COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. DLR Kultur Literatur 10.06.08 "Die Provinz ist nur im Kopf, und die tiefste im flachsten" ein Portrait des Sprachmusikanten und Eigenbrötlers Uwe Dick Autor: Knut Cordsen Red.: Sigried Wesener CD Oddarang: music illustrated [LC 07577] Track 1 unter Ton starten Zusp. 1 Dick: "Aufgrund der Heftigkeit vieler meiner Sätze war ich einfach nie gesellschaftsfähig für das Feuilleton. Für mich ist Feuilleton sowieso etwas ganz Perverses. Das ist also Unzucht mit Abhängigen, bloß auf dem Papier. Völlig überflüssig. Die quatschen über etwas und glauben, sie sind Übermenschen, wenn sie über ein Buch, über ein Bild, über ein Werk sprechen. Ich habe noch nie über etwas geschrieben. Ich schreibe etwas, und das muss genügen." CD Oddarang: music illustrated [LC 07577] Track 1 kurz hoch, dann darüber Spr.: In inniger Feindschaft zum Feuilleton lebt er seit Jahrzehnten, der Dichter Uwe Dick, und spottet übers "Feuilletonicwater". Das Feuilleton erwidert seit Jahrzehnten diese Feindschaft, indem es ihn größtenteils ignoriert und als Querschädel abtut. Wer ist dieser Kauz, über den man stets dieselbe biographische Kurznotiz findet? Zusp. 2 Dick: "Lebt als Satz- und Gartenbauer im Bayerischen Wald." Spr.: Wer Uwe Dick verstehen will, der muss ihn besuchen im Bayerischen Wald, muss fahren in den äußersten Südosten der Republik. Dort lebt Dick zusammen mit seiner Frau in einem kleinen Weiler namens Niederperlesreut, in einem urigen Haus, das sich an einen Berghang lehnt. Lebt dort getreu seinem Satz "Biographie statt Karriere" fernab vom Literaturbetrieb, und schreibt einem strengen Prinzip folgend: Zusp. 3 Dick: "Ich schreibe nicht mehr und veröffentliche nicht mehr im Jahr als höchstens dreiunddreißig Seiten." Spr.: "Jesuanisch" nennt Dick das, und lächelt verschmitzt. Dieser Poet, der einen da gleich in die Filzpantoffeln schlüpfen lässt und die Treppe hoch in seine Klause lotst, dabei schon ununterbrochen redet, so dass man selbst fast gar nicht mehr zu Wort kommt, dieser Mann verfügt über einen ungemein dialektalen Wortwitz. Mit dem fertigt er Schriftstellerkollegen ab, die ihm gegenüber ins Lamentieren geraten: Zusp. 4 Dick "'Ich bin völlig ausgeschrieben', oder 'Momentan komme ich von Kafka nicht weg', dann sag I: Dann kaf koa Buch, das dir net guat tut." CD Oddarang: music illustrated [LC 07577] Track 1 wieder kurz hoch, dann langsam blenden Zusp. 5 Dick: "Ich habe keineswegs mit Bairisch angefangen. Ich war also im Alemannischen zuerst einmal, und meine Großeltern - Katrinchen sitzt im Getreide und greint -, die kommen aus dem Baltikum und meine Mutter ist Berlinerin, und ich bin also eine internationale Kriegs- und Promenadenmischung und habe mich dann für das Bairische besonders interessiert, mir schien das eine der potenziellsten Mundarten zu sein, was Innovation und Bildhaftigkeit betrifft. Ich meine, ein Beispiel, das können Sie im Hochsprachlichen nicht bringen: 'Der brummt vor Dummheit wie a Trafohäusl.' Das ist einfach umwerfend. Schade, es ist nicht von mir." Spr.: Dick liebt den Dialekt, die Mundart, und er ist nicht der einzige, der ein Loblied auf den Dialekt anstimmt. "Wie viel kraftvoller ist da alles, wie viel bildhafter, einfacher, klarer", hat Kurt Tucholsky in seinem Roman "Schloss Gripsholm" geschrieben. Norddeutsche wie Bayern, so Tucholsky, täten gut daran, ihren Dialekt nicht "in die Hände dummer Heimatdichter" fallen zu lassen, in die Hände der "Oberförster des Meeres" beziehungsweise der Berge, sondern ihn zu pflegen und am Leben zu erhalten. Das macht Dick und preist die Ausdruckskraft des Bairischen. Zusp. 6 Dick: "Es gibt in Altötting, da wenn man reinkommt auf der linken Seite ein Skelett, den 'Tod von Ötting'. Und wenn man jetzt jemanden als besonders mager bezeichnen will, dann sagt man: 'Gegen die ist der Tod von Ötting a Specksau.' Und das fasziniert mich." Spr.: Uwe Dicks Lust an der Sprache ist eine ungeheuer ansteckende. Das hat sich längst weit über die Grenzen des Freistaats Bayern hinaus herumgesprochen, - bis nach Frankreich. Der Soziologe Pierre Bourdieu, der Dick 1999 nach Paris einlud, nannte ihn schlicht einen "Karl Kraus redivivus", einen wiederauferstandenen Karl Kraus. Und in der Tat: Für den Aphoristiker Dick ist der österreichische Schriftsteller und Widerborst bis heute eine Leitfigur, und er zitiert ihn mit dem Satz: "Entscheidend ist nicht, wer einen Gedanken zuerst hat, sondern wer ihn besser hat." Zusp. 7 Dick "Ich messe mich natürlich auch, das ist auch so ein bisschen eines kleinen Autors Träumchen, wenn er den einen oder andern Satz noch besser hinkriegt. II Die Provinz ist nur im Kopf, und die tiefste im flachsten. Oder: 'Ewig grinst der Knochenmann, weil jeder glaubt, er käm' nicht dran.' Es gibt ja viele Leute, die kommen dann, hören einen Aphorismus und sagen: Des hab i allweil schon g'meint, des hab I allweil schon gedacht. Dann sag ich: Ja, warum hast es dann nicht gesagt? - Ja, bin nicht dazu gekommen! Drum kommen sie ja auch zu meinen Lesungen." Spr.: Seine Lesungen sind Ereignisse. Und das v. a. deshalb, weil dieser Dichter sein Publikum, das oft verlachte oder mild belächelte Volk für voll nimmt. Zusp. 8 Dick "Die sind ja gar nicht so blöd, wie dieser nasale Ästheten-Ton in den Feuilletons, der ständig belehrt, wie sie zu Bach zu stehen oder zu sitzen haben, [einem immer weismachen will] - was soll der Quatsch? Die sind ja, und ich habe also durchaus auch ein intellektuelles Publikum, und ich unterscheide natürlich auch die Intellektuellen, die es unter den Handwerkern gibt, sehr von den Intellektudellen, die es reihenweise gibt, und die irgendwann einmal mit einem Buch so ungünstig hantiert haben, dass sie sie sich beschädigt haben weiter oben und folglich also für mich im Publikum eigentlich unbrauchbar sind." Spr.: Sein Publikum hört genau hin, es muss geradezu, denn Uwe Dicks Lyrik wie auch seine Prosa erfordern, ohne dass dies anstrengend wäre, einige Konzentration. Zusp. 9 Dick "Ich lese ja nicht mit den Augen, ich lese natürlich auch nach dem Klang, und ich merke: Da habe ich eine Korrekturinstanz, Wenn ich dann einen Prosatext in Schriftsprache abhorche, und der beginnt mich zu langweilen, dann weiß ich: Hier muss wieder gesprochene Sprache rein. Ich schreibe ja auch, um mich zu überraschen, nicht nur die anderen, aber wenn ich mich nicht überrasche und wenn ich keinen Spaß habe beim Schreiben, dann habe ich ihn vor 300 Leuten im Saal auch nicht. Ich kann nicht vortragen, wenn ich einen Text lese, der nicht geatmet ist, wenn der nicht eine gewisse Informationsdichte hat, dann schlafen mir die Leute ein oder sie gehen. Natürlich gibt's auch wieder Leute, die sagen dann: Herr Dick, bei Ihnen muss man ja furchtbar aufpassen! Dann sage ich: Ja, das müssen's aber auch, wenn Sie über die Straße gehen, nur bei mir werden Sie nicht zusammengefahren." CD Oddarang: music illustrated [LC 07577] Track 5 unter Ton einblenden, ab 01'31 hoch, kurz frei, dann darüber Zusp. 10 Dock: (vor Publikum) "Bierfuilzl-Aphorismen böten sich an, etwa: Verklemmte lachen nicht, sie licheln. Wenn's hochkommt, schaffen sie ein Löcheln. Oder: Unser Staat is a große Pyramiden. Und wer ganz droben drin sein will, der muss oan kloanen spitzen Kopf haben (Lacher)." Spr.: Dem erklärten "Schausprecher" Uwe Dick stiehlt so leicht keiner die Show. Uwe Dick ist einer, dem die marktgängige Belletristik schon immer "Billigtristik" war und es soll nicht arrogant klingen, wenn er über seine Art der Literatur feststellt: Zusp. 11 Dick: "Das ist Sprache, so komprimiert, so verdichtet, auf dass er sich verdünnisiere, der Lesepöbel ... II Das kriege ich halt net von irgendeiner Smalltalgdrüse im Fernsehen, im Elektroaquarium." Spr.: Dick schaut nicht ins "Elektroaquarium", er besitzt keinen Fernsehapparat. CD Oddarang: music illustrated [LC 07577] Track 5 wieder kurz hoch, dann langsam blenden Zusp. 12 Dick: "Das Buch ist eine Partitur, aber beleihen mit Erfahrungen, mit Leben, Witz und eigener Phantasie muss sie der Leser. Und den meisten Leuten ist schon aufgegangen, dass man meine Sachen, wenn man sie laut liest, keines Stabes von Hilfsinterpreten bedarf, sondern dass sie da selber draufkommen." Spr: Im Abseits entstehen Dicks Texte, im "Abseits der Zuvielisation". Dort, wo er frühmorgens um fünf Uhr schon sich an die Arbeit macht, wo er im eigenen Garten hinterm Haus Gemüse anbaut und bei der alten Bäuerin nebenan Käse, Wurst und selbstgebackenes Brot bekommt. Geld, gesteht Dick bereitwillig ein, hat er nicht viel, - was er an wenigem habe, reiche gerade mal so zum Leben. Zusp. 13 Dick: "Ich habe nie erwartet, dass ich hier Geld verdiene. Verdienen? sage ich in einem Selbst-Interview im 'Cantus firmus', ich verdiene mehr wie Sie und Ihr Chef. Weil sie sagt: Ja, aber ein Geld müssen Sie doch auch verdienen. - Ja, ich verdiene mehr wie Sie und Ihr Chef. - Ja, also! - Ja, aber ich krieg's net. (lacht) Also ich habe kein Verhältnis zum Geld. Natürlich kann ich wirtschaften, aber ich würde nie einen Satz abfälschen in der Hoffnung, dass, wenn er ankommt, er was abwirft." Spr.: Ein Nonkonformist, das ist Dick. In einer Mischung aus Understatement und leisem Stolz erzählt er, wie ihm vor kurzem noch im Gespräch ein Einfall kam. Zusp. 14 Dick: "Da ging's um das Hierarchische. Und dann sag ich: Hierarchie. Hier schnarch I, zack, natürlich kann man einen Essay darüber schreiben, aber den liest ja keiner, - aber das merkt sich jeder." Spr.: Über die große Politik und das oft beschworene "Boomland Bayern" zieht er her in seinem jüngsten Buch, den "Marslanzen", und schreibt darin, sich lustig machend über den stammelnden "Staatsmaschinisten" und ehemaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber: "Geduld, es dauert, pisa's rausbringt, der Philisterpräsident". Darauf erntet man im Freistaat immer noch erboste Reaktionen. Zusp. 15 Dick: "Dann kommt also das Wort 'Nestbeschmutzer'. 'Sie sind auch so ein Nestbeschmutzer!' Und dann sage ich: Nein, ich bleibe meinem Nestroy." Spr.: Johann Nepomuk Nestroy, - auch so einer, in dessen Tradition sich Dick sieht. "Der Öd" heißt Dicks Monolog eines im Bierdunst eben gar nicht dumpf vor sich hinbrütenden, sondern, wie Dick sagt, "amokdenkenden" brüllenden "Monsters". Zusp. 16 Dick: "Lebt's mehr aus'm Hirn und weniger aus'm Kühlschrank. Nachher braucht's keine künstlichen Wälder und keinen elektronischen Vogelruf und koa blinderte Welt. Oder seid's etwa weitsichtiger geworden mit Euerm Fernseher? Schmeißt's ihn doch raus, den Glotzophon. Ich lass mich schon lang nicht mehr einschläfern von denen halbamtlichen Mattscheiben-Telewischiwaschler, Massenbledien, weil für die drei, vier Alibi-Sendungen im Jahr, die wo vielleicht wa taugen, rentiert sich's Warten net." CD Oddarang: music illustrated [LC 07577] Track 8 unter Ton einblenden, ab 00'58 hoch, paar Sekunden frei stehen lassen, dann darüber Zusp. 17 Dick: "Ich habe recht früh eine Denklust gehabt. Meine Oma hat schon, als ich 12 Jahre alt war, Sprüche und Nonsensverse, aber auch ernste Gedanken von mir an Zeitungen geschickt, die wurden dann auch gedruckt, und sie hat mir dann ein Riesensparschwein gegeben, und da waren dann die ganzen Fünfer und Zehner drin, die es als Honorar gab. Sie hat die nur noch abgeschrieben und weggeschickt. Und da sind Sachen dabei, die kann ich heute noch einbauen. Zum Beispiel, ich weiß noch, als 12jähriger, im Internat, da ging's um die Stars, Peter Kraus und solche Leute, und 'Pack die Badehose ein' und Rock'n'Roll, und da habe ich beobachtet, wie meine Freunde im Internat hypnotisiert gewesen sind. Und da habe ich notiert damals: 'Der Star wird dem Volk ins Auge operiert.'" CD Oddarang: music illustrated [LC 07577] Track 8 wieder hoch, dann langsam blenden Spr.: Die Schule brach Uwe Dick irgendwann ab: kein Abitur, kein Abschluss. Er habe noch "nicht einmal mittlere Reife", sagt Dick, aber das sei ja nicht schlimm, er sei ja schließlich "kein Camembert". Gewiss, Dick redet auch häufig genug Käse. Zusp. 18 Dick: "Ja, das ist das lachende Lernen. Das ist auch das, was ich in der Kindersprechschule in Rosenheim versucht habe - sieben Jahre lang, war damals groß in den Zeitungen und Medien, die erste Kindersprechschule Deutschlands. Da ging's auch um das spielerische Lernen, und das gilt für Erwachsene wie Kinder. Eine Tür, die kein Spiel hat, klemmt. Ein Mensch, der kein Spiel hat, ist verklemmt. Und ich bin immer Kind geblieben, ich kann's mit Kindern." Spr.: Ein Kind ist er in der Tat geblieben. Noch mit seinen 65 Jahren strahlt er etwas aus, was man mit einem veralteten Wort als "lausbubenhaften Charme" bezeichnen könnte, wie er einem so gegenübersitzt in seinem einfachen Leinenhemd und davon erzählt, wie er jahrelang unterwegs war mit dem Fahrrad, Tausende von Kilometern zwischen Würzburg und Wien. Das Fahrrad steht mittlerweile im Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg und seinen Besitzer plagt das ein oder andere Zipperlein. Aber die Erinnerungen an seine Touren im Innviertel, die sind nach wie vor da. Zusp. 19 Dick "Ich weiß aus den Innviertler Wirtshäusern, wenn da ein paar Alte sitzen, so zwischen 60 und 80, und die mich frotzeln, wo kommst denn her und so, und dann aber nach einer bestimmten Zeit merke ich, dass sie sich ein Spaß draus machen mich zu - im Bairischen sagt man: - derblecken. Aber sie machen das so charmant, so wenig grob, so witzig, so wortspielreich, dass ich natürlich weiß, dass es Intellektuelle auf dem Land auch gibt. Da darf ich aber manchmal schauen, ob ich mich da überhaupt noch behaupten kann. Das sind Wortspieler. Das kommt dann von dreien, die noch dazu aufeinander eingespielt sind, und da gibt's dann ein Feuerwerk von Einfällen, und die testen mich aus. Wenn ich den Test bestehe, kann's sein, dass sie sagen: Den Sauerbraten zahln mir. Das Bier auch. Mir ham uns scho lang net mehr so gut unterhalten. Dankschön.' Bedanken sich und zahlen mir das Essen, weil's für sie eine wunderbare Mittagspause war. Das passiert auch." Spr.: Dass er das vermeintlich Niedere mit dem Hohen verbindet, stört viele an diesem Autor. Er leert eben nicht nur trinkfest mit dem Bauern in Oberbayern eine Flasche Kognak, sondern suchte auch, 1972 war das, Ezra Pound auf und saß ihm in seiner Wohnung in Venedig in der Calle Querini gegenüber. Pound schwieg ihn an, und Dick "schwieg zurück", wie er danach in seinem Canto für Ezra Pound festhielt. Auch auf andere große Namen der Geschichte der Dichtkunst bezieht sich Dick. Und indem er sie zitierend einflicht in seine "Sauwaldprosa", in sein ungeschlachtes, immer weiter wachsendes Gedanken- und Geschichtenkonvolut, an dem Dick seit über dreißig Jahren schreibt, führt er ein imaginäres Gespräch mit den toten Meistern der lyrischen Moderne, - so auch mit dem Russen Ossip Mandelstam. Zusp. 20 Dick "Ossip Mandelstam sagt, Zitate sind Zikaden, und immer wenn eine bestimmte Landschaft, eine bestimmte Temperatur in der Phantasie das Oberlicht gewonnen hat, dann kommen diese Zitate. Das Einzige, wofür ich werben kann, das sind Schönheiten der Sprache, das sind Zitate, ich versuche die Leute zu Ludwig Marcuse oder zu Ossip Mandelstam oder zur Zwetajewa zu locken durch Zitate, so dass sie sagen: Mensch, das ist gut, von dem muss ich mir mal was holen." CD Oddarang: music illustrated [LC 07577] Track 6 unter Ton einblenden, ab 04'21 frei, kurz hoch und dann darüber (und laufen lassen unter Text & Ton bis 06'12) Spr.: So kann es einem gehen im Gespräch mit Dick. Sich leidenschaftlich in Rage redend, lässt er ganz nebenbei ein Hölderlin-Zitat fallen: er möge sie halt nicht: die "Leute, denen die Worte billig". Aus welchem Gedicht diese Wendung stammt? Aus dem Gedicht, "Das Nächste Beste", klärt einen Dick daheim auf seinem Sofa auf. Zusp. 21 Dick "Dieses Gedicht, dieses Hölderlin-Gedicht habe ich variiert. Der formuliert nichts mehr aus, das sind nur Ansätze, Sprünge, er spart aus. So wie ja schon Dürer das Weiß stehen ließ und nur mit ein paar Farben drumrum gegangen ist und trotzdem ein volles, bewegtes Bild schaffen konnte, ist eben die Schreibtechnik beim späten Hölderlin da. Er sagt das, was ich jetzt so formuliere: 'Der Kluge versteht schon ein halbes Wort, den anderen ist jedes zuviel.' Das sind ja übrigens die Leute, die sich nach der Lesung so heranmopsen und: 'Ja, Herr Dick, etwas weniger wäre da wohl mehr gewesen.' Ah, diese Leute, das sagen die ja nur, weil sie das, was ich gesagt habe, nicht hören wollen. Da wäre natürlich etwas weniger und gar nichts das Beste. Die schleichen sich ja dann so an, und dann mit dem Etepetete-Ton. Natürlich sind die gebildet, aber hauptsächlich ein-. Und ich höre da das Vakuumpfeifen im Hirn schon auf zwanzig Meter beim Signieren, solche gibt's halt auch. Aber wie sagt der Berliner: Ja, das Tiergarten ist groß, ein herrlicher Satz, und v. a.: Wir sind ja auch Tiere, wir sind Sprachtiere." Spr.: Sprachtiere, denen das Sprachvermögen allmählich inmitten flotter Werbefloskeln verloren geht, wie Dick feststellt. "Relaxen" wolle sich alle Welt. Zusp. 22 Dick "Von was, frage ich, von was wollen die sich relaxen. Ja, releckts mich doch am ... Es ist eine unglaubliche stinkende Faulheit, das ist Deutschland." Spr.: Eine "Legasthenokratie", so Dick, ein Staat voller Bürger, die besonders nach einem strebten: nach Bequemlichkeit. Auf die Frage aber, ob er eine Botschaft hat, ob er seine Leser bekehren, sie missionieren will, antwortet Dick bestimmt: Zusp. 23 Dick: "Nein, das sagt der 'Öd', ich bin doch nicht missionarrisch, also missio-narrisch." Spr.: In solchen Formulierungen hat man Dick in nuce. Im einen Wort entdeckt er Anklänge an andere und macht sich darauf seinen ganz eigenen Reim. Zusp. 24 Dick: "Allusionen, das ist das, auf was ich aus bin, nicht Illusionen. Nachbarschaftsreime, wie Jean Paul sagt, die kann ich doch noch mithören. Und das ist auch eine Frage der Musik. Ich sehe mich ja auch als Sprachmusiker." Spr.: Dieser Sprachmusiker, der Jean-Paul-Preisträger 2007, zitiert mit Verve einen bereits seit Jahren: den Namenspatron der ihm zuletzt verliehenen Auszeichnung. Zusp. 25 Dick: "Nur der Freie liebt Freie. Und ich habe von Jean Paul natürlich eins, er sagt auch: Und keiner hat ein Herz, er selbst zu sein." Spr.: Der Dichter Dick hat dieses Herz, er selbst zu sein, bis heute. Zusp. 26 Dick: "Die Definitionsmacht von Jean Paul, von dem ja alle großen Wörter [stammen] Adornos 'Klangfiguren', und das 'Bewusstsein' und der 'Fallschirm', die 'Ehehälfte', Hunderte von Wörtern wurden Jean Paul als erstes geschaffen. Dagegen ist der ganze Weimarer Genieladen ein Kiosk." Spr.: Bei Dick regt sich oft, was der Weimarer Goethe den "Gegensinn" nannte, - und dieser Gegensinn zeigt sich auch darin, dass er, was für ein selten gehörtes Bekenntnis, von Kindesbeinen an einen Komiker über alle Maßen verehrt: Zusp. 27 Dick " Heinz Erhardt, Noch ein Gedicht, ja, das war für mich das Spielzeug, was man mit der Sprache machen kann, das hat mich fasziniert. Und ich meine, Heinz Erhardt hat vieles von dem gemacht, was die Wiener Gruppe dann auch gemacht hat. Und ich bin froh, dass er jetzt wenigstens mal in einigen Lesebüchern mal auftaucht. Das war sowieso ein Zeichen der verminderten Reaktionsgeschichte. Dass das vierzig, fünfzig Jahre gedauert hat. Aber das ist typisch: die humoristischen Dichter in Deutschland, die werden irgendwie nicht für voll genommen." Spr.: Darum habe man hierzulande auch kaum nennenswerte Komödiendichter, so Dick. Sein Lieblingsfeind, das Feuilleton, verachte deren Unsinn als bloße Kinderei. Zusp. 28 Dick: "Ich habe natürlich angefangen mit Nonsens und ich werde wahrscheinlich auch aufhören mit Nonsens. Es wäre schön, wenn ein Geistlicher sich zu mir wagte in der letzten Stunde, dass ich dann sagen könnte: nun sehn's, jetzt haben's doch nichts erreicht (lacht) Ich habe Sie gar nicht reden lassen (Lachen)." Spr.: Im Lachen Dicks liegt womöglich auch ein Stück Selbsterkenntnis: CD Oddarang: music illustrated [LC 07577] Track 2 Spr.: So unpolitisch, wie er sagt, ist er wohl doch nicht. Will nicht auch er wirken, ernst genommen werden? Und vermasselt sich ein Wortspieler wie er nicht gerade durch seine exzessive Sprachakrobatik selbst die Tour? Gewiss, man schmunzelt, wenn er schimpft, wir lebten nicht in einer "Demokratie", sondern in einer "Deppokratie"; man nickt, wenn er sagt, der tägliche "Unterhaltungsfaschismus" im Fernsehen sei ein "Untenhaltungsfaschismus". Aber das ist auch schon alles. Die Tiraden des Ökologen, des "Satz- und Gartenbauers" Uwe Dick, wider die allmächtige Wirtschaft, sie laufen ins Leere. Zusp. 29 Dick: "Man sieht's ja in jeder Hinsicht, was die Wirtschaft darf und was wir nicht dürfen. Auch der Krach, der Gestank. Die unkontrollierte Vernutzung von Ressourcen, das dürfen wir nicht. Uns macht man kleine Vorschriften: Sortiert das und das, den Müll, fahre ihn weg zur Deponie, das ist bei uns also auf den Berg rauf, fahr Auto, dann bist Du wer. Aber das wir zum Beispiel nur jede dritte Mülltonne abgeben, weil wir sie gar nicht voll kriegen, weil wir den Plempel gar nicht kaufen, und weil wir das meiste kompostieren, ja! Dann kommen die und sagen: Der lebt da in einer Idylle. Aber das ist ja nun gar nicht mehr [machbar]. Die werden sich noch umschauen. Wenn die Ressourcen weg sind und wenn dann mal nicht mehr ums Öl gekämpft wird, sondern um die letzten Quellen, und das verschlafen sie ja jetzt auch schon. Gibt ja auch schon wieder Konzerne, die aufs Wasser zugreifen. Natürlich, ich habe ja auch schon Vorschläge gemacht in der Sauwaldprosa, und habe eine große Energiequelle gezeigt, nämlich die menschliche Dummheit. Wenn man die nutzen könnte, bräuchte man keine Atomkraft, ... unglaublich, was für ein Potential da ist, ... das ist der so genannte Wasserkopfreaktor." Spr.: Verzweiflung blitzt in solchen Wortneuschöpfungen auf, ein sympathischer Widerwille, sich mit seiner Umwelt, so wie sie ist, zu arrangieren und einfach alles hinzunehmen. Ein anarchischer Geist ist dieser Uwe Dick, und immerhin, ein paar seiner Wortschöpfungen haben Eingang gefunden in den deutschen Sprachschatz, kurze, knappe und natürlich pointierte Sätze, mit Genugtuung registriert Dick das. Zusp. 30 Dick: "Auch Einzelwörter wie zum Beispiel Keandlbuddhist sind im Umlauf. Das ist unterwegs und ich treffe immer wieder zu meinem großen Vergnügen alte Bekannte, und das ist eigentlich die Sprache, nicht die Schreibe. Das haben die sicher im 'Öd' oder im 'Monolog eines Radfahrers' oder im 'Jäger vom Knall' gehört und sich gemerkt. Zum Beispiel: 'Wo man singt, lass dich ruhig nieder, / doch prüf die Texte hin und wieder.' Oder: 'Jäger hegen - / Abschussgedanken.'" Spr.: Von Jean Paul stammt der Satz, die Muttersprache sei "die Orgel unter den Sprachen". Uwe Dick versteht es, alle möglichen Register dieser Orgel zu ziehen. Aber er geht seinen Weg dabei so kompromisslos, dass er nun schon, nach Stationen bei Piper und dem Residenz Verlag, bei seinem neunten Verlag gelandet ist, der kleinen Asku-Presse in Bad Nauheim. Die meisten Verleger von "unangepasster Literatur" wagten "fast immer nur 'Probierauflagen'", sagt Dick mit einem Wort Jean Pauls. Immerhin, dieser Tage [Juni 2008] erscheint, ein halbes Jahr nach der Verleihung des Jean-Paul-Preises, eine Neuauflage seiner "Sauwaldprosa". Zusp. 31 Dick "Meine Sätze dringen auf Zivilcourage und Widerspruch und ich habe immer gelernt: Ich komme nie ans Ende, aber das ist spannend. Und das ist übrigens das Programm der Sauwaldprosa, dass ich zeige jetzt schon durch dreißig Jahre, dass ich mein Denken und das Denken Anderer und mein Reagieren auf das Denken Anderer vorführe, und ich zeige, dass es überhaupt keine Station gibt, wo man sagt: So, jetzt woaß ich's. Nix weiß ich, gar nichts. Aber bestimmte Dummheiten mach' ich nicht mehr. Es ist immer so eine Sache. Der, der immer noch weiterdenkt, hat einen Vorteil: Der Dumme macht immer den gleichen Fehler, der Kluge immer wieder einen anderen. Und das ist eigentlich spannender." CD Oddarang: music illustrated [LC 07577] Track 5 auf Ende - stopp - 1