COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt werden. Deutschlandradio Kultur, Länderreport 15.11.2010 Jeder kann schreiben - Schulhausromane in Hamburg Autorin: Ursula Storost Redaktion: Claudia Perez Anmoderation: Aus der Wilhelmsburger Gesamtschule kam der erste Hamburger "Schulhausroman". Für viele der Jugendlichen ist die Teilnahme am Schulhausroman die erste positive Erfahrung mit Sprache überhaupt. Die Idee der Schulhausromane kommt aus der Schweiz. Im Mai dieses Jahres präsentierten die jungen Erzähler ihre Geschichte auf der Bühne des Hamburger Literaturhauses. Und die Sache zieht Kreise. In diesem ersten Schulhalbjahr beteiligen sich vier weitere Hamburger Schulen an diesem Projekt. Aber was ist da so anders, als bei einem Aufsatz in der Deutschstunde ? Es sind die Themen, es ist die freie, manchmal auch nicht jugendfreie Ausdrucksweise, es ist die Zusammenarbeit unter den Schülern und es werden keine Zensuren verteilt. Und ganz am Ende hat man ein geistiges Produkt ganz handfest auf dem Tisch zu liegen. Ursula Stohrost hat einen Teil des Entstehungsprozesses begleitet. Musik Sprecher: Viele, die zum ersten Mal nach Wilhelmsburg kommen, meinen, sie seien in einer anderen Welt. Musik hoch Autorin. Dieser Satz steht als Motto über dem Schulhausroman von Schülerinnen und Schülern aus Hamburg-Wilhelmsburg. Willytown, wie die Jugendlichen sagen. Prompt beginnt ihre Geschichte mit einem Wesen vom andern Stern. SchülerInnen lesen An einem Tag im Mai des Jahres 2010 fällt ein Alien aus dem All. Er landet in Willytown auf dem Dach einer Schule. Der Alien betritt das Haus und geht auf eine Tür zu. Er öffnet die Tür und schaut in den Raum. Er sieht 17 Gesichter und fragt: "Wo bin ich denn hier gelandet?" Die 17 Gesichter schauen den Außerirdischen erstaunt an. Dann geben sie ihm Antwort. Bora Cem sagt: "Sie sind auf der Milchstraße. Auf einem Planeten namens Erde." Der Alien schaut verzweifelt. Da sagt Ayten genervt: "Kennst du den Planeten Erde nicht?" Deniel sagt: "Sie sind in Europa." Elmedina sagt: "Sie sind in Deutschland. Sie haben sich verirrt!" Dann rufen alle 17 im Chor: "Das hier ist Willytown!" Und Patrik ergänzt: "Rothenhäuser Straße Nummer 67." Atmo Schulklasse Autorin: Rothenhaüser Straße Nr. 67. Das ist die Adresse der Gesamtschule Wilhelmsburg. In der heutigen Klasse 9c sitzen siebzehn Schülerinnen und Schüler. Die meisten haben dunkle Haare , dunkle Augen und eine dunkle Haut. Ihre Eltern kommen aus Paksitan und Indien, aus der Türkei, aus Portugal, Afghanistan, Mazedonien und aus Deutschland. Die Lehrerin heißt Karen Bergmoser. Bergmoser O-Ton Wir haben Faissal, Achmadzei, Bora Chen, Miguel, Denniel, Erjan, Mohammad, Patrik, Gurdip Sing, Ryme, Rume, Eilin, Eitem, Eda, Emedina, Buke, Deria und Gamse, Türkei. Autorin: Schüler aus bildungsfernen Schichten, heißen sie politisch korrekt. Gemeinhin traut man ihnen nicht viel zu. Das wissen die Jugendlichen. Vielleicht waren sie deshalb gleich Feuer und Flamme als der Schweizer Schriftsteller Richard Reich ihnen den Vorschlag machte, gemeinsam einen Roman zu schreiben, einen Schulhausroman über ihren Alltag. Faissal O-Ton Unsere Schule ist in Wilhelmsburg. Wir sind Schüler aus Wilhelmsburg. Und wir Schüler aus Wilhemsburg werden eigentlich immer in eine Schublade gesteckt. Und mit diesen Geschichten zeigen wir eigentlich, dass wir auch richtig gute Geschichten schreiben können. Dass wir nicht nur draußen rauchen oder Alkohol trinken oder Leute zusammen prügeln. Wir können auch zeigen, dass wir schöne Geschichten schreiben können. Ja. Boracem O-Ton Halt zeigen konnten, was wir alles drauf haben. War eigentlich gut. Autorin: Die etwa 15jährigen Jugendlichen sind aufmerksam, kontaktfreudig und höflich. Sie geben kluge Antworten. Um solche wie sie kreisen die Integrationsdebatten der Politiker. Dabei ist das Leben dieser Mädchen und Jungen schon den Hamburgern von der anderen Elbseite so fremd wie dem gerade gelandeten Alien. SchülerInnen lesen Könnt ihr mir sagen, wo es hier in Willytown am schönsten ist?" Ayten grinst: "Das wollen Sie nicht wissen?!" Da ruft Bora Cem: "Am schönsten ist es auf der Toilette. Die ist links um die Ecke." Da sagt Mohamamad. "Aber noch schöner ist es im Herren-WC im McDonald's!" Sprecher: Die Jugendlichen finden eine Sprache für bislang Unausgesprochenes, einen Schlüssel zu ihrer eigenen Lebenswirklichkeit, die sich deutlich in den Texten widerspiegelt. Autorin: Heißt es in der Beschreibung des Projekts "Schulhausroman". Gefördert wird es vom Hamburger Literaturhaus, der Körber und der Haspa Hamburg Stiftung. Lehrerin Karen Bergmoser ist begeistert, dass ihre Klasse daran teilnehmen konnte. Seit sie die Geschichten gelesen hat, sieht sie ihre Schüler mit anderen Augen. Bergmoser O-Ton So bestimmte Dinge, Diskurse, die die Schüler untereinander führen, die habe ich in dieser Schärfe so zum ersten Mal mitbekommen. Z.B. in der einen Geschichte geht es um die großen weißen Häuser in Kirchdorf Süd. Wie die Häuser sind, wenn man reinkommt. Was für Gefühle man hat, wenn man in diesen Häusern ist. Wie die Menschen zueinander stehen. Das sind Sachen, die kann man als Lehrerin gar nicht mitbekommen. Selbst wenn man noch so'n guten Draht zu den Schülern hat. Das erfährt man indirekt. Aber niemals so direkt. Und von daher war das für mich schon sehr erstaunlich und überraschend. SchülerInnen lesen Faissal und Miguel sagen: "Nein, am schönsten ist es in Kirchdorf Süd." Derya ruft: "Ja in Kirchdorf Süd. Das ist die Endstation!" Der Alien nickt nachenklich. Dann sagt er: "Erzählt mir bitte noch mehr von diesen schönen Orten". Autorin. Viele der einzelnen Geschichten, die in dem Schulhausroman schließlich zu einem Ganzen verwoben werden, spielen in und zwischen den großen weißen Häusern von Kirchdorf Süd. Kurz KDF. Eine Bausünde der 70er Jahre. Ein Hochhausghetto, in dem einige der Jugendlichen wohnen. Oder ihre Freunde haben. SchülerInnen Die Jugendlichen von KDS haben auch eine besondere Sprache. Zu ihren Freunden sagen sie: "Diggah, was geht?!" Oder:"Chi mehuni!?" Das heißt auf Afghanisch: Was machst du? Oder sie fragen "Cares carraliho?" Das heißt auf Portugisisch: "Willst du Geschlechtsverkehr?" Wenn sie Mädchen grüßen, sagen sie: "Hallo du Fettschlampe!" Wenn es ein Junge ist, sagen sie freundlich:"Hallo du Hundesohn!" Oder auch: "Wie geht's, du Mistgeburt?!" Wenn sie sich aber ärgern sagen sie: "Fick deine Mutter!" Musik wie oben Autorin: Inzwischen sind in Hamburg vier weitere Schulhausromane in Arbeit. Einer davon in der Heinrich Hertz Gesamtschule. Einer Stadtteilschule mit Gymnasium. Sie liegt in Winterhude, einem gut bürgerlichen Stadtteil. In der 8 f sind 24 Schülerinnen und Schüler. Auch hier dominieren dunkle Haare, dunkle Augen, dunkle Haut. Allesamt aufgeweckt, interessiert und freundlich Die Eltern dieser 14 bis 15 jährigen stammen aus zehn verschiedenen Nationen. Die Lehrerin heißt Margrid Martens. Sie hat sich vehement dafür eingesetzt, dass ihre Klasse einen Schulhausroman schreiben durfte. Damit sie ihre Sprache verbessern und Lust aufs Schreiben bekommen. Martens O-Ton Das sind z.T. Alltagsgeschichten. Aber durchaus auch Phantasiegeschichten in denen deutlich wird, dass die Schüler sich in dem Alter gern auch in andere Welten hineinbeamen. Und damit dann gedanklich umgehen und sich gedanklich auszuprobieren in anderen Bezügen zueinander. SchülerIn diktiert, Henschel tippt Diktiertes in Computer, korrigiert Autorin: Schreibcoach in der 8 f ist der Schriftsteller Gerhard Henschel. Geduldig sitzt er am Coputer, lässt sich von den Jugendlichen die Texte diktieren, macht Verbesserungsvorschläge. Der 48 jährige ist heute zum dritten Mal in der Klasse. Henschel O-Ton Jetzt geht's wie am Schnürchen. Also ich bin zuversichtlich. ich glaube, ich darf nicht mehr so oft kommen sonst haben wir nachher viel zu viel Material für den Literaturhausabend. (lacht) Autorin: Gerhard Henschel ist Vollprofi. Er war Redakteur der Satire Zeitschrft Titanic, hat Bücher übersetzt, mehrere Sachbücher und eigene Romane geschrieben. Die Arbeit mit den Schülern macht ihm sichtlich Spaß. Henschel O-Ton Das ist auch den Schülern anzumerken, dass sie sich selber darüber freuen, wenn sie sehen, wie zügig das hier vorangehen kann. Eben dass man sich die Texte hier nicht abquält. So ist das ja ganz und gar nicht gewesen heute. Sondern, dass es einfach von Mal zu Mal ein bisschen besser wird. Sprecher: Für Jugendliche schwierige Themen wie etwa Liebe und Gewalt, Pubertät, Sexualität und Migration können über die Kunstform des Romans leichter angesprochen werden. Autorin: Heißt es in der Projektbeschreibung "Schulhausroman". Schüler Es war einmal ein acht Jahre alter Junge. Seine Eltern waren geschieden, so dass Malte bei seinem Vater Jörg lebte. Sein Vater war Alkoholiker. Eines Abends kam dieser betrunken nach Hause und kam in sein Zimmer rein. Er schrie, so dass Malte noch mehr Angst bekam. Der Vater klatschte ihm eine. Maltes Wangen waren rot. Er machte sich fast in die Hose. Er schrie: "Nein Papa. Schlag mich bitte nicht. Ich habe dir nichts getan. Autorin: Geschrieben haben diese Geschichte Timo und Anton. Sie haben sich ein Pseudonym, einen Künstlernamen zugelegt. In Wahrheit heißen sie Tim und Alireza. Timo O-Ton Mein Freund, der Vater ist Alkoholiker. Also der eigene Vater ist von dem gestorben. Der Stiefvater ist jetzt Alkoholiker und die Mutter auch. Ist echt Scheiße für ihn. Am besten wär für ihn eigentlich so ne Betreuung. Autorin: Und dann fügt er nachdenklich hinzu: Timo O-Ton Also ich hab noch nie so'n Text geschrieben. Also ich fands cool. Autorin. Auch Djemre und Jule haben in ihrer Geschichte eigene Erfahrungen verarbeitet. Dass man am liebsten weglaufen möchte, wenn Eltern streiten. Jule O-Ton Meine Eltern wohnen ja nicht mehr zusammen. Aber sie streiten sich halt schon manchmal noch. Und ich bin halt jedes zweite Wochenende bei meinem Vater und wenn meine Mutter mich dann zu ihm bringt, dann gibt's wieder Streit. Also deswegen wohnen sie auch nicht zusammen, weil die sich einfach nicht verstehen. Autorin: Auch für Djemre und Jule ist es das erste Mal, dass sie einen langen kreativen Text geschrieben haben. Jule O-Ton Man merkt halt erst, wenn man das zu Ende geschrieben hat, dass man so viele Ideen hat. Musik wie oben - geht über in Atmo Schulklasse Autorin In der 9 f an der Gesamtschule Wilhelmsburg haben drei Freundinnen die Geschichte der drei Träumerinnen geschrieben. Buket Tarim O-Ton Wir treffen uns auch einmal in der Woche. Unternehmen was zusammen wie z.B. gehen ein Eis essen oder gehen einkaufen. Und hier wollten wir auch sagen, dass die drei Träumerinnen sich auch einmal in der Woche treffen, zur Elbe gehen und dann ihre Augen zumachen und etwas träumen. Was sie z.B. werden möchten oder wer sein Idol ist. Autorin: Sie träumen davon ihr Abitur zu machen, Stewardess zu werden, Zwillinge zu bekommen und in Paris zu leben. Rümeysa O-Ton Ich fand das gut. Ich hätte das von mir nicht erwartet, dass ich so eine Geschichte geschrieben hab. Aber dann, als ich die Geschichte gelesen hab, da war ich so fröhlich. Stolz eigentlich. Autorin: Sie träumen davon, die Welt kennenzulernen, eine Band zu gründen und damit ganz groß heraus zu kommen. Allen Widrigkeiten zum trotz. Aiten O-Ton Es gibt viele Leute, die so asozial reden. Aber es gibt auch überwiegend Leute, die anständig sind, die ihr Abitur machen, die eine Zukunft haben. Nur man sagt immer, wenn man in Wilhelmsburg aufwächst, hat man keine Zukunft. Das ist meistes der Fall. Aber nicht immer. Autorin: Lehrerin Karen Bergmoser weiss, dass ihre Schülerinnen und Schüler sich viel mehr Gedanken über das Leben machen, als die meisten Leute annehmen. Dass sie ein Verlangen haben, Sachen auf den Grund zu gehen. Bergmoser O-Ton Es ist auch ne Sache, wie man sie ranführt. Also z.B. hab ich ja Philosophie angeboten. Und am Anfang waren alle etwas bedenklich. Philosophie in der Klasse. Und sie lieben Philosophie. Und man kann z.B. mit ihnen wunderbar Begriffsarbeit machen. Wir machen im Moment gerade Kant. Und wir haben Sachen definiert wie Zeit und Raum und Individualität. Und es ist unglaublich, was dabei rauskommt. dann stoßen sie manchmal an Grenzen wenn sie's nicht ausdrücken können. Aber sie können dann eben hinterher doch. Autorin: Zitat aus der Projektbeschreibung Schulhausroman Sprecher: Das Projekt generiert Texte, die auf eine eigenwillige Art viel Aktuelles erzählen und festhalten. Über eine Stadt, ein Land, eine Gesellschaft und natürlich nicht zuletzt über die Jugendlichen und ihren Alltag. Faissal Two Faces Jake ist ein 14-jähriger, der in KDS auf die Schule geht. Er hat sehr viele Freunde und ist sehr beliebt. Dieser Junge wirkt sehr fröhlich und gut gelaunt und ist für jeden Spaß zu haben. Doch er hat ein zweites Gesicht, das keiner auf der ganzen Welt je gesehen hat. Niemand außer mir. Jake ist wahrscheinlich der traurigste Junge, den ich je in meinem Leben gesehen habe. Das Schlimmste an das Jake gedacht hat, ist Selbstmord. Autorin: Faissal wollte eine dramatische Geschichte schreiben, sagt er. Über einen, dessen Vater die Familie verprügelt. Und der mit niemandem darüber sprechen kann. Er wollte die Leser zu Tränen rühren. Faissal Achmadzei O-Ton Und die Jungs hier, die werden eher als cool und hart und sehr stark halt gesehen. Und ich hab mit der Geschichte genau das Gegenteil gezeigt. Das war zwar nicht meine Absicht. Aber jetzt, wo ich die Story lese, da merk ich, das ist was ganz Anderes. Und ich finde das gut für die Leser. Autorin: Fest steht, dass es Faissal manchmal ähnlich geht wie seiner Romanfigur Jake. Faissal O-Ton Wenn ich schlecht gelaunt bin, also wenn's mir eigentlich nicht so gut geht, dann will ich das nicht so zeigen und dann tu ich trotzdem so, o.k. mir geht's gut. Aber die Leute wissen nicht, was wirklich mit mir los ist. Was wirklich vielleicht zuhause bei mir abgeht. Und ich dachte, vielleicht schreib ich das mal. Autorin: Auch Karen Bergmoser hat der Schulhausroman ihrer Klasse in mancher Hinsicht die Augen geöffnet. Bergmoser O-Ton Ich kann anders mit den Schülern umgehen. Ich verstehe manche Dinge besser als ich sie vorher verstanden habe. Z.B. wenn Schüler mal ausrasten, was man ja dann verstehen kann. Musik wie oben - geht über in Atmo Heinrich Hertz Schule, Henschel redigiertTexte, tippt - darüber Autorin: In der Heinrich Hertz Schule findet die erste Schulhausromanschreibstunde nach den Herbstferien statt. Einige aus der Klasse haben während dieser Zeit an den Texten weitergearbeitet. Manches hat Margrid Martens dabei erstaunt. Martens O-Ton Z.B. kamen in einigen Texten einige für mich ausgesprochen brutale Dinge zu Tage, die ich diesen sonst sehr netten und respektvollen und im Umgang sehr moderaten Schülern nicht zugetraut hatte. Schülerin Zwei Wochen später fanden sie im Wald eine kleine Kinderhand. Sie kuckte aus der Erde raus. Als die Polizei alles frei gebuddelt hatte , fanden sie Einzelteile vom kleinen Tom und von zwanzig weiteren Kindern. Die Beamten entdeckten Finger, Füße, Zähne und drei Köpfe. Autorin: Sophie, die Autorin dieser Geschichte, in der es ausschließlich um perfide Varianten von Mord- und Totschlag geht, ist 14 Jahre alt. Sie sieht bieder und brav aus. Blond, ungeschminkt, eine schlichte silberne Brille, die Haare zum Zopf gebunden. Trotzdem: was sie geschrieben hat, ist ihr Alltag. Sophie O-Ton Ich kuck auch gern solche Sendungen. So ein Mix aus all diesen Sendungen, die ich gekuckt hatte. Abends gibt's die manchmal. Da werden auch immer Leute umgebracht. Autorin: Am Anfang sei sie selber geschockt gewesen, dass sie so etwas zu Papier gebracht habe, sagt sie. Aber irgendwie gefällt es ihr auch. Sophie Erstmal mag ich, dass andere Menschen geschockt sind, wenn ich meine Geschichte vorlese. Und ich fühl mich dann auch halt irgendwie schön, wenn ich so was geschrieben hab. Befreit. Das fühlt sich dann irgendwie anders an als sonst. Ist irgendwie n Tick Grusel. Aber auch n Tick Lachen. Weil ich hätte nie von mir erwartet, dass ich so was schreiben kann. Autorin: Lehrerin Margrid Martens lernt ihre Schülerinnen und Schüler beim Schulhausroman von einer ganz neuen Seite kennen. Sie erkennt Ängste, Enttäuschungen, Zurückweisungen. Und dass zuhause nicht immer alles glatt läuft. Martens O-Ton Dass ein Geburtstag vergessen wurde. Also die Geschichte begann mit dem Aufwachen am Morgen und der fröhlichen Erwartung, des Runterrennens der Treppe und zu erwarten einen Geschenketisch, einen Geburtstagstisch vorzufinden mit einer Torte mit der Anzahl der Kerzen. Und es war nichts da. Sondern die Eltern lagen noch im Bett. es war ganz still im Haus. Und es war nicht zu früh. Sondern die Eltern hatten sogar den Geburtstag verschlafen. So wirkte das. Das fand ich entsetzlich. Das ist grausam. Autorin: Im Schulhausroman, das wird Margrid Martens immer deutlicher, trauen sich die Jugendlichen Dinge zu thematisieren, die ihre eigene intime Welt betreffen. Kreatives Schreiben ohne Kontrolle oder Zensuren. Martens O-Ton Ich bin manchmal so berührt von den Texten, dass ich sie mit mir nach Hause nehme und darüber länger nachdenke. Und ich für den Prozess zwischen den Schülern und mir etwas ahne und feststelle. Was da entstehen könnte, wäre von meiner Seite auch ein ganz anderes Verständnis dieser kleinen Seelen. Das, was sie wirklich drin bewegt, das versuch ich über die Texte auch zu erspüren und sie dann vielleicht auch einmal mehr in Arm zu nehmen und ihnen das zu ersetzen, was sie so an Sehnsüchten in den Texten ausdrücken. Atmo Henschel korrigiert und tippt Autorin: Gerhard Henschel wird noch über Wochen mit den Texten der Schülerinnen und Schüler beschäftigt sein. Wenn alle Geschichten wohl formuliert, pointiert und getippt vorliegen, kommt die vielleicht schwierigste Aufgabe. Sie müssen dann ineinander verwoben, zu einem Roman zusammengefaßt werden. Henschel O-Ton Die vorläufige Idee ist, dass wir eine Rahmenhandlung schreiben und dass es sich um Geschichten handelt, die in Familien geschehen, die in einem großen Mietshaus wohnen. Und wenn es möglich ist, möchte ich mit der Klasse noch einige Geschichten zusammenführen. es muss ja nicht dabei bleiben, dass es einzelne isolierte Geschichten sind. Sondern man kann das Personal verbinden. Das ist aber Zukunftsmusik. Und dieser Plan kann sich auch wieder wandeln. Autorin. Im Januar 2011 wird die Klasse 8 f der Heinrich Hertz Gesamtschule ihren Schulhausroman fertig haben und vor großem Publikum im Hamburger Literaturhaus vorlesen. Sicher ist jetzt schon, dass die meisten Jugendlichen dann ein besseres Sprachgefühl und mehr Spaß am Schreiben haben werden als noch vor einigen Monaten. Und vielleicht hat der Schulhausroman auch in der Klasse etwas verändert. So wie an der Gesamtschule Wilhelmsburg. Aiten O-Ton Das hat uns mehr zusammen gebracht. Am Anfang waren wir nicht so, dass Mädchen mit Jungens arbeiten können. Und Jungens mit Mädchen. Aber jetzt können wir alle gemischt arbeiten. Das fällt nicht mehr so schwer wie früher. ENDE 20