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Im Kern gibt es zwar in vielen Ländern auch eine Schulpflicht, aber bei diesen Kindern scheitert das schon daran, dass es eine Denunziationspflicht im Ausländerrecht in Deutschland gibt, eine Meldepflicht. Musik Ansage "Ich bin Lehrerin, kein Hilfssheriff!" Statuslose Kinder und das Recht auf Bildung in Deutschland Ein Feature von Ruth Jung Atmo 1 Spielplatz Hort darüber Sprecherin: Federballspiel im Hof des Schülertreffs. So nennt sich der Integrative Hort der Evangelischen Kirche in Frankfurt am Main. Mitten im Finanzviertel, im Schatten der Bankentürme finden Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien nach der Schule eine offene Tür, bekommen ein Mittagessen und Deutschförderunterricht. Hier arbeitet Aferdite: O-Ton 3 Aferdite Mein Name ist Aferdite Hasanaj. Ich bin 20 Jahre alt und komme ursprünglich aus dem Kosovo. Ich lebe jetzt schon seit fast 18 Jahren in Deutschland, jedoch 17 Jahre davon nur geduldet. Sprecherin: Aferdite ist eine zielstrebige, energische junge Frau. Sie macht ein freiwilliges soziales Jahr, um praktische pädagogische Erfahrungen zu sammeln. Aferdite möchte Lehrerin werden. Man sieht, dass ihr die Arbeit mit Kindern Spaß macht. Atmo 2 hoch Dass die junge Frau es trotz denkbar schlechter Voraussetzungen geschafft hat, Abitur zu machen, grenzt an ein Wunder. Zu verdanken hat sie das ihrer Hartnäckigkeit - und der Solidarität vieler Menschen. Vor vier Jahren sollte Aferdite abgeschoben werden, dagegen wehrte sie sich. Und noch immer kämpft die 20- Jährige mit einer Bürokratie und Gesetzgebung, die in Menschen ausländischer Herkunft in erster Linie ein Problem sieht. O-Ton 4 Aferdite Ich hab nämlich vor drei Wochen meine Einladung bekommen, dass ich meine unbefristete Aufenthaltserlaubnis abholen kann und dann bin ich dahin gegangen und dann hieß es, dass das freiwillige soziale Jahr nicht zählt, sondern entweder man geht zurzeit in die Schule oder absolviert eine Ausbildung oder studiert. Sprecherin: Also bekam Aferdite die erhoffte unbefristete Aufenthalterlaubnis wieder nicht. Weiter O-Ton 4 Der Herr hat mich gefragt, was ich studieren möchte und da hab ich ihm gesagt, ich würd gern Lehramt studieren für Förderschule, das ist nämlich auch die Arbeit, die ich in meiner Einrichtung mache, in meiner Einsatzstelle und da hat er gemeint, hm, mit Kindern, ich weiß nicht - doch, ich mag das aber - dann hat er versucht, mir das irgendwie abzuraten und hat gesagt, ja aber sie können Lehramt überhaupt nicht studieren, weil sie ja alle verbeamtet werden und sie sind weder Deutsche noch kommen aus der EU, also wie stellen Sie sich das vor. Und ich wusste das in dem Moment nicht, war total ratlos, war erstmal schockiert und dachte, oh nee, nicht das auch noch, jetzt nimmt der mir meine ganzen Träume und Wünsche und Hoffnungen weg. O-Ton 5 Brigitte Hofacker Also das ist nicht zu fassen. Sprecherin: Brigitte Hofacker, Lehrerin an einer Frankfurter Gesamtschule. Weiter O-Ton 5 Ich würde mir wünschen, dass alle jungen Menschen ein soziales Jahr machen. Dass alle jungen Menschen, die Lehramt studieren wollen, sich vorher erstmal kundig machen, ob sie überhaupt mit Kindern klarkommen. Also so was Tolles, was sie da macht, ja, da merk ich, wie in mir so die Empörung wächst, wie wir es fertigbringen, Menschen, die motiviert sind, die zu demotivieren. Sprecherin: "Illegale", "Papierlose", "Statuslose" werden Menschen genannt, die ohne gültige Papiere in Deutschland leben. Warum jemand keine gültigen Papiere hat, dafür gibt es verschiedene Gründe. Manche kommen mit einem Touristenvisum und bleiben, weil sie Arbeit gefunden haben. Andere besuchen ihre Familien und wollen nicht wieder weg. Experten wenden sich gegen die Bezeichnung "illegal", weil damit die Betroffenen stigmatisiert und sogar kriminalisiert würden. Vielmehr müsse man die "Mechanismen der Illegalisierung" herausstellen, heißt es. In die Illegalität kann man nämlich ganz leicht geraten, so wie die damals 16-jährige Aferdite. O-Ton 6 Aferdite Als ich von der Hauptschule auf die Gesamtschule gegangen bin, lief da ein Wettbewerb in der 10.Klasse und da ging's um ein Praktikum in England und da sollten wir uns für bewerben und da hab ich gewonnen. Und ich hab ja damals noch keinen Pass gehabt, sondern nur eine Duldung und da habe ich die Ausländerbehörde gefragt, ob ich irgendwie was bekommen könnte, einen Ausweis, damit ich da mitmachen kann. Am Telefon hieß es, ja klar und ist überhaupt kein Problem und als ich dann persönlich da erschienen war, hieß es, dass ich illegal in Deutschland wär und dass ich schon längst abgeschoben sein müsste und dass es nicht in Frage kommen würde, da hinzufahren, weil ich ja noch nicht einmal einen Pass hätte und wie ich denn darauf komme. Sprecherin: Innerhalb von sechs Tagen sollte die 16-Jährige das Land verlassen. Aferdite tauchte unter, die Familie eines Mitschülers versteckte sie. Aferdites Vater war Ende der 80er Jahre als Gastarbeiter eingewandert, die später nachgezogene Ehefrau und die acht Kinder erhielten nur befristete Duldungen. Diese Praxis wiederholter befristeter Duldungen, kritisieren Experten, führten in Deutschland systematisch in die Illegalität. Musikakzent Zitator: "Ihr, die sogenannten illegalen Ausländer, solltet wissen, dass kein Mensch "illegal" ist. Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön sein oder noch schöner, sie können gerecht sein oder ungerecht, aber illegal? Wie kann ein Mensch illegal sein?" Sprecherin: Elie Wiesel O-Ton 7 Brigitte Hofacker, Lehrerin Wer, wenn sie einen Menschen seit Jahren begleiten, wer fragt dann in dem Moment nach dem Gesetz, wenn es darum geht, dass dieses Mädchen in einer Nacht- und Nebelaktion plötzlich nicht mehr da sein sollte, sondern da sieht man nur, dass ein junger Mensch, der hoffnungsfroh seine Ziele verfolgt, dass ihm alles genommen wird. Sprecherin: Brigitte Hofacker war damals Aferdites Klassenlehrerin. Sie überlegte nicht lange, sondern setzte Himmel und Hölle in Bewegung. Ganze Aktenordner hat Brigitte Hofacker zum "Fall" Aferdite aufgehoben. Am meisten beeindruckt hat sie die Bereitschaft ihrer Schülerinnen und Schüler, sich für die Klassenkameradin einzusetzen. O-Ton 8 Brigitte Hofacker Die Klassenkameradinnen und Kameraden waren geschockt, die haben auch gesagt, wir müssen was unternehmen, die Elternschaft stand hinter uns und da erschien es uns am sinnvollsten, die Öffentlichkeit zu informieren und deutlich zu machen, schaut her, hier ist ein junger Mensch, der wunderbar integriert ist, der soviel positive Eigenschaften hat und niemandem zu Last fällt und alles was immer so gesagt wird, wie problematisch das ist mit den Ausländern, war ja auf ihre Person bezogen überhaupt kein Thema, im Gegenteil. Also für die Klasse war das auch ein Riesenlerneffekt im Sozialen, wir haben in sämtlichen Stunden darüber diskutiert und manchmal dachte ich, oh Gott, Du musst ja auch an deinen Unterrichtsstoff denken, wenn wieder irgendein dramatischer Vorfall war und es in der Klasse thematisiert wurde, und gleichzeitig war mir klar, es kann nichts Besseres passieren, als die Kinder merken, so kann es nicht weitergehen. Wir müssen etwas tun und wir fühlen uns verantwortlich und wir wollen die Aferdite unterstützen. Sprecherin: Wie in Frankfurt am Main sind auch in anderen deutschen Großstädten vor allem die Beratungsstellen der Kirchen seit einigen Jahren verstärkt mit Menschen ohne Aufenthaltsstatus konfrontiert. Wie viele Menschen in der Illegalität leben, kann man nur schätzen. In Berlin vermutet man etwa 100 000 Menschen ohne Papiere, in München zwischen 30 000 und 50 000 und in Frankfurt zwischen 25 000 und 40 000, darunter fünf bis zehn Prozent Kinder und Jugendliche. In einer von der Evangelischen Regionalversammlung Frankfurt in Auftrag gegebenen Studie Lebenslage "illegal" heißt es: Zitator: "Menschen ohne Aufenthaltstitel sind in Deutschland von politischen und sozialen Teilhaberechten ausgeschlossen (...) Das Überleben ist für viele jeden Tag eine Gratwanderung, da ihnen der Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen erschwert wird (...) so werden Ereignisse wie der Verlust einer Unterkunft, einer Arbeitsstelle (...) oder einfach schon der Versuch, vorenthaltenen Arbeitslohn einzufordern oder ein Kind einzuschulen oder es im Kindergarten anzumelden zu einer kritischen Lebenssituation." O-Ton 9 Karola Stötzel Wir hatten einen ganz konkreten Fall Sprecherin: Karola Stötzel, Stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hessen Weiter O-Ton 9 wo eine Sozialpädagogin, die bei uns organisiert ist, ein Kind gefunden hat, das den ganzen Tag alleine ist, das kaum sprechen konnte, selbstverständlich nicht lesen und schreiben konnte, das sich völlig selbst überlassen war. Sie beschrieb es als Kaspar-Hauser-Syndrom, weil die Mutter den ganzen Tag arbeiten musste und sich nicht um das Kind kümmern konnte, sich nicht getraut hat, einen Kindertagesplatz zu suchen überhaupt. Und dieser Zustand hat diese Kollegin von uns so empört, dass sie uns gebeten hat, diese Initiative zu ergreifen, was wir ja auch dann gerne getan haben. Sprecherin: Ein juristisches Gutachten, das die GEW-Hessen in Auftrag gab, sollte endlich Rechtssicherheit schaffen und die Frage klären, ob Schulleiterinnen und Schulleiter Kinder ohne gesicherten Aufenthaltsstatus aufnehmen können, ohne sich eines "Dienstvergehens" schuldig zu machen. O-Ton 10 Karola Stötzel Wir haben in diesem Gutachten festgestellt, dass der Mindestanspruch für jedes Kind auf einen Grundschul- und einen Hauptschulbesuch besteht. Auch hier in Hessen. Wogegen die Landesregierung immer polemisiert hat und immer gesagt hat, diese Kinder müssen gemeldet werden, sie dürfen nicht an die Schulen kommen und sie haben auch kein Recht die Schulen zu besuchen. Da uns Fälle bekannt geworden sind, die wirklich dramatisch waren, sehr engagierte Kollegen immer wieder konfrontiert worden sind mit unmöglichen Lebenssituationen dieser Kinder, haben wir dieses Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, um Rechtssicherheit zu schaffen. Herausgekommen war, dass Schulleitungen keine Meldepflicht haben und dass wir diese Kinder auch in Schulen aufnehmen können, ohne weitere Schritte einleiten zu müssen. Sprecherin: "Ich bin Lehrerin, kein Hilfssheriff" - so die Aussage einer couragierten Lehrerin, die das, was sie über den Aufenthaltstatus ihrer Schüler erfährt oder ahnt lieber für sich behält, um sie zu schützen. Eine Gratwanderung. O-Ton 11 Karl Kopp Diese Frage ist natürlich sehr irritierend für Leute, die in der Schule arbeiten, für Schulleiterinnen, Lehrer, Lehrerinnen und natürlich auch sehr abschreckend für die Kinder. Sprecherin: Karl Kopp, Europareferent der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl in Frankfurt: Weiter O-Ton 11 Diese Denunziationspflicht verhindert de facto, dass Kinder beschult werden, Kinder ohne Aufenthaltsstatus. Es gibt natürlich Schulleiter und Lehrerinnen, die sagen, wir schweigen, aber man muss einfach sehen, dass zum Beispiel in Hessen im Jahr 2005 extra noch mal ein Erlass herausgegeben wurde, der praktisch die Schulleitungen aufgefordert hat zu denunzieren, sonst würde ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Von daher ist dieses Thema immer noch virulent in Deutschland, ist ein Riesenproblem. Sprecherin: Dabei gilt die allgemeine Schulpflicht als zivilisatorische Errungenschaft, die keiner Diskussion mehr bedarf - sollte man meinen. Weil das in Deutschland nicht so ist, veröffentlichte das Kinderhilfswerk terre des hommes 2005 die erste bundesweite Untersuchung zur Frage, wie Schulpflicht und Schulrecht von statuslosen Flüchtlingskindern in den 16 Bundesländern gehandhabt werden. Titel der Broschüre und zugleich bitteres Fazit: Zitator: "Wir müssen draußen bleiben." Sprecherin: Bildung untersteht der Kulturhoheit der Länder, entsprechend regelt die jeweilige Landesgesetzgebung den Zugang zu Schule und Ausbildung. Wie in Hessen dürfen statuslose Kinder auch in einigen anderen Bundesländern offiziell nicht in die Schule gehen. Mit dem Erlass vom Oktober 2005 konterte das Hessische Kultusministerium die GEW-Initiative. Schulen sind verpflichtet, heißt es Zitator: "zur Erfassung des Aufenthaltsstatus und zur Meldung statusloser Kinder an die Ausländerbehörde" Sprecherin: Dem hält das Kinderhilfswerk terre des hommes entgegen: Zitator: "Die Einsicht, dass das Kinderrecht auf Bildung nicht vom Aufenthaltsstatus abhängig gemacht werden darf, könnte den Paragraphen-Dschungel in den einzelnen Bundesländern erheblich vereinfachen." Sprecherin: Das Kinderhilfswerk erinnert daran, dass auch die Bundesrepublik die UN- Kinderrechtskonvention unterzeichnet hat, wo ausdrücklich festgehalten ist: Zitator: "Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Bildung an; um die Verwirklichung dieses Rechts auf der Grundlage der Chancengleichheit fortschreitend zu erreichen, werden sie insbesondere (...) den Besuch der Grundschule für alle zur Pflicht und unentgeltlich machen." Sprecherin: Artikel 28 der Kinderrechtskonvention. Schon in der Menschenrechtserklärung 1948 wurde das Recht auf Bildung als Grundrecht verankert. O-Ton 12 Dr. Claudia Lohrenscheit Da heißt es explizit: Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Da steht nicht: Jeder Staatsbürger hat das Recht auf Bildung oder jeder Mensch, der einen Pass in der Tasche hat. Sprecherin: Claudia Lohrenscheit vom Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin. O-Ton 12 weiter Menschenrechte unterscheiden sich ja von Bürgerrechten, man sieht das auch im Grundgesetz sehr schön, indem es wirklich Rechte sind, die an nichts gebunden sind außer an den Status Menschsein und im Grundgesetz ist es dann immer so formuliert, bei Menschenrechten steht dann jeder Mensch hat das Recht auf und bei den Staatsbürgerrechten steht jeder Deutsche hat das Recht auf und fürs Recht auf Bildung, das ist bei uns ja nicht im Grundgesetz, sondern in den Landesverfassungen realisiert oder umgesetzt, da haben wir tatsächlich das Problem, dass es missverstanden wird und anstatt als Menschenrecht als Bürgerrecht behandelt wird. Musikakzent Zitator: "Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustand wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustand kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird." Sprecherin: Bertolt Brecht. Flüchtlingsgespräche Sprecherin: Viele Eltern ohne Papiere schicken ihre Kinder aus Angst entdeckt zu werden nicht zur Schule und sie trauen sich auch nicht, einen Kindergartenplatz zu suchen. Paragraph 87 des bundesdeutschen Aufenthaltsgesetzes schreibt vor: Zitator: "Öffentliche Stellen haben unverzüglich die zuständige Ausländerbehörde zu unterrichten, wenn sie im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer Aufgaben Kenntnis erlangen vom Aufenthalt eines Ausländers, der keinen erforderlichen Aufenthaltstitel besitzt und dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist." O-Ton 13 Knickenberg Es ist in der Tat so, dass das zentrale Hindernis ganz konkret rechtlich gesehen, aber auch die Begründung, die dahintersteht, auf Bundesebene eigentlich angesiedelt sind, und das sind die sogenannten internen Migrationskontrollen und das ist in Deutschland eben sehr ausgeprägt, die internen Migrationskontrollen. Sprecherin: Johannes Knickenberg, Geschäftsführer des Katholischen Forums "Leben in der Illegalität" in Berlin Weiter O-Ton 13 Konkret ist das der Paragraph 87 im Aufenthaltsgesetz, das ist eine bundesgesetzliche Vorschrift, die kann also nur der Bund ändern oder einschränken, was wir auch fordern, dass er das tun sollte. Sprecherin: Das Forum Leben in der Illegalität wurde auf Initiative der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz gegründet und versteht seine Arbeit als anwaltschaftliches Engagement für Menschen, die keine Stimme haben. Immerhin, so Johannes Knickenberg, gehe es beim Menschenrecht auf Bildung um ein Schlüsselrecht: O-Ton 14 Knickenberg Jetzt sind wir bei Bildung ja auf Landesebene, was aber übermittelt werden muss, ergibt sich letztlich aus den Landesgesetzen, der Schulleiter kann ja nur das übermitteln, was er im Rahmen des Anmeldeverfahrens an der Schule auch erfährt. Das bestimmt aber nicht der Bundesgesetzgeber, sondern der Landesgesetzgeber. Und deshalb könnten auch die Bundesländer das Problem Schulbesuch schon jetzt ohne den Bund trotz der Übermittlungspflicht alleine lösen. Das zeigt das Beispiel Nordrhein-Westfalen, die haben das getan. Da steht also im Schulgesetz ganz klar drin, diese Personengruppe ist explizit erwähnt, dass auch diese Kinder der Schulpflicht unterliegen. Sprecherin: Es geht also doch, wenn der politische Wille da ist. Solange es aber die Anzeigenpflicht gibt, bleibt statuslosen Kindern das Recht auf Bildung vielfach verwehrt, betont Claudia Lohrenscheit vom Deutschen Institut für Menschenrechte: O-Ton 15 Claudia Lohrenscheit Da ist sich die gesamte Menschenrechtsszene einig, dass das ein Verstoß gegen das Menschenrecht auf Bildung ist. Das Ganze wird möglich gemacht dadurch, dass die Bundesregierung beim Unterzeichnen der Kinderrechtskonvention einen Vorbehalt angemeldet hat und bei diesem Vorbehalt hat sie gesagt, unsere nationalen Asyl- und ausländerrechtlichen Gesetzgebungen sind wichtiger, bedeutender als die Vorgaben der Kinderrechtskonvention. Sprecherin: Auch Pro Asyl kritisiert seit langem die restriktiven Migrationskontrollen in Deutschland, die dazu führten, dass systematisch Grundrechte missachtet würden. Karl Kopp: O-Ton 16 Karl Kopp Bezogen auf die Kinder ist es in Deutschland immer noch so, dass die UN- Kinderrechtskonvention mit einem Vorbehalt versehen ist, was dazu führt, dass es immer noch Flüchtlingskinder gibt, die im Flughafenverfahren über lange Zeiträume inhaftiert werden. Es gibt die Problematik, dass Kinder zwischen sechzehn und achtzehn sehr leicht in Deutschland inhaftiert werden können. Wir hatten viele Kinder, die jahrelang nur geduldet waren, also einen Halbstatus oder keinen Status hatten. Tausende, Zehntausende, die hier geboren sind, aber nur eine Duldung hatten, ein deutscher Sonderfall, das gibt es so gar nicht in dieser Form in anderen europäischen Ländern, und diese Kinder konnten nicht auf weiterführende Schulen. Es ist eher verwunderlich, dass die Kinder, die durften beispielsweise auch nicht studieren, dass viele dieser Kinder es trotzdem geschafft haben, sich sehr schnell zu integrieren, an Bildung festzuhalten und versucht haben, auch unter restriktiven Bedingungen Schulabschlüsse zu machen. Sprecherin: So wie Aferdite. Sie hatte das Glück, dass sich viele Menschen öffentlich für sie eingesetzt und sie so vor der Abschiebung in ein ihr unbekanntes Land bewahrt haben: O-Ton 17 Aferdite Ich habe ganz ganz viel Post bekommen von wildfremden Menschen, die mich versucht haben zu unterstützen. Wir haben eine AG gegründet, die hieß AG gegen Abschiebung und anfangs waren wir nur vier Betroffene und Pro Asyl hat uns geholfen, lauter Gewerkschaften und die vom Stadtschülerrat. Im Juli 2005 hatten wir unsere erste große Demonstration hier in Frankfurt, kurz vor Zwölf hieß die und da habe ich auch meine erste Rede gehalten. Ich hatte das Gefühl, dass die ganzen Menschen aus Frankfurt dabei wären und versuchen, uns zu unterstützen. Und dann hat sich noch herausgestellt, dass ne Mitschülerin von mir auch nur eine Duldung hat, obwohl die schon seit fünf Jahren auf der Schule war, man traut sich nicht darüber zu sprechen. Bei mir war das ein bisschen anders, ich habe eigentlich immer ganz offen darüber geredet, weil man nur so das Thema in die Öffentlichkeit bringen kann und Öffentlichkeit ist das A und O in dieser Sache. Sprecherin: Wie wichtig Öffentlichkeit ist, zeigt auch das Beispiel der Stadt München: O-Ton 18 Dr. Margret Spohn Ich glaube, dass München mit Recht stolz darauf sein kann, dieses Thema in die Öffentlichkeit gebracht zu haben. Wir sind auch die einzige Kommune, die dezidiert Menschen in der Illegalität, Sie sehen ich benutze den Term illegal nicht, Menschen in der Illegalität, namentlich erwähnt hat im Integrationskonzept als Teil der Stadtgesellschaft. Sprecherin: Margret Spohn vom Sozialreferat der Stadt München. O-Ton 19 Spohn Wir wollten herausfinden, ob es möglich ist, dass Kinder, deren Eltern keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben und ergo eben auch die Kinder nicht, die Möglichkeit haben, eine Schulbildung zu bekommen. Das ist von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Bayern hatte im Rahmen des Jugoslawienkrieges beschlossen, dass alle Flüchtlingskinder oder dass alle Kinder ein Recht auf Bildung haben, egal welchen Status sie haben. Wir haben das dann noch mal prüfen lassen und haben das Recht auf Bildung höher gestellt als den Status. Wir haben juristische Gutachten in Auftrag gegeben, um zu schauen, ob der Lehrer, die Lehrerin in Schwierigkeiten kommt, wenn sie den Aufenthaltsstatus eines Kindes nicht ermitteln und wenn sie ihn ermittelt haben, quasi an die Behörden weitergeben müssen. Das Gutachten ist zu dem Schluss gekommen, dass es zu den originären Aufgaben einer Lehrkraft nicht gehört, den Status ihrer Schülerinnen und Schüler zu eruieren. Sprecherin: Der Stadtrat von München beauftragte den renommierten Sozialwissenschaftler Philipp Anderson mit einer Studie zur Lebenssituation der "Papierlosen". Zuvor hatte er ähnliche Untersuchungen für London erstellt. "Dass sie uns nicht vergessen" heißt die Münchener Studie, die konkrete Empfehlungen für die Kommune enthält. O-Ton 20 Spohn Die Hauptvoraussetzung war natürlich die, dass die Stadt nichts tut, was ihr qua Gesetz nicht möglich ist. Das heißt, wir haben geschaut, wo ist es möglich, die humanitäre Situation der Menschen zu verbessern, ohne irgendwelche Gesetze zu übertreten, weil jede Kommune schlecht beraten, wäre die das täte. Wir sind aber durch verschiedene internationale Abkommen, beispielsweise dem Wohl, dem körperlichen Wohl dieser Menschen auch verpflichtet, auch sind es christliche Werte, gerade für Bayern. Sprecherin: Handlungsspielraum nutzen und das Gebot der Nächstenliebe ernst nehmen, darum gehe es, sagt Margret Spohn, und das könne man auch den Bürgern vermitteln. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. O-Ton 21 Dr. Spohn Wir werden sehr viel angefragt von anderen Kommunen: was habt ihr denn gemacht, und wenn wir dann dort hinfahren und das Ganze vorstellen, dann ist das, na ja, eigentlich macht ihr ja gar nix Besonderes, und da liegt genau die Krux drin. Es ist richtig, wir machen nichts Besonderes, wir machen das, was jede Kommune im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufträge machen könnte. Das einzige, was wir gemacht haben, war, ein total tabuisiertes Thema durch eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit zu detabuisieren und das ist in der Tat etwas, was deutschlandweit einmalig gewesen ist. Ich war in Städten eingeladen, wo es den Referatsvertretern, Vertreterinnen nicht mehr erlaubt war, an der Informationsveranstaltung zu diesem Thema teilzunehmen. Nur um so einen kleinen Eindruck zu bekommen, was für eine Brisanz dieses Thema in anderen Städten hat und was für ein Schritt das gewesen ist, den die Kommune hier getan hat. O-Ton 22 Knickenberg Es ist noch mal jetzt in Deutschland Belebung dadurch reingekommen, dass auf unserer Jahrestagung, Anfang März hat das Katholische Forum immer gemeinsam mit der Katholischen Akademie und dem Rat für Migration eine Jahrestagung, die Jahrestagung Illegalität, und da hatten wie eine Podiumsdiskussion und da hat eben der Reinhard Grindel, der ist der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, der hat da überraschend bekanntgegeben, dass das jetzt Fraktionsmeinung sei innerhalb der CDU/CSU, dass man diesen Kindern den Schulbesuch ermöglichen soll und da wollten sie sich für einsetzen. Sprecherin: Johannes Knickenberg und Claudia Lohrenscheit sind zuversichtlich, dass es in Zukunft eine bundeseinheitliche Regelung geben wird. O-Ton 23 Dr. Lohrenscheit Ulla Burchardt, die hat jetzt noch mal ganz deutlich gesagt, dass Schulleiter, Lehrer und auch Mitschüler nicht zu Hilfssheriffs gemacht werden dürfen. Da zitiere ich sie jetzt tatsächlich wörtlich, also dürfen keine Hilfssheriffs der Ausländerbehörden sein. Sie hat schon mit dem Menschenrechtsausschuss gesprochen, hat auch mit Schäuble, mit dem Innenminister, schon Gespräche geführt und will das Thema jetzt noch mal angehen. Die politischen Initiativen zur Abschaffung dieser Meldepflichten, die lohnen sich wirklich und ich bin da doch einigermaßen optimistisch, dass das in den nächsten Jahren auch durchzusetzen ist. Sprecherin: Der Position der SPD-Politikerin Ulla Burchardt, Vorsitzende des Bundesbildungsausschusses, hat sich inzwischen auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Maria Böhmer, CDU, angeschlossen. Ende Januar 2009 äußerte sich die Staatsministerin erstmals in deutlichen Worten gegenüber dem Magazin Focus: Zitatorin: "Die Bundesregierung arbeitet aktuell an Verwaltungsvorschriften, die die Unsicherheiten beseitigen und pragmatische Lösungen für die betroffenen Kinder bringen sollen (...) Das Recht auf Bildung ist ein Menschenrecht. Das gilt auch für Kinder von Eltern, die ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland leben" O-Ton 24 Claudia Lohrenscheit Und wie brisant das ist, zeigt gerade ein aktueller Fall in Hamburg. Also Hamburg ist das erste Land gewesen, wo mit der Begründung wir müssen Kinder vor Verwahrlosung schützen, mit dieser Begründung ist ein zentrales Schülerregister eingeführt worden und da haben die Kritiker von Anfang an schon gesagt, dieses zentrale Register wird dazu führen, dass statuslose Kinder gemeldet werden müssen und denen dann die Abschiebung droht. Und jetzt gibt es einen Fall, wo das tatsächlich so ist. Damals wurde darauf reagiert bei der Einführung, na ja, wir haben ja eine Härtefallkommission und da kann man im Einzelfall genau überprüfen den Fall und in diesem aktuellen Fall ist das ein Mädchen, die lebt seit elf Jahren mit ihrer Mutter in Hamburg, geht gerade in die letzte Klasse und ist jetzt eben durch diese Meldung im zentralen Schülerregister ist sie sozusagen aufgeflogen, die Polizei stand vor der Tür, die Härtefallkommission hat den Fall abgelehnt. O-Ton 25 Karl Kopp Es gibt heute zivilgesellschaftlich einen größeren Aufschrei, endlich mit dieser Segregation aufzuhören und diese Kinder nicht jahrelang praktisch um ihre Chance zu bringen. Das ist es ja de facto, man muss sich vorstellen, Kinder ohne Aufenthaltsstatus, was heißt das, wenn man jahrelang, auch noch unter Angst vor Abschiebung mit fehlendem Zugang zu Kindertagesstätten und Schulen hier lebt, also man beschädigt diese Kinder. Das sind Kinder, die wahrscheinlich hier bleiben und denen nimmt man fünf, sechs Jahre ihres Lebens. Ja, wie sollen die später diese fehlende Bildung, wie sollen die die kompensieren? Sprecherin: Aferdite aus Frankfurt hat es geschafft, trotz aller Hürden einen guten Schulabschluss zu machen, auf die in Aussicht gestellte unbefristete Aufenthaltsgenehmigung hofft sie weiterhin. Wenn sie erst einen Studienplatz hat, muss es endlich klappen. Denn dass sie Lehrerin werden wird und Kinder unterstützen will, für die Bildung kein selbstverständliches Gut ist, das steht fest. Brigitte Hofacker, die sich so entschieden für die Schülerin eingesetzt hat, ist voller Sympathie für jene, die mit ähnlichen Restriktionen wie Aferdite konfrontiert sind. O-Ton 26 Brigitte Hofacker Ich möchte noch mal sagen, diese Menschen, egal in welchem Alter, aber besonders die jungen Menschen, mit denen ich es zu tun habe, die haben meinen höchsten Respekt, wie es ihnen gelingt, solche Situationen zu ertragen, zu durchleben und dennoch nicht den Mut zu verlieren weiterzumachen, dass es ihnen gelingt, was sie sich vorgestellt haben. Das finde ich toll. Absage Sprecher vom Dienst: "Ich bin Lehrerin, kein Hilfssheriff!" Statuslose Kinder und das Recht auf Bildung in Deutschland Von Ruth Jung Es sprachen: Marina Behnke und Markus Hoffmann Ton: Thomas Monnerjahn Regie: Stefanie Lazai Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2009 Manuskripte und weitere Informationen zu unseren Sendungen finden Sie im Internet unter www.dradio.de 1