusätzlich auf bereits geschwächte Honigbienen, denn die moderne Landwirtschaft macht ihnen das Leben auf noch auf ganz andere Art und Weise zur Hölle. Monokulturen beherrschen inzwischen weite Teile der Agrarflächen, ausge- räumte Landschaften, in denen die Bienen immer weniger Futter finden. Gesunde Bienen brauchen aber ab- wechslungsreiche Nahrung, so Bioimker Günter Friedmann, der in Küpfendorf auf der schwäbischen Alm seine Bienenvölker auf Honigsuche schickt. TAKE 22: O-Ton Friedmann "Ich empfinde die Umweltsituation als ganz dramatisch und letzten Sommer z.B. war es so, alle meine Bienenvölker an praktisch allen meinen Bienenständen wären verhungert, wenn ich nicht Mitte Juli schon die Bienenvölker gefüttert hätte, weil die Natur nichts mehr hergibt. Die Landwirtschaft ist so intensiv geworden, dass nichts mehr blüht und die Bienen verhungern mitten im Sommer, weil's einfach nimmer mehr genügend vielfältige Wiesen und Felder gibt und das führt dazu, dass die Bienenvölker ganz stark gestresst wer- den." Sprecher: Es ist nicht zuletzt die geänderte Viehhaltung, die den Bienenhaltern das Leben sauer macht, kritisiert der Berufsimker. TAKE 23: O-Ton Friedmann "Die Wiesen sind weggebrochen. Früher haben die Bienen auf den Wiesen, wo Heu gemacht worden ist dreimal im Jahr, im- mer noch genügend blühende Pflanzen gefunden, um sich gut zu ernähren. Seit ungefähr 10,15 Jahren hat sich in der Landwirtschaft ganz viel verändert. Fast kein Bauer macht mehr Frischfutter, fast kein Bauer macht mehr Heu. Alle arbeiten mit Silage und Silagegewinnung heißt, dass ein Bauer eine Wiese fünf-, sechs-, siebenmal im Jahr mäht, in der Regel immer vor der Blüte und dadurch die Wiesen kaum noch Blühelemente für die Bienen und Insekten anbieten können und vor allen Dingen die moderne Agrartechnik ist so schlagkräftig geworden, das heute eine Gemarkung an einem Tag ausgeräumt wird und die Insekten von heute auf morgen vor dem Nichts stehen und das ist Stress pur." Sprecher: Besonders schlecht zu sprechen sind die Imker insgesamt auf die Energieförderung für Biogasanlagen, denn seitdem gibt es keine Stilllegungs- und Brachflächen mehr, auf die sich viele blühende Pflanzen retteten, die ansonsten auf den Felder tot gespritzt wurden. Doch die Meere aus wogenden blauen Kornblumen, weißen Margeriten und rotem Klatschmohn sind weitgehend aus der Landschaft verschwun- den. TAKE 24: O-Ton Friedmann "Bei uns wird jeder Quadratzentimeter der landwirt- schaftlichen Fläche genutzt und zwar intensivst genutzt, mittlerweile dominiert ganz deutlich die Maiskultur und Mais ist für die Bienen eine uninteressante Pflanze. Der Pollen ist praktisch wertlos, weil das einfach der schlechteste Pollen war, den es überhaupt gab und dieser Pollen dominiert jetzt die Ernährung der Insekten. Maisanbau plus Silage auf den Wiesen bricht der Imkerei und den Insekten das Genick." Sprecher: Geschwächt durch Blütenschwund, Monokulturen und Pestizide werden die Bienen ein leichtes Opfer der Varroa- Milbe und in ihrem Gefolge zahlreicher Krankheiten. Fieberhaft wird denn auch seit Jahren am Institut für Biologie und Neurobiologie der Freien Universität Berlin nach wirksamen Mitteln gegen den Parasiten gesucht. Die Biologin Eva Rademacher hat drei Mittel getestet, die sich im Labor wie in freier Natur gut bewährt haben: Ameisensäure, Oxalsäure und Milchsäure, alles in der Natur vorkommende und für den Menschen unschädliche Chemikalien. Um zu verhindern, dass die Mittel im Honig landen, werden sie allerdings erst eingesetzt, wenn der Honig aus den Waben entfernt ist. TAKE 25: O-Ton Rademacher "Ameisensäure wird nach der Abschleuderung eingesetzt. Sie hat den großen Vorteil, dass sie in die abgedeckelten Brutzellen eindringt und das ist die einzige Substanz, die wir anwenden können, wenn Brut vorhanden ist, die in der ge- deckelten Zelle auch die Milben abtötet und zwar um die 90 Prozent. Wir behandeln dann noch mal in der Regel mit Oxalsäure im brutfreien Zustand, wenn die Bienen also im November, Dezember keine Brut mehr haben, weil die Oxalsäure nicht in die gedeckelten Zellen hineingeht. Damit kriegen wir auch noch mal etwa 90 Prozent der Milben aus den Bienenvölkern." Sprecher: Konsequent angewendet bekommt der Imker die Varroa- Plage so zwar unter Kontrolle, aber nicht wirklich ausgemerzt. Er muss jedes Jahr aufs Neue die Säuren in den Stock sprühen und träufeln. Doch leider befolgen nicht alle Imker diese Regel. Ein einziger verseuchter Stock kann aber zahlreiche andere Bienenvölker infizieren. Genau an dieser Stelle setzen die Bemühungen eine Gruppe von Forschern unter Leitung von Kaspar Bienefeld an. Sie züchten Honigbienen, die wie die östliche Honigbiene erkennen, wenn die Brut erkrankt ist und den Eindringling bekämpfen. TAKE 26: O-Ton Bienefeld "Wir haben vor einigen Jahren schon gefunden, dass auch unsere Bienen in der Lage ist, befallene Brut, d.h. von der Varroa Milbe parasitierte Brut zu erkennen, die Brut dann zu öffnen und die befallene Brut dann rauszuräumen. Wenn nämlich die Bienen das konsequent machen würden, hätte der Parasit keine Chance mehr. Der Parasit kann nur in der verdeckelten Brut sich vermehren, d.h. wenn in diesem Stadium die Parasiten herausgeräumt werden, würde er sich nicht mehr reproduzieren können und ein Parasit, der sich nicht mehr reproduziert, ist kein gefährlicher Parasit mehr." Sprecher: Es ist nicht der einzige Weg, denn die Forscher beschreiten. Weltweit untersucht man das Genom der Honigbiene, um herzufinden, welche Gene das Hygieneverhalten steuern. Man will aber nicht Gene übertragen, sondern die Gentechnik dazu nutzen, Völker zu identifizieren, die besonders resistent sind, d.h. besonders viele Milben finden und umbringen. Die Völker sollen dann gezielt vermehrt werden. Noch aber geht das Bienensterben weiter. Es könnte ein Wettlauf mit der Zeit werden. Keine beruhigenden Aussichten. 2