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O-Ton Elke Erb: Denn das finde ich nicht richtig, wenn es heißt, nun aber nicht mehr. Was ist denn das für'n Witz? Das kann uns doch niemals gefallen. Sprecherin: Über zwei Hinterhöfe erreiche ich ihre Parterrewohnung. Und sehe sie bereits am Fenster stehen. Sie hat ein Lächeln, das kein Alter kennt. Als sie mir die Tür öffnet, erscheint sie mir wesentlich jün- ger als ich sie von Fotos her kenne. Und bei ihren ersten Wor- ten bestätigt sich, was über sie erzählt wird: sie spricht wie sie schreibt. O-Ton Elke Erb: Ich höre, was ich schreibe. Da habe ich ja schon mal ein Ge- dicht drüber gemacht: Alles was ich schreibe, ist das Wort im Gehörgang, belauscht ist das Wort im Gehörgang. Sprecherin: Ihre Augen leuchten, wenn sie nach den Wörtern greift und da- bei in Sekundenschnelle immer neue Assoziationsketten bildet. O-Ton Elke Erb: Ja eben. Das ist ein absolut dieses Theater. Und deswegen bin ich auch sprunghaft und spontan. Und ich meine, ich bin eh sprunghaft und spontan. So ein Wesen ist eigentlich kein mono- logisches Wesen. Ein monologisches Wesen bleibt stur in seiner Route. Sprecherin: Lange Zeit hieß es, sie würde in ihren Texten monologisieren. Doch beim genauen Lesen verliert sich dieser Eindruck. Es sind die unsichtbaren Schwingungen des Nichts, dieser ande- ren Wirklichkeit in und außer uns, die Elke Erb in Worte zu übersetzen sucht. O-Ton Ulrike Draesner: Wenn ich einen Band von Elke in die Hand nehme, dann versetze ich mich vorher schon in so einen verschieblichen Zustand. Ich erwarte jetzt nicht, dass jedes Gedicht zu mir auf die gleiche Art und Weise für diese n Augenblick meines Lebens etwas sagt oder mir aufgeht. Das wäre ja unheimlich. Sondern das wird so sein, manche springen einen an, andere sind völlig opak, und man fragt sich, was will sie denn da? Ich komme überhaupt nicht mit in dieser Art der Verkettung. Und zwei Jahre später ist das dann genau umgekehrt. Sprecherin: Ulrike Draesner, selbst preisgekrönte Lyrikerin und Romanauto- rin, ist schon lange vertraut mit den Texten von Elke Erb. Auch persönlich sind sie sich nähergekommen. Auf einer gemeinsamen Zugfahrt hatte sie gegenüber der älteren Kollegin die Gewohnheit erwähnt, täglich immer zur gleichen Zeit, fünf Minuten lang Notizen in ihr Tagebuch zu schreiben. Elke Erb greift diese Idee später auf und verfasst gut zwei Jahre lang ihre 5-Minuten-Notate. Urs Engeler in Basel hat diese in dem neuen Band Sonanz veröffentlicht. O-Ton Elke Erb: Die sind zwei Jahre (automatisch) aus mir herausgelockt wor- den. Schreib fünf Minuten was auf, fast jeden Tag. Das ist un- geheuer, das ist ein Ich, das niemand je gefragt hat. Und es wird jetzt gerufen, eben automatisch. Kein Thema, nur ein Datum. Keine Vorgabe am besten. Keine Idee vorher, was du schreiben wirst. Fang mit einem Wort an, und dann ergibt sich so was. Ich habe eine Show gemacht von 2003 bis ungefähr 2006 in diesem neuen Buch. Zitatorin: Der Einsame schreibt Turbulenzen. Bricht die feste umgebende Materie auf. Blickt klug, bricht auf, blickt ein wenig ironisch. Leichte Tänze aus Unverwahrtem Pfeift er, höre ich, schreibt er. Aus: Sonanz O-Ton Ulrike Draesner: Gedichte sind schöne Mittel, um auf die eigene Vernagelung zu stoßen und zu merken, schau mal an der Stelle bist du jetzt gerade ganz taub. Oder schau, wenn du da ein paar Mal nach- bohrst, dann macht es plötzlich pling. Zitatorin Mit dem Schreiben spüren, dass man lebt und nicht schläft. Sprecherin: So greift Elke Erb Impulse aus dem Leben auf und fragt, wie in ihrem 2003 erschienenen Band Die Crux: Zitatorin: Was ist das für ein zwittriger Kreis zwischen Raum und Zeit. Sprecherin: Und sie kommt zu dem Schluss: Zitatorin: Das Nichts ist die Crux. Sprecherin: Doch wie lässt sich dieser Nullpunkt fassen? O-Ton Elke Erb: Und dann halte ich jedes Nichts für eine Umschaltposition. Aber vor diesem Gedanken, dass es eine Umschaltposition ist zu etwas anderem hin, denn bis dahin muss ja alles erst einmal Nichts werden. Du kannst doch nicht einfach aus dem Vollen um- schalten. Es muss doch irgendwie. Eine Umschaltung geht doch über über Null. Also aber vor diesem Gedanken ist ein verdamm- tes Wohlgefallen an einem Nichts. Es ist, als würde ich er- löst. Regelrecht, wie heißt das, mit dem Ball, mit den Bällen jonglieren, so herumjonglieren und dann entsteht ein so prächtiges Nichts, und in mir geht ein Vergnügen los. (Lachen) Du willst ja gar nicht Niente, du willst ja gar nicht Nichts haben. Du willst einfach leben. O-Ton Ulrike Draesner: Es gibt viele Leute, die sind irritiert, wenn sie mit Elke zu tun haben, also wenn sie mit ihr sprechen, weil sie manchmal keine Antwort zu geben scheint, wenn man sich mit ihr unter- hält. ( 2 Sätze raus) Also es ist wie eine Art verschobenes Sprechen. Und das hör ich eben auch in den Gedichten. Sie ver- schiebt die Wahrnehmung wie eine Drehung weiter und zeigt da- mit auch gleich den Mechanismus der Wahrnehmung auf. Zitatorin: Stelle ich mir vor, was ich sehe, seien Erscheinungen Und die Erscheinungen seien nur Schein. Und der Schein sei nichts als Oberfläche. Und die Oberfläche sei glatt. Aber die Erscheinung >suspekt< Sei nicht glatt wie die Gesamtheit der anderen, sondern schrumplig verdecktes Loch in der Gesamtheit der andern. Als brodele etwas, ohne zu kochen, brodele kalt - suspekt. Werfe Blasen auf. Diese Stelle verdeckt die Hölle. Und wäre ein Denkprozess Adäquat so beschreibbar, und man beschriebe ihn so - fände er sich diffamiert. O- Ton Elke Erb: Sehen ist gleichzeitig blind sein. Worauf man sieht, macht einen blind für was anderes. Basta. Sprecherin: Als Älteste von drei Geschwistern wird sie in der Eifel gebo- ren. Ihr Vater ist freier Schriftsteller und die Mutter Haus- frau. Bis heute finden sich in ihren Texte Spuren aus der Kindheit. Doch der Ton hat sich über die Jahre verändert, wenn sie von den frühen Erfahrungen erzählt. Er ist spielerischer geworden. Teilweise schwingt sogar leichte Ironie mit. 1970 schreibt sie ihre Eifel Erinnerungen. Hier wird ein Kind beschrieben, das der Welt noch mit Erstaunen gegenübersteht. Zitatorin: Ein Kind, das weit in die Welt hineingeht, erwartet das Wun- der. ... Wenn wir das Echo rufen, ist es das Wunder. O-Ton Elke Erb: Das Echo, es sagt nie Esel. Wie heißt der Bürgermeister von Wesel? Es sagt nicht Esel. Und ich glaube, während des Textes habe ich das Unechte angesehen, wo du als Kind dem schon eil- fertig folgst. Und du weißt auch nie, ob ein bisschen Ironie im Wort ist. Das ist ja ein Kind, das denkt, das ist die Mär- chenwiese. Ob das Kind nicht eventuell schon zitiert? Sprecherin: Elke Erb geht als Kind über die Wiesen, holt mit der Mutter und den Schwestern Heu für die Ziege, hilft beim Auflesen der Kartoffeln und sammelt Holz. Die ländliche Idylle wird jedoch vom Krieg überschattet. Englische Soldaten werden einquartiert und vor dem Fenster fahren die Panzer vorbei. Zitatorin: Wir sehen hinter den Bergen die Städte brennen, hören die Si- renen, die Flugzeuge( Mama, ist der Russe ein Mann?), empfan- gen die Evakuierten, haben nichts für die Bettler oder nur eine große mitleidige Schnitte Brot, hören vom Frieden spre- chen wie von einem verlorenen Paradies. Aus: Eiffel Erinnerungen Sprecherin: Nach Kriegsende geht Elke Erb zur Volksschule auf dem Land. Der Vater gilt als vermisst. Bereits seit 1941 lebt die Mutter mit den drei Kindern allein. Doch es kommt keine Nähe auf zwi- schen Mutter und Tochter. O-Ton Elke Erb: Es war nicht eine Erfahrung der Entbehrung. Es war etwas, was ich einfach so übernommen habe. Ich weiß, dass ich viel, viel später, da war ich schon um die 50 rum, da hatten wir immer so eine psychologisierende Phase in der DDR, Mutterkomplex und so. Und ich sitze auf einmal im Bett und denke, sie war nie zärtlich. Es war noch immer so, dass wir einander nicht die Hand gaben, wenn wir uns trafen, die Schwestern und so. Außer- halb der Familie habe ich gesehen, dass ich das dauernd tue. Und jetzt auch. Ich rühre Leute an, wenn ich mit ihnen spre- che. Ich bin erstaunt. Es sind immer die Hände dabei. Zitatorin: Vor unserem Kaninchenstall, der wohlgebaut war, von Pappa, nach einem Buch, hatte ich einmal als ganz kleines Kind das Wort "kalt" erlernt. Denn ich stand da, als Pappa fütterte, ich bekam rote Hände, die Fingerspitzen kribbelten, ich fing an zu weinen und zu schrein vor lauter Ärger, dass ich dem Pappa nicht sagen konnte, dass mir kalt war, der Pappa spotte- te nämlich und lachte: "Was hast du denn, was hast du denn?" - "Hier!" schrie ich wütend. "Hier!" - "Ach kalt sind sie?" Wo- her hat ein Kind Würde? Warum sagte ich nicht: "Ja kalt.", da man mir dieses Wort doch nun gab? Ich schrie heftiger; belei- digter Stolz. Nachher war der Papa weg. Aus: Eiffel - Erinnerungen O-Ton Elke Erb: Er sagt: Kalt sind sie. Kalt sind sie. Und ich fand ihn ver- ächtlich. Der hat die Wirklichkeit beleidigt. Das, was wirkte, hat er beleidigt und das in der Figur seines kleinen Kindes. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ist es ganz deutlich, dass ich an Leiden anschließe. Sprecherin: 1949 erfahren die Mutter und die drei Mädchen, dass der Vater aus der englischen Kriegsgefangenschaft direkt nach Halle in den Osten Deutschlands gezogen ist. Aus Überzeugung, wie Elke Erb später erfährt. Die Mutter und die Schwestern kommen nach. Der Vater hat jedoch nur ein Zimmer mit Schreibtisch und Bett gemietet. Platz ist nur noch für die Mutter. Die drei Ge- schwister kommen für zwei Jahre in ein Heim. Erlebt die Ent- fremdung hier ihren Höhepunkt? O-Ton Elke Erb: Die Entfremdung war eigentlich schon passiert. Eigentlich durch die Art, wie die Mutter war. Die Abwesenheit des Vaters und endgültig war das dann im Heim. Da wurde ich dann gerufen von der Erzieherin, so aus dem Tumult der anderen. Da lag mein Vater und zitterte. Dann nahm er meine Hand am Handgelenk und sagte, du bist wie Mama. Und da war alles zu Ende. Ab da hab ich keine Eltern mehr gehabt. Zitatorin: Mit den ersten Lauten hatten sich, wie man bei einem Instru- ment vor dem Spiel prüfend einige Tasten anschlägt, mein Sub- kutanes Lebewesen hervorlocken lassen und sich selbst ange- stimmt, so dass es als leibliches Instrument fortan anwesend ist. Aus: Sonanz Sprecherin: Dieses subkutane Lebewesen hat sich bereits mit zwanzig im Schreiben angestimmt und orientiert. Elke Erb studiert zu- nächst Pädagogik, Geschichte und Germanistik in Halle. Während des Studiums beginnt sie mit dem Schreiben. Und sie übernimmt erste Übersetzungen aus dem Russischen ins Deutsche. Bis heute übersetzt sie Texte aus dem Russischen und Weißrussischen. Von Autoren wie: Oleg Jurjew, Sergej Jessenin, Leonid Maljugin oder Boris Pasternak. Seit einiger Zeit übersetzt sie auch Li- teratur aus dem Englischen. Die Pädagogiklaufbahn schlägt sie nicht ein, sondern beschließt als freie Autorin zu arbeiten. Zu dem Zeitpunkt hat sie noch nicht eine Zeile veröffentlicht. O-Ton Elke Erb: Natürlich hatte ich Herzklopfen - monatelang - als ich frei- schaffend wurde. Aber ich war auch schon in der Nervenklinik gewesen zum zweiten Mal. Das Hauptphänomen war, ich konnte nicht mehr weiter gehen. Ich blieb einfach stehen. Wie nennt man das? Stockung, Hemmung, Blockierung. Und dann kommt aus aus dem Nachbarzimmer eine Patientin und zeigte mir ein Foto von einem Baby, und dann konnte ich mich wieder bewegen. Ich wusste, es genügte eine Kleinigkeit. Zitatorin: Wache auf, einen Rhythmus im Ohr, wie ein übersetzter Vogel- schrei. Will nun arbeiten. Nein. Innen weint etwas laut, reißt Vakuen auf, das leibhafte Unheil. Wie etwas gut Brennbares Flammen schlägt. Kommt etwa das untröstliche, tagelange, erschütternde, un- erschöpfliche Weinen wieder von da, als zu lieben unmöglich war; Und der Pflaumenkuchen nach dieser Zeit hat nicht gesiegt? Aus: Die Crux O-Ton Ulrike Draesner: Offen mit dem Ich, würde ich sofort unterstreichen. Ganz em- phatisch sogar. Das ist ein Thema, das ich bei Elke immer wie- der bearbeitet und verarbeitet sehe. Entwinkelt. Was aufgefal- tet und wieder eingefaltet wird. Exakte Konstrukte. Raffiniert gebaut. Sprecherin: Anfang der sechziger Jahre beginnt sie, als Lektorin für den Mitteldeutschen Verlag in Halle zu arbeiten. Es entstehen ers- te Kontakte zu Sarah und Rainer Kirsch, zu Heinz Czechowski und Adolf Endler, Karl Mickel und Erich Arendt. Ihm und Peter Hacks schickt sie ihre ersten Texte. Erich Arendt antwortet: Ich begrüße die neue Sonne am Hori- zont. O-Ton Elke Erb: Das fand ich ja auch wirklich enorm. Wie konnte der? Da hätten sie mal die feinen Anfänge rsätzchen... so was von versuchter Ironie. Wo der Hacks mir das zurückschickte mit dem Satz: Das mir!! Und dann der Erich Arendt. Dann hat der das doch irgend- wie gemerkt, dass da mehr ist, als dass man sagen kann - das mir. Zitatorin: Sehnsucht nach Geborgenheit Ist, sehe ich suchend, Sehnsucht nach einer Geborgenheit An dem Ort, den eine zu treffende Übereinkunft schafft, die man gern, übereilt, für getroffen hält. Es ist verrückt, aber leuchtet ein: Die Sehnsucht will Geborgenheit in der Zukunft Wenn auch schon von jetzt an, wenn auch für jetzt gleich. Überlegung im D-Zug, Erinnerung, (Schock). aus: Kastanienallee Sprecherin: Im Erinnern liegt Sehnsucht nach einem Heimatboden, den sie in der DDR nicht findet. Seitdem sie sich in die laufende Lyrik- debatte Anfang der 60er Jahre für eine bessere Lyrik in diesem besseren Land einbringt und eine Rezension zu der gleichnami- gen Anthologie von Adolf Endler und Karl Mickel schreibt, gilt sie als regimekritisch. Sie schreibt weiter und veröffentlicht 1968 ihre ersten Gedichte. In dem Band Kastanienallee, der 1987 erscheint, behauptet sich ein Ich gegen das staatlich verordnete Wir. Zu jedem Gedicht gibt es Erläuterungen - eine Art Selbstvergewisserung des Denkprozesses bei der Wahl der Wörter. Kastanienallee ist ihr sechstes Buch und bringt ihr den Peter Huchel Preis ein. Ein Preis von dem Mann, der für sie eine Art Unterpfand für das Schreiben war. Er war eine un- freiwillig heimliche Gewähr des Schreibens, wie sie sagt. Und formuliert genauer: Zitatorin: Seine Stimme traf in meine Stille. Sprecherin: Die jungen Lyriker treffen sich regelmäßig. Verbindungen wer- den jedoch nicht nur in der Auseinandersetzung um die bessere Lyrik geknüpft, auch Paare finden sich. Wie Sarah und Rainer Kirsch heiraten auch Elke Erb und Adolf Endler. Die Ehe wird zehn Jahre halten. Sie arbeiten zusammen an Kindertheaterstü- cken und unternehmen mehrere Arbeitsreisen nach Georgien. Und ihr Sohn Konrad wird geboren. Zitatorin: Morgens, noch in der Waagerechten, wird, was wachgeworden war, erschossen, die Empfindung. {...} Tränen unter Tage nur bei entsprechenden Gelegenheiten. {...} Weichgeweint und aufgeräumt, na Kopf hoch. Ich bedaure, dass ich diesen Exekutionen noch immer nicht gewachsen bin. Aus: Nachts halb zwei zu Hause O-Ton Elke Erb: Da kam ich an Grenzsituationen. Wie das eins ist. Und da hast du ein Kind, da habe ich ja mehrere Äußerungen auch zu getan, die auch wirklich Mut forderten. Zum Beispiel diese: Ein Turm bin ich vor dem Kind. Ja? Ich bin in diesem Buch wirklich in Grenzsituationen gewesen. Musikakzent O-Ton Elke Erb: Das hat seine Konsequenz, wenn man sein Leben wirklich lebt. Zitatorin: Dauernd tut mir das Herz weh, als stieße man sich an den Ze- hen. Aus: Die Crux O-Ton Elke Erb: Man sieht nicht, was man ist. Übrigens sieht man niemals, was man ist. Man guckt schon irgendwie auf sich. Aber auch ziem- lich Gott verlassen. Du weißt es einfach nicht. Du weißt ein- fach nicht richtig, wer du bist. Und die anderen sagen es dir auch nicht. Sprecherin: Ihr erster Besuch beim Poetry Festival 1982 in Rotterdam wird für sie zu einer ganz eigenen Erfahrung, die Einfluss auf ihr Schreiben haben wird. O-Ton Elke Erb: Es war, als hätte ich versäumt, die Schönheit aufzunehmen. Und das hat die Niederlande mir beigebracht. Da war ein Ausflug während des Festivals in die Gegend so und ich merkte schon, dass das anfing. Es war nicht nur die Gegend. Irgendwas war. Ich war blind vor Weinen. Neben mir saß eine Frau, die sagte, sie habe schon das siebzehnte Buch jetzt. Ihr Mann sei Verle- ger. Es war, weißt du, sie haben Anteil genommen, und ich war nur Weinen. Also das war eine Wahnsinnsreue, dass ich ge- schrieben habe, ohne genügend Schönheit zu kennen. Also nicht mit allem, was in mir war. Sprecherin: Doch sie verlässt die DDR nicht. Das Überleben als freie Auto- rin scheint ihr im Westen noch unsicherer. Sie arbeitet weiter an ihren Texten, die nicht immer leicht zugänglich sind. O-Ton Ulrike Draesner: Mir geht es oft mit Elkes Texten so, dass ich sie lese und wirklich weglegen muss und nachwirken, nachhören. Und wenn man fünf Minuten später drauf schaut oder einen Tag später, hat man sich ja selbst verändert. Und auch der Text hat sich ver- ändert. Und das finde ich sehr schön, dass Literatur das kann. Sprecherin: Diese Begeisterung beim wiederholten Lesen von Texten wider- fährt Elke Erb seit Jahren bei der Lektüre der Gedichte von Friederike Mayröcker. 1993 bringt sie die gesammelte Lyrik und Prosa dieser Seelenverwandten heraus. O-Ton Elke Erb: Es ist schwer zu beschreiben, was sie ist. Aber ich habe ein neues dickes Buch von ihr, wo alle Gedichte von ihr drin sind. Ich bin da hinein gefahren und denke es ist wie ein Jungbrun- nen. Du kannst es immer wieder lesen und hinein. Du begibst dich als Fisch in diesen Weiher, und du wirst immer wieder der neue Fisch. Du strahlst von Leben, von ihr. Weil sie ist to- tal, wirklich unbedingt. Sie ist total Schreibende. Musikakzent Sprecherin: Ich treffe Friederike Mayröcker, die große Dichterin und Elke Erbs Seelenverwandte, in Wien. Für unser Gespräch wählt sie ein Café aus, was gut besucht ist. Eigentlich ist sie gerade sehr vertieft in eine neue Arbeit und die Zeit kostbar, doch über Elke Erb zu reden, ist ihr wichtig. Die beiden Dichterin- nen verbindet eine zwanzigjährige Freundschaft. O-Ton Friederike Mayröcker: Unlängst hat sie mich angerufen, und dann hat sie gesagt, es ist wirklich so, dass ich dich lieb hab, weil du so schreibst wie du schreibst, und dann hat sie angefangen, sprudelnd, al- les Mögliche was sie erlebt hat, wie sie ihr Inneres, in Spra- che verwandelt hat. Jeder Satz bringt eine Quelle von magischen Bildern und Wort- geflechten. Vor allem Bilder, Bilder, sie spricht über Bilder, die in ihrem Inneren vorgehen, um die ich sie beneide, und ich glaube, dass sie getragen wird von einer Wortphilosophie. Manchmal meldet sie sich am Vormittag, und dann nehme ich ein Notizzettel und schreib es ganz rasch auf, weil die Sachen sind so wunderbar, was sie sagt. Und ich gebe dann natürlich an, dass das von Elke Erb ist, wenn ich es verwende für meine eigenen Sachen. Musikakzent O-Ton Elke Erb: Und zwar kommt das aus dem Gewächs, das ich bin. Das kommt von selber. Das ist nicht ausgedacht. O-Ton Friedericke Mayröcker: Also ich find sie großartig. Sie ist viel zu wenig anerkannt und viel zu wenig gewürdigt. Man müsste ihr wirklich einen ganz großen Preis geben. Zitatorin Was ich lebe, das schreib ich auch. Sprecherin: Dieser oft zitierte Satz von Elke Erb erklärt, wie sie als Schriftstellerin vorgeht und was das Besondere ihrer Prosa und Verse ausmacht. Jede Regung, jeder Blick - alles, was sie wahrnimmt, wird notiert und zum Gedicht. Manchmal reicht ein Wort, das die Assoziationskette in Gang setzt, oder ein Hin- weis aus der Natur. Etwa, wenn sie in die sächsische Land- schaft von Wuischke hinausgeht. Hier verbringt sie seit Jahren die warmen Tage des Jahres. Bei der Wortsuche nutzt sie neben anderer Lektüre immer wieder ihr Tagebuch. Für Elke Erb eine wichtige Quelle für die ständige Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Dabei setzt sie das eigene Ich schonungslos ins Licht. So wie in dem Buch Die Crux, in dem sie wiederholt ihr Spiegelbild fixiert: Zitatorin: Wie der Mund sitzt, zu dem Blick, als Erkundungsvorschub über dem Kinn, mit dem Kinn (das ich aber nicht sehe) ins Außen ge- hängt; habe jetzt meine schlaflosen Adrenalin Gedanken, Stressschübe, & mir fällt das Gesicht ein. Sprecherin: Am Ende des Bandes schreibt sie: Zitatorin: Man rechnet nicht mit der Nomadin in sich. O-Ton Draesner: Das finde ich vollkommen erstaunlich, dass Elke Erb das sagt weil, ich finde, das sieht man ihr schon an. Wenn sie in den Spiegel schaut, müsste ihr die Nomadin doch schon entgegen gu- cken. Und es gab eine ganze Zeit, also da hatte ich Elke Erb wohl kennen gelernt als Leserin, aber nicht die Person und lebte schon in Berlin. Und manchmal erzählten Leute, ich habe Elke Erb gesehen oder so was. Und jemand sagte: ja ich habe Elke Erb gesehen, und sie ist in der U-Bahn gewesen, an so einem U-Bahnhof unterirdisch, und hätte einen Schirm dabei ge- habt, offen dabei gehabt. Und ich weiß nicht, ob das jemals wahr war oder ein Bild, oder ob ich mir das nachträglich aus- denke, ohne dass ich es weiß. Für mich wurde das so ein rich- tiges Imago für Elke Erb, wie ich sie wahrnehme, aus ihren Ge- dichten heraus. Es hat immer etwas Luftiges, etwas Schweben- des, und wie so eine zarte und doch in sich feste und sehr ge- nau bestimmte Mary Poppins fliegt sie da, durch die Welt, die auch die Sprachwelt und die Gedichtwelt und die Gedanken und die Gefühlswelt ist. Und entdeckt das Ungeheuerlichste und verbindet das mit dem ganz Normalsten und segelt wieder mit ihrem Schirm davon, und so geht sie dann durch die Welt und fährt Berliner U-Bahn. Zitatorin: Dachte, sehe mal in den Spiegel. Ist doch seltsam, dass man immer als etwas sich bewegt, was man nicht sieht und nicht kennt. Sprecherin: So geht sie durch den Wortwald und versucht Licht in die Ver- hältnisse zu bringen. Sie sät die Wörter und hört auf die Re- sonanzen, die sie hervorrufen. Schwingt in dem Erwarten der Töne Hoffnung mit? Nein, sagt sie, Hoffnung brauche sie wirk- lich nicht. O-Ton Elke Erb: Es dauert alles schon sowieso so lange. Und ich brauche sie wirklich nicht. Es ist einfach nicht wahr, wenn man das Gegen- wärtige nicht auslebt, dann geht es nicht mehr um Hoffnung. Und eigentlich ist es so, dass sie schon jede Gelegenheit ziemlich gut wahrnehmen, wenn es ein bisschen Plus gibt im Le- ben. Wenn es schon ein bisschen mehr kommt. Dann sind sie schon dabei. Auch dieses Gehen und Lesen im Park - Gedichte. Was anderes lohnt sich nicht. Gedichte aber ja. Gehen dabei. Das ist so eine Pluszufuhr von gesteigertem, von genauem Le- ben. Da kann man schon etwas tun, damit man nicht so viel ver- säumt. Das ist nun wirklich ein ganz anderer Betrieb als Hoff- nung. Sprecherin: Und während Elke Erb mir aus ihrem Leben erzählt, tauchen für sie aus dem Gesagten schon wieder neue Themen und Fragen auf. Material zum Lesen, zum Arbeiten hat sie genügend. Auf dem Bo- den ihres Zimmers hat sie sich die verschiedenen Papiere und Bücher zurechtgelegt. In jedem dieser Stapel liegt ein neuer Anfang, der seine eigene Zeit hat, so wie die Pflanzen vor ihrem Fenster, die den Frühling erwarten. Zitatorin: Man wird es zu komponieren haben was man lebt. Aus: Die Crux O-Ton Friederike Mayröcker: Liebe Elke, meine lunatische Dichterin - große Freundin - vie- le Deiner Gedichte hätte ich selbst gerne geschrieben. Sei um- armt und beglückwünscht von Deiner alten Friederike. Musik 1