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GS der Studienstiftung des Deutschen Volkes Studentin, Bewerberin bei einer Studienstiftung Köln, März 2010 O-Ton 1 / Rehbein / 0.16.57 Mal angenommen, Sie bewerben sich für einen Managerposten, ... gegenüber sitzt der Personalchef und Ihnen fängt an die Nase zu laufen, was machen Sie dann? Daran zeigt sich bereits, ob Sie in dieses Umfeld passen oder nicht. Nehmen Sie ein Tempotaschentuch, nehmen Sie ein Stofftaschentuch, putzen Sie sich die Nase während Sie den anderen angucken oder putzen Sie sich die Nase während Sie weggucken, nach unten, zur Seite, wie machen Sie das? - das wissen Sie nur, wenn Sie im entsprechenden sozialen Umfeld aufgewachsenen sind, und Ihr Gegenüber weiß natürlich, wie man das macht, und sieht dann auf den ersten Blick, ob Sie darein gehören oder nicht. Musik 1 / einblenden, unterlegen Sprecherin 1 Soziale Unterschiede verraten sich. Sie wirken wie eine Grenze - Sprecher 2 - strukturierte Strukturen, die geeignet sind, als strukturierende Struktur im sozialen Raum zu wirken. Sprecherin 1 Der französische Soziologe Pierre Bourdieu wurde sich schon als Kind der sozialen Dichotomie oben - unten bewusst und machte die Erforschung dieser dauerhaften gesellschaftlichen Disposition nach und nach zu seinem Lebensziel. Atmo / Fußgängerzone / freistehen dann nur Sprecherin 1 unterlegen O-Ton 2 / Rehbein / 0.35.59 Wir haben die Vorstellung, dass alle Menschen bei der Geburt mehr oder weniger gleich sind, dass sie dann aber in eine Gesellschaft geraten, die ungleich strukturiert ist, wenn man aber diese Ungleichheiten ausmerzte, dass dann doch letztlich alle die gleichen Chancen haben und sich gewissermaßen die natürlich am besten Begabten durchsetzen. Damit gehen wir aber davon aus, dass es keinen Zusammenhang zwischen Natur und Gesellschaft gibt und dass sozusagen die Menschen erst mal in einen abstrakten leeren Raum geboren würden. Tatsächlich werden wir aber sofort in die Gesellschaft geboren und alles, was wir erlernen und erwerben tun wir gesellschaftlich. Atmo / Schulhof, unterlegen Sprecherin 1 Die Mehrheit aller Eltern aus allen Schichten möchte ihren Kindern eine gute Bildung zukommen lassen und so ihre Chancen verbessern. Aber nur in den höheren Schichten findet das tatsächlich statt. Nur wenige Eltern der Unterschicht ziehen eine positive Bilanz der schulischen Erfolge ihrer Kinder. Bourdieu macht für diese Situation das Bildungssystem selbst verantwortlich. Musik 1 / freistehen lassen, unterlegen (Sprecher 1 + 2) Sprecher 2 Das Bildungswesen trennt mit Hilfe einer ganzen Reihe von Auslesevorgängen die Besitzer von ererbtem kulturellem Kapital von den Nichtbesitzern. Und da die Unterschiede der Befähigung von den durch das ererbte Kapital bedingten sozialen Unterschieden nicht zu trennen sind, trägt es zur Aufrechterhaltung der bestehenden sozialen Unterschiede bei. Sprecher 1 Pierre Bourdieu wurde am 1. August 1930 als Sohn von Albert und Noémie Bourdieu im kleinen Dorf Denguin im Béarn geboren. Sein Vater kam aus einer Pächter- Familie, wurde mit dreißig Jahren Briefträger und kurz darauf Leiter des Postamtes. Fortan waren seine Familie von der des Großvaters und Onkels, die auf dem Pachthof geblieben waren oder der bäuerlichen Nachbarn und ihrer Kinder durch unüberwindbare soziale Grenzen getrennt. O-Ton 3 / Rehbein / 0.02.55 ff Bourdieu ... konzipiert die Gesellschaft als einen Bereich von Konkurrenz. In diesem Bereich von Konkurrenz geht es darum, die eigene soziale Position zu halten oder nach Möglichkeit zu verbessern. Als Kapital gilt dabei alles, was diesem Zweck dient. Das kann sein so etwas wie Aussehen, ... das kann sein wie wir alle wissen: Geld, das kann aber auch so etwas sein, wie ein guter Familienname, oder gute Verbindungen zu wichtigen Leuten. ... All diese Dinge können im Gesellschaftlichen eingesetzt werden um die soziale Position zu erhalten oder zu verbessern. Musik 1 / unterlegen Sprecher 1 Die regionale Herkunft aus der Provinz, besonders aus dem Frankreich südlich der Loire, bedeutete ein Stigma in der französischen Gesellschaft. Im Internat des Gymnasiums erlebte Bourdieu als Schüler die Grenze zwischen den Internen vom Land und den Externen aus den bürgerlichen Stadtfamilien. Sie ging praktisch durch ihn hindurch: neben der hohen schulischen Anerkennung erfuhr er gleichzeitig die niedere gesellschaftliche. Seine Laufbahn, die notwendigerweise über die Metropole lief, forderte von ihm ständige kulturelle Anpassung. Bei der Erforschung der trennenden Grenzen in der Gesellschaft war er sich selbst dauerndes Anschauungs- Objekt im soziologischen Selbstversuch. O-Ton 4 / Rehbein / 0.02.55 Der Begriff des Kapitals bezieht sich auf die Praxis im gesellschaftlichen Alltag, man kann den Begriff des Kapitals nicht einfach für sich stehend verwenden, sondern Sie müssen ihn auf etwas beziehen. Man hat nicht einfach ein Kapital um es liegen zu lassen, sondern man hat Kapital um es einzusetzen. Sprecherin 1 Boike Rehbein ist Soziologe und hat an der Humboldt-Universität zu Berlin eine Professur am Institut für Asien- und Afrika-Wissenschaften inne. Er hat bei Pierre Bourdieu in Paris studiert und ist Mit-Herausgeber des Bourdieu-Handbuches. O-Ton 5 / Rehbein / 0.07.39 Bourdieu unterscheidet drei - wenn man so will - Inkarnationsformen des kulturellen Kapitals, das inkorporierte, das objektivierte und das institutionalisierte - mit diesen Begriffen sind verschiedene Existenzweisen des Kapitals gemeint : das objektivierte sind Gegenstände, beispielsweise Kunstwerke, ... die ausdrücken, dass man im Bereich der Kultur sich auskennt, ... der springende Punkt ist, dass man zeigt, dass man sich auskennt ... genauso ist eine große Bibliothek auch nicht dazu da vererbt zu werden, denn objektiv ist sie meistens nicht so viel wert, ... aber Sie zeigen damit Ihr Wissen, Ihre Beherrschung des Bereichs des Kulturellen. Musik 1 / unterlegen (nur Sprecher 2 + 1) Sprecher 2 Heute möchte ich über die äußerst komplexen Mechanismen sprechen, mit deren Hilfe das Bildungssystem dazu beiträgt, (...) dass Kapital zu Kapital kommt und sich die soziale Struktur im Großen und Ganzen reproduziert. Sprecher 1 Im Oktober 1989 hielt Pierre Bourdieu einen Vortrag zum Wesen des Bildungssystems in den entwickelten Ländern an der Universität Todai, Japan. Abgedruckt wurde der Text in dem Band Praktische Vernunft - Zur Theorie des Handelns. Sprecher 2 Das Bildungssystem, von dem man einmal meinen konnte, es eigne sich, indem es individuelle Fähigkeiten über ererbte Privilegien stelle, zur Einführung einer Art Meritokratie, trägt mit Hilfe des verborgenen Zusammenhangs zwischen Bildungsfähigkeit und kulturellem Erbe, zur Errichtung eines regelrechten Beamtenadels bei, dessen Autorität und Legitimität durch den Bildungstitel verbürgt ist. O-Ton 6 / Rehbein / 0.11.14 ff Wenn Sie in einem bildungsbürgerlichen Haushalt aufwachsen, dann sehen Sie im Bücherschrank Ihrer Eltern Namen wie Goethe und Schiller. Das heißt, wenn Sie eingeschult werden wissen Sie schon, wer das ist und Sie brauchen das auch gar nicht erst zu lernen und Sie wissen auch, wer wichtig ist. Sie wissen, dass Ken Follet nicht so bedeutsam ist wie Goethe, während ein Kind aus ärmeren Schichten bestenfalls den Namen Ken Follet kennt, wenn überhaupt irgendeinen und Sie können bereits unterscheiden zwischen den kulturellen Wertigkeiten, ... weil die Lehrer von denselben Leuten unterrichtet werden, die in der Schule eben auch den entsprechenden Wert haben, ... sind Sie optimal angepasst an ein bildungsbürgerliches Umfeld und können gewissermaßen Ihr Kapital da ausspielen. Musik 1 / (nur Sprecher 2 + 1) Sprecher 2 Was der Arbeiter isst und vor allem wie er es isst, welchen Sport er treibt und wie er ihn treibt, welche politischen Meinungen er hat und wie er sie zum Ausdruck bringt, unterscheidet sich systematisch von den entsprechenden Konsum- und Verhaltensgewohnheiten der Unternehmer in der Industrie; es sind dies auch unterschiedliche Klassifikationsschemata, unterschiedliche Klassifikationsprinzipien, Wahrnehmungs- und Gliederungsprinzipien, Geschmacksrichtungen. Sprecher 1 Aus Praktische Vernunft - Theorie des Handelns von Pierre Bourdieu von 1994. O-Ton 7 / Rehbein / 0.12.15 Aber das objektivierte Kapital reicht nicht, Sie müssen auch noch ein inkorporiertes haben, d.h., Ihre Eltern müssen Ihnen auch noch beibringen, damit umzugehen mit diesen Gegenständen. Musik 1 / unterlegen Sprecherin 1 Für die in der Kindheit erlernten Verhaltens- und Umgangsweisen verwendet Bourdieu den Begriff des Habitus. Das lateinische Wort Habitus bedeutet sowohl körperliche Beschaffenheit, als auch erworbene Eigentümlichkeit oder Eigenschaft. Habitus für Bourdieu bedeutet - Sprecher 2 - Leib gewordene Geschichte. O-Ton 8 / Bourdieu / 0:02:30 / französisch Sprecher 2 [Übersetzung als voice over] Also der Begriff des Habitus, so wie wir ihn bei Aristoteles oder St. Thomas finden oder bei anderen, dieser Begriff sagt immer etwas sehr wichtiges und zwar, dass die sozialen Sujets nicht nur etwas Augenblickliches, nicht nur Momentaufnahmen sind. 0:02:58 Um zu verstehen was jemand macht, genügt es nicht den Stimulus zu kennen, sondern auf zentralem Niveau passiert etwas - in einem System von Dispositionen. Diese sind etwas, das in virtuellem Zustand existiert und die erst zum Vorschein kommen in Verbindung mit einer Situation. 0:03:22 Der Begriff des Habitus hat verschiedene Erscheinungsweisen (vertus -Tugenden) - es ist notwendig das in Erinnerung zu rufen: die Subjekte, die Agierenden, sind das Produkt einer individuellen Geschichte, Produkt der Erziehung, eines sozialen Milieus etc., und sie sind das Produkt einer kollektiven Geschichte. Im Besonderen die Kategorien des Denkens, des Verständnisses, der Wahrnehmungsketten und der Wertvorstellungen, sind das Produkt einer Inkorporation von diesen sozialen Strukturen. O-Ton 9/10 / Rehbein / 0.13.20 Bourdieu hat den Begriff des Habitus kreiert um eine Verbindung zwischen gesellschaftlichen Strukturen und individuellem Handeln zu schaffen. Der Habitus ist sozusagen die Verinnerlichung der sozialen Strukturen. 0.16.20 Wenn man bestimmte Verhaltensweisen nicht in der Kindheit gelernt hat, dann vermag man sie auch später nicht vollkommen aufzuholen, vollkommen nachzuvollziehen, und man zeigt sich dann im anderen gesellschaftlichen Umfeld als jemand der nicht dazugehört, weil man die entsprechenden Verhaltensweisen nicht beherrscht. Atmo / Schulhof, viele Stimmen (nur Sprecher 3 und 1) Sprecherin 1 Nach der Veröffentlichung der ersten Pisa-Studie 2000 - Pisa steht für ,Programme for International Student Assessment', Programm für die Internationale Schülerbewertung - setzte auch in Deutschland eine Debatte über Bildungsgerechtigkeit ein, belegte die Studie doch, dass Schulen offenbar nicht in der Lage sind, soziale Unterschiede aufzuheben - im Gegenteil, sie scheinen sie eher noch zu verstärken. Dieser Effekt setzt sich bis in die Hochschulen und Universitäten fort und wird besonders auffällig bei der Begabtenförderung. Sprecher 3 Wer hat, dem wird gegeben. Eine Studie des Hochschul-Informations-Systems HIS analysiert erstmals, wer in Deutschland Begabtenstipendien bekommt. Hier zeigt sich: Die soziale Herkunft spielt eine große Rolle. Sprecher 1 Aus der Wochenzeitschrift Die Zeit vom 24.09.2009 Sprecher 3 Erstmals wurde die soziale Herkunft der rund 20.000 Stipendiaten der Begabtenförderungswerke in der Bundesrepublik untersucht. Das Ergebnis: Die Stipendien bekommen vor allem die Kinder gut verdienender Akademiker. Arbeiterkinder schaffen es selten in den Kreis der Auserwählten. Nur jeder zehnte Stipendiat kommt aus einer Arbeiterfamilie. Musik / unterlegen (nur Sprecher 2) Sprecher 2 Die Reproduktion der Distributionsstruktur des kulturellen Kapitals vollzieht sich in der Relation zwischen den Strategien der Familien und der spezifischen Logik des Bildungssystems. Familien sind Körperschaften, denen eine Neigung zur Perpetuierung ihres sozialen Seins innewohnt - samt aller Macht und allen Privilegien - die der Ursprung ihrer Reproduktionsstrategien ist, der Fortpflanzungs-, Heirats-, Nachfolge-, Wirtschafts- und schließlich vor allem Bildungsstrategien. Je bedeutender ihr kulturelles Kapital ist und je größer das relative Gewicht ihres kulturellen Kapitals im Vergleich zu ihrem ökonomischen Kapital, (...) desto mehr investieren sie in die Bildung. O-Ton 11 / Rehbein / 0.21.56 Neben dem inkorporierten und dem objektivierten kulturellen Kapital unterscheidet Bourdieu noch das sogenannte institutionelle kulturelle Kapital, das sind ... in erster Linie Bildungstitel, in zweiter Linie sind es aber alle anderen symbolischen Merkmale, Abzeichen, Ehrungen, usw., die zeigen, dass man es zu etwas gebracht hat vor allem im kulturellen Bereich. Atmo / Schulhof Sprecher 1 Aus dem Jahresbericht 2008 der Studienstiftung des Deutschen Volkes: Sprecher 3 Seit Jahren ist ein Trend zu höherer Bildung in den Herkunftsfamilien der Studierenden zu beobachten: Hatten noch im Jahr 1985 nur 36% der Studierenden mindestens ein Elternteil mit Abitur oder Fachabitur, stieg dieser Wert kontinuierlich auf 58 % im Jahr 2006. Dieser Trend zeigt sich besonders deutlich bei den Stipendiaten der Studienstiftung: 80% der Stipendiaten haben heute mindestens ein Elternteil mit Abitur oder Fachabitur. 79 % haben mindestens ein Elternteil mit einem akademischen Abschluss. O-Ton 12 / Studienstiftung - Teufel / 0:00:30 Wir sind eine Organisation, die auf Vorschlägen beruht. ... von Hochschullehrern und von Schuldirektoren. Sprecher 1 Dr. Gerhard Teufel ist Generalsekretär der Studienstiftung des Deutschen Volkes. O-Ton 13 / Studienstiftung - Teufel / 0:01:35 Nach unserer Satzung sollen wir junge Leute fördern, in der Hochschulbildung, die besonders begabt sind, es gibt also künstlerische und wissenschaftliche Begabung bei uns, und die zweitens auch eine Persönlichkeit haben, die dazu führt, dass wir annehmen, dass sie später der Gemeinschaft etwas zurückgeben können. Das ist das Grundprinzip. O-Ton14 / Rehbein / 0.38.35 Im Schulsystem wirken gewissermaßen verschiedene Dimensionen zusammen. Zum einen werden die Schüler als sehr ungleich ausgestattete Individuen in das Schulsystem integriert, ... manche Schüler können schon lesen, schreiben, rechnen wenn sie eingeschult werden, und sie wissen wer Goethe und Schiller ist, während andere eben überhaupt nichts wissen zum Zeitpunkt der Einschulung. Darüber hinaus gibt es aber noch die andere Seite, nämlich die Lehrerschaft, die erzogen wird in einem bürgerlichen Umfeld, nämlich von Professoren, die Goethe und Schiller gut finden, die RTL 2 nicht gut finden, die eine Hochsprache schätzen und nicht den Dialekt, die Ken Follet nicht schätzen, aber gut finden, wenn Leute berühmte Künstler kennen. O-Ton 15 / Studienstiftung - Kalmbach / 00:05:27 Für uns ist das ein immer noch andauernder Erkenntnisprozess, wir waren erstaunt, dass unsere Studierenden, verglichen mit Studierenden allgemein, doch deutlich eher aus Akademiker-Familien kommen. Sprecher 1 Sybille Kalmbach ist stellvertretende Generalsekretärin der Studienstiftung des Deutschen Volkes. O-Ton 15 / Studienstiftung - Kalmbach / 00:05:27 ff Wir sind damit nicht zufrieden. Wir finden, dass wir da auch etwas tun müssen, und versuchen gerade Strategien zu entwickeln, wie wir die Studienstiftung auch für Kinder aus Nichtakademiker-Familien interessanter, attraktiver machen können. O-Ton16 / Rehbein / 0.38.35 ff Die Lehrer urteilen nach Kriterien, die genau angepasst sind auf die ... Sprösslinge der besseren Gesellschaft. Darüber hinaus gibt es dann noch Leistungskriterien, Lehrpläne, die von einer staatlichen Verwaltung geschaffen werden, die ebenso eingestellt ist auf die Kriterien der besseren Gesellschaft. ... Und zusammen wirken alle diese Dimensionen darauf hin, dass die Leute, die von vorneherein besser ausgestattet sind für das Schulsystem auch als Beste abschneiden und sie werden dafür auch noch belohnt durch die entsprechenden Titel, die dazu berechtigen, die besten Plätze der Gesellschaft für sich zu beanspruchen. ... Die das Schulsystem nicht erfolgreich abschließen, und die es auch gar nicht erfolgreich abschließen können, denen werden die minderen Plätze der Gesellschaft zugewiesen und teilweise werden sie eben als Ausschuss definiert. Musik 2 / als Akzent freistehen lassen O-Ton 17 / Studentin / 0:04:03 Ich bin von meinem Schulleiter vorgeschlagen worden. ... Es ging über den Abitur- Schnitt, da wurden die besten vier oder fünf wurden vorgeschlagen. ... Aber ich glaube, ich gehörte da noch nichtmals zu, genau, ich gehörte nicht zu den vier besten dazu, mein Schulleiter hat mich vorgeschlagen, weil ich jahrelang die Schülerzeitung gemacht habe und immer irgendwelche Sachen gemacht habe und aktiv war. Sprecherin 1 Johanna studiert Musik auf Lehramt. Ihr Bewerbungsgespräch bei einem Begabtenförderungswerk war nicht erfolgreich. O-Ton 18 / Studentin / 0:09:10 Es gab viele Gespräche unter den Bewerbern natürlich... zum Teil Leute, bei denen ich direkt dachte, ja, die sind super abgehoben und super, können mit allen möglichen Fremdwörtern rumjonglieren, und sonst irgendwie, drücken sich eloquent aus, also so Leute waren da, wo man direkt so sagte, ja, typisches Klientel ... die schon in Hemd und Krawatte da waren, also da sah man ganz deutlich die Herkunft und ich gehöre hier rein und ich passe hier rein, auch mit diesem Habitus, wirklich das ist meins und hier bin ich. Musik / unterlegen (nur Sprecher 2) Sprecher 2 Wider die charismatische Ideologie, die Geschmack und Vorliebe für legitime Kultur zu einer Naturgabe stilisiert, belegt die wissenschaftliche Analyse den sozialisationsbedingten Charakter kultureller Bedürfnisse: nicht nur jede kulturelle Praxis - der Besuch von Museen, Ausstellungen, Konzerten, die Lektüre, u.s.w., auch die Präferenz für eine bestimmte Literatur, ein bestimmtes Theater, eine bestimmte Musik erweisen ihren engen Zusammenhang mit dem Ausbildungsgrad und mit der sozialen Herkunft. Tatsächlich erweist sich der Einfluss der sozialen Herkunft niemals durchschlagender als gerade in Bezug auf "freie Bildung" oder avantgardistische Kultur. O-Ton 20 / Studentin 0:04:59 Dann gab es ein Auswahlverfahren, ... erst mal entscheidend war schon da, wer da saß, ... die Auswählenden, und in meinem Fall hauptsächlich Physik-Professoren, komischerweise, eine Häufung von drei oder vier Physikprofessoren, und dann gab es halt verschiedene, ... ein Gruppengespräch, also wo da eine Gruppe von Ausgewählten war, die jeweils zu einem Thema referieren mussten und diskutieren mussten und dann saß da einer mit im Raum, der das alles einfach nur beobachtet hat, und dann gab es zwei Einzelgespräche. ... Und ich war zu der Zeit bei Green Peace sehr aktiv und engagiert und hatte also einfach meine eigenen Ansichten und in diesem Gruppengespräch habe ich unter anderem auch geäußert, dass ich Atomkraft nicht als Lösung der Energiefrage, Energieprobleme unserer Zeit sehe, und ... der Physikprofessor ... das eigentliche Gespräch war beendet und er musste dann noch, konnte es sich nicht nehmen lassen, noch ein abschließendes Feedback zu geben, und meinte dann, also er wollte doch nur noch mal sagen, dass die Atomkraft die einzige Lösung unserer Energieprobleme wäre, und was den CO²- Ausstoss beträfe, und hat uns da einen Sermon gehalten, warum das denn so wäre und das als die absolute Meinung dargestellt, und damit war mir schon klar, dass ich keine Chance mehr habe bei diesem Mann. Musik / freistehen lassen, unterlegen (nur Sprecher 2 und 1) Sprecher 2 Wie die innerhalb eines sozialen Feldes geschaffene künstlerische Produktion, so ist auch (...) die ästhetische Wahrnehmung notwendig von geschichtlichem Charakter: Wie der sogenannte "naive" Maler, der außerhalb des Feldes und dessen spezifischen Traditionen verbleibt, keinen Eingang findet in die (...) Geschichte dieser Gattung, so verschließt sich dem "naiven" Betrachter die Wahrnehmung von Kunstwerken, deren Wert sich einzig im Kontext der spezifischen Geschichte dieser künstlerischen Tradition erschließt. Sprecher 1 Aus ,Die feinen Unterschiede'. Sprecher 2 Die Negation des niederen, groben, vulgären, wohlfeilen, sklavischen, mit einem Wort: natürlichen Genusses,( ... ) beinhaltet zugleich die Affirmation der Überlegenheit derjenigen, die sich sublimierte, raffinierte, interessenlose, zweckfreie, distinguierte, dem Profanen auf ewig untersagte Vergnügen zu verschaffen wissen. Dies ist der Grund, warum Kunst und Kunstkonsum sich - ganz unabhängig vom Willen und Wissen der Beteiligten - so glänzend eignen zur Erfüllung einer gesellschaftlichen Funktion der Legitimierung sozialer Unterschiede. O-Ton 21 / Rehbein / 0.21.56 ff Bei dem institutionalisierten kulturellen Kapital ist im Grunde der Clou, dass nach Erhalt dieses Titels niemand mehr fragt, was dahinter steht. Sie müssen das dann nicht mehr beweisen, wenn Sie einen Doktor haben, sind Sie Doktor. Ob Sie das in Thailand gekauft haben, ob Sie da eine riesige Arbeit geschrieben haben, ob Sie sich wirklich Gedanken gemacht haben, ob Sie eine dreißigseitige juristische Arbeit bei Ihrem Kumpel eingereicht haben, das fragt überhaupt niemand. Hauptsache Sie sind Doktor. Das steht dann da und das berechtigt Sie gewissermaßen in Führungsetagen zu sitzen. O-Ton 22 / Studienstiftung - Teufel / 0:08:44 Tatsächlich ist etwas erstaunlich, dass bei den Vorschlägen der Schulen, die die besten Abiturienten uns vorschlagen, eben doch mehr Kinder aus Akademiker- Häusern sind, und selbst bei der Zwischenprüfung der Universität, das sind Vorschläge, die vom Computer kommen, die also nicht menschlich beeinflusst sind, auch da sind mehr akademische Kinder bei den Besten bei der Zwischenprüfung. Also offensichtlich gibt es schon eine kleine Verschiebung im obersten Spektrum der, ich sag mal, der besten zehn bis zwanzig Prozent der Studierenden, das wäre meine Wahrnehmung, ... also es mag sein, dass ein Stück Begabung sich auch durch Vererbung sich vielleicht etwas dichter darstellt in manchen Kreisen, als in anderen. Es können aber auch, jenseits der Bildung der Eltern, auch das Einkommen der Eltern kann eine Rolle spielen bei der Bildung. Musik / freistehen lassen, unterlegen (nur Sprecher 2 und 1) Sprecher 2 Blindheit gegenüber sozialer Ungleichheit zwingt und berechtigt zugleich, jegliche Ungleichheit, besonders aber die des akademischen Erfolgs, als natürliche, als Ungleichheit der Begabung anzusehen. Sprecher 1 Aus Die Illusion der Chancengleichheit, ein Text der Anfang der sechziger Jahre in Zusammenarbeit mit Jean Claude Passeron entstand. Sprecher 2 Eine derartige Haltung entspricht der Logik eines Systems, das, um funktionieren zu können, die formale Gleichheit aller Studenten postulieren muss und das infolgedessen keine andere Ungleichheit als die individuelle Begabung anerkennen kann. Stellt ein Professor im Verlauf eines Studienjahres seine Methode auf bestimmte Hörer ein, sind es die ,weniger Begabten', nicht die durch Herkunft sozial Unterprivilegierten, an die er sich wendet. O-Ton 23 / Rehbein / 0.34.50 Sozial kann man sich das auch gut vorstellen, dass Menschen sich selbst und ihre soziale Gruppe entsprechend ihrer sozialen Position einschätzen, d.h., wer auf den besseren Plätzen dieser Gesellschaft sitzt, wird sich das als eigene Leistung zuschreiben, wer dagegen relativ weit unten angesiedelt ist, wird andere dafür verantwortlich machen. Musik / freistehen lassen, unterlegen (nur Sprecher 2 und 1) Sprecher 2 Wenn man soziale Privilegien oder Nachteile berücksichtigen, und den Anspruch erheben wollte, die Individuen nach ihrem tatsächlichen Verdienst, das heißt, gemessen an den überwundenen Hindernissen einzustufen, bedeutete das in letzter bis zum absurden getriebenen Konsequenz, entweder einen Wettkampf nach Klassen, wie bei einem Boxkampf, oder aber man wäre gezwungen, den algebraischen Unterschied zwischen dem Ausgangspunkt, den gesellschaftlich bedingten Möglichkeiten, und dem Endresultat, den nach dem Prüfungsergebnissen ablesbaren Erfolg zu messen, kurz gesagt, man müsste nach Handicap einstufen. Sprecher 1 Aus Die Illusion der Chancengleichheit. Sprecher 2 Es müsste die gesellschaftlich bedingte Fähigkeit an die Stelle der natürlichen Neigung gesetzt werden, müsste nicht punktuell die Stufe des erreichten Erfolges, sondern ihr Verhältnis zu dem jeweiligen Ausgangspunkt gemessen werden, also der Verlauf der Kurve. (... ) Das würde dazu führen, ungleiche Leistungen gleich und gleiche Leistungen ungleich einzustufen. Sprecherin 1 Alle Erhebungen von den Pisa- Studien bis zu HIS Untersuchungen belegen, dass nur eine geringe Zahl der Studenten aus einem sozial schwachen oder nichtakademischen Elternhaus stammt. Die Tragweite der sozialen Ungleichheitsfaktoren ist so groß, dass auch der Versuch einer wirtschaftlichen Angleichung nicht viel verändert, da die Begabungsideologie auf der das Bildungssystem fußt, immer weiter soziales Privileg in Begabung und individuelles Verdienst umdeutet und die Ungleichheit dadurch legitimiert. Musik 2 / als Akzent freistehen lassen O-Ton 26 / Studentin / 0:15:16 Also der hat ... gefragt, ... was gerade in der Debatte ist, ... was ich denn davon halten würde, dass das Berliner Schloss jetzt ja wieder aufgebaut werden soll, und mir war die Debatte in dem Moment gar nicht so präsent und ich habe nur fieberhaft überlegt, was fällt dir jetzt dazu ein, und ... habe einfach nur aus dem Bauch heraus geantwortet, dass ich finde, dass es schon bedenkenswert ist, dass, um jetzt so ein prunkvolles Schloss wieder aufzubauen, ein Stück Geschichte damit ja auch wieder zerstört wird, ... also der Palast der Republik, dass der einfach, ja, jetzt so einer historisierenden Betrachtung der ... Geschichte zum Opfer fällt. Ob man das jetzt gut oder schlecht bewertet, aber es ist ein Stück deutsche Geschichte genauso. Sprecherin 1 Der Effekt der Konzentration und Zentralisation von Kapitalsorten, die kumulative Bevorteilung bereits kumulativ Bevorteilter wird der Matthäus-Effekt genannt, nach dem Gleichnis vom anvertrauten Gelde im Matthäus-Evangelium: "Denn jene die haben, denen wird gegeben werden; jenen die nichts haben, wird sogar das noch genommen werden." Musik / unterlegen bis Ende O-Ton 27 Sprecher 2 Das Auge ist ein durch Erziehung reproduziertes Produkt der Geschichte. Das Gleiche gilt von der gegenwärtig als legitim sich behauptenden Wahrnehmungsweise von Kunst, der ästhetischen Einstellung als Vermögen, in sich und für sich, in Form und Inhalt nicht allein die für eine solche Anschauung bestimmten Werke der legitimen Kunst abzuwägen, sondern schlechthin alle Dinge dieser Welt. O-Ton 27 / Boudieu / 0:00:22 Sprecher 2 [Übersetzung als voice over] Der Geschmack ist diese sehr paradoxe Sache, die es uns zugleich erlaubt einen Unterschied zu machen, Präferenzen zu haben, zu sagen, dieses ist besser als jenes, 0:00:40 und der uns zugleich selbst beurteilbar macht. Um es anders zu sagen - dieser oder jener hat einen guten oder einen schlechten Geschmack, das ist eine Art reflexiver Praxis. Wir können nicht etwas beurteilen, ohne dadurch selbst beurteilt zu werden. O-Ton 28 / Boudieu / 0:05:48 Sprecher 2 [Übersetzung als voice over] Man sagt oft über meine Arbeit, dass ich Determinist sei und ich antworte nur, dass ich feststelle. Und ich stelle manchmal erstaunliche Zusammenhänge fest. Und es überrascht mich selbst, dass man mich einen Deterministen nennt. Musik 1/ freistehen lassen 1