DEUTSCHLANDFUNK Sendung: Hörspiel/Hintergrund Kultur Dienstag, 20.01.2015 Redaktion: Hermann Theißen 19.15 - 20.00 Uhr Reich ohne Eigentum oder der Homo Oeconomicus bricht aus Von Nora Bauer URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. (c) Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - Musik Colin Fray - Waiting for my real life to begin Atmo / innen, gedämpfter Baulärm O-Ton Wir sind hier im Erdgeschoss, das ist mit Abstand die kühlste Region in dem Haus, ja drüben in dem Zimmer haben wir Durchbrüche gemacht, das war unsere Anfangsbeschäftigung, als wir eingezogen sind, Durchbrüche machen und wieder zumauern. Also schöne Arbeitsbeschäftigung! Also hier, wo wir jetzt drauf schauen, das ist in Richtung des dritten Zimmers, hier unten, war eine Tür, die wir dann zugemacht haben, verputzt haben, das sieht man auch, dass das nicht so professionell ist, aber für uns reicht es, da wird drüber tapeziert, dann ist alles super... [Sefanie] Es ist schon grundlegend gut gemacht, aber das war die erste Wand, die wir verputzt haben ... [Theresa] Das war das erste, ja! das war das erste Mal, dass wir jemals verputzt haben! ... [Sefanie] Und wir haben uns schon jetzt gesteigert, so, [Theresa] Genau! [Sefanie] das ist alles. Erzählerin Das Erdgeschoss eines alten Bauernhauses im ländlichen Roisdorf bei Bonn. Die Räume sind nicht hoch, aber mit den großen Fenstern sehr hell. Ich rieche noch den frischen Putz. Überall steht Werkzeug herum, Kübel mit Mörtel, Leiter, Schmirgelpapier, Farbeimer mit Pinseln und Rolle. Zimmer und Flur haben noch etwas Unfertiges und Provisorisches, obwohl sie seit einem Jahr bewohnt werden. Eine Studentengruppe hat das Haus und den Ort zum gemeinsamen Lebensmittelpunkt gewählt. Von hier aus wollen sie ihre Vorstellungen von einem sinnvollen Leben gestalten, den Folgen der Globalisierung und der Aushöhlung des Sozialstaates trotzen. Musik Zitator Reich ohne Eigentum - Erzählerin oder der Homo Oeconomicus bricht aus Zitator ein Feature von Nora Bauer O-Ton Ich glaube, das fängt vor der Rente an, aus meiner Sicht, ... nüchtern betrachtet, ... müssen ... wir uns ein Leben anders ermöglichen ... als das ... durch Generationen hinweg vermittelt wurde. Und ich glaube, dass schon vor der Rente es notwendig ist für uns, irgendwo, aus Abhängigkeiten rauszugehen, aus Fremdbestimmung, ein Stück zurückzutreten. Das ist natürlich ein Traum. Erzählerin Stefanie ist 24 Jahre alt, sie studiert Kunst an der Alanus-Hochschule in Alfter, einem Nachbarort von Roisdorf. Sie will Bildhauerin werden. Auf der Suche nach einem bezahlbaren Zimmer ist sie zu der Gruppe gestoßen. O-Ton Ich bin schon sehr oft umgezogen, während meiner Studienjahre, ich glaube sieben Mal, ... und habe immer gesucht nach einer WG, in der ich mich wohlfühlen kann, von den Menschen her, ... andererseits wollte ich aber auch den Raum haben, was zu gestalten, mitzutragen, und das hat sich hier beides sehr gut gefunden. Ich bin erstaunlich schnell hier Teil dieser Gruppe geworden. Erzählerin In Roisdorf stehen viele Bauernhäuser schon seit geraumer Zeit leer und warten auf Umbau, Renovierung, einen neuen Anstrich, neues Leben. Für dieses Haus, das zwischenzeitlich als Gärtnerei genutzt wurde, ist das Warten zu ende. Die Mitglieder der neunköpfigen Gruppe, die sich zum größten Teil während eines Ökonomiestudiums in Bayreuth kennenglernt haben, führen alle erforderlichen Renovierungsarbeiten selbst aus. Die Möglichkeit den Umbau des Hauses und des eigenen Zimmers selbst zu gestalten, hat alle besonders begeistert. O-Ton Wir alle arbeiten uns sozusagen rein, ... und darüber lernt man halt, ... also learning by doing schlichtweg. ... Ich werde erst Handwerker, dadurch, dass ich das tu. ... Da steckt zum einen einfach viel Schweiß drin, und auf der anderen Seite Liebe zum Detail und Perfektionismus, dann aber auch viel Gemeinschaftsbildung, einfach, dass man sich gegenseitig hilft, dass man sich zeigt wie es geht oder gehen könnte, dass man aufeinander Rücksicht nimmt, ... dass diejenigen die das vielleicht schon können, sich zurücknehmen und dem anderen das zeigen, das verlangt sehr viel Geduld. ... Das ist ein sehr vielschichtiger Gemeinschaftsbildungsprozess, mit viel Konfliktpotential, den wir immer noch durchschreiten und deswegen ist halt dieses Renovieren, ... das wir hier eine Baustelle haben ist auch eine Baustelle in der Gemeinschaft, würde ich sagen, weil es auch unser Gemeinschaftsleben so sehr einnimmt. Erzählerin Auch Theresa ist 24 Jahre alt. Sie hat an der Universität in Bayreuth ihr Volkswirtschaftslehrestudium mit einem Bachelor abgeschlossen, ist aber enttäuscht von dem, was sie dort gelernt hat. O-Ton Ich habe irgendwann gecheckt, dass Wirtschaft vielleicht, oder alles, also was man damit assoziiert und darunter versteht, irgendwas mit dem zu tun haben könnte, was ich als problematisch empfinde in der Welt und dann wollte ich einfach verstehen, wie das so läuft und hatte totalen Respekt vor der Uni und vor diesem Studiengang und dachte, da wird mir jetzt irgendwie erzählt, was da schief läuft und was man machen könnte. Und das ist aber nicht passiert, sondern ich habe verstanden, warum es schief läuft, nämlich weil es 'ne Monokultur, eine Einseitigkeit in dem Denken gibt, es hat überhaupt nicht der Praxis ... entsprochen. Also alles, was ich irgendwie in meinem Leben und in meiner Erfahrungswelt mitbekommen habe von Wirtschaft, kam da nicht vor. Erzählerin Die Mitglieder der Bayreuther Gruppe haben schon während des Studiums einen Arbeitskreis aufgebaut, der zur klassischen, wachstumsorientierten Volkswirtschaftslehre alternative Lehrinhalte anbieten wollte. Sie haben Gastdozenten eingeladen und ein alternatives Curriculum erarbeitet. Daraus hat sich ein starker Zusammenhalt in der Gruppe entwickelt und die Entscheidung, auch nach dem Bachelor zusammenzubleiben und ihren Arbeitskreis ‚Plurale Ökonomie' weiter zu führen. Sie haben sich einen Ort gesucht, an dem sie zusammen leben, arbeiten und studieren können und nennen ihr Projekt ‚Dranbleiben' - ein ‚Modell-Versuch'. O-Ton Eigentlich geht es aus meiner Sicht nur so, dass man ... im Berufsleben, anfängt, weniger zu arbeiten, weniger Stunden zu arbeiten - weil es nicht um Wachstum geht - und stattdessen in eine Selbstversorgung hinein zu treten. Und das geht nicht alleine, oder das ist sehr anstrengend alleine, sondern mit Gemeinschaft kann man da viel mehr erreichen, dass man gemeinsam einen Garten bewirtschaftet, dass man sich Geräte teilt, dass man gemeinsam Transportmittel teilt, Wohnraum mit mehreren Menschen nicht unbedingt besitzen muss, sondern eben mietet, den aber gemeinsam gestaltet und weiterträgt. Erzählerin Stefanie, die Künstlerin, arbeitet am liebsten mit Holz. Sie bezeichnet sich als ‚Anpackmensch', das Praktische falle ihr leichter als das Reden über philosophische Konzepte. Wir stehen zwischen frisch verputzen Wänden, unter der Decke wurden neue Stahlträger eingezogen. Der Raum ist verwinkelt. Ich frage, mit welchen Maschinen die massiven Teile eingesetzt wurden und ob Handwerker aus dem Ort diese Arbeit übernommen hätten. O-Ton Andere zahlen dafür richtig viel Geld, das sie so ‚teambuilding exercises' machen und wir bauen hier einfach rum und diese Stahlträger sind halt relativ schwer, die können nicht zwei Leute tragen, sondern wir haben die halt, weiß ich nicht, zu fünft oder zu sechst getragen, und ja, dann hast du halt deinen Spaß und hebst hier halt diese Stahlträger rein, dann hast du dein Team gebildet sozusagen. ... Wie eine Ameisen-Kolonie, einmal raus und wieder rein ... [Stefanie] Bei drei hochgehoben und dann gab's einen Probelauf mit zwei Zollstöcken aneinander, passt das denn alles so wie wir das wollen, weil man die Dinger natürlich ein bisschen schwierig rangieren kann, und wenn das jeder verstanden hat, dann wird das einfach umgesetzt. Erzählerin Sie zeigen mir Fotos einer wie verrückt grinsenden Gruppe von Leuten, die zwischendurch den Eindruck machen, dass sie die schweren Teile vor Lachen gleich fallen lassen. Verletzt wurde aber offenbar niemand und die Stahlträger sitzen an der richtigen Stelle. Ich bin beeindruckt. Das Haus bietet ein Zimmer für jede und jeden in der Gruppe, das Dachgeschoss wird ausgebaut für Gemeinschaftsräume. O-Ton Ein wunderschön altes ... hohes Holzdach, wo man jetzt von innen die Ziegel sehen kann. ... Dafür haben wir jetzt den Bauvorantrag genehmigt bekommen und haben gerade den Bauantrag am Laufen, ... das Dach wird abgedeckt, die Pfetten werden draufgesetzt und das ganze wird so gedämmt, ... dass man hier Heizkosten ordentlich spart. ...Wir werden Dachfenster einsetzen, damit hier ordentlich Licht reinkommt ... hier wird ein Gästezimmer sein, eine Kombination aus Gästezimmer, Bibliothek, Notfallzimmer für Freunde ... - darüber freuen wir uns auch sehr, weil wir alle ziemlich viele Bücher und die nicht in unseren Zimmer rumstehen haben wollen, sondern allen die zugänglich machen, - ... einfach ein Zimmer, wo man sich reinsetzen kann, wo es ruhig ist, ... hier wird über den Fluren noch eine Decke eingezogen, wo man dann Sachen ablegen kann oder auch schlafen kann. Und das wird dann richtig gemütlich hier oben. Erzählerin Hin und wieder kommen die Heim-werkenden Väter zu Besuch und helfen beim Umbau. In komplizierten Fällen werden Fachleute befragt. O-Ton Immer wieder kommt jemand und hat doch wieder eine neue Idee, oder wir recherchieren tiefer, setzen uns mit dem Statiker auseinander und man muss die ganze Sache neu anschauen, nur dadurch, dass verschiedene Leute mit unterschiedlichen Prioritäten und zusätzlich dann noch Handwerker, Statiker, Leute vom Bauamt da drauf schauen, dadurch kriegt man halt auch eine Lösung am Ende, die durch diese verschiedenen Perspektiven sich auch halten kann für sehr lange und das ist die Mühe und die Zeit auch wert gemeinsam zu einem Ergebnis zu kommen, was sich dann, ja für alle, als richtig erweist. Erzählerin Üblicherweise kann man doch nur als Eigentümer sein Haus nach eigenem Gutdünken gestalten? O-Ton Wir wollten ja als Dranbleiben-Initiative erst mal ein Haus nur mieten. Wir wollten ja nur mieten. Aber man muss sich in unserer Größe bei Villen umschauen, und das Geld haben wir nicht, und es gab einfach im Raum Köln Bonn auch kein Haus, was für uns genug Platz gehabt hätte, weil die Häuser halt für kleine Familien für fünf Personen ausgelegt sind oder so, oder halt eine Villa und das konnten und wollten wir nicht. Erzählerin Ich bin erstaunt. Die Studenten haben das Haus gekauft, weil das verfügbare Einkommen für die Miete eines Hauses nicht gereicht hätte? Wie funktioniert das? O-Ton Wir zahlen alle dasselbe, 280 Euro sind es warm. ... Und mit der Miete zahlen wir den Kredit ab, den wir aufgenommen haben, um sowohl das Haus zu kaufen als auch die Renovierungsarbeiten zu finanzieren. Das heißt, wir haben 198.000 für das Haus bezahlt und noch mal eine wesentlich höhere Kreditsumme ... aufgenommen um die Renovierungsarbeiten zu zahlen und das auch nach unseren Wertvorstellungen umzusetzen. Erzählerin Ich rechne das grob durch: sagen wir mal 500.000 € Kredit für Hauskauf und Umbau, 10 Studenten leben hier, dann ist jede/r mit 50.000 € belastet, noch bevor ein Studienabschluss oder eine Anstellung in Aussicht steht - wie wird der Alltag mit so einer wirtschaftlichen Belastung finanziert und was passiert, wenn einer mal nicht zahlen kann? O-Ton Studentische Mitarbeiterschaft, Stipendien, freiberuflich, nebenberufliche Arbeit, ... Kredite ... wenn's nicht reicht, wenn der Job nicht reicht, wenn schon der Job nicht reicht, ... Elternunterstützung nicht reicht, dann müssen halt so Prozesse wie Bafög oder Bildungskredite greifen. ... Also es ist ein Patchwork-Finanzierungssystem, und das ist aber, zumindest für meine Person nichts Schlimmes, weil du dann deine Finanzierung auf verschiedenen Säulen aufgestellt hast, und wenn eine wegbricht ist das sehr blöd, weil wir alle jetzt nicht dreitausend Euro im Monat verdienen, sondern wesentlich weniger, ... bisher sind wir glücklicherweise noch nicht in die Situation gekommen, dass einer komplett vor dem Bankrott stand, ... letzten Endes ist das eben aber genau der Punkt, das offen anzusprechen. Und mal gucken, wenn das kommt, dann wird das auch aufgefangen. ... Es ist genau der Gedanke dieser Gemeinschaft gewesen, das zu tragen. Erzählerin Jedes Gruppenmitglied hat ein anderes Einkommen. Mal ist es mehr, mal ist es weniger. Sie versuchen die Unterschiede durch ein Umverteilungs-System auszugleichen. O-Ton Also wir versuchen das zum Beispiel, wie wir unser Essen finanzieren, umzusetzen, dadurch, dass einfach jeder einen unterschiedlichen Tagesrhythmus hat, und vielleicht auch außerhalb isst, wir kaufen alles zusammen ein, und jeder macht sich einen Strich für die Mahlzeit, die er gegessen hat, einfach damit jemand, der zum Beispiel viel außerhalb isst, der eine Ausbildung zum Beispiel macht, ... also so viel zahlt, wie er gegessen hat, sozusagen und wenn ich jetzt zum Beispiel weniger Geld habe, dann kann ich das entsprechend anpassen und wenn ich mehr Geld habe, dann kann ich vielleicht einspringen oder mehr Kreuzchen machen. Erzählerin Wenn mit der Miete pro Jahr vielleicht 30.000 Euro zurückgezahlt werden, wäre der Kredit mit allem Drum und Dran erst nach etwa 20 Jahren abbezahlt. Warum legen sich junge Leute solange fest? Wer leiht Studenten ohne Sicherheiten eine halbe Million Euro? Was passiert, wenn die Freundschaften nicht bis zum Ende der Ratenzahlungen halten? O-Ton Was mich meine Eltern gefragt haben, als ich gesagt habe ich will nach meinem Bachelor zusammen mit dieser Gruppe irgendwo hingehen, und, ich gehe nach Bonn, ‚warum legst du dich fest', ja? Das haben mich meine Eltern gefragt, ... ich finde es bezeichnend für eine Generation, dass sie uns sozusagen, die in einer sehr schnelllebigen, flexiblen Zeit lebt, fragt, ‚Warum möchtest du dich festlegen?' Und es war aber ein bewusster Akt, ... zu sagen, ja, wir legen uns jetzt fest, nicht auf einen bestimmten Zeitrahmen hin, jeder kann auch gehen, das ist das Leben, so, aber ... wir legen uns auf einen Ort fest, wir legen uns auf ein Haus fest, wir legen uns auf bestimmte Pläne fest, und sowas bewusst zu erfahren ist auch noch mal ein sehr besonderer Moment gewesen. Atmo / Dorfkirchenglocken Erzählerin Eine Woche später bin ich wieder da. Bei meinem zweiten Besuch kommt mir Florian, ein weiteres Mitglied der Bayreuther Gruppe, auf der Treppe entgegen. Das Haus besteht eigentlich aus zwei Gebäudeteilen, die durch einen geräumigen Wintergarten miteinander verbunden sind. Durch eine Ansammlung von großen Tonkübeln rechts und links auf dem Hof, in denen großblättrig die Pflanzen ins Kraut schießen - der sogenannten ‚Tomaten-Allee' - geht es über eine verwinkelte Außentreppe in ein höher gelegenes Stück Garten mit Kräuter- und Gemüsebeet, daneben Holz-Bank, Tisch und Stühle. Die zusammengewürfelten Möbel zeigen Spuren intensiver Nutzung. Die Sitzgruppe hat etwas Entspannendes und Einladendes und ich möchte am liebsten gleich dort bleiben und mich in die Sonne setzen. Durch eine etwas schiefe Tür gelangen wir direkt in die Küche. Am großen Esstisch sitzen Stefanie und Theresa, der Architekt Sebastian ist zu Besuch. Es gibt Tee und Kaffee, selbstgebackenen Obst-Kuchen und Schokolade. Wir diskutieren über Zukunft und Gestaltung von Sozialsystemen. Die drei sind sich darüber einig, dass niemand mehr mit Gewissheit kalkulieren könne, wovon er im Alter leben werde. Und warum protestiert Ihr nicht dagegen, will ich wissen. O-Ton Ich war immer in der Anti-Atom-Szene unterwegs, und Ökologiebewegung, das war immer so eine Antibewegung, und dann habe ich gesagt, ich will nicht mehr irgendwo gegen sein, sondern ich will was Neues. Erzählerin Sebastian ist vierzig Jahre alt und Architekt. Auch er berät und hilft beim Umbau. Er ist nur mit sogenannten alternativen Bau-Projekten beschäftigt, Hochhäuser und ausladende Bürogebäude sind nicht sein Ding. Er ist alleinerziehender Vater von zwei kleinen Söhnen. Zukunft muss er nicht nur für sich selbst, sondern vor allem für seine Kinder sichern. Auch Sebastian wohnt in einem Haus, das von einer Gruppe gekauft wurde. Zur Altersvorsorge können diese Häuser aber nicht dienen, sagt er. O-Ton Das ist ja nicht das eigene Haus, was dann irgendwann die eigene Rente sein könnte. Sondern es ist, es gehört einem ja dann nicht. Man kann meinetwegen bis zum Tod hier leben, das ist ja nicht das Problem, aber es ist nicht das eigene, was man verkaufen kann und davon ... leben könnte, zum Beispiel. ... Und ich weiß, dass ich sozusagen für meine Rente selber nichts habe und muss entweder bis zum Umfallen arbeiten oder ich muss bis dahin eine andere Lösung gefunden haben, aufgebaut haben, ... also ich beschäftige mich mit dem Grundeinkommen, und habe hier ... das Ganze verknüpft mit Tauschringen, und Regional-Währungen. Hier in Alfter und in Bonn angefangen sowas aufzubauen, was aber einen Verbund hat, noch zu anderen, also die BGE-Kreise - Erzählerin BGE ist die Abkürzung für ‚Bedingungsloses Grundeinkommen'. O-Ton Die sind deutschlandweit, inzwischen auch Europa-weit, gibt's inzwischen auch im Ausland, die untereinander sozusagen handeln, und sich ein Grundeinkommen auszahlen mit dieser Währung. Und da ein System haben, dass dieses Geld eigentlich, in der Menge, in der Abhängigkeit der Personen, die da mitmachen, stabil bleibt, und sozusagen eigentlich nur zirkuliert. Das ist eigentlich die Idee dahinter. Und nicht wie das Geld, Euro und Dollars, die wir haben, die sozusagen immer mehr werden, auf Grund ihrer Zinssystematik. Wo dann sozusagen eine schleichende Abwertung stattfindet, wo die, die fleißig sind, sozusagen, den Reichtum der Reichen finanzieren und dabei immer ärmer werden. Erzählerin Florian möchte der auseinanderdriftenden Einkommensverteilung eher durch regionale Versorgungs-Kooperationen begegnen und Unabhängigkeit von den globalen anonymen Handels-Beziehungen erreichen. O-Ton Das ist auch Teil dieses Projektes, dass man halt einen kleinen Garten hat, dass man handwerkliche Tätigkeiten irgendwo erlernt, und einfach das Gefühl hat, man hat so einen gewissen Pool, wo man sagt, ... ich kann in der Gemeinschaft jetzt verschiedene Fähigkeiten mit einbringen, die irgendwie gebraucht werden, auf jeden Fall. Und dieses gesamte Thema dieser ‚kleinen Kulturtechniken' sozusagen, ... wo einfach der eine dies und der andere das kann, ... das erlebt man hier zum einen, und auf der theoretischen Ebene beschäftigt mich das natürlich auch in meinem Studium ganz stark, also, in welchen Kontexten gehen die verloren, woran liegt das, wie können die wieder erlernt werden, das sind ganz spannende Fragen. Erzählerin Florian hat einige Zeit in China verbracht. Zunächst auf Exkursionen mit der Universität, später hat er dort mehrere Praktika absolviert. Das einschneidende Erlebnis seien die zu beobachtenden Folgen gewesen, die ein wachstumsorientiertes Wirtschaftssystem für die Menschen im Land hat, wenn seine Härte nicht durch Sozialleistungen gebremst werde. O-Ton Also ich habe jetzt nicht den Plan in fünf Schritten oder so, sondern ich versuche mein Umfeld so zu gestalten, ... und merke, dass dadurch ganz viel entsteht, an sozialen Beziehungen, an Kontakten, ... und darauf verlasse ich mich eigentlich viel mehr als auf alles andere. O-Ton Wir maximieren hier nicht irgendwie unseren Eigennutzen, dann würde das hier nicht laufen. Sondern jeder gibt irgendwie das, was er hat, und es herrschen Vertrauen, es herrscht Reziprozität und Solidarität und das sind Dinge, die es im VWL- also Volkswirtschaftslehre-Studium nicht gibt, also in der dominanten Theorie, und ... das ist nicht nur mir aufgefallen, sondern auch vielen Leuten, die hier jetzt mitgezogen sind, und wir haben einen Arbeitskreis gegründet und wollten sozusagen an unseren Freundschaften, aber gleichzeitig auch an diesen Projekten dranbleiben, und mit all diesen ganzen Erfahrungen und Beziehungen und so weiter sind wir dann hier nach Bonn gezogen. Weil es hier Zukunft gab, sozusagen. Erzählerin Wenn Theresa von der ‚dominanten Theorie' spricht, meint sie, dass alle Studieninhalte in der Volkswirtschaftslehre ausschließlich auf wachstumsorientierte Modelle bezogen sind. Das sei, als würde man in einem Psychologie-Studium nur Sigmund Freuds Psychoanalyse lehren. O-Ton Allgemein ... unser Wirtschaftssystem heute ist ... auf Wachstum ausgelegt. Es braucht Wachstum in einer gewissen Weise und in einer gewissen Höhe, um überhaupt ein konsistentes System zu sein. Und das ist natürlich für uns ein total gefährliches Wirtschaftssystem, weil es uns in eine Abhängigkeit bringt von ... etwas, was ganz offensichtlich und nachweisbar schädlich ist für unsere Umwelt, für unsere soziale Mitwelt, wo das ganz große Thema aufkommt, können wir auf einen endlichen Planeten, also mit endlichen Ressourcen in der Form wachsen? Wie ist das auch im globalen Verhältnis von Europa zu anderen Ländern? Können wir uns den Lebensstil, den wir jetzt haben, weiterhin so leisten und wollen wir uns den leisten? Erzählerin An diesen Beobachtungen haben sich die Zweifel am Curriculum ihres Ökonomie-Studiums entzündet. Beobachtungen, die in der "dominanten Theorie", nicht abgebildet würden. Theresa hat mit ihren Kommilitonen eine Initiative gegründet, die den zunächst auf Bayreuth begrenzten Arbeitskreis ‚Plurale Ökonomie' mit Hilfe des Internets auf globale Füße zu stellen versucht. Der ‚Internationale Studentische Aufruf für Plurale Ökonomik' richtet sich an alle Ökonomie-Studenten auf der Welt. 40 Studentengruppen aus 19 Ländern haben sich mit den Zielen des Arbeitskreises auf der Suche nach ‚anderen Paradigmen in der Lehre' solidarisch erklärt. Atmo Youtube Zitatorin Die Weltwirtschaft befindet sich in einer Krise. In der Krise steckt aber auch die Art, wie Ökonomie an den Hochschulen gelehrt wird, und die Auswirkungen gehen weit über den universitären Bereich hinaus. Die Lehrinhalte formen das Denken der nächsten Generation von Entscheidungsträgern und damit die Gesellschaft, in der wir leben. Wir beobachten eine besorgniserregende Einseitigkeit der Lehre, die sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verschärft hat. Diese fehlende intellektuelle Vielfalt beschränkt nicht nur Lehre und Forschung, sie behindert uns im Umgang mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts - von Finanzmarktstabilität über Ernährungssicherheit bis hin zum Klimawandel. Wir benötigen einen realistischen Blick auf die Welt, kritische Debatten und einen Pluralismus der Theorien und Methoden. Erzählerin Der Aufruf hat bei seiner Veröffentlichung im Sommer 2014 Wellen geschlagen. Die Frankfurter Allgenmeine Zeitung berichtete: Zitator Offene Revolte in der Volkswirtschaftslehre: Folgt der Krise der Wirtschaft eine Krise der Wirtschaftswissenschaften? Studenten beklagen weltweit die Einseitigkeit der Lehre und fordern eine Reform des Curriculums: ein Appell, der nicht ohne Echo bleibt. Erzählerin Unter der Überschrift "Wider die Monokultur. Die Ökonomische Lehre darf sich nicht blind einer Weltsicht verschreiben. Der Protest der VWL-Studenten ist gerechtfertigt" konnte man in der Süddeutschen Zeitung einen Kommentar von Silja Graupe lesen. Atmo / Zeitungblättern Zitatorin Warum fürchten Studierende, diese Weltfremdheit könne sie im Umgang mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts behindern? Die einfache Antwort lautet, dass sie eben nichts über die Realität lernen. Doch das wirkliche Problem liegt tiefer. Oftmals wendet der ökonomische Mainstream seine hochabstrakten Annahmen schonungslos und unnachgiebig auf jedes soziale Phänomen an. Er lehrt - ob wahr oder falsch - jeden Winkel der Gesellschaft so zu betrachten, als ob er allein von ‚homines oeconomici' besiedelt und durch die unabänderlichen Gesetze des Marktes gesteuert sei. ... Man muss nicht gleich, wie im Handelsblatt von ‚Gehirnwäsche' sprechen, um zu erkennen, wie die ökonomische Lehre nicht nur die Bewältigung realer Probleme behindern, sondern diese Probleme auch selbst hervorrufen kann. ... Eine Neugestaltung der ökonomischen Bildung ist also geboten. Erzählerin Silja Graupe ist Professorin für Ökonomie und Philosophie an der Cuser Akademie in Bernkastel Kues an der Mosel. Die Akademie wird in der Cusanus-Hochschule aufgehen, die gerade den Gründungsprozess durchläuft. Hier wollen die Dranbleiber ihren Masterstudiengang absolvieren. Silja Graupe ist Mitglied des Präsidiums der neu entstehenden Hochschule. O-Ton Also es ist tatsächlich so, dass wir eine der wenigen, wirklich seltenen Fälle einer akademischen Gründung sind, dass sich Akademiker - wirklich wie im alten Bologna im Mittelalter - zusammenschließen, um selber eine Hochschule zu gründen! Es ist also keine private Hochschule, die auf Grund einer gewinnmaximierenden Firma oder Träger am Start ist, auch nicht auf Grund eines bestimmten ideellen Auftrags, wie zum Beispiel den kirchlichen Hochschulen, sondern es ist wirklich die Idee, dass sich Studierende und Lehrende zusammenschließen, um eine Hochschule zu begründen und der wichtigste Punkt ist für uns eben die akademische Freiheit. Erzählerin Silja Graupe wird für das neue Curriculum ‚Plurale Ökonomie' verantwortlich zeichnen. Dabei kommt es ihr darauf an, den historischen Hintergrund der heutigen Volkswirtschaftslehre und des darin beschriebenen Menschenbildes kritisch zu beleuchten. O-Ton Die Methode, die heute ... als allgemein in den Lehrbüchern dargestellt ... wird, ... mit einem gewissen Wahrheitsanspruch sogar ... kommt eigentlich aus dem 19. Jahrhundert, also aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wo Ingenieure und Ökonomen gemeinsam versucht haben, ... die Mechanik und die Mathematik, die mechanische Physik, eins zu eins eben auf den Menschen und auf die Wirtschaft zu übertragen, also es ist eine eins zu eins Adaption eines mechanistischen Weltbildes, das bis in die Formeln eben wirksam wird. Und das Problem ist, dass das heute eben nicht mehr gesagt wird, also, dass Studenten gar nicht lernen, wo diese Formeln wirklich herkommen und warum sie damals eingeführt sind. Und die Idee war nicht, die Welt damit wirklich abzubilden, also man wusste, dass das realitätsfern ist, ... das Vorbild war ... eben die Naturwissenschaften, die mathematischen Wissenschaften, und der Eindruck war, man könnte Wirtschaftswissenschaften, Sozialwissenschaft nicht mehr betreiben, wenn sie nicht mathematisch sind. Erzählerin Silja Graupe hat in ihrem Artikel in der Süddeutschen Zeitung den Begriff des ‚homo oeconomicus' zitiert, ein Modell des sich ausschließlich wirtschaftlich und rational verhaltenden Menschen, das in dem von ihr so bezeichneten Mainstream der Ökonomie bis heute zentral sei. O-Ton Es ist die Unterstellung,... dass man eben alles nur aus einem maximierenden Interesse heraus tut, und man glaubt, dass ... immer schon ein quasi marktwirtschaftlicher Mechanismus, also ein Preismechanismus etabliert ist, dass wir also alles nur abwägen nach Maß und Zahl und nach Preisen. Erzählerin Der Homo oeconomicus geht auf den Ökonom John Stuart Mill zurück, der eine zweckorientierte Ethik vertrat. O-Ton Das ist jetzt alles erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, also die Schrift 1844, dann sagt er, wir wissen, dass ein Mensch so nicht ist, aber wir nehmen ihn der Einfachheit halber an, weil dieser Mensch wissenschaftlich zu berechnen sei. Und er sagte, dafür abstrahieren wir von allen menschlichen Motiven nur das Reichtums-Streben. Also das Streben nach immer mehr und John Stuart Mill ist noch völlig klar, dass das nur im Geld möglich ist. ... Kein Mensch würde achttausend Eiskugeln acht Eiskugeln vorziehen, weil man nicht wüsste, was man damit machen soll. Also es gibt diese physische Begrenzung der Bedürfnisse. Und dieses Bedürfnis wird entgrenzt eigentlich nur im Geld. ...Der Kaufmann kann ja tatsächlich, würde ja 8000 Eiskugeln haben wollen, weil er die Idee hat, ich kann die ja verkaufen, also, es ist gar nicht mehr das In-Gebrauch-nehmen von Gütern, was in der Wirtschaftswissenschaft abgebildet wird, sondern eigentlich immer nur die Idee, ja, ich könnte daraus ja mehr machen, ... mehr Geld. Dass das Ziel allen Handelns das Geld ist und nicht mehr das Geld nutzt, um verschiedene Güter zu haben, um sie dann auch tatsächlich zu ge- und verbrauchen. Erzählerin Der Homo Oeconomicus ist ein für den Erkenntnisgewinn auf das menschliche Streben nach Reichtum reduziertes Konzept eines immer umfassend informierten, immer rational handelnden Menschen, der immer entweder Konsument oder Unternehmer ist und ausschließlich sein Interesse an Nutzenoptimierung und an Gewinnmaximierung konsequent verfolgt. O-Ton Diese Modelle sind, auch wenn es immer wieder von Ökonomen heute anders behauptet wird, nicht, entspringen nicht der Realität. Und auch nicht einer sorgfältigen Beobachtung der Realität sondern einem mathematischen Ideal. ... Die Wirtschaftswissenschaft hat erst mal auf diesen Menschen konzentriert, weil dieser Mensch, der nur nach Reichtum, nach Geldreichtum strebt, mit Quantitäten zu tun hat, und da haben sie gemerkt, solche Menschen können sie berechnen. Und John Stuart Mill sagt noch, fast wörtlich, kein Ökonom ist so blöd, auf die Idee zu kommen, dass dieser Mensch real ist. Erzählerin Trotzdem, oder gerade deshalb, hat sich das Bild vom ‚Homo Oeconomicus' und der damit verbundene Wachstumsgedanke im Mainstream der Wirtschaftswissenschaft als Bezugsgröße durchgesetzt und damit den Siegeszug des Paradigmas von der Notwendigkeit des immer währenden Wachstums begründet. O-Ton Also das faszinierende ist ja heute, dass die Ökonomische Lehre weltweit standardisiert ist, es gibt also wenige ökonomische Lehrbücher, die in der ganzen Welt und übersetzt in bis zu vierzig Sprachen eben den Unterricht prägen, und eines der wichtigsten Lehrbücher ... ist das von Gregorij Mankiw, und was wenig bekannt ist und auch von Studierenden kaum hinterfragt oder erforscht wird, ist, dass Gregorij Mankiw ökonomischer Berater von George W. Bush war und von ihm eben auch die Freiheits-Medaille entgegen genommen hat. ... Das ist im Moment das vorherrschende, also, kann jeder Leser oder Hörer überprüfen, in dem er auf die Unterrichtsmaterialien an deutschen Hochschulen geht, da wird Mankiw mit Sicherheit eines der wichtigsten Bücher sein, was in Deutschland im Moment gelesen und gelehrt wird. Aber eben auch weltweit. Erzählerin Im November 2012 haben Studenten der Harvard University eine Lehrveranstaltung von Mankiw gesprengt. Dessen Kollege Dani Rodrik bekundete daraufhin Verständnis für die Studenten und schrieb: Wenn man, wie Mankiw, in volkswirtschaftlichen Einführungskursen Konzepte wie Markteffizienz und die unsichtbare Hand - gemeint ist die staatlich in keiner Weise beeinflusste, sich selbst regulierende freie Marktwirtschaft - vorstellte, ohne auf deren Beschränkungen einzugehen, sei das, als würden die Grundlagen der Physik ohne die Auswirkungen der Schwerkraft vermittelt. Eine Kritik, die Florian von den Dranbleibern teilt und die ihn wie seine Mitstreiter im Netzwerk Plurale Ökonomik veranlasst, Alternativen zu gängigen Lehrplänen zu entwickeln. Atmo / Baulärm O-Ton Im nächsten Semester werden wir uns dann alternativen, heterodoxen Methoden zuwenden, also wie kann man jetzt hinter diesen Geldschleier gucken, wie kann man nicht nur über Menschen, sondern auch mit Menschen forschen und dann wird es weiter gehen über konkrete Gestaltungsfelder, ... jeder hat nebenher eine Forschungsfrage, ... der er nachgeht und über diese Gestaltungsfelder wollen wir uns konkreten gesellschaftlichen Bereichen zuwenden und dann gucken, wie man die anders gestalten könnte, sozusagen. Erzählerin Bei meinem neuerlichen Besuch in Roisdorf geht es mir diesmal weniger um die Aktivitäten der alternativen Ökonomen. Ich will genau wissen, wie der Hauskauf eigentlich von statten ging und deshalb sitzt heute Ulrich Warntjen mit am Tisch, der mir das genau erklären soll. O-Ton In erster Linie geht es ja um selbstverwalteten Arbeits-, Lebens- und Wohnraum. Erzählerin Ulrich Warntjen ist etwa fünfzig Jahre alt, verheiratet und betreibt mit Kollegen den Bioladen Morgentau. Er kam vor dreißig Jahren von Norddeutschland nach Alfter und hat an der Alanus-Hochschule Sprachgestaltung und Schauspiel studiert. Schon sein Studium hat er mit dem Job im Bioladen finanziert. Und weil es sich so ergab, ist er in der Voreifel geblieben. Ulrich Warntjen gehört zum Vorstand des Vereins Freiraum Alfter e.V., der von Studierenden und Lehrern der Alanus-Hochschule gegründet wurde, um alte Bauerhäuser in der Gegend aufzukaufen. Atmo / Menschengruppe Zitator Dies soll außerhalb der konventionellen Eigentumsverhältnisse geschehen. In einer Nutzergemeinschaft selbstverwalteter Häuser mit der Absicht, Raum für die Entwicklung neuer Gemeinschaftsformen zu geben und Wege zu finden, die Bedürfnisse des Einzelnen und die der Gemeinschaft in Einklang zu bringen. Erzählerin steht in einer kurzen Selbstdarstellung des Vereins. O-Ton Geld oder ähnliches muss man eigentlich nicht einbringen, man muss auch ... nicht mal sich selber wirklich einbringen, wir tragen auch viele Menschen einfach so mit, die einfach nur in den Häusern wohnen und dort leben und dann ihr Studium oder was immer machen. Erzählerin Auch in der Satzung werden ungewöhnliche Ziele genannt: Atmo / Menschengruppe Zitator Der Verein bemüht sich um die Zusammenarbeit von Studenten und Freunden des Vereins ... bei der Bildung und Durchführung eines erkenntnisvollen und selbstlosen Arbeits- und Wirtschaftslebens. Und: Das Leben in Studieninhalten - dem Erarbeiten künstlerischer Fähigkeiten und wirtschaftlicher Erkenntnisse - soll sich bewusst durchdringen mit dem Lernen und Pflegen sozialer und wirtschaftlicher Lernprozesse in einer zeitgemäßen Form. Erzählerin Das neue Zuhause der Dranbleiber in Roisdorf wurde ebenfalls mit dem Freiraum Alfter erworben. Angefangen hat alles damit: O-Ton Einer der Bankgründer der GLS Gemeinschaftsbank in Bochum, der Herr Barkoff, hat 1981 hier eine Epoche an der Alanus Hochschule gegeben, ... worin er dann unter anderem auch einige Zitate von Rudolf Steiner mit eingefügt hat, die sich auf sein Verständnis von Grund und Boden bezogen. Nämlich, dass Grund und Boden etwas ist, was nicht vermehrbar ist und deshalb eigentlich nicht Privat-Eigentum sein kann, sondern nur allen zugänglich sein kann. Also, man kann es wohl nutzen, aber nicht besitzen, oder dann weiterverkaufen und so weiter. Und da sind dann viele Studenten hellhörig geworden und haben ihn danach gefragt, wie können wir das denn konkret umsetzen? Daran sind wir interessiert! Erzählerin Eine Arbeitsgruppe wurde gebildet und unter Anleitung des Bankers wurden Leih-und Schenk-Gemeinschaften eingerichtet. O-Ton Leih- und Schenk-Gemeinschaften ... funktionieren so, dass sich Menschen über einen bestimmten Zeitraum, den sie selber festlegen, verpflichten, monatlich einen bestimmten Betrag zu zahlen. Angefangen damals, ich meine sogar bei einer Mark. Aber die meisten haben fünf oder zehn Mark gegeben. Oder auch mehr. Und viele Studenten haben sich da so zusammengefunden, auch Dozenten der Alanus-Hochschule, Eltern, Freunde, und daraus ist das erste Eigenkapital entstanden. Und zusätzlich zu dem Eigenkapital wurde dann noch ein Kredit aufgenommen. Erzählerin Damit wurde 1982 das erste Haus gekauft. Bis heute hat der Verein sieben Häuser erworben, ein Haus wurde angemietet. Die meisten Bewohner der Häuser sind Studenten, aber auch Ulrich und seine Frau leben darin, der Architekt Sebastian, ein Lehrer, ein Schreinergeselle, und die Kollegin aus dem Bioladen. Viele haben Kinder. O-Ton Aber es besteht eben ... die Möglichkeit sich auch für mehr einzubringen. Jeder hat ja irgendwo das Bedürfnis, zumindest seine eigenen vier Wände selber gestalten zu wollen, und diese Möglichkeit besteht innerhalb unserer Häuser. Dazu gehört natürlich dann auch, dass diese Häuser verwaltet werden müssen, ... was da alles zu machen ist, ... oder wenn jemand mal nicht zahlen kann, dann muss damit ja auch umgegangen werden. Erzählerin Für so einen Fall haben sich alle verpflichtet, zusammen zu legen und das habe bisher auch gut funktioniert. Der Verein zählt heute 65 Mitglieder, die meisten sind Nutzer, andere unterstützen seine Aktivitäten. Luxussanierungen und anschließende Mieterhöhungen oder gewinnmaximierende Hausverkäufe sind ausgeschlossen. O-Ton Das ist zumindest nach der derzeitigen Satzung gar nicht möglich. ... Der Verkauf eines Hauses ist eigentlich nur in einer Notsituation möglich, laut der gegenwärtigen Satzung, wenn wir in wirtschaftliche Schwierigkeiten gelangen würden, aus welchen Gründen auch immer. Erzählerin Der Verein hat also zusammen mit den Bewohnern der Häuser Finanzierungskredite bei der GLS Bank in Bochum aufgenommen. So weit, so gut. Aber wie kommt diese Bank dazu Studenten ohne Sicherheit eine halbe Million Euro zu leihen? O-Ton GLS heißt Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken, wir sind ja vierzig Jahre alt, damals war das so ein Begriff, den man heute vielleicht nicht mehr so verwenden würde, ... deswegen sagen wir heute auch ganz kurz GLS Bank. Erzählerin Christoph Lützel ist Pressesprecher des ungewöhnlichen Geldinstituts. Mich interessiert der Begriff ‚Schenken' im Zusammenhang mit einer Bank. O-Ton Es ist eine Bank, aber wir haben auch hier im Haus eine Stiftung und deswegen kommt hier der Begriff der Schenkung da mit hinein. ... Die Bank gehört über 30.000 Mitgliedern und ist eine klassische genossenschaftlich aufgebaute Bank. Erzählerin Die Bank wurde 1974 von Anthroposophen gegründet. Mit dem Instrument der Leih- und Schenkgemeinschaften wird gemeinnützigen Einrichtungen ermöglicht, größere Projekte auf Kreditbasis zu finanzieren. Die ‚Good-Bank' wurde mit dem deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet und mehrfach für ihre Service-Qualität zur Bank des Jahres gewählt. O-Ton Also wir haben ganz klare Ausschluss-Kriterien, Rüstung, Atomkraft, Chemiebetriebe, Kinderarbeit, also alles, was ein ... normaler denkender Mensch nicht haben will, finanzieren wir nicht. Das schließen wir völlig aus, zu 100 Prozent. Wir finanzieren den Bereich Wohnen, den Bereich Landwirtschaft - hier speziell ökologische Landwirtschaft, Naturkostherstellung, ... Schulen, Kunst, Kindergärten, pädagogische Einrichtungen, das ist unser Geschäft. Erzählerin Kann man damit überhaupt Geld verdienen? Den Großbanken ist immer der Wachstumsgedanke so wichtig, die Vermehrung des Geldes durch Zinsen und Renditen, was sie ‚Wertschöpfung' nennen. O-Ton Wir wachsen, wir wachsen durch ein Angebot, das wir an die Gesellschaft machen, was auf großen Wiederhall stößt, deswegen kommen 1900 bis 2000 Neukunden im Monat, das ist eine ganze Menge. ... Die gesamte Grundlage dieser Bank ist ...eine ganz andere. Wir gehen nicht her und sagen, wir wollen wachsen, ... sondern wir sagen, wir machen ein Angebot, ein Bankangebot, und wenn wir diese Arbeit ... des sozialökologischen Bankings, wenn wir das gut machen, dann kommen auch Kunden zu uns. Und dann kommt hinten natürlich ein Wachstum bei raus. Aber der Ansatz ist nicht von vorne herein Gewinn als Ziel, sondern sinnvolle Banktätigkeit. Und das ist was ganz anderes. Erzählerin Spekulative Geldgeschäfte, Manipulation von internationalen Referenzzinssätzen, Millionen Euro oder Dollar als Boni für Bank-Manager - Schlagzeilen wie diese haben die internationalen Geldinstitute in Verruf gebracht. Kaum jemand hat heute einen schlechteren Ruf als ein Banker. Für die GLS Bank scheint das nicht zu gelten. Christoph Lützel lächelt, als habe er auf diese Frage schon gewartet und drückt mir die Anlage- und Finanzierungs-Grundsätze seines Hauses in die Hand. Atmo / Schalterhalle, Geldautomat Zitator Finanzmarktgeschäfte, die zu einer Destabilisierung von Märkten und als Folge zu einer Destabilisierung von Volkswirtschaften führen können, werden ausgeschlossen. Für unser Verhalten an den Finanzmärkten gelten daher folgende Bestimmungen: • Keine Devisenspekulationen • Keine spekulativen Investitionen in Rohstoffe und Nahrungsmittel • Keine Investitionen in Wertpapiere oder Unternehmen, die aus steuerlichen Gründen ihren Ursprung oder Sitz in Schattenfinanzzentren haben • Investitionen in derivative Finanzmarktinstrumente sind nur zur Absicherung zulässig Erzählerin Ich frage nach der Zusammenarbeit mit dem Freiraum Alfter e.V. und nach den Bedingungen für einen Haus-Kredit. Dafür ist der Investmentberater Stefan Möller zuständig: O-Ton Das funktioniert ... nur, weil der Darlehensnehmer, also der Freiraum Alfter so aufgestellt ist, wie er ist. Die haben nämlich keine Rendite-Erwartung, die wollen nicht Geld verdienen mit dem Projekt, mit der Immobilie. ... Also die Herausforderung ist ja, ... das Beibringen von Eigenkapital in so eine Finanzierung, was zwangsläufig immer mit eingebracht werden muss und auf der anderen Seite dann auch die nachhaltige Kapitaldienstfähigkeit, das heißt, die Rückzahlbarkeit des Darlehens muss gewährleistet sein. Und das sind beides Punkte, die Studenten halt in der Regel schwer erfüllen, weil sie a) über wenig oder kaum Eigenkapital verfügen, und b) auch noch nicht geregelte Einkünfte haben. Und da gilt es dann zu überlegen, wie kann man das schaffen, oder wie kann man diese Hürde überwinden und das geht in der Regel über eine Gemeinschaft von Menschen, die sich dran beteiligen, unter anderem über kleinere Bürgschaften, die man mit rein nehmen kann, über Spenden, über Leih- und Schenk-Gemeinschaften, die wir auch in der GLS Bank anbieten, so dass man dann, unabhängig von dem einzelnen Studenten eine Möglichkeit schafft, mit einer Gemeinschaft Wohnraum zur Verfügung zu stellen und überhaupt auch Wohnraum anschaffen zu können. Musik / Atmo Rückfahrt Auto innen Erzählerin Vielleicht lassen sich Formen von Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln, die ein gutes Leben für alle ermöglichen, wenn das Interesse nicht auf Wachstum beschränkt wird, sondern ethische Grundsätze und gemeinschaftliche Werte eine größere Bedeutung erhalten, denke ich auf der Rückfahrt. Was ändert sich im Alltag, wenn man auf Wachstum, Konsum und Schnelligkeit verzichtet? O-Ton Man versucht sich auch so ein bisschen selbst zu ernähren durch Garten, und dann vielleicht noch Tauschkreise aufbaut, und solche Strukturen nutzt, die schon da sind, dann braucht man auch gar nicht mehr das Gehalt, wie jetzt vielleicht unsere Eltern das gewöhnt sind. Also, ich habe nicht vor, vierzig Stunden in der Woche irgendwo festangestellt zu arbeiten. Ich möchte mein Leben auch anders gestalten und da ist eine Möglichkeit, eine sehr kreative Möglichkeit auch da. Erzählerin Die angehende Bildhauerin Stefanie hat gerade eine Ausstellung in Köln ausgerichtet. In einem ehemaligen Hospiz für an HIV erkrankte Patienten, das gerade renoviert und dann einer anderen Nutzung zugeführt wird, hat sie in einem Zimmer die Decke herausgenommen und in dem bis in den Dachstuhl erweiterten Raum eine Lichtinstallation aus Papier hinein gebaut. Bezahlt wird diese Arbeit nicht, sie ist nicht bezifferbar. Für ihre Projekte ist Stefanie immer wieder bereit zur ‚Selbstausbeutung', wie sie es nennt. O-Ton Wenn man versucht, sein Leben einfach auf verschiedene von einander mehr oder weniger unabhängige, - oder auch von so Abhängigkeitsstrukturen, wie so einem Rentenfond zum Beispiel - irgendwie aufbaut, dass man dann schon auch mit wenig Geld gut zu Rande kommt. Das Zurückgehen von einem Leben, das hochbegütert ist, was sehr bequem ist, ist dann bestimmt sehr schwer, aber das ist genau der Weg, den ich meinte. Als Studentin ... hatte ich 500 Euro im Monat, und das ging. ... Wir konsumieren faire, regionale, biologische Produkte und Lebensmittel und haben auch noch irgendwie Ökostrom und versuchen ökologisch zu bauen, das geht irgendwie alles und es geht besser und einfacher ... in der Gemeinschaft. Erzählerin Schön und gut, aber bleibt da nicht doch auch die Sehnsucht nach einem materiell abgesicherten Leben? O-Ton Mir hilft es zu wissen, was ich nicht möchte: also zum Beispiel den Verein hier als Profit-Maschine mit 25 % Rendite aufzuziehen, das ginge ... vielleicht, also der ADAC ist da vielleicht ein Beispiel, aber, das ist eben gerade nicht unser Ziel. Und, dieser Verein ist für mich ein Ort der Widerständigkeit eben gegen jene ökonomischen Prinzipien, die in der VWL, wie sie derzeit in den Universitäten meist gelehrt wird, einfach dominant sind, also die Grundannahme der Verknappung von Ressourcen, der Knappheit von Ressourcen, die Gesetze von Angebot und Nachfrage, Investitionstheorie, all das versucht dieser Verein aus den Angeln zu heben und macht das seit dreißig Jahren erfolgreich. Das muss man sich mal vor Augen führen, das sind dreißig Jahre Erfolgsgeschichte einer anderen Wirtschaftsweise, die auf, da sie so eng mit der GLS verbunden ist, auf Geben, Leihen, Schenken beruht. Und auf einer Nutzung von Grund und Boden und Immobilien und auf Gemeinschaft und das sind Dinge, die die VWL heute so nicht kennt. Atmo / Musik Sprecher Reich ohne Eigentum Erzählerin oder der Homo Oeconomicus bricht aus Sprecher ein Feature von Nora Bauer Sprecher es sprachen: Henning Jung, Anne Müller und Ulrike Schwab Technische Realisation: Anna Dhein und Christoph Rieseberg Regie: Nora Bauer Redaktion: Herman Theißen Eine Produktion des Deutschlandfunks 2015 Musik 0