COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur Forschung und Gesellschaft am 15. Oktober 2009 Redaktion: Peter Kirsten Saharastrom für Europa ? Das Megaprojekt Desertec und seine Kritiker Von Peter Kaiser (Alle Atmos, O-Töne, Einspielungen und die Musik stellt der Autor ) Atmo Werkstatthalle SCHOTT-Mitterteich. Kurz frei, dann unterlegen Sprecherin: Solarthermische Kraftwerke arbeiten mit gewölbten trogförmigen Spiegeln, die die Sonnenstrahlung auf eine sogenannte Brennlinie in ihrer Mitte konzentrieren. 1. O-Ton: Benz /Schott/00:48 Wir fertigen hier eine der Schlüsselkomponenten für solarthermische Kraftwerke, den sogenannten Receiver. Atmo der Halle, Brennen und Schmelzen Sprecherin: In dieser Brennlinie befindet sich der Receiver, ein Rohr, das die Sonnenstrahlung absorbiert. Im Inneren des Receivers fließt Thermo-Öl. Die konzentrierte Sonnenstrahlung erhitzt das Öl auf etwa 400 Grad Celsius. Damit wird eine Dampfturbine angetrieben, die Strom erzeugt. 2. O-Ton: Benz /Schott/02:24 (...)Die Grössenordnung heute ist etwa ein Gigawatt an Kraftwerksleistung, die wir in etwa pro Jahr bedienen können mit unseren Fertigungskapazitäten. Sprecherin: Nikolaus Benz leitet die Betriebsstätte von Schott Solar im oberpfälzischen Mitterteich. Die hier gebauten Receiver - die in der ersten Werkhalle geschmolzen und verbunden werden - .... Kleine Zäsur mit Atmo, dann noch etwas weiter Sprecherin: ...sollen auch für die beim Desertec-Projekt geplanten Kraftwerke in der Sahara eingesetzt werden. 3. O-Ton: Benz /Schott/03:03 Also einerseits hoffen wir natürlich, dass durch Desertec der Markt für solartermische Kraftwerke deutlich wächst. Das würde für uns bedeuten, dass wir natürlich im Wettbewerb mit anderen unsere Herstellkapazitäten erweitern würden. 4. O-Ton: Dr. Nikolaus Benz, Leiter Schott Mitterteich Wir sind eine der 12 Firmen, die am 13.Juli mitunterzeichnet haben, und die im Gründungsprozeß für die Desertec-Industrial-Initiative mit beteiligt sind. (......) Wann es losgeht? Die Aufgabe von Desertec ist es, in den nächsten drei Jahren die regulatorischen Rahmenbedingungen, die finanziellen Rahmenbedingungen und die technischen Voraussetzungen so einzustellen, dass in drei Jahren ein Rollout der Technologie in den nordafrikanischen Ländern beginnen kann. Jetzt Musik. 13. Track, vom Anfang, Kurz frei, dann passend unterlegen Sprecherin: Am 13. Juli dieses Jahres haben 12 Konzerne aus der Energie- und Finanzbranche unter der Führung des weltgrößten Rückversicherers Münchner Rück die "Desertec Industrial Initiative", kurz: DII, gegründet. Viele Menschen haben sich im Juli beim Bekanntwerden des Desertec- Projektes und der zahlreichen euphorischen Kommentare dazu verwundert gefragt, ob das, was gesagt wurde, wirklich auch wahr ist. Denn diese Großkonzerne wie RWE, E.ON, ABB, Siemens, Deutsche Bank, Schott, Münchner Rück und andere - wahrlich keine Pioniere der Öko-Bewegung - haben sich an eben diesem 13. Juli zusammengetan, um die zukünftige Stromversorgung Deutschlands komplett umzustellen. In naher Zukunft soll die Sonnenenergie, die auf die Sahara oder die Maghreb-Wüste täglich prallt, genutzt werden soll. Musik kurze Zäsur Sprecherin: Dass das machbar ist, betonen die Desertec-Initiatoren immer wieder. Die Wüstenregionen der Erde - heißt es - empfangen täglich in sechs Stunden mehr Energie, als die Menschheit in einem Jahr verbraucht. Und speziell in der Sahara, wo eine kleine Fläche der zukünftige Standort für hunderte solarthermischer Kraftwerke sein soll, steht die Sonne mit über 4800 Stunden im Jahr dreimal länger zur Stromerzeugung zur Verfügung, als etwa in Deutschland. 5. O-Ton: Dr. Nikolaus Benz/4:19 (...) Und mit einer dreimal höheren Sonneneinstrahlung in Nordafrika erhöht sich natürlich die Ausbeute. Das heißt, man bekommt im selben Faktor, nämlich um den Faktor drei, höhere Erträge aus den Anlagen. Sprecherin: Nach Angaben der Internationalen Energieagentur, IEA, strahlt die Sonne mehr als 120 000 Terawatt auf die Erde, eine Leistung von rund 100 Millionen großer Kraftwerke. Das ist mehr als 7700mal so viel, wie der Jahresgesamtenergiebedarf der Erde. Ein Teil dieser Energie soll nun mit den Desertec-Kraftwerken zur Stromerzeugung genutzt werden. Doch wie funktioniert das? Und was genau steckt hinter diesem Projekt, das wie ein strahlender Stern am zukünftigen Energiehimmel Deutschlands plötzlich aufgetaucht ist? Was ist dieses Kunstwort, das sich aus "Desert"-Wüste, und Technic zusammensetzt? 6.O-Ton:Knies/ 0:26 (...) da die Wüsten um die Welt verteilt sind, kann man von den Wüsten locker, oder jedenfalls vom vertretbaren technischen Aufwand, durch Hochspannungsgleichstromleitungen etwa 95 Prozent der Menschheit erreichen. Das heißt also, wenn man die Sonnenenergie der Wüsten nehmen würde, tausendfache Menge des Bedarfs ist da, also wenn wir 10 Prozent umwandeln, würde man ein Prozent brauchen der Wüstenflächen, für alles. Und wenn man nur Strom nimmt, wird es weniger, 0,3 Prozent oder so etwas. Also man kann diese Menge Strom, die die Menschheit braucht, locker erzeugen von den Kapazitäten her und auch von den Technologien her, und dann auch verteilen, weltweit. So, dass 95 Prozent der Menschheit mit Solarstrom versorgt werden können. Sprecherin: Über das "Wie" der Stromgewinnung denkt der heute 72jährige Physiker Gerhard Knies schon seit über 20 Jahren nach. 7.O-Ton:Knies/ 1:21 (...) Die Sonnenenergie kann man in zwei Teile ansehen. Einmal ist es Licht, und Licht kann in bestimmten Festkörpern, Halbleitern, einen Photoeffekt erzeugen, und dadurch entsteht eine elektrische Spannung, und dann Strom. Das andere ist, Licht wird einfach absorbiert, von jedem Material, und das wird heiß. Und wenn es heiß wird, dann kann man damit die Hitze verwenden. Also wenn man das Licht konzentriert, und nicht nur eine Sonne auf etwas scheint, sondern hundert Sonnen, in dem man viele Spiegel nimmt und das Licht bündelt, Sprecherin: Das klingt auf den ersten Blick hin plausibel. Zumal aus Wüstensonne Strom zu gewinnen, längst keine Zauberei mehr ist. Entweder kommt das photovoltaische Verfahren zum Einsatz, bei dem die Strahlungsenergie direkt mit Zellen in elektrische Energie umgewandelt wird. Oder - wie Gerhard Knies beschreibt - man bündelt die Sonnenstrahlen. 8.O-Ton:Knies/ 1:21 (...) dann kriegt man hohe Temperaturen, 400, 500, sogar bis 1000 Grad, und damit kann man Wasser kochen, Dampf erzeugen, und dann eine Dampfturbine antreiben. Und mit der Dampfturbine einen Generator, wie ein ganz normales Kraftwerk, und dann hat man Strom. Sprecherin: Die Hitze in diesen sogenannten thermischen Solarkraftwerken läßt sich in Wärmespeichern sogar einige Stunden lang konservieren. So kann ein solches Kraftwerk - anders als bei den Solarzellen - Tag und Nacht Strom liefern. Zudem unterliegt ein solarthermisches Kraftwerk damit keinerlei Lieferschwankungen wie etwa bei Windkraftwerk, das nur Strom ins Netz einspeist wenn der Wind weht. Musik wieder Sprecherin: Die solarthermischen Kraftwerke sind eine seit Jahrzehnten bewährte Technik zur Stromerzeugung. So stehen in der kalifornischen Mojave- Wüste seit mehr als 20 Jahren neun Kraftwerke. Sie haben dort Zyklone, Sand-und Hagelstürme ohne größere Probleme überstanden. Und vor einigen Monaten wurde mit einer Spiegelfläche von 500 000 Quadratmetern ANDASOL 1, das größte solarthermische Kraftwerk Europas im Süden Spaniens in Betrieb genommen. Doch das Erzeugen des Stromes in der Wüste ist eine Sache. Eine andere ist, den Strom aus der Sahara - wie beim Desertec-Projekt vorgesehen - in Mengen von Terawattstunden nach Europa zu transportieren. Noch einmal eine kleine Musikzäsur Sprecherin: Doch auch hier muss das Rad nicht neu erfunden werden. Großräumige Verbundnetze aus Hochspannungsgleichstrom-Leitungen, die Experten sagen "Supergrid" dazu, können den Strom mit Übertragungsverlusten von etwa 10 bis 15 Prozent bis nach Europa befördern. Auch diese Technik ist bewährt. In China etwa wird Strom über Tausende Kilometer vom Landesinneren an die Küstengebiete gebracht. Wenn diese saubere Stromgewinnung und der mühelose Transport seit den 80er Jahren bekannt und bewährt ist, warum - so wäre hier zu fragen - wurde diese Technik nicht in größerem Stil als bisher eingesetzt? Und noch konkreter gefragt: warum ist die Sahara noch nicht längst mit hunderten Solarkraftwerken der großen ANDASOL-Klasse vollgestellt, wie jetzt im Desertec-Projekt geplant? 9.O-Ton:Knies/ 3:10 (...) also Ende der 80er Jahre, in den USA, in Kalifornien, sind die ersten solarthermischen Kraftwerke gebaut worden. Doch danach wurde das Öl und Gas so extrem billig, dass einfach diese Technik dagegen nicht ankam von den Kosten her. Jetzt kehrt sich das wieder um. Man kann jetzt aus der Solarenergie einen Dampf erzeugen, der so viel kostet, als wenn man Öl zum Preis von etwa 80 Dollar pro Barrel einkaufen müßte, um den Dampf zu erzeugen. Also das heißt, man liegt schon in der Gewinnzone. Das ist aber erst seit kurzem so, aber das war das Signal. Jeder weiß, (...) das ist die Knappheit, die sich so anbahnt. Und das wird wahrscheinlich auch so bleiben. Und jetzt kommen viele Interessenten und sagen, ja, jetzt laß uns doch solarthermische Anlagen bauen. Sprecherin: Zumal inzwischen ein weiterer Aspekt hinzu gekommen ist. Unser Klima verträgt keine Kohlendioxydemissionen mehr. Jedes Jahr verbrennen Schwellenländer wie Indien oder China mehr als dreieinhalb Prozent mehr Kohle, Gas und Öl als jeweils im Jahr zuvor. Diese Abermillionen Tonnen C02 erwärmen zusätzlich immer schneller die Atmosphäre. Schon tauen die Permafrostböden auf mit nicht absehbaren Folgen. Gleichzeitig wird der Strom aus den konventionellen Kraftwerken immer teurer weil die Brennstoffkosten steigen und Klimakosten immer mehr eine Rolle spielen. So ist es nur noch eine Frage der Zeit bis der Strom aus der Sahara konkurrenzlos billig ist. Denn wenn auch im Moment noch die Kilowattstunde aus regenerativ erzeugtem Strom 15 bis 20 Cent kostet, so wird dieser Preis zukünftig auf etwa 4,65 Cent fallen. Das ist kaum mehr als eine Kilowattstunde mit herkömmlich erzeugtem Strom. Doch bis dahin muss das Desertec-Projekt erheblich weiter vorangeschritten sein als jetzt. Alexander Mohanty, Pressesprecher der Münchner Rück zum aktuellen Stand von Desertec. 10. O-Ton: Mohanty/ Der Stand ist gut. Wir sind guter Dinge, dass wir die Planungsgesellschaft, wie auch angekündigt, bis zum 31.10 gründen können. Es sind viele Vorarbeiten geleistet worden, was ja ganz normal ist bei so einem Konsortium, wo insgesamt 12 Unternehmen und eine Stiftung dabei ist. Das ist nicht leicht. Viele juristische Fragen waren da zu klären, viele, ich sag mal Satzungsfragen, also wie die Gesellschaft in Zukunft arbeiten soll. Jetzt sind wir die Internationalisierung angegangen und insgesamt ist das Projekt auf einem guten Weg. Sprecherin: Doch was heißt das genau? Ist die Suche nach Investoren, die die Solarkraftwerke - auf die man sich konzentriert - finanzieren sollen, bereits in vollem Gange? Denn immerhin hat das Projekt ein Investitionsvolumen von kaum vorstellbaren 400 Milliarden Euro. 11. O-Ton: Mohanty/ 0:47 Wir sprechen von neuen Gesellschaftern, die noch dazu kommen sollen. Investoren würde sofort suggerieren, dass diese Unternehmen eben auch sehr sehr viel Geld in die Hand nehmen sollen, um hier bei Desertec schon Projekte zu finanzieren. Davon sind wir aber noch weit entfernt. Sprecherin: Immer wieder wird die Machbarkeit von Desertec, das Funktionieren der Stromerzeugung durch solarthermische Anlagen in der Wüste betont. 12. O-Ton: Mohanty/ 4:40 Doch. das was hier in diesem Desertec-Konzept umgesetzt werden soll, das ist technologisch machbar. (...) also es ist machbar, solarthermischen Strom in Wüsten zu erzeugen. Es gibt solarthermische Kraftwerke in den USA seit zwanzig Jahren. Es gibt in Andalusien, in Südspanien gibt es solarthermische Kraftwerke. d.h. die Stromerzeugungstechnologie ist erprobt und sie wird (...) natürlich noch in den nächsten Jahren noch effizienter, noch besser werden. Musik für eine kleine Hörpause, dann aber unter dem folgenden Text wieder aus. Sprecherin: Wenn so große Konzerne wie RWE, Deutsche Bank, Siemens, Münchner Rück Schott, E.ON und andere plötzlich in das Öko-Horn vom klimafreundlichen Saharastrom blasen, ist zumindest Nachdenklichkeit angesagt. Bislang ging es diesen Konzernen immer um die möglichst hohe Rendite ihrer Investitionen. Und war bislang die Verwunderung und auch das freudige Erstaunen vieler groß, dass nun endlich die Energiewende angepackt wird, und man wegkommt von Gas und Öl, so hat sich inzwischen immer mehr Skepsis über das Desertec-Projekt breit gemacht. Kann das wirklich so funktionieren, wie das behauptet wird? 13.O-Ton:Scheer/ 1:03 (...) Ich denke bei näherem Hinsehen, dass das Desertec-Projekt völlig überschätzt wird. Und das auch nicht zuletzt in ökonomischer Hinsicht. Es gibt zwar in der Sahara mehr Sonnenschein als hier, mehr Sonnenstrahlung, aber das heißt nicht, dass automatisch dadurch der Strom billiger würde. Denn zwischen Sonnenschein und Sonnenstrom steht die Investition. Und das ist nicht nur die Investition in die Solarspiegel oder Solarmodule, sondern das ist eine Investition in das Gesamtsystem der Strombereitstellung. Und das bedeutet, dass man die Gesamtkosten des Investitionsaufwandes, inklusive Tausender von Kilometern Leitungen, neuer Leitungen, dass man diese Gesamtkosten ins Verhältnis setzen muss zur Stromerzeugung. Und dann gibt es nur einen einzigen ökonomischen Positivfaktor, nämlich das dort mehr die Sonne scheint. Alle anderen Randbedingungen, die für einen Investition elementar sind, sind schlechter als hier. (...) Sprechern: Hermann Scheer, Träger des alternativen Nobelpreises, Mitglied des Bundestages, SPD-Abgeordneter und Vorsitzender des Weltrats für Erneuerbare Energien ist der vielleicht lauteste und profundeste Desertec- Kritiker. 14.O-Ton:Scheer/ 3:38 Es wäre im Übrigen das erste Großprojekt, das nur so viel kostet, wie zuvor angegeben worden ist. (...) Das können Sie durchgängig beobachten. Ob es sich um Stuttgart 21, das große Bahnprojekt handelt, ob es sich um den finnischen Atomreaktor handelt, der 3 Milliarden kosten sollte, und jetzt sind sie schon bei fast 6 Milliarden, und er ist immer noch nicht fertig. Ob es sich um den Eurofighter handelt, ob es sich um Transrapid handelt, überall können Sie das doch ganz genau beobachten. Und das hängt eben damit zusammen, dass zum Beispiel bei Großprojekten jede Verzögerung die Kapitalkosten massiv erhöht. Bedenken Sie mal bei dem Desertec-Projekt, wo es ja um die Solarstromerzeugung in Nordafrika geht, plus der Lieferung nach Mittel- oder sogar Nordeuropa, jede Verzögerung des Leitungsbaus bedeutet, es kann nicht geliefert werden. Sprecherin: Mit dem Leitungsbau, von dem Hermann Scheer spricht, ist das Stromnetz gemeint, dass den in der Sahara oder anderswo erzeugten Strom bis nach Europa und damit auch nach Deutschland transportieren soll. Und diese Stromautobahnen - die Experten sagen: Supergrit - müssen komplett neu gebaut werden. Der Schwede Johan Lillistan vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung erläutert warum. 15.O-Ton: Lilliestan/ 3:15 Na, weil das Stromnetz (...) ist für große Atomkraftwerke, für große Kohlekraftwerke (...) aufgebaut. Die sind aber alle grundlastfähig, das heißt, die speisen die ganze Zeit konstant Strom ein. Und dann gibt es noch ein bißchen zum Austarieren oben drauf, Gaskraftwerke oder sowas. Sprecherin: Nur... so leicht - mit ein bißchen Umgestaltung - wird sich der Umbau des Saharastrom-Netzes nicht machen lassen, meint Hermann Scheer. 18.O-Ton:Scheer/ 4:55 (...)zu denken, dass bei Tausenden Kilometer neuer Leitungen, das ist nicht nur eine Leitung, zunächst einmal über das Mittelmeer, das ist nicht so schwer über die Straße von Gibraltar oder Tunesien, Sizilien, dann nach Italien, aber dann durch ganz Italien, über die Alpen, durch Spanien, über die Pyrenäen, durch Frankreich nach Mitteleuropa, oder gar noch weiter. Dann, diese Leitungen entstehen ohne Zeitverzögerung. So dass im Jahr 2020, wie angegeben, das ist ja grade mal noch 11 Jahre, schon jede Menge Strom aus Nordafrika hierher geliefert werden könnte. Hier brauchen wir manchmal für 50 Kilometer schon 10 Jahre, und hier geht es um Tausende von Kilometern, und nicht nur um eine Leitung. Sprecherin: Auch Johan Lilliestan bestreitet nicht, dass es noch im Errichten der Transportleitungen große Probleme gibt, die zu bewältigen sind. 19.O-Ton: Lilliestan/ 1:00 Die Technik für die Übertragungsnetze haben wir (...). Da muss man erst mal diese Größenordnung hinkriegen. Das ist ein Unterschied, ob man eine Leitung baut oder ein riesengroßes Netz. Die großen Probleme sind eher auf der politischen Ebene. Das heißt, man muss sehen, heute ist es sehr schwierig eine Hochspannungsleitung zu bauen, und die Genehmigung dafür zu bekommen. Es dauert 10 bis 12 Jahre. Wenn man eine Leitung von Marokko nach Köln bauen will, ist das ungleich schwerer. Mit solchen Problemen haben wir es zu tun. Nicht unbedingt technische Probleme oder ökonomische Probleme, sondern politische Probleme. Das man sich entscheiden muss, wir wollen das jetzt machen, wir müssen das vereinfachen, und eine Art Arena für sowas bieten. Sprecherin: Die Probleme eines funktionierenden Stromnetzes von Nordafrika bis nach Europa sind nicht der einzige Kritikpunkt am Desertec-Projekt. Das Wort vom "Solarstromkolonialismus" etwa hat eine Zeitlang ebenso die Runde gemacht. Was ist damit gemeint? Dieter Uh von der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit. 20.O-Ton:Uh/ Im Moment ist es doch noch eine sehr eurozentristische Idee. Das wird in Deutschland oder Europa vorangetrieben... Sprecherin: Was Dieter Uh, in Marokko direkt zuständig für erneuerbare Energien meint, ist, dass man auch in Ländern wie Marokko, Tunesien, Ägypten oder Jordanien genau weiß, dass die Zeit der fossilen Brennstoffe zu Ende geht. 21.O-Ton:Uh/ 3:55 Jetzt (...)liegt auf dem Tisch sozusagen, dass Europa dort reingeht und finanziert und den Strom exportiert. Sprecherin: Hermann Scheer formuliert das Problem des Stromkolonialismus noch deutlicher. 22.O-Ton:Scheer/ 8:40 (...) ich will jetzt gar nicht von den politischen Instabilitäten in den nordafrikanischen Ländern reden, die können woanders auch kommen. (...) Unterstellen wir mal, die Dinge würden dann tatsächlich da alle hingestellt. Das sind dann in erster Linie europäische Stromkonzerne, die stehen ja auf der Matte, (...) und dann errichten die dort ihre Kraftwerke. Und dann haben sie für die Lieferungen, die sie dort einbringen könnten, quasi wieder eine Monopolstellung, oder eine Oligopolstellung. Von dem die anderen sich abhängig gemacht haben durch entsprechende Verträge. Oder weil sie auf eigene Investitionen bei sich selbst verzichtet haben. Und welche Oligopolanbieter fragen nur nach kostendeckenden Preisen? Das wäre ja einmalig in der gesamten Weltwirtschaftsgeschichte. Ich kenne kein solches Beispiel. (...) Die wollen doch auch erstmal ihre Rendite haben, sonst investieren sie nicht. Die rechnen ja hier - man muss nur in ihre Bilanzen schauen - die rechnen ja hier mit mindestens 15 % Rendite, sonst ist alles uninteressant. Sprecherin: Und wenn die Konzerne erst einmal ihre Kraftwerke dort am Laufen haben, meint der Politiker, den viele als deutschen Umwelt-Papst bezeichnen, dann sind diese Länder praktisch machtlos. 23.O-Ton:Scheer/ 13:05 Das Desertec-Projekt sagt, da gibt's Strom für uns von dort. Und dann kriegen die ein bißchen was davon ab. Und das, was sie davon abkriegen, ist aus der Hand von Großinvestoren. Und diese großen Investoren sind meistens nicht Investoren aus dem eigenen Lande, jedenfalls so ist es nicht gedacht. Und dass das zum Vorteil der Länder gereichen würde, kann ich nicht sehen. Was zum Vorteil dieser Länder gereichen würde ist, dass sie für sich - und das durchaus mit unserer Hilfe - den umfassenden Wechsel zu erneuerbaren Energien unverzüglich einleiten(...) Sprecherin: Als ein Beispiel für die Wichtigkeit seiner Forderung nach einem umfassenden Wandel der Energieerzeugung in den betreffenden Ländern nennt Hermann Scheer Marokko. 24.O-Ton:Scheer/ 15:05 Marokko hat phantastische Windbedingungen und Solarstrahlungsbedingungen, Windbedingungen wegen der Atlantiknähe. Und Marokko muss heute 97 Prozent seines gesamten Energiebedarfs importieren, in Form von Öl, Gas und Kohle. Dieses kostet Marokko 40 Prozent seiner gesamten Deviseneinnahmen, also alle Exporteinnahmen. Der Wechsel zu erneuerbaren Energien aus heimischen Quellen würde bedeuten, dass sie diese 40 Prozent tendenziell einsparen können, völlig vermeiden können. Durch nichts können sie größeren gesamtwirtschaftlichen Vorteil erzielen als dadurch. Also jedenfalls einen entschieden größeren Vorteil, als wenn sie einen Pachtzins abbekommen würden Sprecherin: Nur was ist der andere Weg, die Lösung aus dem Energie-Dilemma, wenn Desertec weder technisch noch politisch machbar ist? Klar ist, es muss etwas geschehen, und zwar sofort. 25.O-Ton: Hans-Josef Fell/ DIEGRÜNEN/ 1:23 Es ist natürlich klar, dass dezentral der entscheidende Ausbau bei uns hier in Europa kommen wird, und auch kommen muss. Die Dezentralität hat finanzielle Vorteile und natürlich auch Vorteile, dass die heimische Energienutzung auch tatsächlich die Versorgungssicherheit bringen wird. Sprecherin: Hans-Josef Fell; energiepolitischer Sprecher von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. 26.O-Ton: Hans-Josef Fell/ DIEGRÜNEN/ 1:23 (...) Aber ich unterstütze das Wüstenstromprojekt auf jeden Fall. Denn es gibt die Chance, wenn wir über die Initialfinanzierung Hilfe leisten, dass dort auch eine eigene Initiative in Gang kommen kann, und die Solarstromkraftwerke auch für die Eigenstromerzeugung auch ausgebaut werden können. Denn es macht keinen Sinn, das wir nur den Strom nach Europa transportieren. Sondern er muss auch vor allem für die dortigen Länder zur Verfügung stehen. Sprecherin Und Thorben Becker, Teamleiter Klimaschutz im Bundesverband BU.N.D. ergänzt... 27.O-Ton:Becker-BUND/ 4:00 Es darf, wenn ich über solche großen Strukturen wie Desertec nachdenke, oder auch Offshore - Winde in der Nord- und Ostsee, das ist ja auch ein sehr großtechnischer Ansatz für die erneuerbaren Energien, das sollte immer nur ein Teil sein. Und es macht absolut Sinn, sehr verbrauchernah die erneuerbaren Energien auch zum Einsatz zu bringen. Sei es mit einer Photovoltaikanlage auf dem Dach, sei es mit einer Heizung, die über Biogas funktioniert im Keller. Das dürfen wir auf keinen Fall vernachlässigen. Weil diese Dezentralität vereinfacht das, was wir an Netz haben müssen. Weil natürlich die Transportwege überschaubarer sind, das macht das ganze System flexibler und unangreifbarer auch. Sprecherin: Hermann Scheer setzt ebenfalls auf die kleinen dezentralen Heimkraftwerke. 28.O-Ton:Scheer/ 16:40 (...) bei uns geht es um Solarstrom in Deutschland, in den einzelnene Regionen, für die einzelnene Regionen. Der Dezentralisierungsaspekt, der nur mit erneuerbaren Energien möglich ist überall, ist doch ein riesiger neuer kultureller Wert. Und er ist ein riesiger neuer volkswirtschaftlicher Wert..Bedenken wir doch, was passiert durch diese Dezentralisierung, durch diese Ablösung weniger Großanlagen der Stromerzeugung, wie das heute der Fall ist, zu vielen vielen unterschiedlicher Größenordnungen, die die wenigen ersetzen. Das bedeutet viele Eigentümer statt wenige. Das bedeutet breite Streuung der Investitionen in den jeweiligen Regionen. Man muss, wenn man breit erntet, in die Fläche. (..:) Das bedeutet regionale Wirtschaftsförderung. Das bedeutet breitere Streuung des Eigentums. Das bedeutet mehr Markt auf der Anbieterseite. (...) Und es bedeutet langfristige Energiesicherheit, neben den Umweltvorteilen. Alle diese Vorteile einer regionalen Wertschöpfung beiseite zu fegen, einfach als seien das Nullgrößen, uninteressant, (...) das ist der größte Vorwurf, den ich den Desertec-Autoren mache. Eine völlige Ablenkung von der sozialökonomischen, strukturellen, kulturellen Bedeutung des Energiewechsels mit der Chance, es dezentral zu machen. Sprecherin: In Wahrheit geht es nicht wirklich darum, ob es technisch und politisch machbar ist, mit hunderten solarthermischer Anlagen Strom in den Wüsten zu produzieren. Das ist machbar, schon lange. Oder diesen Strom dann, wenn es ihn denn wirklich in diesen Terawattgrößen zu bezahlbaren Preisen gibt, mittels tausende Kilometer langer Leitungen nach Europa und nach Deutschland zu transportieren. Auch das wird möglich sein. Nein, in Wahrheit geht es um etwas anderes. 29.O-Ton:Scheer/ 18:56 (...) es ist der (...) Versuch, mit Solarstromerzeugung die Strukturen der heutigen Energiewirtschaft zu kopieren. Und die Strukturen der heutigen Energiewirtschaft sind zentralistisch, und sie sind von der Natur der Sache her zentralistisch geworden. Denn wenn Sie die Primärenergie, das Erdöl, das Erdgas, die Kohle, auch das Uran, nur an wenigen Plätzen der Welt finden, und es dort konzentriert gefördert werden muss (...) dann ist damit von der Quelle her der Konzentrationsprozess vorprogrammiert, auch die Monopolbildung vorprogrammiert. Denn die Quelle selbst ist das Monopol, ist der Beginn des Monopols. Jetzt die Musik unter dem letzten Statement Scheers Sprecherin: Im Kern also, meint Hermann Scheer, geht es um die Erhaltung der alten Energiestrukturen, um Macht, und. viel...viel Geld. Sollte dieses Denken und Handeln die Oberhand bekommen, würden wir dabei mehr verlieren als nur ein paar Cent für eine Kilowattstunde Strom. 30.O-Ton: Scheer/ 21:20 (...) Es heißt, dass man nicht verstanden hat, welche Chancen umfassender Art über die unmittelbare Energieversorgung hinaus durch den Wechsel zu erneuerbaren Energien uns zur Verfügung stehen. ENDE Peter Kaiser/ 2009 13